Der Yen – ein Weltgeld, das vom Dollar lebt
Ein Nachtrag

Seit seiner Finanzkrise in den 1990er Jahren praktiziert der japanische Staat eine Geld- und Haushaltspolitik wie die USA und die Staaten der Eurozone seit ihrer Finanzkrise der Jahre 2008 ff.: Uneinbringliche Kreditforderungen, deren Wertlosigkeit das Überleben systemrelevanter Banken gefährdet, werden per Rekapitalisierung und Liquiditätshilfen, also durch Kredit von Staats wegen ersetzt. Japan leistet sich zudem eine fortdauernde massive Staatsverschuldung für Konjunkturprogramme; der Gesamtschuldenstand des Staates ist so über die Jahre auf von keinem anderen Industrieland auch nur annähernd erreichte 240 % des BIP gestiegen. Trotzdem spielen das japanische Kreditgeld, der Yen, und das japanischen Kreditgewerbe eine bedeutende Rolle auf dem globalen Finanzmarkt. Der lassen sich Auskünfte entnehmen über die Macht des US-Dollars, die diesen Markt beherrscht, und über den Widerspruch der Wirtschaftsmacht Japan, die diesen Markt für ein spezielles finanzkapitalistisches Geschäftsmodell nutzt.

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Der Yen – ein Weltgeld, das vom Dollar lebt
Ein Nachtrag [1]

Seit seiner Finanzkrise in den 1990er Jahren praktiziert der japanische Staat eine Geld- und Haushaltspolitik wie die USA und die Staaten der Eurozone seit ihrer Finanzkrise der Jahre 2008 und folgende: Uneinbringliche Kreditforderungen, deren Wertlosigkeit das Überleben systemrelevanter Banken gefährdet, werden per Rekapitalisierung und Liquiditätshilfen, also durch Kredit von Staats wegen ersetzt. Für die Bereitstellung und Ausleihung liquider Mittel in jeder benötigten Menge – „whatever it takes“ lauteten die historischen Worte des EZB-Präsidenten Draghi – verlangt die zuständige Notenbank so gut wie oder überhaupt keinen Zins. Die Refinanzierung des Kreditsektors wird so durch ein staatliches Machtwort zu entscheidenden Teilen vom Kapitalkreislauf, der bzw. soweit der seine Dienste am Finanzgeschäft schuldig bleibt, getrennt und durch Geldmittel sichergestellt, die nichts weiter als die Geldhoheit des Staates und den politischen Willen zur Rettung des Systems kreditfinanzierter Kapitalakkumulation repräsentieren. Dabei ist es diesseits wie jenseits von Atlantik und Pazifik im Prinzip geblieben. Anders als die BRD und die nach deutschen Vorgaben handelnde EU leistet sich Japan zudem eine fortdauernde massive Staatsverschuldung für Konjunkturprogramme bzw. für als solche wirkende Infrastrukturausgaben; der Gesamtschuldenstand des Staates ist so über die Jahre auf von keinem anderen Industrieland auch nur annähernd erreichte 240 % des BIP [2] gestiegen.

Diese Kennzahl zeugt vom Fehlschlag des Bemühens – zuletzt der amtierenden Abe-Regierung –, durch immer neue und immer größere kreditfinanzierte Staatsausgaben das innerjapanische Kapitalwachstum wieder spürbar in Gang zu bringen. Stattdessen treten die massenhafte staatliche Geldschöpfung und der Umfang, in dem die zum Nulltarif verfügbaren Geldmittel produktive, im BIP sich niederschlagende Verwendung finden, in beachtlichem Ausmaß auseinander. Es kommt nicht einmal zu dem als Inflation bekannten – unter anderen Umständen für problematisch erachteten – Effekt, dass die übermäßige Liquidität von profithungrigen heimischen Unternehmen auf dem Wege einer sich verallgemeinernden Preissteigerung abgegriffen wird, so dass der zunehmenden Menge in Geld verwandelter Staatsschulden eine nominell gewachsene Summe der Warenumsätze im Land gegenübersteht. Registriert wird im Gegenteil eine Tendenz zur Deflation, dahin also, dass der Warenabsatz insgesamt nur mehr zu sinkenden Preisen gelingt. Ganz offensichtlich geht das viele Geld, das der Staat kraft seiner Hoheit schöpft und umsonst verfügbar macht, per Saldo nicht in einen wachstumsträchtigen nationalen Kapitalkreislauf ein.

Wo es stattdessen bleibt, darüber gibt die Fachwelt – beispielhaft – folgendermaßen Auskunft:

„Japans Wiedergeburt als Weltmeister der Sparüberschüsse und Quelle von Finanzkapital ist eine wesentliche Konsequenz von Abenomics und der wirtschaftlichen Erholung im Land. Sie hat sich in vielen verschiedenen Formen manifestiert, wie der Tatsache, dass der Rücklagenfonds von Japans Rentenversicherung inzwischen der weltweit größte Einzelinvestor in amerikanischen Aktien ist; dass SoftBank den führenden Technologieinvestmentfonds der Welt verwaltet; dass Japan China als größter ausländischer Investor in Australien überholt hat; dass Japans Großbanken seit drei Jahren die größten Kreditgeber in Asien ohne China sind; dass japanische Unternehmen vor einem neuen Rekordjahr ihrer Auslandsdirektinvestitionen stehen, um nur ein paar der großen Schlagzeilen machenden Geschäfte zu nennen, die Japans inländische Sparüberschüsse in die Welt geleitet haben.
Natürlich lässt sich schwerlich sagen, dass die Wiedergeburt von Japans globalen Investitionen eine schlechte Entwicklung ist. Aber offensichtlich hat Abenomics zwar das Wachstum des Nationaleinkommens wieder in Gang gebracht, aber es nicht geschafft, hinreichend neue Investitionsgelegenheiten in Japan bereitzustellen. Japan ist wieder da, wo es in den späten 1980er und den frühen 1990er Jahren war, als es schon einmal der Welt größter Gläubiger war. Ja, das Nationaleinkommen und die nationale Ersparnis steigen wieder, aber die verdienten Einkommen werden nicht im Inland ausgegeben oder investiert. Die inländische Ersparnis übersteigt erneut Verbrauch und Investitionen im Inland und treibt damit ein Recycling dieses erneuten Sparüberschusses an, der Japan wieder zum weltweit führenden Gläubiger gemacht hat. Das Urteil ist klar: Makroökonomisch gesehen hat Abenomics die grundlegende wirtschaftliche Struktur Japans zurückgebracht, aber nicht geändert. Das Land ist erneut ein Überschuss-Sparer.“ (Japan, savings superpower of the world, The Japan Times, 2.9.18) [3]

Was der Staat unabhängig von kapitalistischem Bedarf und Gebrauch an Geld in die Welt setzt, existiert demnach als Guthaben von Privatleuten, in den Büchern von Pensionsfonds und Versicherungen, auch als Liquiditätsvorrat großer Firmen usw.; und so eben nicht als „arbeitender“ Vorschuss fürs nationale Geschäft, sondern als Schatz des „world champion surplus saver“, als stillgelegter Überschuss. Es ist nicht bloß so, dass dieses Geldvermögen großenteils keinem ertragreichen kapitalistischen Geschäft, sondern einer staatlichen Ersatzvornahme, der Kompensation kaputtgegangener Kredite und unterbliebener Kapitalvorschüsse entstammt; es findet auch kein Akkumulationsprozess statt, der diese Vermögen so, wie es sich für Kredit gehört, als Geldkapital rechtfertigen, kapitalistisch werthaltig machen würde. Sie liegen ‚brach‘, schlicht weil es an „hinreichenden neuen Investitionsgelegenheiten“ fehlt; sie repräsentieren die Fortdauer der Krisenlage, deren fällige Konsequenz – Entwertung – der Staat mit seinem Machtwort storniert. Das ist die problematische bis schlechte Nachricht.

Auf der anderen Seite fungiert dieser große Geldschatz dann aber doch – zwar nicht direkt als, aber – als „Quelle von Finanzkapital“, und zwar für eine Verwendung als Leihkapital für den Rest der Welt, die Japan zu „the world’s largest creditor“ macht. Das ist nicht nur die bessere, sondern eine ganz interessante Nachricht. Stellt man nämlich in Rechnung, dass Japans „Sparüberschuss“ in der Welt nur ausnahmsweise in der Gestalt als Kredit fungiert, in der der japanische Staat ihn geschaffen hat und reproduziert und vermehrt, nämlich in Gestalt des japanischen Kreditgelds, sondern vor allem als Dollar-Kredit, dann gibt diese Erfolgsbilanz einigen Aufschluss über ein ziemlich einzigartiges finanzkapitalistisches Geschäftsmodell der Nation.

Für sich genommen, als Guthaben, deren Geldwert nicht bloß der Form, sondern seinem ganzen Vermögensinhalt nach auf nichts als hoheitlicher Setzung beruht, ist Japans „Ersparnis“ intern, im Land selbst, zwar so unanfechtbar wie das Gewaltmonopol des Staates, das sie garantiert; ihr Nicht-Gebrauch als Kaufkraft, als Motor der Warenzirkulation, bewahrt sie zudem vor inflationärer Entwertung. Außerhalb der Landesgrenzen gilt dieses Machtwort aber erst einmal nichts. Für eine Verwendung als Vorschuss für den weltweiten Kapitalkreislauf müsste die Unmasse Kreditgeld sich eine kritische Überprüfung durchs international agierende Finanzgewerbe gefallen lassen; darauf hin nämlich, wie viel und ob überhaupt etwas von diesem Überschuss einen erfolgreichen Geschäftsgang repräsentiert, in den man sich mit dieser Währung, also im Vertrauen auf die kapitalistische Leistungsfähigkeit des Kredits, den sie darstellt, mit schönen Erfolgsaussichten einkaufen kann. Dieser Prüfung, einem kritischen Vergleich mit Kreditgeldern anderer Provenienz unter diesem Gesichtspunkt, wird der Yen gar nicht ausgesetzt. Wie sie womöglich ausfallen würde, darauf geben die Zweifel von Gutachtern aus dem Heimatland der „Schwarzen Null“, wie lange die Sache mit der exzessiven und weiter zunehmenden Staatsschuld überhaupt noch gut gehen kann,[4] einen unverbindlichen Hinweis: Japans Geld ist für sich genommen nur so viel wert wie Japans Regierung als Garant eines darin vorliegenden global verwendbaren kapitalistischen Reichtums glaubwürdig; und diese Garantie reicht jedenfalls nicht so weit, dass Japans Finanzwirtschaft damit die Position des größten Gläubigers der Welt hätte erobern können und halten könnte. Tatsächlich wird diese Garantie aber gar nicht in Anspruch genommen. Die Karriere der heimischen Ersparnis, des Yen-Schatzes, als Quelle von Kredit für die Welt beginnt mit dem Umtausch in US-Dollar.

Die amerikanische Währung hat genau das, was dem Yen abgeht. Sie fungiert unmittelbar als Kredit für die Welt, weil alle Staaten sie als weltweit allgemein gültige Form des Reichtums anerkennen, den sie für ihr Land in ihrer nationalen Währung messen und verbindlich darstellen, und weil Kapitalisten in aller Welt das amerikanische Kreditgeld als universell einsetzbare Existenzweise ihrer Kommandomacht über Menschen und andere Ressourcen, als Vorschuss und endgültiges Ergebnis ihrer Geschäftstätigkeit benutzen, damit kalkulieren, es also praktisch anerkennen. Wenn ein Tausch zwischen US-Dollars und anderer Währung stattfindet – und der findet permanent in größtem Umfang statt, schon deswegen, weil er weltweit in den allermeisten Fällen auch den Austausch zwischen nationalen Kreditgeldern vermittelt –, dann misst sich, der politischen Natur der Sache nach, nicht der US-Dollar als amerikanisches Zahlungsversprechen an anderen Geldern, sondern umgekehrt: Dann fungiert er als definitives Weltgeld und setzt mit seiner unbestrittenen Tauglichkeit als Kreditzeichen die so von keiner anderen Währung erfüllten Maßstäbe. Insofern sind, gemessen an den Ansprüchen des weltweiten Kreditgeschäfts und für die Belange der international agierenden Geldkapitalisten, nationale Kreditgelder Derivate des amerikanischen. Das gilt grundsätzlich auch für den Yen. Und als Währung, die in entscheidendem Maß eben nicht erfolgreich laufende Kapitalakkumulation, sondern deren Ersatz durch staatliches Dekret repräsentiert, kommt sie im Vergleich mit dem Weltgeld aus Amerika von sich aus für eine dominierende Gläubigerposition des japanischen Finanzgewerbes nicht in Betracht.

Dass sie dazu doch taugt, liegt an der unzweifelhaften Sicherheit, dass sie jederzeit in beliebigem Umfang ohne Substanzverlust in entsprechende Dollarsummen eingetauscht und wieder zurückgetauscht werden kann. Auch wenn der Wechselkurs nach oben und unten schwanken mag, die Ersetzbarkeit von Dollar durch Yen und Yen durch Dollar für jeden kapitalistischen Geldgebrauch, insofern die qualitative Gleichwertigkeit des japanischen Nationalgelds mit dem amerikanischen Weltgeld gilt für alle, die es angeht, als verlässliche Gegebenheit. Von seinem Status als Derivat der US-Devise kommt der Yen, was seine internationale Brauchbarkeit angeht, zwar nicht herunter. Als Zahlungsmittel, das verlässlich in Dollar umzuwandeln ist, ist er aber eine feste Größe im Weltkapitalismus.

Diese Sicherheit ist die andere Grundlage des japanischen Weltkreditgeschäfts; neben der einen, dass das Finanzgewerbe des Landes dafür auf einen weltrekordmäßigen Sparüberschuss zurückgreifen kann. „Quelle“ von Finanzkapital ist diese Ersparnis in der Weise, dass eine Handvoll große – und mittlerweile auch etliche kleinere – japanische Banken ihre Verfügungsmacht darüber sowie die Garantien der japanischen Notenbank für die Gültigkeit der Zahlungsmittel, die sie den Geschäftsbanken praktisch zinslos zur Verfügung stellt, ausnutzen, um in aller Welt – meist langfristige – Dollar-Kredite zu vergeben und an den dafür verlangten und gezahlten Zinsen zu verdienen; in der Sicherheit eben, dass die Refinanzierung durch den Zugriff auf jede benötigte Dollarsumme, gegebenenfalls per wiederholte kurzfristige, entsprechend niedrig verzinste Kreditaufnahme, gewährleistet ist.

Die Banken machen sich also nicht abhängig davon, auf dem Yen-Dollar-Devisenmarkt Käufer für ihre nationale Währung zu finden, auf die sie zinslos Zugriff haben. Eine Form der Dollar-Beschaffung besteht in Swap- und Repo-Geschäften im amerikanischen oder europäischen Interbankenhandel, die kurzfristige Dollar-Ausleihungen ermöglichen. Die dafür aufzubringenden Yen sind am Fälligkeitstermin zum vereinbarten Wechselkurs plus Zins- und Gebührenaufschlag wieder gegen Dollar zurückzunehmen. Als zu hinterlegende Sicherheit für diese Transaktion werden japanische Staatsanleihen anerkannt, die die Bank of Japan japanischen Instituten seit 2016 kostenlos ausleiht. Die verkaufen auch auf Dollar lautende Finanzprodukte (Investmentfonds usw.) an inländische Anleger (vom Kleinsparer bis zu den großen Pensionsfonds [5] und Versicherungen) und ersparen sich damit allfällige Kosten der Dollarbeschaffung oder verdienen sogar an entsprechenden Dienstleistungen. Und so weiter. Ohne den Vorteil kostenloser Absicherung durch die BoJ beteiligen sich auch außerjapanische Banken an dem Geschäft mit der Differenz zwischen den minimalen Zinsen, die sie für Yen-Kredite zahlen müssen, und denen, die sie mit der Vergabe von Krediten in dafür eingetauschten oder ausgeliehenen US-Dollars oder anderen Fremdwährungen erzielen können.[6] Auch Staaten wie Griechenland, Malaysia, Indien, Indonesien etc. nehmen gerne die Dienste der japanischen Großbanken in Anspruch, um große auf Yen lautende und entsprechend niedrigverzinste Anleihen auf dem unerschöpflichen japanischen Kapitalmarkt zu platzieren. Zweck dieser sogenannten Samurai-Bonds ist also auch hier – so sie nicht für Importe aus Japan verwendet werden – die Verwendung des billigen Yen-Kredits für die Beschaffung von auswärtiger Währung. Dass sich in diese Geschäfte dann auch reine finanzkapitalistische kurzfristige Zinsdifferenzspekulation (Carry Trades) einmischt, versteht sich von selbst.

Das eigentümliche Geschäftsmodell der japanischen Finanzindustrie beruht also einerseits – ein wenig paradox – auf der Krise, in die die Überakkumulation fragwürdiger Finanztitel Ende des vorigen Jahrhunderts die Nation hineingestürzt hat, auf der Bewältigung dieser Krise durch eine hemmungslose kompensatorische Geldpolitik, die die fällige Entwertung des nationalen Geldvermögens aufgekauft, einen Neuanfang der nationalen Kapitalakkumulation damit aber eher verhindert hat, sowie auf einer expansiven Haushaltspolitik, durch die ein Kapitalwachstum im gewünschten Umfang aber auch nicht in Gang gekommen ist. Vom Ergebnis in Form eines gewaltigen nationalen Sparüberschusses profitieren die Banken – mit einem Auslandsgeschäft, das andererseits eben auf der Gewissheit qualitativer Gleichwertigkeit des japanischen Kreditgelds mit dem amerikanischen Weltgeld beruht;[7] einer Sicherheit, die die Kreditinstitute der Nation ausnutzen, aber nicht geschaffen haben. Zustande gebracht hat sie der frühe und lang anhaltende, nach wie vor große Exporterfolg der japanischen Industrie; der hat der Nation den Devisenschatz eingebracht, auf den die BoJ die Emission eines seriösen nationalen Kreditgelds gegründet hat. Davon stehen nach wie vor mehr als 1 Billion Dollar als Aktiva in ihren Büchern. Dank dieser erfolgreichen Teilhabe des nationalen Kapitals am Weltmarkt, speziell an dessen amerikanischer Hauptabteilung, hat das Kreditgewerbe es zum größten Gläubiger der Welt gebracht. Als dominanter Akteur im internationalen Leihgeschäft leistet es nunmehr einen wesentlichen Beitrag zur „Tiefe“ und zur unerschöpflichen Liquidität des amerikanischen und des hauptsächlich in US-Dollar abgewickelten Welt-Finanzmarkts.[8] Mit seinen positiven Beiträgen zur japanischen Zahlungsbilanz festigt es zugleich die qualitative Dollar-Gleichheit des Yen, mit der es operiert. Es betätigt und etabliert damit das japanische Kreditgeld als Weltwährung.

Im Kalkül der Internationale der Geldhändler ist der Yen darüber sogar in den Status einer „Fluchtwährung“ aufgestiegen, in die besorgte Spekulanten gerne ihr Geldvermögen verlagern, um es vor negativen Konjunkturen des Weltgeschäfts, gerade auch des mit US-Dollars handelnden Weltmarkts, in Sicherheit zu bringen. Dazu prädestiniert ist der Yen freilich aus genau dem Grund, der seine Nachrangigkeit im Vergleich mit dem US-Kreditgeld ausmacht: Mit seinen unerschöpflichen Beständen ist er als Garantie für die Refinanzierung des weltweit gebrauchten Kredits am globalen Geschäftsleben heftig beteiligt, aber nicht direkt; Plus und Minus betreffen seinen Wert nur mittelbar, relativiert durch das Austauschverhältnis zum Dollar, in dem die Weltkonjunktur sich abspielt. Das bedeutet eben andererseits und hauptsächlich: Von seiner Austauschbarkeit gegen die wirkliche Weltwährung hängt die Teilhabe des Yen am Weltgeschäft ab, und vom Austauschverhältnis der Ertrag seiner finanzkapitalistischen Verwendung.

Für den ist die japanische Finanzindustrie grundsätzlich auf einen dauerhaft stabilen Wechselkurs zwischen Yen und Dollar angewiesen. Jede Aufwertung des Yen verbilligt zwar die Beschaffung von Dollar-Kredit, entwertet aber für japanische, in Yen bilanzierende Gläubiger die in US-Währung notierten Forderungen und Einnahmen. Deren Gegenwert in Yen steigt zwar bei einer Abwertung; dafür mindert sich bei jedem neuen Kreditgeschäft der Zinsvorteil, an dem der Gläubiger verdient.[9] Ein fortwährend konstantes Austauschverhältnis ist jedoch alles andere als gesichert. Zinsentscheidungen der US-Notenbank bzw. schon die Spekulation darauf wirken ebenso darauf ein wie der japanische Außenhandel und die Spekulation auf seine Entwicklung; und der Gang der Kreditgeschäfte selbst beeinflusst deren entscheidende Erfolgsbedingung: Eine steigende Nachfrage nach US-Geld, sei es für neue Kredite, sei es für die kurzfristig fällige Erneuerung eingegangener Verbindlichkeiten, macht den Dollar teurer; ein aus welchen Gründen auch immer vergrößertes Dollarangebot auf dem internationalen Geldmarkt wirkt in die andere Richtung, macht womöglich die Spekulation auf den Yen als Sicherheit interessant, setzt am Ende eine sich selbst verstärkende Tendenz zur Verteuerung des Yen in Gang. Gegen allzu schädliche Effekte kann der Staat mit seiner Freiheit zur Geldschöpfung und mit seinem Devisenschatz zwar durchaus wirksam einschreiten. Doch muss er dabei allemal auf einander widersprechende Interessen seiner Geschäftswelt – von Ex- und Importeuren, von Finanzunternehmen mit mehr Verbindlichkeiten und mit mehr Gläubigerpositionen, von Spekulanten mit entgegengesetzten Absicherungsinteressen etc. – Rücksicht nehmen. Vor allem aber ist er hier mit dem ganz grundsätzlichen Widerspruch seiner Nationalökonomie und ihres finanzkapitalistischen Geschäftsmodells konfrontiert: Als drittgrößte Wirtschaftsmacht und größter Gläubiger der Welt, als Emittent eines Geldes, das seine Kreditindustrie zum Miturheber und Mitnutznießer des Weltfinanzmarkts qualifiziert, außerdem als fortschrittlicher Industriestandort mit Dependancen in der Umgebung und überall auf der Welt: mit all seiner Wirtschaftsmacht ist der japanische Staat doch nicht Herr der zentralen Erfolgsbedingung seiner global ausgerichteten Kreditwirtschaft. Weil der Gebrauch seines Kreditgelds im internationalen Geschäft nur über den Austausch gegen die wirkliche Weltwährung aus Amerika funktioniert, ist er in dieser Hinsicht bloß eine abhängig variable Unterabteilung der globalen Dollar-Wirtschaft. Sein Geld lebt im Weltvergleich nicht von seinem eigenen Erfolg als Kapital, sondern von seiner Austauschbarkeit – im Prinzip so wie die lokalen Währungen all der vielen Länder, denen Japan sich nicht bloß überlegen weiß, sondern ökonomisch ganz fraglos weit überlegen ist.

Wie aus diesem Widerspruch herauszukommen ist, das ist an der amerikanischen Wirtschaftsmacht, deren globalen Finanzmarkt das japanische Kreditgewerbe in so bedeutendem Umfang bewirtschaftet, deutlich genug: Es kommt darauf an, das eigene Kreditgeld direkt, ohne Umweg über das Weltgeld aus den USA, zum Vorschuss für das Kapital in den Ländern zu machen, in denen japanisches Kapital bereits investiert ist und japanische Banken bereits als Gläubiger fungieren. Was die japanische „Ersparnis“ in ihrer derzeitigen Verwendung als Teil der globalen Dollar-Ökonomie bewirkt, nämlich auf US-Dollar lautenden Kredit als Kapitalvorschuss wirken zu lassen und dadurch dessen Geltung als Geschäftsmittel und als Inbegriff des Reichtums der kapitalistischen Weltwirtschaft zu bekräftigen, das ist in ein weltweites Wirtschaften mit japanischem Kredit und dessen Geldzeichen, in den Gebrauch der überschießenden japanischen Finanzmittel als weltweit akkumulierendes Kapital zu überführen. Und tatsächlich ist es auch gar nicht so, dass es an Tendenzen in dieser Richtung und an einschlägigen Bemühungen der japanischen Regierung fehlen würde. Es gibt längst nicht bloß Außenhandel auf Yen-Basis, also ohne US-Dollar als Zwischenstation. Es gibt auch Länder, in denen Yen-Kredit direkt als Finanzmittel für den Staatshaushalt und für kapitalistische Unternehmungen gefragt ist und benutzt wird. Und Japans Regierungen haben auch Versuche unternommen, in den Staaten der Umgebung ihren Yen als unmittelbar wirkende Quelle fürs kapitalistische Geschäft und als Grundlage für nationale Währungen zu etablieren; es gab Initiativen zur Gründung eines eigenen ostasiatischen Währungsfonds auf Basis des Yen, der so zum Garanten des Kredits und der Gelder der teilnehmenden Nationen werden sollte. Eine Alternative zur Teilhabe dieser Länder am Dollar-Kapitalismus ist aber nicht zustande gekommen; Japan selbst ist seiner Abhängigkeit vom Dollar und des Dienstes am Kredit der USA nicht entkommen.

Genau dafür ist Japans Wirtschaftsmacht aber längst zu groß und auf alle Fälle zu anspruchsvoll; auch wenn bis auf Weiteres offenbleibt, ob das internationale Finanzkapital und seine kritischen Spekulanten die Verhältnisse mittlerweile genauso sehen und die japanischen Ambitionen bestätigen würden, wenn sie herausgefordert sind, die gewaltige Ersparnis des Landes auf ihre kapitalistische Solidität hin zu überprüfen. Dass Japans Finanzindustrie es mit dem Yen-Vermögen der Nation zum größten Gläubiger der Welt gebracht hat und trotzdem nicht autonom und allein auf eigene, japanische Rechnung, sondern in Relation zum Weltgeld aus den USA agiert, ist ein Widerspruch. Und der ist nicht so beschaffen, dass es einfach dabei bleiben könnte. Schon gar nicht unter den Bedingungen des Trump’schen America first!, das Japan zu ökonomisch schädlichen wie seine Souveränität beleidigenden Deals nötigt.[10] Mit denen wächst die Herausforderung, sich als eigenständiges imperialistisches Subjekt von der Abhängigkeit von der US-Dollar-Wirtschaft zu emanzipieren; was für Japan zugleich insofern ein Ding der Unmöglichkeit ist, als für seine Wirtschafts- und Finanzmacht der amerikanische Markt für Waren und Kredit als Geschäftsfeld und Geschäftsgrundlage absolut unentbehrlich ist. Im Zweifelsfall kommt hinzu, dass die USA, unter ihrem Präsidenten Trump schon gleich, keine Hemmungen haben, auch eine Nation wie Japan ihre erpresserische Übermacht spüren zu lassen. Was andererseits für diese Nation nur umso härter spürbar macht, dass sie für eine solche Behandlung eigentlich zu mächtig ist.

Ein Dilemma mit Zukunft.

[1] Aus kritischen Beiträgen zu dem Artikel Japan unter Abe – ‚Weltmacht oder gar nicht sein‘ auf ostasiatisch in GegenStandpunkt 2-18 ist deutlich geworden, dass das japanische Kreditgeld, der Yen, und seine Bedeutung fürs Weltgeschäft des japanischen Kreditgewerbes noch ein paar Erläuterungen brauchen, aber auch wert sind. Ihre Rolle auf dem globalen Finanzmarkt kann über beides Auskunft geben: über die Macht des US-Dollars, die diesen Markt beherrscht, und über den Widerspruch der Wirtschaftsmacht Japan, die diesen Markt für ein spezielles finanzkapitalistisches Geschäftsmodell nutzt und es dabei zu weit gebracht hat, um sich den Bedingungen ihres Erfolgs unterzuordnen, von denen sie aber nicht loskommt.

[2] In absoluten Zahlen: 1300 Billionen Yen oder 11 Billionen Euro, in den letzten sieben Jahren zu etwas weniger als der Hälfte zunehmend direkt aufgekauft, also in gesetzliches Zahlungsmittel verwandelt durch die Bank of Japan (BoJ).

[3] Im Original: „Japan’s renaissance as the world champion surplus saver and source of financial capital is a key consequence of Abenomics and the domestic economic recovery. It has manifested itself in many different forms such as the fact that Japan’s public pension investment fund is now the largest single global investor in U.S. equities; that SoftBank manages the world’s leading global technology investment fund; that Japan has surpassed China to become the largest international investor in Australia; that Japan’s mega-banks have been the dominant creditor in non-China Asia for three years running; that Japanese companies are on target for another record year of outward foreign direct investment, to name just a few of the big headline deals that have channeled Japan’s domestic surplus savings into the world.

Clearly, it is hard to argue that the re-birth of Japanese global investment is a bad development. However, it does suggest that Abenomics has worked to restart growth in national income but has not worked to promote sufficient new domestic investment opportunities: Japan is back to where she was in the late 1980s and early 1990s, the last time Japan was the world’s largest creditor. Yes, national income and national savings are growing again, but the earned income does not get spent or invested at home. Domestic savings once again exceed domestic spending and investment, thus fueling a recycling of this new Japan savings surplus that propelled Japan back to global top creditor. The verdict is clear: From a macroeconomic perspective, Abenomics has brought back, but not changed, Japan’s basic economic structure. The country is back to being an excess saver.“

[4] Es wird eng (Die Zeit, 9.6.16); Zentralbankchef Kuroda ... droht den Yen zu verzocken, dessen oberster Hüter er als Notenbank-Chef sein sollte (Christoph Neidhart, Die Pumpe, SZ, 3.8.19); Die Staatsverschuldung Japans ist extrem. Dennoch betreibt Premier Abe eine ultraexpansive Haushaltspolitik. Wie lange geht das noch gut? (Handelsblatt, 19.9.19) und viele andere.

[5] Der größte Pensionsfonds der Welt, der Reservefonds der staatlichen Rentenversicherung (Government Pension Investment Fund – GPIF), hält inzwischen 43 % seines Kapitalbestands von umgerechnet 1,5 Billionen Dollar in ausländischen (Dollar- und Euro-)Kapitalanlagen.

[6] Was vor Jahren noch kleiner anfing mit auf Yen lautenden Hypothekenkrediten, die im Ausland aufgenommen wurden, zu einem weit niedrigeren Zinssatz, als er für Kredite in der jeweiligen lokalen Währung aufzubringen gewesen wäre, um damit – nach Umtausch in das benötigte lokale Kreditgeld – Immobilien, Schiffe und ähnliches zu finanzieren, das wird darüber hinaus inzwischen in großem Stil praktiziert. Sowohl international investierte japanische als auch zunehmend ausländische Kapitale legen auf dem japanischen Kapitalmarkt mit Hilfe der japanischen Banken Yen-Anleihen auf, mit denen sie den Hunger japanischer Banken und anderer institutioneller Anleger nach ein paar Zehntel Prozent mehr Zinsen als die Negativzinsen auf Staatsanleihen für sich, das heißt für die äußerst zinsgünstige Finanzierung profitablerer Anlagen im Ausland ausnutzen.

[7] Japans Finanzinstitute verfügen über in Weltgeldern angelegte Finanzanlagen im Wert von 8 Billionen Dollar, die Jahr für Jahr netto noch mehr als das Industriegeschäft Dollar-, Euro- und Franken-Zinserträge in Japans Kassen fließen lassen.

[8] Extra produktiv wirkt hier der Umstand, dass die Masse irgendwie zu verwertender japanischer Ersparnisse bei doch recht geringer, durch Zins- und Wechselkurssicherungsgeschäfte noch weiter beschränkter Gewinnmarge die Bereitschaft zu riskanteren, entsprechend höher verzinsten Ausleihungen stimuliert. In der globalen Schuldenexpansion mitsamt ihren spekulativen Blüten sind Japans Finanzkapitalisten jedenfalls sehr aktiv. So sind z.B. japanische Regionalbanken mit einem Marktanteil von gut einem Drittel die größten Investoren auf dem wachsenden Markt – z.Zt. etwa 800 Mrd. Dollar – für Collateralized Loan Obligations (CLOs), die auf den amerikanischen und europäischen Finanzmärkten von Banken zur Absicherung der Refinanzierung ausgereichter Kredite, vor allem aber auch von Private Equity Funds emittiert werden, die so ihre Unternehmenskäufe finanzieren. Auf die gewinnmindernde Absicherung des Dollar-Yen-Wechselkurses verzichten viele von ihnen im Vertrauen auf die Garantie der BoJ.

Dazu passt, dass eine der aktuell spektakulärsten – und spekulativsten – Blüten finanzkapitalistischer Akkumulation in Japan beheimatet ist: der Telekom-Mischkonzern SoftBank, der sich in den letzten zehn Jahren zum umtriebigsten japanischen Auslandsinvestor entwickelt hat und darüber nach Toyota zum zweitgrößten japanischen Unternehmen geworden ist. Sein Gründer und Chef Masayoshi Son hat die BoJ-verbürgte Kreditwürdigkeit seines Unternehmens genutzt, um noch eins draufzusetzen und einen 97 Mrd. Dollar schweren „SoftBank Vision Fund“ aufzulegen, in den SoftBank selbst 33 Mrd. Dollar investiert hat, finanziert durch Kredite der japanischen Großbanken, die auch mit ein paar Milliarden selbst als Investoren dabei sind. Der größte Teil, 60 Mrd. Dollar, kam von den Staatsfonds von Saudi-Arabien und Abu Dhabi, auch immer dankbar für das glaubwürdige Versprechen profitabler Anlage ihrer herumliegenden Milliarden. Sons Vision Fund hat, als größter Start-up-Finanzierer weltweit, in einen Gemischtwarenladen von Internet-/Plattform-/KI-Firmen investiert.

[9] Einerseits gilt in Japan eine Yen-Aufwertung – nicht nur wegen der Erschwerung des Exportgeschäfts – als Problem. Andererseits ist das Umgekehrte nicht minder schlimm:

Die Finanzaufsichtsbehörde hat wiederholt Warnungen wegen des Risikos der Dollarpositionen der Banken geäußert, in der Sorge, dass ein stärkerer Dollar die Bedienung der Auslandsschulden verteuern und ihre Verlängerung erschweren würde. Die Bank of Japan hat die Finanzinstitutionen gedrängt, sich auf importierte Schocks, wie Wechselkursänderungen oder eine Finanzkrise, vorzubereiten. (Japanese banks’ foreign exposure may threaten financial stability, The Economist, 26.7.18)

Die Gefahr liegt, so oder so, in einer von außen auf Japan zukommenden Wechselkursänderung.

[10] Ein Beispiel für die Drangsale, mit denen Japan sich da herumzuschlagen hat:

In einer Risikosituation, wenn der Yen scharf aufwertet und die Trump-Administration sich entschieden gegen eine Intervention [der Bank of Japan] auf den Devisenmärkten im Auftrag des Finanzministeriums ausspricht, ... könnte der Anlagefonds der staatlichen Rentenversicherung geplante Käufe von Auslandsanlagen diskret beschleunigen, um umfangreicheren Yen-Käufen entgegenzuwirken. Geschähe das, äußerten Analysten, wäre es ein Hinweis auf einen neuen inoffiziellen Interventionshebel in einer Zeit, in der Überredungstaktik sich als zu schwach erweist und förmliche Intervention heftige diplomatische Konsequenzen riskiert, vor allem aus Washington. (Soaring Japanese yen spurs speculation of stealth intervention. Government-linked pension fund could buy overseas assets to offset currency strength, Financial Times, 6.8.19)