Bulgarien und sein Energiesektor – die marktwirtschaftliche Karriere zum failed state in der EU

Beim Streit um South Stream ist das südöstlichste Mitglied der EU, bei dem die russische Pipeline in Europa anlanden sollte, in die Schusslinie gekommen. Die EU-Kommission hat härtere Maßnahmen verhängt, und auch die amerikanische Administration hat einige Druckmittel eingesetzt, um die Regierung von dem Projekt abzuschrecken. Das war aber keineswegs der erste Fall, in dem das Land mit seiner Energiepolitik in die Klemme zwischen Russland und den westlichen Führungsmächten geraten ist, seit dem Beitritt ist seine gesamte marktwirtschaftliche Freiheit von einer Kette solcher Streitfälle und einem dementsprechend krisenhaften Energiewesen geprägt.

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen

Bulgarien und sein Energiesektor – die marktwirtschaftliche Karriere zum failed state in der EU

Beim Streit um South Stream ist das südöstlichste Mitglied der EU, bei dem die russische Pipeline in Europa anlanden sollte, in die Schusslinie gekommen. Die EU-Kommission hat härtere Maßnahmen verhängt, und auch die amerikanische Administration hat einige Druckmittel eingesetzt, um die Regierung von dem Projekt abzuschrecken. Das war aber keineswegs der erste Fall, in dem das Land mit seiner Energiepolitik in die Klemme zwischen Russland und den westlichen Führungsmächten geraten ist, seit dem Beitritt ist seine gesamte marktwirtschaftliche Freiheit von einer Kette solcher Streitfälle und einem dementsprechend krisenhaften Energiewesen geprägt.

Der Balkanstaat hat das Pech, dass es ihm nicht gelingt, dauerhaft und zuverlässig die nötige Abneigung gegen Russland aufzubringen, weil er traditionsverhaftet, wie es Staaten zu sein pflegen, der großen slawischen Brudernation die Befreiung von den Türken, seine Gründung als Nationalstaat im 19. und den Aufbau einer Industrie im 20. Jahrhundert mit einer besonderen Anhänglichkeit vergilt:

„Bulgarien gehört zu den Ländern, die als Agrarstaat in den RGW eingetreten sind und ihre Industrialisierung diesem im Wesentlichen zu verdanken haben. Das bedeutete die Steigerung der energie- und rohstoffintensiven Schwerindustrie. Die Computermarken Prawez, Izot, IMKO und ES EVM produzierten zeitweise bis zu 40 % aller im RGW getauschten Desktopcomputer.“

Seiner Befreiung vom Kommunismus verdankt es wiederum einen imposanten ökonomischen Zusammbruch.

„Nach dem Wegfall des Marktes der Sowjetunion, zu dem die meisten Beziehungen bestanden, geriet die Wirtschaft in eine schwere Krise... Die einstmals gut entwickelte Industrie für Computerhardware verschwand vollständig.“ (Wikipedia)[1]

Das Land erlebt eine Deindustrialisierung, die Bulgarien auf das Niveau der Manufakturproduktion des 19. Jahrhunderts zurückgeworfen hat, in der die Artikel größtenteils in Handarbeit gefertigt werden, und für europäische Verhältnisse unvorstellbare soziale Verwerfungen. Das strapaziert das Vorstellungsvermögen der Fachleute für Politik, dass der Einzug der allein seligmachenden kapitalistischen Rechnungsweise so verheerende Auswirkungen hat:

„Eine Ausbreitung der Subsistenzwirtschaft ist die unmittelbare Folge... Im Jahr 1999 sind ganze 45 % der bulgarischen Bevölkerung auf häuslich hergestellte Nahrungsmittel wie Fleisch, Gemüse und Obst angewiesen“ [2]

1996 wird Bulgarien zahlungsunfähig, erhält eine IWF-Kur samt currency board, das die erlaubte Staatsverschuldung an das Maß seiner Deviseneinkünfte bindet und damit die Haushaltskünste der Regierungen von vorn herein auf eine Stabilität verpflichtet, die dem Staat soziale Experimente erspart. Dazu kommen weitreichende strukturelle Reformen und die Privatisierung nahezu aller staatlichen Unternehmen in enger Zusammenarbeit mit IWF und Weltbank. (Wikipedia) Unter der Regie von IWF und EU hat sich an der europäischen Spitzenstellung in Sachen Verwahrlosung bis heute nicht viel geändert:

„Mit einem Durchschnittslohn von kaum mehr als 350 Euro im Monat verdienen die Bulgaren weniger als alle anderen Europäer. Eine bulgarische Durchschnittsrente beträgt mehr als sechs Jahre nach dem EU-Beitritt des Landes etwa 137 Euro, doch ein Fünftel der Rentner in Bulgarien bezieht nur eine Sozialrente von 51 oder die Mindestrente von 74 Euro... von 140 Euro im Monat kann auch auf dem Balkan niemand eine menschenwürdige Existenz führen.“ (FAZ, 11.5.13)

Aufgrund dieser Bedingungen zeichnet sich die bulgarische Demokratie durch lebhafte Regierungswechsel aus, bei denen die jeweiligen Regenten, immer schön abwechselnd durch demonstrative Treue zum Westen oder nationale Projekte in Zusammenarbeit mit Russland, aus der grassierenden Armut der Nation etwas zu machen versuchen. So weit reichen die Leistungen der Demokratie: Im Auswechseln von Regierung und Opposition, von neuen Leuten gegen verbrauchte, darf sich der Volkswille austoben und seiner Empörung Luft machen – neu sind dann die Gesichter, in Bulgarien z.B. pittoreske Figuren wie ein Zar und ein ehemaliger Leibwächter, der seinen Muskelapparat als ideale Voraussetzung zur Korruptionsbekämpfung offeriert und damit Wahlen gewonnen hat. Neu sind aber nicht die Prämissen des Staatmachens, die dem Armenhaus Bulgarien mit seiner Einordnung in die EU und seinen marktwirtschaftlich wenig tauglichen Mitteln vorgegeben sind, so dass die bulgarischen Wähler immer wieder von neuem ihre Enttäuschung in die Wahl von Alternativen investieren dürfen.

Zum Konfliktfall mit den westlichen Instanzen ist regelmäßig der bulgarische Energiesektor geraten:

„‚Glauben Sie mir, daß wir wegen jeder Preiserhöhung mit dem Internationalen Währungsfonds einen Kampf ausfechten. Sie zwingen uns, die Preise auf das europäische Niveau anzuheben. Wenn wir ihnen aber sagen, daß unsere Löhne zu niedrig sind, antworten sie: ‚Das ist Euer Problem‘. Fast jeden Monat stellen sie uns ein Ultimatum wegen der Energiepreise. Wenn der Ministerpräsident sagt: ‚Bulgarien ist ein souveränes Land, wir werden die Energiepreise nicht erhöhen‘, droht uns der IWF damit, die Kredite zu sperren und uns auf diese Weise noch weiter von der EU zu entfernen.“ (Der Generalsekretär der Zarenpartei NBS II, Veselin Bliznakov, Sofia 10.5.02; nach Riedel)

Angefangen haben die strukturellen Reformen Bulgariens auch gleich im Energiesektor, weil die EU als Bedingung für den Beitritt verlangt, dass Bulgarien vier Blöcke des Kernkraftwerks Kosloduj vom alten sowjetischen Typ WWER440/230 stilllegt. Aus Gründen der Umwelt und der gefährlichen Abhängigkeit von Russland kann Europa dabei verständlicherweise keine Rücksicht auf den bulgarischen Strombedarf und die Handelsbilanz nehmen.

„Alle sechs Blöcke zusammen konnten 44 % des bulgarischen Strombedarfs decken und erlaubten dem Land, bis zu 20 % seiner Stromproduktion zu exportieren.“ (Wikipedia)

Zar Simeon Sakskoburggotski gelobt zähneknirschend EU-Gehorsam:

„In diesem Jahr müssen wir die zwei ältesten Blöcke des Reaktors Kosloduj schließen, dann gibt es einen Termin für die nächsten zwei. Es wird ein Vermögen kosten, aber wir machen das, weil es die EU fordert.“ [3]

Den Balkan-Nachbarn beschert die EU damit neben den anderen Krisen auch eine Energiekrise:

„Mehrere Länder Südosteuropas kämpfen mit ernsten Engpässen bei der Elektrizitätsversorgung. Grund ist die Abschaltung zweier Reaktorblöcke im bulgarischen Kosloduj. Das hat inzwischen auch in Mazedonien, Montenegro, Serbien, Rumänien und im Kosovo zu Engpässen und Stromabschaltungen geführt... Bulgarien war bis Ende 2006 größter Stromlieferant der Region und deckte rund 80 Prozent der Elektrizitätsdefizite seiner Nachbarn ab... „Durch die Schließung in Kosloduj verlieren Albanien, Mazedonien, Montenegro und Kosovo rund 40 Prozent ihrer Stromversorgung‘, schätzt der Branchendienst Platts.“ (Handelsblatt, 17.1.07)

Nach dem Zaren kommen wieder mal die Russland-freundlichen Sozialisten an die Macht und planen gemeinsam mit Russland einen Ersatz für den abgeschalteten Meiler durch ein neues AKW, Belene. Das Projekt wird 2011 gekippt, nach einem erneuten Regierungswechsel, zu dem die brüderliche Hilfe aus Amerika und Europa beigetragen hat. Der neue Staatschef Borissow, nach eigenen Angaben ein großer Bewunderer von Merkel und treuer Freund der USA, sagt gleich auch noch ein weiteres Projekt mit Russland ab, die Öl-Pipeline zwischen dem bulgarischen Schwarzmeerhafen Burgas und dem griechischen Alexandroupolis, die eine Alternative zum als zunehmend gefährlich erachteten Transport durch den Bosporus und die Dardanellen bieten sollte und gegen die das westorientierte Lager erfolgreich eine Kampagne unter dem Titel „Umwelt“ geführt hatte. Die Entscheidung für South Stream, das letzte milliardenschwere Energieprojekt mit russischer Beteiligung, bei dem die bulgarische Regierung noch mitmacht (DW, 8.11.12), will sich Borissow aber nicht nehmen lassen. Schließlich braucht das Land irgendeine Energieversorgung und der Staatshaushalt Einkünfte; Gazprom bietet Durchleitungsgebühren, Aufträge für bulgarische Baufirmen und macht große Zugeständnisse beim Gaspreis:

„‚In den letzten Jahren haben wir Millionen wegen Zwischenhändlern verloren. Wir bekommen eine 20-prozentige Ermäßigung ab dem 1. Januar und unterzeichnen einen Zehn-Jahres-Vertrag‘, sagte der bulgarische Ministerpräsident Borissow nach der Unterzeichnungszeremonie.“ (RIA, 16.11.12)

Glücklich wird er mit dem Vertrag aber auch nicht.

Auf der einen Seite befasst sich die EU-Kommission zunehmend kritisch mit dem Projekt. Auf der anderen Seite bekommt Borissow intensiven Besuch aus den USA, die schließlich mit einem Truppenstützpunkt und anderen militärischen Einrichtungen sozusagen schon zu den Einwohnern in Bulgarien zählen. Diese westlichen Freunde Bulgariens informieren es unentwegt über die Gefahr seiner Abhängigkeit (von Russland), und Mrs. Clinton unterbreitet ihm die Vorteile einer alternativen Abhängigkeit (von den USA).

„US-Außenministerin Hillary Clinton hat am Sonntag die bulgarische Führung aufgefordert, der Energieabhängigkeit von Russland ein Ende zu setzen, und hat US-Leistungen für alternative Energielieferungen angeboten... Aber unter dem Druck der bulgarischen öffentlichen Meinung nahm Bulgarien die Lizenz für die Erkundung von Schiefergas zurück, die dem US-Unternehmen Chevron 2011 erteilt worden war.“ (RIA, 6.2.12)

Die Regierung scheitert an einem Volksentscheid:

„Am Mittwoch verabschiedeten die bulgarischen Abgeordneten für dieses Verfahren ein unbefristetes Verbot. Chevron sollte in einem Gebiet tätig werden, in dem das Grundwasser die einzige Trinkwasserquelle ist. Und da man beim Fracking etliche giftige Chemikalien in den Boden pumpt, befürchtete man eine Verseuchung des Trinkwassers in diesem dicht besiedelten Gebiet, einschließlich unserer größten Schwarzmeerstadt Warna.“ (Radio Bulgaria, 19.1.12)

Potente europäische Kapitale wiederum beurteilen Bulgarien als Geschäftssphäre zunehmend skeptisch. Der deutsche Konzern E.ON zieht sich zurück, dem Land geht die Bequemlichkeit eines nach seinen anspruchsvollen Maßstäben rentablen Standorts ab. Angesichts einer weit verbreiteten schlechten Zahlungsmoral, und der zunehmenden Gewohnheit in gewissen Kreisen der Bevölkerung, Strom illegal abzuzapfen, lohnt es sich erst recht nicht, wie von den Regierungen in Sofia gefordert, in Instandhaltung und Ausbau der Stromnetze zu investieren. E.on will die dauernden Streitigkeiten loswerden und verkauft seinen Laden, der tschechische Nachfolger und die anderen Versorger beschließen, dass die Sache schon lohnend zu gestalten wäre – freilich nur mit marktwirtschaftlich vernünftigen Preisen. Das führt dann 2013 zu

„massenhaften Protestaktionen in mehreren bulgarischen Großstädten. Sie richteten sich gegen die stark gestiegenen Preise der Stromversorger CEZ, EVN und Energo-Pro. Die Menschen klagten, die Stromkosten für Januar hätten sich fast verdoppelt.“ (RIA, 18.2.13) „Die Demonstranten forderten unter anderem die Enteignung der ausländischen Stromlieferanten, die angeblich“ – wer es in Wirklichkeit gewesen ist, verrät die Deutsche Welle nicht – „die Preise in die Höhe getrieben haben.“ (DW, 17.5.13)

Borissow tritt zurück, was von Beobachtern als ein geschickter Schachzug gewertet wird, den Sozialisten die verfahrene Lage zu überlassen, und das macht sich auch bezahlt: zwei Jahre später kommt er wieder an die Macht. Denn die Proteste gegen unbezahlbare Strompreise hören nicht auf.

„Massenproteste in Bulgarien gehen in die dritte Woche“ (FAZ, 29.6.13); „die seit 40 Tagen andauernden Proteste gegen die Regierung in Bulgarien haben einen neuen Höhepunkt erreicht. Demonstranten umzingelten das Parlamentsgebäude – bis die Polizei die Blockade auflöste.“ (DW, 23.7.13) „Manche Beobachter sprechen sogar von ‚bürgerkriegsähnlichen Zuständen‘ und einem ‚Staatsstreich‘. Nach einem äußerst schmutzigen Wahlkampf, nach Lauschangriff-Affären, Manipulations- und Wahlfälschungsversuchen“ – was eben so die Mittel sind, mit denen gestaltungsfreudige Politiker in einer Krisenlage ihren Kampf um die Macht zu führen pflegen – „sind die Bulgaren desillusioniert und verzweifelt. Dafür spricht auch der negative Rekord bei der Wahlbeteiligung: Etwa die Hälfte der Stimmberechtigten blieben zu Hause. Die bulgarische Gesellschaft sei heute ‚eine tickende Zeitbombe, die dringend entschärft werden muss‘, meinen auch ausländische Diplomaten.“ (DW, 17.5.13)

Die Proteste steigern sich nämlich zu einem Aufstand gegen die Politik überhaupt:

„Die seit mehr als 40 Tagen protestierenden Bulgaren haben nur eine einfache und gleichzeitig zu allgemeine Forderung: Das ganze korrupte und von Vetternwirtschaft geprägte System muss weg.“ (DW, 24.7.13)

Die Eigenart des sogenannten Systems, die mit dem Titel Korruption weniger zu allgemein, sondern eher verkehrt benannt wird, verdankt sich einem anderen Sachverhalt: Was Bulgarien in der Konkurrenz mit den EU-Standorten und unter den Geboten sowohl des Binnenmarkts wie der vom IWF diktierten Stabilitätspolitik an Marktwirtschaft zustandegebracht hat, ist einfach nicht dazu geeignet, das Volk zu ernähren und noch nicht einmal besonders viele von der herrschenden Klasse. Es gibt nicht viel zu verdienen, es sei denn am Staat, was die jeweiligen Machthaber samt ihrer Klientel ausgiebig nutzen. Das aufgebrachte Volk verdächtigt aber keinesfalls das System Marktwirtschaft, sondern hält sich lieber an die Sehnsucht nach sauberer Politik.

„Seit mehr als sechs Monaten gibt es in Bulgarien täglich Proteste. Der Versuch, die Mächtigen zu stürzen, ist zu einer Dauerveranstaltung geworden... So viele Tage hintereinander treffen sich Bürger unterschiedlichster politischer Ansichten schon in der bulgarischen Hauptstadt und schreien vor dem Parlamentsgebäude stehend der Regierung von Ministerpräsident Plamen Orescharski die drei Silben ihrer einzigen Forderung entgegen: ‚O-staw-ka‘ – Rücktritt.“ (FAZ, 6.1.14)

Der tritt dann auch zurück, und die Protestler betätigen sich wieder in der für sie vorgesehenen passiven Rolle als Wähler bzw. enttäuschte Nichtwähler; in der Rolle müssen sie dann eben nehmen bzw. ertragen, was so im Parteienangebot ist. Das System kommt auf die Weise nicht weg, sondern nur die sozialdemokratische Notstandskoalition – und schon ist Borissow wieder da. Allerdings auch nur dank einer in Europa als unschön empfundenen Koalition mit einer Patriotischen Front, die ein Verbot des öffentlichen Sprechens von Türkisch, Stationierung von Raketen an der türkisch-bulgarischen Grenze zur Terrorabwehr sowie Zwangsarbeit für Eltern, deren Kinder bei der Einschulung nicht Bulgarisch sprechen, verlangt. Ohne ihre Stimmen kann der neue Ministerpräsident Bojko Borissow nicht regieren. (FAZ, 20.11.14)

Unschön oder nicht, wirklich ernsthafte Angriffe bleiben Borissow und seiner Koalition erspart, schließlich soll sie ungeachtet nationaler Vorteilsrechnungen ihren Beitrag zur anti-russischen Politik der EU leisten und endlich das EU-Regelwerk gegen das Projekt South Stream anwenden. Und sie tut auch ihre Pflicht, allerdings widerwillig und erst nach einem von Brüssel verhängten Verfahren und einer Geldsperre.

Ansonsten bleibt alles beim Alten. Bulgariens Bankenkrise, die durch einen Machtkampf bulgarischer Oligarchen und eine Cyberattacke gegen eine Bank mit einem russischen Anteilseigner ausgelöst wird, der auf der US-Sanktionsliste steht, ist nicht gelöst. Die wirtschaftlichen Perspektiven des ärmsten Mitgliedsstaates der EU sind ungünstig. Viele Bulgaren werden im Winter wieder frieren, weil sie die Heizkosten nicht bezahlen können. (FAZ, 20.11.14) Kein neues Russengas, der Ausfall der geplanten Einnahmen durch South Stream und reichlich Schulden, 1,5 Milliarden Euro Schulden der staatlichen Elektrizitätsgesellschaft, die ständig weiter wachsen; die erneute Weigerung der Banken, der bulgarischen Erdgasgesellschaft Bulgargas einen Kredit für das Bezahlen im Voraus der Erdgaslieferungen aus Russland zu geben. Dazu kommt noch das bevorstehende Abschalten des zweitgrößten Kraftwerks (Radio Bulgaria, 9.12.14), nachdem es dem tschechischen Betreiber CEZ nicht gelungen war, von den strengen ökologischen EU-Richtlinien mittels einer Ausnahmegenehmigung befreit zu werden. CEZ hatte die Hoffnung gehegt, das Wärmekraftwerk auch im bevorstehenden Winter betreiben zu können, zumal Bulgarien in punkto Energiesicherheit etwas in der Klemme steckt. (Radio Prag, 13.12.14) Europa ist nämlich auch an der Stelle tatkräftig in das bulgarische Energiewesen involviert. Es insistiert nicht nur darauf, dass sich der Staat von verderblichen russischen Projekten fernhält, sondern auch darauf, dass auch in Bulgarien der gute europäische, regenerative Strom gefördert wird – mit dem Resultat, dass die von EU-Unternehmern aufgestellten Windräder und Sonnenkollektoren zuviel davon produzieren, weil es sich wegen der von Brüssel vorgeschriebenen Abnahmegarantie so schön lohnt:

„Um die Auflage zu erfüllen, nach welcher der Anteil der Energie aus erneuerbaren Quellen bis 2020 nicht weniger als 16 % des Gesamtverbrauchs betragen soll, wurde bestimmt, dass solche Energie über einen längeren Zeitraum (15– 24 Jahre) zu hohen Vorzugspreisen abgenommen werden muss.“ [4]

Die produzierten Mengen überfordern die beschränkte Zahlungskraft in der Nation; außerdem führt die unregelmäßige Einspeisung zu einer Überbelastung der Netze.

„Das sind nur einige der Probleme aus den letzten Tagen, die die gesamte Energiewirtschaft Bulgariens wegzufegen drohen.“ (Radio Bulgaria, 9.12.14)

Zum Ausgleich gibt es grandiose Ratschläge aus Brüssel:

„Bulgarien gehöre zu 11 EU-Ländern, die ein ‚Defizit‘ beim Strompreis hätten und Maßnahmen ergreifen sollten. ‚Defizit‘ bedeute in diesem Fall, dass der Preis die realen Ausgaben der Energiegesellschaften nicht decke. Brüssel empfiehlt diesen 11 Staaten, dieses Problem durch Erhöhung der Preise zu lösen, zusammen mit Energiesubventionen für die Allerärmsten. Wenn aber der größte Teil der Bevölkerung eines Landes zu den Armen gehört, scheint das Problem unlösbar zu sein.“ (Radio Bulgaria, 9.12.14)

Die EU-Kommission sieht das anders, Bulgarien hat ein großes Potential zur Steigerung der Energieeffizienz durch Energieeinsparung, und dafür gibt es auch Hilfe, nämlich große EU-Finanzhilfen in Höhe von sage und schreibe 840 Mio. Euro zur Wohnungssanierung. (Ebd.) Ein eher schlechter Witz angesichts der Tatsache, dass der größte Teil der Bevölkerung nicht einmal die Strompreise zahlen kann. Aber vielleicht mag sich ja die bulgarische Regierung ein bisschen wärmedämmen.

Der unermüdliche Kerry – Wir sind für ein starkes und souveränes Bulgarien engagiert - ist auch schon wieder zur Stelle und offeriert von neuem die Ideallösung Schiefergas. Die schließt die bulgarische Gesetzeslage vorläufig immer noch aus, aber bis da die nötigen Fortschritte erzielt sind, wäre auch amerikanische Atomkraft im Angebot, garantiert umweltfreundlich und gesund. Allerdings findet Bulgarien in seinem auf Stabilität verpflichteten Haushalt auch dafür nicht das nötige Geld. Borissow wünscht sich,

„dass Westinghouse in den Bau eines neuen Meilers im Atomkraftwerk Kosloduj als Investor einsteigen soll, das eventuell durch die amerikanische Ex-Im Bank (Export-Import Bank of the United States) finanziert wird.“ Denn „Bulgarien darf das Konvergenzkriterium von 3 Prozent Haushaltsdefizit nicht mehr verletzen‘.“ (Radio Bulgaria, 16.1.15)

Die Stromversorgung durch die veralteten Netze ist nach wie vor kritisch, die geplanten Erträge aus South Stream fallen weg, verschiedene Schadenersatzforderungen aus Russland wegen der gekündigten Vorhaben stehen der bulgarischen Regierung auch noch ins Haus. Aber was macht das schon, so die Stellungnahme aus einem Think Tank in Wien – Hauptsache, Bulgarien knickt angesichts der Druckmittel der EU ein und ist dann vorbildlich auf Linie:

„Auf den ersten Blick ist der Stopp von South Stream für Bulgarien, genauso für Serbien und Ungarn, ein Verlust. Die von Putin ausgesprochene Anschuldigung hat das Land aber paradoxerweise sofort zum einzigen Gewinner gemacht. Länder wie Ungarn und Serbien, die für das Projekt gekämpft haben, sind die Verlierer heute. Denn sie bekommen kein Gas, haben aber das Vertrauen der EU verloren. Bulgarien bekommt zwar auch kein Gas, hat sich aber das EU-Vertrauen erkämpft. Und die EU-Gelder fließen plötzlich wieder, nachdem sie ein Jahr lang auf Eis gelegt waren. Denn von den EU-Fonds profitiert Bulgarien viel mehr als von South Stream.“ [5]

Wozu braucht das Land auch Gas und Geld aus Russland, wenn es schon vom Vertrauen der EU leben kann.

[1] Bis auf einen Haufen bulgarischer Fachkräfte, die sich seitdem einen Namen mit der Herstellung konkurrenzfähiger Computerviren gemacht haben.

[2] Sabine Riedel: Ex-Zar Simeon II. Gescheitert? Swp-berlin, Oktober 2002, www.swp-berlin.org

[3] www.kingsimeon.bg

[4] Energiepolitik und Energiewirtschaft in Bulgarien, Konrad-Adenauer-Stiftung, September 2013, www.kas.de

[5] Ivan Krastev ist Präsident des Zentrums für liberale Strategien in Sofia und Permanent Fellow des Instituts für die Wissenschaften vom Menschen in Wien, DW, 12.12.14