Zur Übernahme von Kaiser’s Tengelmann
Edeka kämpft um die Marktführerschaft – Der ‚Verdrängungswettbewerb‘ und seine öffentliche Betreuung

Die Zentralisation im Lebensmitteleinzelhandel macht Fortschritte. Kaiser’s Tengelmann kündigt Ende 2014 an, aus dem Supermarktgeschäft auszusteigen; die ca. 450 Filialen sollen vom bundesweiten Marktführer Edeka übernommen werden. Die geplante Fusion sorgt für Streit: Bundeskartellamt und Monopolkommission untersagen 2015 den Verkauf, weil der den „Wettbewerbsdruck verringert“. Bundeswirtschaftsminister Gabriel folgt der Kommission nicht und erteilt im März 2016 eine Ministererlaubnis für die Übernahme unter Auflagen, die die Weiterbeschäftigung der ca. 16 000 bei Kaiser’s Tengelmann Angestellten auf ein paar Jahre sicherstellen sollen.

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Zur Übernahme von Kaiser’s Tengelmann
Edeka kämpft um die Marktführerschaft – Der ‚Verdrängungswettbewerb‘ und seine öffentliche Betreuung

Die Zentralisation im Lebensmitteleinzelhandel macht Fortschritte. Kaiser’s Tengelmann kündigt Ende 2014 an, aus dem Supermarktgeschäft auszusteigen; die ca. 450 Filialen sollen vom bundesweiten Marktführer Edeka übernommen werden. Die geplante Fusion sorgt für Streit: Bundeskartellamt und Monopolkommission untersagen 2015 den Verkauf, weil der den Wettbewerbsdruck verringert. Bundeswirtschaftsminister Gabriel folgt der Kommission nicht und erteilt im März 2016 eine Ministererlaubnis für die Übernahme unter Auflagen, die die Weiterbeschäftigung der ca. 16 000 bei Kaiser’s Tengelmann Angestellten auf ein paar Jahre sicherstellen sollen.

I. Staat und Öffentlichkeit betreuen die Konkurrenz im Lebensmitteleinzelhandel – wohlfeile Klarstellungen über das Verhältnis von Wettbewerb und Lebensunterhalt

Wettbewerb – idealistisch

Bundeskartellamt und Monopolkommission stellen sich gegen die geplante Übernahme, weil die zu einer erheblichen Verringerung des Wettbewerbsdrucks auf die Edeka in diesen Märkten geführt (hätte), und zwar auch in solchen Märkten, in denen nicht die Edeka, sondern der enge Wettbewerber Rewe marktführend ist (Bundeskartellamt, Fallbericht zur Untersagung des Erwerbs der Filialen von Kaiser’s Tengelmann durch Edeka); insbesondere die Marktlage in Berlin und München ist in den Blick geraten, weil die Übernahme dieser Filialen möglicherweise den entscheidenden Ausschlag in der Konkurrenz zwischen Edeka und Rewe, der Nummer zwei im deutschen Einzelhandel, bedeutet hätte. Warum muss der Wettbewerb vor den Wettbewerbern geschützt werden? Was ist am Wettbewerbsdruck so gut?

„Jedes Unternehmen, das danach strebt, seinen Gewinn zu maximieren, muss sich dafür auf die Wünsche und Präferenzen der Marktgegenseite einstellen. Der Wettbewerb kann also zu Recht als Motor der Marktwirtschaft bezeichnet werden.“ (Selbstauskünfte des Bundeskartellamtes, bundeskartellamt.de)

Dafür – für den Gewinn – stellen sich Unternehmen todsicher nicht auf die Bedürfnisse irgendeiner Marktgegenseite ein, sondern bemühen sich darum, mit möglichst wenig Leistung möglichst hohe Preise zu erzielen. Deswegen geht es ja auch gleich – mittels Rückgriff auf ein also, das einen logischen Zusammenhang suggeriert – mit etwas anderem, nämlich dem Wettbewerb weiter. Was treibt der an?

„Das Wettbewerbsprinzip ist ein tragender Pfeiler unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, denn ein funktionierender Wettbewerb führt zu angemessenen Preisen und einer stetigen Verbesserung der Angebote. Davon profitieren wir alle.“ (Ebd.)

Sein Vertrauen auf den Gewinn korrigiert das Bundeskartellamt postwendend und verweist auf den Sachzwang, den die Konkurrenz zum Treiben der Unternehmen beisteuert. Die Härten der Konkurrenz sollen die an Gewinn interessierten Unternehmen dazu nötigen, ganz anderen, nämlich Konsumenteninteressen in Sachen Preis und Qualität zu dienen. Davon profitieren wir alle – so gnadenlos idealisiert kann man auch ausdrücken, dass in unserer Wirtschaftsordnung so einfach niemand von Herstellung und Verkauf der Lebensmittel profitiert, außer denjenigen, die damit ihr Geschäft machen; am allerwenigsten offenbar die Marktgegenseite, also diejenigen, die diese Lebensmittel kaufen und konsumieren müssen. Laut Bundeskartellamt haben die in unserer Gesellschaftsordnung selber nichts zu melden, können sie doch bloß darauf hoffen, dass der Wettbewerb funktioniert, weil nur der die Händler und Produzenten dazu zwingt, sich auf ihre Wünsche und Präferenzen einzustellen, ihnen also zu bezahlbaren Preisen halbwegs genießbare Produkte hinzustellen.

Dass dieses schöne Ergebnis sich nicht wegen, sondern trotz des einzig gültigen und unhinterfragbaren Maßstabs unternehmerischen Erfolgs – Gewinn maximieren – einstellt, und zwar nur darüber, dass sich Unternehmen diesen Erfolg immerzu wechselseitig streitig machen und sich deswegen zugleich permanent den Zwängen der Konkurrenz zu entziehen versuchen, darauf will das Bundeskartellamt nichts kommen lassen. Es sieht sich daher laufend genötigt, mit Eingriffen in die Konkurrenz dafür zu sorgen, dass sie überhaupt als ‚ordentliche‘ abläuft und ihre ureigene, aber offenbar ziemlich poröse Funktion des tragenden Pfeilers erfüllen kann. Offensichtlich gehört zur Konkurrenz nicht nur das lebhafte Interesse, sich ihr zu entziehen, sondern wächst mit den Erfolgen in ihr auch die Macht von Unternehmen, dieses Interesse wahr zu machen.

Um die menschenfreundlichen Leistungen der hoheitlichen Moderation der Konkurrenz, die er dem Wettbewerb zuschreibt, fürchtet auch der Vorsitzende der Monopolkommission, weshalb er die Ministererlaubnis scharf verurteilt:

„Sie schadet dem Wettbewerb. Überall dort, wo bisher Edeka und Kaiser’s Tengelmann in Konkurrenz standen, entfällt dieser Wettbewerb – zum Nachteil der Verbraucher, die künftig mit weniger Auswahl und höheren Preisen rechnen müssen.“ (Zimmer, persönliche Presseerklärung, 17.03.2016)

Wettbewerb – realistisch

Gabriel hat für seine hoheitliche Entscheidung ein entscheidendes Argument in Anschlag zu bringen: Arbeitsplätze. Verhindert man nämlich den Verkauf der Kaiser’s-Tengelmann-Filialen zugunsten des lebendigen Wettbewerbs, sind diese 16 000 in jedem Fall verloren, was schon mal eindeutig für die Ministererlaubnis spricht. Er kennt sein auf Schnäppchen bedachtes Volk eben auch in der Rolle derjenigen, die davon leben, die Lebensmittel in Regale zu räumen, über den Kassenscanner zu ziehen und auf Ladendiebe aufzupassen. Und er weiß, dass sein Standort von solchen Erwerbsquellen lebt. Da erweist sich der Wettbewerbsdruck nicht mehr als tragender Pfeiler der Gesellschaft, sondern als Gefahr für das Gemeinwohl.

Zugleich ist dem Wirtschaftsminister sofort klar, dass auch die Übernahme, die Edeka ja auch nicht wegen der vielen schönen Arbeitsplätze, sondern dafür anstrebt, dem großen Konkurrenten Rewe entscheidende Marktanteile abzunehmen, mit massenhaften Marktschließungen, Entlassungen und der Ausweitung prekärer Beschäftigungsverhältnisse einhergehen würde, weshalb er Auflagen erlässt, die genau das vorerst verbieten.

„‚So sichern wir für knapp 16 000 Menschen für sieben Jahre den Arbeitsplatz‘, sagt Gabriel. ‚Für Menschen, die jedenfalls nicht zu den Gutverdienern zählen.‘ Im Erhalt der Arbeitsplätze liegt für Gabriel jenes Gemeinwohl, mit dem er seine Ministererlaubnis begründet.“ (SZ, 07.03.2016)

Mit seiner Intervention vollbringt der Minister nicht mehr und nicht weniger als eine Korrektur der Korrektur, die das Bundeskartellamt am Gewinnprinzip anbringt. Als soziale Wohltat erscheint diese im Lichte eines gedachten ‚immerhin‘: Immerhin darf Edeka nicht völlig frei nach ihren Gewinnkalkulationen mit den Belegschaften umspringen, was immerhin verrät, dass der Druck des Wettbewerbs für das Bedürfnis der abhängig Beschäftigten nach Arbeitsplätzen jedenfalls nichts Gutes bedeutet. Wenigstens kriegen sie als Verbraucher die Preise geboten, von denen wir alle profitieren.

Wettbewerb – zynisch

Der FAZ sind sozial begründete Eingriffe des Wirtschaftsministers in die freie Konkurrenz zuwider. Die hält sie für ein untragbares Hindernis für die freie Gewinnmaximierung; aber nicht das wendet sie gegen Gabriel ein, sondern kontert ihn mit seinem eigenen Arbeitsplatz-Argument. Sie rechnet ihm vor, dass man den Wettbewerb und seine Folgen nie und nimmer arbeitsplatzverträglich gestalten kann:

„Im deutschen Einzelhandel gibt es Arbeitsplätze erster und zweiter Klasse. Die einen sind offenbar besonders schutzbedürftig. Um sie kümmert sich der Bundeswirtschaftsminister mit großer Inbrunst und gegen alle Widerstände. Die 16 000 Beschäftigten in den Supermärkten von Kaiser’s Tengelmann haben das Glück, unter diese Kategorie zu fallen. Aber es gibt auch die weniger glücklich Beschäftigten zweiter Klasse. Sie arbeiten bei Rewe, Kaufland, Coop oder Norma. Und in den 12 000 Filialen, die der Edeka-Verbund jetzt schon betreibt. Die einen können darauf hoffen, dass sie ihre Arbeitsstellen nach dem Verkauf der Märkte, Lager und Fleischwerke von Kaiser’s Tengelmann an Edeka noch einige Jahre behalten werden. Die anderen müssen schauen, wo sie bleiben… Wachstum im Lebensmitteleinzelhandel läuft praktisch nur noch über Verdrängungswettbewerb. Wenn Gabriel den Branchenriesen Edeka noch größer macht, kostet das anderswo Umsatz, Ertrag und Arbeitsplätze.“ (FAZ, 19.03.2016)

Das Geschäft geht also immer auf Kosten der Lohnabhängigen. Wohlmeinende Eingriffe zugunsten der abhängig Beschäftigten sind in diesem System immer notwendigerweise kontraproduktiv für die vermeintlich Begünstigten, was natürlich nicht gegen das System spricht, sondern dafür, von sozialen Korrekturen die Finger zu lassen. Wettbewerb kostet nun mal Arbeitsplätze! Mit diesem Bekenntnis zum Zynismus des Systems entlarvt die FAZ die Auflagen des Wirtschaftsministers als Augenwischerei (ebd.).

*

Wenn die Übernahme von Kaiser’s Tengelmann – bundesweit 0,6 % Marktanteil, in bestimmten Regionen jedoch deutlich mehr – für den Gang der Konkurrenz einer ganzen Branche so entscheidend sein soll, dass widerstreitende Ansprüche des Staates an dieser Einzelfallentscheidung eklatieren; wenn dabei ausgemachte Sache ist, dass die Beschäftigten sowieso nichts zu lachen haben werden, dann werden daran ein paar Spezialitäten dieses Gewerbes deutlich.

II. ‚Verdrängungswettbewerb‘: Über die Methoden der Gewinnsteigerung im Lebensmitteleinzelhandel – Erpressung nach allen Seiten

Auskünfte folgender Art bekommt man zum Stand der Konkurrenz zwischen Rewe und Edeka und dem Reiz der Übernahme von Kaiser’s Tengelmann vermeldet:

„Auf einen Schlag könnte Edeka-Südbayern dort ihre Gesamtverkaufsfläche auf 60 % erweitern. Aus einem Rückstand gegenüber Rewe von 5.000 m² würde ein Vorsprung von 110 000 m².“ (Lebensmittel-Zeitung, 21.01.2016)

Mit dem Vergleich von Verkaufsflächen ist in der Branche der Verkäufer von sogenannten ‚Schnelldrehern‘ offensichtlich die wesentliche Kenngröße für die Schlagkraft ihres jeweiligen Kapitals und für den Stand ihrer Konkurrenz benannt. Das ist in mehreren Hinsichten aufschlussreich.

Verkaufsfläche: Indikator des Standes der Zentralisation und Mittel der Aneignung gesellschaftlicher Massenkaufkraft

Die Konkurrenz unter den ‚großen Vier‘ des Lebensmitteleinzelhandels dreht sich um die Frage, wer welchem Mitstreiter Anteile der in Quadratmetern gemessenen Verkaufsfläche abspenstig machen kann. Die Eröffnung neuer Filialen zum Zwecke der Ruinierung fremder Filialen – oder umgekehrt: deren Ruinierung zum Zwecke ihres anschließenden Aufkaufs zur Vergrößerung und Verdichtung des eigenen Filialnetzes sind in dieser Konkurrenz die Mittel der Wahl. Im Einzelhandel findet die Konkurrenz auf klar ‚abgesteckten‘ und daher umso härter umkämpften Märkten statt, auf denen, räumlich unterschieden nach Landkreisen, Großstädten, Stadtteilen usw., die jeweiligen Marktführer – zumeist Edeka oder Rewe und ihre dazugekauften Billigladenketten –, sowie die beiden nationalen Großhandelsdiscounter und ein verschwindender Rest Kleinkrämer gegeneinander um die Kundschaft buhlen.

Dass diese Konkurrenz als ein Verdrängungskampf stattfindet, liegt an der Eigenart dieser Sorte Handelskapital, nämlich an der besonderen Sorte Bedürfnis, das es für seine Geschäfte längst überall bedient und für sein Gewinninteresse auszunutzen versteht: Das Bedürfnis nach den Lebensmitteln und den Haushaltsgegenständen des täglichen Bedarfs, das ‚Vollsortimenter‘ wie Rewe und Edeka mit ihrem Warenangebot vollständig und flächendeckend bedienen, gehört zur Reproduktion der Menschen so selbstverständlich dazu, dass es garantiert immer und überall dort anzutreffen ist, wo überhaupt gewohnt, gelebt und gearbeitet wird. Ob sich mit der Ausnutzung dieses in allen Konjunkturlagen massenhaft vorhandenen Grundbedürfnisses ein einträgliches Geschäft machen lässt, ist keine Frage: Dem Einzelhandelskapital steht es als ein notwendiges, also verlässliches, allerdings zugleich verlässlich begrenztes Quantum gesellschaftlicher Zahlungsfähigkeit gegenüber, die es sich anzueignen gilt. Die einzige offene Frage besteht darin, wer diese Kaufkraft auf sich zu ziehen vermag. Von der gilt es so viel wie es nur geht für sich abzugreifen, sie nach Möglichkeit gar für sich zu monopolisieren.

Kapitalgröße: Indikator der Erpressungsmacht und Mittel des Gewinns

Die Größe des Umsatzes, den die Handelsunternehmen mit ihrem in aller gebotenen Härte geführten Verdrängungskampf für sich generieren, ist nämlich selbst das entscheidende Mittel ihrer Gewinne und der Konkurrenz um diese Gewinne. Dabei liegt für das Handelskapital die entscheidende Frage nicht darin, was es vermittels seiner Größe, also seines Investitionsvermögens zur Steigerung der Produktivität aus der bezahlten Arbeit herauszuwirtschaften vermag – eine in Lohnstückkosten ausgedrückte Produktivität im eigentlichen Sinne setzt das Handelskapital nicht ins Werk. Die Größe seines Kapitals bringt das Handelskapital anders und einsinnig in Anschlag: als Mittel der Erpressung.

Seinen Gewinn zieht es nämlich – das ist offenkundig – daraus, dass es die diversen Waren, die es seinen Kunden dar- und anbietet, teurer verkauft, als es sie selbst bei den Produzenten und Erzeugern bzw. deren Verbänden eingekauft hat. Und beim Ringen um eine möglichst günstige Ausgestaltung dieser Preisdifferenz taugt die Marktmacht der Handelsunternehmen als Mittel, das sie gegen ihre Zulieferer einsetzen: Ihre Quasi-Monopolstellung als Abnehmer von deren agrikulturellen und zu fertigen Lebensmitteln weiterverarbeiteten Produkten bringen sie in Anschlag, um die Lieferanten einem permanenten Druck zur Verbilligung ihrer Waren – d.h. zur Senkung der Einkaufspreise für den Handel – zu nötigen.[1] Alle – durch Übernahmen erzielten – Fortschritte in der Zentralisierung der Marktmacht des Lebensmittelhandelskapitals versteht dieses gegen seine Zulieferer in Anschlag zu bringen:

„Durch den Machtzuwachs erhöht sich zudem tendenziell die Möglichkeit, die Preise der Lieferanten zu drücken. Dass es dabei nicht um einen theoretischen Disput geht, bewies Edeka bereits bei der Plus-Übernahme: Nach dem Kauf forderte Edeka massiv sogenannte ‚Hochzeitsrabatte‘ von rund 500 Lieferanten aus unterschiedlichen Warenbereichen ein. Sprich: nur noch die jeweils günstigsten Einkaufspreise sollten plötzlich gelten.“ (wiwo.de, 30.03.2015)
  • Wo das Handelskapital seinerseits großen Lebensmittelkonzernen als seinen Zulieferern gegenübersteht, herrscht Wettbewerb in Form einer Preiskonkurrenz mitsamt seiner beim Bundeskartellamt höchst unbeliebten Alternative: der Preisabsprache.[2] Dann verhängt es Millionenstrafen, von denen wir alle zwar profitieren, deren Risiko sich aber offensichtlich in die Geschäftskalkulationen ganz gut einbeziehen lässt, sodass die Preisabsprache als Alternative zum Preiskampf immer eine greifbare Option bleibt. Die Lebensmittelkonzerne ihrerseits verstehen sich darauf, ihre Kapitalgröße ebenfalls als Erpressungsmacht ihren Zulieferern gegenüber in Anschlag zu bringen, wo immer sie unmittelbaren Produzenten gegenüberstehen, von denen sie mit (Vor-)Produkten beliefert werden.
  • Ob über Lebensmittelkonzerne, Molkereigroßbetriebe oder sonstige ‚Zwischenglieder‘ vermittelt oder in ganz unmittelbaren Geschäftsverhältnissen von Landwirten und Handelskapital – letzteres tritt den landwirtschaftlichen Produzenten als die aggregierte Kaufkraft aller Konsumenten gegenüber und degradiert sie zu Anhängseln seines Geschäfts und seiner Preiskalkulationen. Da die Bauern keine anderen nennenswerten Abnehmer für ihre Erzeugnisse haben als die paar verbliebenen Riesen des Handelskapitals, müssen sie sich notgedrungen dem Preisdiktat beugen und können ihrerseits mit dem Zusammenschluss zu Verbänden reagieren, um gegenüber dem Handelskapital eine aufaddierte Marktmacht zu repräsentieren. Ihre nicht abebbenden Klagen gegenüber Politik und Verbrauchermentalität – Stichwort: Milchpreise – zeugen davon, wie weit es mit dieser Macht her ist.

Lohndrückerei: Mindestlöhne als Normallöhne

Was das zum Betreiben der Filialen nötige Personal angeht, so stellen sich die Kosten für dessen Handlangerdienste für die Handelsunternehmen als  reine Abzüge von ihren aus dem massenhaften Warenverkauf erzielten Überschüssen und daher als Belastung ihrer Gewinnspannen dar. Für Einsparungen bei diesen Abzügen ist wiederum ihre Kapitalgröße das entscheidende Mittel: Einerseits durch die pure Größe der Betriebseinheiten – das Verhältnis des generierten Umsatzes zum Preis der Arbeit verbessert sich schon darüber, dass in größeren Filialen ein einzelner Angestellter tendenziell mehr Verkaufsfläche, also größere Warenmassen abfertigen kann. Dass dieser Effekt auch eintritt, dafür sorgt die Personalpolitik, die die Handelsketten betreiben und für die – andererseits – die Größe ihres Gesamtkapitals das entscheidende Machtmittel darstellt: Ihrem Personal treten sie mit der Wucht eines omnipräsenten, nahezu alternativlosen Arbeitgebers gegenüber, der für seinen Bedarf an ‚einfachen‘ Arbeitskräften zudem auf ein massenhaftes Reservoir von Unqualifizierten zugreifen kann. Diese Macht bekommen die Angestellten zu spüren: Die mehrheitlich ‚einfachen‘ Arbeiten werden nicht nur gnadenlos verdichtet und beschleunigt – z.B. werden immer mehr Kassierer als ‚Springer‘ eingesetzt, die herbeieilen, wenn die Warteschlangen zu Stoßzeiten zu lang werden und die in der übrigen Zeit mit dem Einräumen von Regalen, im Lager oder mit Putzdiensten beschäftigt sind –; es wird vor allem an der Bezahlung gedreht. Deshalb haben nicht nur die Lebensmittelskandale eine lange Tradition in diesem Gewerbe, sondern auch die immer gleichen Berichte über Leiharbeit, Dumpinglöhne, verhinderte Betriebsräte, … Tarifflucht und eine unmenschliche Atmosphäre (Spiegel Online, 08.10.2013) auf und hinter den Verkaufsflächen.

Insbesondere Edeka und Rewe versuchen sich – mit wachsendem Erfolg – vom Lohn mit Tarifbindung zu emanzipieren und dabei den staatlich festgelegten Mindestlohn in einen gewerbetypischen Normallohn zu überführen. Edeka macht sich dazu in erster Linie die seit jeher genossenschaftliche Struktur des Unternehmens zu Nutze: Die Edeka Zentrale AG & Co. KG bildet die zentrale Marktmacht, während ein überwiegender und immer größer werdender Teil der Filialen von privaten Pächtern geführt werden; Tarifverträge gelten dort nur ausnahmsweise. Durch die forcierte Privatisierung der Filialen können aufgrund der Betriebsgröße zudem zusätzliche Kostenfaktoren, wie das Betriebsverfassungsgesetz, rechtlich leichter umgangen werden:

„Gibt es bei dieser Betriebsgröße einen Betriebsrat? ‚Der kostet nur Geld‘, antwortet Thorsten Wucherpfennig. [Die Wucherpfennigs sind Inhaber mehrerer Edeka-Filialen, Anm. d. Verf.] Die Familie sei für jeden Mitarbeiter zu erreichen: ‚Meine Telefonnummer hängt öffentlich im Markt.‘“ (Zeit, 19.03.2009)

Eine weitere, branchenweit angewendete Methode der Lohnsenkung ist die Auslagerung von Tätigkeiten. Was für Reinigungsarbeiten längst üblich ist, erhält auch Einzug in den kompletten Ablauf der ‚Warenverräumung‘ bis hin zur ‚Regalbefüllung‘: Die Tätigkeiten werden nicht mehr von Filialmitarbeitern – also im Einzelhandel angestellten – ausgeführt, sondern von Drückerkolonnen bevorzugt vor Ladenöffnung oder nach Ladenschluss (teamwork-germany.de) übernommen. Der aktuelle Verdi-Tarifvertrag für den Einzelhandel, laut dem für Regaleinräumer 10 Euro pro Stunde zu bezahlen wären, wird sehr erfolgreich mittels Rückgriff auf sogenannte Outsourcing-Personaldienstleister unterlaufen. Der Marktführer dieser findigen Branche, die aus dem Lohndumping des Einzelhandels ihr eigenes Geschäft zu machen versteht, hat vor Einführung des Mindestlohns einen Stundenlohn von 6,63 Euro gezahlt – tarifvertraglich vereinbart mit einer ‚christlichen‘ ‚Gewerkschaft‘. Inzwischen stellt er sich seinen Unternehmenskunden wie folgt vor:

„Teamwork Instore Services GmbH … einfach unverbesserlich! Seit 1989 ist unser Motto nicht nur ein Versprechen, sondern auch Programm.“ „Angst vor Mindestlohn... ist unbegründet, wenn Sie mit uns arbeiten! … Wir sehen uns als Ihr starker Partner, der kompetent und zuverlässig sein Know-how einbringt. Auch beim Thema ‚Mindestlohn‘.“ (Ebd.)

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So muss man am Ende der FAZ einfach Recht geben: Schonung der für Lohn arbeitenden Menschheit ist – wie auch immer – in diesem System systemwidrig.

[1] Nur das Bundeskartellamt und seine Befürworter halten dies für die ideale Methode, den Konsumenten eine optimale Versorgung mit bekömmlichen Lebensmitteln zu garantieren. Der permanente Zwang zur Verbilligung der Produktion hat auch schon zu so einigen unappetitlichen Tricksereien geführt, die – wenn sie auffliegen und den ziemlich abgekochten Rahmen des Gewohnten arg überstrapazieren – als Lebensmittelskandal von sich reden machen.

[2] Vorerst jüngster Fall: Absprachen zwischen Brauereigiganten und Supermarktketten. Alles kein Einzelfall: In den vergangenen Jahren haben die Wettbewerbshüter in diversen Branchen Rekordstrafen gegen Unternehmen wegen illegaler Absprachen verhängt… Die neue Serie von Bußgeldern geht auf Durchsuchungen aus dem Jahr 2010 zurück… In dem Verfahren geht es um sogenannte Vertikal-Absprachen zwischen Produzenten und Handelsketten, die genauso verboten sind wie Absprachen von Ketten oder Herstellern untereinander. (Bild, 11.05.2016) Fortsetzung folgt.