Neuzugänge aus dem Armenhaus Europas: höchst problematisch, zutiefst korrupt – aber imperialistisch unverzichtbar
EU-Beitritt Rumäniens und Bulgariens: Die EU schließt ihre Lücken im Südosten

Der europäische Staatenblock hat Anfang dieses Jahres zwei neue Mitglieder aufgenommen. Die regierenden Politiker Rumäniens und Bulgariens feiern die Aufnahme ihrer Nationen überschwänglich, umso mehr, als ihnen bis vor kurzem wegen nicht erfüllter Beitrittskonditionen der Beitrittsaufschub um ein Jahr drohte: „Der Beitritt ist die Erfüllung eines Traums und einer der wichtigsten Momente in der Geschichte Rumäniens“, so jubelt der rumänische Staatspräsident Basescu und spricht damit gewiss auch seinem bulgarischen Kollegen aus der Seele: Mit dem Beitritt ist für die Politik dieser Länder ein großes Ziel erreicht, das sie seit der Liquidierung des Ostblocks verfolgt haben.

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Neuzugänge aus dem Armenhaus Europas: höchst problematisch, zutiefst korrupt – aber imperialistisch unverzichtbar
EU-Beitritt Rumäniens und Bulgariens: Die EU schließt ihre Lücken im Südosten

Die Wünsche der Beitrittsländer ...

Der europäische Staatenblock hat Anfang dieses Jahres zwei neue Mitglieder aufgenommen. Die regierenden Politiker Rumäniens und Bulgariens feiern die Aufnahme ihrer Nationen überschwänglich, umso mehr, als ihnen bis vor kurzem wegen nicht erfüllter Beitrittskonditionen der Beitrittsaufschub um ein Jahr drohte:

„Der Beitritt ist die Erfüllung eines Traums und einer der wichtigsten Momente in der Geschichte Rumäniens“,

so jubelt der rumänische Staatspräsident Basescu und spricht damit gewiss auch seinem bulgarischen Kollegen aus der Seele: Mit dem Beitritt ist für die Politik dieser Länder ein großes Ziel erreicht, das sie seit der Liquidierung des Ostblocks verfolgt haben. Zwar war mit dem Austritt aus dem politischen und ökonomischen Zusammenhang des alten Ostblocks die Erfahrung verbunden, dass der kapitalistische Weltmarkt überhaupt nicht auf rumänische und bulgarische Waren und Dienstleistungen gewartet hat: Die fehlende Eignung dieser bis dato politisch bewirtschafteten und auf ganz andere Zwecke ausgerichteten Comecon-Ökonomien, den Konkurrenzanforderungen des internationalen Geschäfts zu entsprechen und das für den nationalen Unterhalt nötige Geld zu verdienen, hat schnell zur Ruinierung ihrer Lebensgrundlagen und der materiellen Quellen ihrer staatlichen Macht geführt. Das hat aber die Anführer dieser Gemeinwesen nur um so mehr animiert, eine neue, nun aber in ihren Augen höchst vielversprechende Abhängigkeit zu suchen. Sie wollten sich mit den schon 1995 gestellten Aufnahme-Anträgen dem Ordnungsanspruch der EU ausliefern, um künftig als Mitglied und mitspracheberechtigter Anwalt der eigenen Interessen in dieser Gemeinschaft deren Potenzen für den nationalen Erfolg nutzbar zu machen; anstatt außerhalb der EU, ohne Stimmrecht, ohne europäische Finanzfonds und von einseitig gesetzten Konditionen der EU abhängig, weiterhin als staatliche Randexistenzen des europäischen Kapitalismus zu gelten.

Die anlässlich der einschlägigen Feierlichkeiten inszenierte Freude wird deshalb nicht dadurch getrübt, dass mit dem Beitrittsakt wichtige Souveränitätsrechte auf die Staatengemeinschaft übergehen. Das ist der Preis, den Rumänien und Bulgarien bereit sind zu zahlen dafür, dass sie nun beginnen dürfen, als Bestandteile der großen EU ihre Länder zu nationalen Quellen des Geldverdienens und politischer Macht umzugestalten, mit Hilfe des „politischen Europa“ und des machtvollen, hier und weltweit tätigen Kapitals.

... stoßen auf Bedenken

Der von Bulgarien und Rumänien gezeigten Aufbruchseuphorie begegnen die EU-Altmitglieder keineswegs mit entsprechender Begeisterung über den Zuwachs ihres Bündnisses. Bei den Bürgern herrscht ohnehin, soweit sie sich – „europamüde“ wie sie sind – die Frage überhaupt vorlegen, Irritation darüber, wozu es diese fremdartigen Völkerstämme aus den Schluchten des Balkan nun unbedingt auch noch in „Europa“ gebraucht hat. Zwar machen die für den Beitrittsbeschluss verantwortlichen EU-Politiker mit dem Hinweis auf 30 Millionen neue EU-Mitbürger und die stattliche Anzahl von nunmehr einer halben Milliarde Konsumenten ein wenig Stimmung, aber ohne die Befürchtung auszuräumen, dass es möglicherweise mit der Konsumwut der Insassen bekannter „Armenhäuser“ wie Bulgarien und Rumänien nicht weit her sein könnte, diese „uns“ vielmehr einiges kosten könnten. Unverkennbar ist, dass die Macher selbst massive Bedenken und Vorbehalte gegen die neuen Beitrittskandidaten hegen und sie offenbar weniger für einen nützlichen Zuwachs der EU, als eher für eine problematische Last halten, die die EU dergestalt „bereichert“, dass sie künftig nur dann trotzdem funktioniert, wenn man die Interessen der Bürger und ihre Steuergelder ausreichend „schützt“:

„Ich bin zuversichtlich, dass Rumänien und Bulgarien die Union bereichern werden, ohne das Funktionieren der EU zu beeinträchtigen. Das Interesse der EU und ihrer Bürger können gesichert und ihre Steuergelder geschützt werden“. (EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn, DW 26.9.06)

Dem Grad der Euphorie entsprechend tritt zu den Feiern in Bukarest und Sofia lediglich die zweite Garde der EU-Politiker an und auch die Presse notiert ausdrücklich die reservierte Haltung der EU-Offiziellen gegenüber den Neuen: Sie werden „ohne große Begeisterung“ aufgenommen und ohne „historisches Pathos“ (SZ, 28.12.06), und sind

„in dieser Hinsicht schon Opfer der Erweiterungsmüdigkeit, die sich vor allem in den alten Mitgliedsstaaten ausbreitet“ (FAZ, 2.1.07)

Der neue Status eines „Mitglieds 2. Klasse“

Diese Art politischer Diskriminierung von neuen Mitgliedern der Gemeinschaft durch unverhohlene Reserviertheit sogar von Seiten höchster EU-Funktionäre, zu denen der Kommissar Rehn gehört, ist durchaus ungewöhnlich. Eine faktische Rangfolge der europäischen Staaten gab es aus bekannten Gründen auch schon vor dieser merkwürdigen „Ermüdung“ bei Bürgern und Staatsmännern immer und selbstverständlich seit der Bildung des europäischen Binnenmarktes und seiner politischen „Vertiefung“, entsprechend eben ihren Potenzen an Reichtum und Macht. Die EU war von Anfang an eine Unternehmung der stärksten europäischen Staaten, deren imperialistischem Impetus sich „kleinere“ kapitalistische Nationen Westeuropas anschlossen, um im Verein mit der politischen und der Geldmacht der europäischen „Großen“ weltweit ihren Vorteil zu suchen, anstatt sich gegen sie und den Rest der Welt behaupten zu müssen. Die Hierarchie der kapitalistischen europäischen Nationen ist dabei bekanntlich nicht in einem einheitlichen politischen Subjekt namens Europa aufgegangen und lebt im institutionalisierten Streit zwischen den Führungsnationen und dem Rest in den und um die europäischen Instanzen fort. Die europarechtliche Gleichberechtigung der Mitgliedsstaaten bildet dabei die, trotz einschlägiger Reformbemühungen, bislang unangetastete Geschäftsgrundlage, auf der die materiell überlegenen „Führungsnationen“ ihr erpresserisches Potential ausspielen, mit Druck auf und schwer ablehnbaren Angeboten an die kleineren.

Mit der europäischen Erschließung der Staaten, die mit dem Ende der realsozialistischen Wirtschaft ökonomisch wie politisch mittellos wurden, änderte sich die Lage zumindest in sachlicher Hinsicht, wenn auch noch ohne Auswirkungen auf die Rechtsbeziehungen zwischen den Unionsstaaten. Die neuen Länder schrieben sich eine Art passiven Imperialismus auf die Fahnen und traten deshalb, wie nun auch Rumänien und Bulgarien, mit Anträgen auf kapitalistische Eingemeindung und Benützung an die EU heran: Das Anschlussverfahren, das die ehemaligen Ostblockstaaten zu Mitgliedern der EU machte, war nicht einfach die Ausweitung der europäischen Konkurrenz auf neue Teilnehmer, die den acquis communautaire als das Regelwerk dieser streitigen Gemeinsamkeit anerkannten, sondern findet bis heute als ökonomische Aneignung und politische Unterordnung der Neumitglieder unter die überlegene Zuständigkeit der kapitalistischen Altstaaten statt.[1] Dass die neuen Mitgliedsstaaten ihre künftige nationale Größe ebenfalls auf das Kapitalgeschäft gründen wollen, über dessen Mittel aber nicht sie, ihre EU-Nachbarn dafür aber umso mehr verfügen, macht sie aus der Sicht der bisherigen Gemeinschaft zu rundum defizitären Problemfällen, deren Betreuung dadurch nicht konfliktärmer wird, dass sie wie die alten West-EU-Staaten gleichberechtigt Sitz und Stimme in den EU-Gremien haben.

Diese Staaten machten das Gros der letzten „Erweiterungsgruppe“ von zwölf Kandidaten aus, von denen zehn am 1. Mai 2004 aufgenommen wurden. Zwei von ihnen, eben Rumänien und Bulgarien, wurden einem noch einmal verschärften Aufnahmeverfahren unterworfen, dessen Ausgang nun mit so demonstrativ gebremstem Jubel begrüßt wird. Die beiden Neuzugänge werden nun auch formell als Fälle eines neuen, ausdrücklich minder berechtigten Mitgliedsstatus behandelt. Das drückt sich zuerst in einem erhöhten Prüfungs- und Kontrollbedarf ihnen gegenüber aus: Sie durften nicht nur zweieinhalb Jahre länger als alle anderen „daran arbeiten, für den Beitritt genügend vorbereitet zu sein“ (Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) – aktuell 27. Juni 2006). Darüber hinaus wurden die Anforderungen zur Übernahme und Durchsetzung aller im „EU-Recht (Besitzstand)“ – so der deutsche Name des berühmten „acquis communautaire“ – vorgesehenen gemeinschaftlichen Rechtsregeln mittels eines hochnotpeinlichen „Monitoring-Verfahrens“ überwacht, das mit dem Beitritt keineswegs endet. Als „Ausdruck des geringen Ansehens und Vertrauens“ (SWP, ebd.), das die beiden Kandidaten genießen, hat sich die Kommission für den Fall von Verstößen gegen die fristgerechte Einführung und Anwendung der europäischen Rechtsstandards etwas Besonderes einfallen lassen: Über die schon immer nach EU-Recht bei Neuzugängen für alle Altmitglieder geltenden und zu Sanktionen berechtigenden „Schutzklauseln“ hinaus hat sie sich im Zug der Beitrittsverhandlungen weitere „Schutz“- und „Superschutzklauseln“ einräumen lassen,

„die ausschließlich auf Bulgarien und Rumänien anwendbar und im Beitrittsvertrag niedergelegt sind ... Diese Rechtsinstrumente umfassen Präventiv- und Abhilfemaßnahmen, die die Kommission anwenden muss, um eventuellen Unzulänglichkeiten zu begegnen ...“ (Monitoring-Bericht der Kommission v. 26.9.2006)

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Das Misstrauen in die „genügende Vorbereitung des Beitritts“ durch die beiden Länder speist sich offenkundig aus Zweifeln an den Fähigkeiten dieser Staatsgewalten, eine europa-kompatible Ordnung innerhalb ihrer Grenzen zu schaffen. Deswegen richtet sich die „Heranführungsstrategie“ für die beiden Neumitglieder ganz entschieden auf die „Implementierung“ und Überwachung des europäischen Rechtsbestandes, also auf die Sicherstellung der innerstaatlichen bulgarisch-rumänischen Machtausübung nach der gültigen, rechtsstaatlichen Blaupause für moralisch einwandfreies und politisch erfolgreiches Regieren. Ein Vierteljahr vor dem Beitritt wird seitens der Kommission als ausschlaggebendes Prüfkriterium bestätigt,

„dass Bulgarien und Rumänien weitere Fortschritte bei der Vorbereitung ihres Beitrittes erreicht und damit ihren Fähigkeiten Ausdruck verliehen haben, die Grundsätze und Rechtsvorschriften der Europäischen Union ab dem 1. Januar 2007 anzuwenden.“ („Monitoring-Bericht der Kommission“ vom September 2006);

jedoch nur, um im „Ergebnisüberblick“ des Berichtes in einem reichlich schrägen Schlaglicht das „Augenmerk“ auf die „Bereiche“ zu lenken, in denen

„Sofortmaßnahmen zu ergreifen oder weitere Anstrengungen erforderlich sind. Im Falle Bulgariens handelt es sich dabei um das Justizwesen, die Korruptionsbekämpfung, die polizeiliche Zusammenarbeit, die Bekämpfung des organisierten Verbrechens und der Geldwäsche, das integrierte Verwaltungs- und Kontrollsystem (InVeKos), die Problematik der übertragbaren spongiformem Enzephalopathien (TSE) sowie die Finanzkontrolle. In Rumänien sind dies das Justizwesen, die Korruptionsbekämpfung, das integrierte Verwaltungs- und Kontrollsystem (InVeKos), die übertragbaren spongiformen Enzephalopathien (TSE) und darüber hinaus die Verbundfähigkeit der Steuersysteme.“

Das also sind die Felder, auf denen die randständigen südosteuropäischen Gemeinwesen über „Fähigkeiten“ verfügen müssen, wenn sie als „Beitrittsfähigkeit“ zum christlichen Abendland durchgehen sollen. Dabei müssen sich dessen Türhüter nicht weiter für den Zustand von Land und Leuten, deren wirtschaftliches Überleben oder die Konkurrenztüchtigkeit ihrer ökonomischen Potenzen verantwortlich erklären. Wenn man Gegenden, in denen organisiertes Verbrechen und infektiöse Hirnkrankheiten ihr Wesen treiben, mit ihrem vordringlichsten Lebensmittel versorgt – einer durchsetzungsfähigen Rechtsordnung nach europäischem Zuschnitt, die vor Geldwäsche und Seuchen schützt –, dann ist das nach Auffassung der Prüfer schon mehr als die halbe Miete. Sollten die das hinbekommen wie verlangt, dann stehen auch Neumitgliedern vom minderen Rang der beiden Schwarzmeer-Nationen gemäß dem „gemeinschaftlichen Besitzstand“ ein paar Zahlungen aus dem Agrar- und Strukturfonds zu. Vorausgesetzt, sie schaffen es endlich, ihr „InVeKos“ mit „leistungsfähigen Zahlstellen“ einzurichten, damit man als EU weiß, wohin man überhaupt zahlen muss und nachprüfen kann, wer was bekommen hat.

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Ganz für unzuständig erklärt sich dann die EU für die sonstigen – die wirtschaftlichen und sozialen – Zustände in den beiden Ländern doch nicht: In deren Beitrittsverträge sind die bereits erwähnten „Schutzmaßnahmen“ eingearbeitet, die sich EU-Juristen eigens ausgedacht haben,

„um erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten in den derzeitigen oder in den neuen Mitgliedstaaten nach deren Beitritt Rechnung zu tragen. Wenn ein neuer Mitgliedsstaat eine ernsthafte Beeinträchtigung des Funktionierens des Binnenmarkts hervorruft oder die Gefahr besteht, ... so kann die Kommission das betreffende Land von Vergünstigungen ausschließen.“ (Monitoring-Bericht, ebd.)

Neben dem „Binnenmarkt“ kann gegen die Neuen z.B. auch noch die „Lebensmittelsicherheit“ geschützt werden – durch „Exportverbote“ zu Lasten der Bulgaren und Rumänen; ebenso die „EU-Mittel“ im Fall ihrer „nicht ordnungsgemäßen Verwendung“ – durch „Verzögerung, Verringerung oder Rückerstattung“ von Zahlungen; oder überhaupt das europäische Recht und seine Gerechtigkeit – durch die „einseitige Aussetzung ... der justiziellen Zusammenarbeit“ oder die Verweigerung der „gegenseitigen Anerkennung von Rechtsinstrumenten“. (ebd.)

So sollen die dubiosen Neuen also zu einem passenden Zuwachs der EU werden. Nicht durch die Renovierung der „Armenhaus“-Standorte mit Mitteln der alten EU-Staaten zum Zweck ihrer machtvollen kapitalistischen Erschließung, sondern vor allem durch die Ausrichtung der staatlichen Herrschaftspraxis auf die EU-üblichen Gepflogenheiten und ihre Durchsetzung.

Die vorliegenden ökonomischen und politischen Verhältnisse in den Erweiterungsstaaten spielen dabei nur insoweit eine Rolle, als sie den politischen, ökonomischen und sozialen Stoff darstellen, auf dessen gemeinschaftsverträgliche, europarechtliche Regelung man die neuen Mitglieder verpflichten muss, damit sie EU-tauglich werden. Insofern ist die Europäische Gemeinschaft durchaus rücksichtslos dagegen, auf welcher Grundlage und ob überhaupt die Bürger der Transformationsstaaten ihr Auskommen finden, und ob die dortigen Staatsgewalten sich aus ihrer Ökonomie die Mittel beschaffen können, um so zuverlässig das Gewaltmonopol über ihre Gesellschaften zu behaupten, wie die Kommission es von ihnen verlangt. Von Abfallwirtschaft bis Zollverwaltung soll die Machtausübung der an die EU angeschlossenen Oststaaten nach den Mustern des acquis communautaire funktionieren. An Stelle der durch die Transformation verlorengegangenen materiellen Staatsgrundlage verlangt die EU von den Neuen einen entschiedenen Willen zur wohlgeordneten Herrschaft mittels gesamteuropäischer Rechtlichkeit, ganz so, als würde diesem Willen allein durch den EU-Beitritt verlässliche Durchsetzungskraft zuwachsen.

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 Dass sich die beiden neuen Mitgliedstaaten mit der Realisierung solch anspruchsvoller Vorgaben schwer tun, haben die wachsamen europäischen „Monitoren“ von Anfang an bemerkt. Deswegen wurden die Beitrittsverträge Rumäniens und Bulgariens während der Verhandlungen über die materiellen Anschlusskonditionen ja mit jenen zusätzlichen Bedingungen versehen, die die neuen Mitglieder offenkundig und öffentlich auf ihren untergeordneten Mitgliedsstatus festlegen:

„Formal sind Rumänien und Bulgarien jetzt Vollmitglieder der EU, doch im Alltag sind sie Mitglieder zweiter Klasse. Brüssel lässt die Schwarzmeerländer spüren, dass sie auf Probezeit sind – und ihre Privilegien nicht garantiert sind“ (Spiegel online, 3.1.07)

Für diese neue Art der inferioren Voll-Mitgliedschaft muss das Kontroll- und Einmischverfahren der EU dann auch nach dem Beitrittsdatum weitergehen. Die beiden Betroffenen bleiben der Union vertragsgemäß weiterhin rechenschaftspflichtig über die Ausübung ihrer inneren Souveränitätsrechte: Erstmals zum 1. März 2007 und später in jährlichen Abständen haben die Regierungen der EU-Kommission über den EU-gemäßen Gebrauch ihrer staatlichen Vollmachten Bericht zu erstatten. Unter den Vertragstiteln „Übergangsregelungen“ und „Begleitmaßnahmen für den Beitritt“ nimmt sich die Kommission die umfassende Freiheit, in den Bereichen „Freizügigkeit von Arbeitskräften“, „Straßenverkehrsmarkt“, „Veterinärrecht“, „Pflanzengesundheit“, „Lebensmittelsicherheit“, „Flugsicherheit“, „Justizwesen“ oder „Korruptionsbekämpfung“

„vor oder nach dem Beitritt weitere Mängel festzustellen ...“ und „geeignete Maßnahmen (zu ergreifen), um das reibungslose Funktionieren der EU-Politiken zu gewährleisten.“ (Monitoring-Bericht, ebd.)

Die EU behält sich vor, als Reaktion auf die zögerliche Lösung der gestellten Reformaufgaben Sanktionen und Bußgelder zu verhängen, die genannten „Schutzklauseln“ in Anschlag zu bringen und auf Zeit die ohnehin relativierten Mitgliedsrechte auszusetzen.

So passiert es den Staaten, die um einer Zukunft als florierende Geschäftsstandorte willen Land und Leute zu jedem Preis den Rentabilitätsrechnungen des europäischen Kapitals und jedem in- und ausländischen Geldbesitzer andienen, dass ihre berechnende Bereitschaft zur Unterwerfung unter das europäische Recht, von der sie sich im Gegenzug die Anschubfinanzierung für ihren nationalen Erfolg erhofft haben, sich materiell gegen sie wendet. Die EU behält sich vor, mit der Armenhaus-Variante des acquis communautaire auch die wenigen absehbaren Verdienstgelegenheiten auf dem europäischen Markt nach ihrem Bedarf zu unterbinden:

  • Das Überleben der Bevölkerung wie ein großer Teil der Staatseinnahmen hängen daran, dass viele Rumänen und Bulgaren in der EU illegal arbeiten und ihren Verdienst nach Hause überweisen. Der Übergang dieser Beschäftigungsverhältnisse in die Legalität, möglicherweise mit etwas besseren Verdiensten wegen geringerer Erpressbarkeit durch die Arbeitgeber, ist bis auf weiteres ausgesetzt: Die ansonsten für EU-Bürger übliche Freizügigkeit der Lohnarbeiter kann für bulgarische und rumänische Staatsbürger „bis zu sieben Jahre nach dem Beitritt eingeschränkt werden.“ (Monitoring-Bericht, ebd.)
  • Durch die Abwicklung der sozialistischen Vergangenheit sind aus industriell entwickelten Staaten wieder Länder geworden, in denen sich große Teile der Bevölkerung von dem ernähren, was die private Landparzelle an Subsistenz hergibt. Die Regierungen versuchen, mit ihrer Agrarproduktion über dieses Armutsniveau hinauszukommen, daraus auf Basis geringer Arbeitskosten ein nationales Exportgeschäft zu machen und mit billigen Lebensmitteln auf den EU-Markt zuzugreifen. Diesen Versuch, europäische Lebensmittelkonzerne und Tiefkühlhäuser mit billigem Schweine- und Rindfleisch zu versorgen, unterbindet die EU. So lange dortige Staaten zu wenig Geld dafür verwenden, Schlachthäuser und Tierkörperverwertungsanstalten auf EU-Niveau zu bringen, droht die Einfuhr von Schweinepest und Rinderwahnsinn. So nimmt die EU ihre Verantwortung für „Lebensmittelsicherheit“ und „Pflanzengesundheit“ wahr und zugleich für die Gesundheit der Agrar- und Lebensmittelmärkte, die sich wie die Volksgesundheit vor den Wirkungen der balkanesischen Schmutzkonkurrenz fürchten müssen.[2]
  • Setzen die neuen Mitglieder auf Zahlungen aus den EU-Agrarfonds, um ihre heimische Landwirtschaft zu rationalisieren, dann wird auch daraus erst einmal nichts: Weil die politische Verwaltung es versäumt hat, die dafür nötigen Zahlstellen und Kontrollbehörden – die famosen „InVeKos“, siehe oben – einzurichten, was die Ordnungshüter den Chaoten vom Schwarzen Meer keinesfalls durchgehen lassen.
  • Damit nicht genug: In Rumänien kennt man zwar auch das Menschenrecht auf Grundeigentum, das die dortigen Dracula-Kommunisten so lange missachtet haben. Die versäumten es unglücklicherweise, nur weil sie das Privateigentum an Grund und Boden abgeschafft hatten, Grundbücher zu führen. Dieser kommunistischen Misswirtschaft ist es zuzuschreiben, dass heute in diesem Land Grundbücher samt den einschlägigen Ämtern so dünn gesät sind, dass in manchen Gegenden des Landes der Eigentumsnachweis per Katasterauszug nur schwer oder – leichter – mit entsprechendem handwerklichen Geschick, alternativ auch per ortsüblichen Obulus, zu bewerkstelligen ist.[3] Die ordnungsgemäße Abwicklung von Zahlungen aus dem EU-Agrarfonds ist aber auf entsprechende zivilisatorische Einrichtungen angewiesen, weswegen Überweisungen lieber unterlassen werden, ehe man sie an den Falschen oder in falscher Höhe auszahlt, oder bevor sie gleich ganz in „schwarze Kanäle“ fließen. So verbleiben diese Gelder bei der EU, und die Auszahlung unterbleibt auch deshalb, weil Rumänien und Bulgarien den dafür verlangten nationalen Eigenanteil nicht aufbringen können oder wollen.
  • In Sachen Flugsicherheit wiederum hält sich Bulgarien bis heute nicht an die EU-Vorschriften. So lange sich daran nichts ändert, steht die bulgarische Fluggesellschaft vor der Wahl, entweder Kapital zur Aufrüstung der Technik zu investieren, das sie nicht hat; oder keine Start- und Landeerlaubnis innerhalb der EU zu bekommen und damit das Geld nicht zu verdienen, das sie für ihre Investitionen bräuchte. Dadurch bleibt dem europäischen Markt der Billigflieger eine zusätzliche Konkurrenz erspart.

Der eigentliche Vorbehalt

Die „Commission Decision“ vom 13.12.2006, mit der für den Beitritt Rumäniens und Bulgariens zum Jahresanfang 2007 grünes Licht gegeben wird, enthält am Ende des Textes noch einmal „Benchmarks“, die schon der Monitoring-Bericht von September 2006 wortgleich als die „Vorgaben“ für die beiden Länder festhält, auf deren Erfüllung es bis zum und nach dem Beitritt ankommen soll, wenn die neuen Mitglieder Sanktionen durch die „Schutzklauseln“ vermeiden wollen:

  • „Annahme von Verfassungsänderungen, um jegliche Zweifel an der Unabhängigkeit und Rechenschaftspflicht des Justizwesens auszuräumen.
  • ... transparente und leistungsfähige Gerichtsverfahren ...
  • ... Untersuchungen bei Korruptionsverdacht auf höchster Ebene, ... Offenlegung der Vermögensverhältnisse hochrangiger Beamter,
  • ... Prävention und Bekämpfung von Korruption, insbesondere an den Grenzen und in der Kommunalverwaltung,
  • ... Strategie zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens mit Schwerpunkt Schwerverbrechen und Geldwäsche, Einziehung des Vermögens von Straftätern ...
  • ... Rechenschaftspflicht des Obersten Richterrats ...
  • ... Einrichtung einer Behörde für Integrität ...“

Die „Benchmarks“ der Kommission machen deutlich, dass sich ihre Unzufriedenheit mit den Defiziten der beiden neuen Länder entscheidend nicht nur auf Mängel in der Rechtsangleichung an den Gesetzesbestand der Union bezieht. Alle Vorgaben gehen darauf, dass offenbar schon übernommenes EU-Recht in Bulgarien und Rumänien nicht seine Wirkung entfaltet, die rechtliche Bindung von Regierung und Verwaltung sicherzustellen und eine verlässliche Demokratie zu ermächtigen, weil der entsprechende Rechtsrahmen von den dortigen Regierungen, ihren Verwaltungsapparaten und Gerichten nicht angewendet und durchgesetzt wird.

„So bemängelte die Kommission ... eine unwirksame und inkonsequente Anwendung der Rechtsvorschriften zur Bekämpfung von Betrug und Korruption. ...Im Einzelnen rügte die Kommission, dass im Zuge der Korruptionsbekämpfung und des Vorgehens gegen die organisierte Kriminalität bisher keine hochrangigen Politiker angeklagt, nur wenige mittlere Beamte verurteilt worden seien und keiner der in den letzten Jahren verübten rund siebzig Auftragsmorde aufgeklärt worden sei. Auch die seit über acht Jahren laufenden Ermittlungen wegen Geldwäschedelikten hätten noch zu keinem Urteil geführt.“ (SWP-aktuell 27)

So wird vor wie nach dem Beitritt am Schwarzen Meer unter den Augen der versammelten EU-Monitoren gegen die von der EU dekretierte Rechtsstaatlichkeit und gegen von einheimischen Legislativen in den nationalen Rechtsbestand übernommene europäische Regeln Staat gemacht; und das Leben dieser Gesellschaften findet einfach überwiegend an der Gemeinschafts-Rechtsordnung vorbei, nach offenkundig „anderen Gesetzen“, statt.

Das Prinzip dieser rechtlosen Andersartigkeit glaubt die Kommission aus den anderen ex-sozialistischen Beitrittsstaaten, deren Verhältnisse sich nur graduell von den rumänisch-bulgarischen unterscheiden, nur allzu gut zu kennen, geißelt es in ihren Mängelrügen und bekämpft es mit ihren „Benchmarks“: Es ist die „Korruption“ und das „organisierte Verbrechen“, die der EU den Umgang mit ihren balkanischen Neumitgliedern so schwer machen, weil sie in diesen Staaten ein Ausmaß angenommen haben, die sie – wie den Reformvorgaben der „Commission-Decision“ zu entnehmen – zum wichtigsten Gegenstand der „Heranführungspolitik“ machen.

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Als Kritik, die an den Verhältnissen des entwickelten, rechtsstaatlichen Kapitalismus der „alten“ EU Maß nimmt, ist der Korruptionsvorwurf höchst unsachlich: Dort bezeichnet Korruption ein kriminell „abweichendes“ und zugleich gesellschaftlich so übliches „Verhalten“, dass es unter den Titeln Bestechung, Bestechlichkeit und Vorteilsnahme in diversen Varianten in die Strafgesetzbücher aller kapitalistischen Nationen Eingang gefunden hat. Gemeinsam ist allen Tatbeständen, dass ein grundsätzlich ehrenwertes, privates Bereicherungsinteresse, das die öffentliche Gewalt in den Ländern des freien Wirtschaftens nachdrücklich ins Recht setzt und fördert, sich bisweilen an die Aufsicht über die staatlichen Geschäftsbedingungen der Konkurrenz heranmacht, um sich von ihr ein wenig freizukaufen; oder um für eine günstige Entscheidung zu zahlen, die die gewohnte politische Wirtschaftshilfe und das geltende Recht gerade so nicht hergeben. Wenn aber in Ländern wie Rumänien und Bulgarien die Scheidung der privaten Bereicherung von ihrer politischen und rechtlichen Förderung und Beaufsichtigung bei weitem noch nicht vollständig bewerkstelligt ist, dann ist der Vorwurf der Korruption zunächst nur eine sachfremde, juristische Subsumtion: der Abgleich der Verkehrsformen, nach denen dort das staatliche Leben offenbar flächendeckend funktioniert, wie das EU-Monitoring selbst feststellt, mit den von der Gemeinschaft in Auftrag gegebenen, aber nicht wirksam gewordenen Rechtsverhältnissen. Die fortwährende Verletzung der mit der Rechtsangleichung angestrebten Trennung von Recht und Politik einerseits und Gelderwerb andererseits ist eine gewohnheitsmäßige Einkommensquelle in den unteren wie den oberen Rängen des bestehenden Verwaltungs-, Justiz- und Regierungsapparates. Wo öffentliche Befugnisse zum Stempeln, Bescheinigen oder Genehmigen mit der Armut der kleinen Funktionsträger zusammentreffen, umgekehrt die Alimentierung der Staatsdiener so zu wünschen übrig lässt, dass sie diese nicht gegen Käuflichkeit immunisiert, werden die kleinen Schmiergelder zum Gehaltsersatz. Am oberen Ende der Hierarchie ist es in sämtlichen „Transformationsländern“ zu mancher Personalidentität zwischen Machern und Nutznießern des „gesellschaftlichen Umbruchs“ gekommen, zu dessen wesentlichen Bestandteilen die Umwidmung ehemals realsozialistischen Volkseigentums gehörte. Die endete in aller Regel in dessen Übertragung an geeignete Persönlichkeiten, damit zunächst und vor allem deren privater Reichtum, irgendwann später dann dadurch auch das nationale Wachstum befördert werde. Das hat in Bulgarien und Rumänien nicht anders funktioniert. Wie nicht anders zu erwarten, fanden sich auch dort, wo Politiker ebenfalls die Aufgabe hatten, VEBe in Handelsware zu verwandeln, mangels einer nationalen Kapitalistenklasse wie auch sonstigen zahlungsfähigen Interesses in den Reihen der alten Staatskader und neuer Partei-, Parlaments- und Justizfunktionäre – wo sonst – genügend unternehmerisch denkende Interessenten, die bereit waren, aus ihren eigenen Beschlüssen oder denen guter Freunde wirtschaftlichen Vorteil zu ziehen, und die das bis heute tun, auch wenn die EU-Kommission diesen Ländern noch so sehr mit „Benchmarks“ und „Supersicherungsklauseln“ droht. So entstand die inzwischen berühmte „kleine Schicht von Oligarchen“, die den Reichtum an sich ziehen, manche Reste der alten Staatswirtschaft, von denen die Nation gelebt hat, als geschäftlich uninteressant liquidieren, dafür aber den Übergang in neue Geschäftsfelder machen: Wer selbst als geschäftemachender Politiker Einfluss auf Polizei und Gerichte hat oder die Zuständigen ordentlich versorgt, kann hier gefahrloser als anderswo Finanz- und Grundstücksgeschäfte ohne Rücksicht auf Gesetze machen, oder auch mit Rauschgift, Waffen oder Menschen handeln, solange er sich nicht den Unmut der Konkurrenz zuzieht, die hier, offenbar auch gefahrloser als anderswo, „Auftragsmorde“ bestellen kann, ohne eine Verurteilung befürchten zu müssen.

In einer Lage, in der mangels ökonomischer Benutzung eines großen Teils der nationalen Arbeitsbevölkerung deren praktisches Überleben fern von staatlicher Kontrolle stattfindet; die Dienste der staatlichen Verwaltung für die Bevölkerung, von ärztlicher Behandlung bis hin zu universitären Zeugnissen, nur per Schmiergeld zu erlangen sind; überhaupt ein großer Teil des gesellschaftlichen Lebens am Staat vorbei organisiert wird und Politiker ihre Stellung vor allem dazu benutzen, sich zu bereichern: Da ist die Ohnmacht der Staatsgewalt trotz aller EU-Rechtsangleichung offenkundig. Die auf private Bereicherung – unter Ausnützung oder Umgehung geltenden Rechts – umgestellte heimische Ökonomie, für die sich bislang auch ausländische Investoren nur punktuell interessieren, versagt den Dienst, die Staatsverwaltung und die polizeiliche Ordnung der Nation auch nur auf bescheidenem Niveau zu finanzieren, was die von den europäischen Kontrolleuren inkriminierten Zustände nur dauerhafter macht. Dazu leistet auch die Brüsseler Kommission ihren Beitrag: Die fühlt sich durch die Verhältnisse in ihrer „ernsten Besorgnis“ über die „schwerwiegenden Kritikpunkte“ (SWP-aktuell, ebd.) an den beiden Ländern so sehr bestätigt, dass sie eher Sanktionen gegen die beiden Beitrittsstaaten in Erwägung zieht als die Mobilisierung von EU-Mitteln zur Förderung der neuen Standorte und zur Finanzierung staatlicher Ordnungsmittel.

Lebendige Demokratie in den neuen Provinzen

So wenig absehbar derzeit der Übergang der neuen EU-Erwerbungen im Südosten zum europäischen Rechtszustand ist: Wirkungslos bleibt das europäische Verlangen nach einer Säuberungskampagne keineswegs. Wie die EU-Aufsichtsmacht an der dramatischen staatlichen Unzulänglichkeit der Neumitglieder leidet, die ihr so viele Umstände bereitet, so leiden auch heimische Politiker als bulgarische oder rumänische – dafür kann man nicht zu „korrupt“ sein – Nationalisten. Die wollen mit der Zurichtung ihrer Länder zum Anhängsel des Weltmarkts zwar zunächst ihren, aber damit schon auch irgendwie den Erfolg und die Aufwertung ihrer Nation herbeiregieren, was für sie sowieso prima zusammenpasst. Die offenkundige Drittrangigkeit ihrer Staaten, die ihnen von der EU so verächtlich hingerieben wird, können sie gar nicht leiden. Als Parteigänger der Größe ihrer Nation und überzeugt von deren Recht auf Geltung in der Staatenwelt, kommen sie zu der Auffassung, bei der jeder enttäuschte Nationalist eher früher als später landet: Dass es für den kläglichen Zustand eines so großartigen Landes Schuldige auch und vor allem im Kreis der verantwortlichen Politikerkollegen geben müsse, die unfähig und unter Verletzung ihrer Amtspflichten die Chancen der Nation vergeigen.

Belege dafür sind im öffentlichen Leben und der Parteienlandschaft beider Länder leicht zu finden. Schließlich haben die politischen Talente der Wende- und Nachwendezeit als Parteiführer, Regierungsmitglieder und sonstige Amtsinhaber mittels ihres politischen Einflusses Reichtum erworben und zum Zweck seiner Vergrößerung und mittels seines geschickten Einsatzes wiederum ihren Einfluss und den ihrer Parteien gemehrt. Verhältnisse, in denen öffentliche Ämter ziemlich direkt mit dem Zugriff auf lukrative Geschäftsgelegenheiten in einer halb privaten, halb politisch organisierten Notstandsökonomie verbunden sind, verleihen dem demokratischen Wettbewerb um die Regierungsverantwortung, der schon hierzulande nichts für feine Männer ist, zusätzliche Erbitterung. So kommen sich die Konkurrenten des demokratisierten politischen Lebens in diesen Ländern mit einer Tonart und mit Vorwürfen, die das Maß der in westlichen Demokratien üblichen Gemeinheiten noch übersteigt. In dem Maß, wie sie ihre Befugnisse und deren ökonomische Ausnützung zu ihrem und dem Vorteil ihrer Parteien fruchtbar machen und dies mit dem Wohl der Nation in eins setzen, ist in der Konkurrenz gegen andere Vereine, die dasselbe vorhaben, nun auch der Korruptionsvorwurf und die Korruptionsbekämpfung eine Waffe zur Vernichtung des politischen Gegners. Weswegen die Parteien, bei denen es sich um ihrem staatlichen und gesellschaftlichen Biotop bestens angepasste, höchst lebenstüchtige Vereine handelt, einander – jede Partei jeder anderen – immer dasselbe nachweisen: Dass sie, gemessen an der Moral guten Regierens und an Geist und Buchstabe des frisch importierten europäischen Rechts, das sie nur in ihren wechselseitigen Anklagen als Maßstab gelten lassen, nichts als durch und durch korrupte Verbrechersyndikate sind, die nur an sich und nicht an die Nation denken, allesamt ins Gefängnis gehören und deswegen die Stimmen der Bürger bei den nächsten Wahlen keinesfalls verdient haben.

Die mit diesen Beweisen geführte politische Auseinandersetzung ist kein übermäßiger Beitrag dazu, die beklagte Situation der Staatsmacht zum Besseren zu wenden, sondern sorgt weiterhin mit dafür, dass die EU-seitig geforderte „Handlungsfähigkeit“ der Regierungen nicht zustande kommt. Ob einzelne Staatsanwälte, Richter und Politiker, die den zivilisatorischen Auftrag aus Brüssel ernst nehmen und mit Korruptions-Anklagen auf das Establishment der Parteien losgehen, dazu beitragen, ist offen: So setzt etwa eine parteilose rumänische Justizministerin eine Entlassungswelle im Justizapparat in Gang, der selbst der Chef der Anti-Korruptionsbehörde zum Opfer fällt, geht gegen Oppositionspolitiker wie gegen Mitglieder der Regierungspartei vor und bringt darüber das Innenleben der Parteien und deren überparteiliche Zusammenarbeit durcheinander. Sie erhebt allein im Jahr 2006 Anklagen gegen einen ehemaligen Ministerpräsidenten von den Sozialdemokraten, einen Vize-Regierungschef – „einen der reichsten Männer des Landes“ – von den Konservativen, einen „prominenten Politiker der Regierungspartei PNL und Chef des zweitgrößten Mineralölkonzerns“, einen „Generalsekretär der PSD“, „den ehemaligen Transportminister sowie den ehemaligen Finanzminister“ (alles aus Fischer Weltalmanach 2007). Ob in all diesen Fällen jemand verurteilt wird, steht dahin. Jedenfalls zerfällt mit der Aufnahme in die EU in Rumänien die Regierungskoalition, weil der Staatspräsident und der dem gleichen politischen Lager zugehörige Regierungschef sich wechselseitig ihre Privatgeschäfte mit irgendeiner „Mafia“ vorwerfen und ihren Konkurrenten zum Rücktritt zwingen wollen. Auch das alles trägt nur mäßig zur politischen Stabilität im Lande bei.

Der Vorwurf von Seiten der EU-Erweiterer an Regierungssystem und Rechtswesen der beiden Neumitglieder, sie seien „korrupt“, als zusammenfassende Charakterisierung der Missstände in ihrem Zuständigkeitsbereich, liegt, alles in allem, ziemlich daneben. Angesichts der Zustände in diesen Ländern, gegen die die EU-Monitoren mit ihrer Rechtsangleichung, mit Drohungen und politisch-ökonomischen Erpressungen ankämpfen, ohne dass ihnen der angestrebte Erfolg gewiss oder auch nur in Aussicht wäre: Angesichts der Verarmung, Verwahrlosung und kapitalistischen Nutzlosigkeit der Bevölkerung, des Zerfalls ihres produktiven Potentials, der partiellen Auflösung des Gewaltmonopols und seiner rechtlichen Durchsetzungsfähigkeit und parteipolitischer Auseinandersetzungen, die zeitweilig keine geordnete Ausübung von hoheitlichen Kompetenzen mehr zulässt; angesichts all dessen nimmt sich der Korruptionsvorwurf wie eine glatte Verharmlosung der in den gerade aufgenommenen Ländern bestehenden politischen und ökonomischen Verhältnisse aus. Deren kritische Würdigung mit einer Deliktsbezeichnung aus einem beliebigen europäischen Strafgesetzbuch steht in einem krassen Missverhältnis zur Sache: Bei der handelt es sich zwar durchaus – auch – um eine „Rechtsfrage“. Das aber in einer ganz grundsätzlichen Art: Bei den von den EU-Kommissaren aufgeworfenen „schwerwiegenden Problemen“ mit „Korruption“ und „organisiertem Verbrechen“ geht es – und das ist der sachliche Grund der europäischen Besorgnisse – um die Funktionsfähigkeit der beiden Staatswesen als Wahrer einer europäisch-rechtlich verfassten politischen Gewalt in der Region, und damit um die Frage der Brauchbarkeit der gerade eingemeindeten Nationen für die Europäische Gemeinschaft überhaupt.

Was sein muss, muss sein

Die ökonomische Restnutzung der noch vorhandenen, wenn auch verrotteten Industriekerne, der armseligen Zahlungsfähigkeit und der billigen Lohnarbeit, die Rumänien und Bulgarien zu bieten haben, hat die europäische Geschäftswelt längst unabhängig vom Beitrittsdatum in Gang gebracht. Zwar ist nicht allzu viel für lohnend befunden worden, aber auf die wenigen Geschäftsgelegenheiten wird durchaus zugegriffen. Auf diese gelaufene praktische Eingliederung der beiden Länder in den europäischen Binnenmarkt einerseits und die bekannten und viel diskutierten Probleme der EU-seitigen „Heranführungspolitik“ andererseits bezieht sich auch die öffentliche Kritik am Beitrittsbeschluss, die anzweifelt, dass man für den fraglichen wirtschaftlichen und politischen Nutzen, den die Mitgliedschaft dieser Länder verspricht, gleich den Preis einer Vollmitgliedschaft mit den damit verbundenen Pflichten und Kosten für die Gemeinschaft hätte zahlen müssen.

Auskünfte aus den Kreisen der Brüsseler Beitritts-Manager besagen allerdings, dass selbst die Gewissheit fehlender „Beitritts-Reife“ unter „Experten“, also auch alle Zweifel am ökonomischen Preis-Leistungsverhältnis der Erweiterung, in diesen beiden Fällen keine entscheidende Rolle gespielt hätten; ja, dass hier die Beitritte so dringend durchzuziehen waren, dass man tatsächlich die sonst gültigen Prüfkriterien über Bord werfen musste:

Und alle Experten sind sich einig: Nach einer strikten Beurteilung wäre keiner der beiden Staaten reif für den Beitritt. Warum die EU unter diesen Voraussetzungen die Aufnahme ihrer beiden armen Nachbarn nicht um ein Jahr verschoben hat, erklärte vor kurzem Wenceslas de Lobkowicz, in der EU-Kommission für Rumänien zuständig: ‚Wir konnten den Druck nur bis 2007 aufrecht halten. Auf Mitgliedsländer haben wir mehr Einfluss. (Die Presse, 27.12.06)

Ob Bulgarien und Rumänien für „Druck“ aus Europa tatsächlich nach dem Beitritt empfänglicher sind, als sie es vorher waren, kann man getrost den „Experten“ überlassen. Interessanter ist schon, warum die Union nicht länger warten wollte mit dem Anschluss, warum sie sich die Mühen der jahrelangen Erpressung und Beaufsichtigung antut, sich mit einem halbfertigen Ergebnis zufrieden gibt, ohne sich der Vollendung ihres kapitalistisch-demokratischen Zivilisierungsprojektes in dieser wilden Gegend und eines irgendwann bilanzierbaren Vorteils für die EU und ihr Wirtschaftswachstum sicher zu sein.

Was die Neuen wirklich interessant macht – oder: Von der Lücke zur Brücke

Die Antwort gibt wie so oft die Wissenschaft. Sie betreibt „Policy Research“ und ist deshalb in der Lage, den imperialistischen Blick auf „Balkans“ und „Black Sea Region“ zu erläutern, wie er vorausschauenden Europapolitikern eigen ist. Die haben eine „Vision von Europa“, die die kleinliche Berechnung, das Bilanzieren in Euro und Cent, zum Verstummen bringt, die ehernen Regeln der „Beitrittsreife“ biegsam macht und die gnadenlosen Türsteher vor den Toren der EU-Herrlichkeit milde stimmt. Beim Blick in die Heimatregion der beiden neuen EU-Mitglieder tun sich für verantwortliche europäische Führer, wie ihre forschenden Berater wissen, andere Perspektiven auf, die offenbar die Wichtigkeit gelungener Rechtsangleichung und korrupter Parteienlandschaften zu relativieren vermögen:

„Der Balkan und die Schwarzmeer-Region besetzen ein geographisches Gebiet, das nicht nur in der unmittelbaren Nachbarschaft der Europäischen Union, der NATO und Russlands liegt, sondern auch eine Brücke zu den kritischen Regionen Zentralasiens und des Mittleren Ostens bildet … Ausgehend von der entscheidenden geopolitischen Lage beider Regionen als (a) direkte Nachbarn der EU, der NATO und Russlands, (b) eine Brücke zum Mittleren Osten und Zentralasien, und (c) eine zunehmend wichtige Energietransportroute, kann Instabilität in beiden Regionen signifikante Auswirkungen auf die heimische, regionale und internationale Sicherheit haben ... Der Balkan und die Schwarzmeer-Region stellen in der Vision von Europa die strategischen Lücken von überragender Bedeutung dar. Diese Regionen sind gekennzeichnet durch ökonomische und politische Instabilität, gemeinsame Erfahrungen gewaltsamer Konflikte und Staaten, die darum kämpfen, ihre Kernfunktionen zu erfüllen.“ (Iris Kempe, Kurt Klötzle: The Balkans and the Black Sea Region: Problems, Potentials, and Policy Options, Bertelsmann Group for Policy Research)

Den politischen Strategen muss demnach der Blick auf die Landkarte bis zum Beitritt Bulgariens und Rumäniens ein Ärgernis gewesen sein: Europa reichte nicht bis in die „Nachbarschaft“ Zentralasiens, des Mittleren Ostens, Russlands und der kaspischen Ölregion. Die strategische „Lücke“, die da klaffte, hat man nun durch die Eingemeindung der beiden Schwarzmeer-Anrainer geschlossen. Das hat die beiden Länder, die zuvor offenbar als „Lücke“ hinreichend gekennzeichnet waren, erstens in den vergleichsweise gehobenen Status einer „Brücke“ befördert, die zweitens deswegen und von nun an der intensiven Aufsicht Europas unterstellt sein muss. Die Rede von der „Brückenfunktion“ der beiden Staaten kennzeichnet bildhaft den schlichten Zynismus des europäischen Zugriffs auf sie, die wegen ihres strategischen Dienstes, den sie dem imperialistischen Fortschritt Europas leisten sollen, „interessant“ geworden sind, trotz weit verfehlter Zulassungskriterien in die EU aufgenommen wurden und nunmehr dauerhaftem „Druck“ ausgesetzt werden müssen: Sie sollen ihre Gemeinwesen „stabil“ machen für die von ihnen erwarteten Leistungen, wozu ihnen – siehe oben – viel Rechtsangleichung, saubere Politik, sparsamste Zuteilung von EU-Mitteln und überhaupt viel Erpressung mittels ihres inferioren Mitgliedsstatus verhelfen soll. Durch möglichst störungsfreie Erfüllung dieser rücksichtslos-abstrakten Aufgabenstellung sollen sich die beiden Armenhaus-Nationen in die Kalkulationen der europäischen Macher einfügen, die durch das Vordringen in die neue mittelöstliche und zentralasiatische „Nachbarschaft“ neue Zuständigkeiten und Mitspracherechte zu erwerben trachten.

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Der Kennzeichnung des Balkans als „instabiler“ Unruheherd durch die „Policy Researcher“ vom Bertelsmann-Club und der daraus für Rumänien und Bulgarien abgeleiteten Aufgabenzuweisung als Stabilitätsanker unter Aufsicht der europäischen „Visionäre“ kann man einen gewissen absurden Witz nicht absprechen: Dass aus der Zerschlagung der Republik Jugoslawien lauter neue Staatsprojekte hervorgegangen sind, die sich bis heute weder hinsichtlich ihrer Grenzziehung noch der ethnischen Reinheit ihrer Nationen befriedigt sehen; die deswegen weiterhin lauter kriegsträchtige Abrechnungen miteinander offenhalten; und die in einigen ihrer Staatspartikel von NATO- und EU-Gnaden reichlich elend, ohne Aussicht auf irgendeine ökonomische Lebensgrundlage, in gewaltsam sistierten Kriegs- und Bürgerkriegszuständen dahinvegetieren, ist ja das Werk der EU und ihrer Führungsmächte selbst. Sie haben den jugoslawischen Bürgerkrieg ermutigt, unter ihre Kontrolle genommen und mit Hilfe der NATO durch einen Blitzkrieg gegen die unbotmäßigen Serben entschieden, deren Insistieren auf dem jugoslawischen Gesamtstaat ihnen in EU-Europa niemand durchgehen lassen wollte. Von dieser „Instabilität“ im Gefolge des Balkankrieges, zu dessen Aufsichts- und Schiedsinstanz sich die EU höchstselbst ernannt hat, waren Rumänien und Bulgarien, bevor ihnen überhaupt eine EU-Perspektive zugestanden war, bereits als Nachbarn des EU- und NATO-Kriegsschauplatzes Jugoslawien betroffen, nicht zuletzt durch die massive Schädigung ihrer Wirtschaft infolge des gegen Serbien verhängten Handelsboykotts und der Unterbrechung des Donau-Verkehrsweges durch die NATO-Angriffe auf serbische Donaubrücken. So erhält der Beitritt Rumäniens und Bulgariens nicht nur wegen der neuen Nachbarn im Osten, sondern auch in Bezug auf die offenen Ordnungsfragen auf dem Westbalkan seine Bedeutung. Das Projekt, das immer noch widerspenstige Serbien, die verrückten Kosovaren und das labile politische Gebilde in Bosnien zur Räson, d.h. unter die alleinige Fuchtel der EU zu bringen, steht ja noch am Anfang und kann von einem „stabil“ auf die EU ausgerichteten, östlich angrenzenden Umfeld dieser Problemfälle, so stellen sich Politiker und Bertelsmänner die Sache wohl vor, nur begünstigt werden.

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Eine solide auf die EU hin orientierte, berechenbare Herrschaft ist auch deshalb von den Politikern Rumäniens und Bulgariens gefordert, weil die ehemaligen „Lücken“-Länder nicht nur das Terrain liefern für den zukünftigen Aufbau weltpolitischer Konkurrenzpositionen gegenüber den USA und Russland im Mittleren Osten und Zentralasien. Ihre Staatsgebiete spielen auch eine wichtige Rolle innerhalb der schon laufenden energiestrategischen Aktivitäten der EU und sind dafür bereits verplant und praktisch verhaftet. Sie sind für die Energieversorgung der Kern-EU zur Erstellung von Transporttrassen vorgesehen, die die universellen Schmiermittel des europäischen Wachstums, Öl und Gas, von deren Fundstätten in Zentralasien und im Nahen Osten der europäischen Verwendung unter Umgehung Russlands zuführen sollen:

„Die jüngsten Entwicklungen hätten die Risiken zu großer Abhängigkeit gezeigt.... Die EU ist derzeit Russlands bester Kunde und ihre Importabhängigkeit wird noch steigen... Nötig seien Vielfalt in Herkunft, Anbietern, Transportstrecken und Transportmethode... Neue Röhren sollen nun her.“ (EU-Energiekommission, nach SZ, 3.1.07) „Die EU müsse nach neuen Lieferanten Ausschau halten, sowie ihre Abhängigkeiten verringern, um ihre Energieversorgung langfristig zu sichern. Dies sei ein Gebot ökonomischer und vor allem sicherheits- und friedenspolitischer Vernunft.“ (A. Merkel, Handelsblatt 30.12.06)

Und weil das imperialistisch Vernünftige nicht lange fackelt, wenn es die Mittel hat, wird mit dem Bau einer ersten Gas-Pipeline mit dem Namen Nabucco, die Europa aus russischer „Umklammerung“ befreien soll, gerade begonnen. Hauptseitig finanziert von der Europäischen Entwicklungsbank soll sie einmal kasachisches und aserbaidschanisches – sowie geplant trotz US-Embargo auch iranisches – Gas über die Türkei, Bulgarien und Rumänien nach Österreich und weiter dorthin befördern, wo es nicht nur dringend gebraucht wird, sondern auch noch nach den Worten von Frau Merkel der Sicherheit und dem Frieden dient. Die Verlängerung der gerade fertig gestellten Öl-Trasse von Aserbaidschan in die Türkei ist geplant. Auch diese Versorgungsroute soll über den Balkan führen. Über eine andere Zufuhrroute für aserbaidschanisches Öl nach Italien durch Bulgarien und Albanien wird gerade verhandelt.

Die beiden EU-Neumitglieder können sich freuen: Kaum zur „Brücke“ für europäische Machtprojektionen in Richtung Osten ernannt, kommt mit dem Fluss des kaspischen Öls in Richtung Westen und der damit verbundenen Statuszuweisung als „Durchleitungsstaaten“ schon die zweite Beförderung daher. Und das ist sogar eine, mit der sie sich ein bisschen hinzuverdienen können, wenn sie sonst schon nicht viel zustande bringen: Beide Staaten können künftig für das in den Pipelines nach Zentraleuropa durchlaufende Öl und Gas Transportgebühren erheben. Dass sie mit diesem Dienst auch noch Teil eines größeren Ganzen, der „europäischen Wertegemeinschaft“ nämlich, werden, sagt allen, die es noch nicht bemerkt haben, die deutsche Kanzlerin. Wenn nämlich das Gas nach der richtigen Seite fließt, speisen „wir“ sogleich den segensreichen Einfluss des demokratischen Europa in die andere Richtung ein:

„Deutschland hat Zentralasien zu einem Schwerpunkt seines EU-Vorsitzes erklärt. Es geht auch um Rohstoffe und Menschenrechte.“ (Deutsche Welle, 28.1.07)

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Das Angebot zur geschäftlichen Anbindung an den Kapitalstandort Europa soll eben auch der Hebel dafür sein, die Zuständigkeit europäischer Friedens- und Ordnungspolitik über die Grenzen des Kontinents hinaus zu erweitern. Nach der bildreichen Ausdrucksweise strategisch denkender Weltpolitiker kommt der rumänisch-bulgarischen Landmasse, die nun in aller Form der Kompetenz der EU unterliegt, jene schon zitierte „Brückenfunktion“ zu: Dadurch „verbinden“ – das ist nun einmal der Beruf von Brücken – die neuen Mitgliedsstaaten nunmehr die EU mit dem angrenzenden asiatischen Kontinent, ohne dass sie dafür mehr tun müssten, als am Schwarzen Meer zu liegen und „Nachbarn“ an dessen ölreichem Ostufer und darum herum in den ehemaligen GUS-Staaten zu haben, die mit dem Beitritt nun auch die der EU sind. Das ist, zunächst einmal, der Hauptertrag der Eingemeindung der beiden „Problemstaaten“, der es den EU-Strategen wert ist, sich mit den Wirren balkanischer „Korruption“ und postsozialistischem Wirtschaftsdesaster einzulassen.

Daraus gilt es nun, das Beste für den weltpolitischen Fortschritt Europas zu machen. Größer geworden, wächst Europa mehr internationale „Verantwortung“ zu: Denn wer größer ist, hat auch umfangreichere Interessen zu „verteidigen“, ist also deswegen mehr gefordert, auf die Bedrohung und Verletzung dieser Interessen zu reagieren, und hat ohne Zweifel das Recht dazu, falls er über die dafür erforderlichen Gewaltmittel verfügt. Durch die infolge der Balkan-Erweiterung jetzt erreichte neue „Nachbarschaft“ ist die EU-Zuständigkeit für die weltpolitisch hochgradig konfliktträchtigen Gebiete im Nahen Osten und in den zentralasiatischen Ölländern ohne weiteres begründet und berechtigt, einschließlich so betreuungsbedürftiger Gemeinwesen wie Moldawien oder Ukraine, mit denen man plötzlich auch „gemeinsame Grenzen hat“. Auch wenn sich die europäischen Führungsstaaten und die Brüsseler Agenturen der EU ohnehin längst nicht mehr scheuen, Zuständigkeit für die internationale „Sicherheit“ weltweit zu fordern und zu praktizieren: Die durch die jüngste EU-Erweiterung erschlossenen „Problemfelder“ liegen jetzt vor der „europäischen Haustür“, bestimmen also das ‚künftige Schicksal Europas‘ und können ohne europäische Mitsprache unmöglich bearbeitet werden.

Die mit den Beitritten verbundenen Berechnungen zielen darauf ab, den Übergang der EU zu einem „handlungsfähigen“ politischen Subjekt einen Schritt voran zu bringen, das seine ökonomischen und strategischen Interessen für all die Regionen kalkulieren und weltmächtig verfolgen kann, denen es sich im Zuge seiner territorialen Arrondierung als neuer Anrainer nähert. Die berechnende Konfrontation mit den amerikanischen Interessen in Zentralasien und am kaspischen Meer, der Aufbau von Alternativen zum bestehenden US-Einfluss in der Region und der Wettbewerb um die Energieressourcen und -transportwege auch mit Russland und China ist ebenso Teil dieser Politik.

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Für die unmittelbaren Anrainer an den neuen Südost-Grenzen erklärt sich die EU zum geborenen Schutzherrn. Die werden im Rahmen eines eigens erfundenen Programms „Europäische Nachbarschaftspolitik“ mit Geldmitteln aus dem EU-Haushalt und Empfehlungen für die Entwicklung hin zu einer Marktwirtschaft nach europäischem Vorbild beglückt. Wodurch sie, gerade wegen ihrer „schwachen Staatlichkeit“, vor falschen Abhängigkeiten und Erpressung bewahrt werden sollen.

Diese Aktivitäten richten sich offenkundig an die Adresse Russlands. Dessen überkommener und teilweise zurückgewonnener Einfluss auf die Ex-Republiken der Sowjetunion ist ein Hindernis europäischer Einflusspolitik nach Osten, die auf die Zurückdrängung und Ausgrenzung Russlands aus dem Umfeld der EU zielt. Das gilt für Moldawien: Dort ergreift die EU Partei gegen die Separatisten, die von Russland in dem eingefrorenen Bürgerkrieg mit dem abgefallenen russischsprachigen Landesteil Transnistrien gegen die Zentralregierung unterstützt werden, auch auf die Gefahr hin, dass der Krieg wieder in Gang kommen könnte. Hier wie überall, wo die EU ihren Einfluss auf die GUS-Staatenwelt – von der Ukraine über die kaukasischen bis hin zu den zentralasiatischen Staaten – ausbauen und festigen will, richtet sich die Einmischung der EU gegen den Einfluss Russlands.

Das gilt erst recht in den neuen Mitgliedstaaten Rumänien und Bulgarien selbst, wo die EU – mitten im „eigenen“ Zuständigkeitsbereich – russischen Einfluss entdeckt: Dort hat man an der nationalen Energieversorgung den russischen Monopolisten Gazprom beteiligt – nur der nationalen Preisvorteile wegen. Die Neumitglieder müssen sich sagen lassen, dass das Energiegeschäft mit Rumänien und Bulgarien in die EU gehört – auch wenn dieser europäische Energieverbund seinen Auftakt damit nimmt, dass Bulgarien, europäischer Sicherheitsstandards wegen, mit dem Beitritt das AKW Kosloduj stilllegen muss und damit seinen größten Exportverdienst verliert und die restlichen Balkanstaaten eine wichtige Stromquelle. Diese nationale Notlage verschafft übrigens Russland auch wieder eine Gelegenheit, sich vor Ort ökonomisch neu zu engagieren: Mit Bulgarien wird der Bau einer russischen Öl-Pipeline vom Schwarzen Meer über bulgarisches Gebiet nach Griechenland beschlossen, russische Ölkonzerne beteiligen sich an der rumänischen Erdölgesellschaft.

In den Kaukasus-Ländern und den zentralasiatischen Staaten treffen die Bemühungen der EU auch auf die intensiv verfolgten Interessen der USA.

Die alternative „Vision“ der USA

Das Vorhaben, das erweiterte Territorium der EU, das nun vom Atlantik bis zum Schwarzen Meer reicht, irgendwann einem einheitlichen politischen Willen zu unterwerfen und als Groß- und weltweite Ordnungsmacht auf „gleicher Augenhöhe“ mit der US-Supermacht zu etablieren, stößt auf Schwierigkeiten. Das sind einerseits die altbekannten: Zum einen die eifersüchtige interne Konkurrenz der EU-Mitglieder, die scharf darüber wachen, zu wessen nationalem Vor- und Nachteil die Vertiefungs- und Erweiterungspolitik der Brüsseler Gemeinschaftsinstitutionen wirkt, und beizeiten notwendige Einstimmigkeit verhindern. Wo die Mitglieder zum Konsens kommen und gemeinschaftlich als EU den Anspruch auf weltpolitische Zuständigkeit reklamieren, alternativ zu und gegen Amerika, stoßen sie, zum zweiten, stets darauf, dass sie für die Realisierung solch emanzipatorischer Ansprüche ausgerechnet amerikanische Unterstützung oder zumindest Duldung benötigen. Die anlässlich der Aufnahme Bulgariens und Rumäniens ins Auge gefasste, abschließende Regelung der offenen Nachkriegsprobleme in der Balkanregion bringt einmal mehr in Erinnerung, dass, bei aller reklamierten politischen Zuständigkeit, das Brechen des serbischen Widerstandes gegen die Zerschlagung Jugoslawiens jedenfalls militärisch gar nicht das Werk der EU selbst war, der es an gemeinschaftlichen militärischen Potenzen fehlte. Selbst gegenüber den trostlosen Zerfallsprodukten der früheren Heimat aller Südslawen kann sich die EU nur so weit als Hausherr und überlegene Aufsichtsmacht aufführen, wie NATO-Truppen dem Nachdruck verleihen.

Während sich die EU an diesen Widersprüchen abarbeitet, sind die USA, die der Maßstab der imperialistischen Bestrebungen aller nach Weltmacht drängenden Europäer sind, nicht untätig. Sie haben ihre eigene „Vision von Europa“, in der die europäischen Staaten und ihre EU eine andere Rolle spielen als die, die sie sich selber vorgenommen haben, und verfolgen diese nach ihrem Gutdünken und ohne Rücksicht auf die Arrondierungs- und Konsolidierungspolitik der EU. Gerade in den neu eingemeindeten Staaten Bulgarien und Rumänien bekommt es das organisierte Europa mit dem konkurrierenden Einfluss der USA auf den Staatswillen der neuen EU-Mitglieder zu tun, der quer liegt zu den Disziplinierungs- und Unterordnungsbemühungen der Brüsseler Kommission:

  • Vor ihrer Einsortierung in die EU sind Bulgarien und Rumänien bereits in die NATO aufgenommen, also von der transatlantischen NATO-Führungsmacht ihrer militärpolitischen Zuständigkeit zugeschlagen worden; einer Zuständigkeit, die die EU grundsätzlich für sich reklamiert, ohne aber über die militärische Organisation und die Mittel zu verfügen, um sie praktisch geltend zu machen.
  • Dem entsprechend sind es die USA, die sich mit Militärstützpunkten in beiden Staaten breit gemacht haben und sie als amerikanisches Hinterland behandeln, von dem aus sie ihre Soldaten und ihre Flugzeuge nach Afghanistan und in den Irak schicken. Den derzeit erwogenen Ausbau ihrer Stützpunkte in Rumänien und Bulgarien macht die US-Regierung nicht von der Zustimmung Deutschlands, Frankreichs oder der Kommission abhängig. Ebenso wenig wie den Aufbau eines Raketenabwehrsystems in Polen und Tschechien, mit denen sie jeweils einschlägige bilaterale Abkommen schließt, europäische Interessen ignorierend. Sie bestärkt die EU-kritischen Regierungen Tschechiens oder Polens in ihrer Haltung, wenn diese sich mit ihren ‚special relationships‘ zur Supermacht ausdrücklich ein Stück weit dem übermächtigen EU-internen Einfluss aus Brüssel und Berlin entziehen wollen.
  • Im Gegensatz zur Kritik Frankreichs und Deutschlands am Irakkrieg senden Rumänien und Bulgarien Truppenkontingente zur Unterstützung der USA in den Irak.
  • Kritik aus der EU erfährt Rumänien, als bekannt wird, dass die USA auf rumänischem Boden mit Zustimmung der Regierung Folterlager eingerichtet haben. Darüber hinaus schließt die rumänische Regierung gegen den entschiedenen Willen der EU vor dem EU-Beitritt einen Vertrag mit den USA ab, nach dem sie sich verpflichtet, keine US-Bürger wegen Menschenrechtsverletzungen an den europäischen Internationalen Gerichtshof auszuliefern. Daraus macht die EU-Erweiterungskommission einen Fall der grundsätzlichen Art: Im letzten Monitoring-Bericht vor dem Beitritt wird Rumänien verpflichtet, die „außenpolitischen Positionen der EU, z.B. beim Internationalen Strafgerichtshof, uneingeschränkt anzunehmen.“ Falls Rumänien diesen Vertrag mit den USA ratifiziere, so lautet die Drohung mit schwerstem Kaliber, verwirke es seine Beitrittsfähigkeit. Seitdem wartet das Abkommen auf seine Ratifizierung.
  • Die rumänische Regierung schließt einen Vertrag mit einem amerikanischen Agrarkonzernen ab, große landwirtschaftliche Flächen als Versuchsfelder für Gen-Soja-Anbau zur Verfügung zu stellen. Die damit verdienten Gelder sind für die marode heimische Landwirtschaft gedacht, aber mit diesem nationalen Zuverdienst soll es nach dem Willen der EU jetzt ein Ende haben.
  •  Das Gleiche gilt für Bulgarien: Auch Bulgarien entsendet Truppen in den Irak, richtet geheime CIA-Gefängnisse ein, die irgendwann auffliegen, überlässt den USA Flugplätze, Truppenübungsplätze und Trainingslager, ohne das verlangte Vetorecht gegen die Nutzung der Stützpunkte für Einsätze gegen Drittstaaten zu bekommen. (Fischer Weltalmanach 2007)

So kommen dem vorwärtsdrängenden EU-Beitrittsnationalismus die hochgradig störenden Berechnungen der USA auf dem Balkan in die Quere. Die schneiden sich mit alternativen politischen und wirtschaftlichen Angeboten und einer offenbar attraktiven Mischung aus beidem aus dem größer werdenden Europa, das endlich auch mächtiger und wichtiger werden will, ein Stück „neues Europa“ (Rumsfeld) zur amerikanischen Verwendung heraus. Dass das der angestrebten europäischen Entwicklung eines eigenständigen EU-Imperialismus hinderlich ist und die USA mit der Ermutigung und Unterstützung von EU-kritischen Standpunkten innerhalb der EU Sprengsätze in das Integrationsprojekt der Gemeinschaft legen, ist mindestens ein wichtiger Kollateralnutzen ihrer erfolgreichen Bemühungen um Bulgaren und Rumänen, Polen, Tschechen und andere Nationen zwischen Atlantik und Schwarzem Meer. Eine Weltmacht Europa in Konkurrenz zu den USA haben sich die Amis schließlich nicht bestellt.

[1] Zum Zweck und dem politischen Verfahren der EU, die Osterweiterungskandidaten auf sich selbst auszurichten, siehe Heft 1-98 und Heft 1-03 dieser Zeitschrift

[2] Wenn Russland mit Verweis auf die bei Rumänien und Bulgarien monierten Mängel die Einfuhr europäischen Fleisches stoppt, ist das Argument „Hygiene“ selbstverständlich ein leicht durchschaubarer Vorwand, mit dem „der Kreml“ vor allem die Polen provozieren will.

[3] Wie wohltuend hebt sich davon das weitsichtige Wirken der Habsburger Monarchie ab, die schon beizeiten wusste, dass ein ordentlich geführtes Grundbuch auch hinten in der Walachei für immer eine Säule der europäischen Zivilisation bleiben wird: Dazu kommt, dass es in Südrumänien kein Katastersystem gibt; niemand weiß, wie groß Parzellen sind. Das macht die genaue Berechnung von Agrarförderung zur Lotterie. Nordrumänien hat dieses Problem nicht – dank Maria Theresia, unter deren Regentschaft das Grundbuch eingeführt wurde. (Die Presse, 27.12.06)