Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Die Wahl zur Hamburger Bürgerschaft:
Richter Schill bringt die Volksfront für innere Sicherheit voran

Was alle Kandidaten eint: nach dem 11.9. steht die innere Sicherheit und deren Ausbau ganz oben auf der politischen Agenda. Totale Kontrolle und lückenlose Aufsicht über das, was das Volk so treibt, ist keine Spezialität des Faschismus, in Hamburg und anderswo vielmehr ein ausgezeichnetes Wahlkampfargument.

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Die Wahl zur Hamburger Bürgerschaft:
Richter Schill bringt die Volksfront für innere Sicherheit voran

Bei der diesjährigen Wahl zu Hamburger Bürgerschaft ist etwas schief gelaufen. Die Wähler haben die SPD abgestraft und die CDU nicht belohnt (SZ, 25.9.01). Dabei ist es doch eigentlich ihre Aufgabe, durch gelegentlichen Wechsel für Kontinuität zu sorgen. Anstatt sich aus dem Milieu der Volksparteien (SZ) einen neuen Chef zu wählen, haben sie für das „Schwinden“ dieses Milieus gesorgt, indem sie viel zu viele Stimmen einem gutaussehenden Neuling, politischen Egozentriker, Dilettanten, Rechtspopulisten und Scharlatan gegeben haben: Dem Hamburger Richter Schill und seinem Verein Rechtsstaatliche Offensive. Der bestreitet seinen Wahlkampf mit einem Thema – innere Sicherheit – und wird nicht müde, dem Wahlvolk einzuhämmern, wie gefährlich es sich wegen der vielen Verbrecher in Hamburg lebt (11 mal so gefährlich wie in München!), wie sehr sie und ihr Gemeinwesen unter der angeblichen Hochkonjunktur des Verbrechens leiden – und verspricht Abhilfe. Fast 20% der Wähler lassen sich das einleuchten und beschließen, dass, ungeachtet ihrer Sorgen mit Geld, Arbeit oder Familie, die Sache mit den Raubüberfällen vordringlich geregelt werden sollte. Dazu wollen sie dem – von Berufs wegen – in der Angelegenheit kundigen Schill in einem Regierungsamt die Gelegenheit geben, um die er sich im Wahlkampf beworben hat.

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Schill ist in seinem privaten Leben Amtsrichter in Strafsachen. Als Beamter des staatlichen Justizapparates übt er die juristische Be- und Verurteilung der kleinen, am Amtsgericht anfallenden Kriminalität als Beruf aus. Schon sein Berufsbild und die Vorschriften der Strafprozessordnung und des Strafgesetzbuches, nach denen sich seine Tätigkeit richtet, weisen darauf hin, dass Kriminalität ein gewöhnlicher und dauerhafter Bestandteil des Lebens in einer freien Gesellschaft ist, um die sich von jeher die Obrigkeit mit Polizei, Justiz und Strafvollzug kümmert: Die Freiheit dieser Gesellschaft ist von Staats wegen mit Grund- und anderen Gesetzen in Kraft gesetzt. Nach deren Maßgabe genehmigt sie ihren Bürgern einen rechtstreuen Lebenswandel sowie Brot- und umfänglicheren Reichtumserwerb als gleichberechtigte Eigentümer, die sich nur nach Art und Umfang ihres Eigentums unterscheiden. Für alle in Frage kommenden Lagen des Verlusts, Erwerbs und der Mehrung ihres Eigentums und alle sonstigen Wechselfälle des Lebens hält die staatlich betreute Freiheit verbindliche Regeln bereit oder erlässt nach Bedarf neue. Ihre – als einzige in der Gesellschaft – zur Gewaltanwendung befugten Organe üben die Aufsicht über die Einhaltung der geltenden Vorschriften aus. Die Schlagkraft dieser Aufsicht einerseits und die Loyalität der Bürger andererseits, die die staatlich erzwungene Eigentumsordnung als ihr alternativloses Lebensmittel behandeln, garantieren Wehrhaftigkeit und Stabilität des demokratischen Rechtsstaats, dessen Verwalter auf ihre Erfolge stolz sind. Sie sehen ihr famoses System gerade nicht prinzipiell erschüttert durch die alltäglichen kriminellen Verletzungen ihrer Vorschriften über den Verkehr von Eigentum und Eigentümern, sondern fühlen sich dadurch immer aufs Neue aufgerufen, mit Gewaltmitteln repressiv und präventiv auf ihrer Ordnung zu insistieren. Wo das Eigentum in der Form des persönlichen Vermögens als der Garant für eine freie Entfaltung der Persönlichkeit gesehen wird und als Basis eines menschenwürdigen Daseins, wie es ein Grundgesetz-Kommentar formuliert, können eben Versuche nicht ausbleiben, die Persönlichkeit und ihr Dasein auch unter Verletzung gesetzlicher Vorschriften (noch) menschenwürdiger zu entfalten, als es die Vorschriften über ordnungsgemäße Besitzstände im speziellen Fall gerade vorgesehen haben. Um solchen unerlaubten Privatinitiativen zur Korrektur von Vermögensverhältnissen entgegentreten zu können, beschäftigt der Rechtsstaat Polizisten und Richter.

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Diese verrichten üblicherweise durch Erledigung ihres alltäglichen Rechtsgeschäfts mehr oder minder klaglos ihren stets gewaltbereiten Dienst an der Gesellschaft. Nicht so der notorische Richter Schill. Noch bevor er der Dritten Gewalt zugunsten höherer Aufgaben den Rücken kehrt, wird er schon als Richter Gnadenlos durch eine besonders strenge Berufsauffassung auffällig. Die Eierdiebe, Verkehrssünder und Drogenkonsumenten, die ihm vor seinen Amtsrichterstuhl geliefert werden, bedenkt er hartnäckig mit Sanktionen am obersten Rand des Strafrahmens. Er scheut auch nicht vor rechtlich zweifelhaften Schikanen zurück, die ihm auch schon einmal eine Anklage wegen Rechtsbeugung einbringen. Er legt schon bei der Ausübung des Richteramtes Wert darauf zu demonstrieren, dass er die ihm als Richter zu Gebote stehenden Gewaltmittel für nicht ausreichend hält, ihre übliche Anwendung auf jeden Fall für zu lax, weil viel zu wenig eindrucksvoll auf die Gesetzesbrecher einwirkend. Die müsste man eigentlich viel härter anfassen, als es geltendes Straf- und Strafprozessrecht erlauben. Daraus macht er auch in der Öffentlichkeit kein Hehl.

Über der Dauereinrichtung des Rechtsbruchs in einer kapitalistischen Eigentumsgesellschaft wird Richter Schill an der ganzen freiheitlichen Ordnung irre. Er ist in Sorge um die Festigkeit des Gemeinwesens. Die abgebrühte gesellschaftliche Gesamtkalkulation, wie sie demokratischen Politikern selbstverständlich ist, die ihre Kriminalitätsrate als Dauerproblem und damit als Preis ihres unschlagbaren Systems verwalten, ist ihm offenbar fremd. Das Auf und Ab der Verbrechensstatistik ist für ihn keine Begleiterscheinung der Stabilität der Verhältnisse, wo selbst Verbrecher sich noch bestätigend auf die Eigentumsordnung beziehen, wenn sie sich fremdes Eigentum aneignen, und Staaten mit einer größeren oder kleineren South Bronx in jeder Großstadt es zur kapitalistischen Großmacht bringen. Schill mag nicht die Kriminalität als die zur Eigentumsregel gehörige Ausnahme verstehen, sondern hält an der Delinquenz der Bürger nur die Seite des Rechtsbruchs, des Verstoßes gegen staatliche Ordnung und Autorität fest. Und da entdeckt er nichts als Schwäche und Verfall des Gemeinwesens. Die alltägliche Missachtung staatlicher Gebote – und damit der sie garantierenden Gewalt – ist ihm ein elementares Zeichen des Niedergangs der Staatsmacht, eine einzige Bedrohung und Gefährdung der Verhältnisse, für die diese Gewalt kompromisslos, also mit buchstäblich Null Toleranz einzustehen hätte. Für ihn ist die Erosion des Respekts vor der Gewalt in vollem Gang. Und damit sieht er die Grundlage von Staat und Gesellschaft in Gefahr, deren Freiheit schließlich auf der uneingeschränkten Monopolgewalt des Staates beruht. Wenn immer mehr Bürger die rechtstreue Unterordnung unter das Gewaltmonopol durch größere oder kleinere Verbrechen oder Vergehen verweigern, geht Stück für Stück die Freiheit verloren, die gerade in dieser Unterordnung besteht. Dass der Gehorsam der Bürger gegenüber den Gesetzen ihre hochgelobte Freiheit ausmacht, das weiß auch Schill und darin ist er sich grundsätzlich mit allen Staatsmachern der Welt einig. Nur: Die hierzulande Zuständigen verweigern einfach das von ihm für nötig gehaltene Durchgreifen und setzen durch das Versäumnis, mit mehr Gewalt die Achtung der Bürger einzufordern, eben diese Gewalt ihrer Verachtung aus. Dass dies das brennendste Problem der Nation sei, von dieser Überzeugung kann Schill kein Wirtschaftserfolg und kein imperialistischer Machtzuwachs seines deutschen Vaterlandes abbringen. In solcher Lage, im Angesicht von so viel Verfall und Niedergang, die die Grundlagen des Staatswesens bedrohen, überkommt es manchmal eben nicht nur böhmische Gefreite, die ein nationales Verantwortungsgefühl im Leibe haben, sondern auch hanseatische Amtsrichter: Sie beschließen, Politiker zu werden.

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Mit seinem Versprechen, einen gnadenlosen Feldzug gegen das Verbrechen zu führen, landet Schill einen Wahlkampfschlager erster Güte. Die Kritik, bei seiner Rechtsstaatlichen Offensive handle es sich nur um eine Ein-Punkt-Partei, lässt ihn ebenso kalt wie der Vorwurf, der Amtsrichter verstehe zwar viel vom Strafrecht, umso weniger aber von den sonstigen politischen Themen, die ordentliches Regieren eben auch zu berücksichtigen habe. Er nimmt derlei Vorwürfe vielmehr als Gelegenheit, selbst in die rechtsstaatliche Offensive zu gehen und die Einsinnigkeit seiner Agitation als Vorteil zu nutzen: Auch wenn Ordnung nicht alles sein mag – ohne sie, davon ist Schill überzeugt, ist alles nichts, und das bringt ihn dazu, die Ordnung ein wenig absolut zu setzen: Erst wenn die wiederhergestellt ist, dann aber ganz sicher, kann der Staat all seine anderen Ziele erreichen. Förderung der Wirtschaft, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, Sanierung des Staatshaushalts: All das ergibt sich von allein, wenn erst einmal Sicherheit und Ordnung herrschen. Im Wahlkampf will er sich mit seinen Konkurrenten nicht gerne über Wirtschaftsförderung, Infrastruktur oder Kulturpolitik streiten, weil er das glatt für eine Verwässerung seiner einen Botschaft hielte: Wenn die Autorität des Staates verfällt, wie soll da der Bürger noch zu seinem Recht kommen, das er als die staatlich gewährte und zugeteilte Bedingung seines Fortkommens kennt?! Wenn man Rechtsbruch durchgehen lässt und als Bagatelle behandelt, dann kommen, so sieht er das, alle Anständigen zu kurz, die die Verfolgung ihrer Interessen von einer rechtstaatlichen Erlaubnis abhängig machen, wie es sich gehört, und die macht er in seiner ordnungsfanatischen Wahlwerbung entsprechend an: Die umstandslose Unterordnung der Bürger unter das rechtsstaatliche Gewaltmonopol erklärt er ihnen als ihr wichtigstes Interesse, von dem alle anderen abhängig seien. Die Durchsetzung und strikten Beaufsichtigung dieser Unterordnung verspricht er als den wichtigsten Dienst der Staatsautorität am Privatinteresse der Bürger. Auf pure Gewalt und den Respekt vor ihr führt er zurück, worum es der Politik zuerst zu gehen habe – was Sozial-, Wirtschafts- und die sonstige Politik zu tun und zu lassen haben, darüber kann man streiten, wenn die grundsätzlichen Ordnungsfragen gelöst sind. Diese Vorstellung vom gewaltgestützten Reich der Freiheit ist zwar ziemlich ungemütlich. Das ist aber nicht das Problem all derer, die entschlossen sind, in diesem nationalen Freiheitsstall und unter Beachtung und Ausnutzung seiner Regeln zum Zug zu kommen. Für die, die ihren Anspruch auf Erfolg anmelden – und wenn der auch nur in einem schäbigen Überleben besteht –, klingt Schills Forderung nach einer rücksichtslos durchgreifenden Staatsgewalt wie ein hoffnungsvolles Versprechen, auch wenn ihnen Schill gar nichts verspricht: Der Anstand soll wieder ins Recht gesetzt werden, und Schluss soll sein mit dem schönen Lenz für Räuber und Betrüger, Dealer und Diebe. Genugtuung in ihrem moralischen Rechtsbewusstsein zu erfahren: Auch darauf haben rechtschaffene Bürger einen Anspruch, und den bedient Schill mit seiner Wahlagitation. Dazu gibt er jeder einschlägigen Bürgerbeschwerde recht, hat seine Diagnose über alle Gebrechen des Gemeinwesens, weiß die politische Therapie dazu und kann sogar die Schuldigen dafür nennen, dass die nicht schon längst angewendet wurde. Sind Beispiele gefällig? Bitteschön:

– Was sieht man am Überhandnehmen von Bettlern, insbesondere aggressiven Bettlern, in den Hamburger Einkaufsstraßen? Nicht etwa eine Zunahme der Pauperisierung in hanseatischen Proletarierkreisen. Vielmehr eine Nachlässigkeit der Ordnungsbehörden, die sich nicht genug darum kümmern, mit ihrer Amtsgewalt die Einkaufswilligen und ihre Entfaltungsmöglichkeiten (Schill) beim Shopping vor dem Gesindel zu schützen. Deshalb schlägt Schill vor, die Gehsteige an die Geschäftsleute zu verpachten, damit wenigstens deren Sicherheitsdienste, als Privatgewalt im öffentlichen Auftrag, die Bettler abräumen können.– Was ist die gemeinsame Lehre aus dem Unwesen der Grafittisprayer, die im Bewusstsein der Narrenfreiheit die Stadt verschandeln, der Autonomen, die aus ihrem Kulturzentrum einen Sumpf der Ungesetzlichkeit machen, und nervenden Schulkindern, die im Rahmen einer Kinder-an-die-Macht-Pädagogik ihre Lehrer entrechten? Man muss mehr Druck machen: Sprayer nicht als Bagatellkriminelle verharmlosen, sondern als Vorreiter der Verwahrlosung verknacken, das Kulturzentrum nicht mehr als rechtsfreien Raum dulden, sondern dichtmachen. Schulkinder sind mit mehr Stoff und Prüfungen zu beschäftigen, Pauker brauchen mehr Disziplinargewalt, auf dass die Stellung des Lehrers neu gestärkt werde.

Dass aus durchgeknallten Schülern leicht Kriminelle werden und Autonome es schon sind, ist für Schills konsequent einfältige Weltsicht kein Wunder: Wenn man denen nicht rechtzeitig einbläut, dass der richtige Gebrauch der Freiheit zuvörderst im Respekt vor der Autorität des Gesetzes besteht, dann führen eben kindliche Disziplinlosigkeit und jugendliche Ordnungswidrigkeit über den schleichenden Werteverfall in der Gesellschaft, den Schills Parteigrundsätze konstatieren, direkt in die Kriminalität und die zielstrebig weiter zur Auflösung aller Staatsgrundlagen. Dies zu verhindern haben die Schuldigen am beklagenswerten Zustand der öffentlichen Gewalt typischerweise wenig Interesse: Es sind die auf ihrem Marsch durch die Institutionen in Politik und Justiz inzwischen angelangten 68-er, für die die Polizei der Inbegriff des von dieser Generation gehassten ‚Obrigkeitsstaats‘ ist und das Hauptfeindbild. Sie, die Politiker der SPD und GAL, sind es, die die Polizei diffamieren (Parteiprogramm) und den letzten Rest von Respekt vor der Wehrhaftigkeit der Ordnung untergraben.

Damit ist der Wahlkämpfer Schill fertig mit seiner faschistischen Krisendiagnose und seinem wehrhaft-demokratischen Therapievorschlag: Die Gesellschaft ist verlottert und kaputt, weil die Macht von egoistischen und pflichtvergessenen Gesellen unterwandert ist. Die Führung und der Respekt vor ihr müssen wieder hergestellt werden, durch ganz viel Loyalität schaffende Gewalt einer rechtsstaatlichen Offensive – und er, der Richter Gnadenlos, ist genau der Richtige für diesen schweren und wichtigen Job.

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Die von Schill angegriffenen Parteien sind ziemlich entsetzt über dessen Aufruf zur Entfesselung der Staatsgewalt, aber nur, weil ihnen Schill das Wort aus dem Mund, mit seiner Konzentration auf dieses Thema die Show und deswegen voraussichtlich einige Wählerstimmen stiehlt, die eigentlich ihnen zustehen. In der Sache geben sie ihm ziemlich einstimmig recht, nicht ohne den neuen Konkurrenten als politisch inkompetent und demokratisch unzuverlässig zu denunzieren und die eigene Kompetenz und langjährige Erfahrung zu rühmen. Dass die innere Sicherheit das wichtigste Thema ist, unterschreiben sie nach dem 11. September bereitwilliger denn je, und setzen deshalb ebenfalls die Verbrechensbekämpfung auf allen Ebenen ganz oben auf ihre Wahlkampfagenda. So berechnend demokratische Politiker mit der von ihnen verwalteten Kriminalität und ihren politischen und wirtschaftlichen Kosten auch umgehen, solange sie keine prinzipielle Gefährdung ihres Gewaltmonopols durch politischen Terror oder organisiertes Verbrechen entdecken, so sehr leuchtet ihnen jederzeit der Segen einer verschärften Ordnung für das demokratische Politikgeschäft ein, und das erst recht in diesen Zeiten. So ist für die bürgerlichen Parteien im Streit mit Schill um die Kompetenz für die schärfste Aufsicht und das härteste Zuschlagen kein bisschen Heuchelei vonnöten: Da stehen sich Konkurrenten gegenüber, die alle ihre Mission sehr ernst nehmen. Was die alten Parteien nur nicht so mögen, ist die Intransigenz und Konzentration der Schill-Partei auf dieses eine Thema, das damit eine grundsätzliche Bedeutung und Wucht bekommt, vor der alle sonstigen Erfolgsthemen ein wenig matt wirken, mit denen man gehofft hatte, nationalhanseatisch gesonnene Gemüter zu betören. Anstatt also weiterhin mit dem überdurchschnittlichen Rückgang der Arbeitslosigkeit, Erfolgen bei der Neuverhandlung des Länderfinanzausgleichs, oder der Ansiedelung der Teilfertigung des Super-Airbus A 380 zu werben, verlegt sich die SPD schwerpunktmäßig auf das von Schill aufgemachte Konkurrenzfeld und beweist sich durch die Neuverpflichtung eines neuen, superscharfen Innensenators als die Partei der besseren Kämpfer gegen das Verbrechen, um das Thema – wie man so sagt – für sich zu besetzen.

Die Alternativen beschweren sich zwar darüber, dass es im Wahlkampf nur ein einziges Thema gibt: Kriminalität; wenn es das Thema aber schon einmal gibt, dann zeigen auch die Leute von der GAL, dass sie sich in Sachen Repression und Prävention vor keinem politisch dilettierenden Amtsrichter zu verstecken brauchen:

„Gerade im Bereich der Jugendkriminalität haben wir uns mit Erfolg für die Beschleunigung der Verfahren eingesetzt: Dass Verfahren nicht lange dauern und am Ende mit Einstellung enden, sondern dass gerade Jugendliche, die eine Straftat begangen haben, sehr schnell auch merken, dass es Folgen hat, dass es Konsequenzen hat… Und das Raubkonzept, in dem Schulen, Stadtteilkonferenzen, Polizei, Staatsanwaltschaften und Jugendhilfe effektiver zusammenarbeiten als vor vier Jahren, zieht jetzt auch.“ (Krista Sager in der Tagesschau vom 30.8.)

Das würde nahtlos in Schills Parteiprogramm passen, das auch sehr viel davon hält, gerade dem erstmalig straffällig gewordenen Jugendlichen einen schnellen short sharp shock zu verpassen – mittels Haft in einer unwirtlichen Einzelzelle, dank der er das Erlebnis als derart einschneidend empfindet, dass er davon Abstand nimmt, weitere Straftaten zu begehen. Und die Idee mit der Zusammenarbeit von Schule und Polizei: Ist das nicht – ganz im Geiste Schills – ein schöner Beitrag in Sachen Stärkung der Lehrerautorität?

Die CDU fordert die Wähler praktischerweise gleich dazu auf, gefälligst das Original und nicht die Fälschung zu wählen:

„CDU und CSU müssten Schill in anderen Bundesländern durch ‚konsequente und klare Aussagen‘ überflüssig machen, warnt CSU-Generalsekretär Thomas Goppel. Sonst bestehe die Gefahr, dass sich die Schill-Partei auf Kosten der CDU ausweite.“ (FAZ Sonntagszeitung, 30.9.)

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Auch die Öffentlichkeit gibt Schill recht und zeigt sich beeindruckt von seinem Erfolg. Der bringt die FAZ dazu, nicht Schill oder seine Wähler, sondern die bürgerlichen Parteien zu kritisieren. Sie und die sonstigen guten Kreise der Stadt haben dazu zu lernen – und zwar von Schill:

„Die Weltstadt Hamburg ist eigentlich eine Zweiweltstadt, und das Rathaus liegt ziemlich genau am Schnittpunkt der beiden Sphären. Wendet man sich aus dem Rathaus kommend nach links, gelangt man zum immer noch mondänen Jungfernstieg, flaniert durch prachtvolle Einkaufspassagen … Hält man sich eher rechts, so kommt man in die Schmuddelzone der kleinen Leute, der Warenhäuser, der kaugummiverklebten Trottoirs … Bettler und Straßenmusikanten … Drogenelend… Die Rathausmenschen, der Erste Bürgermeister also, die Senatoren und die Abgeordneten, scheinen sich meist links gehalten zu haben… Die rechtsseitige Lebenswirklichkeit ist ihnen aus dem Blick geraten. So erklärt es sich, dass der Amtsrichter Ronald Schill bei der Bürgerschaftswahl fast 20% der Stimmen bekam. Schill hat unbeirrbar auf die rechte Seite der Stadt gesehen, hat Sicherheit und Ordnung zum Thema gemacht.“ (FAZ Sonntagszeitung, 30.9.)

Das Establishment darf sich eben nicht zu fein sein, auch mal einen Blick in die Elendsviertel der Hansestadt zu werfen. Dass dort der Kontrollbedarf am größten ist, hätten auch die herrschenden guten Kreise wissen können. Hätten sich die Stadtpolitiker die Mühe gemacht, dann hätten sie, wie Schill und die FAZ, längst die soziale Not und die mit ihr einhergehende Verwahrlosung - wo Elend herrscht, kommt eben auch die Sittlichkeit auf den Hund – als Auftrag für verschärfte Sicherheit und Ordnung entdeckt. Die Armut der kleinen Leute ist eben kein Fall Sozialleistungen in Geld. Weil in diesem Milieu so leicht der Anstand verloren geht, braucht man gerade dort nichts so sehr wie eine Politik, die auf die Unanständigen aufpasst und die Anständigen vor Bettlern und Drogensüchtigen schützt. Dass die kleinen Leute kein Geld, sondern Ordnung als wichtigste Sozialleistung brauchen: Das haben Schill nach Auffassung der FAZ völlig korrekt erkannt, Ole von Beust und die anderen feinen Herren Abgeordneten dagegen verpasst, was den Wahlausgang letztlich als durchaus gerecht erscheinen lässt. Weil Schill mit seiner faschistischen Sichtweise in Sachen Sicherheit und Ordnung, Aufsicht und Unterordnung, Anstand und Freiheit, die Bedürfnisse demokratischen Regierens so zielsicher trifft, mag ihm, bei aller Verbitterung der Konkurrenten über den Stimmenklau, wegen seines letztlich staatstragenden Bemühens niemand so richtig feindselig kommen. In seinem Fall – ganz anders als in dem der Berliner PDS – sind zwanzig Prozent der Wählerstimmen ein Beweis dafür, dass er so falsch nicht liegen kann, und die Eintrittskarte in die Respektabilität einer hanseatischen Regierungsbeteiligung an der Seite von CDU und FDP.

Will man in der Konkurrenz gegen Schill bestehen, muss man eben auch so denken wie er, und von der ‚Süddeutschen Zeitung‘ kann man auch noch erfahren, wie das mit rechtsstaatlichen Liberalität, der die Konkurrenten dienen, eigentlich schon immer gemeint war: Die ist die Garantie eines wirklich starken Staates, der, wenn ihn sich die Demokraten nicht von den Rechten rauben lassen, noch viel stärker ist als der Ordnungsstaat des Roland Schill:

„Der Fundamentalfehler liberal-rechtsstaatlicher Politik aber sieht so aus: Sie hat sich den starken Staat rauben lassen. Sie war furchtsam, sie hat sich, zum Beispiel; nicht für Resozialisierung zu werben getraut – die ja nicht Weicheierei ist, sondern Verhinderung von Straftaten bedeutet. Heute können sich deshalb die Rechtspopulisten als Schausteller des starken Staats brüsten und diesen zu einer spektakelhaften Attraktion machen, zu einer Art Hau-den-Lukas. Der starke Staat ist aber keine Knallcharge. Er ist eine Autorität, die ohne Eiferei und Gehechel Straftaten verfolgt und vorbeugt. Stark ist nicht ein Staat der ständig ausschlägt, sondern der die Balance zwischen Repression und Prävention findet, der maßvoll straft und sich tatkräftig um die Opfer kümmert.“ (Prantl, SZ, 29.9.)

Tapfer steigt der SZ-Autor in die Konkurrenz mit den Rechtspopulisten ein, die sich um die effektivste Art der staatlichen Gewaltanwendung gegen kriminelle Unbotmäßigkeit und die erfolgversprechendste Tour, der Staatsmacht Autorität zu verschaffen, dreht. Angesichts des Hamburger Wahlergebnisses – und erst recht der begleitenden Aktivitäten des Ministers Schily – steht er aber auf ziemlich verlorenen Posten: Was er als die Stärken des demokratischen Rechtsstaats preist, haben Schill und alle seine Konkurrenten ihren Wählern gegenüber gerade erfolgreich als dessen Schwäche denunziert. Nicht nur die Wähler der rechtsstaatlichen Offensive, sondern auch die der CDU, der SPD, der GAL und der FDP, haben gerade klargestellt, dass sie die aktuelle parteiübergreifende Unzufriedenheit ihrer Anführer mit den bisherigen Erfolgen der Politik in Sachen innerer Sicherheit bereitwillig teilen, wenn nicht an Militanz übertreffen.

So macht sich eine wahre Volksfront der Aufsichts- und Kontrollfanatiker daran, endlich Schluss zu machen mit alter Weicheierei. Und mehr Eifer und Gehechel bei der Verbrecherjagd beweisen nur die Schwierigkeit der Aufgabe und den dringenden Handlungsbedarf bei der Reform des freiheitlichen Polizeistaats. Auf der Grundlage des historischen Beweises, dass die Demokratie konkurrenzlos und das beste aller Systeme ist, kann sie sich in Sachen Aufsicht und Kontrolle heute vieles leisten, was früher nur neidvoll beobachteten, hocheffizienten Diktaturen vorbehalten war. So kann man mit viel fanatischem Ordnungssinn ganz ausgezeichnet Demokratie machen, und solange das so ist, ist die Demokratie allemal der beste Faschismus.