Aus der Reihe „Was Deutschland bewegt“
Schämen mit Heiko Maas für die Massaker an den Herero und Nama – eine Glanzleistung patriotischer Moral

Nach jahrelangen Verhandlungen ist es endlich so weit: Deutschland und Namibia einigen sich in einer gemeinsamen Erklärung auf den aktuellen Wert eines Völkermords in Höhe von 1,1 Milliarden Euro, und Außenminister Maas kann „froh und dankbar“ nun endlich die Massaker an den Herero und Nama in den Jahren 1904 bis 1908 auch offiziell „als das benennen, was sie gewesen sind: ein Völkermord“. Diese Freude wird von den namibischen Opferverbänden allerdings nicht geteilt. Im Gegenteil: sie fühlen sich durch die Erklärung rassistisch beleidigt und von Deutschland und der namibischen Zentralregierung um eine gerechte Entschädigung betrogen.

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen

Schämen mit Heiko Maas für die Massaker an den Herero und Nama – eine Glanzleistung patriotischer Moral

Nach jahrelangen Verhandlungen ist es endlich so weit: Deutschland und Namibia einigen sich in einer gemeinsamen Erklärung auf den aktuellen Wert eines Völkermords in Höhe von 1,1 Milliarden Euro, und Außenminister Maas kann froh und dankbar nun endlich die Massaker an den Herero und Nama in den Jahren 1904 bis 1908 auch offiziell „als das [benennen], was sie gewesen sind: ein Völkermord“. Diese Freude wird von den namibischen Opferverbänden allerdings nicht geteilt. Im Gegenteil: sie fühlen sich durch die Erklärung rassistisch beleidigt und von Deutschland und der namibischen Zentralregierung um eine gerechte Entschädigung betrogen. Entsprechend kämpferisch kündigen sie an, den Abschluss anzufechten und vor allem die feierliche Unterzeichnung nach Kräften zu sabotieren. Unter dem Eindruck wütender Opfervertreter melden sich auch hierzulande – wenn auch vergleichsweise zurückhaltend – Kritiker zu Wort: Herero und Nama wurden in die Verhandlungen zu wenig einbezogen, die Entschuldigung kommt zu spät und hat mit fast sechs Jahren Verhandlungszeit zu lange gedauert, die versprochenen Zahlungen sind zu mickrig – summa summarum ist das deutsche Schuldeingeständnis damit zu wenig glaubwürdig, der ganze von Deutschland inszenierte Versöhnungsprozess schlicht scheinheilig.

Was, bitteschön, hat man denn erwartet, wenn sich ein Staat an die ‚Aufarbeitung‘ seiner Kolonialgeschichte macht?! Auch wenn Maas unsere Schuld eingesteht, also in der ersten Person Plural alle Deutschen vereinnahmend moralisch haftbar macht, wird an der historischen Kontinuität, in die er die Bundesrepublik von heute mit dem Kaiserreich stellt, doch deren Subjekt deutlich: das Kontinuum des herrschaftlichen Gewaltverhältnisses über Land und Leute, das Maas und seinesgleichen in der Tat jeweils von den politischen Vorgängern erben und dann im Sinne der aktuellen Staatsräson weiterregieren. Diese Vorgänger, die Machthaber des damaligen deutschen Kaiserreichs, haben zu Beginn des letzten Jahrhunderts hoheitlichen Handlungsbedarf zur Sicherung ihrer kolonialen Herrschaft ausgemacht und ihre kaiserlichen ‚Schutztruppen‘ in die afrikanischen Kolonien entsandt, um die deutschen Siedler-Ansprüche gegen die aufbegehrenden Einheimischen durchzusetzen. Die Niederschlagung des Aufruhrs der dortigen Bewohner haben sie dabei gleich mit dem Zweck verfolgt, die als feindliche Kollektive identifizierten Volksstämme auszumerzen, damit sich die Lage in Deutsch-Südwest nachhaltig stabilisiert. Entsprechend blutig ist die staatliche Ordnungsaktion ausgefallen.

Die Geschichte des Imperialismus von seinen Ursprüngen bis heute bietet in diesem Sinne reichlich Anschauungsmaterial, dass und nach welchen sachlichen, d.h. herrschaftlichen Gesichtspunkten und Interessen Nationalstaaten mit ihrem Gewaltmonopol für Opfer sorgen. Sie sortieren die Menschheit in Völker, sie scheiden sie also in politische Kollektive, die sie ihrer Herrschaft als organisierte Basis subsumieren, für ihre Gewaltaffären dienstbar machen und im kriegerischen Extremfall für die Vollstreckung der vitalen Interessen der Nation auf dem Globus gegen andere Völker als wirkliche oder vorgestellte Basis feindlicher Staatsambitionen ins Feld schicken. Kriegerische Ausrottungsaktionen sind die extremsten Ausweise der generellen Unbekömmlichkeit dieser Subsumtion der Menschheit unter die abstrakte Bestimmung ‚Volk‘ und damit der Scheidung des ‚eigenen Volks‘ von anderen Völkern, des Menschenmaterials der eigenen Herrschaft von dem anderer, konkurrierender Herrschaftsansprüche. Wenn Politiker ein ‚fremdes‘ Volk auf dem von ihnen beanspruchten Hoheits- oder Besatzungsgebiet ausmachen, als feindliches Kollektiv identifizieren und bekämpfen, dann entfalten die allgegenwärtige Scheidung der Bevölkerung in ‚eigenes‘ und ‚fremdes‘ Volk und der prinzipielle staatliche Vorbehalt gegenüber letzterem ihre ganze Brutalität. Wenn die praktischen Aktivisten dieser Scheidung nun die Gemetzel ihrer politischen Vorgänger Revue passieren lassen und die Opfer des Kolonialismus nach über hundert Jahren wieder in das öffentliche Bewusstsein zerren, um sie im Namen ihrer Nation offiziell zu bedauern und sich zu ihrer moralischen Verantwortung zu bekennen, dann kann das daher gar nichts anderes sein als pure Heuchelei.

Ohne politischen Nutzwert ist diese Heuchelei allerdings keineswegs: Da reklamiert die hoheitliche Gewalt damit, dass sie sich selbst offiziell vergangener Untaten bezichtigt, ausgerechnet für sich eine unanfechtbare politmoralische Integrität, indem sie sich zum Ankläger und Richter über die eigenen Gräueltaten und so zur maßgeblichen Instanz der gültigen Definition der eigenen Geschichte macht und davon, was aus der folgen soll oder auch nicht. Unter dem Titel Verantwortung für Namibia wird ein Recht auf besondere Zuständigkeit beansprucht, nämlich als in der gemeinsamen Geschichte begründete Pflicht vorstellig gemacht; so, im Lichte einer allgemeingültigen politischen Moral, erscheinen alle politischen Berechnungen der Bundesrepublik mit Namibia als besondere Respektbezeugung gegenüber dem heutigen Staat Namibia und seinem Volk. Zugleich präsentiert sich Deutschland mit seinem Schuldeingeständnis generell als geläuterte und über derartige staatliche Gräueltaten erhabene Macht und bedient ganz souverän das eigene moderne antirassistische Ethos seines Imperialismus in der Staatenwelt von heute. Das ist sich Deutschland als einer der führenden staatlichen Ankläger von Verbrechen gegen die Menschlichkeit einfach schuldig!

Der Geist der Wiedergutmachung, den Deutschland im Dienst der Demonstration seiner moralischen Läuterung inszeniert, lebt dabei von dem Zynismus, dass der politische Grund für die Ermordung der Herero und Nama – die radikale Subsumtion der menschlichen Objekte der Kolonialherrschaft unter ihre Stammeszugehörigkeit respektive ethnische Gattungseigenschaft – konsequent unter umgekehrtem Vorzeichen fortgeschrieben wird. Ausgerechnet die Volks-Natur der Herero und Nama wird zum eigentlichen Opfer erklärt und zum Ehrentitel erhoben, dem es nun Respekt zu zollen gilt. So bekommt die Absurdität von Wiedergutmachung – wie sollen sich Tote ‚wiedergutmachen‘ lassen? – ihre fortlebende Berufungsinstanz in den heutigen völkischen Nachfahren. Durch die ideelle Verneigung vor der ethnischen Identität der Herero und Nama als dem eigentlichen Opfer kolonialer Gewalt erhalten die Toten postum ihre kollektive Würde zurück und die Nachfahren der Opfer einen moralischen Einspruchs- und ideellen Anspruchstitel gegen die ehemalige Kolonialmacht.

Als dessen Anwalt tritt der namibische Staat auf, wenn er in langwierigen Verhandlungen um ein Schuldeingeständnis des deutschen Staats und die daraus folgenden rechtlichen und materiellen Konsequenzen streitet und damit auf demonstrativem Respekt vor seiner Hoheit als Erbe eines durch die Kolonialherrschaft blutig unterdrückten namibischen Volks und dessen Rechts auf Eigenstaatlichkeit besteht. Seiner Bevölkerung, deren Nöte längst nicht mehr der kolonialen Gewalt, sondern den Rechts- und Eigentumsverhältnissen entspringen, die seine heutigen Herren staatlich durchsetzen und betreuen, offeriert er damit die Lesart, dass im zwischenstaatlichen Streit um das offizielle Eingeständnis deutscher Vergehen und damit um gebührenden Respekt vor der geschädigten völkischen Identität der Herero und Nama deren Sache verhandelt würde. Die Rolle als Objekte politischer Erinnerungswirtschaft, die sie darin spielen, sollen sie als Wiedergutmachung verstehen, mit der ihnen Gerechtigkeit widerfährt. Wenn die Opfervertretungen die dargebotene Verknüpfung von Politik und Moral sowie die damit einhergehenden Titel, unter denen die beiden Staaten ihre gemeinsame Geschichte aufarbeiten, für die Sache nehmen und damit glauben, einen Rechtstitel gegen den historischen Verhandlungsabschluss in der Hand zu haben, dann finden sie zwar hierzulande manche moralische Unterstützung – völkerrechtlich allerdings, so wissen gelehrte Stimmen die privaten Anwälte geschundener Volksstämme zu belehren, sind deren Forderungen schlicht unpassend, weil die Kategorie des Völkermords erst nach 1949 rechtlich wirksam greift. Und ohnehin, so stellen die politisch Zuständigen klar, entscheiden am Ende allein sie verbindlich darüber, was aus der Aufarbeitung der unseligen Vergangenheit an Anspruch auf Wiedergutmachung folgt.

Auf die allgegenwärtige Verwechslung legt die hiesige Politik auch im Hinblick auf ihre Bürger Wert: Wenn der deutsche Staat seine politischen Berechnungen unter dem Titel seiner Verantwortung für die vergangenen Schandtaten als Fragen von Anstand und Moral aufbereitet, dann appelliert die deutsche Politik damit zugleich an ihr eigenes Volk. Mit dem vereinnahmenden Wir und unserer Schuld fordert Maas die einzelnen Mitglieder des nationalen Kollektivs, dem er vorsteht, auf, die Opfer des deutschen Imperialismus von damals als Gegenstand ihrer individuellen Moral auf sich zu beziehen. Unter dem Titel unsere gemeinsame Vergangenheit ruft er dazu auf, einen Schergen der deutschen Kolonialmacht wie General von Trotha mit seinem rassistischen Rechtsbewusstsein als – zwar schändlichen, aber eben – Teil der eigenen Identität ‚als Deutscher‘ zu begreifen und sich aus dessen damaligen Schlächtereien ein Gewissen zu machen. Die Belege, wie der deutsche Imperialismus in der Welt gewütet hat, sollen den Bürger in seinem ideellen Zusammenschluss mit der Staatsgewalt nicht erschüttern, sondern im Gegenteil für kollektive Scham über deren frühere Taten, also sogar für die Identifikation mit ihr sprechen. Die Distanzierung von den früheren Gewalttaten der nationalen Herrschaft in Gestalt eines offiziellen Schuldeingeständnisses mit anschließender Bitte um Vergebung dient dem und bedient den Glauben an die Güte des eigenen nationalen Kollektivs und seines Staats, zu dem dergleichen so gar nicht passt. In dieser Fiktion eines moralischen nationalen Kollektivs, im Zerrbild einer Nation als Gemeinschaft der Anständigen, in das sich das Selbstbild des Staates als menschengemäße und völkerverbindende Herrschaft so wunderbar einfügt, erlischt jede Differenz zwischen der politischen Führung und den für die Belange der Nation gefühlsmäßig vereinnahmten Bürgern. So fördert und pflegt die staatlich inszenierte Vergangenheitsbewältigung einen Patriotismus, der jeden objektiv-distanzierten Blick auf den vergangenen wie aktuellen Imperialismus der deutschen Nation konsequent verstellt und Lehren aus der Vergangenheit zieht, die die Vortrefflichkeit des nationalen Gemeinwesens beglaubigen.