Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Wahlen in Kärnten:
Ein einst verteufelter Rechtspopulist gewinnt die Wahlen und damit den Respekt der Altparteien

Die für Österreich „wichtigste Frage des Wahljahres“ wurde im März entschieden: Jörg Haider „darf an die Macht“. …

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen

Wahlen in Kärnten:
Ein einst verteufelter Rechtspopulist gewinnt die Wahlen und damit den Respekt der Altparteien

Die nach Auskunft von Profil und anderen Meinungsmachern für Österreich „wichtigste Frage des Wahljahres“ wurde im März entschieden, drei Monate vor den Wahlen zum EU-Parlament und sechs vor denen zum Nationalrat: Jörg Haider darf an die Macht. Acht Jahre, nachdem die Konkurrenz dessen „Sager“ über die ordentliche Beschäftigungspolitik der Nazis zum Anlaß genommen hatte, ihn wie einen Hund fortzujagen (Haider), haben 42% der Kärntner sich den Chef der FPÖ erneut als Landeshauptmann gewünscht. Der Überzeugungskraft dieser neuen Mehrheitsverhältnisse mag sich die politische Konkurrenz denn auch nicht verschließen. SPÖ und ÖVP sind zu der Auffassung gelangt, daß es ein Gebot der politischen Klugheit sei, dieses Votum der Bevölkerung zur Kenntnis zu nehmen (Der Ex-Bürgermeister von Wien, H. Zilk). Liegt da also wieder einmal ein Fall von demokratischem Opportunismus vor?

Einerseits ja. Was der Alt-Bürgermeister da als die für Österreichs Parteien ganz selbstverständliche Konsequenz aus dem Wahlsieg Haiders folgert, ist die der Demokratie eigentümliche politische Vernunft, wonach der Erfolg beim Stimmenfang dem Politiker recht gibt und aus dem einstmals faschismusverdächtigen FPÖ-Politiker einen glaubwürdigen und respektablen Staatsmann werden läßt. Das 42%ige Wählervotum in Kärnten beweist den Parteien wie auch der Öffentlichkeit, daß Haider moralisch und rechtlich Anspruch auf das höchste Kärntner Amt erworben habe, und es bewirkt landesweite Einigkeit darüber, daß endlich Schluß sein müsse mit der Spaltung des Landes. Österreichs Parteien nehmen auf diese Weise Abstand von ihrer bisherigen Ausgrenzungspolitik gegenüber dem einst als Neonazi verteufelten Konkurrenten – zumal sie einsehen mußten, daß sie immer Wahlen verloren, weil (sie) Haider ausgegrenzt haben.

Andererseits nein. Ihren demokratischen Konsens verraten die zu solchen Einsichten fähigen Parteien keineswegs, wenn sie sich vom Wahlerfolg Haiders beeindrucken lassen. Sein Wahlerfolg zeugt schließlich davon, daß seine Fundamentalopposition gegen die laufende Politik Österreichs, mit der er sich in der Vergangenheit unbeliebt gemacht hat, mittlerweile in Österreich salonfähig geworden ist. Und dazu haben sie maßgeblich mit ihrer Politik beigetragen, die die Alpenrepublik seinen Ansprüchen immer gemäßer gemacht hat. Umgekehrt bietet das heutige Österreich keine Angriffsfläche mehr für grundsätzliche nationalistische Zweifel an seiner Ausrichtung, seinem Erfolgsweg und seiner Führung:

  • Daß Österreich eine von den Siegermächten zu verantwortende „Mißgeburt“ sei, muß Haider heute ebensowenig beklagen, wie er noch die Forderung nach einer Beseitigung der Kuratel der Alliierten aufzustellen bräuchte. Beides ist überholt, nachdem Österreich EU-Vollmitglied ist und erfolgreich am Euro-Imperialismus partizipiert. Die gleichberechtigte Teilnahme an weltweiten Friedensmaßnahmen als – bis auf weiteres – neutraler Partner der Nato wird von der Großen Koalition zügig vorangebracht. Deswegen hält Haider mittlerweile im Einklang mit sämtlichen österreichischen Politikern die Entwicklung der Nation explizit für eine Erfolgsstory. Wobei diese seiner Auffassung nach selbstverständlich noch eindrucksvoller ausfallen könnte, wenn die Regierungsparteien die österreichischen Interessen gegenüber der „Brüsseler Bürokratie“ nur endlich mal anständig vertreten würden. Diese Kritik an Europa – Ausländer entscheiden über die Belange der eigenen Nation und zwar solche, denen es bei ihren Entscheidungen nur um ihre von „uns“ gutbezahlten Posten zu tun ist – ist nun wirklich jedem aufrechten Europäer geläufig.
  • Eine „Null-Zuwanderung von (Nicht-EU-)Ausländern“ braucht Haider heute schon deswegen nicht mehr zu fordern, weil sie nun schon vom dritten sozialdemokratischen Innenminister in Folge unter dem Titel Integration vor Zuwanderung durchgesetzt wird. In der Frage des von ihm auf die politische Tagesordnung gesetzten Abwehrkampfes gegen slowenische Überfremdung stellt die Süddeutsche Zeitung mittlerweile lakonisch fest, daß es den Kärntner Slowenen unter der Regentschaft Haiders besser ergangen (sei) als bei SPÖ und ÖVP.
  • Die Vergangenheitsbewältigung hat einen Verlauf gefunden, bei dem sich kein gestandener Nationalist von dieser Veranstaltung mehr angegriffen fühlen muß. Wer sich ihr stellt und gewisse Übertreibungen im faschistischen Gebrauch der Staatsgewalt als überflüssige Taten eines verrückten Führers anerkennt, darf als durchaus respektierten Beitrag zu ihr sein Bedürfnis anmelden, die Opferbereitschaft der Kriegsgeneration als Vorbild für die heutige Jugend in Ehren zu halten. Er bricht damit kein Tabu mehr, sondern spricht das Selbstbewußtsein eines Nationalismus aus, der in der Bewältigung seiner Vergangenheit das ultimative Verfahren erkannt hat, sich ideologisch ins Recht zu setzen. Haiders Kampf für die Freiheit von Kunst und Kultur, also gegen die linke Schickeria und ihre politischen Nährväter, gegen Kärnten-Beschimpfer und Geschichtsverdreher im In- und Ausland, die von Kärntner Steuergeldern leben, geht selbstverständlich weiter. Nur fällt er damit nicht mehr sonderlich aus dem Rahmen.
  • Und was die „ordentliche Beschäftigungspolitik“ der Nazis betrifft: Die Verschärfung der Zumutbarkeitsbestimmungen für Arbeitslose, die er 1991 in jener Parlamentssitzung, die dann zu seiner Absetzung führte, zwecks Bekämpfung von Sozialschmarotzertum gefordert hatte, ist von der Bundesregierung längst realisiert worden – ganz ohne historische Reminiszenzen und deswegen auch gänzlich unbehelligt von entsprechenden Anwürfen. Denn daß Beschäftigungspolitik nicht zur Alimentierung unpatriotischer Nichtstuer da ist, sondern zur Mobilisierung der Arbeitskraft der Nation für deren Reichtum, eint schließlich bürgerliche Politiker jeglicher Couleur. Nur über die Wege dahin herrschen eben mitunter Differenzen vor. Und da hat Haider in seinem diesjährigen Kärntner Wahlkampf einen neuen vorgeschlagen: 5700 Schilling monatlich pro Kind für jede österreichische Mutter hat Haider vorgeschlagen. Mit diesem „Kinderbetreuungsscheck“ wäre zum einen die Aufzucht des nationalen Nachwuchses gewährleistet und zum anderen der Arbeitsmarkt entlastet. Haider selbst hält das für einen gelungenen Schlag gegen den Sozialismus der SPÖ, der erreicht hat, daß beide Elternteile gezwungen werden, berufstätig zu sein. Die FAZ wiederum z.B. sieht darin eine Fortführung des alten sozialistischen Staatsinterventionismus auf Kosten solider Staatsfinanzen. Lechts und rinks kann man eben immer wieder leicht velwechsern.

Alles in allem: Außenpolitisch, ökonomisch und ideologisch, in allen Bereichen sieht sich die österreichische Nation seit der und durch die Teilhabe an Europa gegenüber früheren Jahren wesentlich vorangekommen – und genau das läßt Haider und seine Fundamentalopposition von damals heute so stinknormal „regierungsfähig“ aussehen. Und deswegen zählt beim Wähler plötzlich das Argument von der jungen, unverbrauchten Kraft gegen den Klüngel von SPÖ und ÖVP. Die ÖVP ermöglicht seine Wahl zum Landeshauptmann – natürlich nicht ohne Gegenleistung –, und für die Herbstwahlen verkünden jedenfalls derzeit SPÖ-Innenminister und ÖVP-Vizekanzler gleichlautend, in puncto Koalition nichts ausschließen zu wollen.

Da stellt sich manchem Zeitgeistpfleger aus dem großen befreundeten Nachbarland doch nachträglich die Frage, ob die Politik in Österreich nicht aus einer Mücke einen Elefanten gemacht habe:

„Man hat Haider mystifiziert, seinen Schatten ins Monströse vergrößert, und so seinen Triumph unfreiwillig aufgebläht. Dabei ist der Mann ziemlich verschlissen, und hätte er in Kärnten nicht gesiegt, wäre dies wirklich eine Schicksalswahl geworden, der Anfang vom Ende seiner politischen Existenz“. (SZ, März 99)

Als strategischer Denker, der bestens darüber Bescheid wissen will, wie demokratische Parteien ihren Monopolanspruch auf die Macht erfolgreich behaupten können, weist der Mann von der Süddeutschen Zeitung der österreichischen Politik einen dummen Fehler im Umgang mit einem von ihr nicht bestellten Konkurrenten nach: Gemäß seinem demokratischen Manipulationsideal, demzufolge ein politischer Standpunkt in der Demokratie nur soviel Aufmerksamkeit genießt, wie die offizielle Politik ihm an Aufmerksamkeit schenkt, hätten die Altparteien ihn gar nicht erst bekämpfen sollen. Dann hätte Haider von Anfang an so alt ausgesehen wie sie. Hätte der Herr Redakteur halt Klima und Schüssel rechtzeitig angerufen.

PS.:

Dezember 1993: Das Jahr hat mit einem Ausländer-Volksbegehren der FPÖ begonnen und mit Briefbomben geendet, hatte damals LIF-Chefin Schmidt die „populistische“ Sympathiewerbung ihres Konkurrenten Haider von der anderen – erfolgreicheren – liberalen Partei gegeißelt. Die österreichische Presse gab ihr unter dem aktuellen Eindruck der Attentate weitgehend Recht.

März 1999: Fünf Jahre später und wenige Tage vor der Landtagswahl in Kärnten wird in Graz der Briefbombenverschicker und Roma-Killer Franz Fuchs zu lebenslanger Haft verurteilt. 455 mal sagten die Geschworenen ja zur Alleinschuld des Angeklagten. Jeder Zweifel ist ausgeschlossen. Ein Ergebnis, wie es sich das Gericht eindeutiger nicht wünschen konnte. (Format, 11/99) Die Auffassung des Gerichts, es handele sich um die unerklärliche Tat eines geistig verwirrten Einzeltäters, stiftet große Zufriedenheit.

Uns fällt dazu nur ein: Einer, der 1999 meint, auf eigene Faust, mit selbstgebastelten Sprengsätzen, im Stich gelassen von seiner Regierung, verraten von der Opposition gegen die Ausländerflut ankämpfen zu müssen, die seine ihr schutzlos ausgelieferte Alpenrepublik zu überrollen droht, der leidet wirklich unter massivem Realitätsverlust.