Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Papst Benedikt besucht sein Heimatland:
Vom Heiligen Vater hätten wir uns mehr erwartet!

Wenn der Stellvertreter Gottes auf Erden nach Deutschland kommt, hat er einen großen Auftritt. An allen Stationen seiner Tournee erwartet ihn eine Fangemeinde, die an die Zehntausende zählt. Die suchen und finden im Live-Auftritt ihres Gurus und im Massenauflauf, den er erzeugt, jenes Gemeinschaftserlebnis, das ihnen recht gibt in ihrem Entschluss, auch als moderne Menschen irgendwie an den jenseitigen Gott und den Herrn Jesus mit seinen Wundergeschichten zu glauben; irgendwie, denn sie so richtig wörtlich zu nehmen, fällt schon echt schwer. Jedenfalls sind sie nicht allein mit diesem Entschluss und feiern sich und ihren Oberhirten dafür, dass sie die in der Gemeinde lebendige Macht des Glaubens erleben dürfen.

Die breite Öffentlichkeit hingegen ist mehrheitlich enttäuscht: Vom Heiligen Vater hätten wir uns mehr erwartet!

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog

Papst Benedikt besucht sein Heimatland

Wenn der Stellvertreter Gottes auf Erden nach Deutschland kommt, hat er einen großen Auftritt. An allen Stationen seiner Tournee erwartet ihn eine Fangemeinde, die an die Zehntausende zählt. Die suchen und finden im Live-Auftritt ihres Gurus und im Massenauflauf, den er erzeugt, jenes Gemeinschaftserlebnis, das ihnen recht gibt in ihrem Entschluss, auch als moderne Menschen irgendwie an den jenseitigen Gott und den Herrn Jesus mit seinen Wundergeschichten zu glauben; irgendwie, denn sie so richtig wörtlich zu nehmen, fällt schon echt schwer. Jedenfalls sind sie nicht allein mit diesem Entschluss und feiern sich und ihren Oberhirten dafür, dass sie die in der Gemeinde lebendige Macht des Glaubens erleben dürfen.

Die breite Öffentlichkeit hingegen ist mehrheitlich enttäuscht:

Vom Heiligen Vater hätten wir uns mehr erwartet!

Schon die politische Elite des Landes führt einen eigenartigen Dialog mit dem Pontifex. Die Parlamentarier laden ihn in ihr Hohes Haus ein, damit er ihnen eine Rede hält und von seiner noch höheren Warte aus sagt, worauf es bei der Politik und letztlich überhaupt ankommt. Der tut das auch und erklärt den versammelten Trägern der Macht einmal, was der Unterschied zwischen ihnen und einer Räuberbande ist.

Was den Staat von einer großen Räuberbande unterscheide, sei einzig und allein der Dienst an höheren, vorstaatlichen Werten, nämlich dem Natur- und Menschenrecht, dem sich eine legitime Obrigkeit zu verschreiben hat. Aber, fragt der Philosoph im Kirchenfürst, wie kann die Natur, auch die des Menschen, eigentlich vorgeben, was gut und richtig ist? Doch wohl nur, weil sich ein Wille in ihr manifestiert, der vorher in sie hineingelegt worden sein muss – vom Herrgott natürlich. Das sollen sich die politischen Herrschaften mal hinter die Ohren schreiben: Keine Räuber sind sie nur, weil und solange sie Diener und Exekutoren eines höheren Rechts sind, das ein anderer gesetzt hat als sie – sein oberster Chef nämlich.

Die versammelten Volksvertreter applaudieren höflich und sagen dann in die Mikrophone, was sie aus Benedikts Belehrung mit nach Hause nehmen: Rainer Brüderle (FDP) dankt dem Papst, dass er die Wertebasis, auf der die inneren Fundamente von Demokratie und Rechtsstaat beruhen, in Erinnerung gebracht hat. Vertreter von CDU und CSU sehen sich im christlichen Menschenbild bestätigt, das ihrem politischen Handeln immer schon den Kompass vorgibt. Die Grünen schätzen an den Papstworten, dass auch die Ökologie lobend erwähnt wird. Herr Oppermann von der SPD lässt sich vom Papst dazu beauftragen, für einen handlungsfähigen Staat einzutreten, der die Märkte reguliert, und für eine Gesellschaft, in der die Stärke des Rechts und nicht das Recht des Stärkeren gilt. (spiegel.de, 22.9.11) Gregor Gysi (Die Linke) hat die Rede nicht so gut gefallen; er hätte sich vom Heiligen Vater ein klares Wort gegen Krieg und Armut gewünscht, das seien doch wichtige christliche Werte.

Für diese Einsichten hätten sie den alten Mann nicht extra aus Rom kommen lassen müssen. Der fordert sie zwar auf, vor Gott Kopf und Knie zu beugen, sie aber antworten keineswegs mit Demut, sondern hören einfach ganz etwas anderes heraus: Nämlich das, was sie immer schon für richtig gehalten und als Markenzeichen ihrer Partei vor sich her getragen haben. Intellektuell gesehen ist das ein Taubstummen-Dialog; aber um den Intellekt geht es nicht, sondern um den Segen. Und den hat die Räuberbande dem heiligen Mann einfach entwendet und auf das umgeleitet, was sie eben gesegnet haben will: auf sich selbst.

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Eigentlich kommt Joseph Ratzinger nach Deutschland, weil er in seinem Heimatland ‚den Menschen begegnen und von Gott sprechen‘ wolle. (faz.net, 22.9.) Diejenigen, die sich von ihm Orientierung versprechen, klärt er darüber auf, dass die nicht zu haben ist, ohne dass sie Gott und seinen Geboten echt und ernsthaft und konsequent Folge leisten; er predigt ihnen Gottesfurcht und warnt vor halbherzigem Glauben, vor den ‚lauen Christen‘, die in der Kirche größeren Schaden anrichteten als die Gegner der Kirche, und überhaupt vor allen Versuchungen, die das Diesseits für die Gemeinde der Gläubigen bereithält: Er sprach sich deutlich gegen eine Kirche aus, die sich an weltliche Maßstäbe angleiche. Kirche müsse sich gewissermaßen ‚entweltlichen‘ und werde immer wieder auf ‚Distanz zu ihrer Umgebung‘ gehen, um ihre Sendung zu verwirklichen, sagte er. (faz.net, 25.9.) Wer seine Sehnsucht nach Sinn von ihm bedient bekommen möchte, der hat sich von der Welt und dem, was sie zu bieten hat, abzuwenden. Der römische Fundamentalist verteidigt den Markenkern seines Produkts, den er von überall her angegriffen sieht. Entsagung ist fällig, nicht nur gegenüber der Welt und ihren Verlockungen, erst recht gegenüber dem eigenmächtigen Denken – sogar dem religiösen: Die lutheranische Sekte im Land der Reformation, die so gerne als gleichberechtigte Kirche Anerkennung finden möchte, muss sich sagen lassen: Ein selbstgemachter Glaube ist wertlos. Der Glaube ist nicht etwas, was wir ausdenken oder aushandeln. (faz.net, 23.9.) Wer an selbst ausgedachte Dogmen und Götter glaubt, verkündet dieser Oberpriester, ist nicht bei Trost. Nur die katholische Lehre ist gültig; sie kommt direkt von Gott.

Bundespräsident Wulff begrüßt den päpstlichen Hardliner freundlich und überschüttet seinen Verein mit hintersinnigem Lob: Die Kirche bediene vorbildlich die Sehnsucht nach Sinn der modernen Gesellschaft, was eine große Verantwortung der Kirchen und Religionsgemeinschaften sei, und erbringe wertvolle Dienste: ‚Was die christlichen Kirchen leisten in Diakonie und Caritas, in der Sorge um Arme und Schwache in unserem Land und überall auf der Welt, das ist einfach großartig und unverzichtbar für den Zusammenhalt,‘ sagte Wulff. Deswegen habe die Kirche einen wichtigen Stellenwert in der Gesellschaft, dem sie auch gerecht werden solle: Die Kirche sei keine Parallelgesellschaft, sie lebe mitten in dieser Gesellschaft. Daher sei es wichtig, dass Kirchen den Menschen nahe blieben und sich nicht auf sich selbst zurückzögen. (faz.net, 22.9.) Der höchste Repräsentant der Gesellschaft ist auch nicht darum verlegen, dem Papst die Veränderungen zu nennen, die nötig seien, damit sich seine Kirche den Menschen nicht entfremdet: Frauen- und Laienpriester, keine Exkommunikation wiederverheirateter Geschiedener, Ökumene... Die Kirche hat sich gefälligst der modernen Welt und der heute gültigen Moral anzupassen, wenn sie will, dass die Menschen ihr nachlaufen. Sie soll den Geboten, die gelten, ihren göttlichen Segen erteilen, wenn sie will, dass die Menschen Gott gehorchen. Und dafür hat der Präsident – ebenso wie andere Leute, die selbst weder katholisch sind, noch mit Gott groß was am Hut haben – durchaus etwas übrig: An der religiösen Dummheit, die sie oft gar nicht teilen, schätzen sie die Funktion für Staat und Gesellschaft: Die Kirche liefert den einfachen Leuten einen guten Grund fürs weltliche Mitmachen, sie entlastet den Sozialstaat, versittlicht die Armut hier und in fremden Weltgegenden. Sie soll mit ihrem Irrationalismus dem Staat dienen und sich dafür von dysfunktionalen Elementen ihrer Glaubens- und Morallehre trennen.

Nicht nur die Staatstypen, auch moderne Gläubige aus den Reihen der Kirche von unten, die nicht eine Funktion der Religion für Staat und Gesellschaft im Auge haben, sondern ihren persönlichen Sinn, sind sehr wählerisch. Die Sehnsucht in der Bevölkerung nach einer Stimme der Moral (faz.net, 22.9.), von der sich der Papst gerufen fühlt, treibt sie durchaus; sie erwarten von ihm moralische Predigten und Ermahnungen und Antworten auf die Fragen, die für ihr Leben wichtig sind. Allerdings haben sie dann auch sehr klare Vorstellungen davon, welche Lehren der Papst ihnen erteilen soll und mit welchen der „antiquierten“ Moralvorstellungen der katholischen Kirche er sie endlich verschonen soll. Kondome, Homosexualität und Abtreibung – das sind heute doch keine Sünden mehr! Auf das Heilige und Höchste will die moderne Gesellschaft nicht verzichten, die moralische Autorität eines göttlichen Stellvertreters will man haben, aber was der zu heiligen hat, das sagt die moderne Gesellschaft ihm vor. Mit allem anderen macht sich die päpstliche Stimme der Moral unglaubwürdig!