Die Politik der Regierung Netanjahu
Weder Land noch Frieden – Israel bleibt das Projekt „Judenstaat“

Netanjahu hält das Programm seiner Vorgänger (Rabin / Peres) – ein autonomes palästinensisches Gebiet ohne staatliche Souveränitätsmittel – für einen Verrat an der israelischen Staatsdurchsetzungspolitik. Stattdessen: Ausdehnung des Territoriums durch Siedlungs- und Einwanderungspolitik, Abschreckungspolitik gegenüber den arabischen Nachbarstaaten. Die USA sind damit nur bedingt einverstanden, insofern sie sich ihre Aufteilung in Terrorstaaten und Verbündete nicht durcheinander bringen lassen wollen.

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Die Politik der Regierung Netanjahu
Weder Land noch Frieden – Israel bleibt das Projekt „Judenstaat“

Seit seiner Gründung lebt der Staat Israel im Kriegszustand. Das zionistische Ziel, einen eigenen Staat als Heimstatt aller Juden „im Land der Väter“ zu errichten, war und ist ohne Enteignung und Vertreibung der dort ansässigen palästinensischen Bevölkerung und die militärische Auseinandersetzung mit den arabischen Nachbarn um territoriale Besitz- und regionale Aufsichtsrechte nicht zu haben. Der Dauerzustand von Gewalt und Terror schien vor nicht allzu langer Zeit jedoch nach dem Willen der Politiker vor Ort und der Weltaufsichtsmacht USA beendet werden zu können. Nach dem Friedensschluß mit Ägypten (1979), dem Gaza-Jericho-Abkommen mit den Palästinensern (1993), dem Friedensschluß mit Jordanien (1994), dem Beginn der Friedensgespräche mit Syrien (Oktober 94), der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu den wichtigsten anderen arabischen Staaten – die Arabische Liga hob auch den Wirtschaftsboykott gegen Israel auf – sollte der von den USA angeleitete „Friedensprozeß“ zu einem baldigen Abschluß gebracht werden. Rabin und Peres waren – gemeinsam mit Arafat – 1994 dafür vorsorglich bereits mit dem Friedensnobelpreis ausgestattet worden.

Ministerpräsident Netanjahu ist noch kein halbes Jahr im Amt, schon beherrschen ganz andere Schlagzeilen die Medien: Gefahr einer „neuen Intifada“, Kriegsdrohungen seitens Syrien und Israel, großangelegte Manöver in Ägypten, Drohung mit erneutem Boykott Israels durch die Arabische Liga… Die hiesige Presse ist sich inzwischen ziemlich einig, daß die neue israelische Regierung ein Risiko für den Frieden im Nahen Osten ist und „Rabins Lebenswerk“ zugrunde richtet.

Gegen die Legenden, die von Peres selbst, aber auch von der Weltöffentlichkeit verbreitet werden, ist freilich festzuhalten: Rabin und Peres waren keine Friedensidealisten, sondern berechnende Nationalisten, die Israel von einer Last befreien wollten, dem andauernden Kriegszustand im Innern wie nach außen, um die Machtposition ihres Staates in der Region zu festigen und auszubauen.

Wenn Netanjahu angesichts der moralischen Vorwürfe gegenüber seiner Politik betont, er sei auch für Frieden, aber für einen, der mit der Sicherheit und den nationalen Interessen Israels vereinbar sei, dann drückt er damit aus, daß auch er berechnender Nationalist ist, allerdings eine Alternative zum eingeschlagenen Weg der Arbeitspartei verfolgt: Kein Abrücken von der Politik, die Israel nun schon fast 50 Jahre erfolgreich betrieben hat. Allerdings zeigt sich, daß ein derartiges Vorhaben auf Bedingungen stößt, die nicht mehr die alten sind.

Das Programm von Rabin und Peres: Israel soll normal werden

Seit 1948, als der Jüdische Nationalrat den Staat Israel ausrief, ist Israel kein normaler Staat, sondern einer, der immerzu mit seiner Gründung befaßt bleibt. Israels Territorium hat keine festen Grenzen, unter der Gewalt dieses Staates befinden sich dank siegreicher Kriege eine Reihe besetzter Gebiete – Gaza, Westjordanland, Golan, die Sicherheitszone im Südlibanon. Der Staat ignoriert zahlreiche UNO-Resolutionen, die den Rückzug aus den okkupierten Gebieten fordern, nimmt also Rechte für sich in Anspruch, die ihm international bestritten sind. Nicht einmal Israels Existenzrecht wird von allen seinen Nachbarn anerkannt. Im gesamten Territorium, für das sich Israel als Souverän zuständig erklärt, herrscht mehr oder weniger andauernd Ausnahmezustand. Polizei und Militär sind ständig befaßt mit Palästinenserunruhen, Aktionen durchdrehender Siedler, Attentaten von Hamas und Dschihad, Angriffen des Hizbullah und der Ausübung von Racheakten. Ein normales bürgerliches Leben kommt in diesem Staat nur bedingt und zeitweise zustande.

Beeinträchtigt ist davon auch die Entfaltung der Ökonomie, wie sie die Nation anstrebt: Vom Tourismus angefangen, über die Attraktivität für Einwanderer, die zuverlässige Verfügbarkeit von Arbeitskräften (Palästinenser/Gastarbeiter), die Höhe der Auslandsinvestitionen bis hin schließlich zum Staatshaushalt (Militärausgaben), alles ist durch die besondere Sicherheitslage belastet.[1] Israel ist schon immer ökonomisch abhängig von auswärtigen Geldgebern. Neben den nicht unerheblichen privaten Spenden von Juden im Ausland fließen erhebliche Zuschüsse vor allem seitens der USA: jährlich drei Milliarden Dollar Militär- und Wirtschaftshilfe.

Jahrzehntelang waren die Israelis mit dem Ausnahmezustand ihres Staates und der Abhängigkeit von der Unterstützung durch die Vereinigten Staaten hoch zufrieden. Weil die Amerikaner in Israel das Bollwerk gegen sowjetischen Einfluß im Nahen Osten sahen, rüsteten sie ihren Vorposten hoch und verschafften ihm eine militärische Überlegenheit über sämtliche Nachbarstaaten. Selbst die Beschaffung von Atomwaffen konzedierten sie Israel. Es hatte amerikanische Rückendeckung bei seinem territorialen Eroberungsprogramm, das er per Krieg, Vertreibung und Siedlungswesen gegen die Palästinenser und die arabischen Nachbarstaaten vorantrieb. Die Verurteilung seiner Gewaltaktionen seitens der UNO verhinderten die US-Regierungen meistens durch ihr Veto, die Verhängung von Sanktionen sowieso.

Mit dem Ende des Kalten Krieges veränderte sich aus Sicht der israelischen Politiker die Lage zum Schlechteren. Amerika trat als die alleinige Weltaufsichtsmacht auf und sorgte mit eigener militärischer Präsenz im Nahen Osten für die Erledigung der Störenfriede, die sich seinen Ordnungsvorstellungen widersetzten. Hatte Israels Luftwaffe vor ein paar Jahren noch den Bau eines irakischen Atomreaktors durch Bomben verhindern dürfen, war die israelische Militärmacht bei dem Unternehmen „Wüstensturm“, dem Krieg gegen Saddam Hussein, einen der Hauptfeinde Israels, ausgemischt. Die Amerikaner stellten sich selbst als die größte Streitmacht im Nahen Osten auf und führten ihre Bestrafungsaktion gegen den Irak selbst durch. Während Israel – trotz der Scud-Raketen auf Tel-Aviv – zur Untätigkeit verurteilt war und sich damit begnügen mußte, durch amerikanische Patriot-Raketen „geschützt“ zu werden, bauten die Amerikaner Truppen diverser arabischer Staaten in ihre Aktion ein. Die USA haben seitdem größere Kontingente von Soldaten in Saudi-Arabien – inzwischen auch in Jordanien – stationiert und pflegen ihre Militärbeziehungen zu diesen und anderen arabischen Staaten per Waffenlieferungen und Militärausbildung. Auf der Madrider Konferenz 1991 rang die US-Regierung Israel in zähen Verhandlungen die Formel „Land für Frieden“ ab und verpflichtete es zur Fortführung des „Friedensprozesses“ unter amerikanischer Oberaufsicht. Die Amerikaner verlangten erst von der Likud- und dann der Regierung der Arbeitspartei, sich auf die Normalisierung der Beziehungen zu den Palästinensern und den arabischen Nachbarstaaten einzulassen und die israelischen Eroberungen in einen Kompromiß einzubringen.

Angesichts dieser neuen Lage kamen Rabin und Peres zu der Einsicht, daß sich Israel eine neue Erfolgsstrategie zulegen müsse. Nachdem sich die eigenen nationalen Interessen mit den amerikanischen Ordnungsvorstellungen im Nahen Osten nicht mehr deckten, schien ihnen die Abhängigkeit von den USA allein eine zu unsichere Grundlage für die Garantie der Macht ihres Staates. Im Wahlkampf Anfang des Jahres hielt Peres fest:

„Wenn man stark und reich werden will, muß man ökonomisch, nicht militärisch wachsen… In einer Welt, im Zeitalter des Wettbewerbs muß man konkurrieren, kann man nicht kämpfen.“ („The Jerusalem Post“ international ed., im folgenden: JPIE, 20.4.96)

Angesichts der neuen Konstellation erscheint ihm der permanente Ausnahmezustand, in dem sich seine Nation befindet, als ein nationales Handicap, das beseitigt werden muß. Künftig müsse es um die Schaffung einer soliden Grundlage für israelische Souveränität gehen, d.h. um geregelte Verhältnisse im Innern wie nach außen. Dem Ministerpräsidenten aus der Arbeitspartei schwebte als Ziel die Herstellung eines ökonomisch potenteren Staates vor, der zunehmend mehr in der Lage sein sollte, seine Nachbarn wirtschaftlich von sich abhängig zu machen – auf Basis der klaren militärischen Überlegenheit, die Israel bereits besitzt, die bisher aber – abgesehen von der ausländischen Hilfe – die einzige Stütze seiner Macht in der Region ist.

Dabei stand für Rabin und Peres aber auch fest, daß ihr Staat die während der Jahrzehnte des Kriegszustandes eingeheimsten nationalen Errungenschaften nicht einfach preisgibt. Fortschritte im Friedensprozeß dürfen nicht auf Kosten Israels militärischer Überlegenheit gehen – siehe die Weigerung, auf atomare Bewaffnung zu verzichten, die Verfolgung weiterer Aufrüstungsprogramme in Zusammenarbeit mit den USA, die Vereinbarung über die Militärzusammenarbeit mit der Türkei. Die früheren Regierungschefs waren zudem nicht bereit, auch wenn sie die Formel „Land für Frieden“ auf amerikanischen Druck hin akzeptiert hatten, ohne Not Territorium aufzugeben, das Israel derzeit besitzt. So stand der in Aussicht gestellte Abzug der israelischen Besatzer vom Golan nicht nur unter der Vorbedingung umfassender Gegenleistungen und Sicherheitsgarantien seitens Syriens, sondern auch unter dem Vorbehalt einer Volksabstimmung. Auch das Gaza-Jericho-Abkommen war von Israel nicht als Beendigung der jüdischen Okkupation palästinensischer Gebiete gemeint. Es verpflichtet tatsächlich auch nur zur Einrichtung eines „Autonomie“-Status der Palästinenser, ohne die israelische Oberaufsicht abzuschaffen, und zu Verhandlungen beider Seiten über eine endgültige Lösung.[2]

Bei der Umsetzung der Vereinbarungen von Oslo und Kairo unternahmen Rabin und Peres alles, um Arafats politischem Gebilde Kompetenzen zu verweigern – z.B. eigene Grenzkontrollen, eine eigene Währung –, die ein Stück Souveränität impliziert hätten. Die territoriale Selbstverwaltung wurde nur im Gazastreifen und in den Städten (nicht für das Land dazwischen) gewährt. Die jüdischen Siedlungen im Palästinensergebiet wurden offiziell zwar nicht erweitert, aber auch nicht aufgegeben und mit ihnen auch nicht das Recht, sie mit israelischem Militär zu schützen. Auch wenn 1991 in Madrid festgelegt worden war, die Zukunft Jerusalems müsse Gegenstand von Verhandlungen sein, ließen Rabin und Peres keinen Zweifel daran aufkommen, daß sie am Anspruch auf ganz Jerusalem als Israels Hauptstadt festhielten. Diskutabel hielt Peres allenfalls den Vorschlag, einen Vorort von Ostjerusalem zum Sitz der Autonomiebehörde zu machen und „al-Kuds“ – der arabische Name für Jerusalem – nennen zu lassen. Die Verhandlungen über den endgültigen Status der besetzten Gebiete schob Netanjahus Vorgänger immer wieder mit dem Argument hinaus, die Palästinenser müßten erst einmal die von ihnen eingegangenen Verpflichtungen erfüllen.

Neben der Beseitigung eines ständigen internationalen Vorbehalts gegenüber Israel ging es Rabin & Co bei den Vereinbarungen mit Arafat darum, den Status der illegitimen Besatzungsmacht los zu werden. Mit dem Abkommen ließen die Palästinenser sich darauf ein, Israel, den Besatzer ihres Territoriums, als Verhandlungspartner anzuerkennen, räumten ihm also das Recht ein mitzuentscheiden, was aus den besetzten Gebieten in Zukunft werden soll. Sie billigten ihm zudem den Erhalt der jüdischen Siedlungen zu – samt Schutz durch israelisches Militär. Praktisch unterschrieben sie damit die bleibende Oberaufsicht der israelischen Staatsgewalt über den Gazastreifen und die Westbank. Als Konsequenz des Oslo/Kairo-Abkommens, so hoffte die israelische Regierung, werde sich insbesondere die Lage hinsichtlich der inneren Sicherheit ihrer Nation verbessern. Der PLO-Chef wurde dazu ermächtigt, aber auch darauf verpflichtet, mit eigener Polizei die palästinensischen bewaffneten Gruppen auszuschalten. 5000 militante Palästinenser sitzen inzwischen in Israel, 1000 bei Arafat ein. Das neu eingerichtete Parlament der autonomen Gebiete hatte – nach Peres – die vordringlichste Aufgabe, die Anti-Israel-Artikel aus der PLO-Charta zu streichen.

Das sicherheitspolitische Konzept der damaligen Führer Israels, das zur Einwilligung in eine Palästinenser-Autonomie führte, wurde nach den Anschlägen in Jerusalem, Aschkalon und Tel-Aviv im Frühjahr dieses Jahres deutlich. Peres ergriff gleich die Gelegenheit, den Abzug der Truppen aus Hebron auf unbegrenzte Zeit zu verschieben; er ließ die autonomen Gebiete durch Militär abriegeln, schnitt damit die Palästinenser von ihren bisherigen Einkommensquellen ab – Lohnarbeit, Tagelöhnerei oder ein bißchen Warenverkauf in Israel – und bot ihnen damit einen Vorgeschmack auf das, was er sich unter den gegebenen Bedingungen als die beste Lösung der Palästinenserfrage vorstellte:

„Ich unterscheide die wirtschaftliche Separation von der politischen, gegen die ich immer war und bin. Andererseits, wenn die Alternative ein binationaler Staat ist, bin ich dafür, daß jede Nation ihre eigene Existenzweise hat.“ (JPIE 20.4.96)

Das Zusammenleben von Juden und Palästinensern in einem Staat hielt er für ein zu großes sicherheitspolitisches Risiko. Deswegen war er für die Scheidung zwischen jüdischen und palästinensischen Gebieten, was vor allem auch eine ökonomische Entflechtung und verwaltungsmäßige Autonomie bedeuten sollte. Unter seiner Regierung wurden darum auch Hunderttausende Gastarbeiter importiert, die die Palästinenser als Arbeitskräfte in Israel ersetzten.

Die Ausschaltung des Widerstands im eigenen Land war Peres das Opfer wert, diesem palästinensischen politischen Gebilde perspektivisch auch ein paar Souveränitätsrechte einzuräumen. Andererseits war er entschlossen, mit allen Mitteln zu verhindern, daß sich Arafats Machtbereich aus Israels Oberaufsicht befreien und zu einem richtigen Staat emanzipieren werde. Deswegen bestand er auf der eigentümlichen Struktur dieser Territorien: kein zusammenhängendes Land, das Palästinensergebiet durchsetzt von jüdischen Siedlungen mit israelischer Militärpräsenz. In allen wesentlichen ökonomischen Fragen beharrte Israel auf einem Mitspracherecht. Zwar wollte Peres die „ökonomische Trennung“ – also keine Palästinenser in Israel –, aber nicht die Abnabelung der Wirtschaft in den Autonomiegebieten von israelischem Kapital und auch nicht die Schaffung einer autonomen palästinensischen Infrastruktur. Kategorisch schloß er in den „Verhandlungen über den endgültigen Status“ aus, Arafat ein eigenes Militär und eine eigenständige Außenpolitik zuzugestehen.

Die Schaffung eines neuen Ausnahmezustandes

Die Politik von Rabin und Peres war also keineswegs der vielbesprochene Anfang vom Ende des zionistischen Projekts, der Schaffung eines israelischen Staates im Land der Väter. Die beiden Regierungschefs hatten nicht die Absicht, den Palästinensern das gleiche Recht wie den Juden auf einen eigenen Staat zuzugestehen. Auch in der Jerusalem-, der Siedlungs- und der Golan-Frage hielten sie sich sämtliche Optionen offen. Israel sollte sich auch nicht einfach als Staat unter gleichberechtigten Nachbarstaaten einordnen. Was die beiden Regierungschefs von der Arbeitspartei betrieben, kann am ehesten als Neu-Organisierung des Ausnahmezustands ihrer Nation gefaßt werden:

  • Die Autonomie-Gebiete sind ökonomisch nicht lebensfähig, allenfalls wird dort Not und Elend verwaltet.[3] Die ökonomische Abtrennung von Israel verschärft die Situation zusätzlich. Die versprochene Entwicklung durch Projekte der Geberländer findet nicht statt. Den Investoren und Spendern ist die Lage zu unsicher, sind die dortigen internen Verhältnisse zu undurchsichtig. Im übrigen hintertreibt Israel einen Teil der Projekte wegen seiner Aufsichtsansprüche.[4] Daß die Insassen dieser Abschiebelager auf der Westbank und in Gaza sich mit ihren Lebensbedingungen zufrieden geben und vom Haß auf die Israelis ablassen, ist also kaum zu erwarten.

    Arafat läßt sich zwar jetzt schon gerne „Präsident“ schimpfen und wird im Ausland wie ein Staatsmann behandelt, sein politisches Ziel ist aber nach wie vor nicht erreicht: ein richtiger Staat „Palästina“. Also ist ein Dauergezerre mit Israel um Autonomie- bzw. Aufsichtsrechte vorprogrammiert. Die Ernennung des PLO-Chefs zum „Subunternehmer für israelische Sicherheitsfragen“ (Netanjahu) bringt ihn in die Zwickmühle, ständig aus eigenem politischen Interesse den Nationalismus seiner Leute für die Errichtung Palästinas anstacheln und gleichzeitig, um die Oberaufsicht nicht herauszufordern, die Gegnerschaft zu Israel unterdrücken zu müssen.[5] Um der Opposition, die angesichts der dürftigen Errungenschaften zur Befriedigung des palästinensischen Nationalismus nicht ausbleiben kann, Herr zu werden und die Getreuen per Günstlingswirtschaft an sich zu binden, schafft Arafat eine politische Infrastruktur, die im Innern, inzwischen aber auch in der hiesigen Öffentlichkeit reichlich Kritiker findet.[6] Damit bleibt der amtierende Palästinenserchef aber für Israel immer noch ein Sicherheitsrisko. Für die Juden ist fraglich, wieweit Arafat als ihr Erfüllungsgehilfe taugt, wieweit er die Unterdrückung antiisraelischer Kräfte überhaupt will, sich leisten und durchsetzen kann. Also steht auch fest, daß das israelische Militär als Oberaufsicht unerläßlich bleibt. Andererseits werden dessen Rechte in den Palästinensergebieten durch die Verträge gerade eingeschränkt.

  • Gegenüber der eigenen israelischen Bevölkerung enthielt das Konzept von Rabin und Peres den Widerspruch, die Aktivitäten der israelischen Religiösen und radikalen Siedler zu bremsen, deren Rechte aber grundsätzlich nicht in Frage zu stellen. Die Siedlungen in den besetzten Gebieten wollten die Chefs der Arbeitspartei erhalten und gewaltsam schützen. Die herkömmliche Ideologie des Staates als „Land der Väter“ wurde als offizielle Staatslegitimation beibehalten und nicht durch eine neue ersetzt. Andererseits wurden die Aktivisten dieser Idee in ihrem Eifer gebremst, und Israel verzichtete auf Besitzrechte hinsichtlich eines Teils des Territoriums, das ihm vom Allerhöchsten doch zuerkannt war. Darüber spaltete sich die israelische Bevölkerung in zwei sich unversöhnlich gegenüberstehende Lager, die Befürworter des neuen und die des alten Kurses.[7]
  • Vom benachbarten Ausland verlangte Peres, Israel die bisherigen Vereinbarungen im Rahmen des „Friedensprozesses“ dadurch zu honorieren, daß es seine Ansprüche und Vorbehalte gegen den jüdischen Staat aufgebe. Nach Vorstellung der Regierenden von der Arbeitspartei hätte sogar die Anerkennung und tatkräftige Beförderung israelischer Sicherheitsinteressen seitens aller friedliebenden Nachbarstaaten als Reaktion auf Israels Bemühungen um Normalisierung angestanden. Ein solcher Anspruch ist aus Sicht der Kontrahenten freilich alles andere als normal, schließlich impliziert er die Unterordnung unter eine ihnen gegenüber als regionale Vormacht auftretende Nation. Auf dem „Anti-Terror-Gipfel“ in Scharm el-Scheich bekam Israel denn auch eine höfliche, aber unüberhörbare Absage. Dort hatte Israel, unterstützt von den USA, den Anspruch erhoben, daß die arabischen Staaten und die im Nahen Osten Einfluß ausübenden Russen und Europäer sich verpflichten sollten, dabei mitzuwirken, daß der palästinensischen und schiitischen Militanz gegen Israel der Boden entzogen wird. Unterstützerstaaten sollten als „Terrorstaaten“ international isoliert und geächtet werden. Diesem Ansinnen verweigerten sich die auf der Konferenz anwesenden arabischen Staatslenker – dabei wurden sie von den Europäern unterstützt. Mehr als eine Verurteilung des Terrors kam nicht heraus, eine Quarantäne für den Iran konnte nicht durchgesetzt werden. Es wurden sogar Vorbehalte gegenüber Israel laut – etwa hinsichtlich der Absperrung der autonomen Gebiete. Syrien schließlich zeigte sich wenig beeindruckt und gar nicht willens, auf seine Forderungen gegenüber Israel zu verzichten und die Entwaffnung des Hizbullah zu betreiben. Angesichts dessen entschloß sich Peres zu einer militärischen Machtdemonstration im Libanon, der Aktion „Früchte des Zorns“.[8] Zur Durchsetzung israelischer Interessen gegen die arabischen Nachbarn verfiel er also wieder auf das altbewährte Mittel israelischer Politik, den Einsatz der eigenen militärischen Überlegenheit.

Die Bemühungen, aus Israel einen „normalen Staat“ zu machen bei gleichzeitiger Beibehaltung der alten Staats-Ideologie, der Aufrechterhaltung des bestehenden Machtanspruchs und der Entschlossenheit, für sämtliche von Israel akkumulierten Rechte und Ansprüche gewaltsam einzutreten, verringerten also nicht unbedingt die Sicherheitsprobleme dieser Nation, erhöhten nicht automatisch die Nachgiebigkeit bei den Konkurrenznationen, modifizierten, aber beendeten keineswegs den andauernden Kriegszustand.

Die Regierung Peres ist mit ihrer Politik allerdings nicht deswegen „gescheitert“. Mit etwas mehr Wahlglück hätte sie weitermachen können – im Ausland genoß sie sogar wesentlich mehr Sympathie als die jetzige –; ihr Pech war nur, daß die Mehrheit der Israelis ihren Kurs weniger attraktiv fand als das Angebot Netanjahus:

„Es gibt eine Alternative: Man darf nicht am Frieden verzweifeln, aber man muß den Weg ändern. Die Politik der Linken brachte Israel Terror statt Frieden. – Heute ist bereits allen klar – die Konzeption ist gescheitert. – Es gibt keinen neuen Mittleren Osten, und Arafat wird die Arbeit der Israelischen-Verteidigungs-Armee nicht erledigen…
Die Basis des Terrors wird größer und stärker. Wir leben im Mittleren Osten und nicht in Europa. Im Mittleren Osten bewertet man dich nur danach, ob du stark bist. Die Arbeitspartei hat dieses… oberste Prinzip vergessen. Und ist darum gescheitert. Eine starke und harte Regierung, die die Verantwortung für unsere Sicherheit wieder in die Hände der Armee legt. – Nur so ist es möglich, echte Sicherheit zu erreichen. Und nur wirkliche Sicherheit bringt stabilen Frieden.“ (Wahlkampfanzeige des Likud in Haaretz 11.3.96)

Das Programm Netanjahus: „Frieden in Sicherheit“

Netanjahus Standardargument auch nach der Wahl war: Die Arbeitspartei sei zu sorglos mit Israels Sicherheit umgegangen. Gegen den Verdacht bzw. die Sorge – ob vorgetragen von der Opposition, den arabischen Nachbarn oder den Weltaufsichtsmächten –, er würde den Friedensprozeß nicht fortführen, kontert der neue Premier regelmäßig, er stehe zu sämtlichen Vereinbarungen, nur dürften die nicht auf Kosten jüdischer Sicherheit gehen:

„Sicherheit ist das Fundament aller Übereinkommen. Wenn man in der Anwendung der Vereinbarungen die Sicherheit untergräbt, untergräbt man die Vereinbarungen selbst, was in großem Maße der vorigen Regierung passiert ist.“ (Netanjahu, JPIE 28.9.96)

Er beruft sich auf das – doch nur allzu verständliche – Bedürfnis seiner Landsleute, von Terrorakten im Innern und Raketenangriffen von außen verschont zu werden, verweist auf die Vorfälle unter der Peres-Regierung und erklärt, in Sicherheitsfragen die bessere Strategie zu wissen. Bei deren Erläuterung stellt er dann nichts anderes klar, als daß Sicherheit für ihn eine ganz einseitige Angelegenheit ist: Er besteht unnachgiebig auf dem Anspruch, daß allein das jüdische Volk Besitzrecht auf ganz Palästina hat. Demgemäß weist er konkurrierende Ansprüche konsequent zurück. Die Politik „Frieden in Sicherheit“ hat also nur einen Inhalt: die Entschlossenheit, dieses Recht Israels auf dem Wege der Diplomatie, vor allem aber mit Hilfe von Polizei und Armee durchzusetzen. Sicherheit kann es nicht durch Kooperation mit den Palästinensern geben – auch wenn Israel darin klar dominierend bleibt –, sondern nur gegen sie; jedes Zugeständnis ihnen gegenüber ist die Schwächung israelischer Macht. Gegen Peres’ Leitbild von einem „Neuen Mittleren Osten“ setzen Politiker vom Likud das Beharren auf „gottgegebenem Recht“:

„Es war immer der Traum des israelischen Volkes, einen eigenen Staat zu haben. Es gehört nicht zu unserer Aufgabe, die Palästinenser mit einem eigenen Staat zu versorgen. Es gibt mehr als 20 Staaten im Nahen Osten. Wenn die Palästinenser in einem arabischen Staat leben wollen, dann sollen sie doch dahin gehen.“ (Schamir, ehemaliger Ministerpräsident, FAZ 2.10.96)[9]

Die fällige Kurskorrektur hat der jetzige Premier im Wahlkampf mit vier Prinzipien umrissen, und die hat er nach Amtsantritt ständig als sein Programm bekräftigt: Kein Staat Palästina; Jerusalem bleibt die ungeteilte Hauptstadt Israels; Aufhebung des Baustops für Siedlungen in den besetzten Gebieten; Nein zum Prinzip „Land gegen Frieden“. Der Sache nach kündigte er damit den mit Arafat laufenden Verhandlungsprozeß auf und setzte die Revision der von den Palästinensern erreichten Positionen auf die Tagesordnung. Für Netanjahu steht fest, daß sein Staat mindestens über das Territorium als sein Eigentum verfügen muß, über das er derzeit die Militärgewalt hat. Die besetzten Gebiete müssen Israel also einverleibt werden, den Palästinensern kann bestenfalls der Status einer geduldeten Minderheit zugestanden werden. Wenn Israel es im Verlaufe seiner erfolgreichen Kriege schon geschafft hat, den Großteil des den Juden in der Bibel versprochenen Landes in seine militärische Gewalt zu bekommen, dann darf man das keinesfalls mehr hergeben. Am Eroberungsziel der letzten Kriege will die Netanjahu-Mannschaft im laufenden Friedensprozeß also festhalten. Sie macht deutlich, daß sie sich – wie alle bisherigen Regierungen – durch UN-Sicherheitsratsbeschlüsse, die von Israel die Rückgabe der besetzten Territorien verlangen, nicht gebunden fühlt. Sie stellt klar, daß sie nicht die Absicht hat, sich an Verträge zu halten, die der Vorgänger im Amt unterschrieben hat: Weder akzeptiert sie den Grundsatz „Land für Frieden“ noch die Osloer Vereinbarung mit den Palästinensern über deren Autonomie, die zu gemeinsamen Verhandlungen über den „endgültigen Status“ verpflichtet. Netanjahus Programm enthält eine Absage an die Adresse Arafats, im Austausch für die Verhinderung palästinensischer Gewalt gegen Israel Rechte für sein Volk zu erhalten. An die arabischen Nachbarn ergeht die Mitteilung, daß sie die Hoffnung, Israel werde sich auf „normale Beziehungen“ zu seinen Nachbarn einlassen, begraben können. Die am „Fortgang des Friedensprozesses interessierten“ Europäer müssen feststellen, daß ihre Pläne durchkreuzt werden, über die tatkräftige Unterstützung bei der Etablierung und dem Aufbau eines Palästinenserstaates und der Pflege gleich guter Beziehungen zu Israel und den arabischen Staaten im Nahen Osten an ökonomischem und politischem Einfluß zu gewinnen. Von den USA erwartet Israel, daß sie ihm im Friedensprozeß zusätzliche Freiheiten einräumen, das Projekt „Eretz Israel“ voranzubringen.

Oberste Zielsetzung ist für die Regierung Netanjahu die konsequente Weiterverfolgung des zionistischen Erfolgsweges, mit dem Israel vor und zwischen den Kriegen seine territoriale Erweiterung betrieben hat:

Die Fortsetzung der Landnahme

Kaum im Amt hat die Regierung die Revision der Siedlungspolitik beschlossen:

„Bei jedweder politischen Regelung wird Israel darauf bestehen, die Existenz und die Sicherheit jüdischer Siedlungen sowie deren Zugehörigkeit zum Staat Israel zu gewährleisten. Die Regierung Israels wird weiterhin die volle Verantwortung für die jüdischen Siedlungen und ihre Einwohner tragen… Die Siedlungen im Negev, in Galiläa, auf den Golan-Höhen, im Jordan-Tal und in Judäa, Samaria und Gaza sind von nationaler Bedeutung für die Verteidigung Israels und Ausdruck der Verwirklichung des Zionismus. Die Regierung wird die Siedlungspolitik abändern, auf eine Konsolidierung und Entwicklung der Siedlertätigkeit in diesen Gebieten hinwirken und die dafür erforderlichen Ressourcen bereitstellen.“ (Leitlinien der israelischen Regierung vom Juni 1996, Internationale Politik 9/1996)

Was hier so vornehm „Konsolidierung und Entwicklung“ heißt, stellt sich in der Praxis als ein Siedlungswesen dar, das es in diesem Umfang wohl bisher kaum gegeben hat (Näheres dazu später). Die Strategie der Israelis ist dabei folgende: An strategisch wichtigen Stellen wird auf fremdem Boden, je nach Möglichkeit, Land gekauft, enteignet oder einfach gewaltsam besetzt und damit in den Privatbesitz von Juden gebracht. Diese bauen darauf provisorische oder feste Unterkünfte und schaffen damit, weil sie ja in feindlicher Umgebung wohnen, die Sachnotwendigkeit gewaltsamen Schutzes. Die Waffengewalt der Siedler reicht dann bald nicht mehr aus; israelisches Militär muß helfen; und schließlich muß jeder einsehen, daß der einzig sichere Schutz die Einbeziehung dieses Bodens in den Staat Israel ist.

Für das Siedlungswesen braucht der Staat Menschenmassen – je mehr, desto besser –, und dazu reichen die jüdischen Fanatiker im Staatsgebiet, die freiwillig zugunsten dieser guten Sache ihre etablierten Lebensverhältnisse verlassen, nicht aus. Also ist ein wohlorganisiertes Einwanderungswesen nötig, das bei der neuen Regierung logischerweise „oberste Priorität“ hat:

„In Anerkennung des geteilten Schicksals und des gemeinsamen Kampfes für die Existenz des jüdischen Volkes, und um das Hauptziel des Staates Israel zu verwirklichen – die Einsammlung des jüdischen Volkes in sein Heimatland –, wird die Regierung entschlossen darauf hinarbeiten, die Einwanderung aus allen Ländern zu verstärken, verfolgte Juden zu retten und die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedingungen für eine rasche und erfolgreiche Integration der Einwanderer zu schaffen. Die Regierung wird die Einwanderung und die Aufnahme an die Spitze ihrer Prioritäten stellen…“ (Leitlinien)

Die Regierung setzt also darauf, den religiös-rassistischen Wahn von Juden ausbeuten zu können, der darin besteht, gleichgültig in welcher Weltgegend sie gerade Bestandteil eines Volks sind – und das heißt nichts anderes, als daß sie Untertanen einer Herrschaft sind –, sich zusätzlich und noch viel inniger, weil abstammungsmäßig begründet, einem anderen, dem auserwählten Volk zugehörig zu fühlen. Um das in der Welt verstreute Menschenpotential von religiös-ideellen Untertanen des Judenstaates zu reellen Israelis machen zu können, ködert die israelische Staatsführung sie mit der anheimelnden Vorstellung der „völkischen Schicksalsgemeinschaft“ und dem Angebot, am „Existenzkampf des Volkes“ teilnehmen zu dürfen. Dabei kommen Not und Verfolgung, die jüdische Menschen in einigen Ländern auch derzeit über sich ergehen lassen müssen, als Anknüpfungspunkt gelegen[10]: Wegen des Versprechens eines besseren Lebens, beschließt mancher Russe, sich als echten Juden auszugeben und das israelische Anwerbebüro aufzusuchen. Die GUS-Staaten sind derzeit ein üppiges Reservoir von Menschen, die die Einladung annehmen, aus ihrer Not eine Staatstugend zugunsten von „Eretz Israel“ zu machen.[11] Als ob das Leben, das den in anderen Ländern drangsalierten Menschen angeboten wird, sich als Siedler zu betätigen, eine Erlösung wäre. Die ehemaligen Auslandsjuden müssen sich gar nicht unbedingt aus edlen religiös-nationalistischen Motiven freiwillig zum Dienst an der Siedlungsfront melden, dafür gibt es einen von Israel geschaffenen Sachzwang: Dort gibt es die billigsten Wohnungen und die meisten Zuschüsse.

Für die Einsammlungsaktion hat sich Netanjahu ein ehrgeiziges Ziel gesetzt.

„Die Regierung wird ein strategisches Langzeitprogramm einleiten, um das für das nächste Jahrzehnt auf eine Million geschätzte Potential der Einwanderung nutzbar zu machen.“ (ebenda)

Dadurch würde sich dann das zahlenmäßige Verhältnis Juden/Araber auch in den besetzten Gebieten günstiger darstellen. Umso besser ließe sich dann auch das Projekt eines eigenen Palästinenserstaates endgültig begraben. Eine Minderheit von 2 Millionen Palästinensern in Gaza und der Westbank würden die angestrebten 6,5 Millionen Juden in Großisrael als „Puertoricaner“ glatt verkraften.[12]

Zum Vorhaben der ethnischen Säuberungen Marke Israel gehört es selbstverständlich auch, die alljährlich erneuerte UNO-Resolution von 1948, die das Recht der Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge in ihre Heimat festlegt, zu ignorieren. Die bei den „Verhandlungen über den endgültigen Status“ zu klärende Frage der „Flüchtlinge“ ist für die neue israelische Regierung längst entschieden: Palästinenser aus den Lagern in Jordanien, Syrien, Libanon und im Grenzstreifen zwischen Libyen und Ägypten haben auf israelisch beanspruchtem Territorium nichts zu suchen.

Die „Einhaltung geschlossener Verträge“

Bei der Umsetzung seines Programms sieht sich Netanjahu mit der Erbschaft konfrontiert, die ihm seine Amtsvorgänger hinterlassen haben, und muß mit Resultaten des „Friedensprozesses“ umgehen. Die rechte Koalitionsregierung hat sich mit den Ansprüchen eines Arafat herumzuschlagen, der sich auf das Oslo/Kairo-Abkommen stützt; ist mit dem Beharren der arabischen Nachbarstaaten auf dem Prinzip „Land für Frieden“ konfrontiert, von dessen Beachtung diese den Charakter ihrer künftigen Beziehungen zu Israel abhängig machen; und schließlich gibt es ja auch noch Ordnungsvorstellungen für den Nahen Osten, die die Weltaufsichtsmächte verfolgen. Der Bezug auf diese Bedingungen israelischer Politik erfordert eine eigentümliche Diplomatie seitens der neuen Regierung.

Zwar macht Netanjahu keinen Hehl daraus, daß er von Israels Ansprüchen keinerlei Abstriche machen will, dennoch verzichtet er nicht auf Bekundungen seiner prinzipiellen Verhandlungsbereitschaft. Nach seinem Amtsantritt beeilte er sich, in der Presse und gegenüber den ausländischen Staatsmännern zu versichern, Israel werde sich auch unter seiner Regierung an sämtliche Verträge halten; fügte jedoch die nicht unbedeutende Einschränkung hinzu: „soweit nicht Sicherheitsinteressen oder Werte der Nation entgegenstehen.“

In der Palästinenserfrage boykottierte bzw. verschleppte er von Anfang an den Verhandlungsprozeß. Er persönlich weigerte sich sogar, Arafat überhaupt zu treffen. Erst die Drohung Clintons, nur dann Netanjahu in den USA zu empfangen, wenn der sich zuvor mit Arafat getroffen habe, bewegte den neuen Premier zu einem Händedruck mit dem PLO-Chef vor laufenden Kameras im Grenzort Erez.[13] Auf inhaltliche Gespräche ließ er sich selbstverständlich aber nicht ein. Die Verhandlungsstrategie, die Israel seit einem halben Jahr bevorzugt, geht nämlich folgendermaßen: Hinauszögern von Verhandlungen, Delegierung aller Fragen auf die unterste Verhandlungs-Ebene, Ausklammern möglichst aller wichtigen Fragen und schließlich Abbruch aufgrund von jedem Vorwand, der sich im Verhalten der Palästinenser finden läßt. Auf diese Weise versucht die Netanjahu-Mannschaft, sich möglichst viele Optionen offenzuhalten und Zeit zu gewinnen, um Fakten zu schaffen.

Siedlungswesen

Der neue Premier hob den von Rabin verhängten Baustopp auf. Alle bis dahin genehmigten Projekte durften weiterverfolgt und die leerstehenden fertigen Wohnungen bezogen werden. Mit dem verlogenen Argument, um die Siedlungen „lebensfähig erhalten“ zu können, müßten auch gewisse Ausbaupläne zugelassen werden, wurden die protestierenden Palästinenser und das Ausland zunächst bezüglich des Ausmaßes der Siedlungsvorhaben der Regierung beschwichtigt. Bei Arafat, Mubarak und Clinton ging Netanjahu mit seiner Entscheidung hausieren, Ariel Scharon, dem radikalen Vorreiter in Siedlungsangelegenheiten, das von ihm gewünschte Ressort verweigert zu haben (stattdessen erhielt er das für Infrastruktur). Damit, meinte er, sei seine „gemäßigte Position“ hinreichend klargestellt; Kritik an der Siedlungspolitik seiner Regierung also ein für allemal als unberechtigt zurückgewiesen. Zugleich berief er sich auf den chronischen Wohnungsmangel in Israel und vor allem auf seinen Wählerauftrag, weswegen er sich das Recht, neue Genehmigungen zu erteilen, vorbehalten müsse. Schließlich – argumentierte er – seien in Oslo „keine festen Grenzen für neue oder bestehende Siedlungsvorhaben“ festgelegt worden; was zwar stimmt, aber gerade nicht bedeutet, daß der Vertrag Israel Freiheiten in dieser Frage einräumt. In Artikel V der Vereinbarungen heißt es nämlich, daß das Thema „Siedlungen“ – wie z.B. auch die Jerusalemfrage – zu denjenigen Themen gehört, über die Israel sich mit den Palästinensern einigen muß.

Inzwischen häufen sich die Meldungen über die Genehmigung von Wohnungsbauprojekten auf der Westbank. Ging es zuerst um den Ausbau bestehender Anlagen, um ein paar Dutzend Wohnwagen hier und ein paar Holzbaracken da, ist in der letzten Zeit von stolzeren Projekten die Rede:

„Nach ‚Haaretz‘ plant die israelische Regierung den Bau von 2000 Wohneinheiten für orthodoxe Juden in den palästinensischen Gebieten nördlich von Ramallah. Infrastrukturminister Scharon und der stellvertretende Minister für Wohnungsbau, der Orthodoxe Porusch, planen zudem den Bau von Straßen, die die neuen Wohnungen mit dem Landeszentrum verbinden sollen. Scharon wird mit den Worten zitiert, es gebe in der Region nördlich Ramallahs genug Land, um bis zu 22000 Wohnungen zu bauen. Das Land gehöre der israelischen Regierung, so daß ‚Enteignungen unnötig‘ seien, heißt es. Zur Begründung behauptete Scharon, die ‚hohe natürliche Vermehrung der schon angesiedelten jüdischen Bewohner‘ erfordere ‚eine Verstärkung der Infrastruktur‘. Die Gegend sei für Israel von strategischer Bedeutung, da ihre Besiedlung die israelische Kontrolle über Zentralisrael garantiere. Er erwäge die Ansiedlung von 100.000 neuen Siedlern.“ (FAZ 5.11.96)

Die Regierung hat sich offensichtlich vorgenommen, in kürzester Zeit „Zentralisrael“ – also den zur Autonomie (!) gehörigen Teil der Westbank zwischen Jerusalem und Tel-Aviv – mit jüdischen Siedlungen in der Größe von kleineren Städten vollzustellen. „Strategisch“ ist das Vorhaben schon deswegen interessant, weil das Projekt – wie von palästinensischer Seite verlautet – „den territorialen Zusammenhang zwischen den palästinensischen Städten im Westjordanland zerstören und damit einen souveränen palästinensischen Staat unmöglich machen“ (SZ 5.11.96) werde.

Proteste der Palästinenser werden von der Regierung mit dreisten Gegenvorwürfen beantwortet: Arafat breche selbst die Vereinbarungen, weil immer noch bekannte Gewalttäter in den Autonomiegebieten frei herumliefen oder weil er die Änderung der PLO-Satzung nicht den Wünschen Israels gemäß erbracht habe. Zur Beschwichtigung des Palästinenser-Chefs in kritischen Situationen machen sich auch schon einmal Peres und Weizmann auf. Sie versichern Arafat dann, es gebe Grund zur Hoffnung, daß auch die Verhandlungen über den „dauerhaften Status“ demnächst weitergingen. (Die Regierung erklärt umgehend, dazu seien diese Herren nicht autorisiert.) Auf keinen Fall sollte die PLO jedoch wieder den „Weg der Gewalt“ einschlagen. Sonst wäre Israel gezwungen – und die „gemäßigten“ Politiker von der Arbeitspartei sähen das dann nicht anders als die derzeitige Regierung –, auch der bislang gewährten Autonomie ein Ende zu setzen. Arafat wird also Wohlverhalten und die Hinnahme sämtlicher israelischer Übergriffe empfohlen; eine andere Chance habe er ohnehin nicht, für seine Sache etwas zu erreichen. Und der PLO-Führer war bisher jedesmal dazu bereit, das Dokument seiner Ohnmacht, die einseitige Erklärung von Gewaltverzicht seitens der Palästinenser, abzuliefern. Arafat weiß nämlich, daß die Kräfte, auf deren Unterstützung er angewiesen ist und auf die er hofft – die Weltöffentlichkeit und vor allem die Aufsichtsmächte, die Druck auf Israel ausüben können –, den Palästinensern jegliche Sympathie versagen, wenn diese sich wieder zu Gewalttaten hinreißen lassen.

Jerusalem

Daß der Palästinenserführer anläßlich der Tunnelaffäre in Jerusalem kurzfristig seine Massen an die Möglichkeit der Wiederbelebung der Intifada erinnern ließ, verdankte sich seinem Kalkül, einen besonders guten Gegenstand gefunden zu haben, an dem er auf die Verletzung internationaler Verträge durch Israel aufmerksam machen konnte. Veränderungen hinsichtlich des Status von Jerusalem finden – so seine Vermutung – am ehesten das Interesse der Weltaufsichtsmächte.[14]

Programmatisch ist für Israel auch seine Hauptstadtfrage längst entschieden:

„Jerusalem, die Hauptstadt Israels, ist eine Stadt, ganz und ungeteilt, und wird für alle Zeiten unter der Souveränität Israels verbleiben… Die Regierung wird jeden Versuch zunichte machen, die Einheit Jerusalems zu unterminieren, und sie wird jegliche Handlung verhindern, die der ausschließlichen Souveränität Israels über die Stadt zuwiderläuft.“ (Leitlinien)

Gleich nach Amtsübernahme machte die rechte Koalitionsregierung klar, daß die PLO sämtliche offiziellen Aktivitäten in Jerusalem aufzugeben habe. Ultimativ legte sie fest: Sie sei zu keinerlei Verhandlungen mit der PA (Autonomiebehörde) bereit, solange es Verstöße in Jerusalem gebe. Ergänzt wird diese Erpressung durch Übergriffe israelischer Behörden: Sie schließen ein Büro eines palästinensischen Abgeordneten, der darin Publikum empfangen hat; ein Jugendzentrum wird von der israelischen Polizei kurzerhand abgerissen, weil keine Gebäude der palästinensischen Autonomiebehörde in Jerusalem geduldet werden könnten. In Bezug auf das „Orienthaus“ kündigt Netanjahu an, ausländische Politiker, die diese Stätte aufsuchen, zur Strafe selber nicht zu empfangen.

Bürgermeister Olmert beschließt – gemäß seiner Absicht: „Wir wollen die jüdische Präsenz in allen Teilen der Stadt verstärken“ (SZ 21./22.9.96) – den Bau von 132 Wohneinheiten für Juden im Araber-Gebiet Ras al Amud in Ostjerusalem. Umgekehrt werden Fakten, die die Palästinenser in den letzten Jahren geschaffen haben, selbstverständlich beseitigt. Laut Olmert sollen Tausende von Palästinensern „illegal errichtete“ Wohnungen in Jerusalem abgerissen werden, „trotz des internationalen Aufschreis, den eine solche Aktion in der Vergangenheit hervorgerufen hat.“ (JPIE 26.10.96)

Ende September läßt Netanjahu den Tunnel unter dem Tempelberg öffnen und erklärt dies demonstrativ zu einem Akt, der den jüdischen Anspruch auf Jerusalems Altstadt symbolisiert, indem er öffentlich bekennt: „Bis in die Tiefe meiner Seele bin ich gerührt. Dieser Tunnel erfaßt den Grundstein unserer Existenz.“ (Netanjahu, FAZ 26.9.96)

Arafat und die palästinensische Behörde nahmen diese israelische Provokation als Gelegenheit zu versuchen, die arabischen Staaten, die Europäer, die UNO und die Vereinigten Staaten dazu zu bewegen, Partei für die Palästinenser und gegen Israel zu ergreifen und Netanjahu in die Schranken zu weisen. Um der Lage den Charakter von Dringlichkeit zu verschaffen, ließen sie einen Tag lang das palästinensische Radio zu Streiks, Manifestationen und Schülerdemonstrationen in Jerusalem und den besetzten Gebieten aufrufen. Dagegen bot Israel sein Militär auf, es kam zu Schießereien, bei denen 60 Araber und 15 Israelis ums Leben kamen. Israelische Panzer umstellten die autonomen Städte, die Palästinensergebiete – diese Maßnahme hat Netanjahu von Peres übernommen, weil sie ein so brauchbares Erpressungsmittel ist – wurden wieder total abriegelt.

Arafats Ziel, die Weltaufsichtsmächte auf den Plan zu rufen, war damit erreicht. Der Druck auf Israel hielt sich allerdings in Grenzen. Der UNO-Sicherheitsrat vermied in seiner Resolution eine direkte Kritik an Israel, trat bloß indirekt für die Schließung des Tunnels am Tempelberg ein und verlangte die Rücknahme aller Maßnahmen, die die Lage in den palästinensischen Gebieten verschlechtert hätten. Diese sehr zurückhaltende Reaktion verstand Israel als Einladung, diese Resolution genauso zu ignorieren wie alle vorhergehenden, die ihm nicht paßten.

Für die gesamte israelische Politikerriege waren die Tempelbergunruhen und die Drohung mit einer neuen Intifada willkommener Anlaß, Arafat vor aller Welt die Leviten zu lesen: Präsident Weizmann zieh ihn des Wortbruchs, Peres forderte von Netanjahu, er müsse in Washington erreichen, daß Arafat sich verpflichte, die palästinensischen Polizisten, die auf die israelischen Soldaten geschossen hätten, vor Gericht zu stellen. In der Regierung wurde gefordert, der Palästinenser-Polizei nur noch Pistolen zuzugestehen und auf eine erhebliche zahlenmäßige Reduzierung von Arafats Ordnungskräften zu dringen. Der israelische Unterhändler Schomron ließ verlauten: Nach diesen Ereignissen sei es ein ungeheures Entgegenkommen Israels, überhaupt die Verhandlungen noch einmal aufzunehmen – „nach einer Krise und einem tiefen Vertrauensbruch“. Und der Ministerpräsident selbst, der mit allen Mitteln versucht, Verhandlungen zu vermeiden oder wenigstens zu verschleppen, kam Arafat mit einem Ultimatum:

„Wir werden nicht unter der Drohung von Terrorismus verhandeln. Die Androhung von Terrorismus wird das erste sein, das uns veranlassen wird, die Vernünftigkeit solcher Verhandlungen zu überdenken. Denn wenn Frieden nur als Phase zwischen Terrorattacken erkauft wird, werden wir niemals Frieden haben. Darum habe ich Arafat gesagt, sein Umgang mit dem Terrorismus muß eine Konstante und keine Variable in unserer Beziehung sein.“ (JPIE 28.9.96)

Der PLO-Chef soll doch endlich einsehen, daß er nur die Alternative hat: Kapitulation vor Israels Ansprüchen oder Verlust der Palästinenser-Autonomie.[15]

Hebron

In der Hebronfrage befindet sich Israels neue Regierung in der glücklichen Lage, daß schon Peres sich geweigert hatte, die getroffenen Vereinbarungen umzusetzen. Netanjahu sieht darin die Chance, wenn er schon nicht Hebron als Ganzes vor der Autonomie bewahren kann, eine möglichst weitgehende Revision der Vereinbarungen zu erreichen; außerdem ließe sich hier der Präzedenzfall schaffen, geschlossene Verträge neu zu verhandeln.[16]

Die ersten Monate nach dem Regierungswechsel vergingen damit, daß Israel formell Neuverhandlungen über Hebron forderte, bis es sich schließlich auf den „Kompromiß“ einließ, daß es nur um neue Umsetzungs-Regelungen der alten Vereinbarung gehe. Arafat konnte damit also halbseiden einen Präzedenzfall verhindern. Was die materiellen Regelungen betrifft, ging es ausschließlich um Zugeständnisse der Palästinenser in Souveränitätsfragen: Neben dem Recht des israelischen Militärs, mutmaßliche Attentäter auch in der autonomen Zone verfolgen zu dürfen, wurde die strategische Postierung der Sicherheitskräfte beider Seiten thematisiert, die Bewaffnung der palästinensischen Polizei, die Zuständigkeit für Baugenehmigungen,[17] das Entscheidungsrecht über die Errichtung von Schulen und Krankenhäusern etc. Israel will sich also das Recht vorbehalten, in allen entscheidenden Fragen der Stadt und ihrer Entwicklung zuständig zu bleiben, und wurde dabei von den amerikanischen Unterhändlern offensichtlich auch nicht gebremst. Angesichts dieser Lage ging es Arafat in den Verhandlungen hauptsächlich nur noch darum, die Amerikaner wenigstens dafür zu gewinnen, die Israelis zu drängen, sich im Tausch für Zugeständnisse in der Hebron-Materie zumindest Termine zur Klärung der weiterhin offenen Fragen wie Freilassung von Gefangenen, Jerusalem, „endgültiger Status“ zu vereinbaren. Nach der kategorischen Weigerung der jüdischen Unterhändler, sich darauf einzulassen, hielt er es für die beste Lösung, selber die Verhandlungen durch seine Abreise nach Europa abzubrechen. Seitdem behaupten Israel und die USA einhellig, die Verhandlungen seien so gut wie abgeschlossen, Arafat müßte nur noch unterschreiben. So hat es Israel schließlich geschafft, den Spieß umzudrehen und Arafat die Schuld für den noch immer nicht erfolgten Abzug israelischer Truppen aus Hebron in die Schuhe zu schieben.

Innenpolitischer Streit

An der Hebron-, wie an der gesamten Frage, wie mit den Palästinensern verfahren werden soll, entzündet sich ein innerisraelischer Streit, der einerseits ein Meinungsstreit ist, andererseits darüber ein wenig hinausgeht. Auf der politisch rechten Seite gibt es angesichts des anstehenden Abzugs aus Hebron – wenn auch unter neuen Bedingungen – massive Proteste der dortigen jüdischen Siedler. In von ihnen geschalteten Anzeigen heißt es:

„Wer immer seine Hand zum Abzug israelischer Soldaten aus Hebron hebt und zum Einzug bewaffneter palästinensischer Kräfte, wird für das Massaker an Hebrons Juden verantwortlich sein.“ (zit. n. FAZ 18.10.96)

Diese jüdischen Musterbürger sind von ihrer Regierung, die sie gewählt haben, maßlos enttäuscht. Endlich vom Makel einer radikalen Minderheit – so fühlten sie sich unter Rabin und Peres – befreit und durch die neue Regierung ins Recht gesetzt, und nun gibt diese erkämpftes Land auf. Da fällt ihnen nur eines ein: Verrat! Die Konsequenz daraus sieht in der milderen Variante so aus wie in der zitierten Anzeige: Vorwurf von Verantwortungslosigkeit an die Adresse der Regierung. Die härtere Variante ist die Ankündigung, sich noch vor dem Abzug der Armee einiger Häuser im bald palästinensisch-autonomen Hebron zu bemächtigen, „die bis zur Arabischen Revolte 1929 Juden gehört hatten“. Die Regierung – sonst meist sehr nachsichtig gegenüber diesem radikalen Teil der Bevölkerung – nimmt diese Drohungen ernst und sieht in ihnen die potentielle Schädigung der nationalen Interessen. Erstmals nimmt eine israelische Regierung Juden in Vorbeugehaft.

Weniger radikal ist die Opposition von „links“. Die Zeitung „Yediot Ahronot“ veröffentlicht das Ergebnis einer eigenen Meinungsumfrage, wonach 62% der Befragten für die Herausnahme der Siedler aus dem Stadtkern von Hebron sind. – Am oppositionellsten sind noch bestimmte Kreise des Militärs, die nach wie vor der Sicherheitspolitik der Regierungsvorgänger etwas abgewinnen können. Aus dem einfachen Grund, weil sie sich eine bessere Verwendung für ihren Berufsstand vorstellen können, als steinewerfende Kinder zu erschießen und sich an Busstationen Attentätern als Zielscheibe zu präsentieren. Im Gefolge solcher Kritik erscheinen in israelischen Zeitungen Anzeigen, in denen auch Söhne prominenter Politiker wegen der Unvernunft der Regierung ihre Weigerung kundtun, im Wehrdienst an Einsätzen gegen Palästinenser teilzunehmen. Netanjahu reichten schon solche Äußerungen von Unzufriedenheit, um hart durchzugreifen. Er löste General Oren Shahor ab, den Leiter der israelischen Delegation, die mit den Palästinensern über zivile Angelegenheiten bei der Realisierung von „Oslo B“ verhandelt. Grund war, daß sich der General, ohne sich dafür eine Erlaubnis beim Verteidigungsminister und Generalstabschef geholt zu haben, mit Peres und dem früheren Minister Beilin beraten haben soll.[18]

Abschreckungspolitik gegenüber den Nachbarstaaten

Die arabischen Staaten sehen sich mit einer israelischen Politik konfrontiert, die wieder das alte Staatsgründungsinteresse zum zentralen Punkt macht, besetzte Gebiete annektieren will und getroffene Vereinbarungen eigenmächtig revidiert. An Netanjahus Kurs gegenüber Arafat und seinem Unwillen, in Gesprächen mit Syrien am unter Peres bereits erreichten Verhandlungsstand anzuknüpfen, merken sie, daß der „Friedensprozeß“ von israelischer Seite gekündigt ist. Unter dem Druck der USA hatten Ägypten, Jordanien und die meisten Staaten der arabischen Liga sich bereitgefunden, sich mit Israel als Nachbarstaat abzufinden und sich um normale Beziehungen zu ihm zu bemühen. Sie gingen davon aus, daß die Vereinigten Staaten für eine Ordnung im Nahen Osten sorgen, in der israelische und arabische Interessen gleichberechtigt zum Zuge kommen. Seit dem Amtsantritt Netanjahus stellt sich zunehmend heraus, daß Israel sich mit der Rolle einer in die nahöstliche Staatenwelt eingeordneten Nation, die ihre Machtansprüche an denen ihrer Nachbarn zu relativieren hat, nicht abfinden will. Den von Rabin und Peres akzeptierten Normalisierungsprozeß erachtet die neue Regierung als Verzichtspolitik, die unverzüglich revidiert werden muß.

Die anfänglichen diplomatischen Beschwichtigungsversuche Netanjahus, als er auf den wechselseitigen Staatsbesuchen versicherte, er werde sich – mit den bekannten Einschränkungen hinsichtlich Israels Sicherheit – an getroffene Vereinbarungen halten, sind von den arabischen Führern längst durchschaut.[19] Die Fortschritte in der Siedlungspolitik sind nicht zu übersehen und die Äußerungen, die Netanjahu in der israelischen Presse macht, deutlich genug. Arafat, Mubarak, Assad und König Hussein entfalteten daraufhin eine rege wechselseitige Besuchsdiplomatie, bei der sie sich ständig der jeweiligen Unterstützung versicherten; Ägypten und Jordanien boten sich als Vermittler gegenüber Israel und als Fürsprecher bei den USA an.

Netanjahu imponierte all das wenig, weil er sich der Überlegenheit seiner Militärmacht sicher ist und zudem weiß, daß die vier Staatsmänner konkurrierende Interessen verfolgen. Der jordanische König hat gar nicht vor, seine guten Beziehungen zu Israel aufzukündigen. Hat er sich doch erst vor gar nicht allzu langer Zeit – wegen der verheerenden Folgen der antiisraelischen und antiamerikanischen Politik seines Landes – zur Kursänderung entschlossen. Zwar beschwert er sich über Netanjahus Eigenmächtigkeit bei der Tunnelöffnung – Jordanien ist Schutzmacht der heiligen Stätten des Islam in Jerusalem – und das Ausbleiben der „Friedensdividende“ für sein Land, aber mehr will er sich nicht leisten. Im übrigen ändert das herzliche Verhältnis zu Arafat, das der König derzeit zur Schau stellt, nichts an der Tatsache, daß er wegen der Probleme mit den Palästinensern im eigenen Land kein Interesse an der Entstehung eines Staates Palästina auf der Westseite des Jordan hat.

Für Mubaraks im Sommer geäußerte Drohungen, falls es keine Fortschritte im Friedensprozeß gebe, werde er die Wirtschaftskonferenz (MENA III) in Kairo absagen, hatte Netanjahu nur Spott übrig: „Die werden sich doch nicht ins eigene Fleisch schneiden“ (NZZ 25.9.96). Ägypten machte kurze Zeit später einen Rückzieher. In der ägyptischen Presse ist nach jeder israelischen Provokation der arabischen Seite ein Kommentar fällig: Es wäre mal wieder an der Zeit, daß die Araber sich zusammentun und mit vereinten Kräften Israel eine militärische Lektion erteilen. Mubarak selbst entschloß sich im Spätsommer, demonstrativ – parallel zu großen Truppenübungen in Syrien – ein ausgedehntes Manöver seiner Streitkräfte abzuhalten. Geübt wurde allerdings die Reaktion auf einen israelischen Atomangriff! Der israelische Verteidigungsminister Mordechai kommentierte entsprechend hämisch die Übungen und die verbalen Drohungen:

„Israel hat keine Absicht, Ägyptens Souveränität zu verletzen… Ich denke, die Ägypter sollten alle Anstrengungen unternehmen, von verbalen Attacken Abstand zu nehmen, die ohnehin niemandem helfen. Wir wollen zwar einen vertrauensvolleren Frieden, aber es ist eine weite Kluft zwischen kaltem Frieden und Konflikt.“ (JPIE 19.10.96)

Israel fühlt sich wegen seiner militärischen Überlegenheit vor Ägypten sicher und rechnet darauf, daß Mubarak schon wegen der ökonomischen und militärischen Abhängigkeit seines Landes von den USA den „kalten Frieden“ nicht bricht. Deswegen bleiben die Israelis in der Offensive: Die unfreundlichen Signale aus Kairo beantworteten sie umgehend mit Strafandrohung. Außenminister Levy verkündete, man wolle künftig Ägypten als Verhandlungsort mit den Palästinensern möglichst meiden. „Man dürfe Ägypten nicht für seine heftige Kritik an Israels Regierung belohnen.“ Von Israel als Arafats Fürsprecher anerkannt zu werden, ist nämlich schon eine Gunst, für die ein Land wie Ägypten dankbar zu sein hat.

Syrien

Mit Syrien verfährt Netanjahu gemäß seiner Abschreckungsdoktrin: Er droht mit einem „Vergeltungskrieg“, falls Assad seine Unterstützung des Hizbullah nicht einstellt, und einem Präventivschlag, falls er die israelische Landnahme auf dem Golan zu verhindern sucht:

  • Von Anfang seiner Regierungszeit an machte Netanjahu klar, daß er bisherige Absprachen über den etwaigen Abzug Israels vom Golan als Verhandlungsgrundlage nicht akzeptieren will.[20] Sein neues Angebot an Syrien war: „Libanon zuerst“, d.h.: Abzug Israels aus dem Sicherheitsstreifen im Südlibanon unter den drei Bedingungen Entwaffnung des Hizbullah, Sicherung der Grenze zu Israel durch die libanesische Armee, Schutz der SLA-Miliz, die für Israel die Sicherheitszone bewacht, durch Eingliederung in die libanesische Armee, dafür Neuverhandlung über den Golan. Assad lehnte dieses Angebot ab. Daraufhin drohte Israels Premier Syrien mit „einer sehr schmerzhaften Vergeltungsaktion“, falls der Hizbullah stärker in die Offensive gehe. Der alltägliche Kleinkrieg mit Hizbullah geht ohnehin weiter; fast täglich werden Vergeltungsschläge der israelischen Verteidigungsarmee jenseits der Sicherheitszone gemeldet.[21]
  • Auf dem Golan schafft Israel Fakten: Hiesige Zeitungen melden die „fieberhafte Fertigstellung“ von weiteren 2000 Häusern und Wohnungen, nachdem erst kurz zuvor 130 jüdische Familien sich dort niedergelassen hatten.[22] Der nationalen israelischen Ölgesellschaft Hanal genehmigte Netanjahus Kabinett Probebohrungen auf dem Golan.[23] Der Beginn der Arbeiten wurde dann kürzlich mit der offiziellen Begründung: „bevorstehende Privatisierung der staatlichen israelischen Ölgesellschaft“, verschoben.
  • Das letzte halbe Jahr wird in der israelischen Presse Kriegshetze gegenüber Syrien betrieben: Mal sind routinemäßige Versuche der Syrer mit Scud-Raketen der Anlaß, mal syrische Truppenkonzentrationen um das Hermon-Gebirge. Natürlich ist der potentielle Aggressor Syrien.[24] Der israelische Verteidigungsminister beschwichtigt derweil seine Bevölkerung mit einer unmißverständlichen Drohung gegenüber dem Feind:
    „Assad hat einen kühlen Kopf und ist ein Mensch, der kalkuliert; wenn er eine Operation plant, will er vorher die damit verbundenen Risiken wissen. Deshalb glaube ich nicht, daß Assad in nächster Zeit einen schweren Fehler machen wird. Ich sage ihm als Verteidigungsminister, daß ich alle Anstrengungen unternehmen werde, Frieden zu bewahren. Damit verbunden ist, daß ich nicht auch nur für eine Sekunde glaube, daß man uns überraschen und unvorbereitet vorfinden kann.“ (Mordechai in JPIE 19.10.96)
  • Die Kriegsdrohungen riefen die oberste Aufsichtsmacht im Nahen Osten auf den Plan. Die USA erkundigten sich bei beiden Seiten, wie konkret die Angriffsabsichten seien, und „wirkten mäßigend auf beide Seiten ein“. Israel bekundete zum wiederholten Male seine Bereitschaft zu Verhandlungen mit Syrien – selbstverständlich Neuverhandlungen.

Israel im Zentrum des Weltordnungsinteresses

Mit allen Streitigkeiten, die die neue Regierung mit den Palästinensern und den arabischen Nachbarstaaten anzettelt, berührt Israel Ordnungsfragen, die den Weltaufsichtsmächten nicht gleichgültig sind. Dessen ist sich Netanjahu bewußt; und er weiß auch, daß Israel – trotz seiner militärischen Stärke – nicht ohne die Unterstützung der USA, erst recht nicht gegen deren Willen seine Position im Nahen Osten behaupten kann. Trotzdem hat er für die Politik seiner Vorgänger nichts übrig, die – seiner Ansicht nach – zu nachgiebig gegenüber dem amerikanischen Druck war. Soweit dürfe es niemals kommen, daß Israel sich als Staat mit dem begnügt, was es von den anderen Nationen zugestanden bekommt. Er warnt vor der Vorstellung, Israel könnte sich eines Tages mit der Rolle eines mittelkleinen Staates im Nahen Osten bescheiden, der sich in erster Linie um die Verbesserung seiner Handelsbilanz und die Senkung seiner Inflationsrate kümmert. Die neue Regierung besteht unerbittlich auf der Einzigartigkeit und Unfertigkeit des israelischen Staatsprojekts. Dabei nimmt sie sogar den Mund gegenüber der Nation, von deren Entscheidung das Wohl und Wehe Israels abhängt, recht voll:

„Wenn auch unsere Beziehung zu den USA ein strategischer Aktivposten von größter Bedeutung ist, ist sie nicht der höchste Wert unseres Staates. Der höchste Wert sind für uns die Dinge, die uns heilig sind, wie z.B. Jerusalem… Ich mache unsere Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten entsprechend unseren Interessen und passe unsere Interessen nicht unseren Beziehungen zu den USA an.“ (Netanjahu in einem Radiointerview, zit. n. JPIE 28.9.96)

Und er handelt entsprechend. Amerikanischen Aufforderungen, sich wenigstens verhandlungsbereit zu zeigen, beugt er sich demonstrativ nur widerwillig. Seine Besuche in den USA endeten stets mit demselben Kommuniqué: „keine Annäherung in der Sache“.[25] Nicht nur in der Palästinenser-Frage, auch hinsichtlich der Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen mit Syrien nerven die Vertreter Israels die amerikanischen Pendeldiplomaten. Mit ihrer Unnachgiebigkeit provozieren sie auch schon mal deren Abreise, weil die Verhandlungen endgültig „festgefahren“ sind. An allen diplomatischen Fronten macht Netanjahu den Dauertest auf die Schutzmacht Israels, wieweit sie bereit ist, nachdem sich Israel zunehmend mehr Freiheiten in der Verfolgung seines Staats-Projekt herausnimmt, der neuen Regierung dabei den Rücken zu stärken. Bis heute ist er von Clinton nicht enttäuscht worden; neben der diplomatischen Unterstützung läuft auch die Waffenhilfe – Ausrüstung mit neuesten Raketen und Waffensystemen – sehr zu seiner Zufriedenheit. Mit seinen eigenen Aktionen und Provokationen der arabischen Seite drängt Israel Amerika, sich eindeutig für die Sache der Juden und gegen die Ansprüche gewisser arabischer Staatsmänner zu entscheiden. Das Argument, mit dem Netanjahu amerikanische Politiker zur Parteinahme für Israel bewegen will, ist immer dasselbe: Überall wo arabische Interessen sich mit denen Israels kreuzen, stellt Israels Premier die Gegenseite – sei es nun Arafat oder Assad, selbst Mubarak ist nicht ganz frei von Verdächtigungen – in die Terrorismusecke. Nach seiner Definition ist jede Politik, die sich nicht israelischen Sicherheits- und Territorial-Ansprüchen unterordnet, Parteinahme für Terroristen.

Die arabische Seite

Ihre Reaktion auf Israels Offensive kalkuliert die arabische Seite ebenfalls mit Blick auf die Weltaufsichtsmacht USA. Arafat weiß, daß die einzige Chance für seine palästinensische Sache – selbst die Rettung bisheriger Erfolge – darin besteht, die USA davon zu überzeugen, daß Israel gebremst werden muß. Dabei beruft er sich einerseits auf Beschlüsse der UNO; was freilich bei den USA wenig Eindruck macht, sie akzeptieren ja dieses Gremium bestenfalls, wenn es – wie im Golfkrieg – die Führungsrolle amerikanischer Politik unterstreicht. Andererseits kommt der PLO-Chef Clinton mit den Verstößen Israels gegen Verträge, die unter der Regie der Vereinigten Staaten ausgehandelt wurden. Er macht die USA darauf aufmerksam, daß dadurch ihre Glaubwürdigkeit als Garantiemacht des nahöstlichen „Friedensprozesses“ tangiert sei. Mehr als diesen moralischen Appell bekommt er nicht zustande. Bei der Tunnelöffnungs-Affäre mußte er lernen, daß Palästinenser-Unruhen heute weniger denn je Sympathie in der Weltöffentlichkeit finden und welch harte Reaktion darauf sich Israel leisten kann. Die Weigerung, mit den Israelis weiterzuverhandeln, ist schließlich auch ein zweischneidiges Mittel. Israel bekommt nur mehr Zeit, Fakten zu schaffen.

Ein paar wirksamere Mittel, sich gegen Israel zur Wehr zu setzen, hat der syrische Staatschef zur Verfügung. Zu einem gewissen Teil liegt in seiner Hand, wie weit Hamas und Hizbullah Israels Sicherheit tangieren können. Außerdem verfügt er über eine ansehnliche Armee. Assad weigert sich konstant, sich Israels Interessen unterzuordnen. Er hat sämtliche Angebote Netanjahus, die einen Verzicht auf von Syrien beanspruchte Rechte implizierten, zurückgewiesen und jede israelische Drohung mit einer Gegendrohung beantwortet. Der syrische Staatschef vertritt gegenüber den USA die Position, als Vermittler müßten sie dafür sorgen, daß Israel bereit ist, „Land für Frieden“ zu geben. Dabei ist Assad stets bemüht, den Amerikanern seine prinzipielle Bereitschaft zuzusichern, mit Netanjahu Gespräche zu führen. Die Bekundung von Verhandlungsbereitschaft hält er für notwendig, weil gegenüber seinem Land die Drohung Clintons steht, Syrien wieder auf die „Liste der Terrorstaaten“ zu setzen, falls es sich weigert, am nahöstlichen Friedensprozeß mitzuwirken.

Die Vereinigten Staaten als nahöstliche Aufsichtsmacht

Die Vereinigten Staaten, von denen die streitenden Parteien vor Ort sich abhängig wissen, verfolgen im Nahen Osten ihre eigenen strategischen Interessen. Der „Frieden“, den sie den Völkern vor Ort zukommen lassen wollen, ist nämlich kein humanitäres Programm, sondern eine Angelegenheit „vitaler Interessen der Vereinigten Staaten“:

Wir wollen einen Frieden erreichen, „der weitreichende strategische Konsequenzen hätte – nicht nur für den Nahen Osten, sondern auch für die vitalen Interessen der Vereinigten Staaten. Ein umfassender Frieden wird die Gefahr eines weiteren arabisch-israelischen Krieges dramatisch verringern. Er wird schließlich die Beschränkungen beseitigen, die normalen Beziehungen Israels zur gesamten arabischen und muslimischen Welt im Wege stehen. Schließlich – und das ist vielleicht am wichtigsten – wird die Beendigung des arabisch israelischen Konflikts uns und unseren Freunden gestatten, unsere Mittel zur Bewältigung einer Reihe gemeinsamer, und uns alle bedrohender strategischer Herausforderungen einzusetzen – insbesondere das Anwachsen extremistischer Bewegungen, die Terrorismus und Gewalt einsetzen, sowie verbrecherischer Staaten wie Iran und Irak, die im Besitz von Massenvernichtungswaffen sind.“ (Außenminister Christopher, Amerika Dienst 29.5.96)

Wichtigstes Ziel der Amerikaner ist es, die Sortierung, die sie hinsichtlich Freund und Feind vornehmen, für die Mächte vor Ort verbindlich zu machen. Wegen der anstehenden Bekämpfung der Staaten, die sich der amerikanischen Nahost-Ordnung widersetzen, sollen alle Streitigkeiten, die die Araber mit den Israelis haben, beigelegt werden. Die USA haben ihre „Liste von Terrorstaaten“; auf der stehen all die Länder, die sich der amerikanischen Ordnungspolitik widersetzen, derzeit: Irak, Iran, Libyen und Sudan. Deren Staatsführungen verfolgen eigene nationale Ziele, ohne dafür eine US-Lizenz zu haben, also setzt die US-Führung sie auf die Abschußliste. Außerdem werden sie für die „Destabilisierung“ in ihren Nachbarländern verantwortlich gemacht. Das strategische Interesse der Amerikaner besteht – nach dem Muster der Golfkriegs-Allianz – darin, die „Terrorstaaten“ zu isolieren und gegen sie sämtliche anderen Staaten in eine Koalition unter amerikanischer Führung einzubauen. Dies hält Clinton auch für den besten Weg, mit der „Gefahr des islamischen Fundamentalismus“ fertig zu werden. Von dieser Warte aus begutachten die Amerikaner die Streitigkeiten zwischen Israel und den arabischen Nationen. Zur Beschränkung der nationalen Ambitionen seiner arabischen Nachbarn ist Israels Vormachtstellung für sie unverzichtbar. Auf der anderen Seite halten sie nicht alle Streitpunkte, die Israel gegenüber der arabischen Welt aufmacht, für notwendig, manche sogar für problematisch oder überflüssig. Den USA ist in erster Linie daran gelegen, daß sich nicht die Fronten verschieben und daß keine arabische Solidarität entsteht, die die Grenze zu den „Terrorstaaten“ verwischt, ihre Quarantäne durchbricht.

Diese Terrordefinition der Amerikaner deckt sich also keineswegs unmittelbar mit derjenigen Israels. Beide Nationen subsumieren unter diesen Begriff die Feinde ihrer jeweiligen Machtansprüche. Zu Zeiten des Kalten Krieges war die Lage einfacher. Israels arabische Konkurrenten um Territorium und Macht tendierten zunächst mehrheitlich zum falschen Lager, dem der Weltmacht Nr.2. Selbst diejenigen, die später eine Anlehnung an den Westen suchten, blieben unsichere Kantonisten, die in der SU eine Alternative hatten. Hier war die israelische Scheidelinie zwischen Freund und Feind mit der Amerikas ziemlich deckungsgleich. Heutzutage, wo die Trennlinie zwischen „Terrorstaaten“ und Staaten verläuft, die mit der US-Aufsichtsmacht kooperieren wollen, steht mancher Staat für die USA auf der guten Seite, der für Israel eher ins Lager der Gegner gehört.

Die Interessenlage der USA deckt sich mit der der diversen arabischen Führer noch viel weniger. Syrien hatte sich seinerzeit zwar in die Front gegen Saddam Hussein eingeordnet, dafür aber auch eigene Gründe: An einem Machtgewinn des Konkurrenten Irak durch die Einverleibung von Kuwait war Assad keineswegs gelegen. Solange Israel allerdings syrische Ansprüche in der Region mißachtet, ist Syriens Führung weder bereit, sich in die Front zur Bekämpfung des Terrors von Hamas und Hizbullah einzureihen, noch die über den Iran verhängte Quarantäne zu unterstützen. Darum beschied Assad die Einladung zum Antiterrorgipfel in Scharm el-Scheich abschlägig und weigert sich, den Hizbullah zu entwaffnen.

Daß Arafat sich nicht mit der ihm von Israel zugesprochenen Aufseherrolle gegenüber seinen Palästinensern zufriedengibt, macht ihn in den Augen der USA auch etwas unhandlich. Clinton und Christopher ist zwar daran gelegen, daß die Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern und Israelis aufhören, Ruhe einkehrt und die Fronten gegenüber Amerikas Hauptfeinden stehen, ein positives Interesse an einem Staat Palästina haben sie jedoch nicht. An der Vormachtstellung ihres verläßlichsten Partners im Nahen Osten möchten sie schon festhalten. Ein zusätzlicher arabischer Nachbarstaat von Israel würde das Kräfteverhältnis nur verschieben und paßt darum nicht unbedingt in ihr strategisches Konzept.

Von der arabischen Seite geht für die USA zudem noch eine weitere Gefahr aus: Sie sind daran interessiert und tragen dazu bei, die Rolle der Europäer im Nahen Osten aufzuwerten.

Die Europäer als Mit-Ordner

In der letzten Zeit häufen sich die Vorstöße europäischer Staatsmänner, sich in die amerikanische Ordnungsstiftung im Nahen Osten einzumischen. Sie berufen sich dabei auf historische Sonderbeziehungen, wie Frankreich etwa in Bezug auf den Libanon,[26] vor allem aber auf die ökonomischen Abhängigkeiten, die sie im Nahen Osten bereits gestiftet haben.

„Europa kann sich nicht damit begnügen, der wichtigste Geldgeber und der erste Wirtschaftspartner des Nahen Ostens zu sein. Es muß immer mehr seinen politischen Beitrag zum Friedensprozeß leisten.“ (Chirac, Le Monde 23.10.96)

Die Gelder, die die EU in die Westbank und Gaza gesteckt hat, sollen sich auf jeden Fall auch politisch auszahlen. Daß Europa einen schwunghaften Handel mit den Ländern im Nahen Osten betreibt, soll das Recht begründen, über deren politische Machtansprüche mitzuentscheiden und das Kräfteverhältnis zwischen ihnen mitzubeeinflussen.

Indem sich die Europäer zu Förderern und Betreuern des palästinensischen Anliegens erklären, schlagen sie sich mit ihren Vermittlungsbemühungen faktisch auf die Seite der Araber. Gegen Israel erheben sie den Vorwurf, es verletze internationales Recht, wenn es sich weder an UNO-Resolutionen noch an die eigenen Verträge halte. Die Tunnelöffnung hielten Kohl, Chirac und Major für eine Gelegenheit, an Netanjahu (und Arafat) eine gemeinsame Botschaft zu richten:

„Wir möchten einen … gemeinsamen feierlichen Appell an Sie (richten), das Erforderliche zur Beruhigung der Lage zu tun. Wir begrüßen die Ankündigung des Beschlusses, den Tunnel unter der Heiligen Stadt zu schließen, und wünschen uns, daß weitere Maßnahmen in demselben Geist ergriffen werden … Wiederaufnahme der Verhandlungen auf höchster Ebene … umfassende Anwendung der unterzeichneten Abkommen…, dies auch in der Perspektive eines Einvernehmens über den letztendlichen Status der palästinensischen Gebiete.“ (Bulletin Nr.76, 30.9.96)

Sie fordern von dem israelischen Premier all das, was der Arafat gerade verweigert, und sind nicht bereit, die Aufstachelung der Palästinenser durch ihre Führung als Verbrechen zu verurteilen, wie die Israelis es gerne hätten.

Der französische Staatspräsident setzte bei seinem darauffolgenden Besuch in Israel und in den besetzten Gebieten noch eins drauf. Er brüskierte nicht nur Netanjahu, indem er eine Ansprache vor der Knesset verweigerte, er hofierte gleichzeitig demonstrativ Arafat, indem er in seiner Rede vor dem Palästinenserrat die Schaffung eines Staates Palästina forderte. Seinen Besuch in Jerusalem nutzte Chirac dazu, vor den laufenden Kameras aus aller Welt zu demonstrieren, daß Frankreich Israels Eigenmächtigkeit nicht akzeptieren will: Im Vorfeld hatte sein Außenminister wegen der „Orienthaus“-Regelung auf seine Mitreise verzichtet. Nachdem Staatschef Weizmann Chirac „in unserer ewigen Hauptstadt, in der Hauptstadt Israels“ willkommen geheißen hatte, sorgte dieser auf dem Rundgang durch die Altstadt für einen Eklat. Die massive Abschirmung durch israelische Sicherheitskräfte, die ihn an der Kontaktaufnahme zu arabischen Repräsentanten hindern wollten, nahm er zum Anlaß, lautstark zu protestieren, mit der Abreise zu drohen und von Netanjahu eine offizielle Entschuldigung einzufordern.[27] Der Ministerpräsident hielt es für nötig, dem Antrag nachzukommen. Danach bemühten sich dann beide Seiten diplomatisch darum, „keine weiteren Mißstimmungen aufkommen zu lassen“.

Die EU-Initiativen stoßen allerdings regelmäßig auf Grenzen: Die arabischen Führer loben die Nahost-Initiativen der Europäer und bestätigen ihnen einen „höheres Maß an Überparteilichkeit“, weil sie ihre Interessen bei den USA nicht unbedingt gut aufgehoben fühlen. Bei aller Ermunterung, so weiterzumachen, können sie sich aber doch nicht die Feststellung verkneifen, daß die EU ihrer Ansicht nach nicht in der Lage ist, im Nahen Osten eine den USA ebenbürtige Rolle zu spielen, geschweige denn, sie zu ersetzen.

Die Grenzen der europäischen Ambitionen demonstriert die Netanjahu-Regierung auf ihre Weise: Zwar hat Israel – schon wegen seiner Wirtschaftsbeziehungen zur EU – nicht unbedingt ein Interesse daran, die Europäischen Staatsmänner gegen sich aufzubringen, aber wenn es um Fragen der eigenen Souveränität geht, verbittet der Judenstaat sich jede Einmischung. Im Hinblick auf die Hebronverhandlungen und Chiracs Parteinahme für die Palästinenser stellte Außenminister Levy fest:

„Die Konfliktparteien allein müßten eine Einigung erzielen. Europa sei wichtig für die Ermutigung und Hilfe im Umfeld der Verhandlungen, auch zur Stärkung der Wirtschaft. Seine Regierung werde aber keine Einmischung in Friedensverhandlungen erlauben.“ (NZZ 21.10.96)

Wenn die Israelis den Europäern eine (Mit-)Vermittlerrolle verweigern und sie auf die ungeliebte Rolle des bloßen Geldgebers und Unterstützers der amerikanischen Ordnungsstiftung verweisen, tun sie nicht nur sich, sondern auch den Amerikanern einen Gefallen. Die USA legen nämlich größten Wert auf die Erhaltung ihres Weltordnungsmonopol, das sie sich seinerzeit im Golfkrieg so eindrucksvoll bestätigen ließen.

[1] Anerkennungsverhältnisse zwischen den Staaten sind die Voraussetzung für die Entwicklung wechselseitigen Handels. Innerhalb des Nahen Osten konnte Israel deshalb nur geringe ökonomische Aktivitäten entfalten, obwohl die israelische Industrie und Landwirtschaft den Nachbar-Ländern attraktive Angebote machen kann. Die Europäer, die u.a. im Rahmen ihres Programms für den Mittelmeerraum die Finanzierung spezieller Förderprogramme anbieten, machen ihr Engagement in Israel von dessen EU-genehmem Verhalten gegenüber den arabischen Nachbarn abhängig.

[2] Vgl. hierzu: „Massaker und Autonomie – Neueste Entwicklungen im nahöstlichen Friedensprozeß“ in GegenStandpunkt 2-94, S.137.

[3] Und das erledigt zu einem Großteil nicht einmal die Palästinenser-Behörde selbst, sondern ein UNO-Hilfswerk: UNWRA betreut in den autonomen und besetzten Gebieten 28 Lager mit rund einer halben Million Flüchtlingen (Schulen, Gesundheitsversorgung, Sozialhilfe, Abwasserentsorgung, Kläranlagen und Trinkwasserversorgung) … allein im Gazastreifen hat UNWRA ein Budget von 84 Mio. Dollar (zum Vergleich: Arafat selbst hat einen Haushalt von 629 Mio. Dollar). (NZZ 17.7.96)

[4] Über den Stand der Projekte liest man: Von den sieben geplanten Industrieparks zur Beschäftigung palästinensischer Arbeitnehmer soll laut Absprache zwischen Weltbank und Israels Industrieminister einer jetzt entstehen – bis Oktober soll eine Machbarkeitsstudie erstellt werden. In der Schublade gelandet sind: der Ausbau des Hafens von Gaza, die Verbindungsstraße zwischen Westbank und Gaza. Ein kleiner Flugplatz in Raffah kommt nicht voran. Zukunftsträume sind: ein neues Kraftwerk, eine nationale Telefongesellschaft, die Modernisierung des Transportwesens. Nicht weiter betrieben werden: vereinbarte grenzüberschreitende Entwicklungsprojekte, z.B. zwei Staudämme und Umleitungsstrukturen in der Jordansenke, der Bau eines Kanals vom Roten zum Toten Meer, der gemeinsame Flughafen für Akaba und Eilat. (vgl. HB 16.8.96)

[5] Ein palästinenserfreundlicher NZZ-Korrespondent bezichtigt Arafat, mit starken Sprüchen seine Anhängerschaft beeindrucken zu wollen, obwohl der PLO-Chef selbst am besten wisse, wie wenig er praktisch für die palästinensische Sache tun kann: Er zählte (bei der Vorlage seines Regierungsprogramms) die alten nahezu unerreichbaren Ziele auf – Staat Palästina mit al-Kuds als Hauptstadt, Recht aller Palästinaflüchtlinge auf Heimkehr –, ohne sich über Mittel und Wege, sie zu erreichen, auszulassen. Dann erklärte er sämtliche Siedlungen in den besetzten Gebieten für null und nichtig… Die Israeli fassen solche Reden in der palästinensischen Volksvertretung wohl als Akt kollektiver Selbsttäuschung auf. (NZZ 2.7.96)

[6] Arafat übte in der Debatte über seine Regierungserklärung … verschämte Selbstkritik, indem er die Regierung beauftragte, die Personalpolitik der Autonomiebehörde zu überprüfen und den Apparat von Vetternwirtschaft zu reinigen. Ein Deputierter hatte beispielsweise hervorgehoben, daß im Gesundheitsministerium nicht weniger als 35 Generaldirektoren angestellt seien. Gemäß Arafat soll die Legislative auch die kollektiven und individuellen Menschenrechte kodifizieren, um jeglichem weiteren Verstoß der Ordnungskräfte vorzubauen. Der mehrfach geäußerten Besorgnis im Rat über die Apparate der Geheimpolizei trug Arafat insofern Rechnung, als er Aufträge zur Wachstumsbegrenzung dieser Kräfte sowie zur Abgrenzung gegen und zur Koordination untereinander erteilte… Vorwurf gegen Arafat, er verstoße mit dem Aufbau eines undurchsichtigen Behördenapparates gegen das deklarierte Nationalziel, Aufbau eines Staates. Ein Staat verlange Institutionen mit klarer Grundlage und die Herrschaft des Gesetzes. Die jetzigen Apparate dienten nur dem Niederhalten des Volkes und dem Erhalt der Unmündigkeit. (NZZ 2.7.96)

[7] Einem glühenden Anhänger der althergebrachten Staatsideologie fiel der Protagonist des Kurswechsels schließlich zum Opfer, und die Nation ist heute noch geteilter Meinung darüber, ob die Tat ein Verbrechen oder ein Segen war. Zum Gedenken an Rabins Ermordung vor einem Jahr kamen 150.000 Menschen zur Kundgebung, weinten und sangen Friedenslieder, gleichzeitig konnte man in der seriösen Presse Kommentare wie diesen lesen: Er verhöhnte die jüdische Geschichte, indem er nur Teile unserer Heimat als einzig wirkliches Besitztum und die Bibel als ‚überholtes Landregister‘ ansah. Er diffamierte die jüdische Judäa/Samaria-Heimholbewegung, indem er sagte, sie suche den Frieden zu verhindern, und brandmarkte die in die Heimat zurückkehrenden Juden, indem er sie ‚Parasiten‘ nannte. Dann zitiert der Schreiber eine jüdische Washington Post-Kommentatorin: Während Gründungsvater David Ben-Gurion der Architekt von Israels Geburt war, war Rabin der Urheber seiner Reife als Nation um sie zu korrigieren: Eher – vielleicht ohne es zu wollen – ein Urheber unserer fortschreitenden Rückbildung. (JPIE 2.11.96)

[8] Vgl. hierzu: ‚Anti-Terrorismus‘-Gipfel und die israelische Militäroperation ‚Früchte des Zorns‘ – Zwei Offensiven zur Schaffung eines ‚Neuen Nahen Osten‘ in GegenStandpunkt 1/2-96, S.28.

[9] Netanjahu sieht den Unterschied zwischen Likud und Arbeitspartei so: Wir geben niemals unseren Glauben an unser Grundrecht auf dieses Land auf. Das ist unser Land, und es gibt eine nicht-jüdische Minderheit, die in Frieden und bürgerlicher Gleichheit leben muß. Wir glauben, daß es unser Land ist, genauso wie Frankreich das Land der Franzosen ist, obwohl es dort auch nicht-französische Minderheiten gibt… Die Differenz zwischen uns und der Arbeitspartei ist, daß viele in der Arbeitspartei dieser Überzeugung nicht sind. Sie denken, wir hätten das Land von anderen Leuten gestohlen und seien hier auf Kosten heimatloser Flüchtlinge, denen wir etwas geben müßten. (JPIE 25.5.96)

[10] Die Zeiten sind vorbei, in denen sich Juden wegen oder trotz der Diskriminierung, denen sie staatlicherseits ausgesetzt waren, um revolutionäre Projekte – wie Klassenkampf – verdient gemacht haben; also noch die Einsicht vorhanden war, daß auf die „Judenfrage“ nicht alternativer Nationalismus, sondern Sozialismus die Antwort ist.

[11] Das heißt aber nicht, daß in besseren Verhältnissen lebende Juden nicht auch Agitationsobjekte sind. Staatspräsident Weizmann versuchte erst kürzlich bei seinem Besuch in Deutschland, die hiesigen Juden moralisch unter Druck zu setzen: Er verstehe nicht, wie man als Jude in einem Land leben könne, das soviel Leid über das jüdische Volk gebracht habe. Dabei wollte er keine Kritik an Kohls Staatswesen üben, sondern einmal mehr daran erinnern, daß es – im Sinne seines Staatsprogramms – unanständig ist, als Jude nicht Israeli zu sein.

[12] Laut Süddeutsche Zeitung soll Netanjahu das Angebot gemacht haben: Die Palästinenser in Israel könnten einen Status wie Puertoricaner in den USA bekommen. (SZ 12.11.96)

[13] Die Reaktion innerhalb seiner eigenen Partei war recht dramatisch. Auf einer Sitzung des Likud-Zentralkomitees wurde Netanjahu heftig kritisiert: Ein Siedlerführer: ‚Netanjahu traf den Massenmörder und enttäuschte seine Wähler‘. Landau: ‚Die Araber werden sich nun daran gewöhnen, daß sie mit fortgesetzten Verhandlungen auch Konzessionen aus uns heraus bekommen.‘ Begin: das Treffen habe den Richtlinien der Regierung widersprochen. ‚Wir haben eine kräftige Niederlage erlitten. Es ist zweifelhaft, ob wir da herauskommen.‘ Netanjahu versicherte freilich: Nie werde ein palästinensischer Staat zwischen dem Mittelmeer und dem Jordanfluß entstehen, nie werde Jerusalem wieder geteilt und jüdischen Siedlungen stehe eine florierende Zukunft bevor… Er habe keinerlei Druck von außen nachgegeben und sei weder von seinen Wahlkampfversprechen noch von den Regierungsrichtlinien abgewichen. Seine Kritiker innerhalb des Kabinetts stellte er vor die Alternative, selbst Konsequenzen zu ziehen oder entlassen zu werden. (FAZ 6.9.96)

[14] Für den Schutz der heiligen islamischen Stätten fühlen sich arabische Staatsführer zuständig. Europäische Nationen besitzen Schutzrechte für christliche Objekte in der Altstadt. Die Europäer sprechen zudem Israel explizit das Recht ab, Jerusalem als ungeteilte Hauptstadt zu vereinnahmen, weswegen es z.B. auch den EU-Beschluß gibt, bei politischen Besuchen in der Stadt das „Orient-Haus“ – das inoffizielle Außenministerium der PLO – zu besuchen. Jerusalem ist hinsichtlich seines internationalen Rechtsstatus, soweit er sich aus UNO-Resolutionen und den von Israel unterschriebenen Vereinbarungen ergibt, ein besonders gut geeignetes Objekt für Einmischungsversuche aller Staaten, die beim Ordnungsstiften im Nahen Osten mitreden wollen. Dies hofft Arafat für seine Interessen ausnützen zu können.

[15] Eine ganze Weile nach den Unruhen und Israels Demonstration seiner Unnachgiebigkeit fand sich die israelische Regierung bereit, ein Zeichen zu setzen, daß sie durchaus – ohne Druck – bereit sei, Wünsche der anderen Seite zu berücksichtigen: den Muslimen genehmigte sie die Nutzung der „Ställe Salomons“ als Gebetsstätte. Frühere Absprachen mit der arabischen Seite hatten dies als Gegenleistung für die Zustimmung zur Tunnelöffnung vorgesehen.

[16] Neben der Heuchelei mit der Sicherheit der Siedler kommt Netanjahu diesmal Arafat und der Weltöffentlichkeit mit jüdischer Tradition: „Wir streben nach Modifikationen, die die jüdische Gemeinde – die älteste jüdische Gemeinde der Welt – relativ normal leben läßt, unter größerem Schutz und in größerer Sicherheit.“ (JPIE 28.9.96) Arafats Konter – Wenn es nur um das Leben der Siedler gehe und wenn Israel kein Vertrauen in die palästinensische Polizei habe, solle man internationale Streitkräfte mit einer starken amerikanischen Beteiligung zur Kontrolle der Stadt herbeirufen. (FAZ 16.10.96) – zog: Weder die Israelis noch die Amerikaner wollten auf dieses Angebot eingehen.

[17] Das zweite (Problem) bezieht sich auf die zivile Zone in Hebron. Im H 2 – gemäß der Vereinbarung – sind wir bereits verantwortlich für die jüdischen Wohnungen und zuständig für alles jüdische Eigentum. Wir wollen jedoch, daß alle Veränderungen, die die städtischen Behörden in H 2 vornehmen, in Kooperation mit uns gemacht werden. Wir wollen keine Lage, in der eine Straße gepflastert, eine Wasserleitung verlegt oder nebenan von irgend jemandem (gemeint: einem Juden) ein Haus gebaut wird, was dann plötzlich zu Provokation und Gewalt führt. (Verteidigungsminister Mordechai, JPIE 19.10.96)

[18] Über ein allgemein gespanntes Verhältnis der Likud-Politiker zum Militär berichtet die israelische Presse: Der Vorsitzende des Sicherheitskomitees der Knesset, Landau: Die Befehlshaber der Armee seien ‚linksverseucht und verblendet von der gefährlichen Politik der letzten Regierung‘. Netanjahu wird das mildere Zitat zugeschrieben, die Generale wollten sich nicht eingestehen, ‚daß die Brücken (des Friedens), die sie gesehen haben, in Wirklichkeit ein dünner Faden waren, der zu der Gewalt (der Palästinenser) führen mußte‘. Sie hätten sich jetzt der Politik der neuen Regierung anzupassen. (FAZ 17.10.)

[19] Mubarak: „Netanjahu erwies sich schon in Kairo im Juli als Schönredner, aber praktisch eingehalten hat er überhaupt nichts.“ (NZZ 4.10.) Sein Schluß daraus: Er kündigte öffentlich an, sich fortan zu weigern, Netanjahu zu treffen, solange der nicht Zeichen des Einlenkens in der Palästinenserfrage und Hebron gesetzt habe. Die Kairoer Wirtschaftskonferenz wurde deswegen auf die Ebene der Außenminister herabgestuft.

[20] Netanjahu vertritt nämlich den Standpunkt: Sie (die Leute von der Arbeitspartei) denken, Assads erste Priorität sei der Golan. Ich glaube, es ist das Überleben seines Regimes. Der Golan rangiert auf der Prioritätenliste weiter hinten, hinter Libanon und dem Erreichen der Legitimität durch die westliche Welt. (JPIE 25.5.96)

[21] Dabei geht es auch schon einmal um Klarstellungen an die Adresse der Waffenstillstandskommission. Nach der Militäraktion „Früchte des Zorns“ hatte Frankreich es geschafft, sich als Schutzmacht des Libanon und Wahrer syrischer Interessen in die Waffenstillstandsverhandlungen zwischen Israel auf der einen und Hizbullah, Libanon und Syrien auf der anderen Seite als Vermittler einzumischen und sich neben den USA einen Sitz in der Überwachungskommission zu verschaffen. Unter anderem entscheidet diese Kommission, ob Israel durch Angriffe auf zivile Ziele die Vereinbarungen verletzt. Den Israelis war diese Aufwertung Frankreichs in der Libanonfrage von vornherein ein Dorn im Auge. Vor dem ersten Treffen der Waffenstillstandskommission setzte Israels Militär darum ein Zeichen, wie wenig Respekt es vor diesem Gremium hat. Wenige Stunden vor dem Zusammentreten der Kommission beschießt die israelische Luftwaffe Hizbullah-Stellungen; sie trifft nebenbei einen Sender und Treibstofftanks, wodurch ein Großbrand ausgelöst wird – von wegen „Schutz ziviler Ziele“. Netanjahu war sich sicher, daß die USA eine Verurteilung Israels verhindern würden.

[22] Gestützt auf die Zusagen der Regierung, dieses Gebiet bleibe unter israelischer Herrschaft, wächst die Warteliste von Tag zu Tag. Zu verlockend ist der von der öffentlichen Hand subventionierte Wohnungspreis, zuzüglich einer Gartenanlage und einer großzügigen Hypothek von umgerechnet 80.000 DM. (HB 14.8.96)

[23] Es hieß, das Unternehmen habe bislang 1,5 Mio. Mark für geologische Arbeiten aufgewendet. ‚Hanal‘ hofft darauf, auf dem Golan zwei Mio. Barrel Öl jährlich fördern zu können und damit einen Gewinn von 36 Mio. Mark zu erzielen. (FAZ 26.10.96)

[24] Handels- und Industrieminister Scharansky fordert öffentlich, das Volk seelisch auf den Krieg mit Syrien vorzubereiten: Es hat keinen Sinn, dauernd zu sagen, daß die syrischen Drohungen nicht ernst gemeint sind. (FAZ 4.11.)

[25] Nach seinem letzten erzwungenen Händedruck mit Arafat in Washington anläßlich der Unruhen nach der Tunnelöffnung ließ sich Israels neuer Premier bei seiner Rückkehr nach Israel wegen seiner Unnachgiebigkeit mit großem Gepränge von den Massen als Sieger feiern.

[26] Von einer speziell deutschen Tour, sich als Vermittler im Nahen Osten ins Spiel zu bringen handelt der Artikel „Schmidbauer vermittelt zwischen Hizbullah und Israel – Die Bedeutung ‚humanitärer Aktionen‘ in der Diplomatie“ in GegenStandpunkt 3-96, S.107.

[27] Bei dem christlichen Sankt Anna-Kloster, das seit Mitte des 19. Jahrhunderts unter französischem Schutz steht, nahm Chirac die Gelegenheit wahr, auf die Rechte Frankreichs in Jerusalem aufmerksam zu machen: „Ich habe nicht die Absicht einzutreten, so lange sich dort Bewaffnete (Israelis) auf französischem Gebiet befinden.“