Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Personalwechsel in Indonesien
Wie Suharto für uns Freiheit statt Sozialismus besorgte

Die Leistungen, mit denen sich Suharto im Westen Hochachtung und Freundschaft verdient hat: gewaltsame Befriedung und Öffnung seines Landes für das internationale Kapital. Was ihn für den Westen untragbar gemacht hat: Für alles Übel, das der Kapitalismus mit seinem Boom und seinem Crash in Indonesien angerichtet hat, wird er persönlich haftbar gemacht. Sein Rücktritt als letzter Dienst am Vaterland.

Aus der Zeitschrift
Länder & Abkommen

Personalwechsel in Indonesien
Wie Suharto für uns Freiheit statt Sozialismus besorgte

Jetzt hat er sich zum letzten Mal für die schöne Welt von Marktwirtschaft und Demokratie verdient machen dürfen. Indonesiens Präsident Suharto. Und einer dankt es ihm noch einmal ausdrücklich: Helmut Kohl, der am liebsten auch so lange im Amt bleiben möchte, wie sein „lieber Freund“, dessen Entscheidung, vorzeitig aus dem Amt auszuscheiden, er mit großem Respekt und Zustimmung aufgenommen hat.

Suhartos Abgang kommt den Paten in den Metropolen der Freiheit und des Geschäfts genauso gelegen wie seine Machtübernahme im Jahr 1966. Sein erster Beitrag zur Sicherung der freien Welt – damals noch in Frontstellung zum Moskauer und Pekinger Reich des Bösen – gehört wahrscheinlich auch irgendwie ins „Schwarzbuch des Kommunismus“: Als Befehlshaber der indonesischen Armee sah sich Suharto „gezwungen“, einen höchstwahrscheinlich von ihm selbst inszenierten Putschversuch linker Offiziere zum Vorwand zu nehmen, um die damals größte kommunistische Partei in einem nicht-sozialistischen Land aus dem politischen Leben zu entfernen. Das Verbrechen der über 1,5 Millionen Mitglieder starken KP war ihre Größe und Etabliertheit in dem südostasiatischen Land. Sie hatte den Staatsgründer und Mit-Initiator der Blockfreien-Bewegung Sukarno unterstützt und arbeitete legal. Im Freien Westen war diese Kraft immer schon als Schranke der Benutzbarkeit des Landes für den kapitalistischen Weltmarkt und als strategischer Risikofaktor in der Ost-West-Konfrontation beargwöhnt worden.

Größe und Einfluß der KP verlangten der freiheitlichen Ordnungsstiftung bedauerlicherweise ein besonders konsequentes Vorgehen ab – die Kommunisten waren halt so viele geworden, und der blockfreie „Schaukelpolitiker“ Sukarno hatte es versäumt, sie rechtzeitig zu verbieten. Über eine halbe Million echte oder vermeintliche KP-Mitglieder wurden gleich liquidiert, weitere 500000 in Internierungslager weggesperrt. Su-harto ersetzte die gelenkte Demokratie Sukarnos, der alle 500 Parlamentarier selbst einsetzte, durch seine Entwicklungsdemokratie, in der er 400 Volksvertreter selbst auswählte: Kommunisten gab es buchstäblich nicht mehr; die seit Ende der 70er Jahre aktiven Moslem-Extremisten rückten in die Konzentrationslager nach, in denen die meisten internierten Kommunisten aus den 60er Jahren so lange festgehalten wurden, bis sie eines „natürlichen Todes“ starben.

Soviel Befriedung hat die Grundlagen für das indonesische Wirtschaftswunder geschaffen, dem Suharto, der Vater allen Fortschritts, vorstand und für das er 30 Jahre lang in den Metropolen der immer freier gewordenen Welt ein gern gesehener Gast war: Er gewährte dem internationalen Kapital den Zugriff auf die natürlichen Ressourcen der 13000 Inseln – vor allem Erdöl, seltene Mineralien, Kautschuk und Holz nebst einem belastbaren, anspruchslosen und konkurrenzlos billigen Menschenmaterial –, er garantierte die Sicherheit von Investitionen, er erlaubte den notwendigen Transfer des Profits.

Im Interesse der wirtschaftlichen Öffnung seines Stücks Globus ließ man es Suharto und seiner – nicht zuletzt mit Waffen Made in Germany bestückten – Armee 1976 auch die Annexion der portugiesischen Ex-Kolonie Ost-Timor durchgehen; das dafür nötige bis heute nicht beendete Massaker interessierte wenig. Die enormen menschlichen Unkosten der Freiheit in Indonesien trugen dem Staatsmann Suharto ab und an dezent vorgetragene Stilkritik in den westlichen Hauptstädten, ansonsten aber Hochachtung und echte Freundschaft ein. Der Mann hat alles Nötige ohne Zögern – und er hat dabei alles richtig gemacht. Ein Vorbildlicher Aufschwung des Kapitalismus in seinem Land war der sichtbare Beweis dafür. In wenigen Jahrzehnten wurde aus dem Entwicklungsland einer der viel bewunderten „Kleinen Tiger“.

Jetzt ist er abgetreten – und auf einmal weiß alle Welt, daß der Kerl nicht nur alles falsch gemacht hat; man erkennt ihn auch als einen wüsten Diktator – Entwicklungsdiktatur ist keine Rechtfertigung mehr –, als Autokraten und Verächter der Menschenrechte; man durchschaut seine wirtschaftlichen Erfolge als potjemkinsche Dörfer, seine Markt- als eine Günstlingswirtschaft, seinen Aufschwung als die ausschließliche Bereicherung seines raffgierigen Clans. Ausbeutung der Gesellschaft, womöglich sogar der Arbeiter, muß ihm angelastet werden.

Diese Aufklärung verdankt die freie Welt ihren Spekulanten. Sie haben Indonesien – wie ganz Südostasien – in Erwartung immer weiter steigender Profite zuerst mit einem enormen, immer weiter ansteigenden Strom von Kapitalzuflüssen versorgt – und an ihrem Glauben an die Zukunft des von ihnen geschaffenen „emerging market“ viel Geld verdient. Irgendwann haben sie dann nicht mehr daran geglaubt, daß ihr indonesischer Wachstumsmarkt tatsächlich so viel Wachstum hergibt, wie sie schon Kapital in ihn investiert haben. Da haben sie angefangen, ihr Spekulationsobjekt abzuschreiben und ihre Gelder wieder abzuziehen. Der Crash, den sie damit produziert haben, hat die Landeswährung um ca. 80% entwertet, erst Banken, dann die ganze Industrie ruiniert. Wie überall auf der Welt haben die Unternehmen auf Kredit gewirtschaftet, der ihnen plötzlich entzogen war. Also konnten sie nicht zahlen, als sie mußten.

Seit dem Crash liegt Suhartos Schuld klar zutage – man sieht nun, daß es nichts gewesen sein konnte! Dreißig Jahre hat das Land Korruption und Nepotismus nur hingenommen, weil während dieser Zeit der wirtschaftliche Aufschwung beispiellos war. (SZ, 23./24.5) Der kritische Journalist redet von sich. Er teilt mit, wovon er sich hat blenden, was er sich hat einleuchten lassen: Er ist es, der für einen Aufschwung der Gewinne so ziemlich alles „hinnimmt“! Wenn der aber nicht klappt, dann – nur dann – fällt sein kritischer Blick auf falsche Nutznießer. Daß bei einem Aufschwung der kapitalistischen Geschäfte wenige reich werden, während die Vielen dafür bluten müssen, hören die Auskenner von der SZ zum ersten Mal aus Indonesien – und von dort nur, weil das Geschäft einbricht und weil die prosperierende Minderheit nicht nur durch Kapitalbesitz, sondern auch noch durch verwandtschaftliche Beziehungen dem Staatschef verbunden ist. Gute Beziehungen zur Macht sind ja sonst nirgendwo auf der Welt eine Quelle der Bereicherung.

Damit ist alles klar: Alles Übel, das der Kapitalismus mit seinem Boom und seiner Krise in Indonesien angerichtet hat, geht auf das persönliche Schuldkonto Suhartos. Alles hat seinen Grund einzig und allein in der Willkür des jetzt als unwürdig erkannten Chefs. Er ist nicht länger tragbar – und muß weg, damit das System so weitergehen kann, wie bisher und wie es jetzt erforderlich ist. Den entscheidenden Anstoß zum Sturz des alten Chefs gibt der IWF. Er bindet die Beistandskredite, die nach dem Crash nötig sind, um Indonesien in der kapitalistischen Weltwirtschaft und für ihre Anleger geschäftsfähig zu halten, an die in solchen Fällen üblichen Bedingungen: Das Land, das kein Geld mehr hat, muß sich verbilligen – und zwar an dem Posten, bei dem das ohne Schaden für die Wirtschaft geht: am Volk. 70%ige Preiserhöhungen bei Brot, Benzin und öffentlichem Transport machen alles unerschwinglich. Die Busfahrt zur Arbeit kostet manchen Lohnarbeiter mehr Rupien, als ihm die Arbeit einbringt.

Die indonesischen Massen und ihre im Westen für Weitblick und Disziplin hochgelobte studentische Avantgarde machen die Schuldzuweisung mit: Sie gehen plündernd auf die chinesische Minderheit los, räumen Supermärkte aus und arbeiten sich zu der politischen Forderung vor: Suharto muß weg! Die Armee, die aufs Volk feuern müßte, um Suharto zu retten, zwingt im Interesse geordneter Verhältnisse den alten Chef zum Rücktritt.

Suharto mit seinen Milliarden im Ausland, seinem Clan und seinen Günstlingen hat – das beweist der Volksaufstand allen Fachkundigen – einfach nicht mehr die moralische Autorität, um den pauperisierten Indonesiern die Opfer abzuverlangen, die der IWF fordert. Der Alte muß gehen, damit die Massen sich die kapitalistische Sanierung des Landes gefallen lassen. Diesen echt demokratischen Dienst leistet der Autokrat dem Land mit seinem Rücktritt: Die Schuld, die er auf sich und mit in den Ruhestand nimmt, bringt das System aus der Schußlinie. Der Mann hat sich um sein Vaterland verdient gemacht.