Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Endlich auch im „Kaffeesektor“:
Halbierung der Armut durch Anstandsregeln für Handelskonzerne

Von der deutschen Regierung angeleitet, sollen die weltweit agierenden Kaffeekonzerne einen „Verhaltenskodex“ unterschreiben, den „Common Code for the Coffee Community“, in dem sie sich und ihre Lieferanten verpflichten, Arbeits- und Tarifverträge abzuschließen, Überstunden zu bezahlen, sichere und gesunde Arbeitsbedingungen einzuhalten und – sauber nach ISO 9001 zertifiziert – mit umweltschonenden Anbaumethoden zu produzieren.

Aus der Zeitschrift

Endlich auch im „Kaffeesektor“:
Halbierung der Armut durch Anstandsregeln für Handelskonzerne

Irgendwie scheint es seit einigen Jahren zum guten Ton in den Entwicklungshilfeministerien der großen reichen Nationen zu gehören, Konferenzen, Initiativen und Projekte anzuschieben, welche die Armut in ihrer „3. Welt“ endlich nachhaltig bekämpfen sollen. Den Hunger – mindestens halbieren! Trinkwasser- und Stromanschlüsse – verdoppeln! Und die extreme Armut in der „3. Welt“ überhaupt – auch halbieren bis 2015! Die deutsche Regierung ist ja auch schwer unterwegs im Bekämpfen der Armut weltweit, und so haben sich ein paar Abteilungen aus dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) mal etwas genauer über den sog. internationalen Kaffeesektor gebeugt. Was sie uns da an Ergebnissen präsentieren, könnten sie zwar mit Fug und Recht über jeden der von ihnen politisch beobachteten und betreuten Rohstoffsektoren in aller Welt sagen, aber gut, haben sie sich vielleicht gedacht, irgendwo muss man ja mal anfangen:

„Schlimmste Formen der Kinderarbeit; Sklaven- und Zwangsarbeit; Menschenhandel; Verbot der Mitgliedschaft in und der Vertretung durch Gewerkschaften; gewaltsame Vertreibung ohne angemessene Entschädigung; Versagen bei der Bereitstellung von angemessenen Unterkünften und der Versorgung mit trinkbarem Wasser; Rodung von Regenwald oder Zerstörungen anderer natürlicher Ressourcen in geschützten Zonen; Gebrauch von Pestiziden, die laut Stockholmer Konvention geächtet sind; unsittliche Maßnahmen in Geschäftsbeziehungen entsprechend den internationalen Abkommen und nationalen Gesetzen und Praktiken.“ (aus dem vom BMZ initiierten Verhaltenskodex zum Kaffeesektor)

So richtig erschrocken können sich die Entwicklungshilfeexperten aus Berlin über die inkriminierten Zustände eigentlich nicht haben, wenn sie so daherreden, als kämen sie gerade von einem alternativen Workshop über die Notwendigkeit von „fair trade“ im Kaffeesektor. Denn dieses grausige Sittenbild dieser marktwirtschaftlichen Sphäre kann ihnen so fremd nicht sein. Schließlich ist es ihr Ministerium gewesen, das seit 30, 40 Jahren im Verein mit den anderen Industrienationen etlichen Staaten in Afrika und Mittelamerika zu der „Entwicklungsperspektive“ verholfen hat, die für sie auf dem kapitalistischen Weltmarkt vorgesehen war: der Karriere als „Rohstoffland“. Und wenn unsere Fachmänner im BMZ jetzt so tun, als hätten sie gerade mal eben die gravierende Krise in den Erzeugerländern und den ewigen Preisverfall beim Kaffee mit seinen bekannten ruinösen Folgen für Staat, Land und Leute entdeckt, muss man sich fast noch mehr wundern: Immerhin sind auch in ihrem feinen Bundesministerium vier Lomé-Abkommen mit den dazugehörigen „Stabilisierungsfonds“ für die AKP-Staaten ausgetüftelt und umgesetzt worden, die von dem Zerstörungswerk ausgehen, welches die Bornierung halber Kontinente auf die Einkommensquelle ‚Rohstoff‘ in Gang gesetzt hatte, um es im Interesse eines billigen Rohstoffangebots für die weltweite Marktwirtschaft fortzuschreiben.

Sollten sie das alles vergessen haben? Vielleicht ist es aber auch einfach nur so, dass die modernen, bestimmt recht umweltbewussten und um Frauen- und Kinderrechte bemühten Abteilungsleiter in Berlin das angerichtete Elend so deutlich ausmalen, weil sie der bisherigen Entwicklungshilfepolitik ein grandioses Scheitern an einem allerdings fraglos guten Zweck – Armutsbekämpfung in der „3. Welt“ durch Entwicklungszusammenarbeit – nachsagen wollen :

„Armut lässt sich nicht allein durch Programme der Entwicklungszusammenarbeit bekämpfen, das liegt klar auf der Hand.“ (BMZ, 10.9.04)

Klar, Staatskredite, Rohstoffabkommen, Zinsverpflichtungen, alles ein einziges Armutsbekämpfungsprogramm gewesen, das – leider – in die Hose ging. Wie hätte das denn auch gut gehen sollen, dass die mächtigsten und reichsten Staaten in den armen und ohnmächtigen die Armut bekämpfen sollen? Zeit mithin, der Wahrheit schonungslos ins Gesicht zu blicken: Armut und Verwüstung haben in erschreckendem Ausmaß zugenommen – natürlich trotz und nicht wegen all unserer Entwicklungspolitik, meinen die Experten in Sachen Hilfe.

Unsere Berliner Ministerialräte beim BMZ haben also eine prima Lesart für den Umstand gefunden, dass sich Deutschland diese alte, staatlich finanzierte Entwicklungszusammenarbeit nicht mehr leisten will und längst ad acta gelegt hat, und haben als Armutsbekämpfungsexperten sofort ein neues und viel klügeres Hilfekonzept auf Lager. Hier ist sie, die neue, garantiert qualitätszertifizierte und nachhaltige Initiative zur Armutsbekämpfung, die es dann wirklich bringt:

„Darum gehen wir seit einigen Jahren neue strategische Allianzen mit Wirtschaft und Gesellschaft ein, mit dem Ziel, gesellschaftliche Unternehmensverantwortung oder Corporate Social Responsibility zu stärken.“ (ebd.)

Von der deutschen Regierung angeleitet, sollen die weltweit agierenden Kaffeekonzerne einen Verhaltenskodex unterschreiben, den Common Code for the Coffee Community, in dem sie sich und ihre Lieferanten verpflichten, Arbeits- und Tarifverträge abzuschließen, Überstunden zu bezahlen, sichere und gesunde Arbeitsbedingungen einzuhalten und – sauber nach ISO 9001 zertifiziert – mit umweltschonenden Anbaumethoden zu produzieren.

Das ist doch mal ’ne revolutionäre Idee zur Armutsbekämpfung! Wir machen einfach den Bock zum Gärtner und ernennen die großen Konzerne Aldi und Tchibo – die übrigens vermutlich nicht einmal mehr ihren deutschen ArbeitnehmerInnen Überstunden zahlen und Tarifverträge gewähren –, die den gegenwärtigen, so unschönen Kaffeesektor beherrschen, zu den weltweiten Armutsbekämpfungsbeauftragten auf den Kaffeefeldern. Warum auch nicht? Wem anders soll man denn sonst den Kampf gegen Armut und Not anvertrauen als den Geschäftemachern, die schon seit Jahrzehnten vor Ort sind und sich mit den Verhältnissen bestens auskennen, die sie geschaffen haben? Die Konzerne müssen doch einfach wissen, wie’s geht, sich fair zu verhalten, schließlich kommandieren und kontrollieren sie schon jetzt ganze Landstriche mit ihren Plantagen und dem dazugehörigen Aufsichtspersonal selbst, damit ihr Rohkaffee immer pünktlich in ihren Hamburger Röstereien ankommt. Insofern sind sie nicht nur ‚ganz nah dran‘ am

„Problem Armut“, sondern wissen auch, was das Gebot der Fairness beim Ausbeuten für sie heißt. Ganz sicher spendieren Tchibo und Co. einen Trinkwasserbrunnen hier, eine nachhaltig betriebene Plantage dort, und zeigen damit schon mal, dass in Sachen umwelt- und sozialverträglicher Kaffeeanbau der erste Schritt getan ist. Mit dem öko-humanen Prüfsiegel auf ihren Gala- und Krönungsmischungen können sie fairerweise dann auch noch bei ihrer verehrten Kundschaft moralisch Eindruck machen und ein bisschen was gegen den Preisverfall tun, der der Menschheit so zu schaffen macht.