G8-Treffen
Schon wieder: Die Welt zu Gast bei Freunden

Ein paar Wochen lang wird die Nation mit der Vorbereitung und Abwicklung dieses Großereignisses befasst, mit dem die Republik einen ihrer Höhepunkte in diesem Jahr erleben will. Dazu gehört die Bewältigung des G8-kritischen Umfelds, was den Zuständigen, wie sie sich bescheinigen, in vorbildlicher Weise gelungen ist.

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Gliederung

G8-Treffen
Schon wieder: Die Welt zu Gast bei Freunden

Ein paar Wochen lang wird die Nation mit der Vorbereitung und Abwicklung dieses Großereignisses befasst, mit dem die Republik einen ihrer Höhepunkte in diesem Jahr erleben will. Dazu gehört die Bewältigung des G8-kritischen Umfelds, was den Zuständigen, wie sie sich bescheinigen, in vorbildlicher Weise gelungen ist.

I. Die demokratische Erledigung von Protest

„Wir haben unsere Ziele erreicht. Das Gipfeltreffen verlief störungsfrei, wir haben friedliche Demonstrationen geschützt und das Recht auf freie Meinungsäußerung gewährleistet.“ (der mecklenburg-vorpommer’sche Innenminister Caffier)

Die rechtsschützenden Organe haben vor und während des Gipfels eine erstklassige Gelegenheit, die gesamte Palette ihrer Mittel zum Einsatz zu bringen und kreativ zu erweitern. Schon vorbeugend werden juristische Mittel in Anschlag gebracht wie z. B. eine weitreichende Kriminalisierung mit Hilfe des Verdachts auf Bildung einer terroristischen Vereinigung. Belegt wird der Verdacht mit ein paar angezündeten Autos, was bei der Polizei anderer Nationen eher zur Wochenend-Routine gehört; aber der Sicherheitsbedarf dieser Republik war eben schon immer etwas teurer. Ermittlungstechnisch kommen Postkontrollen und Razzien zum Einsatz, mit denen die Szene im weitesten Sinne, u. a. Lieferanten von Kommunikationstechniken im Internet, durchsiebt wird; neben allem möglichen Beweismaterial werden auch, ohne falsche Scheu vor Stasi-Vergleichen, Geruchsproben gesammelt. Polizeitechnisch geht man mit Kontrollen an den deutschen Außengrenzen vor, bei denen Verdächtige anhand von Kapuzen und Taschenlampen als solche identifiziert werden, V-Leute tun das Ihrige Herauslocken von Gewaltbereitschaft unter den Demonstranten zwecks Beschaffung von Beweismaterial; das Institut des Vorbeugegewahrsams wird in großem Maßstab angewandt.[1]

Das alles wird von einem unermüdlichen Innenminister begleitet, der dem gesamten Aufwand Beweise für eine dringend nötige Erweiterung der Befugnisse der Sicherheitsorgane entnimmt. Die erweitern ihre Befugnisse auch schon selbstständig im Rahmen der Amtshilfe, die die Bundeswehr mit ihren Top-Geräten leistet. Von den geplanten Aufklärungsflügen, um über eventuelle Vorbereitungen gewalttätiger G-8-Gegner oder von Terroristen informiert zu sein, finden ein paar mehr als eigentlich genehmigt statt. Schließlich habe man feststellen wollen, ob die Protestierer ‚Erddepots‘ anlegten oder Straßen unterspülten (Wolfgang Bosbach, CSU), Auch an den polizei-eigenen Mitteln wird nicht gespart: Zäune, Nato-Draht, 16 000 Polizisten samt V-Leuten und Filmteams, Hunde, Pferde, Pfefferspray, Tränengas und Wasserwerfer, Kontrollen an Land, zu Wasser und in der Luft. Für die insgesamt 1112 Freiheitsentziehungen und Ingewahrsamnahmen hat man eigens Gefangenensammelstellen mit beleuchteten Käfigen eingerichtet. Die Insassen werden mit Schlafbrillen in ausreichenden Mengen ausgestattet; wir sind ja schließlich nicht in Guantanamo. Kosten insgesamt schlappe 120 Millionen Euro. Die Nacharbeiten werden von der Justiz erledigt: Knapp eine Woche nach den Rostocker Krawallen sind die meisten der verhafteten Steinewerfer bereits verurteilt. Nach Heiligendamm fällt etwas mehr an: Etwa 1100 Strafverfahren, 8 Staatsanwälte arbeiten in einer G-8-Sonderabteilung. In 800 Fällen ermittelt die Polizei gegen Gipfelgegner. Der polizeistaatliche Erfolg: Die Karteien sind aufgefüllt, Beweismaterial gesammelt, die Szene hat man überwachungstechnisch gut im Griff.

Und diese imponierende Leistung der staatlichen Apparate darf man nach den Worten des zuständigen Innenministers als Schutz friedlicher Demonstrationen und Gewährleistung des Rechts auf freie Meinungsäußerung begreifen, ganz nach dem Diktum der Kanzlerin: Wer friedlich demonstriert, der findet auch unser Gehör. (Regierungserklärung vor dem Gipfel) Protest in unseren zivilisierten Breiten hat nämlich zuallererst einmal sich zu legitimieren, durch eine polizeigefällige Weise, sich zu Wort zu melden – und eben dies zu beurteilen und sicherzustellen, ist Sache von Justiz und Polizei – siehe oben.

Die großzügige Genehmigung, dass sich die Unzufriedenheit von unten öffentlich äußern darf, wird an die Bedingung geknüpft, ‚aber nur friedlich‘, und wenn sie nicht stört. Die kritische Frage nach Gewalt wird somit ausgerechnet bei den eher bescheidenen Techniken und handwerklichen Künsten aufgeworfen, mit denen die Protestszene in einer durchorganisierten Öffentlichkeit überhaupt auf sich und ihre Einwände aufmerksam zu machen versucht. Mit ihr ist der Generalverdacht gegen die Einwände von unten in der Welt, ob sie nicht etwa den nötigen Respekt vor der herrschenden, legitimierten, gültigen Gewalt vermissen lassen. Und dessen Widerlegung, den Beweis der Friedfertigkeit der Kritiker überlassen die Inhaber des staatlichen Gewaltmonopols keineswegs denen selbst – beauftragen vielmehr die geteilten Gewalten, die dann loslegen. Die staatlichen Instanzen entscheiden, was alles als nicht-friedlich zu gelten hat, wobei die Grenze mit der Definition von Sicherheitszonen und von Straftaten, also von Berechtigungsgründen zum polizeilichen Eingreifen zwecks vorbeugender Verhinderung von Straftaten, markant vorangeschoben wird. Und vor Ort wird die Reichweite des Demonstrationsrechts dann praktisch im Verhältnis zu einem anderen, äußerst empfindlichen Rechtsgut definiert: der Sicherheit des Gipfels, die nur dann gewährleistet ist, wenn unser auswärtiger Besuch vor einem unschönen Anblick und dem geräuschvollen Vortragen abweichender Meinungen aufs weiträumigste geschützt wird. Das Stichwort Gewalt darf einem bei diesen hochsicherheitsmäßigen Vorkehrungen natürlich nicht einfallen, schließlich handelt es sich ja um einen völlig legalen und legitimen Einsatz der Staatsgewalt.

Dabei werden dann auch die Protestler zur Mitwirkung am Schutz ihrer Demonstrationsfreiheit herangezogen: Die Polizei stellt sie vor die Alternative, entweder unter die Kategorie „unerlaubt“, „kriminell“ zu fallen und sich die entsprechende Behandlung zuzuziehen oder sich in den Rahmen des Erlaubten einzupassen. Und das schließt neuerdings ein, dass die Demonstranten selbst für die Rolle als Ordnungsfaktor in Anspruch genommen werden, so dass im Zusammenwirken mit den Polizeikräften eine gewisse Umdefinition des Demonstrationszwecks in Richtung auf Eindämmung des schwarzen Blocks und gemeinsames Fangen von „Gewaltbereiten“ stattfindet.

So wird der Protest dann praktisch und theoretisch dermaßen unter die Gewaltfrage subsumiert, dass vom Protestanliegen nichts mehr übrigbleibt.

An den polizeilichen Vorgaben, dass sich die Bewegung von Gewaltbereiten trennen und denen keine Gelegenheiten bieten darf, arbeiten sich die G8-Gegner ab und spalten sich. Die einen machen sich kundig, weniger in den imperialistischen Affären, gegen die sie antreten, als in Techniken „gewaltfreien Demonstrierens“ und führen wieder einmal die „Gewaltdebatte“. Die anderen legen sich auf eine symbolische Durchsetzung gegen das Gipfelgeschehen dermaßen fest, dass sie mit ihren sportlichen Höchstleistungen und technischem Einfallsreichtum, was Erfolge auf diesem Feld angeht – blockiert! –, auch ziemlich von dem Thema abkommen, was gegen das Wirken der G8 eigentlich einzuwenden und wie dagegen vorzugehen wäre.

Damit hat auch die freiheitliche Meinungsbildung ihren maßgeblichen Gesichtspunkt, unter dem sie dem Protest Sendeminuten und Aufmerksamkeit widmet. „Wollt ihr Tote, ihr Chaoten?« fragt die Bild-Zeitung nach der ersten Polizei-Orgie in Rostock. Zwei Wochen lang ist es überhaupt das wichtigste Thema, wie weit die Staatsorgane auch die richtige Mischung von Niederschlagen und Zulassen hinbekommen haben. Gut pluralistisch kommen alle ehrenwerten politischen Bedürfnisse zu ihrem Recht: Die einen beklagen das Versagen der Polizei, die ja die Leute bis an den Zaun hat kommen lassen; die anderen wälzen Geschmacksfragen, ob es denn wirklich als Stasi-Methoden bekannt gewordene Techniken sein müssen, wieder andere üben sich im Lob des Rechtsstaates, der so schön wäre, aber bei den Schäubles etc. immer unter die Räder kommt ... So wird dann weder etwas über den Gehalt des Gipfels mitgeteilt noch kommen die Anliegen der Kritiker groß zu Wort, weil deren Berechtigung gar nicht an den Einwänden verhandelt wird, die sie vorzubringen haben, sondern an der Methode des Auftritts.

Im freiheitlichen Zusammenwirken von Politik, Polizei und Öffentlichkeit wird der Protest formvollendet erledigt: Die einen werden als Chaoten, Verbrecher eingestuft und sogar in die Nähe des Terrorismus gerückt; damit wird ihr Protest dann, ohne jede Befassung mit seinem Anliegen, ins Unrecht gesetzt. Die große Mehrheit lässt sich auf die demokratischen Benimmregeln einschwören, trägt ihre Sorgen ums Klima und die Zustände in Afrika unter Bekundung des nötigen Respekts vor, und damit ist auch eine Entscheidung über die Sache gefällt, dass nämlich die Zuständigkeit zur Befassung mit diesen Problemlagen völlig zu Recht und anerkanntermaßen bei den Regierenden liegt. Das von oben erwünschte Muster eines solchen Dialogs, ‚Bürger fragen, Politiker antworten‘, hat die Gipfelregie selbst noch eingebaut, indem eine Handvoll frisch gekämmter jugendlicher Bedenkenträger dann wahrhaftig an einem Tisch mit den Großen Acht ihre Sorgen aufsagen darf. So ist das mit dem Gehör gemeint, das Frau Merkel verspricht: Das ist reserviert für einen Protest, der seinen Gegensatz zur Obrigkeit streicht, deren Machtvollkommenheit in der moralischen Fassung als Verantwortung anerkennt, sich im Namen gemeinsamer Ideale zu Wort meldet, sein Anliegen in Gestalt eines Problembewusstseins, einer Wunschliste zur Besserung der Welt vertrauensvoll bei seinen Regierenden abliefert, die dann dort in den allerbesten Händen ist.

Der Polizeiminister persönlich exerziert vor, wie eine Musterdemokratie die Unzufriedenheit von unten fertigmacht: Während auf der einen Seite unter seiner Regie alles, was unter Störung der öffentlichen Ordnung fällt, mundtot gemacht, eingezäunt und kriminalisiert wird, erläutert er auf der anderen Seite in aller Freundlichkeit, dass das Anliegen der Protestbewegung bei ihm und seinesgleichen schon bestens aufgehoben, ja regelrecht erwünscht ist – in einer leicht veränderten Fassung:

„Ein Ziel der Bundesregierung ist, die Aufmerksamkeit eines möglichst großen Teils der Welt auf die Notwendigkeit nachhaltiger Umweltpolitik zu lenken. Und auf die Notwendigkeit, den afrikanischen Kontinent nicht im Stich zu lassen. Wenn die Bürger ebenfalls aufmerksam machen wollen, dass es nicht so weitergehen kann mit Afrika oder mit der Klimapolitik, dann ist das nur zu begrüßen. Ich beschäftige mich selbst intensiv mit diesen Fragen.“ (Bild am Sonntag, 27.5.07)

Die Kollegin aus der SPD belehrt die Gipfelgegner ebenfalls darüber, dass von einem Gegensatz zwischen oben und unten gar keine Rede sein kann:

„Vielleicht sehen die Demonstrierenden nun aber auch: Vieles von dem, was sie oder manche Nichtregierungsorganisation fordern, ist genau das, was wir auf dem Gipfel für Afrika tun.“ (Wieczorek-Zeul, „Wir tun genau das, was die Demonstranten fordern“, (FAZ, 4.6.)

Wo ihre Sache bei Schäuble und Kollegen so gut aufgehoben ist, können sich die G8-Gegner das Demonstrieren sparen oder mit dem Besuch des großen Rockkonzerts, wahlweise des evangelischen Kirchentags als erledigt betrachten. Die Festlegung von Kritik auf eine staatstragende Funktion, als immerwährende Mahnwache, mit Appellen an die Machthabenden, die deren Verantwortung für die großen Fragen der Menschheit reklamiert und daher aufs harmonischste in eine Akklamationsveranstaltung zu überführen ist – dagegen hat auch Putin sicher nichts einzuwenden.

Von Polizeifestspielen und Kirchentagsgebeten umrahmt, findet dann die Haupt – und Staatsaktion, das Gipfelgeschehen selber statt:

II. Ein „bisschen Weltregierung“ – und das unter deutscher Führung!

Die Mächtigsten der Welt versammeln sich bei uns, unter IHREM Kommando, die Bildzeitung rastet komplett aus.

„SIE ist Kanzlerin! SIE ist EU-Ratspräsidentin, Chefin der Europäischen Union. SIE dirigiert als Gastgeberin die mächtigsten Männer der Welt ... Ein Durchbruch. Nun fassen die G8 – auch die USA – doch das konkrete Ziel einer Verringerung der Treibhausgase um mindestens 50 Prozent bis zum Jahr 2050 gemeinsam ins Auge.“ (bild.de)

Ebenso hautnah dabei der Spiegel mit seiner Gipfellyrik aus der Schlüssellochperspektive:

„Er konnte jetzt alles zum Kippen bringen. Er tat es nicht. Er wurde nicht böse, als Merkel ihn noch einmal mit einer fatalen Mischung aus selbstironischer Mädchenhaftigkeit und Hartleibigkeit umgarnte. Du weißt doch, George, es ist mir nun mal wichtig. So hat sie ihn rumgekriegt.“

Das ist kein Lore-Roman, sondern die Bilanz des G8-Gipfels:

„Die Welt ist nicht gerettet damit ... wenn man es für richtig hält, von der Politik alles erwarten zu können, von diesem Standpunkt aus war Heiligendamm ein Fehlschlag. Es gibt auch einen anderen Standpunkt ... Es sah nach einer Welt des Unilateralismus aus. Die USA führen, der Rest folgt oder schmollt. Heiligendamm hat daran etwas geändert, ein bißchen jedenfalls ... Es lohnt sich wieder die Frage zu stellen, wie diese Welt sinnvoll regiert werden kann. In Heiligendamm wurde ein bißchen Weltregierung gespielt. Weltregierungschefin war Angela Merkel, zumindest für einen Augenblick.“

Wenn WIR so viel zu sagen haben, dass auch der Ami ein bisschen auf uns hört, dann ist die Welt, die gerade noch auf dem Weg zur Klima-Katastrophe war, laut Spiegel glatt schon wieder ein bisschen gerettet. Und zum Mitfiebern wird die Veranstaltung, von der, wie der Autor selber sagt, eine Menge Überleben abhängen soll, als tête-à-tête imaginiert, bei dem sie ihn ’rumkriegt. Demokratischer Personenkult vor dem Hintergrund einer Klima- und anderer Welt-Katastrophen – eine sehr geschmackvolle Mischung. Wenn Deutschland den Vorsitz hat, kennt die Ekstase der Hofberichterstattung keine Grenzen mehr.

Dass es ein Erfolg werden musste, stand auch schon vorher fest. Vom Planungsstab der Regierung wurde das nationale Publikum aufgeklärt, wie seine Regierung es hindreht, gut auszusehen; man muss nur die Messlatte tief genug hängen, damit sie auch angesichts gewisser Unstimmigkeiten im Kreis der acht nicht zu verfehlen ist. Und berichtet wurde dann in erster Linie von der guten Stimmung, die unter den großen Acht in Heiligendamm geherrscht hat. Wirklich gelungen ist

das Gipfel-Ritual,

bei dem sie es auf die Demonstration ihrer harmonischen Einigkeit anlegen. Auf allen Fernsehkanälen präsent, mit Scherzen und Getränken, mit und ohne Negerkindern und anderen Besuchern aus der Staatenwelt, führen sie sich auf wie gute Kumpels, die sich ständig auf die Schultern und andere Körperteile klopfen, in jede Kamera grimassieren, um alle Welt wissen zu lassen, wie gut sie sich untereinander verstehen. In kollegialem Ton sind sie mit der Beratung über bestimmte Probleme und die nötigen Maßnahmen zur Bewältigung befasst, was mit launigen Stichworten wie „Hausaufgaben“ und „Familienfoto“ dekoriert wird.

Für das Publikum demonstrieren sie mit dieser Inszenierung ihre gemeinsame Zuständigkeit für die entscheidenden Probleme auf dem Globus. Im Umgang mit den verschiedensten Herausforderungen, mit deren Verursachung sie nichts zu schaffen haben, für deren Bewältigung sie sich aber sehr wohl zuständig erklären, möchten sie sich und ihre Regierungsleistungen gewürdigt sehen. Ihren Zugriff auf die Welt zum Nutzen ihrer Staatsmacht präsentieren sie als ihre Verantwortung. Und ihre Konkurrenz, bei der sie an allen Fronten miteinander ringen und bemüht sind, sich wechselseitig zu benützen, auszubooten, zu dominieren – wird als großes kollegiales Miteinander in Szene gesetzt. Fast das Wichtigste am Gipfel sind die Bilder, mit denen die führenden Imperialisten plus Russland dokumentieren, dass sie sich gemeinsam über die großen Fragen der Menschheit verständigen und verständigen können.

Diese Demonstration von Einigkeit haben sie hinbekommen, und darauf kommt es offensichtlich sehr an, wenn sich die Machthaber dieser Weltordnung zusammenfinden.

Schließlich sind sie es nämlich, die erstens die Sachlagen schaffen, die dem Rest der Welt dann als Problem präsentiert werden: Die von ihnen hergestellte Weltwirtschaftslage, die Folgen des globalen kapitalistischen Treibens, das sie veranstalten und ihre Kapitalisten veranstalten lassen, und die Weltordnungsfragen, die sie mit ihrer Konkurrenz auf die Tagesordnung setzen. Zweitens schärfen die Folgen ihres Wirkens ihren Bedarf an Kontrolle über diese Ansammlung von Problemlagen nicht zuletzt deshalb, weil sie selbst es sind, die sich an den verschiedenen Schauplätzen in die Quere kommen. Und diesem Bedarf entsprechend definieren sie die Problemlagen der Weltordnung, legen fest, wie sie ihre Macht einzusetzen gedenken, und verlangen von ihren Konkurrenten und Partnern die Anerkennung für ihre Definitionen, worin die Anerkennung der eigenen Zuständigkeit für die Gestaltung der Weltordnung eingeschlossen ist. Wegen ihrer Konkurrenz verspüren sie offensichtlich das lebhafte Bedürfnis, sich bei den Konkurrenten und Partnern zu vergewissern, wie es um den Willen zur Übereinkunft in Konkurrenzfragen bestellt ist, wie weit die Bereitschaft vorhanden ist, sich die Zuständigkeit zu bestätigen, gewissermaßen Bilanz zu ziehen, wie weit sie es wieder einmal mit dieser Einheit von Konkurrenz und Kooperation gebracht haben.

Die Resultate von Heiligendamm fallen da ziemlich mager aus. Außer dass die Einigkeit vorgeführt worden ist, haben sich die Großen auf sehr wenig Inhalte für diese Einigkeit verständigen können.

Mit dem Klima ging es los. Den von der deutschen Gipfel-Regie geplanten Höhepunkt, in einem Akt deutsch-europäischer Führungsstärke Amerika ‚ins Boot zu holen‘, hat der amerikanische Präsident schon vor dem Gipfel vermasselt. Der lieben Angela, die

Gutes Klima für das Klima

(Material der Bundesregierung zum Gipfel) stiften und sich mit einer verbindlichen Vereinbarung deutscher CO2-Reduktionsziele verewigen wollte, hat Bush einen Dämpfer verpasst, indem er bekanntgibt, dass er die Leadership auch auf diesem Gebiet lieber selber übernimmt. Und er lässt keinen Zweifel daran, wie das gemeint ist. In der Positur des Weltklimaführers kündigt er eine andere Verfahrensweise als die von Kyoto an; will diese Frage auf ein neues internationales Gremium vertagen, in dem die Schwellenländer vertreten sind, die bekanntlich im Namen ihrer aufholenden Wachstumspläne auf dem Weg zur Wirtschaftsmacht wenig Grund dazu sehen, sich auf Beschränkungen einzulassen und insofern den amerikanischen Vorbehalt gegen supranationale Regelungen bekräftigen. China meldet sich postwendend, indem es erst einmal auf dem Nachholbedarf von seinesgleichen in Sachen CO2-Ausstoß als Forderung der historischen Gerechtigkeit besteht.

Der Streit darum, ob und wie dem Klimawandel begegnet werden soll, ist, wie alles in dieser wohlgeordneten Welt, eine Frage der staatlichen Rechnungen, wie sehr es dem Machthaushalt der eigenen Nation im Verhältnis zu dem der anderen nützt oder schadet. Er wird deswegen so erbittert geführt, weil die führenden Nationen bestrebt sind, sich unter diesem Titel wechselseitig neue Konkurrenzbedingungen in Sachen „Energieeffizienz“, d. h. bei der Sicherung einer ziemlich entscheidenden Bedingung für das von ihnen als unerlässlich angesehene Wachstum aufzunötigen. Und in diesem Streit, das möchte Bush wieder einmal allen zu verstehen geben, sind es immer noch die USA, die anderen etwas vorzuschreiben haben und die Maßstäbe dieser Konkurrenz setzen.

Aufgrund dieses amerikanischen Ukas, wie der Klimaprozess angepackt werden soll, wäre beinahe der von Merkel geplante welthistorische Event geplatzt. Die deutsche Öffentlichkeit jault auf.

„Ein Hauch von Panik in Berlin ..., der US-Präsident hatte die deutsche Gipfel-Strategie zerstört“ (Handelsblatt), „Bush spaltet die Welt“ (FR), „die CDU-Chefin soll schließlich als strahlende G-8-Gastgeberin von Heiligendamm nach Berlin zurückkehren. Da stört der Eindruck, dass nicht sie, sondern der US-Präsident am Steuer sitzt.“ (Handelsblatt) „Es sah aus, als wolle Bush eine Koalition der Unwilligen formen.“ (Spiegel)

Auch die von Merkel gewünschte Prozentzahl kommt nicht in die Abschlusserklärung, wo man doch neuerdings Übel wie CO2, Arbeitslose oder Hunger so gerne halbiert. Die Acht einigen sich stattdessen darauf, dass die Herausforderung enorm ist:

„Der Klimawandel hat das Potenzial, unsere natürliche Umwelt und die Weltwirtschaft schwer zu schädigen, und seine Bekämpfung ist eine der größten Herausforderungen, vor denen die Menschheit steht.“

Man hat sich auch die Einsicht in die Notwendigkeit abgerungen, sich Ziele zu setzen: Erstmals hatten sich die G8 tags zuvor auf die Notwendigkeit gemeinsamer Reduktionsziele bei den Treibhausgasen verständigt, und Ziele zu prüfen, und zwar ‚ernsthaft‘, ein Zusatz, den sich nachher verschiedene Teilnehmer zugutehalten:

„Bei der Festlegung eines globalen Zieles für Emissionsverringerungen im Rahmen des in Heiligendamm vereinbarten Prozesses unter Einbeziehung aller wesentlicher Emissionsländer werden wir die Entscheidungen der Europäischen Union, Kanadas und Japans, die mindestens eine Halbierung der globalen Emissionen bis 2050 beinhalten, ernsthaft prüfen.“

Ein Witz: Die Beteiligten unterschreiben sich, dass sie die Absicht haben, irgendwann mal zu irgendwelchen Ergebnissen zu kommen ... Das groteske Verfahren der Gipfel-Diplomatie, bei dem die Teilnehmer im Namen ihrer Konkurrenzinteressen darum ringen, wie, in welchen diplomatischen Floskeln, sie den Klimawandel, die wissenschaftlichen Studien überhaupt anerkennen und wie sie ihn als gemeinsames Problem überhaupt auf ihre Tagesordnung befördern, dieses diplomatische Kräftemessen bringt es zu einer Abschlusserklärung, der jeder verbindliche Inhalt genommen wird, damit man überhaupt eine Einigung hinbekommt.

Aus dieser dürren Abschlusserklärung einen Riesenerfolg für Europa, für die Welt, für die Menschheit zu machen – das erfordert dann die Kunst der Regierungssprecher und ihres Echos in den Medien. Es ist natürlich ein Erfolg, wie kann es auch anders sein, wenn Deutschland Regie führt: Bush hat zum ersten Mal das Wort Kyoto benutzt, er hat sich auf die Redeweise eingelassen, dass es überhaupt einen „vom Menschen verursachten“ Klimawandel gibt, und dann hat er auch noch unterschrieben, dass in der UNO ein Prozess in Sachen Klima stattfinden soll ...

Auch Putin soll im Vorfeld das Klima ein bisschen verdorben haben mit seinen neuesten Einfällen im Streit um die von Amerika geplante

Aufstellung von Raketenabwehrsystemen in Europa.

Für den Fall, dass die russischen Einwände gegen die amerikanischen Aufrüstungspläne in Europa kein Gehör finden, will er wieder Raketen mit Zielrichtung Europa in Stellung bringen. Auf dem Gipfel benimmt er sich schon wieder daneben und überfällt den lieben George mit einem Angebot zur gemeinsamen Nutzung einer russischen Radaranlage in Aserbeidschan, mit der er gleich ganz Europa vor den schurkischen Raketen aus dem Iran schützen will, um deren Abwehr es Amerika angeblich geht. Bezeichnend für den blendenden Stand der Beziehungen dieser Gipfelpartner, dass das in vielen Kommentaren als Putins Überraschungscoup auf Kosten des amerikanischen Präsidenten gewertet wird. Eine Frechheit des Russen, Amerika mit einem Angebot zu kommen, das dessen enormen Sicherheitsbedarf gegen den Rest der Welt zu einer gemeinsam zu regelnden Angelegenheit herabsetzt und den viel umfassenderen Bedarf an strategischer Kontrolle auf eine Optik mit Richtung Iran einzwängen möchte. Einem Russen ist sowas selbstverständlich nicht als irgendein Stück Friedensprozess zugutezuhalten; es ist ein Coup, da ja Amerika von Russland keine nicht-bestellten Vorschläge, sondern Zustimmung hören will und sich von der lästigen Pflicht einer Rüstungsdiplomatie von gleich zu gleich doch längst freigesetzt sehen wollte. Der Coup geht auf Kosten des amerikanischen Präsidenten, weil der sich wieder von seinen Beraterstäben neue Ideen verfertigen lassen muss, wie man den Russen endlich zum Nachgeben bewegt, z. B. durch eine Einladung nach Kennebunkport.

Aber dann ist es doch noch zu Versöhnlicherem gekommen, unter dem Titel

Wachstum und Verantwortung in Afrika

Dieser imperialistische Sozialfall unter den Kontinenten firmiert schon seit einigen Gipfeln als vorrangiges Demonstrationsobjekt für die guten Taten der Beinahe-Weltregierung. Im Programm steht ein sogenannter Africa outreach, was soviel bedeutet wie soziales Engagement für Afrika. Da hat der Gipfel seinen prominenten Kritikern aus der Musikwelt, die sich jeweils zu den Gipfeln mit dem Streit um Zahlen zu Wort melden, eine 60 Milliarden Dollar-Zusage zu bieten – die G8 lassen Afrika nämlich nicht im Stich!

„Die G8 bekennen sich zu ihrer Zusage, die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika bis 2010 maßgeblich zu erhöhen.“

Wer, wann, wie viel zahlt, darauf wollten sich die Beteiligten im Einzelnen nicht so genau festlegen; als großzügiger Geber wird man ja wohl seine nationalen Vorbehalte und Berechnungen einbringen dürfen [2] – die Geldofs können also bis zum nächsten Gipfel wieder nachrechnen und mit ihrer bornierten Kritik an gebrochenen Versprechen den Glauben an ein Verhältnis der Hilfe zwischen den Kontinenten aufrechterhalten. Die Gipfelteilnehmer selber bekräftigen neuerlich ihren Standpunkt, dass Entwicklungshilfe passé ist,[3] nicht nur mit der eher bescheidenen Summe, sondern auch explizit:

„Wir verständigten uns auf ein Kernpaket von Entwicklungsgrundsätzen. Wir hoben die Bedeutung des Wachstums des Privatsektors hervor, einschließlich der Ausweitung der Finanzmärkte, der Verbesserung der Regierungsführung und der Förderung des Handels“.

Dem marktwirtschaftlich ruinierten Kontinent wird genau das als Rezept zur Gesundung verpasst: Mehr Marktwirtschaft und gutes Regieren.

„Im Rahmen der G8-Partnerschaft mit Afrika beschäftigten wir uns eingehender mit den Themen ‚Frieden und Sicherheit‘, ‚nachhaltige Investitionen‘, ‚gute Regierungsführung‘ und ‚Verbesserung der Gesundheitssysteme und Bekämpfung von HIV/AIDS, TB und Malaria‘ ... “

Die Ansammlung von Notständen, die Mischung aus Bürgerkriegen, Naturkatastrophen und Seuchen wird wieder einmal als Normalzustand dieser Weltgegend registriert, wobei die G8 zunehmend Nachdruck darauf legen, dass die dortigen Regierungen in die Pflicht genommen werden, auch einmal selber ihre Notstände ein bisschen einzudämmen. Dafür wollen sich die G8 hilfreich zeigen und Zuschüsse spendieren. Die Hauptprogramme bestehen in Fonds zur Seuchenbekämpfung und dem Aufbau einer gesamt-afrikanischen Ordnungstruppe – eine schöne Zusammenfassung der Zustände auf dem Kontinent, wo die einzelnen Staatsgebilde vor Ort nicht einmal die lokale Kontrolle garantieren können. Auch noch bei dem Programm, die afrikanischen Staaten wenigstens in Gestalt einer suprastaatlichen Ordnungstruppe nützlich zu machen, müssen die G8 die Oberhoheit ausüben und die Entwicklung einer afrikanischen Friedens- und Sicherheitsarchitektur und den Aufbau einer Afrikanischen Eingreiftruppe in die eigenen Hände nehmen. Frieden und Sicherheit (Stärkung der innerafrikanischen Krisenbewältigung) bei gleichzeitiger Betonung der Eigenverantwortung Afrikas sind elementare Grundvoraussetzungen für soziale und ökonomische Entwicklung.

Beim Bekenntnis zur Hilfe für den Kontinent kennen die führenden Nationen leider auch nur allzugut ihre Schranken, denn schließlich muss sich Afrika auch zum Empfang unserer Hilfe als geeignet erweisen:

„Wir brauchen effiziente Institutionen und Strukturen. Ansonsten werden die Mittel, die wir seitens der entwickelten Länder einsetzen, nicht bei den Menschen ankommen. Das wäre fatal.“ (Merkel)

Damit wäre jedenfalls entschieden, wer für Misserfolge zuständig ist, die Verantwortung fürs failing an die richtige Adresse zurückverwiesen und eine ideologische Bremse gegen den Moralismus der Hilfsforderungen eingebaut. Umgekehrt darf man von den Kritikern verlangen, dass sie die einschlägigen Kosten für den militärischen Teil endlich einmal unter Humanitäres und Hilfe verbuchen. Merkel im Gespräch mit Bob Geldof:

„Deutschland hat für 56 Millionen Euro die Wahlen im Kongo militärisch mit abgesichert, für die Blauhelmtruppen in Liberia haben wir 160 Mio. US-Dollar gegeben und haben damit das Land aus dem Chaos des Bürgerkriegs gelöst. Das schlägt sich aber in den Zahlungsquoten, von denen Sie sprechen, nicht nieder ... Dazu passt nicht recht, dass solche Hilfe nicht angerechnet werden kann.“ [4]

Die weiteren Ergebnisse

der Runde, die sich so prächtig versteht, fallen alle etwas einsilbig bis gar nicht aus.

In Anbetracht der Doha-Runde, die die WTO-Bestimmungen zur Handelsliberalisierung fortschreiben soll, aber nun schon seit Jahren an den gegensätzlichen Forderungen der Handeltreibenden stockt, rufen die Besucher in Heiligendamm alle Mitgliedsstaaten der Welthandelsorganisation (WTO) dazu auf, sich dabei konstruktiv und flexibel zu zeigen – konstruktive und flexible Angebote von ihrer Seite sind nicht gehört worden.

Zum Thema der Hedge-Fonds kann die Vorsitzende genau einen, dafür aber total ausgewogenen Satz verkünden:

„Während wir den positiven Beitrag der Hedge-Fonds zur Stabilität des Finanzmarkts erkennen, wollen wir auch systemische Risiken minimieren, indem wir die Transparenz und die Marktdisziplin seitens aller Beteiligten erhöhen.“

Über die von einigen der Acht gewünschte Verpflichtung, die Macht des globalisierten Finanzkapitals unter gemeinschaftliche Regelungen zu stellen, ist keine Einigkeit zu erzielen. Die Befürchtungen der einen angesichts der aktuellen Geschäftspraktiken des gemeinschaftlich produzierten Finanzüberbaus, der Macht gewisser Heuschrecken, über nicht unwesentliche Teile des eigenen Standorts zu entscheiden, treffen auf die Vorteilsberechnungen der anderen, die sich mehr als Finanzplatz und Profiteure von deren Wirken verstehen. So bleibt es bei der gemeinsamen Bitte um Transparenz: Die Hedge-Fonds möchten doch bitte rechtzeitig mitteilen, wann sie vorhaben, sich von Stabilitätsbeiträgern in Risikoträger zu wandeln.

Einig geworden sind sich die Acht wiederum darin, dass sie Protektionismus verabscheuen – in anderen Ländern; mehr Schutz (lateinisch: Protektion) ihres geistigen Eigentums muss aber sein, zur Befestigung ihres gerechten Konkurrenzvorsprungs – gegen die Produktpiraterie der anderen.

Andere strittige Fragen, wie die amerikanischen Pläne zur Aufstellung von Raketenabwehrsystemen, den Standort Europa in das weltweite strategische Verteidigungssystem einzubauen, und die Entscheidung über die Zukunft des Kosovo, sind offensichtlich nicht einmal zur Abfassung diplomatischer Kommuniqués geeignet und daher erst gar nicht zu offiziellen Gipfel-Themen befördert worden.

Kaum zu Ende gebracht, wird das Gipfelzeremoniell durch eine weltöffentliche

Gegendiplomatie

konterkariert. Insbesondere Amerikaner und Russen stellen sich in den in Heiligendamm ausgesparten Streitfällen demonstrativ als Gegenspieler auf, als wäre ihnen die Inszenierung von gemeinschaftlicher Problembewältigung auf dem Gipfel schon wieder zu viel geworden. Die Unvereinbarkeit ihrer strategischen Ansprüche wird von den Amerikanern explizit zum Leitmotiv der anschließenden Staatsbesuche gemacht, und Russland hält mit der Unterstreichung seiner alternativen, multipluralen Weltordnungsideen dagegen.

Als wollte die US-Diplomatie offensiv dementieren, dass Amerika seine Politik in irgendeiner Hinsicht von der Zustimmung der Acht abhängig machen würde, beehrt Bush vor und nach dem Gipfel die künftigen Standorte der amerikanischen Verteidigungssysteme mit seinem Erscheinen und erklärt dort die Entscheidung über den Aufrüstungsschritt zu einer gänzlich bilateralen Angelegenheit. In Albanien, dem auch die Ehre zuteil wird, sich in die lange Liste besonderer Amerika-Freunde einreihen zu dürfen, gibt Bush seine Botschaft zum Kosovo bekannt: Wenn das von Amerika beschlossene Ergebnis, ein unabhängiger Kosovo, auf diplomatischem Weg nicht zustande kommt, ist die Sache auf andere Weise zu entscheiden. Das ist eine unmissverständliche Aufforderung an die albanischen Freiheitskämpfer; die kosovarische Regierung antwortet, indem sie schon einmal den Tag für ihre Unabhängigkeitserklärung im November festsetzt; den Kollegen im Sicherheitsrat wird neuerlich mit einem amerikanischen Alleingang gedroht und insbesondere dem russischen Kontrahenten die Aussicht eröffnet, dass die USA seine Ansprüche zusammen mit dem diplomatischen Gerangel in der UNO im Zweifelsfall schlicht übergehen. Auf der anderen Seite empfängt Putin gleichzeitig den serbischen Premier Kostunica und verspricht ihm seinen Beistand.

Während die USA auf diese Weise demonstrieren, dass die Weltordnung nicht Sache des Gipfels, sondern die ihre ist, lanciert Putin seinerseits eine Gegenoffensive: Vor einer Ansammlung internationaler Wirtschaftsvertreter, die die Spekulation auf neue Milliardendeals nach St. Petersburg gebracht hat, erklärt der russische Präsident mit der Forderung nach einer neuen Weltwirtschafts- und Weltordnung die der G7 für reichlich überholt. Mit ihren Institutionen wie der WTO, aus der Russland weiterhin ausgeschlossen ist, und die auch, siehe Doha-Runde, nicht mehr ganz auf der Höhe der internationalen Beziehungen ist, nicht in der Lage ist, gegen den Protektionismus der Industrieländer vorzugehen, sieht die Weltordnung der G7 ziemlich archaisch, undemokratisch und schwerfällig aus, weit davon entfernt, das heutige Kräfteverhältnis zu erfassen. Und eine Währungsordnung, die sich auf nur zwei Währungen und eine begrenzte Anzahl von Finanzzentren stützt, entspricht ebenso wenig dem strategischen Bedarf der heutigen Weltökonomie. Eine Ansage, dass das heutige Russland sich zutraut und für überfällig hält, in Konkurrenz zu den 7 Weltordnern zu treten. Denen wird mit dem dezenten Hinweis auf das heutige Kräfteverhältnis mitgeteilt, dass es etliche Kandidaten außerhalb der G7 gibt, die für alternative Koalitionen und Ordnungskonzepte gut sind. Und den minderbemittelten Staaten in der Welt bietet sich Russland schon einmal als alternative Schutzmacht an.

*

Das war es dann. Bekenntnisse zur Gemeinsamkeit sind in Heiligendamm reichlich abgeliefert worden, aber in den meisten Fällen sind sich die Gipfelteilnehmer nicht recht darüber einig geworden, was gemeinsam zu tun wäre. Mit den dünnsten Formeln für ein gemeinsames Streben haben sie sich bescheinigt, dass ihre Interessen und weltordnerischen Anliegen ziemlich unvereinbar sind, dass sie die Demonstration von Einigkeit kaum noch hinbekommen. Der Schein der gemeinschaftlichen Regelung von Weltwirtschafts- und Weltordnungsfragen passt offensichtlich nicht mehr recht zur Lage. Aber keiner der Beteiligten mag diesen Schein kündigen, keiner mag auf die Veranstaltung verzichten. Und kaum haben sie das Ritual wieder einmal hinter sich gebracht, gibt der Ami zu Protokoll, dass die Rücksichtnahme auf andere Mächte eine einzige Zumutung ist, der Russe befindet, dass das heutige Kräfteverhältnis eine ganz andere Widerspiegelung braucht, und die Deutschen bestätigen sich, dass es einzig an der Weltklasseleistung ihrer Kanzlerin gelegen hat, dass der Gipfel nicht zu einer grandiosen Pleite geraten ist.

[1] Weil die deutsche Obrigkeit ja auch immer noch damit zu tun hat, bei anderen Ländern wie Russland oder China Verstöße gegen die demokratischen Regeln zu brandmarken, muss man da sehr genau hinschauen. Beim letzten EU-Russland-Gipfel z.B., wo Kasparow am Erscheinen in Samara gehindert wurde, musste Merkel Putin über den richtigen Umgang mit Demonstranten belehren:

Ich bin etwas besorgt, dass manch einer Schwierigkeiten bei der Anreise hatte. Wenn jemand gar nichts gemacht hat, sondern nur auf dem Weg zu einer Demonstration ist, ist das aus meiner Sicht noch mal eine andere Sache. (Pressekonferenz, 18.5.)

 In Russland hätte Frau Merkel eben gerne einer Anti-Putin-Demonstration zugewinkt, während sie in Heiligendamm keine störenden Aufmärsche gebrauchen konnte. Das russische Fernsehen wiederum hat es sich nicht nehmen lassen, die Jagdszenen rund um Heiligendamm ausgiebig zu zeigen. So viel demokratische Kultur, die eigene Regierung durch Vergleiche mit ausländischen Übergriffen gut aussehen zu lassen, hat man dort auch schon gelernt.

[2] In einem Punkt besteht allerdings große Einigkeit, wenngleich das Thema nicht in die Abschlusserklärung vorgedrungen, sondern auf der Ebene der G7-Finanzminister verblieben ist. Deren Aufruf zur verantwortungsvollen Kreditvergabe in Afrika zielt auf China, denn sie sind äußerst besorgt, dass nach der in Jahren mühsam erreichten Entschuldung der ärmsten Entwicklungsländer die ‚Spirale aus Kreditaufnahme und Schuldenerlaß‘ wieder in Gang kommen kann. (FAZ, 21.5.) Wo kommen wir und Afrika denn hin, wenn bedenkenloses chinesisches Investieren und Kreditieren die in Jahren erreichte Unterordnung der Schuldnerstaaten unter die einzig berechtigten Gläubigerstaaten untergräbt. Das gefährdet ja deren ganzes Bemühen, die hoffnungslosen Schuldner auf die Disziplin eines von den Metropolen definierten guten Regierens festzunageln.

[3] Die einschlägigen Zahlen werden auch zur Genüge publik gemacht: Der offiziellen Entwicklungshilfe der G7 in Höhe von 75,1 Milliarden US-Dollar im Jahr 2006, in den auch noch der Schuldenerlass an den besetzten Irak eingerechnet ist, steht ein Schuldendienst der Entwicklungsländer von 660 Milliarden US-Dollar gegenüber. Die als Hilfe deklarierten Zahlungen haben mehr mit einem Insolvenzverfahren zu tun, bei dem es darum geht, auch mit einem Ensemble von ‚failing‘ und ‚failed states‘ laufende Geschäftsbeziehungen fortzusetzen.

[4] Was die Ziffern zur Bemessung ihrer Glaubwürdigkeit angeht und Versprechen, die angeblich gebrochen werden, lassen die G8 nichts anbrennen – siehe die einschlägigen Rechenkunststücke der Bundesregierung:

„... wird die Erfüllung des ODA-Versprechens (Erhöhung der öffentlichen Entwicklungshilfe), das Merkel in ihrer Regierungserklärung im November 2005 ausdrücklich erneuert hatte, teuer: Der Schuldenerlaß, der in den vergangenen Jahren mit erheblichen Summen berücksichtigt wurde, läuft aus. Daher sucht das Entwicklungsministerium derzeit fieberhaft nach Ländern in der Dritten Welt, denen die Verbindlichkeiten noch erlassen werden könnten.

 Zudem setzt sich Berlin für eine veränderte ODA-Definition ein. Auch humanitäre Einsätze der Bundeswehr müßten berücksichtigt werden ... Hilfsorganisationen wie Oxfam lehnen ein Einrechnung der Gelder ab: ‚Das könnte im Extremfall dazu führen, dass die USA ihre Militärausgaben im Irak als Entwicklungshilfe anrechnen.‘“. (HB, 4.6.)

 Wieso eigentlich nicht, wenn schon mehr oder weniger alles, was die Bundeswehr so treibt, humanitär heißt.