Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Der UNO-Millenniumsgipfel:
Der Imperialismus macht Fortschritte, die UNO vollzieht sie nach

Was feiert die UNO an ihrem 55. Geburtstag? Sie begrüßt die Fortschritte des Imperialismus bei der von ihr diplomatisch mit gestalteten Konkurrenz der Nationen, in der sich bekanntlich einige auf Kosten vieler anderer bereichern und dabei Millionen Menschen auf der Strecke bleiben. Ein bleibender Anlass, mit noch mehr Elendsprogrammen unter der Regie der UNO die „Globalisierung“ zu begleiten. Und in Sachen Gewaltausübung: nichts gegen den Interventionismus der Nato weltweit, er soll nur von der UNO lizenziert und mitpraktiziert werden.

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen

Der UNO-Millenniumsgipfel:
Der Imperialismus macht Fortschritte, die UNO vollzieht sie nach

Anlässlich des 55. Geburtstags der UNO gelingt es ihrem Generalsekretär nach seinen eigenen Worten, die größte Zusammenkunft nationaler Führungspersönlichkeiten, die die Welt je erlebt hat, zu organisieren. Ihre Tagesordnung – zur Festlegung des Kurses, den die Menschheit am Beginn des neuen Millenniums einschlagen soll – ist äußerst ehrgeizig. (die folgenden Zitate aus der SZ vom 5.9., 6.9. und 9.9.) Und zu welchen Ufern soll die Menschheit im neuen Jahrtausend aufbrechen?

„Globalisierung ist eine Realität. Sie ist für einige höchst vorteilhaft. Und sie ist von ihrem Potenzial her vorteilhaft für alle – aber nur wenn die Staaten zusammenarbeiten, um die Vorteile für die Menschen greifbar zu machen. Ohne diese gemeinsame Anstrengung werden Milliarden Menschen in Armut und Elend zurückbleiben… Wir stehen globalen Herausforderungen gegenüber, die uns zwingen, zusammenzuarbeiten.“

Was den „Bereich Wirtschaft und Soziales“ anbelangt, beglückwünscht der UNO-Chef die Menschheit dazu, dass sie grundsätzlich schon auf dem richtigen Weg ist – wobei er sich nichts vormacht: Er weiß auch, dass er von einer Konkurrenzveranstaltung spricht, in der sich einige wenige Nationen – für sie „höchst vorteilhaft“ – auf Kosten sehr vieler anderer bereichern und dass „Milliarden Menschen“ dabei ganz auf der Strecke bleiben. Vorstellig macht er den nach dem Ende der realsozialistischen Systemalternative wahrhaft globalen Wettbewerb ausnahmslos kapitalistisch verfasster Staaten allerdings nicht als das Werk der beteiligten Nationen, sondern als ein ihrem Wirken vorausgesetztes sachzwangartiges Geschehen namens Globalisierung, das sie „gemeinsam“ vor „globale Herausforderungen“ stellt. Die allseits beliebte Manier, unter Berufung auf solche Herausforderungen für die eigenen politischen Anliegen zu werben, beherrscht eben auch er. In diesem Sinne zitiert er „Armut und Elend“ herbei, nicht um deren politische Ursachen zu kritisieren, sondern um deren Veranstalter dafür zu gewinnen, dass sie seinen Verein wichtig finden. Die unter dem Dach seiner Organisation versammelten Staaten sollen ihre Konkurrenz auf dem Weltmarkt um „gemeinsame Anstrengungen“ zur Betreuung ökonomisch ruinierter und von den weltmarktbeherrschenden Nationen endgültig abgeschriebener Weltgegenden ergänzen. Mehr Elendsbetreuungsprogramme – möglichst im selben Maß mehr, in dem das Elend auf dem Globus fortschreitet, organisiert von einem dieser „globalen Herausforderung“ wirklich gewachsenen und entsprechend ausgebauten globalen UN-Hilfswerk –, dann wären die Vorteile der Globalisierung für alle Menschen greifbar!

Der UNO-Mann hat eben noch Visionen! Er ist aber auch realistisch genug, zu wissen, dass er die angesprochenen Staaten mit seinem Geschwafel von einer „für alle vorteilhaften“ Zusammenarbeit ebenso wenig beeindruckt wie mit dem von Herausforderungen, die „uns zwingen, zusammenzuarbeiten“. Deswegen testet er daneben aus, was die ‚global players‘ und die ‚Zivilgesellschaft‘ sich ihre ideologischen Titel an Beiträgen zum Renommee der UNO kosten lassen:

„Manager von rund 50 internationalen Konzernen, Gewerkschaftsführer und NGO-Vertreter einigten sich in New York, im Rahmen des Pakts („global compact“) zusammenzuarbeiten. Aus Deutschland beteiligten sich etwa DaimlerChrysler, die Deutsche Bank und die Telekom. Sie müssen sich öffentlich für den Pakt einsetzen, einmal im Jahr ein Beispiel für seine Umsetzung im Internet veröffentlichen und sich für UN-Projekte engagieren.“

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Die Globalisierung hat aber noch weit ehrgeizigere Ziele auf die Tagesordnung der Menschheit gesetzt:

„Wenn das (die Sache mit der Zusammenarbeit nämlich) für den Bereich Wirtschaft und Soziales richtig ist, so trifft es noch mehr auf die Herausforderungen durch Massaker und Krieg zu. Der Instinkt der menschlichen Solidarität – der manche Staaten dazu nötigt, den Bürgern anderer Staaten zu Hilfe zu kommen oder deren Diktatoren anzuklagen – ist lobenswert… Und verschiedene Entwicklungen – wie beispielsweise die Ereignisse im Kosovo und die Verhaftung von General Pinochet – haben gezeigt, dass es nicht mehr als rein interne Angelegenheit eines Staates angesehen wird, wie er seine Bevölkerung behandelt.“

Auch im Hinblick auf „Massaker und Krieg“ versteht es der Generalsekretär der UNO, sich von der Realität das politische Programm vorgeben zu lassen. Nur begrüßen kann er da einen Fortschritt, den der Imperialismus in Sachen Gewaltausübung zu verzeichnen hat. Eine schönere Apologie des Interventionismus, den die NATO-Staaten im Namen der Menschenrechte betreiben, hätte sich deren Sprecher jedenfalls kaum ausdenken können: Keine Spur von imperialistischem Eigeninteresse ist für ihn zu erkennen, wenn die USA und deren Verbündeten einen Staat mit Krieg überziehen, der ihnen nicht passt; das ist für ihn vielmehr auch so eine Form internationaler Zusammenarbeit: Reines Mitgefühl mit der gequälten Kreatur und grundsätzliche Abscheu vor regierenden Diktatoren soll das größte Militärbündnis aller Zeiten auf dem Balkan zum Eingreifen genötigt haben. Bereitwillig unterschreibt Annan so die Lüge der NATO, dass der Titel, unter dem sie da zugeschlagen hat, der Grund für ihr Zuschlagen war. Bemerkenswerterweise will er nicht einmal darauf herumreiten, dass die NATO mit ihrer Intervention nebenbei auch noch ein wenig das Völkerrecht gebrochen und die UNO übergangen, sich nämlich über den Sicherheitsrat und seine völkerrechtliche Zuständigkeit für den Weltfrieden hinweggesetzt hat. Er ist da realistisch: Der Fall „zeigt“ ihm, dass die Anerkennung staatlicher Souveränität nicht mehr als oberstes zwischenstaatliches Rechtsprinzip „angesehen wird“. Und wenn es die amerikanische Weltmacht und deren Verbündete sind, die das so sehen, wenn die die ‚klassischen‘, UNO-mäßig anerkannten Kriegsgründe – Souveränitätsverletzung – als für ihren Gewaltbedarf zu eng gefasst befinden und sich gegenüber dem Rest der Staatenwelt das Recht herausnehmen, ihr Urteil über die Unrechtmäßigkeit von Regierungen und deren Herrschaftsausübung jederzeit gewaltsam zu vollstrecken, dann schließt er sich deren Sicht an – d.h.: dann anerkennt er das neue Kräfteverhältnis und versucht, sich auf dieser Grundlage mit seiner Organisation wieder in die Regelung des internationalen Gewalthaushaltes einzuklinken.

Ein Bedenken gegen den Interventionismus der NATO hat er nämlich schon anzumelden:

„Aber wenn solche Maßnahmen von einem oder wenigen Staaten in eigener Verantwortung ergriffen werden, geht das mit der Gefahr weltweiter Anarchie einher… sie (die Welt) wird sicherer und gerechter werden, wenn die Menschen, die von massiver Zerstörung bedroht sind, überall darauf vertrauen können, dass die Vereinten Nationen aktiv werden – nicht immer militärisch aktiv, das sollte nur der letzte Ausweg in extremen Fällen sein, aber in einer wirksamen Form präventiv mittels Diplomatie, gutem Rat und dort, wo angemessen, mittels wirtschaftlicher Hilfe oder wirtschaftlichem Druck.“

Prinzipiell fasst der UNO-Chef schon mal die ganze Welt als potentielles Eingriffsfeld ins Auge. Nichts gegen einen Interventionismus also, vor dem sich grundsätzlich kein Staat mehr sicher sein kann, aber in Ordnung geht der nur, wenn er von der UNO lizenziert und praktiziert wird. Damit sie das auch wirklich kann, fordert Annan eine zentrale Steuerungsstelle für den Einsatz von Friedenstruppen… eine gute Ausbildung und Ausrüstung der UN-Kräfte… mehr Unabhängigkeit des Generalsekretärs… und mehr Geld für die UN.

Sich und seine Organisation bietet er damit als Auftraggeber für den von der NATO auf die Tagesordnung gesetzten Menschenrechts-Interventionismus an. Ein mehr als doppeldeutiges Verhältnis: Denn nimmt man die Sache mit dem Auftraggeber einmal ernst, so hieße das ja, dass die UNO dann ein selbständiges, über den Staaten stehendes Interventionsrecht haben und unabhängig von deren Interessenlage ausüben würde. Die Sache ist und bleibt aber ersichtlich ein Angebot des UN-Generalsekretärs an die wirklichen Subjekte der Weltpolitik, die sich gerade von der Umständlichkeit befreit haben, den Einsatz ihrer Gewalt durch die UNO absegnen zu lassen. Die sollen sich überlegen, ob sie künftig wirklich ganz auf den rechtfertigenden Schein verzichten wollen und können, sie würden zuschlagen, weil die Völkerfamilie sie dazu beauftragt hat – oder ob ihnen dieser Schein nicht doch so viel wert ist, dass sie für ihn die UNO in eine neue Rolle einsetzen.

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Das Echo der Staatenwelt auf diese „Herausforderung“ ist geteilt. China und Russland, gegen deren Widerstand die NATO im Namen der Menschenrechte in Jugoslawien intervenierte und die in punkto Tibet und Tschetschenien schon genug nicht nur ideelle Einmischung der „internationalen Staatengemeinschaft“ erfahren, lehnen mehr oder weniger diplomatisch verklausuliert ab:

„Wir sind davon überzeugt: Wir müssen die Mechanismen der UNO reformieren und verbessern. Dies ist ein Gebot unserer Zeit. Aber keine Reform sollte ihre fundamentalen Prinzipien lockern.“ (Putin, Pressemitteilung der Russischen Botschaft Berlin, Nr. 41/2000)

Sie sind dagegen, dass der Generalsekretär der Nichtbeachtung ihrer Vetomacht im Sicherheitsrat durch die USA nicht nur nachträglich sein Plazet gibt, sondern das dabei gewählte Verfahren, sich im Namen der Menschenrechte über nationale Vorbehalte hinwegzusetzen, zum neuen UNO-Prinzip erklären will.

Deswegen sind umgekehrt die USA und Großbritannien aber noch lange nicht vorbehaltlos für die „Annan-Doktrin“:

„Hingegen forderten US-Präsident Bill Clinton und Britanniens Premier Tony Blair eine weiter gefasste Definition des Begriffs ‚Bedrohung der Sicherheit‘.“ (SZ, 5.9.00)

Die bisherigen Subjekte in Sachen Menschenrechts-Intervention bestehen selbstverständlich auch weiterhin auf ihrer ungeteilten Definitionshoheit, wann eine Gefährdung des Weltfriedens oder ein Fall von bad governance vorliegt. Auftragnehmer der UNO zu werden, ist überhaupt nicht ihre Absicht. Und in der Rolle des Auftraggebers können sie sich die UNO allenfalls dann vorstellen, wenn sichergestellt ist, dass die pünktlich den von ihnen angemeldeten Gewaltbedarf absegnet.

Deutschland ist wiederum ziemlich vorbehaltlos für die von Annan initiierte Reform. Und es macht aus seinem Motiv kein Geheimnis. Wenn eine Erneuerung der UNO ansteht, dann soll sie doch bitte schön so reformiert werden, dass Deutschland endlich den ihm schon lange zustehenden Sitz im Sicherheitsrat bekommt. Deutschland sieht in der von Annan eröffneten Debatte um die Reform der UNO die Gelegenheit, sich ins Spiel zu bringen. Sein Außenminister schafft es locker, das deutsche Anliegen zum unverzichtbaren Beitrag zur „Stärkung der Handlungsfähigkeit“ der UNO und darüber dann zu einer „Schicksalsfrage für die Menschheit“ zu erklären:

„Im 21. Jahrhundert werden wir zur Lösung der globalen Herausforderungen mehr denn je eine Art global governance benötigen. Hierbei wird den Vereinten Nationen eine zentrale Bedeutung zukommen. (…) Ihre Handlungsfähigkeit entscheidend zu stärken, ist eine Schicksalsfrage für die Menschheit. Hierzu gehört neben der zentralen Reform des Sicherheitsrats, dass sie neue Partnerschaften mit Wirtschaft und Zivilgesellschaft eingehen. Deutschland unterstützt nachdrücklich die Idee des Generalsekretärs eines Global Compact mit großen Wirtschaftsunternehmen… Friedenseinsätze brauchen ein robusteres Mandat und eine verbesserte personelle und materielle Ausstattung.“ (SZ, 15.9.)

Was Außenminister Fischer eher geschmeidig an Annans Reformvorschlägen entlang ausdrückt, erklärt der Kanzler ohne Umschweife und nicht ohne erpresserische Untertöne:

„Zu der von Schröder ausdrücklich begrüßten und von Annan vorangetriebenen Reform der UN gehöre als erster Schritt auch die Neuorganisation des Sicherheitsrats. ‚Es kann die Erfolgsaussichten globaler Friedenssicherung nicht verbessern, wenn politisch und wirtschaftlich gewichtige Staaten nicht in die Entscheidungsfindung im Sicherheitsrat eingebunden sind‘, sagte der Kanzler. ‚Bei einer Erweiterung des Kreises der ständigen Mitglieder ist Deutschland zur Übernahme entsprechender Verantwortung bereit.‘“

Und als UNO-Musterknabe liest er der Führungsmacht die Leviten: Jeder Mitgliedsstaat ist aufgefordert, seine Beiträge fristgerecht und uneingeschränkt zu zahlen. (SZ, 7.9.00) – so wie Deutschland nämlich, das seiner Verpflichtung als drittgrößter Beitragszahler immer in vorbildlicher Weise nachgekommen ist. Nur hat das Deutschland seinem Ziel auch nicht näher gebracht. Es leidet nach wie vor an dem imperialistischen Defizit, zwar als ökonomischer Riese einen Gutteil der Welt von sich ökonomisch abhängig gemacht zu haben. Mittlerweile mischt es auch in der „globalen Friedenssicherung“ fast überall mit. Und sein Verteidigungsminister ist auch anlässlich von Annans Reformvorstoß sofort mit dem Angebot zur Stelle, Deutschland werde der UNO ein festes Truppenkontingent zur Verfügung stellen – nicht ohne sein Angebot dahingehend zu erläutern, dass über den Einsatz dieser Truppen selbstverständlich das deutsche Parlament zu entscheiden hat. Aber förmlich anerkannt als Mitglied im Kreis der Mächte, die in allen entscheidenden Fragen der Weltpolitik das Sagen haben, ist Deutschland nicht. Darauf ist und bleibt es scharf. Und deswegen ist es auch der größte Fan von Annans ‚Reformkonzept‘. Sein Begehren hat nämlich nur dann eine Chance, wenn mit der UNO der Sicherheitsrat und dessen Mitgliedschaft „reformiert“ werden.