Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
„Produktivitätsoffensive“ bei der Volkswagen AG:
Wieder an die Spitze – mit massenhaft unbezahlter Mehrarbeit und Entlassungen!

Mitte Juni 2006 kündigt die Volkswagen AG eine „Produktivitätsoffensive“ an, deren zentraler Bestandteil die Erhöhung der Arbeitszeit von 28,8 auf 35 Wochenstunden ohne Lohnausgleich ist. Außerdem will sich der Konzern von bis zu 30 000 Mitarbeitern trennen. Ein selten drastischer Einschnitt in die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Beschäftigten steht also an, den das Unternehmen folgendermaßen begründet: „Markenchef Bernhard zufolge hat VW in den sechs westdeutschen Werken im Jahr 2005 ‚einen dreistelligen Millionenbetrag‘ verloren. … Zur Zeit verliere VW mit jedem Golf Geld.“

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen

„Produktivitätsoffensive“ bei der Volkswagen AG:
Wieder an die Spitze – mit massenhaft unbezahlter Mehrarbeit und Entlassungen!

1. Mitte Juni 2006 kündigt die Volkswagen AG eine „Produktivitätsoffensive“ an, deren zentraler Bestandteil die Erhöhung der Arbeitszeit von 28,8 auf 35 Wochenstunden ohne Lohnausgleich ist. Außerdem will sich der Konzern von bis zu 30.000 Mitarbeitern trennen. Ein selten drastischer Einschnitt in die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Beschäftigten steht also an, den das Unternehmen folgendermaßen begründet: Markenchef Bernhard zufolge hat VW in den sechs westdeutschen Werken im Jahr 2005 ‚einen dreistelligen Millionenbetrag‘ verloren. … Zur Zeit verliere VW mit jedem Golf Geld. (Die Welt Kompakt, 15.6.06) Wolfsburg ist unter 60 Prozent ausgelastet. (SZ, 3.7.)

Kein Wunder! Seit Jahren diagnostizieren journalistische und andere Experten einen ‚schwierigen Markt‘ für Pkws. Dafür haben VW und seine Konkurrenten mit ihren Erfolgsstrategien selber gesorgt: Bei ihrem Konkurrenzkampf um den lohnenden Verkauf von möglichst vielen Autos haben sie sich um die Schranken des zahlungsfähigen Bedürfnisses einen Dreck geschert, sie haben im Gegenteil immer mehr ‚Produktionskapazitäten‘ und damit selbstverständlich lauter Ansprüche auf immer mehr gewinnbringenden Absatz installiert und so insgesamt den Markt mit ihren feinen Produkten überfüllt. Dieses Ergebnis hat wiederum ihre Anstrengungen beflügelt, dann trotz der wachsenden Marktschranken die Gewinne zu steigern, indem man Zahlungsfähigkeit auf Kosten der Konkurrenz auf sich zieht, anderen Unternehmen also möglichst viele Marktanteile abjagt oder sie ganz aus dem Markt wirft. Dass nach berufener Auskunft „langfristig allenfalls 5 große Unternehmen überleben werden“, bedeutet eben nur, das man zu denen unbedingt gehören muss. Also gilt jetzt erst recht die Devise, mehr Autos loszuschlagen, durch Preissenkungen und Rabattschlachten die Kosten – selbst zu Lasten des eigenen Gewinns – rücksichtslos zu senken, um sich am Markt durchzusetzen und die ‚Überkapazitäten‘ andere ausbaden zu lassen, so dass man dann selber – beschränkte Zahlungsfähigkeit hin oder her – noch mehr und dadurch doch wieder profitabler verkaufen kann. Verrückt, aber so verrückt geht Konkurrenz um Profit!

Wenn der Konzern dann nicht genügend zusätzliche Marktanteile hinzu gewinnt, um per Auslastung der Kapazitäten in die schwarzen Zahlen zurückzukehren, wenn er durch seine Rabatte also per Golf keinen Gewinn mehr einfährt, dann ist dem Chef völlig klar, woran sein prima Konkurrenzkonzept scheitert: Die Leute sind zu teuer; wegen der Löhne kann sich die Firma die verkaufsfördernden Preisnachlässe nicht mehr leisten.

Seitdem steht fest: Volkswagen hat über seine Verhältnisse gelebt. (Personalvorstand Neumann, Volkswagen Media Services), Was die Firma ihrer Belegschaft bisher an Lohn gezahlt und an Arbeitsleistung abverlangt hat, gilt im Nachhinein als unproduktiver Luxus, den ‚die Konkurrenzlage‘ eigentlich schon längst nicht mehr erlaubt. In diesem Sinne beweist das Management seine Fähigkeit zur „Innovation“ und „Kreativität“, indem es alle bisherigen Arbeitsverhältnisse systematisch über den Haufen wirft, gemäß der Devise: Der Faktor Arbeit hat radikal billiger zu werden!

2. Zur Zeit stellt das Unternehmen die Weichen für eine groß angelegte Produktivitätsoffensive. … Von Januar bis Mai habe die Marke Volkswagen Pkw die Auslieferungen weltweit um mehr als 15 Prozent gesteigert. Außerdem „werde die gesamte Arbeitsorganisation neu strukturiert, um die Produktivität deutlich voranzubringen.Die Situation von Volkswagen macht es aber erforderlich, weitere nachhaltige Maßnahmen zu ergreifen. … Um Volkswagen wieder wettbewerbsfähiger zu machen, müssen wir unsere Kosten weiter deutlich senken … Neben allen anderen Anstrengungen bedeutet das eben auch, Personal abzubauen.“. Also bietet „die Volkswagen AG erstens rund 85.000 Mitarbeitern ihrer westdeutschen Standorte Aufhebungsverträge“ an. Eine Zahl von Mitarbeitern, die wir auf diesem Weg zu einem Ausscheiden aus dem Unternehmen bewegen möchten und werden, können wir heute noch nicht nennen. Für uns ist erst einmal entscheidend, dass wir allen interessierten Mitarbeitern herausragende Konditionen anbieten können… Angeschrieben wurden Tarifmitarbeiter der Jahrgänge 1952 und jünger … Die maximale Abfindung einschließlich Zulage für Schnellentschlossene beträgt 249 480 Euro brutto, für einen Beispielfall entspricht das rund 139.000 Euro netto. (Volkswagen Media Services) Zweitens will VW zudem bis zu 16.000 Mitarbeiter über ein Frühpensionierungsprogramm zum Ausscheiden bewegen. Drittens prüft der Autokonzern, ob er mehrere Tausend Mitarbeiter an Zulieferer und andere Unternehmen ausleihen kann. VW würde dann die Differenz zwischen den eigenen Löhnen und den niedrigeren der neuen Arbeitgeber ausgleichen. (Der Spiegel, 22/06)

So einfach geht das also: Mehr ‚Auslieferungen‘ bei bedeutend weniger Belegschaft, als ob es selbstverständlich wäre, dass mehr mit weniger Arbeitern produziert werden kann. Es muss – und das Unternehmen sorgt dafür, indem es den Betrieb neu durchorganisiert, das Leistungspensum für die Belegschaft erhöht und Entlassungen auf die Tagesordnung setzt. Die dauerhafte Kosteneinsparung durch das Ausscheiden von Tausenden, die mehrheitlich in die Arbeitslosigkeit oder ein finanziell gekürztes Frührentnerdasein entlassen werden oder vom Konzern, mit der Entlassungsdrohung in der Hinterhand, in frei verfügbare Leiharbeiter verwandelt werden, lässt sich der Konzern einiges kosten. „Herausragend“ viel, wie er zynisch und nicht einmal zu Unrecht findet, erfreut sich dieses ‚Angebot‘ doch wirklich einer regen Nachfrage: Seit Volkswagen Anfang Juni sein Abfindungsprogramm für freiwillige Abgänger in den westdeutschen Standorten kräftig aufgestockt hat, herrscht Hochbetrieb in der Personalabteilung. (Die Zeit, 29.6.) Lieber lassen sich altgediente VWler ‚abfinden‘, d.h. finden sich mit ihrem Ausscheiden ab, als weiter im Betrieb zu bleiben und sich mit den neuen Anforderungen und Umständen zu arrangieren unter der bleibenden Drohung, ziemlich sicher demnächst unter weit schlechteren Bedingungen ausgemustert zu werden.

Freilich, so das Unternehmen, das alles reicht noch nicht für die notwendige Wettbewerbsfähigkeit. (Volkswagen Media Services) Mehr ist verlangt und nur gerecht. Die schon erreichte Steigerung der Auslieferungen sowie das groß angelegte Programm zur Verringerung der Belegschaft betrachtet die VW AG nämlich als eine Vor-Leistung, die sie erbracht hat. Damit, so ihre Sichtweise, haben jetzt die ‚Mitarbeiter‘ eine Bringschuld gegenüber dem Unternehmen, das mit den Entlassungen schließlich nur ihre Arbeitsplätze zukunftssicher macht: Sichere Arbeitsplätze kommen von Wettbewerbsfähigkeit. Aus diesem Grund müssten auch die Arbeitnehmer weiter zur Zukunftssicherung des Unternehmens und damit ihrer Arbeitsplätze beitragen, forderte Neumann. Mehreinsatz ist gefordert, und zwar nicht zu knapp und gefälligst ganz umsonst: Er bekräftigte den Ansatz des Unternehmens, eine 35-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich einzuführen. (ebd.) Das Unternehmen will deshalb den bis 2011 laufenden Tarifvertrag vorzeitig kündigen.

In Wahrheit geht es freilich umgekehrt: erst dadurch dass die Belegschaft intensiver und kostenlos gleich mehrere Stunden länger arbeitet, werden massenhaft Arbeitskräfte überflüssig gemacht, die das Personalbüro dann zum Ausscheiden bewegen kann.

3. Für die notwendige ‚Lernbereitschaft‘ sorgt das Management, indem es die Belegschaften seiner verschiedenen Standorte mit der Drohung gegeneinander konkurrieren lässt, einen Gutteil der Arbeitsplätze oder den ganzen Standort zu streichen, wenn sie nicht die Ansprüche des Konzerns an weniger Lohn und mehr Leistung zufriedenstellen. Seine verschärften Anforderungen will das Unternehmen als gültige Vorgaben für die Produktion künftig konzernweit bekanntgeben und seine Produktionsvorhaben nach Art eines Auftrags intern ‚ausschreiben‘ und an den billigsten internen ‚Anbieter‘ vergeben. So hat der VW-Vorstand wegen der hohen Kosten bereits entschieden, dass der geplante neue Scirocco nicht in Wolfsburg, sondern in Portugal gebaut wird (Der Spiegel, 25/06), und die werten Mitarbeiter des Standorts Wolfsburg werden mit der Verlagerung der Produktion des Golfs (SZ, 16.6.) erpresst, falls sie sich in Sachen Arbeitszeitverlängerung nicht als willfährig erweisen. Uneinsichtige Belegschaften werden regelrecht bestraft – durch Arbeitsplatzentzug: Im Volkswagen-Werk im nordspanischen Pamplona sind mehrere tausend Arbeitsplätze bedroht. Der VW-Konzern verlagert einen Teil der Polo-Produktion aus Pamplona in sein Brüsseler Werk… Hintergrund: In den Verhandlungen mit drei spanischen Gewerkschaften konnte sich das Unternehmen auch nach 18 Monaten nicht auf einen neuen Tarifvertrag einigen. (Der Spiegel, 27/06) Umgekehrt dürfen sich die ‚Wolfsburger‘ ausrechnen, im Falle ihres Entgegenkommens mit zusätzlichen internen Aufträgen bedacht zu werden: Wenn der Polo zusätzlich in Brüssel montiert wird, könnte dies auch die Gespräche mit den deutschen Arbeitnehmervertretern beeinflussen. VW fordert die Rückkehr zur 35-Stunden-Woche. Wenn dadurch nicht Tausende von Arbeitsplätzen in deutschen Werken überflüssig werden sollen, müssen die Fabriken mehr Autos montieren. Sollte Brüssel den Polo bauen, könnte ein Teil der bisherigen Golf-Produktion aus Brüssel nach Wolfsburg verlagert werden. (Der Spiegel, 27/06) Auf diese Weise setzt der Konzern die von ihm gewünschte Mehrleistung bzw. Lohnkürzung und Entlassungen in einem Werk unter Verweis auf die Bereitschaft einer Belegschaft andernorts oder auf erreichte Kostenvorteile an anderen Standorten durch. Von wegen also: Unsere Wettbewerber greifen aus Osteuropa heraus mit 10 Euro Stundenlohn an. Der Konzern selber organisiert einen ständigen Angriff auf den Lohn seiner Beschäftigten – im übrigen gehört VW mit seinen Dependancen ja selber zu den ‚Wettbewerbern‘ aus dem Osten, die da als Sachzwang für unvermeidliche Einschnitte ins Feld geführt werden.

Auch bei dem neuen Programm der ‚35-Stunden-Woche‘ baut das Unternehmen auf erreichten Standards bei Arbeitszeit und Lohn auf, die es vor nicht allzu langer Zeit durchgesetzt hat. 1994 hat VW die Normalarbeitszeit ohne Lohnausgleich auf besagte 28,8 Stunden reduziert (siehe GegenStandpunkt 4-93, S.91). Seine Beschäftigten stellten damals ihre Mündigkeit und Lernbereitschaft unter Beweis, indem sie unter dem Titel ‚Sicherung der Arbeitsplätze‘ mit einer Kürzung ihres Lohns um die 25% fertig wurden. Das schlagartig verminderte Entgelt war seitdem als Normallohn im Stammwerk das neue Maß dessen, was bei VW verdient werden kann. Jetzt wird aus dem geschmälerten Lohn von gestern – unter heftiger Zustimmung der Öffentlichkeit: ‚Für so wenig Arbeit soviel Geld!‘ – ein Privileg, ein Spitzenlohn für unnormal wenig Arbeitseinsatz. Dieses Geld hat sich die Belegschaft folglich gefälligst durch einige Wochenstunden mehr ganz neu zu „verdienen“. Es geht nämlich auch anders, wie der Konzern an anderer Stelle längst bewiesen hat: „In der Niedriglohn-Tochter Auto 5000 ist verwirklicht, was bei VW bevorsteht: 35 Wochenstunden an fünf Tagen für einen Lohn, den VW seinen Beschäftigten für 28,8 Stunden an vier Tagen zahlt.“ (SZ, 19.6.) Jetzt macht sich der Konzern daran, aus dieser – von der IG Metall nach einigem Zögern als Ausnahme vom VW-Haustarif gebilligten (siehe GegenStandpunkt 3-01, S.75) – Regelung ein vorbildliches Modell und die für alle verbindliche neue Regel zu machen. Bernhard fordert einen einheitlichen Haustarifvertrag für Volkswagen, Auto 5000, Auto Vision und weitere Tochterunternehmen. (ebd.) Den Beschäftigten rechnet er vor, dass ihnen im Grunde ja nichts genommen wird: Trotz der ernsten Situation solle künftig kein Mitarbeiter weniger Jahreseinkommen in der Tasche haben. (Bernhard, Volkswagen Media Services) So wird mit Verweis auf die offiziell gleich gebliebene Lohnsumme der Umsturz des Lohn-Leistungsverhältnisses zu einer vergleichsweise leicht erträglichen Sache: Die Belegschaft muss ja nur ein bisschen mehr dafür arbeiten – angesichts der ‚Situation‘ des Unternehmens ein geradezu eklatanter Fall von Großzügigkeit.

So entwickelt die Volkswagen AG „kreative“ Lohnsenkungs- und Arbeitszeitverlängerungs„modelle“. Die werden zuerst als Ausnahmen an einer Stelle eingeführt, dann zum Vorbild und Maßstab für alle und schließlich mit Verweis auf eine Notlage des Unternehmens, auf die Zwänge der Konkurrenz und auf die betriebsinterne Lohn-Leistungsgerechtigkeit zum normalen Standard gemacht. Vom einmal gepriesenen großzügigen VW-Haustarif und der so sozial vorbildlichen Kooperation von Unternehmen und Belegschaft bleibt auf diese Weise nichts übrig – außer eines: der feste Wille der Belegschaftsvertretung, sich den neuen Anforderungen des Unternehmens an die ‚werten Mitarbeiter‘ keinesfalls zu verschließen.

4. Der Chef des Betriebsrats Osterloh ist in Gestalt der ersten Person Plural voll und ganz mit dabei, wenn es darum geht, wie sich das Unternehmen in der Konkurrenz erfolgreich durchsetzen kann – und auch, wenn es darum geht, die Konsequenzen zu verantworten, die auch seiner Meinung nach dafür unausweichlich sind: Der Absatz der Kernmarke VW liegt leider nicht auf dem Niveau, das wir gerne hätten. Wir sind uns auch darüber bewusst, dass die Arbeitskosten, so wie sie jetzt da sind, das Produkt belasten. Deswegen führen wir ja Gespräche über die Frage, inwieweit man die Arbeitskosten reduzieren muss, damit die Produkte längerfristig wettbewerbsfähig sind. (FAZ, 18.7.) Kein Wort gegen die Zumutungen und erpresserischen Drohungen des Managements. Dass die Arbeitnehmer auf Gedeih und Verderb von den Profitkalkulationen der Gegenseite abhängig sind, ist für den Vertreter der Belegschaft eben nicht eine ärgerliche Tatsache, sondern ein guter Grund, sich den Standpunkt eines Betriebsmanagers zu eigen zu machen und sich im Namen der Beschäftigten heftigst mit um das Gelingen der Geschäftskalkulationen zu sorgen: Wie kann dieses Unternehmen langfristig überleben? Das ist meine Verantwortung als Arbeitnehmervertreter. (ebd.) Die gebietet ihm vor allem, erst einmal prinzipielle Bereitschaft zu Zugeständnissen der Belegschaft in Sachen Lohn und Leistung zu signalisieren – im Namen des ‚Erhalts der Arbeitsplätze‘, der ohne Unternehmenserfolg eben nicht zu haben ist. Dass sie mit ihm allerdings auch keineswegs ‚gesichert sind‘, dass 6,5 Stunden kostenlose Mehrarbeit im Gegenteil die sicherste Gewähr dafür sind, dass ‚Arbeitsplätze‘, also Arbeitskräfte mit ihrem Lohn eingespart werden, ist ihm freilich auch nicht unbekannt. Also sieht er sich zweitens dazu aufgerufen, vom Management seinerseits eine entsprechende Gegenleistung zu verlangen: Das Unternehmen soll dann aber auch, bitte schön, aus der lohnender gemachten Arbeit möglichst viel für sich machen, soviel am besten, dass wegen erfolgreicher Geschäftsausweitung die überflüssig Gemachten dann doch noch zusätzlich gebraucht und so ‚Entlassungen vermieden‘ werden: Wie wollen wir die Leute beschäftigen, wenn wir die Arbeitszeit erhöhen? Wenn wir auf 35 Stunden gehen, haben wir auf einen Schlag einen zusätzlichen Personalüberhang von 17 Prozent. Wir brauchen also ein Gesamtkonzept für einen Standort- und Beschäftigungspakt. Wir könnten in Wolfsburg 690.000 Autos im Jahr bauen. Wir bauen aber nur 400 000. Wenn wir diese Kapazität durch ein zusätzliches Volumenmodell voll auslasten, würden schon bei 460.000 Stück die Kosten pro Fahrzeug um mehr als 400 Euro sinken. Bei Vollauslastung wären es sogar 1000 Euro. (ebd.) So wäre dann alles im Lot: Das Unternehmen hätte seinen gesteigerten Profit in Gestalt niedrigerer Kosten und ordentlich gesteigerter Verkaufszahlen, die Beschäftigten für ihre kostenlose Mehrarbeit einen unschlagbaren Lohn: ihren Arbeitsplatz, der zwar überhaupt nicht mehr der alte, aber doch ‚erhalten‘ wäre – dass dieser Erfolg zu Lasten der Belegschaften anderer Standorte oder Konzerne geht, was soll’s. Auf diese Weise macht sich der Mann für die Durchsetzung ‚seines‘ Unternehmens gegen andere stark, bekennt sich zu den Zwängen der Konkurrenz, die das Unternehmen dafür seinen Belegschaften in aller Freiheit eröffnet, liefert lauter konstruktive Kostensenkungsvorschläge ab und stimmt so seine Klientel auf die kommende Arbeitszeitverlängerung und auf die dadurch fälligen Entlassungen ein – und damit auch auf den internen Konkurrenzkampf, welcher Standort am Ende das ‚Glück‘ hat, für am kostengünstigsten befunden zu werden.

5. Die Öffentlichkeit, die ihr Augenmerk darauf richtet, ob die Macher des Standorts Deutschland ihre Sache auch richtig machen, spart ihrerseits nicht mit Kritik. Der unbestechliche Blick des Wirtschaftsjournalisten entnimmt der „Produktivitätsoffensive“ des Konzerns nämlich die Botschaft: Alles falsch gemacht in der Konkurrenz: Die wichtigen Konkurrenten arbeiten wesentlich effizienter und billiger. (SZ, 16.6.) Die Arbeiter im Werk Wolfsburg benötigen 47 Stunden, um einen Golf zu montieren, Renault baut den Megane im Werk Palencia in 17 Stunden. Es gibt viel zu tun. (SZ, 14./15.6.) Wenn VW mit der Golf-Produktion am Standort Wolfsburg unzufrieden ist, weil die Konkurrenz Autos vorgeblich viel billiger zu bauen in der Lage ist, dann steht für die Fanatiker deutscher Unternehmenserfolge fest, dass es dann ja wohl dem verwöhnten VW-Werker (ebd.) an den Kragen zu gehen hat. Der Radikalismus, mit dem VW mit seiner jetzigen „Produktivitätsoffensive“ bisherige Arbeitsverhältnisse umkrempelt, ist der Beweis, wie sträflich nachlässig VW in dieser Hinsicht bisher gewesen ist: Das Management verzichtete aus sozialer Rücksicht auf Rationalisierungen, vor denen die Konkurrenz nicht zurückschreckte. Das Ergebnis des Kuschelkurses: VW ist nicht mehr wettbewerbsfähig. (SZ, 16.6.) Ein Konzern, der derart Wert auf einvernehmliche Abwicklung seines Geschäfts legt, kann schlicht und einfach nicht erfolgreich sein. Der hat nämlich das fundamentale Gesetz der Konkurrenz nicht beachtet, das der Journalist viel besser kennt als er und bedingungslos unterschreibt: In der Autoindustrie gelten Produktivitätszuwächse von fünf Prozent im Jahr als das Minimum. Will ein Hersteller seine Profitabilität auch nur halten, muss er entweder jedes Jahr die Mannschaft oder die Löhne um diesen Satz verringern oder entsprechend mehr Autos verkaufen. Nichts von dem fand bei VW statt… Der verständliche Wunsch, möglichst viele Arbeitsplätze zu halten, hatte offenbar eine Nebenwirkung: Er verminderte den Druck auf Management und Belegschaft. Beide sahen nur zögernd der Realität ins Auge und sehen sich nun zu umso härteren Einschnitten gezwungen. (SZ, 14./15.6.). Eine schöne Auskunft über den Wahnwitz des viel gepriesenen Wettbewerbs in der freien Marktwirtschaft! Der Profit gebietet, rücksichtslos gegen den Markt immer mehr zu produzieren, nicht wegen irgendeines Bedarfs, sondern um die Verkaufsziffern und damit den Geldgewinn zu steigern; der verträgt nämlich keinen Stillstand, gebietet vielmehr, ständig durch gesteigerte Arbeitsleistung die Lohnkosten zu senken, jeden Produktionsfortschritt zum Hebel nicht für Arbeitserleichterungen, sondern für die relative Verarmung der weiterhin Beschäftigten und für die Entlassung von Teilen der Belegschaft zu machen. All das zwingen sich die Unternehmen wechselseitig dadurch auf, dass die Anstrengungen an einer Stelle die entsprechenden Bemühungen an anderer und die dort geleistete Arbeit wertlos machen. Das Ganze ist das, sogar bezifferbare, eherne Gesetz des Fortschritts gesellschaftlicher Reichtumsproduktion hierzulande. Zu all dem sagt der journalistische Kenner verständnisvoll ‚Realität‘, erklärt es damit für unumstößlich und in Ordnung, blamiert die allgegenwärtige Beteuerung, es ginge bei all dem um die Sicherung von Arbeitsplätzen, als realitätsfremdes leeres Versprechen und besteht entschieden darauf, dass Arbeitsplatzerwartungen der Lohnabhängigen mit den Notwendigkeiten des Profits unvereinbar sind, so dass er bei VW in der Vergangenheit nur betriebsschädliches soziales Wunschdenken und Versäumnisse am Werk sieht – um dann am Ende bei der Behauptung zu landen, dass Rücksichtslosigkeit im Umgang mit den Arbeitskräften – „rechtzeitig“ – ein einziger Segen sei, nämlich der Vermeidung von noch viel härteren Maßnahmen diene…

Kein Wunder dass dieser Mann Ende Juli immer noch „Fehlanzeige!“ bei VW vermelden muss: „Wer geglaubt hatte, die Arbeitnehmervertretung von VW sei durch die peinliche Schmuddelaffäre um Sex-Reisen und Tarnfirmen geschwächt, und das Management werde jetzt einen radikalen Plan zum Verlust- und Personalabbau vorlegen, der sieht sich getäuscht. Die Arbeitnehmervertreter profilieren sich vielmehr wie selten zuvor. Vom Vorstandsvorsitzenden Bernd Pischetsrieder und VW-Markenchef Wolfgang Bernhard, der vor Monaten auf die Pauke haute (Bei VW sind 20.000 bis 30.000 Mitarbeiter zu viel an Bord) ist nichts mehr zu hören. Zögerlich im Umgang, haben beide Seiten sogar ihre Verhandlungen über die Arbeitszeitverlängerung auf September verschoben. Anscheinend sitzen die IG Metaller noch immer am längeren Hebel: Wir müssen auf die Gewerkschaften warten, wir sind auf sie angewiesen, sagt ein VW-Manager.“ (SZ, 22./23.7.) Für gestandene Skandalkenner und Propagandisten der harten wirtschaftlichen ‚Realitäten‘ steht eben fest, dass sich – Tarifrecht, gewerkschaftlicher Organisationsgrad hin oder her – Einfluss der Betroffenen auf Betriebsentscheidungen über ihr Schicksal einfach nicht gehört. Absprachen des Unternehmens mit Betriebsrat und Gewerkschaft, die der Durchsetzung der ziemlich beispiellosen Abschaffung ‚überkommener Besitzstände‘ dienen, erscheinen ihm wie ein einziges jämmerliches Einknicken vor Instanzen, die nichts zu sagen haben dürfen. Der Mann steht so sehr auf dem Standpunkt, dass ‚soziale‘ Rücksicht aufzuhören und das Unternehmerinteresse frei zu gelten hat, dass er die Mitwirkung von Gewerkschaft und Betriebsrat bei dessen Durchsetzung unerträglich findet und radikaler als die Unternehmensvertreter selber danach ruft, endlich die lästige ‚Gewerkschaftsmacht‘ zu brechen. Mit seiner, ja keineswegs aus dem Rahmen fallenden Hetze ein lebender Beweis, wie wenig es die unerträgliche Macht gibt, gegen die er ideologisch wütet.

6. Andere Kenner der Szene sind weniger kritisch. Lohnsenkungskampagnen, Entlassungen im großen Stil, alles abgesichert durch den politischen Rückhalt, den dieses nationale Großunternehmen genießt, zudem mit getragen von Verständnis signalisierenden „Belegschaftsvertretern“ – das alles beflügelt den Optimismus der Börse. Nach dem Bekanntwerden der VW-Offensive, deren durchschlagende Wirkung die Geschäftswelt für den Herbst erwartet, macht der Aktienkurs des Unternehmens einen kräftigen Sprung. So entfaltet allein schon die Ankündigung gesteigerter Ausbeutung segensreiche Wirkungen und vermehrt den Reichtum, auf den es ankommt in der schönen Welt der Marktwirtschaft.