Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Ein unbeachteter Vorschlag der Christdemokratin Merkel zur Lösung des Rentenproblems einer „überalterten Gesellschaft“:
Weniger Rente für Kinderlose!

Niemand macht Gebrauch von ihrem genialen Einfall zur Lösung aller Rentenkassenprobleme: Weniger Altersruhegeld für Kinderlose! Dabei macht die Idee nur mal wirklich Ernst mit dem Gerede vom „Generationenvertrag“ und von der „Überalterung der Gesellschaft“, die, wie mittlerweile jeder Junior und Senior weiß, an der „Unbezahlbarkeit unseres Rentensystems“ schuld ist.

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen

Ein unbeachteter Vorschlag der Christdemokratin Merkel zur Lösung des Rentenproblems einer „überalterten Gesellschaft“:
Weniger Rente für Kinderlose!

Bis zum offiziellen Programmpunkt in der sozialpolitischen Agenda der C-Gruppen hat es der Vorschlag der christlich-demokratischen Parteivorsitzenden dann doch nicht gebracht. Niemand macht Gebrauch von ihrem genialen Einfall zur Lösung aller Rentenkassenprobleme: Weniger Altersruhegeld für Kinderlose! Dabei macht die Idee nur mal wirklich Ernst mit dem Gerede vom „Generationenvertrag“ und von der „Überalterung der Gesellschaft“, die, wie mittlerweile jeder Junior und Senior weiß, an der „Unbezahlbarkeit unseres Rentensystems“ schuld ist: Dass demnächst die ausgedienten Lohnabhängigen den noch Aktiven in dem schlechterdings unerträglichen Verhältnis von nahezu 1:1 auf der Tasche liegen, kommt daher, dass sie im Verhältnis zur Gesamtmenge arbeitsfähiger Nachkommen das Datum ihrer Ausmusterung einfach zu lange überleben. Für dieses „Überalterungs“-Problem braucht es eine humanitäre Lösung; und dafür weist Merkels Vorschlag den Königsweg: Man bemesse die gesetzliche Rente nicht mehr einfach an den geleisteten Einzahlungen und den dadurch angesammelten Rechtsansprüchen, sondern statt dessen auch an den erbrachten Beiträgen zur Reproduktion des Volkskörpers. Dann altern zwar auch die Kinderlosen immer noch ewig vor sich hin, kosten aber wenigstens nicht mehr so viel; und wer im Alter noch halbwegs über die Runden kommen will, der investiert rechtzeitig in eine kopfstarke Familie und sorgt mit einem entsprechenden generativen Verhalten für inskünftige Beitragszahler. Ein echter Fortschritt wäre das – zurück zur Natur, die es nach den Forschungsergebnissen des Münchner IFO-Instituts schon immer so gehalten hat, dass alte Eltern von ihren Kindern mit durchgefüttert werden und nicht von einer anonymen Rentenkasse, die den wahren bio-ökonomischen Zusammenhang der Generationen bloß verfälscht und verfremdet, nämlich so tut, als könnte sie ihn quasi planwirtschaftlich auflösen.

Und immerhin, Naturphilosophie hin, Familienideologie her: In einem Punkt liegt dieser reaktionäre Geniestreich zur Sanierung der Sozialversicherungen politökonomisch ganz richtig. Denn er stellt einmal in aller Deutlichkeit klar: Wer nicht – mehr – arbeitet, lebt trotzdem von nichts anderem als von der Arbeit, die aktuell geleistet wird. Das ist erstens einmal überhaupt so. Das ist zweitens, wenn auch auf höchst eigentümliche Weise, selbst im perfektesten Kapitalismus noch so; denn entgegen anderslautenden Gerüchten „arbeitet“ auch da nicht das Geld, das einer, freiwillig oder zwangsweise, zur Bank oder zur Rentenkasse oder sonst wohin trägt, sondern genau umgekehrt entstammt alles, was an Reichtum zu Stande kommt – und wovon ein kleines Bruchstück von unnützen Rentnern verzehrt werden darf –, der wirklichen menschlichen Arbeit, für die Geld gezahlt wird. Deswegen schafft es drittens auch im idyllischsten marktwirtschaftlichen Sozialstaat kein Senior, von seinem Rechtsanspruch auf Rente, zusammengerechnet aus anrechnungsfähigen Versicherungsjahren und abgeführten wirklichen im Verhältnis zu den durchschnittlichen Beiträgen, etwas herunterzubeißen, wenn nicht aktive Lohnarbeiter mit Abzügen von ihrem Verdienst für die Einlösung dieses Anspruchs gerade stehen. Nicht einmal die – mit dem Börsen-Crash zu Recht in Verruf geratene – „Riester-Rente“ aus „verzinstem Kapital“ hilft von dem Sachzwang herunter, dass man von Zinsen nur zehren kann, wenn sie nicht bloß aufgeschrieben, sondern aktuell erarbeitet werden. Wofür es nun einmal eine „Generation“ braucht, die das auch tut. Insofern hat die fromme Dame aus Mecklenburg mit ihrem Verweis auf die Notwendigkeit werktätiger Kinder Recht – es ist, als wären ihr die Stunden aus ihrem realsozialistischen Staatsbürger-Unterricht wieder in den Sinn gekommen, in denen sie die „Arbeitswertlehre“ des alten Marx pauken musste: Der Reichtum kapitalistischer Gesellschaften hat, Fortschritt hin, Produktivitätssteigerung her, seinen Grund und sein Maß immer noch im Quantum der geleisteten menschlichen Arbeit…

Das ist allerdings auch schon alles, worin das Plädoyer für die Berücksichtigung der Kinderzahl als Rentenquelle – wohl mehr aus Versehen – politökonomisch richtig liegt. Bei Marx und leider eben auch in der politökonomischen Realität geht es nämlich bei dem „marktwirtschaftlichen“ Zwangszusammenhang zwischen Arbeit und erwirtschaftetem Geld gar nicht um die Selbstverständlichkeiten einer vernünftigen gesellschaftlichen Arbeitsteilung, die die Versorgung der Alten mit einschließt, sondern um die Bereicherung von Eigentümern, die Lohn zahlen, an der Arbeit derer, denen sie den Lohn zahlen; also um ein Verhältnis der Ausnutzung, das auf Seiten der von Lohnzahlung Abhängigen Beschränkung bedeutet. Deswegen versteht sich eben auch die Versorgung der ausgedienten Alten nicht von selbst, sondern ist als Umverteilung des Mangels auf Seiten der Lohnabhängigen und in der passenden Form eines Gegeneinanders von Rechtsansprüchen organisiert. Und deswegen geht bei Marx wie in der Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts die Geschichte von der Arbeit als Grund und Maß des gesellschaftlichen Reichtums auch so absurd weiter, wie sie angefangen hat: Auf die Menge der tatsächlich abgeleisteten Arbeit kommt es zwar unbedingt an, aber das nur sehr bedingt. Rentabel muss die Arbeit nämlich sein; im nie endenden Konkurrenzkampf der Unternehmen muss sie in immer zunehmendem Maß mehr Geld einbringen, als sie kostet; umgekehrt: die Lohnsumme muss sinken im Verhältnis zu dem, was mit der dadurch bezahlten Arbeit verdient wird. Deswegen kommen die bezahlten Arbeiter bei allem Fortschritt der Produktivität ihrer Arbeit nie aus dem Drangsal heraus, dass das, was ihnen für akut benötigte Arbeit bezahlt wird, gar nicht dafür da, geschweige denn darauf berechnet ist und folglich auch gar nicht dafür langt, sie ein Leben lang zu ernähren. Genau das ist der Grund dafür, dass ein an Lohnarbeit sehr interessierter Staat u.a. eine gesetzliche Rentenkasse eingerichtet hat, die die Lohnsumme so streckt und umverteilt, dass sie irgendwie doch reichen muss. Und zugleich ist dies der Grund dafür, dass diese Kasse dauernd selber in Finanzschwierigkeiten steckt: Ihr Auftrag lautet ja, einen systemeigenen Mangel zu verwalten und einen Lebensunterhalt für alle Lohnabhängigen auch in ihren „beschäftigungslosen“ Lebensabschnitten aus einer Lohnsumme abzuzweigen, die bloß für rentable Arbeit bezahlt wird und deswegen eine hartnäckige Tendenz aufweist, relativ zu den mit ihr zu bezahlenden Notwendigkeiten zu sinken.

Das Problem der unbezahlbaren Renten liegt also wirklich gar nicht an einem unguten Zahlenverhältnis zwischen aktiver Generation und dem wachsenden Heer von Rentnern – bei den mittlerweile erreichten Standards der Arbeitsproduktivität wäre es ein Leichtes, mit noch viel weniger Arbeit das Nötige und Wünschbare für noch viel mehr Feierabend, Lebensabend inklusive, bereitzustellen. Das Problem liegt in der Doppelnatur des Lohns: Gezahlt wird so viel, wie sich fürs Kapital lohnt, das die bezahlte Arbeit so effektiv wie möglich als Faktor seines Wachstums ausnutzt; bezahlt werden muss damit auf Biegen und Brechen das ganze Arbeitsleben, aktuell also immer die ganze lohnabhängige Mannschaft, egal ob als Geldvermehrungsfaktor benutzt und bezahlt oder nicht. Zu was für Friktionen das notwendigerweise führt, braucht man wirklich nicht erst bei Marx nachzulesen; das lehrt schon ein Blick auf die Arbeitslosen-Statistik, die als Erstes zeigt, dass wirklich kein Nachwuchsproblem vorliegt. Sie zählt nämlich in der „aktiven Generation“, nach Merkel also: unter den Kindern jener Eltern, die sich regenerativ korrekt aufgeführt haben, diejenigen nach, die in der Blüte ihrer Arbeitskraft fürs Wachstum des kapitalistischen Reichtums der Nation einfach nicht gebraucht werden, gesellschaftlich schlicht überflüssig sind, diesen Status mit Einkommenslosigkeit bezahlen und deswegen – statt als Beitragszahler die Rentenkasse zu füllen – auch schon von den Teilen der immer noch ausgezahlten Gesamtlohnsumme leben müssen, die der Sozialstaat ihnen per Arbeitslosenkasse zuschustert. Sehr anschaulich hat da jeder den Beweis vor Augen, dass das ganze „Generationen-“ und „Überalterungsproblem“, das Frau Merkel gerne durch ein optimiertes Zeugungs- und Gebärverhalten der Deutschen in Ordnung gebracht hätte, in Wahrheit ein Problem der Lohnsumme ist, die an gnadenlos rentablen Arbeitsplätzen verdient werden muss und deswegen für die gesamte lohnabhängige Bevölkerung so schlecht und immer weniger weit reicht. Die Aufstockung dieser Summe würde alle „Überalterungs“-Probleme aus der Welt schaffen – geht aber erstens überhaupt nicht, weil Lohn für etwas anderes als für kapitalistisch lohnende Arbeit ein für alle Mal nicht gezahlt wird; und geht zweitens nach der unbestechlichen „Logik“ des Systems um so weniger, je lohnender die Arbeit ausgenutzt, je weniger davon also benötigt wird, um immer mehr profitlich Verkäufliches herzustellen.

Politökonomisch liegt Merkels Vorschlag also voll neben der Sache. Sozialpolitisch dagegen liegt er eigentlich goldrichtig: Er lastet, wie es sich gehört, die gewachsenen Nöte eines lebenslänglichen Lebensunterhalts für Lohnabhängige den Betroffenen an und möchte das gleich doppelt tun: Über ihre Zwangsbeiträge und über ihre familiäre Pflichterfüllung sollten die Kostgänger der gesamtgesellschaftlichen Lohnsumme für ihre unbezahlbare Langlebigkeit haftbar gemacht werden. Den Maßstäben des systemeigenen Zynismus genügt der Vorschlag auch darin, dass er das Kinderglück ganz selbstverständlich als Last verbucht, die es in einer anständigen „Marktwirtschaft“ ja auch tatsächlich ist und mit der gerechterweise ein Anspruch auf eine gewisse Vergütung verbunden werden sollte. Dass diese Vergütung gar nichts an materieller Entschädigung enthalten soll, sondern allein in der Genugtuung besteht, Kinderlose schlechter gestellt zu sehen, ist schließlich das sozialpolitisch Bestechendste daran. Denn das zeichnet einen wegweisenden Beitrag zur Rentenproblematik aus: dass er einen griffigen Gesichtspunkt beisteuert, um an den Rentnern zu sparen.

Es ist also schon ungerecht, dass Merkels familienfreundliche Idee für weniger Rente es nicht auf die christdemokratische Sozial-Agenda geschafft hat. Doch andererseits ist es wohl auch wieder in Ordnung: In einem System, in dem das Kriterium der Rentabilität über den Lebensunterhalt der nach diesem Kriterium benutzten oder nicht benutzten Leute entscheidet, ist die Zumessung verschärfter Altersarmut nach dem Kriterium der Kinderzahl am Ende womöglich – zu sozial gedacht.