Robert Kurz: Der Kollaps der Modernisierung, Frankfurt 1991 (I), Honeckers Rache, Berlin 1991 (II) Vom linken Arbeiterfreund zum pessimistisch-optimistischen Geschichtsphilosophen
Der Untergang des Abendlands – linksherum

Die verkehrte Gleichsetzung von realem Sozialismus und Kapitalismus als Mittel, dem Kapitalismus sein (zukünftiges) Scheitern zu prognostizieren. ‚Misserfolg!‘: Kurz‘ falscher Maßstab der Kritik am System und seine Leistung: ‚Links sein geht‘. Die falsche Kapitalismuskritik: Verwandlung von Geld, Ware, Kapital in einen einzigen Fetisch, der die Menschen zu Marionetten macht. Die Kurz‘sche Geschichtsphilosophie: Elitäres Durchblickertum statt Kritik.

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Gliederung

Robert Kurz: Der Kollaps der Modernisierung, Frankfurt 1991 (I), Honeckers Rache, Berlin 1991 (II)
Vom linken Arbeiterfreund zum pessimistisch-optimistischen Geschichtsphilosophen
Der Untergang des Abendlands – linksherum

Nach dem „Ende des Kommunismus“ und der Diskreditierung alles Linken schafft es einer, der sich Marxist nennt, in die Bestsellerlisten; er wird von Trampert, Hickel und sogar Raddatz besprochen, nicht nur in linken Blättern, sondern in Zeit und FAZ. Robert Kurz ist in diesem Jahr wichtig, weil er ein Zeitbedürfnis bedient: Er bietet Orientierungshilfe für alle, die die bescheuerte Frage wälzen, ob und wenn, wie sie heute noch links bleiben können. Daß man das ja auch nicht unbedingt muß, wenn man am Kapitalismus nichts mehr auszusetzen hat, wäre vielleicht für manchen eine befreiende Entdeckung. Kurz kritisiert diese Frage aber nicht, sondern gibt Antwort: Wenn man Abstand nimmt von „Aufklärung“, Agitation und politischen Umtrieben, wenn man Arbeiterklasse und Klassenkampf vergißt und pessimistischer Geschichtsphilosoph wird, kann man sehr gut links bleiben. Die Erwartung, daß es auch mit dem Kapitalismus nicht auf ewig gut gehen wird, ja vielleicht gar nicht mehr lange, kann man sich trotz allem und mit Kurz’ Hilfe erhalten.

Wer kann der These vom „Ende der Geschichte entgegentreten“? Kurz kann!

Seine beiden 1991 erschienenen Schriften sind ausdrücklich auf die berühmt gewordene „These vom Ende der Geschichte“ bezogen, die ein japanischstämmiger Ami-Professor nach dem Sieg über den Sozialismus aufgestellt hat: Mit dem Ende der Systemalternative soll sich die demokratische Gesellschaftsform und die liberale Wirtschaftsweise als letztgültig, unüberholbar und alternativlos durchgesetzt haben. Das tausendjährige Reich des Kapitalismus könne jetzt anbrechen. Die billige Überhöhung des westlichen Triumphes – weil sie keinen Feind mehr haben, halten sie sich für unschlagbar, weil es keine nennenswerten Kritiker mehr gibt, halten sie sich für unwiderlegbar – kritisiert Kurz nicht als argumentfreie Selbstbeweihräucherung. Dem alten ML-Ideologen, der seinerseits schon immer das letztes Stündlein des Kapitalismus angekündigt und Kritik mit einer schlechten Prognose verwechselt hatte, kommt seine alte Denkweise auch dadurch nicht fragwürdig vor, daß sie ihm nun von der bürgerlichen Seite umgekehrt reingewürgt wird. Daß eine höhere Instanz als alle im Spiel befindlichen Mächte, daß ein höherer Zweck als die gegensätzlichen Interessen aller Seiten – nämlich die Geschichte höchstpersönlich als ein apartes Subjekt – über Sieg und Niederlage, Recht und Unrecht von Gesellschafts- und Wirtschaftsformationen entscheidet, ist den rechten und linken Anhängern dieser Religion so geläufig, daß es ihnen wirklich schwerfällt, sich angesichts des beeindruckenden „Urteils der Geschichte“ über den Realen Sozialismus einen Vorbehalt gegen die Sieger zu bewahren. Die einst so optimistische Geschichtsphilosophie des Marxismus-Leninismus, die Einwände gegen den Kapitalismus nur als Erwartung seines baldigen Scheiterns kannte, entnimmt eben auch der bewiesenen historischen Haltbarkeit dieses Ausbeutungssystems ein schwer widerlegbares Argument für sie. Vom „Ende der Geschichte“ also ziemlich beeindruckt, bietet Kurz eine „Neubewertung des Realen Sozialismus“ an, die es erlaubt, der These vom Ende der Geschichte entgegenzutreten: Er wirft den bürgerlichen Jublern vor, den wahren Fahrplan des Zugs der Geschichte nicht zu kennen und während eines Zwischenstops schon den Zielbahnhof auszurufen.

„Ein historisch-reflektiertes Denken, das sich nicht derart gemein macht, daß es große gesellschaftliche Bewegungen und politisch-ökonomische Formationen mit den Prädikaten ‚richtig‘ oder ‚falsch‘, ‚gut‘ oder ‚böse‘ belegt, wird sich dem Problem eher in der Weise nähern, daß es fragt, welche entwicklungsgeschichtliche Aufgabe denn mit diesem Epochenbruch nun erledigt und abgearbeitet ist. Erst ein solches Fragen kann ahnen lassen, was dann wohl danach kommt und ‚an der Reihe‘ ist.“ (Kurz, Die Intelligenz nach dem Klassenkampf, in: Widerspruch, Münchner Zeitschrift für Philosophie, Nr.22, S.16)

Wenn der Reale Sozialismus ein Kapitalismus war, dann ist sein Zusammenbruch auch einer des Kapitalismus, Indiz seiner Fäulnis und kein Grund, ein Ende der Geschichte zu vermuten.

Seit je ist Kurz ein Künder des Systemzusammenbruchs – und am Osten hat er, wenn er die politischen Absichten und Idiotien von Gorbatschow und seiner Mannschaft wegläßt und sich nur an die Differenz zwischen den Reformidealen von 1985 und den Resultaten von 1991 hält, ein wunderbares Beispiel für den ungewollten, nicht von außen erzwungenen, geradezu bilderbuchmäßig subjektlosen Systemzusammenbruch vor sich, wie ihn marxistische Propheten seit Rosa Luxemburg dem faulenden und reformunfähigen Kapitalismus immer vorhergesagt hatten. Leider am falschen System. Kurz schlägt nun vor – und das ist der Kern seiner ganzen Theorie –, das vom Kapitalismus 70 Jahre lang bekämpfte, von seinen Machern zur Überwindung des Kapitalismus errichtete System als auch eine Art Kapitalismus zu betrachten. Schon geht die Zusammenbruchsprophetie wieder auf: Die Oktoberrevolution und ihre Umwälzung der Eigentumsverhältnisse sollte nach Kurz den Kapitalismus gar nicht abschaffen, sondern in einer zu spät gekommenen Nation gewaltsam und revolutionär einführen.

„Somit wurde der Kommunismus zu einer proletarischen Legitimationsideologie nachholender bürgerlicher Zwangsmodernisierung.“ (I, S.52)

So kann sich der Zusammenbruchstheoretiker, für den im Osten nur eine Spielart des Kapitalismus untergegangen ist, dem „Urteil der Geschichte“ über die Epoche des Realsozialismus vorbehaltlos anschließen. Er gießt noch mehr Häme über die „realabsurden Altmännerregimes einer potjemkinschen Staatswirtschaft“ (II, S. 7) aus als seine bürgerlichen Gegner und beweist damit, wie wenig er vom Sieg des Westens im Kalten Krieg betroffen und wie sehr er im Einklang mit der Geschichte ist.

„Das Konkurrenzprinzip … hat tatsächlich besser ‚funktioniert‘ als der in Bewegungsunfähigkeit erstarrte Kasernensozialismus; es hat den Gebrauchswert ebenso wie die Produktivität besser garantiert, dementsprechend auch mehr Bedürfnisse und Lebensgenuß geschaffen und größere emanzipatorische Potenziale freigesetzt. Es ist sinnlos, sich dieser Einsicht versperren zu wollen und an einer unwiederbringlich vergangenen Konstellation, an einer Sozialismuskonzeption „geplanter Märkte“ mit jener verständnislosen Verbissenheit festzuhalten, wie sie gegenwärtig die Reste einer scheinradikalen Linken des Westens demonstrieren, die den Zusammenbruch der DDR und des weiland sozialistischen Lagers bloß negativ und abwertend erleben, … statt diesen Zusammenbruch als die negative Befreiung zu erleben, die er wirklich ist.“ (I, S.159f)

Trotz des Gleichklangs ist er in die kapitalistische Jubelparade nicht einfach eingereiht. Zwar kann und darf er nun – durch den Gang der Ereignisse von einer Sozialismus-Illusion befreit – dem wirklichen Kapitalismus ein beachtliches Fortschrittspotential und humane Errungenschaften attestieren. Wenn aber mit dem Zusammenbruch des „Kapitalismus der nachholenden Modernisierung“ das schwächste Glied aus der Kette der Kapitalismen herausbrach, dann bleiben nicht etwa die gesunden und haltbaren Kettenglieder übrig, dann kündigt sich damit nur der Kladderadatsch des zum Weltsystem vollendeten Ganzen an – so will es die Zusammenbruchslogik nun einmal.

Wenn, dann! Nicht eine Erklärung des Realen Sozialismus kündigt sich da an, schon gleich nicht eine Kritik der Irrtümer, auf die dieses System aufgebaut war – so gemein macht sich ein welthistorischer Überflieger nicht mit dem Objekt seiner historischen Verurteilung –, sondern ein Einreihen des Sozialismus in die welthistorische Epoche des Kapitalismus. Das Einordnen ist keine Kunst: Kapitalismus und Realsozialismus sind dasselbe, wenn man alles wegläßt, was sie unterscheidet, und mit den falschen soziologischen Abstraktionen von „Modernisierung“, „Industrie“- und „Arbeitsgesellschaft“ erklärtermaßen und absichtsvoll alles über einen Kamm schert. Daß Lenin einmal die deutsche Post als Vorbild des Sozialismus zitiert hat und Stalin von einer „ursprünglichen Akkumulation“ sprach, tut für den Indizienbeweis der Dieselbigkeit ebenso gute Dienste wie der Umstand, daß die polit-ökonomischen Lehrbücher des Realsozialismus voll sind mit den von Marx kritisierten Kategorien des kapitalistischen Reichtums Ware, Geld, Wert und Mehrwert. Lenin und seine Erben wollten den Wert planen, von der Anarchie des Marktes und der Ungerechtigkeit der Konkurrenz befreien und ihn dadurch für die Werktätigen nützlich machen. Sogar für den aus den sozialistischen Arbeitern herausgeholten Mehrwert wußten sie eine gerechte und sozialistische Verwendung. Daß diese alten Marxisten „Das Kapital“ offenbar mißverstanden hatten, daß sie es nicht als Kritik des kapitalistischen Reichtums, sondern als Lehrbuch des richtigen Wirtschaftens lasen, daß Marx den Wert als Maß des Reichtums abgeschafft und nicht „bewußt angewendet“ sehen wollte, daß schließlich das Projekt, den Wert zu planen, ein Unsinn und Widerspruch ist, – alles das merkt Kurz an, und zurecht. Nur läßt er sich auf den Widerspruch eines geplanten Wertes nicht ein und will gar nicht wissen, was herauskommt, wenn Revolutionäre Privateigentum und Konkurrenz aufheben, die politische Kontrolle über die Produktion erwerben, und ihre Planungshoheit dann dazu nutzen, die Rechnungs- und Erfolgskriterien des kapitalistischen Reichtums nachzuahmen und einer gar nicht mehr privaten und nicht auf Erwerb gerichteten Produktion als Pflicht aufzuerlegen. Kurz’ schematisches Einordnen des Realsozialismus in den Kapitalismus ist blind dafür, daß so etwas dann auch nicht mehr der aus Marx’ Kapital bekannte Wert ist, aber auch keine sozialistische Planwirtschaft, sondern etwas neuartiges Drittes: eine zum System gewordene falsche Kapitalismuskritik. Dieser Kritik am Kapitalismus wirft er nun vor, daß sie erstens Kapitalismus sei, und zweitens ein absurd gehemmter und verfälschter:

„Es handelt sich gleichsam um einen Kapitalismus, dessen Blutkreislauf unterbrochen wurde.“ (I, S.119)

Wenn er schon darauf herumreitet, daß die Planbürokraten lauter künstliche Preise errechneten und selbstdefinierte Gewinne einstrichen, dann hätte er doch auch merken können, daß sie eben auch nur selbstdefinierte Verluste tragen und unechte Defizite erleiden mußten, die sie genausogut hätten vergessen und ignorieren können, wie ihre Gewinne. Aber Kurz kritisiert den Realen Sozialismus nicht als verkehrte Planwirtschaft, sondern als verfälschte Wertproduktion – ganz wie alle bürgerlichen Betrachter dieses eigentümlichen Systems, über dessen Absurditäten von der Tonnenideologie bis zur Arbeitsplatzsicherheit sie sich dann gar nicht mehr einkriegen können. Unter dem Vorbehalt, daß der Kapitalismus nicht das letzte Wort der Geschichte sein kann, verwirft Kurz zusammen mit Frau Geschichte den sowjetischen Sozialismus vom Standpunkt des überlebenden also überlegenen Kapitalismus aus: Nicht, daß sie keine gescheite Planwirtschaft gemacht haben, wirft er den Realsozialisten vor, sondern daß sie keine gescheite Kapitalakkumulation hinbekommen haben. Diese ist zwar insgesamt „irrational und sinnlos“, aber bis dato das historisch Fortschrittlichste, was die Geschichte zu bieten hat. Kein Wunder, daß auch Raddatz Kurz’ Kritik des Realen Sozialismus gelungen findet – es ist dieselbe, die Spiegel und Zeit von anderen zu Papier bringen ließen –, und erst verständnislos wird, wenn Kurz den historisch überlegenen Westen dann auch noch in sein Untergangsgemälde einbezieht.

Wenn mit dem Scheitern der „nachholenden Modernisierung“ der erste Stein aus dem kapitalistischen Weltsystem herausgebrochen ist, dann muß der Rest hinterherpurzeln.

Kurz argumentiert nicht in dem Sinn; ganz Kassandra, deren Weitblick erst spätere Zeiten dem Ungläubigen ganz offenbaren werden, legt er seine Konsequenzen mehr nahe, als daß er sie beweisen würde. Den Fortgang gewinnt er mit häufigem „Vielleicht“, „Und wenn es doch ganz anders wäre …“ und mit seinem Recht, aus Indizien etwas zu „vermuten“, was dann sofort feststeht. Zur Not „erschließt“ er einfach aus dem Gegenteil das Gegenteil:

„Die historische Schrecksekunde des realsozialistischen Zusammenbruchs hat daher ein höchst eigentümliches ideologisches Klima erzeugt, in dem der verblassende, in Wirklichkeit schon immer bloß relative Ost-West-Gegensatz verabsolutiert erscheint, während die offensichtlichsten Fakten systematisch verdrängt oder völlig verzerrt wahrgenommen werden. Die Verbissenheit, mit der auch im Westen sämtliche Ideologen die Kategorien der Marktwirtschaft anbeten, verteidigen und beschwören, als gäbe es … jemanden, der sie jemals grundsätzlich angegriffen hätte, kann nur ihren bevorstehenden Untergang signalisieren. Nur so erklärt sich die hysterische und geradezu bellende Apologetik des Geldes quer durch alle politischen und ideologischen Lager – ausgerechnet im Augenblick seines vermeintlich höchsten Triumphes.“ (I, S.172)

Der frenetische Triumph der Marktwirtschaftler verrät ihre Verunsicherung! Sie haben auch schon gemerkt, was Kurz uns verkündet, geben es nur nicht zu. Die offensichtlichsten Fakten beweisen den nahenden Untergang: daß die Systemaustauscher im Osten – und Deutschland in seiner neuen Zone – mit der Einführung des Kapitalismus nicht auch den privaten oder nationalen Erfolg herbeiregieren, sondern die „Sünden der Subventions-, Schulden- und Staatswirtschaft“ fortsetzen müssen, ist „Honeckers Rache“. Der (vorläufige) Mißerfolg im deutschen, der absolute im sonstigen Osten, die immer weitergehende Zerstörung aller Zivilisation, die Deindustrialisierung und die Annäherung der dortigen Verhältnisse an die 3.Welt, wo ganze Völker verhungern und Staaten in Schulden versinken, – das alles zeigt Kurz nicht, wie der Kapitalismus im Weltmaßstab funktioniert, sondern daß er immer weniger funktioniert:

„Je mehr Länder dieses Schicksal teilen, je ferner die Fata Morgana des Aufschwungs und der marktwirtschaftlichen Prosperität für immer größere Menschenmassen rückt, desto klarer und unausweichlicher stellt sich die negative Perspektive: Das System der modernen Ware ist am Ende, und mit ihm die bürgerliche Geldsubjektivität, weil dieses System in seiner Produktivität über sich selbst hinausgeschossen ist und die Mehrheit der Weltbevölkerung nicht mehr in seine Logik zu integrieren vermag.“ (I, S.228)

Als ob es die Aufgabe des Kapitals wäre, „die Mehrheit der Weltbevölkerung in seine Logik zu integrieren“ – und zwar nicht so wie es sie tatsächlich „integriert“: durch Zerstörung jeder anderen Art von Wirtschaft, sondern mit Aufschwung und Prosperität. Die Beherrschung und Benutzung des Weltmarkts durch eine Handvoll kapitalstarker Nationen und die Degradierung des gesamten Rests zum Hinterland, dessen Rohstoffe manchmal interessieren, dessen Bevölkerung vollständig von kapitalistischer Benutzung abhängig wird, ohne aber benutzt zu werden, das ist die Normalität des weltweiten Kapitalismus, von der überhaupt nicht abzusehen ist, warum sie nicht noch lange „funktionieren“ sollte, sofern die betroffenen Menschen es sich gefallen lassen. Armut, auch massenhafte und ganze Staaten ruinierende, ist keine Schande für ein Ausbeutungssystem und kein Zeichen seines Versagens. Kurz ist hier den reichlich verspotteten Denkern des Realen Sozialismus viel näher, als er wahrhaben möchte, wenn er den Kapitalismus immerzu an sozialen Aufträgen scheitern sieht, die dieser gar nicht hat.

Nie würde Kurz einfach im Namen ihrer weltweiten Opfer gegen diese Produktionsweise polemisieren. Er läßt sogar Hunger und Elend nur dann als Argument gegen sie gelten, wenn er diese als Vorboten und Indizien ihres Scheitern auffassen kann. Daß das Schlechte letztlich gar nicht geht, ist das einzige Argument, das ihm dagegen einleuchtet. Also darf es auch nicht gehen: vorwärts in den endgültigen Untergang!

„Damit die Krise der Warenform aber ins gesellschaftliche Bewußtsein treten kann und die letzten Illusionen verfliegen, bedarf es noch eines Verlierers, des letzten: und das kann nur der urkapitalistische Westen selbst sein, der an seinen eigenen Siegen ersticken muß.“ (ebd.)

Mit dicken Unterstreichungen werden die Symptome der gegenwärtigen zyklischen Krise der Weltwirtschaft zitiert: das gigantische Schuldengebirge, zu dessen Verzinsung und Tilgung die produktiv verdienten Gewinne in keinem Verhältnis mehr stehen, die Neuverteilung der Gewinner- und relativen Verlierernationen auch innerhalb der OECD-Staaten –, aber nicht um daran zu zeigen, daß wieder einmal zuviel Waren produziert, zuviel Kredit auf zukünftige Profite gezogen, zuviel Fabriken hingestellt, kurz: zuviel Kapital akkumuliert worden ist, um für weitere profitable Verwendung noch zu taugen. Kurz denunziert an der Krise und ihrer Lösung nicht den kapitalistischen Zweck, sondern die Unfähigkeit des Kapitals, ihn zu realisieren: er hält die Krise für die Kritik des Kapitals. Sein Interesse gilt nicht dem, was da funktioniert, sondern der Behauptung, daß es nicht funktioniert. Daß wieder einmal materieller Reichtum so lange vernichtet, Fabriken und Belegschaften brachgelegt und so weit verbilligt werden, bis sich ihre Verwendung für den Profit wieder lohnt, zeigt ihm nicht, wie rücksichtslos dieser Produktionszweck den materiellen Reichtum und alle Reproduktionserfordernisse der Gesellschaft sich unterwirft und für nichts gelten läßt, wenn sie ihm nicht nützen; ihm zeigt die zyklische Krise, wie schwer es inzwischen dem Profit fällt, die Reproduktion der Gesellschaft zu bewerkstelligen.

Deshalb kennt er wie seine Vorgänger seit nun schon bald 100 Jahren eine Krise auch nicht als wiederkehrendes Stadium im Zyklus des Kapitals, sondern rechnet sie mittels der wohlbekannten realsozialistischen Technik des Komparativs zu der Krise der Warenform hoch, der letzten, endgültigen, historisch notwendigen Peripetie: „immer weniger Gewinnernationen stehen immer mehr Verlierern gegenüber“, immer mehr Kapital kann immer weniger abstrakte Arbeit anwenden, der Kapitalismus ist tendentiell ausbeutungsunfähig geworden. (I, S.262)

Es ist nur einerseits ein theoretischer Irrtum, wenn Kurz den Kapitalismus und seine Überlebensfähigkeit als Opfer des Falls der Profitrate und der Wellenform der Akkumulation hinstellt und nicht die Leute, die beschäftigt und arbeitslos dafür geradezustehen haben. Es ist auch eine Frage der praktischen Absicht, ob man den Betroffenen beweisen will, wie sehr sie sich schaden, wenn sie sich fürs kapitalistische Wirtschaften hergeben, oder ob man für ein schauderndes Publikum den modernen Nostradamus spielt und in einem Gemälde von nicht zu überbietender Dramatik den Vorhang vor der Zukunft wegreißt, um zu verkünden, daß wir, ob wir wollen oder nicht, ob wir etwas dazu tun oder nicht, vor einer Zeitenwende ungekannten Ausmaßes stehen.

„Es ist also zu erwarten, daß die bürgerliche Welt des totalen Geldes und der modernen Ware, deren Logik die sogenannte Neuzeit mit immer aufsteigender Dynamik konstituiert hat, noch vor dem Ende des 20. Jahrhunderts in ein dunkles Zeitalter von Chaos und Zerfall gesellschaftlicher Strukturen eintritt, wie es noch niemals in der Weltgeschichte dagewesen ist.“ (I, S.257)

Im Grad seines Pessimismus über die düstere Zukunft bringt der Prophet seinen linken Optimismus zum Ausdruck, denn der Reiz und die Unterstellung noch jedes Katastrophengemäldes ist, daß es den Leuten zu gut geht und daß es noch viel schlimmer kommen muß, um radikale Kritik glaubwürdig zu machen. So enthält jede Zusammenbruchstheorie ein Kompliment an den bisher funktionierenden Kapitalismus, der den Materialismus seiner Opfer angeblich weitgehend zufriedenstellte und, könnte er so weitermachen, wirklich über aller Kritik wäre. Sie enthält aber auch eine elitäre Auskunft über die tumben, bewußtlos ins System integrierten Massen, die noch viel schlechtere Erfahrungen machen müssen, damit ihnen die Augen aufgehen und sie sich ihrer Verantwortung für die Gestaltung der Gesellschaft stellen.

Entfremdungsphilosophie statt politischer Ökonomie

Kurz’ Verwendung Marxscher Kapitalismuskritik für die Auspinselung eines unentrinnbaren Katastrophenszenarios läßt nicht viel von ihr übrig: Das Kapital, ein ökonomisches Verhältnis, gerät zur fast schon religiösen Vorstellung eines namenlosen Verhängnisses. Bei seiner radikalen Ausmalung als automatisches Subjekt der Geschichte geht völlig unter, daß Wert, Geld und Kapital eine Form des Reichtums sind, der durchaus seine Interessenten hat, und der demjenigen, der darüber verfügt, alles zugänglich macht, was das Herz begehrt; ein Reichtum, der die Staaten, in denen er gedeiht, mit allen Mitteln der Macht ausstaffiert und ihrem politischen Gestaltungswillen weltweite Geltung verschafft; ein Reichtum, der auf der anderen Seite der großen Mehrheit des Volkes nichts als ein Leben in Arbeit und eine dauerhaft unsichere Lage beschert, und wieder anderen noch nicht einmal erlaubt, sich den Lebensunterhalt durch Dienst an fremdem Reichtum selbst zu erarbeiten.

Von all dem will Kurz nichts mehr wissen. Das ist für ihn Vergangenheit; der „Arbeiterbewegungs-Marx“ ist tot:

„Mit dem Ende eines Zeitalters, wie es durch den Untergang des Staatssozialismus besiegelt wurde, erlischt nur das an diese Epoche gebundene Moment der Marxschen Theorie, mit dem sie aber keineswegs erschöpft und ausgeschöpft ist.“ „Der ‚Klassenkampf‘, der nichts anderes war als der Durchsetzungsprozeß des Kapitals in seiner reinen abstrakten Formlogik gegen die historisch-empirisch jeweils beschränkten Kapitalisten, ist damit beendet.“ „Der ‚Wert der Ware Arbeitskraft‘ ist im Sinne einer kapitalistischen Normalität, eines ‚Behagens im Kapitalismus‘ ausgeschöpft.“ „Nicht mehr die ‚Ausbeutung‘ in der Wertform ist das Problem, sondern die abstrakte Arbeit selbst, d.h. die betriebswirtschaftliche Vernutzung von Mensch und Natur.“ (Kurz, Die Intelligenz nach dem Klassenkampf, S.17/18)

Es ist für Kurz ein und dasselbe, ob der Klassenkampf in den Erfolgsnationen des Westens aufgehört hat, weil das Behagen im Kapitalismus grenzenlos geworden ist und von Ausbeutung nicht mehr die Rede sein kann, oder ob von Ausbeutung nicht mehr die Rede ist, weil der Klassenkampf zugunsten politischer Repräsentation aufgegeben worden ist. Er jedenfalls kann mit „Ausbeutung“ nichts mehr anfangen und findet das gut so. Denn solange der Kapitalismus als Ausbeutung kritisiert und bekämpft wurde, befanden wir uns noch in der Durchsetzungsphase des modernen Kapitalismus, wie unser Epocheneinteiler meint: die Arbeiter wollten lediglich einen größeren Anteil vom Wert, nicht aber die Überwindung des Wertgesetzes. Diese Entgegensetzung, die auf die Entstehungszeit der Gewerkschaften zutrifft, hält Kurz nicht für einen Fehler, der sich dadurch rächt, daß das Ziel eines vergrößerten Wertanteils für den Arbeiter auch gar nicht erreicht wird, sondern für eine einerseits sehr vernünftige Sache im materiellen Interesse der Arbeiter und andererseits für eine prinzipiell unvernünftige für den Standpunkt der Systemüberwindung: Solange sich ein materielles Interesse im Kapitalismus unbefriedigt sieht, und Arbeiter mehr von ihrer Arbeit haben wollen, werden sich diese Materialisten immer Vorteile im Kapitalismus suchen anstatt sich für die hohe Aufgabe der Systemüberwindung herzugeben. Erst wenn überhaupt kein geschädigtes Interesse in der kapitalistischen Gesellschaft mehr ausfindig gemacht werden kann, das einen guten Grund zur Beseitigung der Scheiße haben könnte, entsteht Raum für die Leute mit dem höheren Standpunkt, der von vornherein außerhalb steht, Raum für radikale Kritik ohne Interesse, für den Antikapitalismus der Philosophen:

„Die ‚Arbeit‘ hat ihre Würde verloren; als Beschäftigungstherapie, moderner Pyramidenbau, Arbeitsplatzfetischismus und Zerstörungsproduktion hält sie nur noch künstlich das globalisierte kapitalistische System mit zunehmend ruinösen Geschäftskosten am Laufen.“ (ebd.)

Die „völlig sinnlose Selbstzweckproduktion“ (I, S.270) bringt lauter absurdes Zeug hervor, das niemand braucht und niemandem nützt, aber auch keinem mehr schadet – außer den eigenen Geschäftskosten; weit und breit nichts zu sehen von einer nutznießenden herrschenden Klasse und ebensowenig von einer benutzen Arbeiterklasse. Opfer ist vielmehr nur die Arbeit selbst, d.h. ihre Würde: sie werkelt ohne Sinn und Zweck, ja ohne eigentliches Produkt immer weiter. Opfer ist zweitens die Nation bzw. die Politik, die mit ihrer Macht alles im Griff zu haben glaubt, tatsächlich aber „entwirklicht“ ist, ein lächerliches und hektisches Getriebe, das in die Gesellschaft, die es angeblich regiert, immer weniger hineinwirkt (II, S. 160). Opfer ist schließlich der Mensch, der in die subjektlose Selbstzweckmaschine ‚Kapital‘ eingespannt ist und sich dabei eigentlich nur in einer Hinsicht täuscht: er hängt der „bürgerlichen Subjektillusion“ an und glaubt, er sei ein Subjekt, könnte etwas richtig oder falsch machen, und bildet sich ein, es käme auf ihn an. Dabei ist der Wert das wirkliche Subjekt dieser Welt, Staat und Untertan, Kapitalist und Prolet sind seine „entsubjektivierten“ Marionetten. Bei Kurz machen sich die Menschen nicht durch falsche Berechnungen über die ökonomischen Mittel ihres Lebensunterhalts zum Werkzeug der Kapitalverwertung, die ihr Mittel nicht ist, sie haben nicht ein falsches Bewußtsein ihrer Lage, sondern sind bewußtlose Marionetten des Werts.

Dieses Gemälde einer mehr komischen „Entsubjektivierung“ und Selbstverfehlung des Menschen soll angeblich der Wertform- und Fetischkritiker, der „andere, dunkle, esoterische Marx, mit dem keineswegs zufällig die gesamte Arbeiterbewegung nie etwas anfangen konnte“(Die Intelligenz, S.17/18), verbraten haben. Tatsächlich lesen sich die Erläuterungen des Fetisch-Fanatikers Kurz auf den ersten Blick wie ein übertreibendes, Marx’ Metaphern pleonastisch überladendes Referat, sie zielen aber auf ganz etwas anderes, als was der alte Ökonomiekritiker aufschrieb:

„Im Kontext der Marxschen Kritik an der politischen Ökonomie ist dieser ökonomische Wert rein negativ bestimmt, als verdinglichte, fetischistische, von jedem konkreten sinnlichen Inhalt losgelöste, abstrakte und tote Darstellungsform vergangener gesellschaftlicher Arbeit an den Produkten, die sich in einer immanenten Formbewegung der Austauschbeziehungen bis zum Geld als dem ‚abstrakten Ding‘ fortentwickelt. Dieser Wert ist das Kennzeichen einer Gesellschaft, die ihrer selbst nicht Herr ist.“ „Im Produktionsprozeß …bezieht sich der Wert …tautologisch auf sich selbst: Der Fetischismus ist selbstreflexiv geworden und konstituiert dadurch die Arbeit als Selbstzweckmaschine.“ „Der gesamte gesellschaftliche und individuelle Lebensprozeß wird damit der fürchterlichen Banalität des Geldes und seiner tautologischen Selbstbewegung unterworfen.“ Dies „hat etwas Ungeheuerliches an sich. Diese Monstrosität …“ (I, S.17-19)

Das stimmt halt nicht. Der Wert wird bei Marx durchaus positiv bestimmt: Er ist das kapitalistische Maß des Reichtums, das diesen in der Quantität des Arbeitsaufwands mißt, anstatt, wie es vom Standpunkt der Nützlichkeit der Arbeit vernünftig wäre, in der Leichtigkeit der Produktion und der relativen Überflüssigkeit der Arbeit; mit diesem Reichtumsmaß ist festgelegt, daß der einzige Produktionszweck und Ertrag von wertschaffender Arbeit der ausschließende private Zugriff auf den gesellschaftlichen Reichtum, seine Vermehrung und dafür das Kommando über andere Arbeit ist. Aber darauf kommt es Kurz nicht an, selbst wenn er es einmal irgendwo bemerkt; für ihn ist der Wert das dreimal Abstrakte, Verdinglichte, der bewußten Kontrolle Entzogene. Das Wertgesetz ist tatsächlich ein von den Privatsubjekten selbst erzeugter Sachzwang, nach denen sich ihr Wirtschaften dann wieder richtet. Dies hat Marx zu der Metapher vom Warenfetisch veranlaßt. In der Darstellung von Kurz regiert aber nicht der Wert, sondern der Fetisch, nicht das Geld, sondern die Abstraktion; und ihn interessiert es gar nicht, daß „der Selbstbewegung des Geldes unterworfen“ zu sein, 8-Stunden-Tag, Akkord und Verschleiß bedeutet, er findet es fürchterlich, daß der Mensch einem banalen Ding untergeordnet ist. Am Schluß sind nicht Leben, Kraft, Vergnügen und Sicherheit der Menschen Opfer des Kapitals, sondern einzig und allein die Würde des selbstverantwortlichen Philosophensubjekts Mensch. Die Verachtung der Wichte, zu denen die Menschen geworden sind, drückt sich deutlich aus: in einem „gemeingefährlichen Wahnsystem“ (I, S.271) spielen sie die würdelose Rolle der Maus im Laufrad; ihre Laster – Vergnügungssucht und Konsumrausch – und ihre absurd unzeitgemäßen Tugenden – Arbeitswut und Arbeitsstolz (gerade die Zonis, II, S.22-34) – ketten sie an diesen überflüssigen Unsinn. Kapitalismus – eine gigantische Charakterschwäche seiner Opfer.

Doch halt! Der historisch reflektierte Denker verurteilt nicht, er versteht! – Auch dann noch, wenn er nichts als Degeneration vor sich hat. Dafür entwickelt er die Kunst des doppelten Blicks.

Überflüssige und elitäre Aufklärung über den richtigen Zeitpunkt

Alles, was Kurz bespricht, – der Wert, das Geld, der Reale Sozialismus und die kapitalistische Konkurrenz – ist furchtbar, monströs, absurd, irrational und wahnhaft. Historisch gesehen ist alles das zugleich notwendig, relativ zu den Entwicklungsbedingungen rational und dem Fortschritt förderlich: Das abstrakte Monster Geld ist eine „Krücke der Menschheit“, die jetzt, aber auch erst jetzt bzw. nächstens weggelegt wird; die kapitalistische Selbstzweckmaschine hat eine „Doppelnatur“ und ist zugleich gar kein Selbstzweck, sondern eine „dynamisierende Emanzipationsmaschine“, und noch nicht einmal der hart verurteilte Reale Sozialismus darf ein Fehler genannt werden.

„Die etatistischen Sünden der Kommando- und Subventionswirtschaft waren auch hier kein ‚Fehler‘, sondern sich aufdrängende Notwendigkeit, um wenigstens eine Zeitlang in der Hülle des warenproduzierenden Weltsystems zu überleben. Werden diese Strukturen abgebaut, so können nur noch weitere und schlimmere Zusammenbruchsprozesse folgen …“ (I, S.206)

Die Sowjetpolitiker mit ihrer theoretischen Blindheit, die ein uneigentliches Dasein der Marktkategorien für deren Nichtexistenz hält, (I, S.77) mußten ihre versteinerten Kriegswirtschaften in einen Schrotthaufen reaktionsunfähiger Stagnation verwandeln (I, S.66) – und haben dabei doch immer alles richtig gemacht: Von Kurz bekommen die Menschewiki 1917 Recht, die in Rußland eine kapitalistische Entwicklung für historisch geboten hielten, und Lenins Bolschewiki ebenfalls, weil die nachholende kapitalistische Modernisierung nur durch Revolution, Etatismus und Abschottung durchzusetzen war.

„Tatsächlich verkennen die Leichenredner Lenins, gleichgültig welcher Couleur, das historische Wesen der Oktoberrevolution gerade deswegen, weil sie die leninistische Illusion teilen und also Alternativen in die Vergangenheit projizieren, als hätten diese bloß in der ‚richtigen‘ oder ‚falschen‘ Willensentscheidung der handelnden Subjekte gelegen. Die Befreiung von den Zwangsgesetzen der Warenform, d.h. die Aufhebung einer außer den Subjekten liegenden blinden Bedingtheit, ist aber selber noch bedingt.“ (I, S.53)

Überhaupt haben immer alle alles richtig gemacht, bzw. ist die Rede von richtig und falsch sowieso sinnlos, weil eine absolute, jeden Streit um den richtigen Weg ad absurdum führende Notwendigkeit herrscht, die Politik wie Kritik gleichermaßen überflüssig macht – auch die Kurzsche. Bis die „blinde Bedingtheit“ sich selbst aufhebt, ist jede Kritik und Richtigstellung fruchtlos und fehl am Platz; wenn eines Tages aber die Bedingungen für die blinde Bedingtheit von selber wegfallen, dann ist Kritik auch wieder fehl am Platz.

„Das Problem besteht letztlich darin, daß die abstrakte Rentabilitätslogik, wie sie der modernen Ware und damit dem von dieser konstituierten Weltmarkt inhärent ist, so etwas wie eine politisch induzierte, d.h. von bloßen Willensentscheidungen getragene Strategie gar nicht kennt und nicht zulassen kann. … Da es sich hier um eine objektive Gesetzmäßigkeit innerhalb der Warenlogik handelt, … ist es überhaupt sinnlos und absurd, mit den Strukturgesetzen der Warenproduktion rechten und argumentieren zu wollen, als hätte man es mit einem bewußten Subjekt zu tun. Daß es für die Befriedigung der sinnlichen Bedürfnisse ‚vernünftig‘ wäre, nicht nach den abstrakten Gesetzen der Rentabilität zu produzieren … geht die Logik der Geldform gar nichts an, die sich daher über alle frommen Wünsche hinwegsetzen muß mit jener Unerbittlichkeit, wie sie ‚Gesetzmäßigkeiten‘ nun einmal an sich haben.“ (I, S.196f)

Die falsche Theorie der absoluten Unfreiheit lebt von einer Verwechslung: Tatsächlich kann man nicht gleichzeitig Kapital, Weltmarkt und Konkurrenz einerseits, Vollbeschäftigung, Ernährung, Entwicklung und, was es der frommen Wünschen über die sozialen Aufgaben des Kapitalismus sonst noch gibt, andererseits haben. Daß man aber „die Warenlogik“ und die internationale Konkurrenz, mit der sich die verschiedenen Staaten und Kapitale Akkumulation und Produktivitätssteigerung wechselseitig aufzwingen, insgesamt abschaffen kann, sobald man das nicht mehr „vernünftig“ findet, das haben die Realsozialisten hinter ihrem Eisernen Vorhang durchaus vorgeführt. Er hat ihre Arbeit und deren Produkte dem kapitalistischen Produktivitätsvergleich entzogen und damit die Gesetze des Werts so lange außer Kraft gesetzt, wie sie das wollten.

Kurz kritisiert Fehler, die nicht mehr gemacht werden – und er kritisiert sie, weil sie nicht mehr gemacht werden, er nimmt umgekehrt alle Dummheiten, die noch gültig sind, gegen Kritik in Schutz: die Zeit für weitergehende Einsichten war dann offenbar nicht reif, „das warenproduzierende System noch weit diesseits der Krisen- und Aufhebungsschwelle“ (I, S.266). Wer den von Kurz historisch verurteilten „Arbeiterbewegungssozialismus“ und alles, was er da von der Kritik der Ausbeutung bis zum Klassenkampf hineinrechnet, heute noch vertritt, muß sich von ihm sagen lassen, er sei eine „ausrollende Endmoräne“ einer vergangenen Zeit und unfähig die weitergehenden Gedanken von Marx zu kapieren. Wer es aber schon gestern und womöglich gegenüber den Anhängern eines noch realen Sozialismus gewagt hatte, Kurz’ Einsichten über die „uneigentliche Existenz der Wertkategorien“ mitzuteilen, wird als „bürgerlicher Aufklärer“ beschimpft, der die historische Notwendigkeit der ganzen Scheiße ignorieren und überspringen will.

In Bezug auf ein linkes Publikum engagiert sich Kurz in dem müßigen Streit um den erlaubten Zeitpunkt von richtigen Gedanken: Solange sie nötig wären, weil Irrtümer geglaubt und gelebt werden, sind sie verboten: utopistisches Aufklärertum; am Platz und zeitgemäß wäre Kritik, wenn es sie nicht mehr braucht, weil der geglaubte Irrtum sich ohnehin auflöst. Wann der rechte Zeitpunkt zum Wechseln des Kritik-Paradigmas ist, sagt uns niemand Geringerer als Kurz: Jetzt! Der Mann ruft Epochen aus. Und wer das als erster macht, darf sie mit seinem Namen belegen.

In Bezug auf den Rest der Menschheit hat er sich damit eine sehr elitäre Sicht von einer angeblich absoluten und ausweglosen Verstricktheit in unbeherrschte Verhältnisse zurechtgelegt; eine Position, von der aus er die Idiotien und Schweinereien, die die Menschen treiben und die sie betreiben, benennen und als irrational verwerfen kann. Seine Verurteilung derselben braucht und kann er den so Verurteilten nicht mitzuteilen. Vorerst könnten sie sowieso nicht einsehen, was er einsieht; später wird es ihnen die katastrophische Krisenentwicklung ohnehin verunmöglichen, so weiterzumachen wie bisher. Solange sie das nicht tut, sind die von ihm gewußten Idiotien und Schweinereien für andere Leute die angemessene Verarbeitungsform der von der Geschichte gestellten Aufgaben.

Seine ganze Theorie ist getragen von der schlechte Meinung vom Menschen, die sich ein enttäuschter Arbeiterbewegungs-Optimist im Lauf der Zeit zugelegt hat. Nachdem die einst eben doch als Bürge für die „Möglichkeit des Sozialismus“ geschätzte Sowjetunion, nachdem die Politik der sozialistischen Staaten und Parteien und der Aufstand der Völker ihren linken Interpreten so schmählich im Stich gelassen haben, nachdem sich der „subjektive Faktor“ als Hoffnungsträger so grundsätzlich blamiert hat, hält er es mit dem „objektiven Faktor“, der unbewußt dem unbewußten Pack schon beibringen wird, daß es so nicht weitergeht: Eine sehr verbitterte Hoffnungstheorie.

Sie ist die Fortsetzung des marxistisch-leninistischen Geschichtsoptimismus mit dem allerletzten Mittel: Philosophie statt Politik. Die Opfer des Kapitalismus über miese Zustände aufklären, damit sie abgestellt werden, das will er erklärtermaßen nicht mehr. Sein nicht geringer Mitteilungsdrang richtet sich an ein anderes Publikum und bietet andere „Einsichten“: Statt Kritik in praktischer Absicht bietet Kurz Durchblick in unpraktischer Absicht. Für ein Publikum, das auch nichts mehr will, macht er den Hegel unserer Tage, „das Bewußtsein seiner Zeit“: Wenn der Kapitalismus sich historisch selbst zerstört, dann kommt es nur darauf an, geistig auf der Höhe zu bleiben und dem unvermeidlichen Scheitern der Unvernunft bewußt beizuwohnen.