Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Die Wettbewerbskommission der EU untersagt Fusion von General Electrics und Honeywell:
Die Weltmarktführer verständigen sich – noch – über die internationale Zentralisation des Kapitals

Anfang Juli verbietet der Wettbewerbskommissar der Europäischen Kommission die geplante Fusion der amerikanischen Konzerne General Electrics (GE) und Honeywell. Das Recht dazu hat er aufgrund einer Vereinbarung über die Anwendung ihrer jeweiligen Wettbewerbsrechte, welche die EU und die USA 1991 geschlossen und seither um zwei Zusatzabkommen erweitert haben.

Aus der Zeitschrift

Die Wettbewerbskommission der EU untersagt Fusion von General Electrics und Honeywell:
Die Weltmarktführer verständigen sich – noch – über die internationale Zentralisation des Kapitals

Anfang Juli verbietet der Wettbewerbskommissar der Europäischen Kommission die geplante Fusion der amerikanischen Konzerne General Electrics (GE) und Honeywell. Das Recht dazu hat er aufgrund einer Vereinbarung über die Anwendung ihrer jeweiligen Wettbewerbsrechte, welche die EU und die USA 1991 geschlossen und seither um zwei Zusatzabkommen erweitert haben. Die Begründung ist kurz –

„Die Fusion von GE und Honeywell hätte in der angemeldeten Form den Wettbewerb in der Luft- und Raumfahrtindustrie erheblich verringert und letztendlich zu höheren Preisen für die Abnehmer, insbesondere die Fluggesellschaften, geführt… Der Zusammenschluss bewirkt bei Avionik- und sonstigen Produkten sowie bei Triebwerken für Firmenflugzeuge eine beherrschende Stellung und verstärkt die bereits vorhandene dominante Stellung von GE bei Triebwerken für große Verkehrsflugzeuge und große Regionalmaschinen“ (Begründung der Kommission)

und beruft sich auf den Grundsatz europäischen Wettbewerbsrechts:

„Die zentrale Frage bei der Überprüfung von Beschlüssen in Europa lautet, ob dadurch eine beherrschende Stellung begründet oder verstärkt wird. Die europäische Fusionskontrolle dient nicht dem Schutz der Konkurrenten, sondern soll die langfristige Wettbewerbsfähigkeit der Märkte sicherstellen, damit die Verbraucher von ausreichender Auswahl, Innovation und attraktiven Preisen profitieren können.“

Was die Kommission als gefährliche „marktbeherrschende Stellung“ klassifiziert, hat die amerikanische ‚Antitrust Division‘ nicht lange zuvor als wettbewerbsfördernd und verbraucherfreundlich eingestuft, die positiven Wirkungen der Fusion hervorgehoben – bessere Produkte, Dienstleistungen und attraktivere Preise – und sie genehmigt. Hinsichtlich dieser weltgrößten Fusion liegt also zwischen diesen beiden Institutionen, die für Überwachung und Schutz des Wettbewerbs zuständig sind, ein offener Dissens vor. Sie haben langwierige Untersuchungen durchgeführt und sind zu genau entgegengesetzten Ergebnissen gekommen:

„Europäische Kommission und US-Justizbehörden haben bei dieser Untersuchung eng zusammengearbeitet. Leider sind wir am Ende zu verschiedenen Ergebnissen gekommen, doch muss jede Behörde ihre eigene Analyse durchführen und das Risiko, zu unterschiedlichen Schlüssen zu gelangen, ist, so bedauerlich dies auch sein mag, nie ganz auszuschließen. Das bedeutet nicht, dass die eine Behörde nach objektiven Kriterien verfährt und die andere sich von politischen Zwecken leiten lässt, wie einige behaupten könnten, sondern vielmehr, dass wir Fakten unterschiedlich bewerten und die Folgen eines Zusammenschlusses unterschiedlich einschätzen.“

Der Kommissar bescheinigt beiden Behörden Objektivität und unterstreicht gerade so, dass unterschiedliche Bewertungen und Einschätzungen, also entgegengesetzte nationale Kalkulationen ausschlaggebend waren. Die amerikanische Behörde zeigt sich zunächst verärgert und erhebt den harten Vorwurf des Verstoßes gegen ein gemeinsames Anliegen – „competition“ – zugunsten von Sonderinteressen – „competitors“ –

„die klare und lange bewährte amerikanische Anti-Trust-Politik geht davon aus, dass das Wettbewerbsrecht den Wettbewerb (competion) schützt und nicht die Wettbewerber (competitors). Die heutige Entscheidung der EU zeigt einen signifikanten Punkt der Abweichung“ –,

lenkt dann aber ein: Die EU-Kommission habe bei ihrer Begründung auf einen Wirtschaftstheoretiker des vorigen Jahrhunderts zurückgegriffen, woraus sich eine Nicht-Übereinstimmung bei den „theoretischen Grundlagen“ ergeben habe. Um künftige „Abweichungen“ zu vermeiden, müsse an deren Vereinheitlichung gearbeitet werden. Mit dieser diplomatischen Einlassung gibt die amerikanische Seite zu verstehen, an der gemeinsamen Sache festhalten zu wollen, und man einigt sich darauf, den Casus für die Ausnahme einer ansonsten harmonischen Zusammenarbeit in Sachen ‚weltweite Fusionen‘ zu halten. Dass das die Sache nicht so recht trifft, beweisen nicht nur die recht scharfen Töne, die im Dialog der Kontrahenten zwischenzeitlich aufgekommen sind; dafür steht allein schon das Abkommen selbst: Mit solchen Ausnahmen wird gerechnet, Konfliktstoff in dieser Sphäre ist ständig vorhanden, zugleich aber auch der Wille, schon ‚im Vorfeld‘ zu einem einvernehmlichen Umgang mit diesem zu gelangen.

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Die EU-Wettbewerbsbehörde interpretiert ihre Aufgabe der Betreuung des Wettbewerbs – und die amerikanische hält es genauso – als fördernde Begleitung des notwendigen und wünschenswerten Zentralisationsprozesses des Kapitals:

„Die logische Folge des Wettbewerbs ist eine ständige Ressourcenumschichtung von niedergehenden zu aufstrebenden und rasch wachsenden Unternehmen oder Sektoren… Es ist von größter Bedeutung, diese Reallokation der Mittel nicht aufzuhalten, denn nur so können Wandel und Umstrukturierung reibungslos durch Fusionen, Gemeinschaftsunternehmen und Übernahmen vonstatten gehen. (…) In einem Kontext, der durch die wachsende Ausdehnung der Märkte sowie dadurch gekennzeichnet ist, dass es einer immer größeren kritischen Masse bedarf, um als Marktteilnehmer eine aktive Rolle zu spielen, haben Anzahl und Komplexität der von der Kommission zu untersuchenden Fusionen und Allianzen ständig zugenommen.“ (Weißbuch 2000 der Kommission, S.9)

Zugleich kennt die Kommission aber auch Schattenseiten dieser an sich begrüßenswerten Ressourcenumschichtung und Reallokation der Mittel, und auf diese wirft sie ein kritisches Auge: Keineswegs immer muss es bei einer Fusion um das Ergebnis einer gewachsenen Kapitalproduktivität und einen Hebel zu deren weiterer Steigerung handeln. Es kann sich im Gegenteil hinter ihr auch deren Ersatz, eine Unterbindung der sich wechselseitig anstachelnden Konkurrenz verbergen – wenn es nämlich einzelnen gelingt, sich als konkurrenzlos zu positionieren. Nicht nur Wandel und Umstrukturierung sind dann die Folge, sondern mit ihnen unterbleibt auch der Kampf um die Senkung des Kostpreises – weil die einen den anderen monopolistische Preise aufdrücken und denen wie von ihnen abhängigen „Marktteilnehmern“ damit die Behauptung im Markt unmöglich machen können. Das ist zum einen eine Störung der „organischen“ Entwicklung der Kapitalakkumulation einer Nation. Zum anderen gerät der Staat selbst in Mitleidenschaft, da er von solchen (über-)mächtigen Kapitalen erpresst werden kann, sein rechtlicher Zugriff an Wirksamkeit verliert. Eindeutige Kriterien und daraus abzuleitende Handlungsnormen, wann eine Fusion o.ä. „dem Wettbewerb“ schadet oder „Wandel und Umstrukturierung“ ihm dient, gibt es allerdings nicht und kann es nicht geben. Pro und Contra verfügen in der Regel über volkswirtschaftlich vernünftige Gründe, die von der Wettbewerbsbehörde frei gewürdigt werden und über die sie im Rahmen eines weitgesteckten Ermessensspielraumes entscheidet. Dieser Rahmen erhält jedoch eine eindeutige Orientierung, wenn sich der Blick nach außen richtet, also darauf, welche Anforderungen die nationale Wirtschaftskraft erfüllen muss, wenn es um ihre Bewährung auf dem Weltmarkt geht: Da kann eine Nation vom weltweit geschaffenen Reichtum nicht profitieren und in der internationalen Politik nicht mitmischen, wenn sich nicht auf ihrem Boden möglichst kapitalmächtige Konzerne herausbilden, sich durch internationale Allianzen zu Multis auswachsen und sich an die Eroberung des Weltmarkts machen – und eben so dem heimischen Standort das entscheidende imperialistische Gewicht verleihen. Das ist die andere Seite des Schutzes des Wettbewerbs: Selbst wenn der nationale Nutzen auch hier nicht vorab und eindeutig bemessen werden kann, so sieht der Staat seine Aufgabe doch darin, darin, den Zug zum Monopol in jedem Fall zu befördern und so dafür zu sorgen, dass „seine“ Konzerne sich in der internationalen Konkurrenz behaupten können. Dabei bleibt deren nationale Anbindung insofern erhalten, als solche Multis schon nicht vergessen, wer „ihr“ Staat ist: Er ist die erste Adresse, wenn es um Wegbereitung und Begleitschutz bei den Abmachungen mit auswärtigen Herrschaften geht, die ihnen erst den lohnenden Zugriff auf deren Reichtümer eröffnen und dann auf Dauer garantieren. Andererseits ist in der Förderung eines internationalen Geschäftslebens eingeschlossen, dass auch auswärtige Multis Anspruch auf zuvorkommende Behandlung haben, ihnen – zumindest im Grundsatz – die Geschäftstätigkeit auf dem eigenen Territorium, das Profitieren an der eigenen Volkswirtschaft, zu erlauben ist – worüber sich die Unterscheidung zwischen „eigenen“ und „fremden“ Konzernen auch wieder einigermaßen relativiert. Ob und wie die Freiheit der „eigenen“ wie der „fremden“ zum Vorteil eines Staates ausschlägt, ist die jederzeit offene Frage, weswegen der Verdacht, solche internationalisierten Konzerne würden Schutz und Förderung durch ihren Staat zusammen mit ihrer Freiheit zur internationalen Betätigung nur zur Auslagerung ihres Geschäfts verwenden und gar zur „Kapitalflucht“ übergehen, nicht verschwinden will. Ebenso wenig wie das Ressentiment, wonach ausländische Konzerne nur Vergünstigungen und Sonderangebote mitnehmen, um die heimische Wirtschaft ihrer eigenen Entwicklungsmöglichkeiten zu berauben, sie zu „überfremden“, ohne sich auf einen dauerhaften Dienst auf dem und am Standort verpflichten zu lassen. Was die großen Standorte angeht, so herrschen dort die ‚gewachsenen Beziehungen‘ vor. Da wissen Staat und – „seine“ – Multis, was sie aneinander haben, die Furcht vor „Kapitalflucht“ ist ausgestorben und der darauf gerichtete Katalog restriktiver Maßnahmen verstaubt. Da ist auf die Kombination von nationalem Stand- und internationalem Spielbein Verlass, und englisch radebrechende Manager deutscher Weltfirmen lassen an ihrer nationalen Treue keinen Zweifel aufkommen; es soll sogar schon vorgekommen sein, dass ein deutschnationaler Multi die Tatsache, dass er einem ausländischen Konzern mit deutschem Tarnnamen ein spanisches Einkaufspreisdrückungsgenie samt Disketten stibitzt hat, zur notwendigen Aktion im Rahmen eines – so wörtlich – Krieges zwischen Deutschland und Amerika erklärte… Aber auch für den Rest der Staatenwelt gilt, dass Bedenken gegen das Wirtschaften von Multis nur noch in seltenen Ausnahmefällen praktisch wirksam werden. Es hat sich eben als „Einsicht“ durchgesetzt, dass der staatlich geförderte Siegeszug der Multis zwar manche Abhängigkeit mit sich bringt, ohne sie die Nation aber gleich gar keinen Stand in der internationalen Konkurrenz hat. Aber maßgeblich sind diese Staaten mit ihrer Auffassung sowieso nicht. Und die maßgeblichen Staaten, die mit ‚G7‘ ziemlich erschöpfend benannt sind, bestehen in ihrer gemeinsamen Herrschaft über den Weltmarkt eben auf der unbedingten Freiheit des Kapitals – um sich dann daran zu machen, die Bedingungen dieser Freiheit unter sich auszuhandeln. Denn daran besteht erheblicher Bedarf, wenn mit der Ausbreitung ihrer „global players“ sich zunehmend die Frage stellt, welcher von denen – und damit auch: welche Nation – denn nun das Kommando übernimmt. Das erfolgreiche Gemeinschaftsunternehmen drängt immer mehr auf wechselseitigen Ausschluss von der gemeinsamen Eroberungsmasse, was wiederum die Haltbarkeit der Kooperation auf harte Proben stellt. Jetzt ist der Fall eingetreten, dass die EU-Wettbewerbshüter sich genötigt sehen, der Internationalität des Kapitals, wie sie sich die USA wünschen, eine euro-nationale Schranke zu setzen.

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Denn wer durch das Verbot der Fusion geschützt werden soll, ist kein Geheimnis: Immerhin machen alle Komponenten, die nach der Fusion von GE hätten angeboten werden können, zusammen 50 Prozent des Werts eines Airbus aus. (SZ, 4.7.) Das Monopol, das Europa auf seinem Territorium errichtet hat, seine ‚Europäische Luft- und Raumfahrtindustrie‘ (EADS), will es nicht in Abhängigkeit von einem amerikanischen Vorlieferanten geraten lassen. Es hat viele Jahre und sehr viel Staatsgeld gebraucht, um gegen das existente Monopol Amerikas in Gestalt von Boeing ein europäisches Gegenmonopol aufzubauen. Dieses Gegenmonopol braucht Europa, um sich in fundamentalen Bereichen der Rüstung unabhängig zu machen, und es erfüllt diesen Anspruch in der anspruchsvollen Art, wie sie führenden kapitalistischen Nationen eigen ist: Es funktioniert als kapitalistisches Geschäft, also mit dem „dual-use“-Nutzen, für den eigenen Gebrauch wie für den Export nützliche Rüstungsgüter zu produzieren; es produziert diese zusammen mit Flugmaschinen, die es auf dem weltweit bedeutsamen Markt der zivilen Luftfahrt zu respektablen Ergebnissen gebracht haben; und es setzt der früheren Übermacht Boeing mittlerweile heftig zu, verspricht also tatsächlich, den Gründungsanspruch – Unabhängigkeit und Rendite – einzulösen.

Da haben es Europa und Amerika also in dieser „Schlüsselindustrie“ soweit gebracht, dass sie den Weltmarkt mehr oder minder unter sich „aufteilen“ – wobei von Teilung nicht die Rede sein kann: es handelt sich schon eher um eine Art ‚Endkampf‘, wie ihn sich W. I. Lenin in früherer Zeit, als er die Konkurrenz der Nationen in einem „höchsten Stadium“ wähnte, vorgestellt haben muss. Dass die Kommission in einem bislang einmaligen Schritt, nämlich einseitig die Fusion verbietet, ist daher kein Wunder: In das bisherige „Gleichgewicht“ dieses Endkampfes greift nun die beherrschende Stellung (Begründung der Kommission) eines dritten Monopolisten ein, der dem Ganzen eine eindeutige US-Schlagseite verleiht. Damit droht das von Europa aufgebaute Gegenmonopol unter amerikanische Fuchtel zu geraten, was ein Schaden ist, der an die Substanz geht: Dies würde Europas Weltmarktposition und -ambition überhaupt erschüttern.

So ist die Fusion ein exemplarischer Fall, wie auf einem sehr hohen Niveau konkurrierende Wettbewerber Grundsatzfragen aufwerfen, die die politischen Konstruktionsprinzipien ihres Wettbewerbs betreffen, und genau für diesen Konfliktfall haben sich die Weltmarktführer gewappnet, als sie ihr „Agreement“ aufsetzten. Einerseits betreiben die Blöcke ihren internationalen Verdrängungswettbewerb mit aller Entschiedenheit; andererseits räumen sie sich wechselseitig das Recht ein, dagegen ihr Veto einlegen zu können: Das aktuelle Vorgehen der EU ist nicht vertragswidrig, sondern beruht auf einem gemeinsam vereinbarten Abkommen; neu ist nur, dass von dem vereinbarten Recht bislang noch nicht Gebrauch gemacht wurde. So wird zwar eine Fusion, die nach Auffassung der US-Behörde im nationalen Interesse der USA liegt, weil sie dieser Nation gerade gegenüber einem Hauptkonkurrenten Vorteile verschaffte, von der EU in rechtlichem Einvernehmen mit den USA erfolgreich verhindert. Dass allerdings die EU mit ihrer Berufung auf wettbewerbsrechtliche Verfahrensfragen unmittelbar auch noch andere sehr grundsätzliche Fragen aufwirft, ist allen Beteiligten bewusst. Wenn sich die Parteien verpflichten, jedes bei sich eröffnete Fusionsverfahren der anderen Partei zu melden – jede Partei soll die andere in jedem Fall davon in Kenntnis setzen, wenn ihre Wettbewerbsbehörden bei ihrer Rechtsprechung wichtige Interessen der anderen Partei berühren –, dann gehen sie erstens von einer wechselseitigen ‚Durchdringung‘ aus, bei der alle Mal „wichtige Interessen“ zumindest berührt, wenn nicht angegriffen werden, wenn Kapital zentralisiert wird. Zweitens weiß jede Partei von der Macht der anderen, eine missliebige Fusion praktisch unwirksam machen zu können – wobei für die EU gilt, dass die sich ihre Macht erst einmal erobern musste, weswegen das Abkommen nicht zufällig mit der Schaffung des europäischen Binnenmarktes zusammenfällt. Beide Seiten kommandieren Märkte, die für jede von ihnen unverzichtbar sind – die also, wenn sie verschlossen werden, auch das mit der Fusion intendierte Geschäft verunmöglichen. Zu einem solchen Zerwürfnis soll es aber erst gar nicht kommen, weil alle Beteiligten über den Schaden, der aus der Einleitung wirtschaftspolitischer Kampfmaßnahmen entsteht, eines auf jeden Fall wissen: Er ist unkalkulierbar. Aus diesem Grund haben die Kontrahenten das spezielle Kapitel der Außenhandelsdiplomatie eröffnet, in dem sie diesen speziellen Konfliktfall verrechten und sich wechselseitig von solchen Kampfmaßnahmen abhalten wollen. Mit dem Vetorecht ermitteln sie sozusagen, wo die Schmerzgrenze verläuft: Seine Androhung oder gar Anwendung ist die klare Auskunft, was die eine Partei sich nicht gefallen lassen kann und wovon die andere tunlichst Abstand nehmen sollte. Das beschneidet natürlich nicht im geringsten die Freiheit, auf exakt die Situationen hinzuarbeiten, die diese Anrufung des Vetorechts provozieren – im Gegenteil: Man hat sich ja nun die Rechtsnorm geschaffen, solche aus der Konkurrenz gegeneinander quasi naturwüchsig erwachsenden Konfliktfälle zu bewältigen.

Damit ist unterhalb des Vetorechts, das so etwas wie einen Schlusspunkt setzt, für viel diplomatischen Verkehr gesorgt. Nicht zu Unrecht spielt in der Zusammenarbeit der Behörden die Kategorie Vertrauen eine große Rolle. Das ist nämlich in der Form vorhanden, dass beide einander einen berechnenden Willen zur Konfliktvermeidung unterstellen; weil die Berechnung aber immer darauf zielt, das Einverständnis der Gegenpartei zu einer gegen sie gerichteten Maßnahme zu erlangen, muss es auch beständig hergestellt werden. Die Sache läuft im Kern auf einen – in einem formalisierten Verfahren niedergelegten – Tauschhandel hinaus, in dem die Parteien eruieren, wie und warum sich für sie jeweils zu große Zumutungen ansammeln; wo sie sich mit ihren Güterabwägungen bekannt machen und ermitteln, ob und wie sie mit denen gemeinsam im Geschäft bleiben können, dabei gleichzeitig neue ermitteln, und sie aneinander ausprobieren. Der übliche Kompromiss besteht in einem Verlangen nach „Abhilfen“ („remedies“), also nach Abstrichen, mit denen Einzelheiten oder Teile einer Fusion nach dem eigenen Bilde umgewandelt werden sollen. Das Aushandeln solcher „Abhilfen“ hat darüber hinaus die methodische Qualität, dass der Abstimmungsprozess selbst ein Test darauf ist, inwiefern die andere Seite, was die Gestaltung des Verfahrens angeht, Respekt vor eigenen Vorstellungen aufbringt – oder auf einer härteren Gangart beim Austragen des Konflikts besteht. Das geht schließlich bis zur Gestaltung des Klimas, in dem sich diese Repräsentanten einer wichtigen Sache ihrer Nationen treffen und an dem sie „arbeiten“, was durchaus als Ausweis dessen genommen werden kann, wie es zwischen den Nationen überhaupt steht. Wenn es nach all den Güterabwägungen, Verfahrensregel- und Klimaarbeiten dann doch zu einem Einspruch kommt, dann ist alles vorbereitet für die Frage, ob noch einmal von einer ‚Ausnahme‘ gesprochen werden kann – oder ob die damit schon eingetretene Verschlechterung der Beziehungen nicht gleich ausgesprochen werden muss.

Im vorliegenden Fall sind die Konkurrenten noch entschlossen, ihren Gegensatz als Streit um die „Verfeinerung“ des Regelwerks dieser speziellen Außenhandelsdiplomatie auszutragen. Und das geht dann so, dass man den Vorschlag, die gesamte Materie an die nächste WTO-Runde zu überweisen, mit der Begründung zurückzieht, diese ohnehin schon überfrachtete Normensetzungs- und Streitschlichtungsinstanz der imperialistischen Konkurrenz könnte ein wenig sehr viel Streitregelungsbedarf akkumulieren und darüber endgültig überfordert werden…