Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Bundestagswahl 2005
Das Wahlversprechen des Jahres 2005: Arbeit

„Sozial ist, was Arbeit schafft.“

Bundespräsident Köhler fordert „Vorfahrt für Arbeit“, die CDU-Kanzlerkandidatin verspricht statt der unzureichenden „Agenda 2010“ eine echte „Agenda für Arbeit“; der bayrische CSU-Ministerpräsident definiert: „Sozial ist, was Arbeit schafft“, und alle, einschließlich des sozialdemokratischen Wirtschaftsminister schließen sich, das Motto leicht variierend, an: „Fair ist, was Arbeit schafft.“

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Bundestagswahl 2005
Das Wahlversprechen des Jahres 2005: Arbeit

„Sozial ist, was Arbeit schafft.“

Die Machtfrage des Kanzlers, das ehrliche Gegenangebot der Opposition sowie überhaupt alle Konkurrenzen, Polemiken und üblen Nachreden, mit denen Kandidaten und Parteien etwas für ihre Unterscheidbarkeit tun und die Wähler betören, finden statt auf dem Boden einer ganz und gar gemeinsamen Diagnose der krisenhaften Lage der Nation und einer ebenso geteilten Therapie: Dem Volk fehlt Arbeit, diese Not muss bekämpft werden! Im Licht dieser überragenden Aufgabe werden alle anderen Tagesordnungspunkte der Nation zur Nebensache. Ihr war schon Schröders Amtsantritt vor 7 Jahren gewidmet. Er wollte sich an der Reduktion der Arbeitslosenzahlen messen lassen, und ist mit all seinen Agenda 2010-Reformen, die das Land gründlich verändert haben, an diesem Ziel gescheitert. Die unerledigte Aufgabe will er mit einem neuen Auftrag und neuem Elan fortsetzen. Dieselbe Aufgabe wollen ihm die anderen abnehmen. Bundespräsident Köhler fordert Vorfahrt für Arbeit, die CDU-Kanzlerkandidatin verspricht statt der unzureichenden Agenda 2010 eine echte Agenda für Arbeit; der bayrische CSU-Ministerpräsident definiert: Sozial ist, was Arbeit schafft, und alle, einschließlich des sozialdemokratischen Wirtschaftsminister schließen sich, das Motto leicht variierend, an: Fair ist, was Arbeit schafft.

1.

Die Politik kennt und anerkennt nur noch ein echtes, unbedingt schutzwürdiges Interesse der sozial Schwachen – das absurdeste: das an Arbeit. So einfach wird nämlich niemand von einem Bedürfnis nach Arbeit umgetrieben. Arbeit ist immer noch der Aufwand, der getrieben werden muss, um die Gegenstände und Mittel herzustellen, nach denen ein Bedürfnis besteht, nicht das Bedürfnis selbst, und jeder Arbeiter, der seine Sinne beieinander hat, ist froh, wenn die Arbeit erledigt und wieder vorbei ist. Das Bedürfnis nach Arbeit, dem die Politiker sich nachdrücklich verpflichten, ist kein waldursprünglich menschlicher Drang, sondern Ausdruck einer hergestellten, erzwungenen Lage. Nach Arbeit seufzen, Arbeit suchen, das tun nur Proletarier in der kapitalistischen Gesellschaft, Leute, denen es unmöglich ist, die für ihre Bedürfnisse nötigen Arbeiten nach eigenem Entschluss und nach Maßgabe ihres Bedarfs zu verrichten. Leute, die getrennt sind von den Mitteln der Produktion, so dass sie davon leben müssen, Dienste für die Reichtumsvermehrung anderer nach deren Vorgaben und Ansprüchen zu verrichten und sich dafür bezahlen zu lassen. Politiker, die Arbeit schaffen wollen, unterstellen die ganze, mit staatlicher Rechtsgewalt hergestellte und von ihr geschützte Eigentumsordnung, die Scheidung in die Klasse der Eigentümer der Produktionsmittel auf der einen und in die Klasse der eigentumslosen Arbeitskräfte auf der anderen Seite, als eine eherne Realität, der sie in der Ausübung ihres Amtes gerecht zu werden hätten. Nur die von dieser Realität erzwungenen Interessen und Nöte anerkennen sie als legitime Interessen der Bürger – und denen dienen sie dann.

Zynisch setzen sie darauf, dass der Bedarf nach solchen Diensten im Volk reichlich vorhanden ist, denn – doppelt absurd – das erzwungene Interesse, für den Reichtum der Reichen schaffen zu dürfen, ist für Millionen gar nicht zu befriedigen. Der Bedarf der Armen nach Lohnarbeit, mit der sie sich ihren Lebensunterhalt verdienen können, ist viel größer als das Bedürfnis der kapitalistischen Gesellschaft nach den Leistungen ihrer Arbeit. Die Eigentümer können die vielen Arbeitskräfte, die sich ihnen anbieten, für die Verwertung ihrer Investitionen einfach nicht gebrauchen. Nicht, dass sie weniger Waren produzieren würden als früher – ganz im Gegenteil; nicht dass die Herstellung irgendwelcher Produkte unterbliebe, die sich mit Gewinn verkaufen lassen; alles, was kapitalistisch gebraucht wird und geht, wird produziert und verkauft – aber eben mit erheblich weniger Arbeitskräften als früher. In der Not der Millionen Erwerbslosen reflektiert sich keine allgemeine gesellschaftliche Armut, kein Mangel an Produkten und Produktionsmitteln, sondern Überfluss: der erreichte Stand der Produktivität der Arbeit, mithin die Ergiebigkeit der Springquellen des materiellen Reichtums. Ihr Fortschritt verwirklicht sich im Kapitalismus so pervers, weil die Unternehmer die Arbeit ihres Personals immer produktiver machen, aber nicht um ihren Leuten Arbeitsmühen zu sparen, sondern um Arbeitskräfte einzusparen, sich die Bezahlung ihres Lohn zu ersparen. Dafür machen sie die Arbeit der Leute, die sie weiterhin für ihren Geschäftszweck benutzen, immer rentabler; und dafür wenden sie zugleich immer weniger Arbeitskräfte rentabel an. Der Nutzen der hohen Arbeitsproduktivität verteilt sich also sehr einseitig: Das Kapital bekommt die Leistung seiner Arbeitskräfte immer billiger, indem es pro Arbeitstag immer mehr verkaufbares Produkt aus seinen Beschäftigten herausholt; die Arbeitskräfte aber haben vom wachsenden Wirkungsgrad ihrer Arbeit nichts zu erhoffen als die Bedrohung ihrer Existenz. Noch froh sein muss der Teil der Belegschaft, der für seine ergiebigere Arbeit denselben alten Lohn erhält; der andere Teil fliegt wegen der gewachsenen Leistungskraft seiner Arbeit nämlich auf die Straße und bezahlt den Fortschritt der Produktivkräfte mit unmittelbarer Verelendung. Der Segen, dass immer weniger Arbeit für die Herstellung der benötigten und erwünschten Güter erforderlich ist, wird für kapitalistische Arbeitskräfte zum Fluch: Sie leben vom Gebraucht-Werden für fremden Gewinn, können daher umso weniger leben, je weiter die Entwicklung der materiellen Reichtumsquellen fortschreitet. Dass sie sich von dieser ruinösen Fessel befreien, sich die Produktionsmittel aneignen und die notwendige Arbeit selbst so organisieren, dass alle mit weniger Mühe mehr Güter ihres Bedarfs produzieren und das Leben ein bisschen gemütlicher angehen: Diese Vorstellung ist mit den kommunistischen Bewegungen ausgestorben.

Herrschende Demokraten lassen sich wählen mit dem Versprechen, sich der Not anzunehmen, die mit der Mehrung des kapitalistischen Überflusses wächst, und einmal im Amt, tun sie das auch. Sie sorgen erstens für diese Not, indem sie eisern und mit allen Hebeln der Staatsgewalt sicherstellen, dass anders als durch fürs Kapital lohnende Arbeit niemand leben kann. Zweitens dadurch, dass sie sich der Aufgabe verschreiben, von der relativ überflüssig gewordenen Arbeit wieder mehr zu „schaffen“. Dies drittens aber nicht so einfach: Öffentlich Arbeit zu organisieren, weil Arbeitslose etwas zum Leben brauchen und es sich schaffen sollen, das kommt im Reich der Freiheit nicht in Frage. Arbeit zu schaffen, ist hier Privileg und edle Pflicht der freien Wirtschaft. Das Privileg gibt es – niemand sonst befindet darüber, ob, von wem, wie lange und für welchen Zweck gearbeitet wird; die edle Pflicht ist jedoch ein Märchen. Eine Aufgabe namens Arbeit schaffen kommt im Pflichtenheft der Herren Kapitalisten überhaupt nicht vor. Sie benutzen und bezahlen immer gerade so viel oder so wenig Personal, wie sie für ihr Geschäft lohnend finden – und dabei kalkulieren sie, wie gesagt, knapp: Möglichst wenige bezahlte Arbeitskräfte sollen ihnen möglichst viel Arbeit erledigen. Paradoxerweise stehen die Ausbeuter der Arbeit umso mehr im guten Ruf des Arbeitgebers, je mehr Leute sie entlassen, und je mehr die Gesellschaft gewahr wird, wie unbedingt sie von den Kalkulationen der Herren Arbeitgeber abhängt, wird diese Abhängigkeit bejaht. Dann lernt sie an der massenhaften Produktion von Arbeitslosen auch nicht, dass in dieser Wirtschaft von einer Aufgabe oder Pflicht zum Arbeit-Geben keine Rede sein kann; im Gegenteil: dann lernt sie daran, wie schwer es den Unternehmern offenbar fallen muss, ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nachzukommen. Da meldet sich dann viertens die in Sachen Arbeit-Schaffen ohnmächtige Politik wieder, reklamiert dann doch eine Gesamtverantwortung für die Arbeitsplätze im Land und schafft Arbeit, so wie es ihr in einer freien Wirtschaft eben ansteht: Sie kämpft gegen die Hindernisse und reißt die Schranken ein, die den Kapitalisten das Arbeit-Schaffen schwer machen. Wenn sich im Land zu wenig Arbeit fürs Kapital lohnt, dann ist die Arbeit eben nicht rentabel genug, jeder Arbeitslose ist dann ein Beweis dafür, dass die Rendite der Kapitalisten zu niedrig ist. Dann tut die Politik das kapitalistisch Angemessene gegen die Not der Arbeitslosen, indem sie sie billiger macht.

2.

Das Versprechen, das Volk besser mit Arbeit eindecken und keinen anderen Mangel als den an Arbeit mehr gelten zu lassen, definiert neu, was einmal „sozial“ hieß. Mehr als ein Jahrhundert lang hatte Sozialpolitik das Ziel, den Kapitalismus für die Lohnarbeiter aushaltbar zu machen. Dazu war einiges nötig. Aus demselben Grund nämlich, aus dem das Kapital die Leistungsfähigkeit der Arbeit durch Wissenschaft und Technik steigert – es spart an der Bezahlung der Arbeit, aus der es immer mehr Leistung herausholt –, kann der menschliche Kostenfaktor vom Ausfüllen seiner ökonomischen Rolle an und für sich nicht leben, jedenfalls nicht ein Leben lang. Erst die gesetzliche Beschränkung der Unternehmerfreiheit, Grenzen für die Dauer des Arbeitstages, die Zulassung von Gewerkschaften und die Rechtsverbindlichkeit der von ihnen ausgehandelten Tarifvereinbarungen hat die Ausbeutung des Arbeiters für ihn überhaupt zu einem Erwerb mit halbwegs festgelegtem Aufwand und Ertrag werden lassen. Auch davon aber konnte er auf Dauer nicht leben ohne staatliche Sozialversicherungen, die Teile seines Lohnes konfiszieren und im Interesse des Überlebens der Arbeiterklasse zwangsbewirtschaften. Für die notwendigen Phasen des Elends im Lebensweg des Lohnabhängigen – Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit – werden aus dem Lohn, den das Kapital zahlt, Versicherungsbeiträge abgezweigt und nach erworbenen Anwartschaften und Bedürftigkeit unter den einkommenslosen Mitgliedern der Arbeiterklasse umverteilt. Das Zwangsregime hat dem Lohn abgerungen, was er von sich aus nicht ist: ein Einkommen, mit dem ein Leben lang der Unterhalt des Arbeiters bestritten werden kann – das alles natürlich um den Preis seiner weiteren Schmälerung.

In Zeiten millionenfacher Überflüssigkeit von Arbeitskräften für die Wirtschaft setzen Politiker aller Couleur auf die Überzeugungskraft des Arguments, dass es für Lohnarbeiter Schlimmeres gibt, als ausgebeutet zu werden – nämlich nicht ausgebeutet zu werden, die Chance also gar nicht erst geboten zu bekommen, sich durch Bereicherung des Arbeitgebers den Lebensunterhalt zu erarbeiten. Diese „Einsicht“ begründet die Umwertung alles Sozialen, das der Staat einmal für nötig gehalten hat: Alle Vorkehrungen und Nachhilfen, die die Ausbeutung für den Arbeiter aushaltbar machen sollten, verteuern die Arbeit. Sie beschädigen also, wovon der Arbeiter in Wahrheit lebt – seine Rentabilität für das Profitinteresse des Kapitals –, und zerstören seine herrliche Einkommensquelle. Alles, was der Arbeiter von seiner Arbeit hat und aus seinem Arbeitsentgelt finanziert – Lebensunterhalt, Freizeit, soziale Sicherheit –, verhindert die soziale Hauptsache: Dass überhaupt Ausbeutung stattfindet und der Arbeiter „Beschäftigung“ hat. Alle einhundertjährigen staatlichen Regelungen, Korrekturen und Kompensationen der Ausbeutung waren ein Fehler. Der Kapitalismus lässt sich nicht sozial veredeln – und wer es versucht, schädigt zuallererst die Schwachen, die er schützen will. Seine Ausbeutung als billige Arbeitskraft ist selbst die soziale Wohltat des Kapitals, auf die der Normalbürger zu hoffen und zu setzen hat.

3.

Der Gehalt des Wahlversprechens wird verstanden. Die Wähler entnehmen der Neudefinition des Sozialen sehr wohl die Ansage weiterer „Grausamkeiten“, wie das in der gemütlichen Sprache der Politik heißt. Bei uns wird eben nichts verschwiegen. Die Bürger sollen die Opfer, die sie bringen werden, billigen, ja am besten noch selbst fordern. Selbst die Verarmung der Masse der Bevölkerung wird in Form einer hoch demokratischen Konkurrenz von Amtsanwärtern um die Gunst der Betroffenen abgewickelt. Das geht – und nicht nur, weil die Wähler ja doch keine Wahl haben, wenn alle Parteien gleichermaßen versprechen, mit aller Macht Arbeit zu schaffen, sondern weil sie sich die Notwendigkeit der ‚unvermeidlichen Einschnitte‘ einleuchten lassen. Die demokratische Politisierung des Untertanen ist nichts anderes als die Kunst, ihn gegen seine Interessen zu interessieren. In all seiner Radikalität ist der Wahlkampf 2005 ein Musterfall davon. Die Wahlkämpfer sprechen den Bürger auf seine erzwungene Angewiesenheit auf die Nachfrage des Kapitals nach Arbeit an, erinnern ihn an seine Abhängigkeit vom feindlichen Interesse und versprechen ihm, an den Schalthebeln der Macht dieser Abhängigkeit gerecht werden zu wollen. Sie versprechen, wenn gewählt, der Eigentümerklasse nach besten Kräften zu dienen, sie von Beschränkungen freizusetzen, in jeder Hinsicht zu fördern und ihren arbeitenden Wählern dafür alles wegzunehmen, was den Reformern als hinderlicher Besitzstand ins Auge fällt. Diese Bürger sind Objekte des Ausbeutungsinteresses der Gegenseite und werden politisch auf dieses Abhängigkeitsverhältnis mit aller Härte festgelegt – der demokratische Wahlkampf aber spricht sie als Subjekte ihrer Abhängigkeit an, als Leute, die im wohlverstandenen eigenen Interesse den Ansprüchen gerecht werden müssen, denen sie zu ihrem Schaden unterworfen sind. Ihre Verarmung besorgen ihnen ihre Volksvertreter nur zu ihrem Besten, weil in schweren Zeiten eben viele Interessen hinter dem wichtigsten, ersten Interesse zurückstehen müssen! Das erzwungene, absurde Bedürfnis nach Arbeit bekommen die Betroffenen erläutert als das, was es unter kapitalistischen Existenzbedingungen tatsächlich ist: ihr erstes und eigentliches Lebensbedürfnis – alle ihre anderen Bedürfnisse, die sie mit dem Ertrag ihrer Arbeit befriedigen wollen, lassen sie sich als verzichtbaren Luxus schlecht machen, der in Zeiten entwickeltster Produktivkräfte einfach nicht mehr finanzierbar ist.

4.

Ein paar Recken des Wahlkampfs sind angesichts der zuerst von CDU-CSU besetzten Parole „Sozial ist, was Arbeit schafft!“ doch tatsächlich versucht und unverantwortlich genug, der Versuchung nachzugeben, für einen Augenblick den Konsens der Demokraten zu verlassen und zu polemisieren. Die Ministerin für Bauern und Verbraucher erinnert sich bei Köhlers Vorfahrt für Arbeit glatt noch an Wahrheiten aus linken Vorzeiten: Das heiße nichts anderes als Vorfahrt für die Gewinne einiger weniger. Vertreter der WASG finden, mit einer solchen Definition des Sozialen könne man auch Sklaven- und Zwangsarbeit rechtfertigen, obwohl derlei ja wirklich niemand einführen will. Man verurteilt per Übertreibung, und teilt eben dadurch mit, dass man sich dieser „wirtschaftlichen Vernunft“, wenn verantwortlich und in Maßen praktiziert, keinesfalls verschließt: Dass im Interesse von mehr Wachstum und Arbeit Abstriche bei Lohn und der sozialen Sicherung sowie höhere Arbeitszeiten kein Tabu sein können, ist eben auch den Keynesianischen Wirtschaftslenkern der neuen Linkspartei nicht fremd.

Da ist Ludwig Stiegler von der Bayern SPD schon ein anderer Kerl – wenigstens einen Tag lang: Er fühlt sich von dem Spruch an Hitler und seine populäre Arbeitsmarktpolitik erinnert und kann seine Assoziation sogar begründen: „Er betrachte den Slogan als ebenso zynisch wie die NS-Parole ‚Arbeit macht frei‘, weil damit außer Acht gelassen werde, ob eine Arbeit gerecht entlohnt werde, ob sie menschenwürdig sei, ob sie mit Kündigungsschutz und Mitbestimmung verbunden sei. Dieser Begriff von Arbeit ist ein Begriff ohne Adjektive.“ (SZ, 13.7.05) Wenn Arbeit pur zum Ziel der Politik wird – und das ausdrücklich gegen alles, was der Arbeiter von seiner Arbeit hat, dann ist das nicht weit weg vom Wahlversprechen des Jahres 1933: Damals machten die Nazis den Arbeitslosen mit einem Arbeitsdienst Eindruck, der ihnen nichts einbringen sollte als Arbeit und eine warme Suppe.

Kaum gesagt, fällt vom CDU-Generalsekretär bis zum Kanzler und dem SPD-Parteichef die ganze Nation über den geschichtskundigen Bayern her: Er habe den politischen Gegner mit den Nazis verglichen, was man offenbar umso weniger darf, je mehr die Ähnlichkeiten ins Auge stechen. Unisono unterstreicht man die Ruchlosigkeit des Vergleichs dadurch, dass man ihn gleich gar nicht versteht: Ausdrücklich zitiert man in den ‚Tagesthemen‘ Hugenberg, der seit 1932 das Copyright für die CDU-CSU-Wahlparole von heute hat – um im nächsten Zug die absolute Unvergleichbarkeit derselben Worte von damals und heute damit zu beschwören, dass ein ähnlicher Spruch wie ‚Arbeit macht frei‘ über dem Eingangstor von Auschwitz stand. Wieder erfährt man, was für eine argumentative Produktivkraft in der Einzigartigkeit der NS-Verbrechen steckt: Die werden von einem verharmlost, der in demokratischen Wahlparolen faschistische Gesinnung entdeckt! Also werden die Opfer der Nazis mit Verve in Schutz genommen und vor der Ehrverletzung bewahrt, mit der Hartz-IV-Klientel der modernen BRD auch nur irgendwie in Zusammenhang gebracht zu werden. Als sich dazu auch noch die Vorsteher der israelischen Kultusgemeinde zu Wort melden und vehement gegen die Beschädigung des Opfermonopols der Juden ankämpfen, zeigt sich, dass der Bayer Stiegler eben doch überhaupt kein anderer Kerl, sondern auch nur ein mieser Wahlkämpfer ist: Er entschuldigt sich für den Tritt ins Fettnäpfchen, der ihm bei einer allzu unkontrollierten gedanklichen Assoziation unterlaufen wäre…

Ohne Abstriche von der antisozialen Radikalität ihrer Parole zu machen, ohne überhaupt ein Wort darüber verlieren zu müssen, inwiefern sich ihr nationaler Ruf nach Arbeit sans phrase – im Interesse deutscher Arbeitsloser, die als solche dem Staat zur Last fallen, statt zum Allgemeinwohl beizutragen – von Hitlers nationalem Arbeitsprogramm unterscheidet, verbittet sich die vereinte politische Klasse mit Erfolg die ehrenrührige Zuordnung ihres Wahlversprechens zu jener dunklen Phase unserer Geschichte. Sinnig ergänzt um ein kleines Adjektiv, bleibt die nationale Losung endgültig unwidersprochen „‚Arbeit schaffen‘, das ist schön und gut. Aber nicht um jeden Preis. Wir Sozialdemokraten fordern: ‚Menschenwürdige Arbeit schaffen!‘“ (Müntefering) Wo der Nationalsozialist die Würde des Menschen in seiner fürs nationale Kollektiv nützlichen Arbeit begründet sieht, hält der sozialdemokratische Nationalist den Zusatz für angebracht, dass man in der Demokratie der Arbeit diese Würde schon noch ansehen können muss. Immerhin ein Unterschied, mit dem sich beide gut voneinander unterscheiden lassen.