Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
DaimlerChrysler macht Verluste:
Eine riesige Herausforderung fürs kapitalistische Management – und deren stinkordinäre Bewältigung

Jürgen Schrempp, Chef des Weltkonzerns DaimlerChrysler, erklärt die Verluste des Konzerns mit einem Kardinalfehler des Managements: Wenn der Markt die eigenen Produkte nicht aufnimmt, hat man zu wenig auf die Lohnkosten geachtet! Dieses Urteil setzt er in die Tat um: Entlassungen, weniger Kapazitätsauslastung, keine Abfindungen und Erpressung der Zulieferer bzw. ihrer Beschäftigten.

Aus der Zeitschrift

DaimlerChrysler macht Verluste:
Eine riesige Herausforderung fürs kapitalistische Management – und deren stinkordinäre Bewältigung

Die DaimlerChrysler AG lädt zu ihrer Bilanzpressekonferenz und muss auf der einen riesigen Flop eingestehen: Vor allem im amerikanischen Geschäft mit Chrysler verbucht das Unternehmen Verluste in einem Maß, das auch die Jahresbilanz des Gesamtkonzerns verhagelt. Das ist unangenehm für die deutsche Weltfirma, denn an sich war die Sache mit Chrysler ja prima gedacht. 1998 entschließt sich der Marktführer im Segment für höherwertige Autos, vorauseilend auf die sich abzeichnende Krise im weltweiten Geschäft zu reagieren. Noch bevor die so richtig da ist und einen nach dem anderen Produzenten trifft, positioniert er sich: Die Ergebnisse des Konzentrationsprozesses nicht abwarten, sondern sie an vorderster Stelle gestalten (Schrempp)Global Player also heißt die Devise. Selbst die Konzentration zu gestalten, bevor man von einem anderen geschluckt wird: Das ist das Rezept, mit dem der Geschäftserfolg von Daimler auch auf kontrahierten Märkten gesichert werden soll. Also schnappt man sich einen großen Konkurrenten, fusioniert mit dem, um darüber selbst größer zu werden, mit dieser Größe über mehr Kapital und Kredit und mit beidem über die besseren Hebel einer rentablen Nutzung der Arbeitskraft zu verfügen als die verbliebene Konkurrenz: Das will man – und genau das hat nicht so geklappt, wie Schrempp drei Jahre nach der Fusion mit Chrysler bekannt geben muss. Man hat sich mit dem drittgrößten Autokonzern in den USA kein Schnäppchen, sondern einen unprofitablen Betrieb an Land gezogen. Man hat nicht mehr Autos verkauft, sondern haufenweise solche produziert, die unverkäuflich sind, ist also an denselben Schranken des Marktes gescheitert, die man mit seiner Fusion für sich hat außer Kraft setzen wollen.

Wie immer in solchen Fällen, ruft der Misserfolg des Unternehmens Kritik wach. Selbstverständlich nicht an diesem blöden Markt, an dessen Grenzen es gestoßen ist: Der ist ja nur dazu da, dass man ihn erfolgreich für sich nutzt, und das wollte man nicht nur schon immer, sondern das will man weiterhin und jetzt erst recht. Der Fehler liegt also darin, genau das nicht so geschafft zu haben, wie man es sich vorgenommen hat, und wie immer in solchen Fällen liegt da der Verdacht nahe, dass die Verantwortlichen zwar Nadelstreifen tragen, aber doch Versager sind. Und siehe da: Der oberste Management-Stratege der DaimlerChrysler AG zieht sich diesen Schuh glatt an. Er macht sich für den mangelnden Geschäftserfolg haftbar und übt Selbstkritik. Er räumt – man denke! in diesen Kreisen! – sogar eigene Fehler ein – die allerdings dann schon sehr schnell darüber aufklären, wofür einer wie Schrempp sich überhaupt nur haftbar machen lässt. Bei der Kostenseite hängt der Erfolg zu hundert Prozent vom Management ab, lässt er wissen, und damit hat die selbstkritische Fehlersuche eines bekannt selbstherrlichen Kapitalisten auch schon ihr passendes Ende gefunden: Von wegen, die Schranken des Marktes hätte man nicht rechtzeitig respektiert – vor den Kosten des eigenen Produzierens hat man viel zu viel Respekt gehabt! Die eigene Manövriermasse hat man für das, was sie einen kostet, zu wenig hergenommen, oder, was dasselbe ist, ihr dafür zu viel bezahlt, wofür man sie einspannt! Endlich sagt mal ein Sachverständiger, was für ein Segen dieser Markt und seine gleichnamige Wirtschaft für die ist, die unter kapitalistischem Regime für ihn produzieren dürfen: Wenn der seinen Dienst versagt, dem Unternehmen den kalkulierten Gewinn zu realisieren, dann sind sie dran und haben dafür zu haften! Dann schließt ein guter kapitalistischer Manager aus dem Umstand, dass sich seine Kosten für ihn nicht gelohnt haben, zielstrebig auf den Fehler, sein produktives Inventar offensichtlich zu wenig ausgebeutet zu haben, und selbstverständlich ist das auch kein von ihm bloß gezogener Schluss. Er gelobt schon auch Besserung, und die lässt er sein Personal umgehend spüren: Er kündigt seiner Belegschaft einen turn-around an, der sie so billig machen wird, dass ihr Einsatz sich für den Konzern in Zukunft garantiert rentiert: Während die bisherigen Produktionskapazitäten theoretisch zu 113% ausgelastet sein müssten, bevor ein einziger Euro Gewinn erzielt werden könnte, soll diese Grenze bis zum Jahr 2003 auf 83% Kapazitätsauslastung gesenkt werden. Der Chef formuliert schlicht ein Rentabilitätsmaß der Produktion als Ziel der Sanierung seiner Firma, kalkuliert das Ergebnis – für 2002 sechs Milliarden Euro, für 2003 8,5-9 Milliarden –, und geht im übrigen ganz gelassen davon aus, dass wir diese Ziele erreichen. Nun könnte es einem ja egal sein, wovon Typen wie er so auszugehen belieben. Aber die Macht, ihr Ziel für andere unmittelbar zum Diktat werden zu lassen, haben Kapitalisten eben auch, und so übersetzt sich das, was sie mal so eben kalkulieren, ganz von selbst in ein Dekret für die Praxis, mit der die Belegschaften in den verschiedenen Standorten ihrer Firma demnächst fertig zu werden haben.

Die dürfen erst einmal davon Notiz nehmen, dass dieselben Leute, die vom Geschäft, an dem sie verdienen, einfach nie genug haben können, im Bedarfsfall auch darauf verfallen, dass das Unterlassen der Geschäftstätigkeit das genau Passende wäre – dann nämlich, wenn sie ihr Kapital retten wollen: Ihre Verluste führen die Chefs von DaimlerChrysler zu dem Urteil, schlicht zuviel Produktion am Laufen zu halten. Dementsprechend sortieren sie ihren Konzern durch, schreiben erst in ihrer Bilanz das Kapital ab, das seinem einzigen Zweck, Überschuss zu produzieren, nicht mehr gerecht wird – und schließen dann auch die sechs Fabriken in den USA, Japan und Kanada, die für die Produktion von Gewinn aufgestellt und zusammengekauft wurden, in denen das weitere Produzieren für das Unternehmen aber nicht mehr für lohnend erachtet wird. Nach dem Lehrsatz aus dem Handbuch des erfolgreichen Managers: Ein weitreichender Personalabbau trägt zur Kostensenkung bei, wird für sichere, weil rentable Arbeitsplätze gesorgt, indem man die unrentablen einfach abschafft. Das senkt sogar Kosten, indem es welche verursacht: Für jeden Arbeiter, der das Unternehmen verlässt, rechnet Chrysler mit Kosten von 40 Tausend Dollar, für jeden Gehaltsempfänger mit 80 Tausend Dollar – jeweils deutlich kleinere Summen als die durchschnittliche jährliche Bezahlung. Daher werde sich der Personalabbau schnell auf das Ergebnis auswirken. Die Unkosten des Sozialstaats in Amerika und Vereinbarungen mit den Gewerkschaften dort lohnen sich also auch noch: Mit ihnen wird man endlich dieses blöde Personal los, das sich einfach nur negativ aufs Ergebnis auswirkt. Und nicht nur das. Für die Rettung von Chrysler, das sonst pleite gegangen wäre (US-Gewerkschaftsboss), können auch die verbliebenen Arbeiter und Angestellte etwas tun – und für weniger Geld mehr Leistung abliefern: Zusammen mit den Entlassenen dürfen auch sie auf einen Teil ihres Lohnes verzichten, denn die anteiligen Prämien für die – Anfang letzten Jahres noch satten – Gewinne des Unternehmens werden ihnen einfach nicht ausbezahlt. So legt ein versierter Manager ihn hin, den turn-around: Er zahlt den Lohn einfach nicht. Und für einen nicht minder originellen, zusätzlichen Beitrag zur Kostensenkung sind dann wieder die Entlassenen gut. Sie bekommen ihre Abfindung bis zur Hälfte gar nicht, sondern ersatzweise eine Sachleistung – ein Auto nämlich, und zwar einen echten Chrysler! 26000 dieser Scheißkarren, die keiner haben will, wären dann schon mal kostengünstig entsorgt – und sozial obendrein, denn exakt genau so viele Proleten kommen darüber in den Genuss, auch noch als Arbeitslose tagtäglich ihrer feinen Firma treu bleiben zu können.

Sparen lässt sich jedoch nicht nur an der eigenen Belegschaft – auch bei den Einkaufspreisen fürs Material bietet der Konzern den kapitalistischen Zulieferern eine in gleicher Weise ergebnisorientierte Kooperation an: Sie haben 15% Preisreduktion innerhalb von drei Jahren, davon 5% Sofort-Rabatt zu gewähren. Einfach weniger zahlen: So einfach geht erfolgreiches kapitalistisches Management nach dieser Seite, und genau so setzt es sich dann auch auf der fort. Die Kapitalisten, denen DaimlerChrysler den Gewinn schmälert, bekommen ihre neue Kalkulationsgrundlage mitgeteilt – und können sich auf der dann darum kümmern, wie sie ihre Produktion über die Senkung ihrer Kosten rentabel machen, also die einen rausschmeißen und von denen, die bleiben, mehr an Leistung verlangen. Das ist das Schöne an einem kapitalistischen Weltkonzern: Wenn der sich saniert, macht er eben nicht nur seine, sondern auch die Proleten aller anderen an ihm hängenden Firmen für seine Verluste haftbar, etabliert nicht nur für seine menschliche Manövriermasse neue Maßstäbe ihrer rentablen Ausnutzung, sondern zwingt diese auch sehr vielen anderen vom Lohn einfach nur Abhängigen auf. Und das selbstverständlich auf Dauer: Das Umbaukonzept geht über ein kurzfristiges Kostensenkungsprogramm weit hinaus.

Die Lohnabhängigen werden auch von den Experten aus den Wirtschaftsteilen in gebührender Weise gewürdigt. Skeptisch, wie es ihr Beruf verlangt, fragen die nämlich einfach nur danach, ob dem Konzern eine erfolgversprechende Handhabung seiner Kostenfaktoren auch gelingt. Schafft er es, alle Maßnahmen zügig und erfolgreich durchzuziehen? Hat das Management auch wirklich alles erkannt, was den Erfolg der ersten deutschen WELT AG sicherstellt? Inzwischen geben sie Entwarnung: Ja, man hat dort alles erkannt, was nötig ist, alle Maßnahmen zur internen Sanierung kommen zügig voran. Die Lohn- und Gehaltsempfänger dürfen sich über ihren sicheren Arbeitsplatz freuen, und zusammen mit denen, die keinen mehr haben, über den wahren Schuldigen an ihrer Misere schimpfen. In Amerika ist das Schrempp, der hässliche Deutsche mit Hitlerbärtchen. Hier sind es die Amis überhaupt, weil die für deutsche Wertarbeit nicht gut genug sind.