Weltlage 2007, Teil 1
Die Realität einer multipolaren Weltordnung

Wer unter dem Stichwort Weltordnung eine geordnete Welt erwartet, liegt daneben. In der Ordnung von heute akkumulieren die „Brennpunkte“. Deren größter und wichtigster, der „nahöstliche Krisenbogen“, reicht von Ostafrika bis Pakistan.

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Weltlage 2007
Die Realität einer multipolaren Weltordnung

... kein schöner Anblick

Wer unter dem Stichwort Weltordnung eine geordnete Welt erwartet, liegt daneben. In der Ordnung von heute akkumulieren die „Brennpunkte“. Deren größter und wichtigster, der „nahöstliche Krisenbogen“, reicht von Ostafrika bis Pakistan.

Das östlichste Land dieses Bogens versinkt in bürgerkriegsähnlichem Chaos, weil die USA den westlich orientierten Militärdiktator erpresserisch als Bündnispartner in ihrem Antiterrorkampf in Anspruch nehmen. Er durfte wählen, ob er den amerikanischen Krieg gegen Al Qaida und die Taliban zu seiner Sache macht oder als Unterstützer des Terrors angesehen wird und dasselbe Schicksal bereitet bekommt wie diese. Nun führt das im Namen des Islam von Indien abgespaltene Staatswesen halb entschlossen Krieg gegen seine Gläubigen im bisher autonomen nördlichen und westlichen Grenzgebiet. Die dortigen Stämme gewähren ihren Verwandten von jenseits der Grenze nämlich Obdach und ein Rückzugsgebiet. Der verordnete Krieg spaltet nicht nur das pakistanische Volk, er entzweit die Institutionen des Staates und zersetzt seinen Gewaltapparat: Geheimdienst und Militär.

Hinter der Grenze wird unter Führung der USA richtig Krieg geführt, um in Afghanistan eine Regierung an der Macht zu halten, die bei den dortigen Stämmen und Clans keinen Rückhalt genießt. Nach der Eroberung des Landes und der Vertreibung der frommen Taliban aus Kabul haben die Besatzungsmächte Karzai und seine Leute in die Ruinen der Ministerien gesetzt und ihnen aufgetragen, ihr Land fortan im Dienst an der amerikanischen Sicherheit zu regieren; das heißt mit allen Mitteln einer freilich völlig unzureichenden Staatsgewalt dafür zu sorgen, dass nie wieder antiamerikanische Terroristen das Land als Operationsbasis nutzen können. Für diese Mission haben sich den USA Mitglieder der Nato und weitere Staaten zur Verfügung gestellt. Sie kämpfen mit Soldaten und Entwicklungshelfern um ihren Wert im Bündnis und den Wert des ganzen Bündnisses für die Supermacht; dafür bestehen sie auf ausschließlicher Zuständigkeit in ihren Einsatzgebieten und treiben die Beweise formeller Eigenständigkeit des Einsatzes so weit, dass sie der Vormacht und einander sogar militärische Hilfe in Notlagen verweigern. Die Führungsmacht ihrerseits kämpft nicht nur gegen die Taliban, sondern zugleich um die Unterordnung und die Instrumentalisierung der Bündnispartner für ihre Sache. So wird am Hindukusch nun schon im siebten Jahr um ein proamerikanisches Gewaltmonopol vor Ort und um die Bedeutung, ja um die Zukunft der Nato überhaupt gerungen. Ein Sieg der Besatzungsmächte, der sie vorerst versöhnen würde, ist weiter entfernt denn je, und natürlich auch die angestrebte Stabilität.

Afghanistans Nachbarstaat im Westen ist den USA nun wieder viel zu stabil. Da hält sich eine islamische Republik, die über eine Revolution gegen einen US-Freund auf dem Pfauenthron entstanden ist. Sie akzeptiert die amerikanische Vorherrschaft über die islamische Welt im Allgemeinen und die ausgreifende Machtentfaltung des US-Vorpostens Israel bis heute nicht und arbeitet mit ihren vergleichsweise beschränkten Mitteln dagegen. Dabei hat sie daheim einiges an Entwicklung hinbekommen – nicht zuletzt auf dem Feld der Atom- und Raketentechnik, was den Amerikanern ihre Existenz noch unerträglicher macht. Technologie, die auch nur möglicherweise zu einer Bewaffnung befähigen könnte, wie sie die USA und ihresgleichen selbstverständlich besitzen, steht dem Iran nicht zu. Die Garantie seiner dauerhaften atomaren Wehrlosigkeit ist Präsident Bush erklärtermaßen einen Dritten Weltkrieg wert. Und das ist noch nicht einmal Zukunftsmusik: Detaillierte Planungen für die präventive Entwaffnung des Iran, d.h. für die Bombardierung von Atomanlagen und Waffenfabriken liegen in den Schulbaden des Pentagon, wie man hört, seit längerem ebenso bereit wie die dafür nötige Feuerkraft im Persischen Golf. Erkundungs-, Sabotage- und Feuerleiteinheiten sollen schon auf dem Territorium des Iran operieren.

Im Süden, jenseits des persischen Golfs, liegt ein anderes streng islamisches Land, das den USA auch schon als Wiege des Terrors, nämlich als Herkunftsland der meisten Al Qaida Kämpfer aufgefallen ist und auch schon eine demokratische Revolution seiner politischen Kultur verordnet bekommen hat. Inzwischen vereinnahmt Washington das fragwürdige saudische Königreich wieder mehr als unfreiwilligen Verbündeten. Bei ihm steht nicht wie im Iran Ent-, sondern Bewaffnung an – mit Gerät, das die Saudis gar nicht bestellt haben, das sie angesichts der amerikanischen Eskalation gegen Iran und des bevorstehenden Krieges jedoch sicher brauchen, jedenfalls aber nicht ausschlagen können.

Unmittelbar im Norden der Saudis und im Westen der Perser führt die Weltmacht den größten Krieg des Jahrzehnts. Der Kampf um den Irak hat sich inzwischen von der Perspektive eines demokratischen Regimewechsels entfernt und mehr zu einer „Balkanisierung“ der lokalen Machtverhältnisse geführt. Die Invasoren haben das Ziel aufgegeben, dem Land an Stelle des arabischen Nationalismus der Baath-Partei ein stabiles demokratisches und proamerikanisches Regime zu verpassen, das durch seinen Ölexport immerhin die Kriegskosten decken und die Kriegsschäden reparieren kann. Nach dem mäßigen Erfolg der Truppenverstärkung und den großräumigen Säuberungsaktionen des Frühjahrs ändert die US-Army die Taktik und bekämpft internationale islamische Aufständische nun dadurch, dass sie sogar sunnitische Stämme, die sie bis vor kurzem zu den Aufständischen gezählt hatte, mit Waffen und Logistik versorgt. Das isoliert Al Qaida, desintegriert aber zugleich die Staatszentrale in Bagdad, die man ebenfalls weiterhin aufrüstet. Georg Bush gibt sein Kriegsziel nicht auf, der Misserfolg beim Regimewechsel reduziert es lediglich auf seinen Kern: Er will die amerikanische Militärmacht ins Zentrum der islamischen Welt implantieren – nun eben in Form großer, aktionsfähiger Militärbasen inmitten verbrannter Erde. Ohne die Perspektive einer Befriedung des Irak und eines funktionsfähigen Gewaltmonopols in Bagdad, ohne lebensfähigen Staat und ohne Lebensgrundlagen für die Bevölkerung geht es rein negativ und nun erst recht um die Behauptung der amerikanischen Vorherrschaft am Golf. Wenn schon keine proamerikanische Macht durch Krieg zu schaffen ist, lässt sich doch verhindern, dass sich im weiteren Umkreis antiamerikanische Bastionen halten oder festigen können.

Dafür sorgt auf seine Weise schon der verlässliche Verbündete der USA im Nahen Osten. Die regionale Supermacht Israel sucht keinen Ausgleich mit ihrer arabischen Nachbarschaft, sondern verlangt von ihr, die Existenz des Judenstaates, seine territorialen Ansprüche und seine Vormachtrolle in der Region ohne jede Gegenleistung anzuerkennen. Die Feinde, die Israel sich damit macht, hält es nieder, indem es sie von Zeit zu Zeit überfällt, schwächt, verkleinert und jedenfalls militärisch auf Abstand hält. Der Feldzug im Südlibanon, der die Hisbollah vernichten und syrischen Einfluss beenden sollte, ist kaum ein Jahr her, da ist schon wieder ein Luftüberfall auf vermutete syrische Rüstungsanstrengungen fällig, um das Gleichgewicht zu erhalten, auf dem der Schützling Amerikas besteht. Dasselbe Gleichgewicht verlangt, dass dem atomar gerüsteten Israel auf keinen Fall je ein atomar gerüsteter Iran gegenübersteht. Israel droht den Persern ganz autonom mit einem Präventivkrieg und führt an Syrien vor, dass es nicht nur droht. Mit konsequenter Kriegspolitik hat es der Einwandererstaat dahin gebracht, dass sich ihm kein arabisches oder islamisches Land mehr offen zum Krieg stellt und er seinen Dauerkrieg gegen die weitgehend wehrlose Bevölkerung der 1967 besetzten Gebiete im Westjordanland und in Gaza ungestört führen kann. Der ist an einem Etappenziel angekommen, nämlich zu einem Krieg zwischen den Palästinensern geworden, die gegeneinander um die Alternativen einer Staatsgründung kämpfen, der Israel so oder so keine Chance lässt. Wie stets sorgt die amerikanische Weltmacht für Fortschritt im schwierigen „Friedensprozess“: Im großen Stil rüstet sie Israel auf – keineswegs nur gegen die Palästinenser –, und im kleinen die Fatah gegen die Hamas.

Ein paar tausend Kilometer südlich, jenseits des Roten Meeres, macht der nächste Krisenherd den USA Ärger: Somalia, vor mehr als einem Jahrzehnt nach amerikanischer Intervention zum failed state abgestiegen und nach einer Ära der Wirren und Warlords von Scharia-Gerichtshöfen wieder halbwegs zur Ruhe gebracht, musste von Islamisten befreit und antiterroristisch gesichert werden. Das hat die äthiopische Armee für die Amerikaner erledigt; der neue afrikanische Freund hat seine alten Expansionsgelüste auf den Ogaden in den Dienst der Weltordnung gestellt und das Nachbarland gleich ganz besetzt. Die vom äthiopischen Besatzer reimportierte Regierung findet allerdings keine Machtbasis im eigenen Land, so dass die äthiopischen Militärs in Mogadischu alle Hände voll zu tun bekommen. Zu ihrer Unterstützung schaut die US-Airforce am Horn von Afrika mit Flugzeugen und Bomben vorbei und haut, was sie dabei hat, auf vermutete Ansammlungen von Scharia-Milizen drauf. Die Weltmacht lässt sich solche „sporadische Einsätze“ nicht nehmen, mit denen sie klar stellt, dass nichts auf dem Globus ohne ihre Aufsicht und jenseits der Reichweite ihrer Waffen ist und kein Ergebnis Bestand hat, das sie nicht billigt. Ansonsten ist Somalia nur ein Problemfall in der Sicherung der afrikanischen Ostküste und des ganzen Indischen Ozeans. Die Bewegung antiwestlicher bewaffneter Gruppen wird dort, auch mit Hilfe der deutschen Marine, unterbunden, die Supermacht braucht das Seegebiet für sich selbst: als Nachschubweg und Etappe ihrer Kriege am Persischen Golf.

Der andere Problemfall in Ostafrika, wenn auch von anderem Kaliber, ist der Sudan. Ebenfalls unter einer islamischen Regierung wird er von den USA schon jahrzehntelang mürbe gemacht: Erst haben sie den Separatismus der christlichen und animistischen Stämme im Süden gefördert, dann Khartum zu einem den Staatszusammenhang schwächenden Friedensschluss genötigt. Da das Land trotz allem für sein Öl und andere Rohstoffe noch ausländische Käufer und Förderer findet, sich also staatliche Überlebensmittel zugänglich machen kann, unterstützen die USA nun einen gewalttätigen Separatismus in den Westprovinzen des größten afrikanischen Landes. Aus den daher alltäglichen Menschenrechtsverletzungen leiten sie Recht und Pflicht der Weltgemeinschaft ab, in Darfur militärisch einzugreifen, fordern und unterstützen Interventionen seitens aller möglichen Akteure, von der UNO über die Afrikanische Union bis zur EU oder einzelnen ihrer Mitglieder, solange nur dem sudanesischen Staat Hoheit und Kontrolle über sein Territorium streitig gemacht wird. Am Sudan, der China als weltpolitische Rückendeckung sucht und findet, wird nicht nur über ein Stück amerikanischer Sicherung des schwarzen Kontinents, sondern zugleich über Chinas Afrika- und Weltpolitik entschieden: Was seine diplomatische Unterstützung für afrikanische Regimes und seine wirtschaftlichen Angebote wert sind, was also insgesamt das Reich der Mitte als weltpolitischer Pate wert ist, bewährt sich am Überlebenskampf der Staatsmacht in Khartum oder scheitert damit. Die Amerikaner wissen schon, warum sie nicht locker lassen und die Alternative Staatszerfall oder Regimewechsel im Sudan auf immer neuen Wegen vorantreiben.

Ein Stück weiter im Norden haben sie den Libyer Ghaddafi nach Jahrzehnten sporadischer Bombardements, wirtschaftlicher Schädigung und politischer Isolation soweit unter Kontrolle gebracht, dass er unerwünschte Versuche militärischer Selbstbehauptung aufgibt, seinen Einmischungswillen bei afrikanischen Nachbarn den Zielen der Supermacht anpasst und sich im Krieg um Darfur als Vermittler anbietet.

Weiter im Norden, jenseits des Mittelmeeres und mitten in der Stabilitätsoase Europa, ist ein halb erledigter Krieg liegen geblieben, bei dem die USA die Geduld verlieren, die EU aber sich mal wieder nicht einig ist. Gemeinsam hatte man 1999 die Ära der Zerlegung Jugoslawiens beendet, indem man das autonome Machtzentrum auf dem Balkan, den Belgrader Staat, in die Kapitulation bombte und auch noch zerlegte. Die damaligen Waffenstillstandsbedingungen – keine Verschiebung international anerkannter Grenzen, wohl aber Abzug des serbischen Militärs aus der rechtlich nach wie vor zu Serbien gehörigen Provinz, sowie Autonomie für die vom Belgrader Joch befreiten albanischen Nationalisten – waren denen nie genug; und den Amerikanern ist das gerade recht: Sie drohen Europäern, Russen und dem UN-Sicherheitsrat, einen souveränen Staat Kosovo einseitig anzuerkennen, wohl wissend, dass sie damit den Gründungskonsens der Vereinten Nationen, die Achtung vor der territorialen Integrität des souveränen Nationalstaats, kündigen. So viel Korrektur internationaler Bräuche ist ihnen die Dankbarkeit eines für sich lebensunfähigen, in feindlicher Konfrontation zum ehemaligen Vaterland stehenden Separatistenstaats wert, der sich ihnen schon im Interesse seines Überlebens als ewige Militärbasis mitten im EU-Europa aufdrängen wird. Dass dies, wie manche warnen, zum Startschuss für ein allgemeines Zerstören missliebiger und Schaffen genehmer Staaten geraten könnte, fassen die USA mehr als Aufgabe denn als Sorge: Was sie sich selbst herausnehmen, davon müssen sie andere nur erfolgreich abschrecken: die Russen vor allem, die in der georgischen Provinz Abchasien und im moldawischen Transnistrien zum Kosovo gleich gelagerte Fälle sehen.

Überhaupt Russland. Dieser Staat hält sich einfach nicht an die Zersetzung und Entmachtung, die mit Jelzin ausgemacht waren. Putin sammelt die verbliebenen Machtmittel, bringt die ökonomischen Machtgrundlagen in Ordnung und sieht zu, sich im ex-sowjetischen Raum einige verbündete Staaten zu sichern. Damit wirft er für die USA lauter Gewaltfragen auf. Zugriffsrecht und Zugriff auf die Staaten vom Kaukasus bis Zentralasien mit ihrem Öl und ihrer interessanten Halbkreislage rund um Russland beanspruchen die Amerikaner nämlich für sich. Georgien, Aserbaidschan, der Ukraine und so fort drängen sie sich als Militärausstatter und Schutzherren ihrer Freiheit gegen Moskau auf, heizen, wo es geht, antirussischen Nationalismus an und inszenieren bunte Revolutionen. Wenn Putin dann noch die Raketen-Abfangraketen, die sie an seinen Landesgrenzen aufstellen, nicht für einen Beitrag zur Sicherheit Russlands, sondern für einen Angriff auf sein atomares Bedrohungspotential hält und sowohl Widerstand wie Gegenrüstung ankündigt, dann steht fest: Russland ist nach einer Dekade des Niedergangs schon wieder zu groß und zu potent – der vielleicht schwierigste Problemfall der amerikanischen Weltordnung.

Wie gefährdet die ist, zeigt dem Präsidenten ein Blick auf die eigene Hemisphäre: Im Süden seines Doppelkontinents kommen unter der Führung des Venezolaners Linksnationalisten an die Macht, die die Existenzgrundlagen ihrer Länder – die Indienstnahme von Land und Leuten für amerikanisches Kapital und die politische Hörigkeit gegenüber Washington – offen herausfordern. Chavez und Konsorten finden dafür sogar die ökonomischen Mittel, ausgerechnet im unstillbaren Ölbedarf der Supermacht. Sie können sich auf breite Massen in ihren Ländern stützen, Umsturzversuche durch Yankee-freundliche Oppositionskräfte sind schon ausprobiert und gescheitert – und nun sammeln sie auch noch Sympathien und Partner in anderen südamerikanischen Staaten. Da reift eine Gewaltfrage heran, der das Weiße Haus noch viel Aufmerksamkeit widmen wird.

Nichts ist in Ordnung; auch noch viel weiter im Westen, im fernen Osten nicht. Zwar kann im Fall Nordkorea Entwarnung gegeben werden – aber auf welcher Basis? Der Krieg mit dem Land, dem man immerhin acht Plutoniumbomben zutraut, findet tatsächlich vorerst nicht statt. Freilich ist seine atomare Entwaffnung, durch Vermittlung Chinas vereinbart, noch lange nicht vollstreckt – und der Ami kennt seine Pappenheimer: Auf atomare Waffen, die ihnen eine gewisse Existenzgarantie gegen seine Übermacht gewähren, verzichten die verrückten Steinzeitkommunisten nicht so leicht. Und dass es außer Russland auch noch China gebraucht hat, um auf die Nordkoreaner einzuwirken, ist mehr ein Ärgernis denn Grund für amerikanische Zufriedenheit. Dieses China, kaum wird es so richtig nützlich für – vor allem – amerikanisches Kapital, wird es auch schon zu mächtig. Die USA haben zu tun, es zu beschränken und den Spielraum seiner Machtentfaltung einzuengen. Taiwan ist da hilfreich. Der Insel gewähren sie gegen Wiedervereinigungsansprüche der Volksrepublik eine Verteidigungsgarantie und rüsten es dafür mit modernstem Gerät aus. Die große Volksrepublik hat solches Containment als Sorge der Supermacht um das Machtgleichgewicht zu respektieren, das selbstverständlich sie, die schnell wachsende Macht, gefährdet. Im amerikanischen Bemühen um Eindämmung und Einkreisung des Riesenreichs bekommen sogar buddhistische Mönche Gewicht, die im benachbarten Burma auf die Straße gehen und die mit China politisch und wirtschaftlich verbundene Militärregierung unter Druck setzen. Die Gelegenheit zur weiteren Destabilisierung wird genutzt. Eine UN-Resolution gegen die nicht gewählte Militärregierung, eine weltweite Medienhetze gegen die menschenrechtswidrigen Offiziere werden auf den Weg gebracht, und den Demonstranten schickt man eine herzliche Ermunterung zur lebensgefährlichen Eskalation der Lage. Jetzt heißt es nur darauf achten, dass sich nicht alles wieder beruhigt.

Viel wichtiger ist natürlich das westlich angrenzende Indien, das die USA nicht mehr des unerlaubten Griffs nach der Atombombe bezichtigen, sondern im Alleingang in den Rang einer anerkannten, legitimen Atomwaffenmacht erheben. Sie machen und verhindern Atommächte; in diesem Fall mit der offenen Berechnung, dass ein weltkriegsfähiges Indien in eine solide Feindschaft zu China hineinwachsen und ein „Gegengewicht“ gegen die gelbe Atommacht bilden würde. Der neue Freund freilich macht Schwierigkeiten: Nach der kassierten Anerkennung leuchtet manchem Politiker in Delhi der Preis dafür – amerikanische Auflagen für die Entwicklung des zivilen und Beschränkungen des militärischen Atomprogramms – nicht mehr ein. Kaum als zum atomaren Schlag befähigte Macht anerkannt, arbeiten die Inder an der gesicherten Zweitschlagsfähigkeit, die sie gegen atomare Erpressung auch von Seiten noch viel potenterer Atommächte halbwegs immun machen würde. So war das von Freund Bush nicht gemeint. Da drohen schon wieder Gefahren für die Weltordnung; zumal ja auch der ewige Konflikt mit der anderen südasiatischen Atommacht um Kaschmir weiterschwelt: Pakistan. Wir sind einmal herum in der Weltordnung und wieder angekommen bei diesem unverzichtbaren und unhaltbaren Pfeiler im Antiterrorkrieg.

Die USA bestehen darauf: So geht Weltordnung

Sie sehen die „new world order“, die Bush Vater mit der Selbstauflösung der UdSSR und seinem ersten Krieg gegen Saddams Husseins Irak (1991) auf die Tagesordnung setzte, in Gefahr. Die „einzige überlebende Supermacht“ geht davon aus, dass doch eigentlich eine klare Hierarchie der Staaten vorliegt, dass sich gemessen an ihrer Macht und dem daraus folgenden Recht jedoch zahlreiche Staaten daneben benehmen. Kleine und große Herausforderer missachten die amerikanische Vormacht, verletzen also die Ordnung. Der Weltfrieden kann gerettet, Kooperation zwischen den Staaten gesichert und wiederhergestellt werden, aber nur durch eine erneute Klarstellung der Rangfolge der Nationen bzw. durch ein weit reichendes Umpflügen der Machtverhältnisse in der Staatenwelt, das noch Jahre in Anspruch nehmen wird.

Diesen Standpunkt verkörpert der jetzige Bush. Er will alle Völker, denen sie noch abgeht, mit den Segnungen der Demokratie beglücken und verspricht, sie von den verkehrten Machthabern zu befreien, denen sie gehorchen. Er ist voll beschäftigt, „to make the world a better place“. Das missionarische Auftreten bricht demonstrativ mit dem, was auch englische Zeitungen „Realpolitik“ nennen, eine früher angeblich übliche, für die Supermacht aber unmögliche Außenpolitik. Diese Politik geht nämlich von einer Kenntnisnahme der Interessen und Mittel anderer Staaten aus, stellt sie in Rechnung und versucht durch Angebot und angedrohten Schaden das außenpolitische und wirtschaftliche Gebaren der „Partner“ den eigenen Nationalinteressen anzupassen und dienstbar zu machen. Dass ein Souverän mit einem anderen Souverän, um den er nicht herumkommt, zurechtkommen muss und das deswegen auch will, erklärt Bushs Außenministerin zu einem inakzeptablen Opportunismus, der den Frieden und die Ordnung, die sie meint, nicht erhält, sondern zerstört. Es ist der Supermacht nicht zuzumuten, auf fremde Interessen berechnend einzugehen und sich mit anderen Mächten zu arrangieren. Sie steht über ihnen, genehmigt oder verbietet andere Nationalinteressen, nimmt fremde Macht in Dienst an ihrer Ordnung und bestraft Ordnungswidrigkeit. Sie setzt Völkerrecht, richtet über die Handlungen anderer Staaten und vollstreckt ihre Urteile auch gleich selbst. Dem Programm entsprechend ziehen ihre Repräsentanten eine heilige Kuh aus dem Verkehr, mit der gerade der Westen seine Weltordnung geschmückt hatte: Solange es die Sowjetunion mit der „Breschnew-Theorie von der begrenzten Souveränität sozialistischer Staaten“ gab, war „Einmischung in innere Angelegenheiten“ eine Sünde und die Freiheit der Nationen ein hohes Gut. Die amerikanische Außenpolitik heute übertrifft Breschnew bei weitem: Die einst hehren Formeln „Respekt vor fremder Souveränität“ und „Nichteinmischung in innere Angelegenheiten“ gelten ihr nur noch als Freibrief für Diktatoren und Menschenrechtsverletzer.

Die politisch-militärische Unterordnung der Staatenwelt – ein einziges Gewaltprogramm

Mit Rechten und Pflichten, die sie zugestehen bzw. auferlegen, machen die USA gegenüber anderen Souveränen den weltpolitischen Platzanweiser, der für jeden von ihnen eine Rolle und einen Rang in der Hierarchie der Staaten vorgesehen hat. Der eine soll sich als Ölquelle amerikanischen Konzernen öffnen, der andere mit gut geschützten Pipelines als Transitland fungieren und andere Nachbarn von dieser Rolle ausschließen. Wieder andere sollen Seegebiete in Hinterindien für die Handelsschifffahrt sichern oder ein Gegengewicht zu China bilden. Manche dürfen bei der Aufsicht über Staaten minderen Ranges mitreden, andere nicht; manche dürfen Atommächte sein – auch das Niveau davon wird in Washington festgelegt –, andere nicht; manche sollen in den UN-Sicherheitsrat aufsteigen, andere nicht. Und natürlich ist es die erste, wenn auch keineswegs hinreichende Bedingung dafür, dass die USA ein Land als legitimes Mitglied der Staatengemeinschaft gelten lassen, dass es sein ökonomisches Innenleben kapitalistisch organisiert, seine Reichtumsquellen dem internationalen Kapital zur Nutzung anbietet und dem Urteil des Weltmarkts aussetzt. Die paar alten und neuen antikapitalistischen Versuche stehen ganz oben auf der Liste der unerträglichen Feinde.

Über Befolgung oder Verletzung der zugewiesenen Rollen führen die USA Aufsicht und bewerten ständig das Betragen der kleinen und großen Souveräne. Entscheidendes Kriterium für deren Bereitschaft zur geforderten Unterordnung ist der Gebrauch, den sie von ihrer militärischen Gewalt machen. Werten Außenamt und Pentagon den Einsatz fremder Waffen als Dienst an der US-Vorherrschaft über die Staatenwelt, dann ist der legitim und ein Beitrag zum Frieden. Mindestens muss sich so ein Staat vor einem Waffengang mit Washington ins Benehmen setzen und die Genehmigung einholen. Andernfalls ist seine Gewaltanwendung, wo auch immer auf dem Globus, ein direkter Angriff auf die USA, eine Verletzung des Völkerrechts, wenn nicht Terrorismus, weil er das ausschließliche amerikanische Recht zum Weltordnen herausfordert. Die Kontrolle über die Gewalt anderer Souveräne wartet freilich nicht bis zum Gebrauch der Gewaltmittel. Außer bei direkten Verbündeten – und in gewissen Fragen sogar bei ihnen – wertet die Supermacht schon das Bemühen um wirkungsvolle Waffen als Angriff auf ihre Sonderstellung. Nicht erst was andere Staaten tun, auch was sie möglicherweise tun könnten, bedroht ihre Ordnung. Die ist nur sicher, wenn sie allein Waffen aller Art besitzt und nach freiem Kalkül einsetzen kann.

Die amerikanische Aufsicht beschränkt sich ferner nicht auf die Außenpolitik ihrer Kontrollobjekte, sondern gilt deren gesamtem Innenleben. Sie sollen sich nicht nur durch Selbstbeschränkung bei der Beschaffung von Waffen und durch Verzicht auf deren eigenmächtigen Gebrauch mit amerikanischen Ansprüchen kompatibel machen, sondern durch ihre ganze Existenz dafür garantieren, dass sie ein Beitrag zur Sicherheit und zum Funktionieren der Weltordnung sind. Und dafür, das wollen die Amerikaner an schlechten Erfahrungen mit Saudi Arabien und Al Qaida gelernt haben, genügt weder eine konstruktive Rolle des Landes in der Weltwirtschaft, noch eine proamerikanische Außenpolitik der Regierung. Daher ist nun auch eine falsche Stellung der Religion im öffentlichen Leben, ein mit dem Rang des Landes unzufriedener Nationalismus, eine antiamerikanische Politisierung des Volkes, eine schwache und instabile Staatsmacht, die solches zulässt, als Sicherheitsrisiko und Pflichtverletzung des betreffenden Staates gegenüber der Weltordnung erkannt und inkriminiert.

Angesichts festgestellten Fehlverhaltens, nicht genehmigter Machtentfaltung, offenen oder versteckten Widerstands besteht die Sicherung der amerikanischen Weltordnung in einem endlosen Gewaltprogramm, einer Kette von Korrekturen der Nationalstaaten, die einfach nicht davon abzubringen sind, wie vorsichtig und berechnend auch immer, ihre Interessen zu verfolgen und nicht die amerikanischen. Das ungenierte Hineinregieren in die inneren Zustände der Länder, die der US-Regierung problematisch vorkommen, ist da nur ein Anfang: Regionen, in denen nicht so gedacht wird, wie sie es fordert, lässt sie von Freiheitssendern beschallen; in Ländern, deren Regierung sie nicht mag, fördert sie die „Zivilgesellschaft“, auch wenn es eine Gesellschaft im modernen Sinn gar nicht gibt; sie baut Oppositionsparteien auf, wo die nicht von selbst entstehen, unterstützt Regimegegner mit Geld und Sabotage und betreibt, wo sie das passend findet, die Revolution. Falls ein Freiheitswille sich allerdings von unten gegen verbündete Gorillas wendet, verteidigt die Administration die Demokratie per Schulung und Ausrüstung der Geheimpolizei. Auf den Durchgriff, den sie sich an den Regierungen vorbei auf die Völker genehmigt, auf die Propaganda des American way of life durch Radio Liberty, CNN und Internet und auf den richtigen Ausgang der von ihr geschürten Unruhen verlässt sie sich selbstverständlich nicht. Im Gegenteil, das alles ist nur Vorfeld und Begleitmusik zu den strengeren Formen der Korrektur fremder Souveräne.

Staaten oder bewaffnete Organisationen, die die amerikanische Regierung als Feind identifiziert, sind Terroristen. Ihre pure Existenz ist ein Angriff und setzt Zweifel in die Geltung der Weltordnung. Sie werden zu Outlaws der Staatengemeinschaft, in deren Namen die USA stets handeln, erklärt und vernichtet.

Damit ist die Leistung eines amerikanischen Weltordnungskriegs aber nicht erschöpft. Ebenso wichtig ist die Wirkung einer solchen Klarstellung auf die staatliche Umwelt der Outlaws: Überall wo die Weltmacht einen Herd des Antiamerikanismus ausräuchert, pflanzt sie sich selbst mitten hinein in die Region, in der er hochkommen konnte. Die Nachbarstaaten werden nicht nur damit konfrontiert, dass die Weltmacht in jeder Region der Welt auch die größte Regionalmacht ist, die keinen Rivalen neben sich duldet, sie sind durch Präsenz und Potenz dieser Macht unmissverständlich aufgefordert, sie als entscheidende Rahmenbedingung ihrer Existenz anzuerkennen und in all ihren Kalkülen die Supermacht in ihrer Nachbarschaft als erstes zu berücksichtigen.

Die Lektion des Krieges zielt drittens auf die weitere Staatenwelt, vor allem deren potente Minderheit, die dank eigener weltweiter Interessen sich von allen Affären betroffen sieht und an ihnen interessiert zeigt und die selbst für mehr oder weniger große Teile der Welt Aufsichtsrechte und Zuständigkeit beansprucht. Sie hat zu lernen, dass es ein Weltordnen ohne oder gar gegen die USA nicht gibt. Die Veto-Mächte des UN-Sicherheitsrats, die sogenannten europäischen Mittelmächte und andere dürfen zu den Aufsicht führenden Staaten gehören und imperialistische Herrschaft über ihre Hinterhöfe ausüben; aber nur unter der Bedingung, dass die Supermacht dies als Beitrag zu ihrer Ordnung würdigt, nicht aber ohne diese Lizenz. Sie haben zu kapieren, dass sie Großmächte nur sein können als Mitmacher und Hilfstruppen der USA, oder sie werden übergangen und in die weltpolitische Bedeutungslosigkeit abgedrängt. „Irrelevant werden“ – das hat seinerzeit Verteidigungsminister Rumsfeld dem deutschen Kanzler und dem französischen Präsidenten angedroht, die dem Überfall auf den Irak ihren Segen und ihre Mithilfe verweigert hatten. Die bewiesene Bereitschaft der USA zu jedem Krieg gegen jeden von ihnen ausgemachten Feind und die Fähigkeit, solche Kriege klar für sich zu entscheiden, soll möglichen Rivalen klarmachen, dass ihnen außer Mitmachen oder Irrelevanz nichts bleibt und Gegnerschaft zur Weltordnungsmacht, Konkurrenz um die Kontrolle der Staatenwelt aussichtslos ist.

In diesem Sinn findet der Dritte Weltkrieg, ein neuartiger Machtkampf um das Monopol auf Gewalt zwischen den Staaten, längst statt. Es geht den USA darum, die imperialistische Konkurrenz um Dominanz und Diktat unter den Staaten zu entscheiden und dadurch ein für allemal zu beenden. Auf ihre Durchsetzung als unwidersprechliche Macht wollen sie dann ihren Frieden gründen, nämlich die dann durch bloße Diplomatie gewährleistete Lenkung der Staatenwelt.

Die Weltwirtschaft im US-Kriegsdienst: Der freie Fluss von Ware und Kapital wird zum Sicherheitsrisiko erklärt und unter Kontrolle genommen

Dieselbe Nation, die der Welt Freihandel, offene Grenzen und Nicht-Diskriminierung bei den Handelskonditionen verordnet und die Durchsetzung ihrer Liberalisierung des internationalen Wirtschaftsverkehrs als „Globalisierung“ mit ungeahnten Wachstumschancen feiert, zögert nicht, diesen Verkehr ihren strategischen Bedürfnissen unterzuordnen, d.h. ihn vom Standpunkt der nationalen Sicherheit aus teilweise als Gefahr zu beurteilen und zu unterbinden, teilweise die Abhängigkeiten, die aus dem internationalen Austausch erwachsen, als Instrument der politischen Kontrolle anderer Nationen in Anschlag zu bringen. Diese Indienstnahme mag dem nationalen Zweck der amerikanischen Weltwirtschaftsordnung entsprechen und ans Licht bringen, wie sie immer gemeint war, zugleich aber widerspricht sie Reglements und Usancen des eingerichteten Weltmarkts. Natürlich hat der Sieger des Zweiten Weltkriegs dem von ihm dominierten Teil der Welt offene Märkte und freien Kapitalverkehr zum höheren Nutzen der eigenen Nation auferlegt. Das an Kapitalgröße und Produktivität himmelhoch überlegene Land konnte sich darauf verlassen, dass freie Konkurrenz um den Reichtum der kapitalistischen Welt Mittel seiner Überlegenheit und Garantie seines dauerhaften Erfolgs sein würde. Die Einrichtung des offenen Weltmarkts, der keine exklusiven Einflusszonen und keine wirtschaftliche Blockbildung mehr kennt, hat zu allererst den Gehalt, dass die Siegermacht sich von keiner Zone mehr ausschließen lässt und keine Blockbildung gegen sich mehr duldet, dass sie dadurch vielmehr verbliebene Kolonialreiche aufbricht und alle Welt zur Zone ihrer kapitalistischen Benutzung macht.

Für die übrigen Nationen ist das eine ordnungspolitische Zumutung. Bis auf die eine große Ausnahme, die daher sofort als Feind feststeht und mit allen Mitteln bis hin zum „kalten“ Weltkrieg bekämpft wird, lassen sich die Verlierer bzw. degradierten Mitsieger des Krieges die Zumutung bieten, die ihnen allerdings auch Freiheiten lässt und ihren nationalen Egoismus nicht rundweg verbietet, sondern auf einen Weg verpflichtet: Sie müssen auf politisch-machtmäßige Mittel der Sicherung ihres außenwirtschaftlichen Erfolgs verzichten, dürfen aber mit ökonomischen Mitteln um den Reichtum der kapitalistischen Welt konkurrieren – sogar gegen den Urheber der Ordnung, der sich gewaltsame Korrekturen der Ergebnisse der Konkurrenz selbst versagt, weil er sie nicht nötig hat. Meistens jedenfalls. Die Doppeldeutigkeit einer von der Vormacht erlaubten, aber aufs Ökonomische beschränkten Konkurrenz der Nationen, die ein offenes Rennen und zugleich Garant amerikanischen Erfolgs sein soll, führt dann doch immer wieder zu Korrekturbedarf seitens der US-Regierungen. In Korrekturen bekräftigen sie stets beide Seiten dieser Ambivalenz: Konkurrenzerfolge anderer Nationen, die ihnen zu weit gehen, klagen sie als Ergebnis unfairer Konkurrenzpraktiken und noch immer nicht wirklich freien Handels an. Wenn sie selbst nicht genug Erfolg einfahren, dann stimmen die Regeln nicht! Andererseits verwandelt diese Art Kritik jede Unzufriedenheit mit Konkurrenzergebnissen in die Forderung nach einem noch weitergehenden Abbau nationaler Vorbehalte gegen den freien Austausch; ganz echte Konkurrenz, deren Urteil sich auch die USA beugen würden, ist immer noch erst herzustellen. Diese vorwärts treibende Kritik hat zu immer niedrigeren Zöllen und zu immer mehr für internationale Anleger offenen Geschäftsfeldern geführt. Heute ist der durch internationale Organisationen geregelte Weltmarkt mit lauter internationalisierten Akteuren kein Programm und kein amerikanisches Oktroi mehr, sondern der durchgesetzte Zustand. Jede Firma ist ein Multi, der weltweit einkauft, verkauft und produziert und eine zumeist international zusammengesetzte Eigentümerschaft hat. Diese weltwirtschaftliche Realität wird nun dem politischen-militärischen Durchsetzungsbedarf der USA untergeordnet.

Aufschlussreich ist noch die friedenspolitische Ideologie, mit der die Weltmacht ihre Wirtschaftsordnung einst auf den Weg gebracht hatte. Nicht weil sie der praktische Grund gewesen wäre, sondern weil sie eine imperialismus-theoretische Weisheit verrät, der die heutige Politisierung des außenwirtschaftlichen Verkehrs offensichtlich ins Gesicht schlägt. Dass sie Blockbildung, die Privilegierung bestimmter Partner und den Ausschluss anderer vom nationalen Markt verhinderten, gaben die USA in der Phase der Entstehung der offenen Weltwirtschaft als Instrument der Friedenssicherung aus; denn die Exklusion von Rohstoffen und Märkten würde die ökonomische Konkurrenz der Staaten sofort in eine politische Konkurrenz der Staatsgewalten übersetzen, die ihre Zulassung erzwingen müssten oder durch Gewalt zum Mitkonkurrieren gar nicht erst zugelassen würden. Dies, meinte man, habe den Egoismus der Nationen erst giftig gemacht und zu den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts geführt. In der Ära ihres Anti-Terror-Weltkriegs politisieren die USA selbst die Wirtschaftsbeziehungen, wie sie es brauchen.

Eine antiterroristische Quarantäne über den Personen-, Waren- und Geldverkehr

Zur Abwehr von feindlichen Anschlägen auf ihr Territorium genehmigen sie sich die Kontrolle des ganzen zur Weltwirtschaft gehörenden Verkehrs von Personen, Waren und Geld und nehmen dafür alle Nationen, mit denen sie in Austausch stehen, in die Pflicht. Sie schränken die Freizügigkeit der Person ein, wenn sie von Fluggesellschaften und Flughäfen, von denen aus Maschinen nach USA abgehen, einen ausführlichen Satz von Fluggastdaten verlangen, über die die US-Sicherheitsbehörden lange vor der Landung verfügen müssen, um sie durch ihre Fahndungsraster zu schicken und mögliche Verdächtige abzufangen, zu verhaften oder postwendend zurückzuschicken. Dasselbe gilt für den Warenverkehr. Damit nichts unerkannt ins Land kommt, was Attentäter gebrauchen könnten, prüfen Sicherheitsbehörden jedes anlandende Schiff und jeden Container. Ihre Praxis umfassender Durchleuchtung machen sie, damit Gefährliches erst gar nicht in US-Häfen ankommt, den Reederein und Hafenverwaltungen der Herkunftsländer zur Pflicht. Ebenso nehmen sie die Geldseite des Welthandels unter Kontrolle und unterbinden Transaktionen, wo Feinde, seien es Privatpersonen, Organisationen oder Staaten, ihre Aktivitäten mit Geld abwickeln. Wenn Subjekte, die sie feindlicher Absichten bezichtigen, Geld einnehmen oder ausgeben, hat die Staatenwelt das als kriminelle Handlung, Geldwäsche oder ähnliches zu nehmen und zu verfolgen; sie findet sich als verlängerter Arm des US-Zolls und der Homeland-Security in Anspruch genommen.

Sanktionen, Boykott, Embargo – Die Durchsetzung ökonomischer Zwangsmaßnahmen mit den und gegen die Verbündeten

Bei der Behinderung des Geschäftsverkehrs aus defensiven Gründen der Terrorabwehr belassen es die USA nicht; sie nutzen Handelsverbote als aktives Kampfmittel zur Schädigung ihrer Feinde. Gegen Iran, Syrien, Nordkorea, Weißrussland, Kuba, Sudan, Burma, Gaza etc. verhängt der US-Präsident Sanktionen und widerruft mit jedem angeordneten Ausschluss vom internationalen Austausch ein Stück „Globalisierung“. Der Ausschluss vom Welthandel soll den Zielstaat nicht nur schädigen, sondern strangulieren und seinen Willen brechen oder ihn aushungern und sturmreif machen. Deshalb gibt sich die Führungsmacht selbstverständlich nicht damit zufrieden, den Handel mit ihren Feinden alleine zu unterbinden, während andere fröhlich weitermachen. Sie wartet zwar nicht darauf, dass Partner ihre Sicht teilen und sich ihrem Wirtschaftskrieg anschließen, sondern geht voran; aber doch nur, um Führung zu zeigen und andere unter Druck zu setzen. In internationalen Organisationen, die sonst die Globalisierung vorantreiben, drängt sie darauf, dass alle Staaten sich ihren Feindschaften unterordnen und auf Profite aus Geschäften mit Staaten verzichten, an denen die USA sich stören. In UNO, NATO, G8, WTO, IWF findet in wechselnder Besetzung, aber im Wesentlichen unter immer denselben größeren Mächten das Ringen um die Verallgemeinerung, also um die Effizienz des amerikanischen Wirtschaftskriegs statt.

Dabei verlässt sich die Administration nicht auf die Überzeugungskraft ihrer Diplomaten, sondern ergreift einseitige Maßnahmen, um den Wirkungsgrad ihres Sanktionsregimes zu steigern und stillen Widerstand der anderen unmöglich zu machen. Der US-Finanzminister hat da ein ganz neues Feld der Sicherheitspolitik entdeckt: Er lässt den globalen Zahlungsverkehr durchleuchten und darüber Buch führen, welche nationale oder private Institution auf dem Globus mit wem Geschäfte macht. Dazu nutzt er eine Sonderstellung, die das Heimatland des Weltkapitalismus genießt: New York ist der wichtigste Finanzplatz, über ihn laufen massenhaft Transaktionen auch dann, wenn weder amerikanische Käufer noch Verkäufer beteiligt sind. Zudem sind US-Banken die größten Institutionen des Finanzkapitals, operieren in allen Ländern und Kontinenten und bleiben dabei dem Informationsbedarf ihres Heimatlandes patriotisch verpflichtet. Und wo der US-Finanzminister nicht direkt hineingucken darf, lässt er im Geheimen mithören und mitschneiden, wie bei jener darüber bekannt gewordenen europäischen Giro-Stelle in Belgien. Mit den gewonnenen Informationen kann er erstens direkt zur Führung des Wirtschaftskriegs beitragen.[1] Alle Geschäfte, die inkriminierte Staaten oder Organisationen über amerikanische Finanzplätze oder -Institutionen abwickeln, werden unterbunden, Vermögenswerte der Betreffenden konfisziert. Die umfassende Übersicht hilft zweitens zur Kontrolle der anderen an der Weltwirtschaft beteiligten Staaten und zu ihrer Verpflichtung auf das amerikanische Sanktionsregime. Den Partnern wird nicht mehr erlaubt, sich gegen die USA einerseits nicht offen aufzulehnen, andererseits aber ihre auswärtigen Geschäfte vor der US-Feindschaft gegen einen Handelspartner, mit dem sie gut fahren, dadurch zu schützen, dass sie private Aktivitäten einfach übersehen. Ausflüchte gibt es nicht mehr: Der US-Finanzminister konfrontiert die Partner mit Datum und Summe der Transaktionen, die Institutionen ihres Landes mit „dem Feind“ getätigt haben.

Wenn sich Partner aber stur stellen und sich dem Sanktionsregime verweigern, hat er noch ganz andere Hebel, um den nationalen Boykottmaßnahmen Befolgung und Gewicht zu verschaffen: An den nationalen Regierungen vorbei gehen US-Behörden weltweit agierende Firmen aus Frankreich, Deutschland, Österreich etc. an und legen ihnen dringend nahe, Geschäfte etwa mit Iran, von denen die amerikanische Spionage Kenntnis hat, einzustellen. Erpressbar sind Firmen in dem Maß, in dem sie in den USA Niederlassungen unterhalten oder mit US-Firmen Geschäfte machen. Dadurch bekommt sie die ausgreifende Jurisdiktion amerikanischer Gerichte entweder direkt zu fassen oder kann sie über Strafandrohungen gegen den amerikanischen Partner erpressen. Im Ergebnis werden Firmen aller Länder wie US-Unternehmen behandelt, von denen das Krieg führende Vaterland Patriotismus beim Profitmachen verlangt, und das heißt: „Desinvestment“, Abzug des investierten Kapitals und Beendigung der Geschäftsbeziehungen mit aktuellen und potenziellen Feindstaaten. Im Fall des Zuwiderhandelns drohen Strafen bis zum Entzug der Lizenz, in den USA Geschäfte zu machen. Neutralität – selbst wo ein Staat politisch darauf besteht – wird so praktisch verunmöglicht. Weltweit engagierte Banken, auch wenn sie keinen Auftrag aus ihrer Hauptstadt dazu haben, halten sich beim Finanzieren und Abwickeln von Geschäften mit Feinden der USA „freiwillig“ zurück. Der Finanzminister ist jedenfalls begeistert über die Wirkung seines neuen Instruments an der finanzpolitischen Kriegsfront.[2]

Ausländische Investitionen in den USA – als Sicherheitsrisiko unter Kontrolle genommen

Die US-Regierung, die die ganze Weltwirtschaft als Zwangsmittel gegen unbotmäßige Souveräne in Stellung bringt, achtet sehr darauf, dass andere Staaten dasselbe Mittel nicht gegen sie kehren können. Sie sucht die heimische ökonomische Basis auf Sicherheitslücken ab und wappnet sich gegen genau den Einfluss von außen, den sie ausübt: Fragwürdige Ausländer dürfen niemals mittels internationalisierter Firmen Kontrolle über Teile der Wirtschaft bekommen.

Es waren die USA, die anderen Nationen den freien Fluss von Ware und Kapital aufgedrückt, ihnen die Bewährung als nationaler Anlageplatz für internationales Kapital zur Lebensaufgabe gemacht und so das trans-nationale Kapital geschaffen haben. Die Internationalisierung des Kapitals haben sie stets als Fortschritt und ihren Kapitalexport in alle Welt als Wohltat verstanden, die sie bei Widersetzlichkeit entziehen. Dabei haben sie nie verschwiegen, dass Geschäfte, die US-Firmen auf auswärtigen Standorten machen, zugleich die nationale Akkumulation im Herkunftsland befördern, und dass sie darüber hinaus Abhängigkeiten im Zielland stiften, also Wege eröffnen, in es hineinzuregieren. Ihnen steht das zu; und außerdem haben die Yankees stets zu deren Besten in die befreundeten Nationen hineingewirkt. Wenn aber nicht amerikanisches Kapital die Reichtumsquellen der Welt kauft, sondern ausländisches Kapital sich in den USA einkauft, steht die Wohltat aufs Zielland sehr in Frage. Die Schutzmacht des internationalen Kapitalismus kommt sehr direkt darauf zurück, dass, sobald es im zwischenstaatlichen Verkehr um Machtfragen geht, sich Fluch und Segen des Kapitals für die Nation ganz an der Frage der patriotischen Zugehörigkeit entscheiden. Ausländische Anleger aus unzuverlässigen Staaten, besonders Großfirmen und staatliche Kapitalfonds, stellt sie unter Verdacht, auf US-Boden nicht rendite-orientiert, sondern im strategischen Interesse ihres Herkunftslandes zu operieren und die amerikanische Sicherheit zu beschädigen – etwa so, wie sie es von ihren Konzernen im Ausland erwartet. Sicherheitsrelevant – blickt man erst einmal aus dieser Perspektive auf die Wirtschaft – erscheint dann fast alles:[3] Könnten ausländische Investoren militärisch nutzbare Produkte oder Technologien an ein missliebiges Ausland verkaufen oder sich technologische Geheimnisse aneignen und damit den Vorsprung der US-Waffen gefährden? Und welche Technologie hat bei heutigen High-Tech-Waffen schon keine militärische Bedeutung? Für die nationale Sicherheit ist dann nicht nur militärische oder „dual use“-Technik relevant, sondern alles, was im Wirtschaftleben wichtig ist: Man traut ausländischen Investoren zu, dass sie sich in den Öl-, Energie- und Transportsektor (Häfen, Flug- und Bahnlinien) einkaufen, um diese gegebenenfalls lahm zu legen und das Land über seine ökonomischen Lebensadern zu erpressen. Verletzlichkeit an irgendeiner Stelle darf sich die Supermacht aber nicht leisten, schließlich will sie andere Nationen ökonomisch verletzen und bestrafen können. Sie hütet ihre Freiheit zur Rücksichtslosigkeit, nicht nur gegenüber „Schurkenstaaten“ – die werden ohnehin von allem Geschäftsverkehr ausgeschlossen –, sondern gegenüber potenten und ambitionierten Partnern, vor allem China, Russland und arabischen Verbündeten.

Einen noch einmal anderen Charakter nimmt die Sorge um die nationale Sicherheit an, wenn sich folgende Gesichtspunkte in die Prüfung ausländischer Investitionen einmischen: Besteht die Gefahr, dass die USA durch den Verkauf (einer Firma) Wettbewerbsnachteile erleiden, die die nationale Sicherheit gefährden? ... Zudem findet Beachtung, ob das jeweilige Land mit den USA im Kampf gegen den Terrorismus zusammenarbeitet oder nicht. Da wird die Erlaubnis, im US-Teil der Weltwirtschaft Kapital anzulegen, davon abhängig gemacht, dass das Herkunftsland sich in Weltordnungsfragen als treuer Vasall der USA bewährt. Grenzüberschreitende Geschäfte sind keine Selbstverständlichkeit, sondern ein Privileg, das sich andere Nationen durch Gefolgschaft und Leistungen zur Stärkung der USA verdienen müssen. Nur imperialistisch kooperative Nationen sollen den amerikanischen Wirtschaftsraum nutzen und ihren Erfolg in der internationalen ökonomischen Konkurrenz suchen dürfen. Aber auch das nicht allzu sehr. Denn nun wird auch der Umstand, dass die US-Wirtschaft durch die ausländische Eigentümerschaft einer ihrer Firmen – wie auch immer – Wettbewerbsnachteile erleiden könnte, als Gefahr für die nationale Sicherheit erkannt. Den weltwirtschaftlichen Erfolg anderer beziehen die USA nicht wie bisher auf ihre Fähigkeit zum eigenen und klagen unfaire Konkurrenz an, wenn der fremde Erfolg zu groß, der eigene zu klein ausfällt. Sie beziehen fremden Konkurrenzerfolg direkt auf die nationale Macht, die daraus entsteht und die eigene Macht begrenzt. Die Sorge, dass ihrer Wirtschaft die Nutzung des Weltmarkts nicht mehr wie bisher gelingen könnte, tritt als Sicherheitsfrage auf, ist also gar nicht damit zu versöhnen, dass der Wirtschaftserfolg etwa Chinas zugleich Investitions- wie Absatzchancen für US-Kapital erzeugt und so – wenn es nur um Wachstum und Geld ginge – beide gewinnen könnten. Wo der fremde Wettbewerbserfolg als Sicherheitsproblem aufgefasst wird, wird er als Quelle von Macht betrachtet, und bei der geht ein Zuwachs der anderen Seite notwendigerweise auf Kosten der eigenen. Anders ausgedrückt: Die USA machen einen gesicherten ökonomischen Konkurrenzvorsprung vor anderen Staaten zur Bedingung ihrer nationalen Sicherheit. Sie verlassen sich keineswegs mehr darauf, dass sie diesen Vorsprung haben und über alle Konjunkturen der Weltwirtschaft hinweg immer wieder erneuern, sondern bestehen gegen die Resultate der Konkurrenz von Kapitalen und Kapitalstandorten auf ihrer Ausnahmestellung. Sie wissen von ihrem historischen Aufstieg noch gut genug, dass sich privatkapitalistischer Wirtschaftserfolg in den Reichtum der Nation und der wiederum in Mittel nationaler Macht übersetzt. Staaten, die sich allzu gut an die weltwirtschaftlichen Existenzbedingungen anpassen, die Amerika der Welt verordnet hat, die allzu erfolgreich konkurrieren und deren Wirtschaftskraft schnell wächst, geraten als Machtrivalen der Supermacht ins Visier. Sie bekommen mitgeteilt, dass ihr ökonomischer Erfolg Grenzen haben muss oder als Angriff auf die USA gewertet wird.

Das amerikanische Weltordnen – ein wüstes Zerstörungswerk

Das missionarische Programm, die Staatenwelt der Ordnung der Supermacht zu unterwerfen, mischt diese Welt auf. Die nützliche Ordnung, in der die zurechtgewiesenen und eingegliederten Staaten dann auch ihre Ambitionen verfolgen und nationalen Lebensmittel finden könnten, kommt aber nicht zustande.

Der Einsatz militärischer Gewalt hat locker ausgereicht, um die angegriffenen Staaten im Nahen Osten, ihre Machtmittel und das gesellschaftliche Leben, wie es bestanden hat, zu vernichten. An destruktiver Gewalt hat es nicht gefehlt. Nützlich für die Schaffung stabiler und proamerikanischen Staaten war sie gleichwohl nicht. In Irak und Afghanistan kämpfen religiöse und ethnische Gruppen gegen einander und gegen die Besatzer um die Macht. Die Errichtung eines neuen Staates ist eben etwas anderes, als die Vernichtung des vorgefundenen samt Exekution seines Spitzenpersonals. Das „nation buildung“ durch eine rüde Besatzungsmacht mündet in wechselnde Bürgerkriegslagen und ein offenes Ringen, schafft aber keine stabilen Verhältnisse vor Ort, denen sich die übrigen Staaten als einem fertigen Faktum anpassen müssten, die sie aber auch ökonomisch benutzen könnten.

Deswegen verfehlen die Kriege auch ihren weltpolitischen Auftrag. Die Supermacht hat die Staaten der Welt, vor allem die wichtigen, für ihre Feindschaften in Dienst nehmen wollen. Die Partner sollten Koalitionen der Willigen bilden, Hilfstruppen für die US-Kriege stellen, oder „irrelevant“ werden. Das ist misslungen. Den willigen Koalitionären bei der Invasion des Irak haben ihre zuhause unpopulären Hilfsdienste nichts eingebracht außer Opfern an Mensch und Material und oft haben sie den amtierenden Bush-Freund die Wiederwahl gekostet. Nach Regierungswechseln (Spanien, Italien) oder ohne (Großbritannien, Dänemark, Niederlande, Polen) zieht ein Bündnispartner nach dem anderen aus dem Irak ab und überlässt den Amerikanern ihr Chaos alleine. Auf der anderen Seite ist die von Frankreich und Deutschland demonstrierte Missbilligung des Irakkriegs zwar nicht zur von Bush und Rumsfeld angedrohten außenpolitischen Katastrophe geraten, als neuer Weg zu weltpolitischer Größe ist sie aber auch nicht gerade überzeugend ausgefallen. Die neuen Staatschefs der Verweigerer-Staaten probieren eine Wiederannäherung an die Bush-Administration; selbstverständlich aus der Position nunmehr bewiesener Selbständigkeit.

Die klare Durchsetzung in den ersten großen Kriegen des 21. Jahrhunderts, die den Staaten der Welt beweisen sollte, dass es eine Alternative zur Unterordnung unter die Weltordnungskompetenz der USA nicht gibt, lässt auf sich warten; und der ganze Ertrag der Kriegsära besteht bisher darin, dass das Ringen der Supermacht um die Gefolgschaft der zur Rivalität fähigen Großmächte weitergeht. Dieser Kampf steht wieder an seinem Ausgangspunkt; vorangekommen ist nur die amerikanische Unzufriedenheit damit – immerhin liegen zwei Kriege zwischen dem ursprünglichen Bedürfnis, die Rangordnung und Kommandolage unter den Nationen klarzustellen, und dem heutigen Nicht-Ergebnis. Dieses verstehen amerikanische Strategen als Beschädigung ihrer Abschreckungsfähigkeit, obwohl sie die Fähigkeit, widerspenstige Staaten auszulöschen, wirklich eindrucksvoll unter Beweis gestellt haben. Sie sehen es so, dass sie noch nicht genug Gewalt vor Ort ausgeübt haben, wenn sie noch immer auf Aufständische und Feinde ihrer Besatzung treffen. Je zweifelhafter der Sieg in Irak und Afghanistan wird, desto wichtiger wird er. Außerdem darf die Verstrickung in unvorteilhafte Kriegsschauplätze keine Zweifel daran wecken, dass die USA sich jederzeit auch einen dritten, vierten Krieg leisten könnten. Die schlechte Erfolgsperspektive der alten Kriege macht den nächsten nur dringlicher. Dass sie da immer noch mehr Zerstörungswerk in Aussicht stellen, ist den Verantwortlichen in Washington klar und egal. Sie kennen keine Alternative zu ihrem Kurs als eben: mehr davon! Die Schaffung einer nützlichen Weltordnung vertagen sie in eine ferne Zukunft, jetzt steht die Durchsetzung der Supermacht gegen entstandene Zweifel und gegen Eigenmächtigkeiten ihrer Aufsichtsobjekte und Rivalen an.

Oppositionspolitiker im Kapitol warnen bisweilen vor „imperial overstretch“ und fürchten, der endlose Kleinkrieg würde nicht nur die Länder des Nahen Ostens, sondern auch die Potenzen der Weltmacht zerstören; hohe Militärs werfen Bush vor, mehr Bodentruppen im Nahen Osten zu engagieren, als er dauerhaft in Einsatz halten kann; ihre Überbeanspruchung werde die Army auf Jahre hinaus schwächen. Solche Anklagen werden verstanden, wie sie gemeint sind; nämlich nicht als die Forderung, die Nation solle zurückzustecken, sondern als überaus konstruktive Selbstkritik der Supermacht: Der Präsident habe für Amerikas Durchsetzung den falschen Feind gewählt, den falschen Krieg geführt, sei, wenn schon, mit zu wenig Soldaten in den Irak eingefallen und habe zu spät erst die Truppen verstärkt. Die alternativen Strategen fragen, ob sich Amerikas Ziele nicht mit weniger Mitteln erreichen ließen, ob der Oberbefehlshaber die Truppen nicht besser aus dem Kleinkrieg um Bagdad heraushielte und Kräfte schonte, um, wo es darauf ankommt, wirklich klotzen zu können.

Das alles alarmiert die anderen Staaten: Die größte Macht des Globus wird im Furor ihres Weltordnens unberechenbar und hinterlässt immer mehr für jede Benutzung unbrauchbare Wüsteneien.

Die Indienstnahme der Weltwirtschaft für die US-Kriege beschädigt ihren Geschäftsgang und zersetzt ihre Geschäftsgrundlage

Auch gegen ruinöse Wirkungen auf den nationalen und internationalen Kapitalismus zeigt sich die US-Regierung ignorant. Sie kann keine Rücksicht nehmen angesichts dessen, was auf dem Spiel steht.

Zuerst beschädigen direkte Wirkungen des Krieges die globale Konjunktur. Irak, das Land mit den zweitgrößten Ölreserven der Erde, ist seit Jahren Kriegsschauplatz und fällt als Lieferant des Rohstoffs weithin aus. An der Grenze des halbwegs befriedeten, vom Rest des Landes nahezu abgetrennten kurdischen Nordens, aus dem noch Öl fließt, baut sich die Türkei mit 100 000 Mann auf und droht mit Einmarsch. Der drittgrößte Ölstaat, Iran, bekommt aus Washington Kriegsansagen übermittelt und droht seinerseits, im Fall eines Angriffs die Route der Ölversorgung durch den Persischen Golf zu blockieren. Da können Spekulanten gar nicht schief liegen, wenn sie auf steigende Ölpreise setzen und sie dadurch in die Höhe treiben. Der Rekordpreis für Öl erhöht die Kosten der Hersteller und absorbiert auf der anderen Seite die Kaufkraft des Publikums. An weltweit schwindenden Gewinnen und Umsätzen sollen jetzt die Chinesen schuld sein, weil die sich auch Öl kaufen können.

Zweitens behindert die Supermacht den Gang der Weltwirtschaft, wenn sie den freien Fluss von Waren und Kapital als Sicherheitsrisiko behandelt. Der Austausch von amerikanischen Firmen mit Ausländern, von Drittländern untereinander, die Investitionen kapitalistischer Staaten bei US-Feinden und die Investitionen von Ausländern in den USA, alles das will die kämpfende Nation nur noch zulassen, wenn sie die volle Kontrolle darüber hat und alles unterbinden kann, was auch nur möglicherweise dem Feind nutzen oder die eigene Kampfkraft schwächen könnte. Auf einem hergestellten Weltmarkt und bei voll entwickelter Internationalisierung des Kapitals verfügen die Amerikaner den Ausschluss ganzer Länder und verlangen von internationalen Akteuren die Beachtung eines kriegerischen US-Patriotismus bei Export, Import und Investitionen. Ihr Sanktionsregime verhindert, soweit es befolgt wird, profitables Geschäft und reduziert Wachstumsgelegenheiten auf dem Weltmarkt. Investitionsverbote und erzwungenes Desinvestment beschränken auf dem Feld des mobilen, global disponierenden Finanzkapitals das freie Ausnutzen der besten Gelegenheit, behindern den Geldfluss von Gläubiger zu Schuldner und zurück. Das alles passt schlecht zu einem internationalen Finanzsystem, das gerade auf dem freien Fluss des Kapitals beruht.

Der Anspruch, dass ökonomisch alles über die USA und unter ihrer Kontrolle zu laufen hat oder gar nicht, führt allerdings nicht nur zur geforderten „Compliance“. Banken in vielen Ländern finden Wege, die verordnete Geschäftsschädigung zu umgehen, indem sie Transaktionen über Russland, Indien oder die arabischen Emirate abwickeln. Unter diesen Auspizien reduzieren manche Firmen den Grad ihrer Verankerung in den USA, um weniger erpressbar zu sein. Daimler, wie ein Symbol für die nationale Rückbesinnung der globalen Konzerne, will nach der Auflösung seiner Verbindung mit Chrysler keine Welt-AG mehr sein. Andere große DAX-Konzerne verzichten darauf, ihre Aktien an der New Yorker Börse handeln zu lassen und ziehen sich vom weltweit wichtigsten Kapitalumschlagplatz zurück, an dem sie erst vor wenigen Jahren unbedingt präsent sein mussten. So wächst, auch reaktiv, der Standort-Patriotismus – als Flucht vor geschäftsschädigender Indienstnahme durchs amerikanische Gastland.

Diese Flucht ist ein, aber auch nur ein Grund dafür, dass inzwischen mehrere große Handelsnationen ihren Geschäftsverkehr vom Geld der Welt-Kontrollmacht zu lösen beginnen: Iran, Russland, partiell auch Saudi-Arabien möchten Öl künftig in Euro fakturieren, und viele Länder sind dabei, Währungsreserven aus der amerikanischen in vor allem die europäische Devise umzuschichten. Hinzu kommt nämlich, dass die Supermacht China verbietet, das Weltgeld, das es im Export nach Amerika verdient hat, so zu benutzen, wie es ihm frommt. Sie beschränkt damit die globale Verwendbarkeit ihres eigenen globalen Geschäftsmittels, denn es sind Dollars, die China verdient hat und in denen es Investitionsmittel und Währungsreserven hält. Der amerikanische Schöpfer des Dollar, von dessen internationaler Verwendung und Verankerung er so sehr profitiert, untersagt dem Erwerber den freien Gebrauch seiner Devise und beschränkt mit der Nützlichkeit seines Gelds dessen Weltgeldcharakter selbst: die Eigenschaft, weltweit Zugriff auf alles Käufliche zu gewähren. Es wird ein Risiko für Staaten, sich in Dollar bezahlen zu lassen bzw. Dollar zu besitzen, wenn sie es im Land des Emittenten möglicherweise nicht verwenden dürfen. Beide Vorbehalte gesellen sich zu dem fundamentaleren, dass gar nicht mehr so sicher ist, was ein Halter mit dem Dollar anstellen kann, ganz egal, was er damit anstellen darf. Es wird zweifelhaft, ob und wieviel weltweite Zugriffsmacht er im Geld der Supermacht noch in Händen hält. Langsam scheint die rücksichtslose Vermehrung der Dollar zur Finanzierung der Kriegskosten nämlich auch Wirkung zu zeigen. Die US-Regierung genehmigt sich jedes Jahr mehrere hundert Milliarden neue Kriegsschulden, zugleich ist sie ebenso lange schon gleichgültig dagegen, dass die konstant defizitäre Leistungsbilanz die Auslandsverschuldung des Landes wachsen lässt. Sie behandelt es wie ein selbstverständliches Privileg der USA, all die Prinzipien zu missachten, die in bürgerlichen Staaten sonst als Garanten solider Staatshaushalts- und Schuldenwirtschaft gelten und mehr oder weniger auch beachtet werden. Der Dollar hatte solche Selbstbeschränkung seiner Hüter nicht nötig; sie konnten ihn ohne Berechnung in den Dienst ihrer Kriegsfinanzen stellen und das Vertrauen, das er brauchte und genoss, auf die pure Macht über die Staatenwelt gründen, die ihre Kriege sicherstellten. Die US-Währung brauchte den Vergleich mit anderen Nationalgeldern nicht zu fürchten, spielte in einer anderen Liga, solange die USA das alles andere weit überragende Zentrum des Weltkapitalismus, für Geldanleger also ziemlich alternativlos waren und solange zweitens ihre militärische Durchsetzungsfähigkeit jenseits aller Bezweiflung war. Beide Bedingungen scheinen so eindeutig nicht mehr gegeben zu sein. Nun wird der Dollar in Zeiten von Krieg und drohender Krise nicht mehr von den Vermögenden aller Länder als letzter Wertgarant und sicherer Hafen gesucht, vielmehr spekuliert die globale Finanzmafia mit der und auf die Schwäche des Dollars. Und die berühmten Experten sehen im gegenwärtigen Wertverfall des Dollar schon mehr als das übliche konjunkturelle Auf und Ab der Wechselkurse und befürchten, einem Umschlag von Quantität in Qualität beizuwohnen: Die Abwertung, wenn sie schnell genug von statten geht und weit genug reicht, droht zu einem Verlust der Qualität des Dollar als Leitwährung der Weltwirtschaft zu führen. Tatsächlich erhoffen sich die Beobachter aus den Konkurrenznationen nicht den Absturz der Leitwährung auf eine qualitative Gleichrangigkeit mit ihren Währungen und auch nicht das damit einhergehende Ende der unbeschränkten Verschuldungs- und Geldschöpfungsfähigkeit, mit der US-Regierungen seit Generationen alle erforderlichen Gewaltmittel und Kriege für ihre Vorherrschaft finanziert haben. Die Konkurrenten fürchten das Ende dieser Sonderstellung, denn angesichts der Dollarsummen, die sie als Währungsreserven halten, käme ein Dollarverfall einer rasanten Entwertung ihrer Reserven gleich. Außerdem wäre es das Ende der Weltkonjunktur, in der viele, wenn nicht alle großen kapitalistischen Staaten Wachstum durch Exporte in die USA erzielen, für die sie sich mit Dollar bezahlen lassen. Wenn sie diesem Geld nicht mehr trauen, oder wenn sie es nur noch in stark abgewerteter Form als Bezahlung für ihre Ausfuhren akzeptieren, kann Amerika nichts mehr kaufen und sie können nichts mehr verdienen.

Die Investitionsverbote der USA und ihre Behinderung des globalen Geschäftsverkehrs wirken schließlich zersetzend auf die politische Geschäftsgrundlage des Weltkapitalismus. Wenn amerikanische Stellen deutsche Firmen direkt angehen und zur Aufgabe ihrer Geschäfte mit Iran „überreden“, ist das, nicht nur im Urteil empörter Nationalisten, ein Angriff auf die Souveränität der Bundesrepublik. Immerhin beschädigen sie damit nicht nur deutsche Geschäfte und reduzieren Quellen deutschen Wachstums, sie bestreiten zudem der Berliner Regierung die politische Macht, die aus wirtschaftlichen Beziehungen erwächst. Die will den Zugriff auf ihre nationalen Kapitale schließlich selbst nutzen und über Erlaubnisse und Verbote beim Exportieren und Investieren Druck auf andere Staaten ausüben und Wohlverhalten belohnen. Wenn Washington dieses Privileg für sich reserviert, erhebt es Einspruch gegen die Übersetzung hergestellter ökonomischer Abhängigkeiten in politischen Einfluss. Die Partner und Konkurrenten der Weltmacht bekommen mitgeteilt, dass sie – soweit genehmigt – Geschäfte machen und sich als Nationen bereichern dürfen, dass ihnen dadurch aber keine Macht über andere Mitglieder der Staatenwelt zuwachsen darf, sofern diese der US-Regierung nicht genehm ist. Wenn diese Regierung dann noch den Chinesen und Russen Investitionen in wichtige Branchen ihrer Wirtschaft verbietet, weil sie den amerikanischen Konkurrenzvorsprung und dadurch die nationale Sicherheit beschädigen könnten, teilt sie diesen Wirtschaftspartnern mit, dass ihr deren ökonomische Erfolge zu weit gehen.

Mit beidem kündigen die USA eine Grundlage der weltwirtschaftlichen Konkurrenz der Nationen, die sie selbst eingerichtet haben. Dem Verbot der Handelsdiskriminierung, der exklusiven Zonen, und dem Gebot, sich der ökonomischen Konkurrenz anderer Staaten zu stellen, entsprach die Erlaubnis, das eigene Gewicht und den eigenen Rang im Konzert der Staaten auf diesem „unpolitischen“ Weg zu mehren. Jetzt ziehen die USA der zwischenstaatlichen Konkurrenz Grenzen, weil sie den Erfolg gewisser Mitspieler in einen Zuwachs an Macht umrechnen und als Angriff auf ihre Stellung nehmen.

Weil und wo immer sie mit Ausschluss und Konkurrenzverbot anfangen, provozieren sie neue wirtschaftliche Bündnisse gegen sich, exklusiven nationalen Zugriff und die Auflösung der Weltwirtschaft in Einflusszonen. Seitdem sie im Nahen Osten und in Zentralasien um den ausschließlichen Zugriff auf die Energiereserven der Welt kämpfen, will sich kein großer Staat mehr darauf verlassen, dass Erdöl auf den Weltmarkt zu kaufen ist. Jeder sucht Sonderbeziehungen zu Ölstaaten, besteht auf langfristigen zwischenstaatlichen Lieferverträgen und auf Garantien, dass die auch eingehalten werden. Und auf die vertraut eine bessere Macht letztlich nur, wenn sie den Lieferanten gleich in den eigenen Machtbereich eingemeinden und unter Kontrolle nehmen kann. Reaktiv subsumieren nun auch andere Staaten, die sich das leisten können, ihre Geschäftsbeziehungen unter den Standpunkt der nationalen Sicherheit. Gerade wichtige Geschäftsbeziehungen werden daraufhin überprüft, welcher Partnerstaat sich durch sie auf Kosten des anderen als Macht stärkt und welcher in Abhängigkeiten gerät. Alle großen Staaten verlangen im Maß ihrer Kapitalmacht Einfluss auf die Partner und verbitten sich genau dasselbe von deren Seite. Inzwischen lässt Russland keine ausländischen Übernahmen bei der Erschließung neuer Öl- und Gasfelder mehr zu und erlaubt nur noch Minderheitsbeteiligungen; Gasprom darf sich nicht in die deutschen und europäischen Erdgasnetze und andere Energie-Infrastruktur einkaufen. Deutschland und die EU basteln an allgemeinen Gesetzen, mit denen trotz des freien Kapitalverkehrs Investitionen allzu potenter Ausländer – man zielt auf Staatsfonds aus Russland und China – unterbunden oder dagegen gesichert werden können, dass mit dem Geld irgendein Einfluss verbunden ist.

Statt sie zu beenden, eröffnen die USA eine neue Ära der imperialistischen Konkurrenz

Mit keiner ihrer militärischen, bündnispolitischen und ökonomischen Kriegshandlungen setzen sich die Amerikaner einfach durch. Sie wecken Widerstand, militanten in der islamischen Welt, der sie ihre ganze Räson und Lebensweise bestreiten; berechnendes Widerstreben bei alten Verbündeten, beim einstigen großen Feind sowie bei den weltpolitischen Aufsteigern aus Asien. Die zur Rivalität fähigen Mächte haben die Herausforderung verstanden: Die USA versuchen, die Machtfrage zwischen den Staaten endgültig zu entscheiden, sich das Monopol auf die Anwendung kriegerischer Gewalt und das Vorrecht auf die wirtschaftliche Eroberung der kapitalistischen Reichtumsquellen zu sichern. Die sogenannten Partner wissen, dass bei einem Erfolg dieses Programms ihre bisherigen Erfolge auf Sand gebaut sind und jederzeit widerrufen werden können; gar nicht zu reden von ihren weiterreichenden Ambitionen. Eine Nation, die ihren Konkurrenzerfolg in der Weltwirtschaft sucht, – das steht für sie jetzt fest – muss sich um die Sicherheit ihrer auswärtigen Benutzungsverhältnisse mit eigenen Machtmitteln kümmern; und sich dafür auch mit den USA anlegen.

Längst kopieren Partner und Rivalen die Praxis der Supermacht: Auch sie scheuen nicht zurück vor universeller Einmischung, wo immer ihre Interessen auf dem Spiel stehen – und das ist überall. Und überall treffen sie auf Soldaten und Diplomaten der USA, die dort längst eingemischt sind und Einfluss ausüben. Die nationalen Akteure testen aus, wie weit sie mit ihren wirtschaftlichen und politischen Hebeln in andere Länder hineinwirken und dadurch auf ihre Kosten kommen können; und stellen oft genug fest, dass ihre Einflussmittel in Konkurrenz zu den amerikanischen einfach dürftig sind. Europäische „Mittelmächte“, Russland, China und andere suchen nach Wegen, durch eine Kooperation unter sich die Macht der USA zu beschränken, um die eigene zu vergrößern; die Verlegenheiten der Supermacht auf ihren Schlachtfeldern sowie die Verletzlichkeit ihrer ökonomischen Basis hoffen sie als Gelegenheiten dafür zu nutzen. Zugleich verbindet die antiamerikanischen Widerständler keine gemeinsame Sache, sondern eben nur, dass sie allesamt an der Übermacht der USA leiden. Jeder ist daher zugleich in Sorge, dass er bei der Aufteilung der Welt dem Partner einen zu großen Teil lassen könnte, und kalkuliert ebenso wie mit diesem gegen die US-Vormacht auch umgekehrt gegen ihn ein Zusammengehen mit den USA.

Dass es um nichts Geringeres als die Aufteilung der Welt zwischen den imperialistischen Mächten geht, sprechen sie selbst aus, wenn sie ihre außen-, bündnis- und militärpolitischen Aktivitäten als ein Bemühen um die Weltordnung bezeichnen. Das tun die USA, wenn sie sich als „indispensable nation“ präsentieren, unverzichtbar, um der Welt eine Ordnung zu geben, wie ihre Rivalen, die einhellig das Modell einer „unipolaren Weltordnung“ ablehnen und höflich für eine „multipolare“ plädieren, wie wenn es um einen Wettbewerb der Modelle ginge. Allen ist klar, dass unter dieser Überschrift nicht um dieses oder jenes Interesse des einen oder andren Staates gerungen wird, sondern um den Erwerb oder die Verhinderung eines Status als Weltmacht, mit dem dann auch entschieden ist, welcher Staat welchem anderen etwas zu sagen hat bzw. sich von anderen sagen lassen muss. Da wird die Hierarchie von Herrschaft und Unterordnung in der Staatenwelt ausgekämpft.

In dieser Hinsicht meinen ihre Anhänger die multipolare Weltordnung ernst. Sie halten es für unverzichtbar, ein US-Gewaltmonopol über den Globus zu verhindern und sich ihre Freiheit zur Gewaltanwendung zu erhalten. Weil es angesichts der Verteilung der Gewaltmittel aber jenseits aller Vorstellung liegt, gleich sich selbst als Monopolist globaler Gewalt an die Stelle der USA zu setzen, und weil sie zur Bremsung der Supermacht ihresgleichen brauchen, bekennen sie sich treuherzig zu dem Widerspruch einer multipolaren Beherrschung der Staatenwelt, so als ob das eine Form zwischenstaatlicher Demokratie wäre.

Kaum in Aktion haben dieselben Freunde der Multipolarität überhaupt nichts übrig für Macht und Machtgewinn, die ein anderer Pol aus der Zusammenarbeit gegen den amerikanischen Unipolarismus ziehen könnte. Großbritannien, Frankreich, Deutschland ernennen Russland und China zu strategischen, d.h. in Macht- und Gewaltfragen interessanten Partnern und fordern diese auf, sich der strategischen Partnerschaft verlässlich zu verpflichten. Dabei legen sie selbst großen Wert darauf, sich überhaupt nicht zu binden und zu nichts zu verpflichten. Das demonstriert Frau Merkel, wenn sie nach Peking reist, in gutem Klima Partnerschaft beschwört und Felder der Kooperation ausbaut und dann, kaum in Berlin zurück, den Dalai Lama empfängt; oder wenn sie kurz nach einem Moskau-Besuch das russische Innenleben als Scheindemokratie an den Pranger stellt. Diplomatie gegenüber dem strategischen Partner wird zum Test darauf, was der andere als Rückendeckung gegen amerikanische Zumutungen hergibt und wieweit er sich dem eigenen weltpolitischen Kalkül zu- und unterordnen lässt; also auch zu einem Test darauf, wie dringend er sich auf den fordernden Partner angewiesen sieht. Dafür ist die Brüskierung seiner Rechtsstandpunkte gerade recht: Merkel und Sarkozy spielen gegenüber Mächten gleichen Ranges den Aufpasser auf richtiges Regieren und rücken die geschätzten Partner in die Nähe illegitimer Gewaltherrschaft. Russen und Chinesen demonstrieren ihrerseits, dass sie nicht alternativlos auf die Europäer setzen und sich nicht zurechtweisen lassen. Putin kopiert die Dialektik dieser Diplomatie, indem er an einem Tag in Brüssel versichert, neue Sanktionen gegen Iran zu unterstützen, am nächsten in Teheran, dass niemand dem Iran das unveräußerliche Recht auf die friedliche Entwicklung der Atomtechnologie absprechen dürfe. Die chinesische Führung lässt Termine platzen und gibt Formen diplomatischer Vorzugsbehandlung gegenüber Deutschland auf. Die Partner, die einander unbedingte Verlässlichkeit abfordern, werden für einander dadurch sehr unzuverlässig. Jeder fordert vom andere Berechenbarkeit; keiner bietet sie und keiner bekommt sie. Zu einem wirklichen Bündnis und einer entsprechenden Frontstellung – sei es gegen die USA, sei es mit ihnen gegen eine andere ausgeschlossene Partei – ist keine Seite bereit.

Zur Suche nach der richtigen strategischen Aufstellung kommt im Inneren die Selbstkritik der großen Mächte, die sich durch das Weltordnen der USA herausgefordert sehen. Die USA geben nämlich den Maßstab imperialistischer Konkurrenzfähigkeit vor, an dem sich messen lassen muss, wer sich ihnen verweigern oder widersetzen will. Und da können die herausgeforderten Konkurrenten nur feststellen, dass ihnen von der Art und Menge der Waffen über die Größe und globale Präsenz der Waffenträger bis hin zum Geld Entscheidendes abgeht. Das treibt sie nicht unbedingt zur Vorsicht, sondern zu heftigen Anstrengungen, ihre imperialistischen Defizite aufzuarbeiten. Die sind bei jeder Macht andere. Die Europäer laborieren daran, dass sie noch immer ihre nationalen Machtmittel nicht zusammenlegen, keine europäische Außen- und Verteidigungspolitik haben, weil sie unter einander kein Herrschaftsverhältnis mit klarem Kommando hinbringen. Jedes der großen Mitgliedsländer fordert eine europäische Außenpolitik, europäische Verteidigung, europäische Waffenentwicklung – die seine nämlich – und treibt seine Einigung des Kontinents gegen die anderen mit den Mitteln voran, die die Union ihm dafür bietet, also nicht gerade durchschlagend.[4] Die russische Führung sieht sich nach wie vor genötigt, ihren inneren Staatszusammenhang, also den Zugriff des Kreml auf das Land zu sichern sowie auf das nähere postsowjetische Umfeld aufzupassen. Außerdem wirft sie die versprochene, von den NATO-Staaten nicht honorierte Selbstbeschränkung bei der konventionellen Rüstung über Bord und entwickelt Techniken zur Neutralisierung der amerikanischen Raketenabwehr. China lernt, dass es dringend die Volksbefreiungsarmee modernisieren und sich in der Welt Partner für seine Rohstoffversorgung verpflichten muss; dass dieses Unternehmen aber nur gelingen kann, wenn es ihnen auch Existenzgarantien zu geben vermag.

Ansonsten brauchen alle ein eigenes Satelliten-Navigationssystem und müssen dringend auf den Mond. Anlässlich Amerikas Aufbruchs feiert Hitlers Devise ein großes Comeback: Weltmacht sein – oder gar nicht.

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„Heute möchte ich über etwas anderes reden: über die Wichtigkeit des Finanzsystems für unsere nationale Sicherheit. Globale Finanzströme wachsen schnell und übertreffen bei Weitem den Handel mit Waren und Dienstleistungen. Das ist ein positiver Trend; offener Finanzverkehr und freier Handel befördern die ökonomische Sicherheit und den Wohlstand der Menschen in diesem Land und in der Welt. Aber Übeltäter versuchen dieses globale Finanzsystem für ihre unrechten Absichten zu missbrauchen. Die Finanzwelt und die Welt des Terrors und der Weiterverbreitung von Waffen treffen zusammen in diesem System, das Wohlfahrt daheim und auswärts stiftet. ...
Nun ist das Finanzministerium ein entscheidender Pfeiler in der außen- und sicherheitspolitischen Strategie des Präsidenten. ... Unser Finanzsystem gewährt uns enorme Möglichkeiten, weil Technologie und Integration es für jeden, der das Finanzsystem benutzt, schwerer gemacht haben, sich zu verstecken. Das macht die geheimdienstliche Aufklärung in diesem Sektor zu einem besonders wertvollen Werkzeug, um Übeltäter zu entdecken und zu stoppen. ... Unsere Finanzmaßnahmen haben vorzeigbare Wirkung gegenüber Bedrohung gezeitigt, die von terroristischen Gruppen über Drogenkartelle bis zu gefährlichen Regimes wie Nord Korea und Iran reichen. Diese neue Strategie benutzt auf das Betragen bezogene, auf Geheimdienstmaterial gegründete, gezielte finanzielle Maßnahmen, um die Macht des Privatsektors einzuspannen und die Grundlage für multilaterale Koalitionen zu schaffen; so fügen wir unseren nationalen Sicherheitsanstrengungen eine innovative finanzielle Dimension hinzu. Der Finanzminister kann die Werkzeuge effektiv nutzen, vor allem weil die USA Hauptumschlagplatz des Weltfinanzsystems sind. ...
Die Wirkungen dieser gezielten Maßnahmen sind auf verschiedenen Niveaus zu bemerken, manche offensichtlich, andere weniger. Ganz direkt, wenn die USA einen terroristischen Unterstützer oder einen Waffenhändler identifizieren; dann müssen US-Einrichtungen oder Bürger, wo immer niedergelassen, die Vermögenswerte der Zielperson einfrieren und aufhören, mit ihr Geschäfte zu machen. Angesichts der herausragenden Stellung des Finanzsystems der USA kann dies ernste Folgen haben.“ (Rede des US Finanzministers Paulson in New York am 14.6.2007)

[2] Im Verlauf seiner Rede kommt Mr. Paulson richtig ins Schwärmen darüber, wie erfolgreich er private Banken mit dem Verweis auf Gefahren, die ihren Geschäften drohen könnten, zu der „Klugheit und Integrität“ erpressen zu vermag, ganz „freiwillig“ seinen Auflagen Folge zu leisten, und wie er mit deren Einknicken wiederum die widersetzlichen Staaten auf Kurs bringt:

„Der Privatsektor, mit soliden Beweisen konfrontiert, kann viel schneller handeln als Regierungen, denen oft die nötigen Zuständigkeiten oder der politische Wille fehlen, eigene Maßnahmen zu ergreifen. ... Die meisten Spitzeninstitute der Weltfinanz haben ihr Irangeschäft nunmehr dramatisch reduziert oder ganz aufgegeben. Größtenteils sind sie rechtlich nicht verpflichtet, diese Schritte zu tun, sondern haben sich aus Klugheit und Integrität entschlossen, dass sie nicht die Banker eines solchen Regimes sein wollen. Den Banken, die beschlossen haben, Geschäfte auf Dollar-Basis zu beenden, Irans Transaktionen aber in anderen Währungen ausführen, würde ich sagen, dass das Risiko, Irans Geschäfte durchzuführen, in jeder Währung gegenwärtig ist.
Sobald einige im Privatsektor sich entschlossen haben, die von uns Identifizierten vom Geschäftsverkehr auszuschließen, wird es ein umso größeres Risiko für die Reputation anderer, nicht zu folgen; also tun sie es oft. Solch freiwilliges Mitmachen des Privatsektors lässt es wiederum Regierungen noch mehr geraten erscheinen, ähnliche Maßnahmen zu verordnen; so schafft man einen sich wechselseitig verstärkenden Zirkel privaten und öffentlichen Handelns.“ (Ebd.)

[3] Hier die Liste der alten und neuen Prüfkriterien, die das „Committee on Foreign Investment in the United States“ anlegt: Werden die Produkte des Unternehmens zur Erfüllung der nationalen Sicherheitsbestimmungen benötigt? Wird durch einen möglichen Verkauf ins Ausland die Fähigkeit zur nationalen Verteidigung eingeschränkt? Werden durch die Kontrolle des Unternehmens durch ausländische Investoren nationale Sicherheitsinteressen gefährdet? Besteht die Gefahr, dass militärische Güter und Technologien in Staaten abwandern, die den Terrorismus unterstützen oder chemische oder biologische Waffen herstellen? Besteht die Gefahr, dass die USA durch den Verkauf Wettbewerbsnachteile erleiden, die die nationale Sicherheit gefährden? ... Künftig muss das CFIUS sechs weitere Kriterien berücksichtigen. So muss es beispielsweise prüfen, ob es sicherheitsrelevante Auswirkungen auf US-Infrastruktur einschließlich wichtiger Energieressourcen gibt. Außerdem muss eruiert werden, ob der Zugang zu wichtigen Rohstoffen und Materialien beeinträchtigt wird. Zudem findet Beachtung, ob das jeweilige Land mit den USA im Kampf gegen den Terrorismus zusammenarbeitet oder nicht. (Wie die USA gegen ausländische Investoren vorgehen, FTD.de, 23.10.2007.)

[4] Siehe GegenStandpunkt 2-07, EU 2007 – Fortschritte und Verlegenheiten des Projekts ‚Weltmacht Europa‘.