„Anti-Terrorismus“-Gipfel und die israelische Militäroperation „Früchte des Zorns“
Zwei Offensiven zur Schaffung eines „Neuen Nahen Osten“

Der Antiterrorismus-Gipfel in Scharm el-Scheich ist ein amerikanischer Vorstoß, um den arabischen Widerstand gegen Israel zu brechen und diese Staaten zum Kampf gegen Israels Feinde aufzufordern. Das wollen auch die konkurrierenden Weltordner der EU. Israel ist mit den Erfolgen unzufrieden und sorgt selbst für seine militärische Durchsetzung.

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„Anti-Terrorismus“-Gipfel und die israelische Militäroperation „Früchte des Zorns“
Zwei Offensiven zur Schaffung eines „Neuen Nahen Osten“

Die Absichten der Vereinigten Staaten und Israels zur Beförderung des Friedensprozesses bzw. zur Schaffung eines „Neuen Mittleren Osten“ (Peres-Wahlkampfslogan) bedurften wieder einmal – neben viel Diplomatie – energischer Kriegshandlungen. Sechzehn Tage lang bombardierte die israelische Armee Ziele im Libanon, erstmals seit 1982 beschossen Kampfhubschrauber wieder Beirut. Die Amerikaner haben den Judenstaat dabei tatkräftig unterstützt und ihn vor jeglicher Kritik entschieden in Schutz genommen.[1] Wie ist es dazu gekommen, nachdem einen Monat zuvor noch die Welt die „Fortschritte des Friedensprozesses im Nahen Osten“ bewundern konnte?

Der „Gipfel der Friedensmacher“ in Scharm el-Scheich

Am 13.3.96 verkündete Clinton bei der Eröffnungsansprache zum Anti-Terrorismus-Gipfel[2]:

„Aus der ganzen Welt sind wir zur Sinaihalbinsel gekommen, um eine einfache, einheitliche Botschaft zu verkünden: Der Frieden wird obsiegen. Dieses Gipfeltreffen ist einzigartig in der Geschichte des Nahen Osten… Es steht als Beweis und Versprechen, daß diese Region für immer verändert ist… Schritt für Schritt haben sie (Araber und Israelis) mutig mit der Vergangenheit gebrochen, die Waffen des Krieges niedergelegt und einander die Hände gereicht. Aber mit jedem Meilenstein auf dem Weg zu Frieden und Fortschritt wurden die Feinde des Friedens rücksichtsloser und grausamer. Sie wissen, daß sie auf dem Markt der Ideen nicht konkurrieren können, sie wissen, daß sie nichts anzubieten haben außer Leid und Verzweiflung.“ (Amerika Dienst (AD), 20.3.96)

Clintons Rede von den großartigen Fortschritten des Friedens im Nahen Osten und der Versöhnung zwischen Arabern und Juden ist nicht einfach Ausdruck von Zufriedenheit über die Ergebnisse der amerikanischen Nahostpolitik der vergangenen Jahre. Nicht zu übersehen ist die Kampfansage an all jene Kräfte, die sich dem amerikanischen Friedensprogramm weiterhin widersetzen. Für den Promotor von „Frieden und Fortschritt“ haben diese sich moralisch völlig diskreditiert, sind vom Gang der Geschichte längst überholt, verzweifelt, aber darum um so gefährlicher. Der US-Präsident greift zu dieser Rhetorik, um klarzustellen, wie entschieden er ist, sein Programm für diese Weltgegend voranzubringen, und will damit Druck auf die versammelten Führer der anderen Nationen ausüben, sich in eine Front gegen die letzten Störenfriede der Nahostordnung, wie sie von den USA angestrebt wird, einzureihen.

Der Verlauf des Gipfels machte deutlich, wie es um die Einigkeit, die hier nach dem Willen Clintons hergestellt werden sollte, steht: Zwei Staaten – Syrien und Libanon –, blieben der Einladung fern,[3] dabei wollten die USA und Israel gerade von ihnen eine Revision ihrer bisherigen „Verweigerungshaltung“. Die anderen arabischen Staatsmänner nahmen an der Konferenz zwar teil, um sich nicht den Vorwurf antiisraelischer bzw. -amerikanischer Absichten einzuhandeln, waren vornehmlich aber darum bemüht, allzu klare Festlegungen auf die amerikanischen und israelischen Anträge an sie abzuwenden. Die europäischen Regierungschefs und Jelzin nahmen schließlich das Treffen zum Anlaß zu zeigen, daß sie sich in dieser Weltgegend mitzuständig fühlen. Bei aller zur Schau gestellten Solidaritätsbekundung mit Israel versuchte also jede Nation, so gut es ging, auf die Stoßrichtung des Treffens im Sinne der eigenen nationalen Interessen Einfluß zu nehmen:

Ägypten setzte einen neuen Namen der Konferenz durch: „Gipfel der Friedensmacher“, um – wie es in der Presse hieß – „die arabische Welt nicht zu spalten“. Arabische und europäische Regierungschefs sorgten dafür, daß in der offiziellen Abschlußerklärung kein Land als Terrorstaat gebrandmarkt wurde; stattdessen wurde nur allgemein Solidarität mit der vom Terror heimgesuchten israelischen Bevölkerung ausgedrückt, und Arafat und Peres wurden darin „bestärkt, den bedrohten Friedensprozeß fortzusetzen“. Die Teilnehmer erklärten, im Kampf gegen den Terror kooperieren zu wollen, zu verhindern, daß ihre Länder als Basen des Terrors mißbraucht werden, und versprachen, sich gegenseitig über die Aktivitäten der verdächtigen Gruppen und ihre finanzielle Unterstützung zu informieren. Schließlich richteten sie eine Arbeitsgruppe ein, die Empfehlungen zum Kampf gegen den Terror erarbeiten und den Teilnehmern in 30 Tagen einen ersten Bericht abgeben soll.

Die Abschluß-Statements der einzelnen Staatschefs brachten die Gegensätze zwischen den Teilnehmern der Konferenz dann wieder auf den Tisch:

  • Peres vereinnahmte den Gipfel als ein Treffen der Solidarität für Israel und seinen Kampf gegen die Gewalt.
  • Arafat erinnerte daran, daß es auf allen Seiten Terroristen gebe, auch jüdische Extremisten – z.B. das Attentat Baruch Goldsteins in Hebron –, und prangerte die Abriegelung der Autonomen Gebiete als „kollektive Strafmaßnahmen“ an, die nur Ausgangspunkt für neuen Terror seien.
  • Clinton zeigte sich enttäuscht, daß der Iran nicht von allen als „Hauptquelle des Terrors“ angesehen werde: „Wie oft sollen wir denn den Europäern die Fakten noch zeigen?“
  • Deutschland ging auf die Vorwürfe, daß es an dem „kritischen Dialog“ mit dem Iran festhalten will, nicht ein, erklärte aber sein Interesse an einem gemeinsamen Bürgen für den Erfolg des Friedensprozesses.
  • Frankreich wies darauf hin, daß es die Abriegelung der Palästinensergebiete für kontraproduktiv hinsichtlich der notwendigen Aussöhnung Israels mit den Arabern halte.
  • Rußland und einige arabische Staaten schlossen sich der Forderung Syriens nach einer neuen Nahost-Konferenz an.

Dennoch war das Gerede von der Einigkeit in der Solidarität mit den Opfern und der Verurteilung von Terror überhaupt, vom gemeinsamen Bemühen aller Teilnehmerstaaten um eine Fortführung der Versöhnung ehemals verfeindeter Völker und das Bekenntnis zum Fortgang des Friedensprozesses im Nahen Osten nicht umsonst. Diese Sprachregelungen geben nämlich den diplomatischen Schein ab, der es den versammelten Staatshäuptern erlaubt, die gegensätzlichen nationalen Interessen zu verfolgen, ohne sie gleich als offene Feindseligkeit dem Konkurrenten anzutragen.

Diese von der Diplomatie gefundenen Titel politischer Zielsetzungen präsentieren die öffentlichen Medien ihrem Publikum als den eigentlichen Zweck solcher Veranstaltungen wie der Konferenz in Scharm el-Scheich. Die nicht zu übersehenden Differenzen zwischen den Standpunkten kommen dann höchstens noch als Beleg dafür vor, wie schwierig dieser – von allen eigentlich doch gewollte – Prozeß sei. Kritischen Kommentatoren fällt auch schon einmal ein, den Akteuren vorzuhalten, insgesamt oder teilweise nähmen sie die eigentliche Aufgabe ihrer Außenpolitik, die doch gerade so schön auf die Tagesordnung gesetzt war, nicht ernst genug.

Die Wahrheit davon, worum es auf der „Konferenz der Friedensmacher“ ging und was sie gebracht hat, ist das nicht.

„Antiterrorismus“ – der amerikanische Vorstoß zur Schaffung neuer Fronten im Nahen Osten

Anlaß des Treffens war der Terror der vier Attentate von Hamas und Dschihad in Israel.[4] Auf Attentate hin einen Weltgipfel einzuberufen, der mit der betroffenen Nation sich solidarisch erklärt, ist allerdings wirklich „einzigartig“, wie Clinton es treffend formulierte. Die Initiative der Amerikaner zu weltöffentlich demonstrierter Trauer um 60 tote Israelis und der gemeinsame Aufruf zur Ächtung von Terror als Mittel der Politik verdankt sich nicht humanistischen Anwandlungen ihres Präsidenten; das wußten auch alle Beteiligten. Die USA haben ein Ordnungsbedürfnis gegenüber den Staaten im Nahen Osten und wollten von den geladenen Staatslenkern das Bekenntnis, daß sie sich dem nicht verschließen. Ihr Programm nennen sie „Friedensprozeß im Nahen Osten“, dabei ist sein Zweck weder Vermeidung von Krieg noch Beseitigung von Kriegsgründen. Für den von Amerika anvisierten Frieden hat Israel schließlich schon eine Reihe Kriege führen dürfen, stand die Operation „Wüstensturm“ und machte Clinton seine oben zitierten unmißverständlichen Drohungen; offensichtlich wurde auch die auf die Konferenz folgende Bombardierung des Libanon nicht als sein Scheitern angesehen. Die Vereinigten Staaten wollen mit ihrer Diplomatie, ihren Waffenlieferungen, ihrem Militäreinsatz und den Boykotts, die sie gegen bestimmte Länder durchsetzen, eine politische Ausrichtung der Staaten erzwingen, die ihnen paßt, und ein Kräfteverhältnis zwischen ihnen erreichen, das ihre strategischen Interessen in dieser Weltgegend befriedigt. Die Antiterrorismus-Konferenz war als „Meilenstein“ im Rahmen dieses Unterordnungsprogramms gedacht.

Amerika forderte von den versammelten Häuptern, sich seiner Feindschaftserklärung gegen alle die Staaten (und politischen Gruppierungen) vor Ort anzuschließen, die sich Amerikas Aufsichtsanspruch über diese Region prinzipiell widersetzen und der von den USA Israel dabei zugedachten Sonderrolle ihre explizite Gegnerschaft, wenn nicht gar die Bestreitung von Israels Existenzrecht, entgegensetzen.

Dieser Standpunkt, auf den Clinton die arabischen und europäischen Staaten einschwören wollte, wurde erst kürzlich wieder unmißverständlich programmatisch formuliert:

Das State Department veröffentlichte die aktuelle „schwarze Liste“ der „staatlichen Sponsoren des Terrorismus“, auf der – neben Kuba und Nordkorea – Iran, Irak, Libyen, Syrien und Sudan vermerkt sind, wobei bei Syrien festgehalten ist, daß es seit 1986 keine Beweise für eine direkte Verwicklung in Planung und Ausführung von Anschlägen gebe. Das Land gewähre jedoch unverändert Terroristen Unterschlupf. (FAZ 2.5.96)

Und zu Israels Rolle im amerikanischen Konzept:

„Israels militärischer Vorsprung heute ist größer denn je. Dies ist großenteils auf die mehr als 20 Jahre andauernde enge Sicherheitszusammenarbeit zwischen den Vereinigten Staaten und Israel zurückzuführen sowie auf den Wert, den führende israelische Politiker … auf Verteidigung gelegt haben.

Wir dürfen nicht die Realität aus den Augen verlieren, daß der Nahe Osten nur aufgrund der Stärke Israels sowie der Stärke der amerikanisch-israelischen Sicherheitspartnerschaft die Aussicht auf einen umfassenden Frieden hat – den umfassenden Frieden, den wir uns 1977 alle vorstellten. Tatsächlich werden Israels Sicherheitsbedürfnisse immer größer, je mehr wir uns dem Frieden annähern. Dieses Paradoxon rührt von der Tatsache her, daß die Feinde des Friedens immer verzweifelter werden, je mehr wir uns dem Frieden annähern. Sie wissen, daß ihre Zeit abläuft.“ (US-Verteidigungsminister Perry, AD 2.5.96)

Der moralische Titel für die angetragene Unterordnung unter dieses amerikanische Weltordnungsinteresse hieß „Bekämpfung des Terrors“ gegen Israel. Mit dem Begriff „Terror“[5] war klargestellt, was mit den so Beschuldigten zu passieren hat: der Ausschluß jeder „normalen“ Beziehung zu ihnen, ihre politische Quarantäne. Die Prüfungsfragen, die damit an die Gipfelteilnehmer gestellt waren, lauteten:1.) Wie weit seid Ihr bereit, Euch an der praktischen Erledigung von Hamas und Dschihad zu beteiligen? 2.) Wie weit laßt ihr Euch auf die Verurteilung der „staatlichen Sponsoren des Terrors“, insbesondere des Iran ein, die das State Departement gemäß seinem Ordnungsanspruch als solche definiert hat?

Von den anwesenden arabischen Politikern wurde dabei nicht weniger als das Bekenntnis zu einer Kehrtwende gegenüber einer von ihnen bisher mehr oder weniger intensiv betriebenen Politik gefordert. Nämlich:

  • Der Sache nach sind Hamas und Dschihad Feinde des amerikanischen Friedenskonzepts, aber nicht deswegen, weil sie nur „auf Leid und Verzweiflung“ anderer Leute scharf sind. Sie haben – nicht zuletzt von Seiten der Israelis – am eigenen Leib erfahren, daß Politik nicht ein „Markt von Ideen“ ist, sondern eine Frage der Gewalt. Und sie haben ein Ziel, das noch nicht einmal anders ist als das ihrer Feinde – der Zionisten; nur haben die das auf ihre Kosten längst erreicht: die Errichtung eines eigenen souveränen Staates. Wegen des Fehlens nennenswerter eigener Machtmittel und des fehlenden Interesses bzw. der Feindschaft der entscheidenden Weltordnungsmächte bedienen sie sich ohnmächtiger Gewaltakte. Mit ihrer Verurteilung als Terroristen wollte Amerika also die versammelten Mächte dazu anhalten, die politischen Interessen dieser Gruppierungen für nichtig, ihre Aktionen für Unrecht zu erklären.
  • Daß diese Gruppierungen nur mit Unterstützung von Staaten operieren können, die ihnen Waffen, militärische Ausbildung, Finanzmittel etc., zumindest aber Unterschlupf, Duldung ihrer Kommandozentralen und Kontaktzentren und Benutzung ihrer Transportwege gewähren, ist klar; schließlich verfügen sie weder über ein Territorium, von dem aus sie sicher agieren können, noch über ökonomische Quellen, die ihnen die Mittel für Waffen und Lebensunterhalt ihrer Akteure hervorbringen. Früher war es für fast alle arabischen Staaten selbstverständlich, sich zur Unterstützung dieser Kämpfer gegen Israel zu bekennen. Dabei verfolgten sie eine bei Staaten nicht unübliche Linie, die eigenen Interessen gegen einen Staat, dessen Machtansprüche einem zu weit gehen, dadurch zu verfolgen, daß man dessen Feinde fördert und sie somit zu nützlichen Idioten eigener Berechnungen macht. Israelische Militäraktionen und amerikanischer Druck haben den meisten arabischen Nationen mittlerweile die offene Feindschaft gegen den Judenstaat ausgetrieben. Die Austragung ihres Gegensatzes haben sie allenfalls auf die Taktik von Nadelstichen gegen Israel reduziert, indem sie heimlich Gelder oder sonstige Unterstützung militanten palästinensischen oder islamischen Gruppen zukommen lassen oder noch deren Hauptquartiere auf eigenem Territorium dulden.

    Diesen Nationen verlangen die USA nun ab, sich öffentlich von der Unterstützung der Terroristen zu distanzieren und sie praktisch abzustellen. Sie sollen damit einen Rechtstitel – Förderung dieser Gruppen ist ein Verbrechen – unterschreiben, an dem sie sich künftig auch selbst messen lassen müssen. Die arabischen Staaten sollen sich hochoffiziell ab sofort mit Israels erreichter Position im Nahen Osten abfinden und Amerika als Vermittler anrufen, wenn sie mit diesem Staatswesen nicht klar kommen. Die USA fordern damit den offiziellen Bruch mit dem „Panarabismus“, der „arabischen Solidarität“ gegen den Zionismus; was auch die Zumutung impliziert, ein Stück Legitimation gegenüber der eigenen Bevölkerung aufzugeben.

  • Mit den Staaten, die nach wie vor aus ihrer Feindschaft gegen Israel und ihrem Unwillen, sich den amerikanischen Ordnungsvorstellungen zu unterwerfen, keinen Hehl machen, sollen die „gemäßigten“ arabischen Staaten endgültig brechen. Dabei haben diese nicht nur mit jenen ein paar Wirtschaftsbeziehungen, sondern sehen in ihnen – bei aller Konkurrenz, die es zwischen ihnen gibt – potentielle Verbündete in der Frage, Israels Machtansprüche einzudämmen. Die „staatlichen Sponsoren des Terrors“ will Clinton isoliert und geächtet haben. Die Solidarität mit ihrer Politik der Repression aufmüpfiger Bestrebungen, die die USA im Golfkrieg von arabischer Seite erfuhr, klagen sie jetzt für eine Quarantäne des Iran ein. Sie erwarten einen kollektiven Boykott dieses letzten, noch nicht von der Staatengemeinschaft offiziell auf die Abschußliste gesetzten antiamerikanischen und antiisraelischen Vorpostens im Nahen Osten.

Der Gipfel von Scharm el-Scheich sollte also – nach dem Willen Clintons – die Ergebnisse des bisherigen „Friedensprozesses im Nahen Osten“ festklopfen und zugleich Auftakt für eine weitere Einbindung der „gemäßigten“ arabischen Staatslenker in diese Konzeption sein. Immerhin war es in der jüngeren Vergangenheit gelungen, die Mehrheit der arabischen Staaten dazu zu bekommen, „normale Beziehungen“ zu Israel herzustellen – sei es auch mehr oder weniger notgedrungen: Verschiedene militärische Anstrengungen gegen Israel haben den Arabern nur Niederlagen eingebracht; und Amerikas Drohungen mit negativen Folgen für sie, falls sie von ihrer Israel-feindlichen Politik nicht Abstand nähmen, sind um so überzeugender, als ihren früheren Kalkulationen mit dem Ost/West-Gegensatz der Boden entzogen ist. Ägypten und Jordanien haben bereits einen formellen Friedensvertrag mit Israel geschlossen. Inzwischen hat die arabische Liga offiziell den Wirtschaftsboykott gegen Israel für beendet erklärt, und einige Scheichtümer sowie Tunesien und Marokko verhandeln mit Israel über Wirtschaftsbeziehungen. Jordanien, das unter den Strafmaßnahmen für seine Unterstützung des Irak im Golfkrieg schwer zu leiden hatte, führt sich jetzt als Musterexemplar eines Helfershelfers im Antiterrorkampf der USA auf – u.a. stellt es den Amerikanern Luftbasen zur Überwachung des Irak zur Verfügung.

Das heißt aber nicht, daß diese Staaten sich allesamt vorbehaltslos den strategischen Interessen Amerikas oder auch Israels einfach unterordnen wollen:

Ägypten beschwert sich bei jeder Gelegenheit darüber, daß die USA den Israelis den Besitz von Atom- und anderen Massenvernichtungswaffen durchgehen lassen, während sie peinlich darauf achten, daß Israels Konkurrenten und Gegner in Nahost sich nicht allzusehr aufrüsten können. Darum weigerte es sich auch, der jüngsten US-Kampagne gegen Libyen wegen des angeblichen Baus einer neuen Giftgasfabrik seine Unterstützung zuzusichern. Die vorgelegten Beweise lehnte es als nicht überzeugend ab; verband die Zurückweisung ausdrücklich mit dem Hinweis auf die unterschiedlichen Maßstäbe, die die USA gegenüber Israel und den arabischen Staaten anlegen; betonte aber, in Angelegenheiten, die Libyen betreffen, auch von den USA nicht übergangen werden zu wollen. Schließlich möchte es seine Streitigkeiten oder Arrangements mit dem Nachbarstaat selbst kalkulieren – Entsprechendes gilt gegenüber dem Sudan.

Jordanien wehrt sich ständig dagegen, von Israel in die Rolle gedrängt zu werden, auf Arafat und seine Palästinenser aufzupassen, und dabei dann wieder israelischer Oberaufsicht unterstellt zu werden. Schließlich hat es genug eigene Sorgen – u.a. mit den Palästinensern im eigenen Land.

Selbst einem Arafat, der ganz auf den Anspruch Israels eingegangen ist, Hamas und Dschihad zu bekämpfen, dessen Polizei inzwischen genauso rigoros radikale Palästinenser verhaftet wie die Sicherheitskräfte Israels selbst, liegt nichts daran, den Judenstaat so ins Recht zu setzen, wie die USA es möchten. Führt Peres ihm doch ständig vor, wie bedingt er sich an die Verträge über die palästinensische Autonomie hält;[6] daß er bloß wegen Israels Sicherheitsinteressen die Separation und Selbstverwaltung der Palästinenser duldet; daß er die wirtschaftliche Trennung will – weswegen er als Ersatz für palästinensische Arbeitskräfte bereits an die 200000 Gastarbeiter aus Thailand, China, Rumänien, Bulgarien, Polen und der Türkei nach Israel importiert hat – und damit dem Gros der Palästinenser die bisherige Einkommensquelle entzieht; daß er die Abriegelung der Gebiete – mit all den wirtschaftlichen Schädigungen, die diese für die Palästinenser impliziert – solange aufrechterhält, wie es ihm opportun erscheint; daß er in territorialen Fragen – Aufgabe von Siedlungen, Teilung von Jerusalem – völlig unerbittlich ist.[7]

Von daher war für die arabischen Politiker der amerikanische Antrag auf verstärkte Mitarbeit bei der pax americana für den Nahen Osten – inclusive bedingungsloser Respekt vor Israels Sicherheitsbedürfnissen – und die Einordnung in ein neues Freund/Feind-Schema, „Terroristenbekämpfer versus Terrorstaaten“, eine gehörige Zumutung. Daß diese sich widerstrebend in gewissem Maße auf den amerikanisch-israelischen Antrag eingelassen haben, wirft ein Licht auf das derzeit existierende Kräfteverhältnis im Nahen Osten. Die auf dem Gipfel angetretenen arabischen Länder wollten nicht Gefahr laufen, als „staatliche Terror-Sponsoren“ ökonomisch und politisch isoliert und von Amerika und Israel ständig bedroht zu werden. Eine Schutzmacht für ihre Interessen war schließlich auch nicht zu erkennen, nachdem Rußland keine Anstalten zeigt – und auch gar nicht in der Lage ist –, die Rolle der damaligen SU als echte Weltmacht Nr. 2 zu übernehmen. Die EU-Staaten boten sich nicht an, wurden als Teilnehmer der Konferenz von den USA vielmehr selbst vor die Frage gestellt, ob und wie weit sie bereit sind, sich der amerikanischen Ordnungspolitik für den Nahen Osten unterzuordnen, und haben die Konfrontation zu vermeiden gesucht.

Kalküle und Manöver der konkurrierenden Weltordner

Die europäischen Staaten pflegen mit den arabischen Staaten, aber auch mit dem Iran, intensive Wirtschaftsbeziehungen, kaufen von ihnen insbesondere Öl, Rohstoffe und diverse Naturprodukte, liefern umgekehrt ganze Industrieanlagen, industrielle und landwirtschaftliche Produkte. Als EU haben sie gerade eine Mittelmeerkonferenz abgehalten, die den Ausbau der ökonomischen und politischen Beziehungen zu diesen Ländern zum Ziel hatte.[8] Darüber hinaus haben die Europäer ihren Einfluß auf die arabischen Länder und den Iran auch über die Ausstattung mit Souveränitätsmitteln – Waffen – erheblich ausgebaut; sogar schon einmal mit der Ausbildung ihres Spionagedienstes – Deutschland beim Iran.

Dabei nutzten Kinkel & Co – vor dem Hintergrund amerikanischer Drohungen – ihre „traditionell guten Beziehungen“ zum Iran immer schon dazu, auf die persischen Politiker im Sinne der eigenen außenpolitischen Interessen einzuwirken. Gegenüber den USA nahmen sie das zugleich als Rechtfertigung und behaupteten, mit anderen Mitteln das gleiche Ziel zu verfolgen.

„‚Deutschland wünscht konstruktive politische, kulturelle und wirtschaftliche Beziehungen mit Iran. Die Beziehungen haben jedoch nur eine Chance, wenn sie sich auf ein ausreichend tragfähiges Fundament gemeinsamer Überzeugungen stützen können.‘ Die zukünftige Entwicklung der deutsch-iranischen Beziehungen hänge von Fortschritten auf dem Gebiet der Menschenrechte, der Zustimmung zum Existenzrecht Israels, der Kontrolle und Einhaltung der C-Waffen-Konvention und des NPT-Vertrags sowie der Beendigung aller terroristischen Tätigkeiten im Ausland ab.“ (FAZ 9.5.96)

Die Vereinigten Staaten wollen aber etwas ganz anderes von den Europäern. Sie sollen sämtliche Beziehungen zu diesem Staat streng nach den strategischen Interessen der USA ausrichten. Wenn sie sich darauf einlassen würden, gingen nicht nur allerlei Waffen- und andere Geschäfte baden, ihr außenpolitischer Einfluß in dieser Region wäre auch dahin; denn der beruht nicht zuletzt darauf, sich eben nicht als blinder Israel-Freund und Vasall Amerikas aufzuführen, sondern auch ein offenes Ohr für arabische oder iranische Interessen zu haben.[9]

In einen offenen Gegensatz zu den US-Ordnungsinteressen wollten die EU-Politiker allerdings anläßlich der amerikanischen Offensive von Scharm el-Scheich nicht treten. Auf ihrem Außenministertreffen in Palermo – unmittelbar vor dem Antiterrorgipfel – kamen sie dem amerikanischen Druck zuvor und beschlossen Troika-Missionen in die Länder mit „Querverbindungen“ zu Terroristen – Iran, Libyen, Syrien, Libanon und Jordanien –, um diese zu einer entschiedeneren Distanzierung von den Terroristen zu drängen. Irans und Libyens Reaktionen auf die Attentate – „göttliche Vergeltung“ bzw. „Selbstverteidigung, nichts weiter“ – wurden scharf kritisiert, und es wurde von ihnen verlangt, Terror deutlich zu verurteilen. Ferner hätten sie „alles zu unterlassen, was den Friedensprozeß im Nahen Osten gefährden“ könnte.[10] Gegenüber den Amerikanern bestanden jedoch alle EU-Außenminister einmütig darauf, „den kritischen Dialog“ mit dem Iran fortzuführen; England gab explizit zu Protokoll, daß es sich keinesfalls an einem Wirtschaftsboykott beteiligen werde. In Scharm el-Scheich ließ man sich von dieser Linie nicht abbringen; gegen die Beschuldigung des Iran als Drahtzieher hinter den Attentaten – „Der Terror ist nicht anonym, er hat einen Namen, eine Adresse, ein Konto, eine Infrastruktur und eine Speerspitze, und die heißt Iran.“ (Peres, FAZ 14.3.96) – hielt man: Nichts sei erwiesen.[11]

Etwa drei Wochen nach Scharm el-Scheich machte Chirac eine Reise in den Libanon. In einer Rede vor dem libanesischen Parlament sicherte er seine Unterstützung bei der Wiederherstellung der Souveränität des Libanon und bei der Umsetzung der UNO-Sicherheitsratsresolution 425 zu:

„Wir wünschen, daß der libanesische Staat frei seine volle Souveränität über sein gesamtes Territorium ausübt. Aber wir wollen auch, daß alle Völker der Region, einschließlich des Staates Israel, in Frieden in sicheren und anerkannten Grenzen leben können.“ (Le Monde 7.4.96)

Anknüpfend an Frankreichs „Mutterrolle“ gegenüber dem Libanon – Frankreich war ehedem Protektoratsmacht im Auftrag des Völkerbundes – stellte sich Chirac in Gegensatz zu den amerikanischen Ordnungsvorstellungen und israelischen Souveränitätsansprüchen. Er bestritt Jerusalem das Recht, den Süden des Libanon besetzt zu halten und dort seine Gefechte mit der Hisbollah abzuwickeln. Er stellte also die von Israel beanspruchte Sonderstellung in Frage, im Namen eigener Sicherheitsbedürfnisse Grenzen zu seinen Nachbarn zu überschreiten und aus eigener Macht die Aufsicht über soviel Territorium durchzusetzen, wie es für nötig erachtet, indem er für die Souveränitätsausübung des Libanon, der bislang nur formell als eigenständiger Staat existiert, gleiches Recht verlangte.

In Kairo unterstützte Chirac anschließend Mubaraks Vorschlag, den Nahen Osten von Massenvernichtungswaffen zu befreien. Außerdem äußerte er im Hinblick auf die Palästinenser-Autonomie und die Abriegelung ihrer Gebiete die Ansicht, nur Fortschritte bei der Garantie der palästinensischen Identität ermöglichten die endgültige Auslöschung der terroristischen Bedrohungen, die durch Isolierung, Bitterkeit und Frustration genährt würden.

Den Zweck dieses Affronts gegen Israel und Amerikas Aufsicht über die Region sprach der französische Staatspräsident offen aus: Es sei Zeit, einen Anspruch Europas auf Mitbestimmung bei der Ordnung des Nahen Osten geltend zu machen, Amerikas Monopol auf die dortige Friedensregelung zu brechen:

„Die europäischen Länder, die fast die Hälfte an internationaler Hilfe für die palästinensische Selbstverwaltung aufbrächten, sollten ihre finanziellen Hilfen mit politischen Muskeln unterstützen. Europa solle stärker seinen politischen Beitrag zu einer Friedensregelung einbringen, bei der es die Rolle eines Co-Sponsors – neben USA und Rußland – einnehmen solle.“ (FAZ 10.4.96)

„Früchte des Zorns“ – Israels ist so frei, mit eigenen Militäraktionen seine Rechtsansprüche geltend zu machen

Israel war mit den Früchten, die der Gipfel in Scharm el-Scheich gebracht hatte, längst nicht zufrieden. Zwar sind die Chancen, daß der Hamas allmählich das Wasser abgegraben wird, gestiegen, nur hat es gar nicht bloß die Sorge, von Attentaten verschont zu werden. Es hat durchaus verstanden, daß weder die arabischen Länder noch die der EU sich mit seiner Vormachtrolle im Nahen Osten abgefunden haben. Im übrigen ist es – so sehr Clinton und Co. den Judenstaat militärisch und diplomatisch unterstützen – israelischen Politikern und Militärs gar nicht recht, bei der Wahrnehmung israelischer Souveränitätsrechte auf Amerikas Diplomatie und ein US-Placet für israelische Aktionen angewiesen zu sein.[12] Sie wissen, daß eine Macht, die die Weltordnungsmacht sein will, nun mal eigene, übergeordnete Interessen hat, die keineswegs immer mit den israelischen zusammengehen.

Die Antiterrorismus-Konferenz definierte Peres (s.o.) als Bekundung der Solidarität aller Staaten mit Israel, soweit sie nicht selber Terroristen sind. Der auf dem Gipfel zustandegebrachte – aus seiner Sicht – halbseidene Konsens hatte vor allem aber den großen Schönheitsfehler, daß ein Hauptadressat sich ihm entzogen hatte: Syrien samt seinem „Marionettenregime Hariri“ im Libanon. Diesen Mangel suchte Jerusalem nun auf seine Tour zu beheben. Es forderte Syrien unmißverständlich auf, sich in den Dienst von Israels Sicherheitsinteressen zu stellen.[13] Peres schickte Assad eine dringende Depesche, er solle die Hisbollah mäßigen, die dieser damit beantwortete: Nur wenn Israel sich im Südlibanon mäßige. Damit war klar, daß Syrien, das zugleich den Status der Schutzmacht des Libanon beansprucht, nach wie vor nicht bereit ist, sich dem israelischen Vormachtanspruch zu beugen, und seine Ambitionen im Nahen Osten nicht aufgeben will.[14]

Nachdem auf diplomatischem Wege Israel nicht zum Ziel kam, die Hisbollah ihre Angriffe auf die SLA und das israelische Militär in der Sicherheitszone nicht abstellte,[15] wurden in Israel die Rufe nach Militäraktionen immer lauter:

„Israel dürfe nicht auf grünes Licht aus Amerika warten, um seine Sicherheitsinteressen wahrzunehmen.“ (Staatspräsident Weizmann, NZZ 21.3.96)

Schließlich nahm Peres den Bruch des Abkommens von 1993 – in dem vereinbart war, daß Israel keine Zivilisten in der Sicherheitszone beschießt, dafür die Hisbollah den Norden Israels nicht mit Katjuscha-Raketen behelligt – zum Anlaß seiner Operation „Früchte des Zorns“. Er exekutierte das auf dem Antiterrorgipfel ihm zugesprochene Recht auf Bekämpfung des Terror auf seine Weise: Israelisches Militär bombardierte Hisbollah-Stellungen und -Einrichtungen bis ins Zentrum von Beirut hinein; traf auch Stellungen der libanesischen Armee und der syrischen Besatzer – wobei der Armeesprecher stets darauf hinwies, Israel wolle sich nicht direkt mit ihnen anlegen, aber sie dürften auch nicht Israel im Weg stehen; bombardierte ein Palästinenserlager, weil der Judenstaat diesen Menschenschlag insgesamt als Sumpf für Attentate ansieht und bestrafen will; vertrieb mit Bombendrohungen 400000 Menschen aus dem Süden Libanons, mit dem Vorwand, freies Schußfeld gegen Hisbollah-Kämpfer zu benötigen; tötete über 100 Flüchtlinge in einem Lager der Unifil, wo diese Schutz gesucht hatten; und nahm sich schließlich die Verkehrsverbindungen und die Infrastruktur des Landes vor. Peres erklärte Absicht dabei war – wie hiesige Zeitungen aus Haaretz zitierten –,

„die Operation so lange zu eskalieren, bis der Libanon und Syrien zu dem Schluß kommen, daß der Krieg der Hisbollah gegen Israel ihren Ländern nur mehr schadet. Immerhin habe Damaskus ein Interesse an der Stabilität der Regierung des Ministerpräsidenten Hariri. Der wiederum müsse um sein Aufbauwerk fürchten, wenn Investoren abgehalten würden. Bei der Formulierung neuer Vereinbarungen werde Israel ein Ende jeder Beschießung Nordisraels fordern und dafür Beirut oder Damaskus eindeutig verantwortlich machen wollen.“ (FAZ 15.4.96)

Mit der Operation „Früchte des Zorns“ demonstrierte Israel seinen nach wie vor bestehenden Standpunkt, daß es sich die Nicht-Anerkennung fremder Souveräne und internationaler Regeln vorbehält und daß es seine territoriale Expansion zumindest solange offen hält, solange Terroristen(-Staaten) irgendwo eine Gefahr für seine Machtansprüche darstellen. Seine Aktion sollte seinen Nachbarstaaten unmißverständlich klarmachen, daß sie keine Alternative zur Unterordnung unter Israel haben. Ein Staat, der sich – wie der Libanon – nicht fügt, verdient keinen Aufbau. Daß Frankreich als Betreuungsmacht ihn vor solchen Lektionen nicht bewahrt, kann er gleich mitlernen. Wer gegen Israel die Waffe richtet, wird niedergebombt, dabei steht die Schlagkraft der Reaktion Israels zu den Angriffen im Verhältnis 1000 : 1.

Dazu, daß Syrien – das sich immerhin die Tötung einiger seiner Soldaten auf libanesischem Boden durch israelische Bomben gefallen ließ – angesichts der Demonstration überlegener israelischer Militärmacht klein beigegeben hätte, ist es aber nicht gekommen. Das lag schon daran, daß Israels Aktionen wiederum die Weltordnungsmächte auf den Plan riefen, die auf einer Beendigung der Kampfhandlungen bestanden. USA und Frankreich als die selbsternannten Aufsichtsmächte verhandelten eine Waffenruhe herbei, die den Konflikt zwar keineswegs beendet hat, aber neue Konstellationen für seine weitere Austragung wie auch der Weiterentwicklung des Friedensprozesses im Nahen Osten brachte.

Das Ergebnis der Friedensoffensiven: lauter Sprengstoff für künftige Konflikte

Das Waffenstillstandspapier – Israel betont, daß es kein Abkommen sei, weil es überhaupt nicht unterschrieben wurde – verbietet beiden Seiten, zivile Ziele anzugreifen und Abschußbasen in Bevölkerungszentren oder Industrieanlagen zu stationieren. Die Einhaltung der Vereinbarung soll von Syrien, Frankreich, den USA, Israel und Libanon überwacht werden.

Als Aufruf zur Beendigung der Kampfhandlungen zwischen Hisbollah und israelischer Armee verstehen beide Seiten die Vereinbarungen selbstverständlich nicht. Peres sieht seine Position insofern gestärkt, als keine Einschränkung der israelischen Militärbewegung in der „Sicherheitszone“ vereinbart sei; der Führer der Hisbollah hat die Fortsetzung des Kampfes gegen die israelischen Besatzer längst wieder angeordnet.

Die Einbeziehung Syriens und Libanons in die Kontrolle der Einhaltung der vereinbarten Regeln sieht Israel zwar als Fortschritt an, weil es sie künftig bei Verstößen der Hisbollah haftbar machen will. Nur haben beide Staaten sich gar nicht verpflichtet, die Unterstützung der Hisbollah zu unterlassen, geschweige denn ihre Entwaffnung vorzunehmen. Wieweit sie die Hisbollah „mäßigen“, hängt von ihren eigenen Kalkulationen ab, wie sehr sie sich dem Druck Israels und der USA beugen wollen.

Die Amerikaner haben Peres in einem Schreiben als Anhang zum Waffenstillstandsabkommen bereits signalisiert, er dürfe die Regeln für die Verteidigungsrechte Israels gegen Hisbollah-Angriffe großzügig auslegen (vgl. JPIE 11.5.96); vor allem aber haben sie Israel zusätzliche Militärhilfe zugesichert:

Peres unterzeichnete in Washington eine Vereinbarung über die rasche Übermittlung von Satellitendaten im Fall von Raketenangriffen. Eine zweite Abmachung betrifft die Entwicklung eines Laser-Abwehrsystems gegen Mittel- und Kurzstreckenraketen wie iranische Scuds oder Katjuschas der Hisbollah-Milizen. Das Pentagon, das vor kurzem dieses Projekt aus Geldmangel einstellen wollte, will nun mit Mitteln aus beiden Ländern (100 Mio Dollar) den Bau des „Nautilus-Systems vorantreiben. Diese Laserwaffe soll Raketen im Flug zerstören, indem es ihre Metallverkleidung zum Schmelzen bringt. Erste Prototypen sollen Ende 1997 fertiggestellt sein.“ (FAZ 30.4.)

Israels Bestreben, bei den Verhandlungen um den Waffenstillstand, den amerikanischen Außenminister als einzigen Vermittler anzuerkennen, wurde allerdings von dem französischen Außenminister durchkreuzt. Mit seinem Angebot, ein Gegengewicht gegen die amerikanische Israelfreundschaft bilden zu wollen, rannte er beim Libanon und in Syrien offene Türen ein. Christopher hielt es schließlich für unausweichlich, Frankreich in die Regelung des Konflikts einzubeziehen: Das amerikanische Weltordnungsinteresse geht auch in dieser Region nicht auf Ausschluß, sondern auf Einbindung der konkurrierenden europäischen Alliierten. Israel sieht darin eine Beschränkung der Freiheit, die das alleinige Patronat der USA ihm verspricht und bislang meistens gewährt hat. Dort wurde das Ergebnis folgendermaßen kommentiert:

„Auf diplomatischer Ebene haben wir verloren: Die Einrichtung eines Überwachungskomitees verleiht den Franzosen einen besseren Status. Ein Beratungskomitee mit Vertretern der EU und Rußlands bringt dazu noch neue Vermittler ins Spiel, die uns sehr viel weniger genehm sind als Amerikaner … Wenn es kein Friedensabkommen mit Syrien und Libanon geben sollte, wird sich die Lage in den nächsten Jahren wieder verschlechtern und die israelische Armee muß sich einen Namen für die nächste Operation ausdenken.“ (Maariv nach FAZ 29.4.96)

Bei der Erledigung der Restposten im Friedensprozeß des Nahen Ostens gibt es also noch viel zu tun[16] – zumal die Oberterroristen in Iran[17], Libyen und Irak ja auch noch anstehen…

[1] Im UN-Sicherheitsrat blockierte Washington die Verurteilung Israels mit der Begründung, die Hisbollah sei für die Beschießung Israels und die israelische Reaktion darauf verantwortlich.

[2] Die Amerikaner verwenden noch heute ihren Titel der Konferenz

[3] Syrien weigerte sich teilzunehmen und forderte die beiden Patronatsmächte Rußland und USA auf, eine neue Nahostkonferenz einzuberufen. Gegen den Gipfel sei es, weil darauf nicht der Staatsterrorismus von Israel verdammt werde. Libanon verweigerte die Teilnahme, weil der Gipfel sich nicht mit den „wahren Gründen der Gewalt im Nahen Osten“ beschäftige, und wies darauf hin, daß Israel erst einmal die UNO-Resolution 425 – Abzug der Truppen aus der Sicherheitszone im Südlibanon – erfüllen solle. Irak war zum Gipfel nicht geladen, weil er ja von den USA als Terrorstaat eingestuft wird; darum nahm Saddam Hussein auch kein Blatt vor den Mund: Das Treffen sei eine Komödie, um die amerikanische Hilfe für den Terror Israels zu verstärken.

[4] Israel hat auf die Attentate – ohne sich um die Interessen anderer Staaten und internationale Regeln zu scheren – mit aller Gewalt reagiert. Die Abriegelung der Autonomiegebiete schaffte nicht nur ein paar Opfer unter den Betroffenen – mangels ärztlicher Versorgung und durch die Unterbindung von Nahrungsmitteltransporten – und einiges Elend unter den von ihren Arbeitsstellen abgeschnittenen palästinensischen Arbeitskräften, sondern machte die Berechnungen der Palästinenser, diese Gebiete aufzubauen, wie auch derer, die dafür Geld- und sonstige Zuwendungen gemacht hatten, erst einmal zunichte. Israel behält es sich explizit vor, die einseitig von ihm außer Kraft gesetzten Vereinbarungen mit der PLO sukzessive erst dann wieder in Kraft zu setzen, wenn Arafat die Vorleistung erbracht hat, Hamas und Dschihad auszuschalten. Das israelische Militär veranstaltete ausgiebige Razzien in arabischen Einrichtungen und Siedlungen mit hunderten Verhaftungen und nahm auch die alte Tradition der Sprengung von Häusern der Verwandten und der der Kooperation mit den Selbstmordattentätern Verdächtigten wieder auf – ohne sich vom Vorwurf der Verletzung von Menschenrechten beeindrucken zu lassen. Die Geberländer forderte es schließlich auf, für die von ihm angerichteten Schäden in den Autonomiegebieten ein paar zusätzliche Millionen locker zu machen.

[5] Zur Klärung, was Terrorismus ist, siehe: Terrorismus heute – Moralisten für Volk und Nation gegen die Staatsgewalt, GegenStandpunkt 4-95, S.56

[6] Peres brüstet sich in Interviews damit, wie unmißverständlich er Arafat seine Aufgabe klargemacht habe: „Für mich gibt es nur ein Maß: Terror und Gewalt. Wenn er Gewalt und Terror beseitigt, mische ich mich in deren Politik nicht ein. Sollen sie machen, was sie wollen. Ich habe ihm gesagt: „Du kannst 10 Parteien haben, vorausgesetzt du hast ein Gewehr.“ Aber wenn du eine Partei hast und 10 Gewehre, dann macht mir das Sorge. Ich will eine Autorität über den Gebrauch der Gewehre… Ich bestehe darauf, daß er Hamas bekämpft nicht allein, weil sie eine Gefahr für Israel ist, sondern weil sie eine Gefahr ist für ihn und seine Autorität und für ihn als (Friedens-)Partner.“ (Jerusalem Post 20.4.96)

[7] Dabei kann sich Arafat nicht einmal sicher sein, daß das Konzept von Peres, unter der Bedingung, daß die PLO für die Sicherheit Israels vor Terroristen geradesteht, den Palästinensern eine politische Autonomie zu gewähren, nach den Wahlen weiterverfolgt wird. Der Oppositionsführer Netanyahu stellt in einem Interview klar: Eine Likud-Regierung wird immer mehr Siedlungen in den Territorien errichten, aus denen die israelischen Streitkräfte abgezogen wurden. Das erste, was wir machen werden, ist, in unsere eigenen Hände die Verantwortung für die Sicherheit des Landes und seiner Einwohner zurücklegen . Die israelische Armee wird die einzige Kontrollinstanz sein mit vollständiger Freiheit, überall an jeder Stelle zu agieren. Zum Friedensprozeß befragt: Über was für eine Friedensvereinbarung reden sie? Wo gibt es die?… Ich werde Arafat nicht die Hand schütteln, ich werde das im voraus klarstellen. Auf die Frage, ob die israelischen Streitkräfte zurückkehren, um alle Orte zu kontrollieren, von denen sie abgezogen worden sind: Sicherlich! Wir werden uns in keiner Weise selbst beschränken. Um das Leben von Juden zu schützen, werden wir der israelischen Armee vollständige Kontrolle geben. (Jerusalem Post International Edition (JPIE) 20.4.96)

[8] Laut Handelsblatt (9.5.96) betragen die EU-Jahres-Einfuhren aus den Mittelmeerländern 33,9 Mrd. ECU, die EU-Ausfuhren in sie 40,3 Mrd.; dabei entfallen auf Israel und Türkei zusammen nur 32% bzw. 39%.

[9] Bei Rußland verhält es sich ähnlich. Gerade gegenüber dem Iran sind russische Firmen scharf darauf, in Projekte einzusteigen, bei denen Firmen wie Siemens etc. wegen der amerikanischen Boykottforderung kalte Füße bekommen haben – vom Waffenexport ganz zu schweigen.

[10] Deutschland leistete sich gegenüber dem Iran einen besonderen Affront, indem die Bundesanwaltschaft gegen den iranischen Geheimdienstminister Fallahian einen Haftbefehl erließ, weil er den Mord an vier kurdischen Oppositionspolitikern im Berliner Restaurant „Mykonos“ in Auftrag gegeben habe. Auf iranische Proteste hin, die Bundesregierung habe die Niederschlagung der Anklage längst zugesichert, außerdem verstoße der Haftbefehl gegen ein ausländisches Regierungsmitglied gegen internationales Recht, antwortete das Auswärtige Amt lapidar: Die deutsche Justiz ist nach der Verfassung unabhängig und entscheidet selbständig. (FAZ 20.3.96) Den USA sind solche Sticheleien gegen den Iran nicht genug, sie versuchen mit allen Mitteln, insbesondere Deutschland dazu zu bewegen, die amerikanische Antiiranpolitik zu unterstützen: Wenige Tage vor der Reise der EU-Troika übergab Washington Dokumente aus dem Bundeskanzleramt und dem Bundesamt für Verfassungsschutz der FAZ, in denen über terroristische Aktivitäten Irans in Deutschland berichtet wird. Dabei wurde die Bitte geäußert, noch vor der Reise über die geheimen Machenschaften der iranischen Botschaft zu berichten und Einfluß darauf zu nehmen, daß der Handelsaustausch zwischen beiden Ländern beendet werde. (FAZ 27.3.96)

[11] In der halbamtlichen FAZ konnte man lesen: In Diplomatenkreisen wurde ein Bericht für eine westliche Regierung bekannt, in dem es heißt, ‚Einfluß von Drittstaaten auf die operativen Planungen der Hamas sei bislang nicht zu erkennen.‘ Es wurde auf die Distanz zwischen der sunnitischen Hamas und dem schiitischen Regime verwiesen. Für die Hamas habe Teheran keine religiös-ideologische Vorbildfunktion. Hamas finanziere sich vor allem aus Spenden von Privatpersonen aus Saudi-Arabien und den Golfstaaten. Von ihrem 70 Mio.$ Jahresbudget habe die Hamas 5 Mio. aus Teheran erhalten. Die Betonung der Rolle Irans durch die Israelis sei traditionelles Reaktionsmuster der Israelis nach Attentaten. (FAZ 15.3.96)

[12] Darum war die Reaktion auf Clintons Angebot eines Sicherheitspakts mit Israel in der israelischen Presse alles andere als überschwenglich. Die israelischen Generäle warnten davor, daß Israel sich von den Amerikanern die Freiheit nehmen lassen könnte, über die Notwendigkeit von Militäraktionen selber zu entscheiden. Seit dem Golfkrieg leidet Israel unter der Beschränkung seiner Freiheiten durch die USA. Vgl. hierzu: „Frieden für Galiläa“, Israel stiftet ein Stück neuer „Nahost-Ordnung“, GegenStandpunkt 3-93, S.188 und „Neueste Entwicklungen im Nahöstlichen Friedensprozeß“, GegenStandpunkt 2-94, S.137.

[13] Schon in Scharm el-Scheich hatte der israelische Ministerpräsident betont, Syrien nur deswegen nicht als Sponsor des Terrorismus namentlich zu nennen, weil er mit Assad noch verhandeln wolle.

[14] Seine Position sieht Syrien durch Israels Türkeipolitik zusätzlich bedroht, weswegen es aber nicht nachgiebiger wird. Neben Wirtschafts- und Handelsabkommen hat Israel gerade erst ein Militärabkommen mit der Türkei geschlossen, das nicht nur beiden Luftwaffen Übungsflüge über dem Territorium des jeweils anderen Staates erlaubt, sondern auch die Bildung eines gemeinsamen Sicherheitsforums für strategische Fragen vorsieht. Eine spätere Einbeziehung Jordaniens ist geplant. Außerdem bringt Israel die türkische Luftwaffe per Nachrüstung auf den neuesten Stand. Bei den Angriffen im Libanon hat die israelische Luftwaffe auch ein Kurdenlager bombardiert; zum Dank dafür hat die Türkei Syrien mit der Sperrung von Wasser gedroht, falls es nicht gegenüber Israel einlenke.

[15] Die Hisbollah hatte ihre Gründe, im Kampf nicht nachzulassen, ihn später sogar zu eskalieren. Schließlich war durch den Antiterror-Gipfel die Lage für Israels Feinde nicht leichter geworden. Wenn sie noch etwas für ihre Ziele tun wollten, mußten sie in die Offensive gehen und die noch vorhandene Unterstützung durch die ihnen wohlwollend gegenüberstehenden Mächte ausnutzen.

[16] Zum Beispiel möchte der UNO-Generalsekretär gerne geklärt haben, was sich Israel – das sich über alle UN-Resolutionen, die ihm nicht paßten, nach dem Vorbild der USA stets hinweggesetzt hat – noch alles ungestraft gegen die UNO herausnehmen darf. Dafür veröffentlicht er einen Bericht seiner Militärberater, die Israel vorwerfen, es sei unwahrscheinlich, daß die Beschießung des UNO-Lagers das Ergebnis grober technischer und/oder prozeduraler Fehler war. (NZZ 9.5.96) Während die USA „beschwichtigend“ im Sinne ihres Schützlings reagierten – die UN-Botschafterin Albright meinte: Der Bericht sei nach dem Waffenstillstand und der Wiederaufnahme von Verhandlungen kontraproduktiv und eine potentielle Gefährdung des noch immer fragilen nahöstlichen Friedensprozesses…; ungerechtfertigte Schlüsse, die nur trennen und das Klima polarisieren können.(FAZ 9.5.96) –, gingen die Israelis in die Offensive: Haaretz berichtete, in Jerusalem werde erwogen, vor der im Juli turnusmäßig nach sechs Monaten zu beschließenden Verlängerung des Unifil-Mandats im Libanon an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen heranzutreten… Israel werde in einer Art und Weise handeln, die erreicht, daß diesmal die Verlängerung des Mandats nicht automatisch erfolgt und daß bei den Beratungen im Sicherheitsrat eine Beschwerde über die Funktion der Unifil ebenfalls behandelt wird. (FAZ 10.5.96). Israel stellt also die UNO als überparteiliche Aufsichtsmacht in Frage. Ägypten beantragte dagegen die Verurteilung Israels im Sicherheitsrat. Die „gemäßigten arabischen Staaten“ haben schließlich eindrucksvoll vorgeführt bekommen, was sie alles in Scharm el-Scheich mit abgesegnet haben sollen.

[17] Die Drohung von US-Senat und Kongreß, mittels nationalem Gesetz ausländische Unternehmen per Sanktionen zum Boykott u.a. auch des Iran zu zwingen, um zu verhindern, daß Teheran ausländische Partner findet für die im Herbst 1995 ausgeschriebenen elf Entwicklungsprojekte im Öl- und Gassektor mit einem geschätzten Gesamtvolumen von 6 Mrd. Dollar (FAZ 10.5.96), kommentiert die zitierte Zeitung: Jenseits des völkerrechtlichen, im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO auszutragenden Streits über die Zulässigkeit eines ‚sekundären Boykotts‘ stellt sich freilich für Amerikas Verbündete eine grundsätzliche Frage: Ob ihre Unternehmer immer dann mit – sekundären – Strafaktionen rechnen müssen, wenn ihre Außenpolitik nicht den Beifall Washingtons findet. Der Schreiber merkt also höflich an, daß er die Qualität eines solchen Gesetzes als Eingriff der USA in die außenpolitischen Freiheiten ihrer Weltordnungskonkurrenten gemerkt hat. Außenminister Kinkel betonte inzwischen: Seine Gesprächspartner hätten ihrerseits genau verstanden, daß Europa mit harten Vergeltungsmaßnahmen sowohl auf Kuba-Sanktionen als auch auf die Iran/Libyen-Sanktionen antworten werde. Washington sei sich auch der Tatsache bewußt, daß europäische Sanktionen der amerikanischen Industrie schaden würden. (FAZ 10.5.96) Man hat sich also auf einen Handelskrieg zwecks Erhaltung deutscher Souveränität eingestellt.