Umsturz in Kirgistan
Schlechte Noten für die (vorläufig) letzte „bunte Revolution“

Innerhalb weniger Tage gehen die Beschwerden der kirgisischen Opposition über die gelaufenen Wahlen in einen regelrechten Aufstand über, erst im Süden, dann in der Hauptstadt Bischkek. Und dann das, mitten im Schwelgen darüber, dass der „revolutionäre Wind“ gerade erneut eine üble Diktatur wegfegt: die „Nacht der Anarchie“, „ein Machtvakuum, das sich in Bischkek breit machte und in der Nacht vom Donnerstag auf den Karfreitag Einkaufsläden, Supermärkte und Basars wüsten Plünderungen überließ.“

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen

Umsturz in Kirgistan
Schlechte Noten für die (vorläufig) letzte „bunte Revolution“

Im Moment sind „wir“ alle ja große Revolutionsfreunde. Die freiheitlichen Berichterstatter wissen es zu genießen, dass die weltordnenden Nationen ihren Zugriff auf bisher noch nicht in ihrem Sinn geordnete Gebiete als Demokratisierungsoffensive abwickeln. Denn so lassen sich die imperialistischen Interessen gänzlich zum Verschwinden bringen hinter dem der Völker, die sich ihre Freiheit erkämpfen und denen „wir“ dabei in aller Aufrichtigkeit nur „helfen“. Das Verfahren, auf saubere Wahlen zu pochen, um die Herrschaft am westlichen Bedarf auszurichten, erfreut sich so großer Beliebtheit, dass prompt hässliche Töne aufkommen, wenn sich Völker daneben benehmen und das schöne Bild verunzieren.

Nach den erregenden Wochen, in denen orangenfarben dekorierte Reporterinnen auf dem Platz in Kiew sich selber dermaßen in Rührung versetzten, dass sie mit zitternder Stimme nur noch Botschaften über die großartige „Stimmung“ und Adjektive wie „friedlich“ und „bunt“ ins Mikrofon stammeln mochten, sind die Parlamentswahlen in Kirgistan der nächste Fall für eine solche „Revolution“. Innerhalb weniger Tage gehen die Beschwerden der kirgisischen Opposition über die gelaufenen Wahlen in einen regelrechten Aufstand über, erst im Süden, dann in der Hauptstadt Bischkek. Und dann das, mitten im Schwelgen darüber, dass der „revolutionäre Wind“ gerade erneut eine üble Diktatur wegfegt: die Nacht der Anarchie, ein Machtvakuum, das sich in Bischkek breit machte und in der Nacht vom Donnerstag auf den Karfreitag Einkaufsläden, Supermärkte und Basars wüsten Plünderungen überließ. (Zitate aus FAZ, SZ, NZZ, heute-journal vom 23.3. bis zum 2.4.) Regelverstöße sind zu vermelden, die hier keiner bestellt hat: Mit friedlichem Protest hatte das nichts mehr gemein – aus der geplanten sanften Revolution in Gelb nach dem Vorbild der Ukraine war ein Aufstand geworden. Es trat dabei eine neue Kraft in Erscheinung: ‚das Volk‘, oder doch immerhin eine nach Zehntausenden zählende Menge, die mit Politik im Allgemeinen wenig zu tun hat, dafür mit ihrer materiellen Lage überaus unzufrieden ist und in beiden Städten zeitweise in bedrohlicher Art das Regiment übernahm. Wo kommen wir denn da hin, wenn sich in einer Revolution „das Volk“ zu Wort meldet?! Und wozu soll ein Aufstand gut sein, wenn er nicht postwendend in eine sattelfeste neue Herrschaft überführt wird?! Damit hatten weder die Opposition gegen Akajew noch die Staatsmacht wirklich gerechnet. Wie es gelingt, diese unberechenbare Menge wieder unter Kontrolle zu bringen, ist eine der Schlüsselfragen für die Zukunft Kirgistans.

Anhand der kirgisischen Abweichung von der in den westlichen Hauptstädten erlassenen Regel erklären uns unsere Meinungsmacher dankenswerterweise einmal ganz genau, wo und warum sie Revolutionen heutzutage so sehr mögen.

Genau genommen gelten die Beschwerden dem Instrument, das dort wie schon in Georgien und der Ukraine zum Einsatz gekommen ist. Die Intervention im Namen freier und ungetrübter echter Wahlen hat das geleistet, was sie leisten sollte: nämlich mit dem Vorwurf der Wahlfälschung der existierenden Herrschaft die Legitimation entzogen, deren Macht in Frage gestellt, indem sie oppositionelle Interessen ins Recht gesetzt hat. Damit hat der vom Westen bestellte Siegeszug der Demokratie auch in Kirgistan die Machtfrage aufgeworfen – aber eben noch nicht eindeutig, glatt und schnell entschieden. Und die Öffentlichkeit muss warten und hat immer noch keine Antwort auf die einzig sie bewegenden Fragen, wer der neue starke Mann ist und wer unser Mann ist.

Fremde Völker mit Hilfe alternativer Führer dazu aufzustacheln, ihre bisherige Führung abzusetzen, lässt sich offensichtlich gut machen. Das Interesse der auswärtigen Mächte an einer Umbesetzung der Staatsposten und Neuausrichtung der Macht und die lokale Unzufriedenheit, die man dafür funktionalisiert, sind aber immer noch zwei verschiedene Dinge. Dass das Letztere im Fall Kirgistan nicht nahtlos in Ersterem aufgeht, ist der Grund, weshalb die öffentliche Sympathie für diese „Revolution“ so schnell gekippt ist.

1.

Schließlich hat der Westen ein Recht auf seinen Regimewechsel. Er besteht ja schon seit längerem darauf, dass auch die zentralasiatischen Figuren sich und ihre Herrschaft dem Verfahren der demokratischen Konkurrenz um die Macht und damit dem Eingriff der auswärtigen Mächte aussetzen. Und spätestens seit den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2000, in denen sich Präsident Akajew für die dritte Amtsperiode bestätigen ließ, haben die USA, Europa und die OSZE seine mangelnde Bereitschaft, sich von seinem Amt zu trennen, zum Hauptfehler der kirgisischen Demokratie erklärt und die Beendigung seiner Herrschaft zu ihrer Sache gemacht.

Auf die Versuche der Präsidentenmannschaft, die Macht zu behaupten bzw. zu vererben, die Verfassung per Referendum in diesem Sinne zu ändern, um die Machtorgane dementsprechend zu besetzen, antworten die USA und OSZE mit der offiziellen Missbilligung des Referendums im Winter 2003, bestehen darauf, dass Akajew seinen Abtritt im Jahr 2005 unterschreibt und tun ihr Bestes zur Formierung einer Opposition. Bei 30 „politischen Parteien“ gibt es genug zu tun. Dass das so viele und deren Bündnisse nicht übermäßig haltbar sind, erklärt sich daraus, dass einem hier unter dem Namen Parteien die landesüblichen „Clanstrukturen“ vorgestellt werden.[1] Unter der wegweisenden Parole „Für die Absetzung Akajews und Reformen für das Volk“ (die Bewegung gleichen Namens wurde im Jahr 2002 gegründet, nachdem es bei Unruhen wegen der Abtretung von Land an China im Süden zu Toten gekommen war) werden 2003 immerhin schon einmal 22 Bewegungen, Parteien und Organisationen vereinigt. Ende 2004 wird ein weiterer Zusammenschluss vermeldet, diesmal schon unter dem Titel des Kampfes gegen Wahlfälschung.[2]

Die Beobachtung der Menschenrechte wird aus Holland und vor allem von der Soros-Stiftung finanziert; die USA unterhalten ein „regierungsunabhängiges Zentrum zur Unterstützung der Massenmedien“ in Osch, d.h. im aufsässigen Süden. („Unsere“ Leute, Zeitungen, Abgeordneten in solchen Ländern heißen grundsätzlich „unabhängig“.) Die Weltmacht kümmert sich überhaupt rührend um alle Bedingungen wie Geld, Papier, Strom, Transportmittel etc. Solche Hilfen sind unersetzlich in Gegenden, wo eine Opposition ebenso wie der Rest der Bevölkerung kaum Gelegenheit hat, sich Geld zu beschaffen, und z.B. auch die üblichen Medien zur Bildung eines Wählerwillens wegen des regelmäßigen Stromausfalls nur sehr beschränkt zur Verfügung stehen (was die OSZE durchaus auch schon den dortigen Regierungen als Behinderung freier Wahlen vorgeworfen hat). Mit Hilfe der umfassenden Unterstützung von Freedom House (eine von einem Ex-CIA-Chef geführte NGO, was dem N offensichtlich keinen Abbruch tut) wird der Anti-Akajew-Wahlkampf im Land geführt und das – laut Sachverständigen wahlentscheidende – Argument: die Oppositionszeitung mit dem Foto einer „geschmacklosen Riesenvilla“, die sich Akajew gebaut hat, dem sinnfälligen Abbild von Korruption also, im Land verbreitet.

Was mit der Herstellung der Menschenrechte auf Öffentlichkeit und Opposition gemeint ist, bleibt den Machthabern auch nicht verborgen. 2003 werden Gesetze aufgelegt, die ausländischen Staaten und Organisationen verbieten, in ausländischen Medien, die auf dem Territorium Kirgistans verbreitet werden, Wahlkampf zu betreiben; gemeint ist vor allem Radio Liberty. Außerdem wird die finanzielle Unterstützung von Kandidaten durch ausländische Staaten, ausländische Firmen und Stiftungen sowie durch religiöse Organisationen untersagt (Saudi-Arabien unterhält moslemische Stiftungen). Seit dem Umsturz in Georgien zetert der Präsident gegen ein ähnliches Szenario für das eigene Land, und die Regierung versucht, mit Hilfe der Steuergesetzgebung den NGOs das Handwerk zu legen (in Kirgistan sind mittlerweile etwa 6000 zugelassen), namhafte Oppositionelle und Meinungsmacher werden mit Anklagen und Prozessen überhäuft. Nach etlichen Jahren dieses Kleinkriegs zwischen Machthabern und NGO-gestützter Opposition ist es dann so weit: Die Wahl wird genauestens ‚beobachtet‘, und der amerikanische Botschafter hält mit seinen „Einschätzungen“ wie üblich nicht hinter dem Berg:

„Das kirgisische Außenministerium hat der amerikanischen Botschaft eine offizielle Note zukommen lassen, in der Stellungnahmen des US-Botschafters Stephen Young als ‚unzulässig‘ kritisiert werden. Young hatte geäußert, dass ‚erhebliche Probleme bei der Durchführung der Wahlen das Bild und den Ruf Kirgisistans als eines Landes, das bei der Durchsetzung demokratischer Reformen eine Führungsrolle einnimmt, beschädigen werden‘. Youngs Stellungnahmen werden als ‚Versuch der Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes‘ bezeichnet.“ (Radio Free Europe/Radio Liberty, 27.2.) „Das US-Außenministerium kritisiert die Wahlen und ruft die kirgisische Regierung dazu auf, sich bei der Eindämmung der Proteste auf friedliche Mittel zu beschränken. Es teilt die Bewertung der OSZE, dass die Wahl die internationalen Standards nicht erfüllt hat.“ (RFERL, 15.3.) „Der amerikanische Botschafter Stephen Young wirft der kirgisischen Regierung vor, dass es ihr nicht gelungen ist, die Abhaltung freier Wahlen zu garantieren. Der zweite Wahlgang am 13. März und die erste Runde am 27. Februar wurden durch die Behinderung von Medien, die Einmischung der Regierung in den Wahlkampf, die Voreingenommenheit der Öffentlichkeit zugunsten von Regierungskandidaten und die Disqualifizierung von Oppositionskandidaten beeinträchtigt.“ (RFERL, 16.3.)

Insofern war dann auch die Verwunderung der hiesigen Medien, dass der Herr Präsident das Land schon verlassen hatte, noch ehe der Haufen Demonstranten beim Präsidentenpalast angekommen war, dass sich dann im Endeffekt die Schrecken erregende Diktatur so schnell in nichts aufgelöst hatte, ein bisschen künstlich. Denn das war ja nun auch für Akajew kein Rätsel, dass er es nicht nur mit Protesten seiner Untertanen zu tun hatte, sondern mit deren Sponsor und Auftraggeber, der Weltmacht Nr. 1 samt Partnern, die schon an GUS-Staaten von anderem Kaliber gezeigt haben, wie unwiderstehlich ihr Freiheitsprogramm ist.[3]

2.

Statisten, Fußvolk, dem mit einem Fingerzeig auf den Präsidentenpalast einleuchtet, dass mit dem Unrecht aufgeräumt werden muss, musste das amerikanische Programm zum Regimewechsel nicht lange suchen. Nichts ist leichter zu haben als Unzufriedenheit in einem Land, in dem so gut wie alles, wovon das alltägliche Leben abhängt und was zuvor irgendwie funktionierte, durch die neuen Rechnungsweisen zugrunde gerichtet worden ist.

Nachdem der Terminus „Revolution“, in Kombination mit dem Adjektiv „demokratisch“, neuerdings so beliebt geworden ist, sollte der Genauigkeit halber daran erinnert werden, dass zuvor schon eine andere „Umwälzung“ über diese Gegend hergefallen ist, was die parteilichen Beobachter allerdings so nicht zur Kenntnis nehmen mögen. Den Einzug des Kapitalismus mögen sie lieber als „Zusammenbruch“ des vorhergehenden Systems beschreiben; denn diese Betrachtungsweise hat erstens den Vorteil, dass das siegreiche System immer weniger als ein System vorkommt, stattdessen wird ihm immer mehr der Charakter unumstößlicher Naturgesetze zugeschrieben, die jetzt eben auch dort wirken, und noch weniger kommen die Aktivisten dieser Systemänderung mit ihren Interessen zur Sprache. Zweitens wird mit Hilfe dieses Kunstgriffs geleugnet, dass die Folgen, das, was die Einführung des Kapitalismus im Osten angerichtet hat, auch nur entfernt irgendetwas mit diesem System zu tun haben könnten, den jetzt auch dort über alle Lebensumstände entscheidenden Interessen am marktwirtschaftlichen Gelderwerb. Stattdessen müssen alle möglichen anderen Schuldigen dafür herhalten: die maroden Voraussetzungen, ungünstige Naturbedingungen und Lage, eine pflichtvergessene Regierung, nicht zuletzt und zusammenfassend: das alte System, an dessen unglückseligem Erbe Kirgistan auch heute noch leiden soll.

Zur Erinnerung: die Rede ist von den Zeiten der „zentralen wissenschaftlichen Planung und Lenkung“, in denen die Sowjetrepubliken mitsamt ihren Natur- und sonstigen Bedingungen in einen unionsweit gültigen Wirtschaftsplan eingebaut und nach den komplexen Regeln der Hebelwirtschaft auf ein funktionelles Zusammenwirken festgelegt waren. Für die kirgisische sozialistische Sowjetrepublik waren da Beiträge zum Großen Ganzen vor allem in der Abteilung Landwirtschaft vorgesehen; die erforderlichen Mittel für die Mechanisierung der Landarbeit, Saatgut etc. wurden zugeteilt, die Versorgung mit Energie und Wasser ohne Rücksicht auf Republiksgrenzen organisiert und die Kol- und Sowchosniki unter das grausame Joch zentral festgelegter Zuliefer- und Abnehmerbeziehungen gezwungen. Nicht viel besser im Kur- und Erholungssystem, das planmäßig aufgebaut und mit Kundschaft aus der gesamten Union versorgt wurde. Daneben, um auch diese Sünde nicht zu vergessen, hielt es die Zentrale in Moskau für sinnvoll, die industrielle Entwicklung am Tienschan zu fördern, Metallurgie-, Maschinenbau-, Textil- und Nahrungsmittelbetriebe aufzustellen und die Bergrepublik, unbekümmert um kapitalistische Rentabilitätsrechnungen, auch auf dieser Ebene in den arbeitsteiligen Zusammenhang der Union zu integrieren.

Nach Jahrzehnten dieser widernatürlichen Bremsung der Marktwirtschaft war es Anfang der 90er dann auch für die Kirgisen so weit: Befreit vom Zwang zur Kooperation durch die staatliche Planung konnten tatendurstige staatliche und private Aktivisten der neuen Art der Bereicherung endlich loslegen, ihre Republik in einen nationalen Kapitalismus umwidmen und polit-ökonomisch so gründlich aufmischen, dass von der früheren Produktion und Versorgung kaum etwas übrig geblieben ist.

Die überkommenen Ressourcen und produktiven Potenzen sollten der kirgisischen und den benachbarten neuen Nationen nun gute Dienste tun in der Konkurrenz um echten kapitalistischen Geldreichtum; die frisch eroberte, national ausschließende Verfügung über Teile der ehemals vergemeinschafteten Produktionsmittel gab den neuen Chefs die Macht und das gute Recht, ihre Nutzung durch die anderen nur gegen Zahlung von (Welt-)Geld zuzulassen – das sie sich allerdings alle erst noch verdienen wollten. So haben sie ein pur negatives, erpresserisches Nachbarschaftsverhältnis eingerichtet: Da liefern die einen, die nun exklusiv über die Ressourcen der kollektiven Energieversorgung verfügen, den lieben Nachbarn Strom oder Gas nur noch zu Marktpreisen oder eben nicht und legen den Abnehmer lahm, dem es an Zahlungsfähigkeit mangelt; die anderen schreiten zur Gegenerpressung, nutzen die Wasserressourcen, über die sie zufällig verfügen, zur Stromerzeugung rücksichtslos gegen den Bedarf der landwirtschaftlichen Bewässerung anderswo.[4] Statt dem erstrebten Geldreichtum schreitet im Zuge dieser wechselseitigen Erpressungsmanöver nur der Ruin der materiellen Grundlagen der Produktion voran; bei denen, die – wie Kirgistan – weder Öl noch Gas in nennenswertem Umfang zu verkaufen haben, natürlich auch die Verschuldung. Die Instandhaltung der wasser- und energiewirtschaftlichen Einrichtungen ist darüber zum Problem geraten, und die Methoden der Geldbeschaffung von unten leisten auch ihren Beitrag zu dem Zerstörungswerk.[5] Die kirgisische Agrarwirtschaft, für die mit Auflösung der Union und dem Aufbruch in die marktwirtschaftliche Freiheit Zulieferungen und Abnehmer entfallen sind, durfte sich gesundschrumpfen, ebenso wie das realsozialistische Kur- und Erholungssystem, dem die Gäste abhanden gekommen sind. So werden aus den ehemaligen Kolchos-Mitgliedern innerhalb weniger Jahre wieder „echte Kirgisen“, die zu ihrem Acker reiten, weil es keine Traktoren mehr gibt. Und die wieder wie „echte Nomaden“ in abgelegenen Berggegenden „ganz naturverbunden“, „den Jahreszeiten folgend“ ihr Vieh hüten. Die Erschließung Kirgistans durch ausländisches Kapital ist bis auf einige wenige Ausnahmen ausgeblieben, was eindeutig beweist, wie marode die dortigen Betriebe immer schon gewesen sein müssen und dass es keinen zu wundern braucht, wenn sie jetzt als Industrieruinen herumstehen. Aber es gibt natürlich auch Erfolge der marktwirtschaftlichen Wende: Eine kanadische Firma betreibt das wichtigste Unternehmen des Landes, die Goldmine Kumtor, und stiftet mit den Lizenzgebühren einen Großteil der kirgisischen Staatseinnahmen; die Billigkeit der Arbeitskräfte, vor allem aber die Lizenz zur rücksichtslosen Ruinierung des Tienschan-Gebirges, erlauben auf einer Höhe von fast 4000 m tatsächlich ein profitables Geschäft.

Der Rest der Nation kommt im Rahmen von Katastrophenmeldungen zur Sprache, wenn z.B. Untergliederungen der UNO die Ausdehnung von Tuberkulose und Analphabetismus oder Menschenrechtsverstöße beklagen, Kinder- und Häftlingsarbeit, ein Menschenhandel, bei dem u.a. Arbeitssklaven in die kasachische Wirtschaft verkauft werden. Auch für Umweltkatastrophen ist das Land geeignet: Experten warnen, dass Halden mit radioaktivem Abraum aus dem Uran-Abbau, für deren Unterhalt kein Geld vorhanden ist, durch Erdrutsche in Flüsse geraten und Zentralasien verseuchen könnten, und Regierungsstellen versuchen, internationale Gelder zu organisieren.

Der Niedergang hat das Land äußerst empfänglich gemacht für solche „Hilfen“ und auswärtige „Partnerschaften“. Seit seiner Unabhängigkeit hat Kirgistan einige Kredite erhalten, u.a. auch, wie eigens betont wird, zur Anerkennung seiner Bemühungen, sich demokratischer aufzuführen als seine Nachbarn, z.B. bei der Zulassung von NGOs. Gleichzeitig wird konstatiert, dass die Schulden der Nation in kürzester Zeit ihr BNP überholt haben, ohne dass jemand aber deswegen auf die Idee käme, die Redeweise von der „Hilfe“ aus dem Verkehr zu ziehen. Die aussichtslose Verschuldung hält ja schließlich ein nützliches Verhältnis von Hilfsbedürftigem und Hilfespender aufrecht. So kann sich dann auch eine internationale Streitmacht im Rahmen ihres Aufmarschs gegen Afghanistan einen Stützpunkt einkaufen – in einer Lage von strategischer, über den aktuellen Fall hinausgehender Bedeutung – und sich damit als Wirtschaftsfaktor präsentieren, der gleichzeitig auch noch als Freund von Witwen und Waisen in Erscheinung tritt.[6] Auf der anderen Seite meldet sich auch Russland mit Angeboten in Sachen Energieversorgung und -geschäft, die das Land kaum ablehnen kann, weil es damit von einem Teil der Auseinandersetzungen mit seinen Nachbarn befreit wird. Und auch diesem Förderer kann Kirgistan eine Gegenleistung militärischer Art, die Überlassung eines Stützpunkts, nicht versagen.

Die Bilanz des kapitalistischen Aufbruchs in Kirgistan fällt also etwas anders aus als von den Erfindern geplant. Die staatliche Souveränität nach außen ist zu einem puren Formalismus geraten; das Land ist finanziell vollständig vom Ausland abhängig, es ist politisch und militärisch unfähig, aus eigener Macht seine Grenzen zu sichern und seine Gegner in Schach zu halten; die Regierung manövriert von einer Notlage in die andere und beugt sich, um zu überleben, den erpresserischen Anträgen ihrer mächtigen Partner. Dieser Status Kirgistans als Objekt imperialistischer Politik ohne die Macht, eine eigene staatspolitische Linie zu verfolgen, hat sein Gegenstück in der inneren Verfassung des Landes. Mag man zu Beginn der Unabhängigkeit noch so etwas übernommen haben wie eine funktionierende Zentrale in der Republik, mit gewissen Mitteln, um das Gewaltmonopol über das gesamte Territorium zu behaupten; eine politische Loyalität zur Führung, die anknüpfte an schlechte staatsbürgerliche Gewohnheiten aus sozialistischen Zeiten und sich auf die Räson eines authentischen kirgisischen Nationalismus verpflichten ließ – jetzt ist davon nicht mehr viel zu sehen. Die politische Gewalt und die Gesellschaft fallen auseinander; das eine, maßgebliche Interesse, das die Akajew-Regierung aus ihrer Gesellschaft heraushören, in dessen Namen sie Politik machen, ihre Herrschaft sichern, Feinde bekämpfen und den nationalen Reichtum mehren wollte, gibt es nicht. Die Ökonomie, die das Volk in Dienst nimmt, den Staat mit Geldmitteln ausstattet und ein konstruktives Verhältnis von Bürger und Obrigkeit wie in den erfolgreichen kapitalistischen Demokratien begründet, ist nicht zustande gekommen. Die Ermächtigung von Privateigentümern zum Verdienen, die der Nation eine glänzende marktwirtschaftliche Karriere bescheren sollte, hat nach fünfzehn Jahren Kapitalismus nur ein paar Neureiche in der „Familie“ des Landesvaters hervorgebracht; die Restökonomie bestreiten lokale Clans, die ihr Geschäft mit Drogen und einigen Überbleibseln nationalen Reichtums an der Zentralregierung vorbei organisieren, sowie ein Volk, das in diesem Durcheinander um das Überleben kämpft. Der Staat hält dem von ihm etablierten Zwang, sich am Maßstab des Geldes zu bewähren, auch dann die Treue, wenn die Gesellschaft keins abwirft, und verkauft seine Dienste meistbietend:

„Nach der Unabhängigkeit hat die neue Machtelite die staatlichen Funktionen ad absurdum ‚kommerzialisiert‘. Der Staat verkauft Posten, mit denen sich Amtsträger das Recht zur Ausübung diskretionärer Macht erwerben. Beamte und Mitglieder des Justizapparats sind miserabel bezahlt, leben aber gut davon, ihre obrigkeitlichen ‚Dienste‘ gegen Bestechungs- und Erpressungsgelder zu verkaufen.“ (NZZ, 2.4.05)

So sieht also nach Schweizer Meinung das gute Leben in Kirgistan aus. Und auch die Redeweise von Bestechung ist unter Verhältnissen, in denen der Besitz von einem Stück Staatsmacht eine der wenigen Gelegenheiten bildet, sich überhaupt ein Einkommen zu verschaffen, ein enorm schlechter Witz – einerseits. Dort ist ja die Regel, zu der Korruption eine Abweichung darstellen würde, nicht vorhanden; die Unterscheidung von einem eigentlichen, ordentlichen Staatsprogramm neben einem Missbrauch durch Bestechliche lässt sich am ortsüblichen Material gar nicht treffen. Andererseits wird dieser Rechtstitel aus Gründen der hiesigen imperialistischen Berechnung nie und nimmer gekündigt, denn mit dem Bild einer Herrschaft, die gegen ihre Pflichten verstößt, wird ja der westliche Zugriff legitimiert; „wir“ kümmern uns um die Verhältnisse dort uneigennützig, ausschließlich im Namen guter Regierung, auf die schließlich jeder Kirgise ein Recht hat.

Zersetzung von Staat und Gesellschaft, flächendeckender wirtschaftlicher Ruin und Verelendung des Volkes – das sind die Resultate der grandiosen Umwälzungen in Kirgistan, der passende Sumpf für eine „demokratische Revolution“. In Szene gesetzt worden ist sie von einer Sorte Opposition, die mit „Korruption“ meint, dass sie zu Unrecht von den Pfründen ausgeschlossen ist. Der politische Gegensatz, den sie gegen Akajew aufgemacht hat, dreht sich nicht darum, wie die Macht auszuüben ist, sondern darum, wer sie hat, und dafür und nicht im Namen irgendwelcher politischen Linien oder Lager hat die Opposition ihre Anhänger auf den Plan gerufen. Die verlogene Umdeutung ihres Elends in ein Verbrechen Akajews – „Korruption!!“ – das jeden ehrlichen Volksgenossen empören, zum Aufstand berechtigen und anstacheln muss, war den Massen offenbar leicht beizubringen.[7]

Mit dem landesweiten Elend lässt sich mühelos Aufruhrstimmung erzeugen, und es ist auch nicht sonderlich schwer, den Aufruhr zum Erfolg zu führen. Denn auch zwischen der Staatsspitze und ihrem Personal, Polizei und Militär, ist der politische Gehorsam politisch und materiell so gründlich zersägt worden – eine Alimentierung des Staatspersonals findet so gut wie nicht statt –, dass selbst der harte Kern der Staatsgewalt zum Schluss keinen Grund mehr gesehen hat, warum er die Staatsspitze eigentlich gegen die Demonstranten beschützen sollte. Andererseits ist eben wegen dieser Beschaffenheit, wegen der Mischung aus Armutsaufstand, ethnischen Gehässigkeiten und Clanrivalitäten, die kirgisisch-„demokratische Revolution“ auch nur bedingt brauchbar für die westlichen Auftraggeber.

3.

Gerade einmal im westlichen Ausland namentlich bekannt gemacht, müssen sich die kirgisischen Oppositionsführer von dem schon einen „Mangel an Charisma“ vorhalten lassen.

Sie haben ja nicht einmal ihr Fußvolk im Griff, dessen Neigung zu mutwilligen Übergriffen auf fremdes Eigentum immer noch nicht beendet worden ist. Und das ist ja wohl das mindeste, was man von einem seriösen Politiker auch im asiatischen Hochgebirge verlangen kann, dass er die Unzufriedenheit verarmter Landesbewohner an- und ausknipst, wie man das in Amerika und Europa gerade braucht. Die Anstandsrichtlinie der hiesigen Öffentlichkeit, nach der Revolutionen neuerdings gewaltfrei zu verlaufen haben, ist ein offenherziges Bekenntnis zum Funktionalismus dieser neuen Freiheitsbewegung: Als wollten sie selber das Missverständnis explizit ausschließen, dass das Volk einmal ein bisschen anders gefragt sein könnte, ergeht mit der Forderung nach strikter Gewaltfreiheit die Klarstellung, dass der Einsatz der Volksmassen auf unserem neuen Revolutionsschauplatz, im Umkreis der russischen Grenzen, auch nur für die Umwidmung der Macht, für die Überführung der Gewalt an die richtigen, dazu befugten Instanzen vorgesehen ist. Von wegen gewaltfrei. Und deshalb ist an den neuen Führern als Zweites auszusetzen, dass sie die Macht noch gar nicht haben; stattdessen eröffnen sie erst einmal eine Konkurrenz um die Macht mit ungewissem Ausgang. Das wirft bei den westlichen Berichterstattern dann postwendend Zweifel an ihrer demokratischen Qualifikation auf. Dass ein solches Szenario im Namen freier Wahlen auf die Tagesordnung gekommen ist, haben sich zwar nicht die Kirgisen einfallen lassen; aber demokratische Berichterstatter werden sich ja wohl noch darüber beschweren dürfen, was die westliche Ermächtigung zum Aufruhr dort bewirkt.

Kaum ist der Präsident vertrieben, zeigt sich, dass die Alternative zu dessen Regiment in nichts anderem besteht als den Ansprüchen rivalisierender Clans. Im Inneren gehen Landbesetzungen weiter, in der Hauptstadt tauchen Flugblätter auf mit der Aufforderung zur Beschlagnahme russischen und koreanischen Eigentums. Auf der anderen Seite schachern die Anführer der Proteste und Interimsregenten mit dem neugewählten Parlament, obwohl das doch gerade auf Grundlage von Wahlfälschungen zustande gekommen sein soll. Aber der vom Westen gestiftete Rechtstitel hilft ja nicht viel, wenn sich die Anführer der Opposition zur Behauptung ihrer Macht auch mit den Figuren im neuen Parlament ins Benehmen setzen müssen, in dem viel Geld versammelt ist.[8] Im Süden wiederum, mutmaßen politische Beobachter, haben die Drogenbarone, Repräsentanten der einzigen boomenden Geschäftssphäre, die Gelegenheit ergriffen, unter dem Deckmantel von Wahlprotesten alle Ämter mit ihren Leuten zu besetzen und sich mehr Bewegungsfreiheit zu sichern.

Der Umsturz hat mit dem Akajew-Regime auch den Restbestand an politischer Loyalität zur Zentralregierung und landesweiter Kontrolle über das Land beseitigt. Vollends freigesetzt worden ist ein Kampf um die Aneignung der wenigen Einkommensquellen, der paar Trümmer Reichtum bzw. verbliebenen Symbole von Staatsmacht, der jetzt mit nationalistischen Rechtstiteln gegen Leute mit dem falschen Pass am falschen Ort unterwegs ist, im Namen des Südens gegen den Norden oder als Streit in einem Haufen von Volksvertretern, der in Bischkek um Posten ringt. Die ehemalige „Schweiz Zentralasiens“ ist auf bestem Wege, sich in einen „failing state“ aufzulösen.

4.

Währenddessen soll an einer Front demonstrativ alles beim Alten bleiben. Außenpolitisch signalisieren die Neuen in alle Himmelsrichtungen, dass sie alle Verträge respektieren und die Politik des gestürzten Präsidenten in der Hinsicht haargenau so fortführen wollen, und die journalistische Welt hier fragt sich endgültig, wozu denn dann das ganze Getöse eigentlich gut gewesen sein soll.

Dabei macht sich an diesen Botschaften nur bemerkbar, dass die Neuen so wenig Subjekte einer Außenpolitik sind wie ihre Vorgänger. Natürlich hat das Land auch einen Außenminister – aber eine Entscheidungsfreiheit, ein nationaler Handlungsspielraum mit Alternativen, die in der kirgisischen Hauptstadt gegeneinander abgewogen und über die dort befunden würde, liegt nicht vor. Vielmehr sehen sich kirgisische Staatsakteure bei jedem Bedürfnis nach Ausübung von Staatsmacht dank der Zerfallsgeschichte des Landes auf Zuwendungen von Seiten ausländischer Partner angewiesen – vom Kredit über Düngemittel bis zu Waffen und Uniformen, um Soldaten hineinzustecken –, so dass umgekehrt drei mächtige Partner des Landes ihre Konkurrenz gegeneinander unter Inanspruchnahme des Landes betreiben, jetzt eben auch anhand der Frage, wer die Macht hat, dort eine Regierung ein- und abzusetzen, pardon: frei wählen zu lassen.

Russland und China haben jeweils – wie das bei anerkannten Nationen so heißt – „vitale“ Interessen an einer Kontrolle der Außen- bzw. Bündnisgrenzen und des jeweiligen Luftraums sowie der Bekämpfung islamistischer bzw. separatistischer Bewegungen, die dort die Herrschaft in Frage stellen; früher mit den Taliban liierte Islamisten haben in allen zentralasiatischen Staaten mit Anschlägen auf sich aufmerksam gemacht, China hat im Grenzgebiet zu Kirgistan ein Separatismusproblem mit den Uiguren, schließt bei Bedarf die Grenze, um Kooperationsbereitschaft beim Nachbarn zu erzeugen, und hat auf der Grundlage von Akajew die Abtretung von Land im Grenzgebiet erpresst. Russland und China haben den Grenzstaat jeweils separat für diverse Verträge in Sachen Sicherheit in Beschlag genommen und gemeinsam mit Kasachstan, Usbekistan und Turkmenistan in der „Schanghai Organisation für Zusammenarbeit“ in ein Sicherheitssystem eingespannt. Und genau das macht es umgekehrt für Amerika so dringlich, in der Region selbst als Kontrollmacht mit einem Stützpunkt präsent zu sein: auf dem Terrain der früheren Weltmacht, die, auf russische Grenzen reduziert, darum kämpft, einen Einflussbereich zu retten, der ihr doch nach imperialistischen Befund nicht mehr zusteht; an der Grenze zu einer aufstrebenden Macht, die genau beobachtet und eingedämmt sein will; und am Rand einer ganzen Region, in der man unter dem Titel war on terror noch viel zu erledigen hat. Z.B. ist die Sicherheit des Kaspischen Meers, also die Nordgrenze zum Iran, für den amerikanischen Bedarf noch viel zu unsicher, so dass die Nato jetzt dessen Schutz übernehmen soll, und auch die Reihe der dort befindlichen US-Stützpunkte ist ausbaubedürftig.

Unter die Konkurrenz dieser Mächte ist Kirgistan subsumiert und wird dadurch weiter zerlegt: Einerseits wird es von den USA als Umland für den Stützpunkt in Anspruch genommen, ist im Nato-Programm als Partner-for-peace eingereiht und wird von lauter West-Vereinen in zivilgesellschaftlichen Dingen unterstützt und untergraben. Andererseits ist es Mitglied in der „Organisation des Kollektiven Sicherheitsvertrags“ in der GUS, die sich z.B. bei der Bekämpfung des lokalen Terrorismus für die zentralasiatischen Staatsgewalten als unverzichtbar erwiesen hat,[9] der „Organisation für Zusammenarbeit in Zentralasien“ und dem „Eurasischen Wirtschaftsraum“, die beide auch irgendwie unverzichtbar sind, was an der Bitte um Landwirtschaftsmaschinen, Düngemittel, Brennstoff und Kredite abzulesen ist, mit der sich Interimspräsident Bakijew als Erstes an Russland wendet. Drittens schließlich ist die OSZE als so etwas wie der gemeinsame Ausschuss des imperialistischen Westen vor Ort, unter dem unverfänglichen Titel der Wahlbeobachtung, inzwischen aber ziemlich federführend – in Verhandlungen mit den neuen und alten Machthabern über Methoden der Regierungsbildung, bei der Suche nach Arrangements mit anderen Machtfaktoren im Land und der Entscheidung über Methoden zur Neubesetzung der Macht bei den nächsten Präsidentschaftswahlen. Dabei bringt sie ihre supranational – Russland inklusive – gestiftete Autorität ausgesprochen formvollendet, nämlich unter dem Titel einer Vermittlung zum Einsatz: Auch die OSZE lässt sich nach ehrwürdiger imperialistischer Tradition „zu Hilfe rufen“, und, wenn es keine Regierung mehr gibt, die dazu befähigt und befugt wäre, dann eben von inneren Spannungen. Die sind zwar nicht zuletzt das Resultat der auch von der OSZE betriebenen Kampagne für sauberes Wählen; der „Vermittler“ ist also tatkräftig beteiligt an der Herstellung der Verhältnisse, die nach seiner Vermittlung verlangen. Aber auf diese Weise rückt die OSZE-Diplomatie auch die bornierte Beschwerde der hiesigen Freunde demokratischer Revolutionen zurecht: Auch mit einem solchen Produkt der weltweiten Freiheitsbewegung lässt sich etwas anstellen, nämlich etwas dafür tun, Russland mit seinen Interessen und Organisationen aus dieser zentralasiatischen Region herauszudrängen. Die russischen Beschwerden über die „Entartung“ der OSZE dokumentieren jedenfalls deutlich, welche Machtverschiebung mit der Vermittlung der OSZE in Gang gesetzt wird:

„Der Artikel ‚Keime der Revolution lassen sich nicht eindämmen‘, der aus der Feder des slowenischen Außenministers und amtierenden OSZE-Vorsitzenden Dimitri Rupel stammt, ist ein erstaunliches Dokument … Ein Dritter sei erforderlich, der zu einem Vermittler werden könnte. Er schlägt vor, diese Rolle der OSZE einzuräumen, und berichtet über die Entsendung seines persönlichen Vertreters nach Bischkek zur Vermittlung zwischen Bakijew und Kulow. Die Frage aber, ob sie selbst oder jemand anderer von der kirgisischen Führung die OSZE als Vermittler eingeladen und ob die Teilnehmerstaaten der OSZE den amtierenden Vorsitzenden, der eigentlich im Prinzip in ihrem Namen handeln sollte, zu diesem Schritt bevollmächtigt haben, bleibt unerwähnt.
Die OSZE erscheint, aus dem Wiener Hauptquartier gesehen, als Koordinator oder gar als Lenker der internationalen Bemühungen einschließlich der UNO-Agenturen, der EU und der internationalen Finanzinstitute um die Förderung der Stabilisierung der Situation in Kirgisistan. In der Liste fehlen zwar die regionalen Organisationen, in denen Kirgisistan Mitglied ist, solche wie GUS, EAWG, SOZ und OVKS. Es wäre interessant zu erfahren, ob Russland, das versprochen hatte, auf Ersuchen der kirgisischen Seite humanitäre und wirtschaftliche Soforthilfe zu erweisen, in die Liste der „zu Koordinierenden“ aufgenommen wurde.
Die Hilfe aber, die von der OSZE bei der Durchführung der Präsidentschaftswahlen in Kirgisistan angeboten wird, geht weit über den Rahmen des üblichen Monitorings hinaus. Es wird von einem ganzen Programm zu deren „Unterstützung“ gesprochen, einschließlich der Empfehlungen für die kirgisischen Behörden bezüglich einer Änderung der Wahlgesetzgebung und sogar der Verfassung des Landes. Die OSZE hat auch noch vor, die Behandlung der Beschwerden der in 15 bis 20 Wahlkreisen außer Bord gebliebenen Kandidaten zu verfolgen, das heißt, zumindest die Funktion der örtlichen Gerichtsbehörden zu doublieren …
Das Aktionsschema, das wir heute unter anderem auch in Kirgisistan beobachten können, ähnelt sehr der Ausnutzung der OSZE als Deckmantel für das Manipulieren mit den innerpolitischen Prozessen in einem ihrer Mitgliedsländer von außen. Und das geschieht nicht zum ersten Mal. Es lässt sich überhaupt von einer Entartung der Organisation entgegen ihren satzungsmäßigen Aufgaben sprechen. Eine Entartung in einen für eine Gruppe ihrer Mitgliedsländer bequemen Mechanismus zur ‚demokratischen Umgestaltung‘ zunächst der Balkan-Staaten und in den letzten zwei bis drei Jahren in immer höherem Maße des postsowjetischen Raums.“[10]

Mag schon sein, dass der Regimewechsel in Kirgistan nicht so übersichtlich und stromlinienförmig wie in der Ukraine ausgefallen ist. Aber der imperialistische Fortschritt ist dennoch nicht zu übersehen: Mit Hilfe dieses Organs beschafft sich der Westen ein weiteres Stück Zuständigkeit für die Herrschaftsbestellung im Bereich der GUS.

5.

Bleibt noch die Frage, was Akajew verkehrt gemacht hat, womit er sich bei den Instanzen unbeliebt gemacht, die ihn ja immer als demokratischsten im Umkreis der zentralasiatischen Diktatoren gelobt haben. Das hätte man ja auch zu seinen Gunsten auslegen und ihn weiter als Leuchtturm oder Vorposten oder sonstigen Stützpunkt der Freiheit fördern können.

Aber wenn man ein Land regiert, das um einen US-Stützpunkt herumliegt, sollte man der Weltmacht wohl doch besser keinen Anlass zum Zweifel an der Zuverlässigkeit der Standortverwaltung liefern. Akajew hat sich als Diener zweier Herren disqualifiziert. Er hat die Angebote und Forderungen seiner zweiten Schutzmacht nicht ignorieren können, hat 1. auch Russland einen Stützpunkt genehmigt; hat sich 2. im Irakkrieg auf die Seite der Ablehnungsfront, von Frankreich, Deutschland und Russland geschlagen, und 3. versucht, den USA in die Nutzung ihres kirgisischen Stützpunkts hereinzureden, den sie nicht für Einsätze im Irak-Krieg benutzen sollten.[11] Er hat die Nato dazu genötigt, um die Überführung des zeitweiligen in einen dauerhaften Stützpunkt zu feilschen,[12] und hat sich noch im Winter gegen die Stationierung von AWACS zur Kontrolle des zentralasiatischen Luftraums gesträubt.

Auch in zivilen Dingen war er zu russenfreundlich: Er hat Schulden gegenüber Russland mit Anteilen an kirgisischen Betrieben beglichen und russischen Betrieben, vor allem den Energiekonzernen damit eine Position in seinem Land geschaffen, mit der zu rechnen ist. Um den weiteren Zusammenbruch der Infrastruktur aufzuhalten und russische Fachleute im Land zu halten, hat er u.a. das Russische zur 2. Staatssprache aufgewertet, irgendwo ein Lenin-Denkmal wieder aufgestellt und zum Lob der Völkerfreundschaft verbreiten lassen, dass die Kirgisen ihre nationale Identität letztlich der Oktoberrevolution zu verdanken hätten, sonst wären sie vielleicht Uiguren, Chinesen, Türken oder sonst was geworden. Er hat also auch noch auf dem Gebiet der Kultur erkennen lassen, dass ihm die russische Fremdherrschaft nicht verabscheuungswürdig genug war. Jedenfalls nicht in dem Maß, in dem Russenhass gefragt ist, seitdem der Westen auf die Unabhängigkeit dieser Staaten achtet und ihren Freiheitsdurst notfalls auch gegen die lokalen Herrschaftssitten und Bedürfnisse schützt.

Unbeliebt gemacht hat sich der gestürzte Präsident, insofern er gemeint hat, sich mit eigenen Berechnungen mit Amerikanern und Russen ins Benehmen setzen und auch einmal etwas ablehnen zu können. Er hat jedenfalls noch so etwas wie einen nationalen Standpunkt, eine Subjektrolle seines Landes prätendiert, und sei es auch nur im Feilschen um Bedingungen der Vereinnahmung seines Landes durch die anderen Mächte. Dabei ist er gar nicht mehr in der Hinsicht wahrgenommen und gewürdigt worden, dass er das Land auch irgendwie zusammenhält – unter anderen Bedingungen können sich ja Herrscherfiguren vor der Weltaufsicht durchaus mit Dienstleistungen in Sachen ‚Stabilität‘ legitimieren. Mit seiner Auffassung einer nationalen Sache und davon, wie er sie zu vertreten hätte, ist Akajew aber ausschließlich als Hindernis definiert worden.

Und das letztlich dann auch nur in der Hinsicht, dass er dem Westen nicht bereitwillig genug auf dem Gebiet entgegengekommen ist, auf dem die Aufsichtsmächte ihre grundsätzliche Zuständigkeit auch für diese Weltgegend vorantreiben – er hat ja wählen lassen, NGOs zugelassen samt einer Öffentlichkeit, dabei aber versucht, sich in der Konkurrenz um diese Instrumente von Herrschaft an der Macht zu halten und später dann einiges von seinen Besitztümern politischer und materieller Art zu vererben. Dort Unruhe zu stiften – ganz getrennt von der Störung, die ein zentralasiatischer Chef wie Akajew für die US-amerikanischen Belange darstellen mag –, ist aber per se ein Interesse des Westens. Im Rahmen des Programms Demokratie wird nämlich von den lokalen Herrschern vor allem die Einsicht in die Notwendigkeit von Machtwechseln verlangt. Denn mit der Einführung dieser Institution, wenn Machtwechsel, alias Wahlen, auf dem Programm stehen, sind auch schon gleich die USA und ihre Helfershelfer präsent; sie nutzen die Gelegenheit, sich einzuschalten, und sorgen dafür, dass die Wahl zur Machtübertragung wird, natürlich an die richtigen Leute. Die Herrschaften dort zur Anerkennung dieses Prinzips zu erpressen, stellt ein eigenes imperialistisches Anliegen dar: Dem sollen sie sich stellen, sich darüber beeinflussbar und erpressbar machen und den Westen als Instanz der Herrschaftsbestellung anerkennen.

Das Anliegen wird in Bildern von gewaltstarrenden Diktatoren so lebhaft versinnbildlicht, dass die freiheitlichen Propagandafachleute im Resultat dann selber überrascht sind, wenn eine solche Schreckensherrschaft fast geräuschlos implodiert. Auch das ist freilich ein Beweis – dafür, wie überfällig der Abgang dieser Figur war. Und wenn sie nach ihrer Absetzung wenig Regierungsfähigkeit, aber viel Chaos hinterlässt, spricht auch das keineswegs gegen das Verfahren Machtwechsel. Sondern dafür, dass die amerikanischen Oberaufseher – sich ganz nachdrücklich und dauerhaft darum kümmern müssen, dass die Demokratie rund um ihren Flugplatz voran kommt.

[1] ‚Im Allgemeinen besuchen die Vorsitzenden politischer Parteien nur die Wahlkreise, mit denen sie familiäre Bande verbinden‘, sagt Sulajman Umanbajew, der Vorsitzende der Zentralen Wahlkommission. ‚Von ihren Leuten dort werden sie natürlich unterstützt‘. (Fast dreißig an der Zahl, aber keiner kennt sie – In Kirgisistan sind 27 politische Parteien offiziell registriert. (Wetschernij Bischkek, 24.12.02) Von einem gewissen Beknasarow, laut westlichem Urteil Menschenrechts-Aktivist, nach dem Umsturz zum Generalstaatsanwalt befördert, ist z.B. zu hören, dass er schon in den Unruhen 2002 eine entscheidende Rolle spielte. Ihm gelang es, die Teilnehmer zu überzeugen, die Demonstration zu beenden und seine Landsleute aus dem Bezirk Aksy nach Hause zu schicken. Die Mehrheit der etwa 700 Demonstranten waren unmittelbare Verwandte und Landsleute des Abgeordneten. (Protestmarsch nach Bischkek beendet. Kabar, 13.9.2002) Sollte sich die demokratische Revolution nicht im westlichen Sinn bewähren, dürfte sich auch ein Menschenrechtsfreund im Urteil der politischen Kenner schnell in einen Clanchef zurückverwandeln.

[2] Die Führer der Volksbewegung Kirgisistans, der sozialen Bewegung Ata-Jurt (Vaterland), Jany Bagyt (Neue Richtung) und der Bewegung für faire Wahlen unterschrieben eine Erklärung und verpflichten sich darin, gemeinsam auf freie und faire Parlamentswahlen im Februar hinzuarbeiten. („Kann Kulow aus dem Gefängnis heraus die Opposition einigen?“ Radio Free Europe/Radio Liberty, im Folgenden RFERL 4.1.05)

[3] Inwiefern es auf die Camouflage, bei der die Weltmacht in Gestalt von NGOs operiert, nicht nur im Interesse an polit-moralischer Propaganda ankommt, erklären die Fachleute für Politik: Die Verbindungen zivilgesellschaftlicher Organisationen zum Ausland … waren Anlaß für Kommentatoren in Moskau und anderen Hauptstädten der Region demokratische Regimewechsel als vom Ausland lanciert darzustellen. Der Unterschied zwischen der Unterstützung von Demokratisierungsprozessen durch international tätige Stiftungen und Organisationen und der direkten Einmischung zugunsten eines Regimewechsels wurde dabei zum Teil mutwillig vermischt… Auch in Kirgistan wurden Stellungnahmen des US-Botschafters Stephen Young, in denen dieser Präsident Akajew ermahnt hatte, seine verfassungsgemäß auslaufende Amtszeit nicht zu verlängern, als westliche Einmischung in die Innenpolitik des Landes interpretiert. (Regimewechsel in Kirgistan und Umsturzängste im GUS-Raum, swp-aktuell, 15.4.) Es geht darum, russische Interessen und Einwände, die noch den völkerrechtlichen Titel der Einmischung bemühen, als unsachgemäß und illegitim zurückzuweisen: Russland soll kapieren, dass es nicht mit den Intrigen einer anderen Macht zu tun hat, sondern mit dem unwiderstehlichen, menschheitsverbindenden Streben nach zivilgesellschaftlichen Werten. Dass dieses Streben andererseits ein offenkundiges US-Manöver ist, weiß aber auch wiederum jeder, so dass die dummdreiste Tour, auch ein US-Botschafter wird ja wohl mal seine Meinung sagen dürfen, als passende Antwort auf die Moskauer Beschwerden genauso in Ordnung geht.

[4] Die ‚tiefer liegenden‘ Nachbarn – Kasachstan und Usbekistan – hängen bei der Wasserversorgung im Wesentlichen von Kirgisistan und Tadschikistan ab, auf deren Territorien die Flüsse entspringen… Die Verhandlungen zwischen Kirgisistan, Kasachstan und Usbekistan über Wasser dauern bereits seit elf Jahren an. Die Seiten können sich nicht einigen. Usbekistan und Kasachstan wollen Kirgisistan für die Nutzung der Wasserressourcen nichts zahlen. Sie begründen das damit, dass Wasser keine Ware sein kann. Dabei unterbrechen die Machtorgane Usbekistans regelmäßig die Gaslieferungen nach Kirgisistan. Kasachstan führte hohe Zollgebühren auf Waren aus Kirgisistan sowie hohe Transitgebühren ein. (DW-Radio, 23.9.2002)

[5] In Kirgisistan wird derzeit alles mögliche gestohlen, was aus Bunt- und Schwarzmetallen hergestellt ist, so auch Denkmäler, Bänke oder Mülltonnen. Das gestohlene Metall wird dann in China und Kasachstan verkauft. (Teil einer Erdgaspipeline in Kirgisistan gestohlen – Metall wird auf dem Schwarzmarkt hoch gehandelt. DW-radio, 24.6.2003) In jüngster Zeit hat der Diebstahl von Stromleitungen massenhaften Charakter angenommen. Dutzende Siedlungen des Landes seien ohne Strom, nicht wegen Störungen in den Elektrizitätswerken, sondern wegen des Diebstahles von Leitungen, die von privaten Annahmestellen für Buntmetalle gerne aufgekauft würden. … Es wird gefordert, wirksame Maßnahmen zu ergreifen, da sich im Lande der Diebstahl von Metallen aus vernachlässigten Uranlagerstätten gehäuft hat. (DW-Radio, 8.1.2004)

[6] Den größten Beitrag zur Wirtschaft Kirgisistans leisteten die amerikanischen Militärs. Sie überwiesen etwa 29 Millionen US-Dollar an den Staatshaushalt. Die restlichen sechs Millionen kamen von den Streitkräften Frankreichs, Spaniens, Dänemarks und Koreas. ‚Das ist ein bedeutender Beitrag zum Staatshaushalt, der sich insgesamt auf 250 Millionen US-Dollar beläuft‘, erklärte der Vizepremier der Kirgisischen Republik, Dschiomart Atorbajew. Die Vertreter der Anti-Terror-Koalition begannen, zusammen mit der kirgisischen Regierung ein soziales Hilfsprogramm zu erarbeiten. Gegründet wurde eine Stiftung, mit deren Mitteln Behinderten, Kindern aus Heimen und Obdachlosen geholfen werden soll. Darüber hinaus stellt das US-Militär ständig Gelder für die kirgisische Armee bereit. (Kirgistan nimmt durch Stationierung der Anti-Terror-Koalition über 35 Millionen US-Dollar ein. DW-Radio, 24.7.2002) Wenn die Nato schon mal da ist, kümmert sie sich selbstverständlich wie eine einzige große Zivilgesellschaft um alle weiteren Probleme des Landes, damit die davon Betroffenen immerhin schon mal mitbekommen, an welche Adresse sie sich in Zukunft wenden sollen: „Was die Unterstützung der Weltgemeinschaft angeht, so wurden die Wasserprobleme Zentralasiens in diesen Tagen mit Beteiligung westlicher Experten erörtert, darunter auch der NATO … im Rahmen des NATO-Projektes für den Umweltschutz in der Region“ (DW-Radio, 23.9.2002) Die Zusammenarbeit mit der NATO beschränkt sich aber nicht nur auf den Militärbereich. Akajew zufolge werden mit Unterstützung der Allianz im Lande Strukturen aufgebaut, die Folgen von Naturkatastrophen bewältigen. Die Allianz unterstützt ferner Programme, die auf die Entwicklung einer Bürgergesellschaft abzielen. Als besonders produktiv erwies sich die Zusammenarbeit im Wissenschaftsbereich, darunter bei der Ausstattung von Wissenschaftseinrichtungen mit Computern. Dank der Hilfe dieser Organisation erhielten die Hochschulen des Landes und die Bibliotheken einen kostenlosen Internetzugang. (NATO – Zentralasien: Die Zusammenarbeit wird gefestigt. DW-Radio, 20.8.2003)

[7] Dass die Opposition mit den ominösen Clanstrukturen personalidentisch ist, erklärt die Wissenschaft mit dem Hinweis auf nationale „Prägungen“: In einem Land, in dem die Politik stark von regionalen Loyalitäten und Clanstrukturen geprägt wird, kommt der Herkunft der politischen Akteure große Bedeutung zu. (swp) Auch da macht sich allerdings eher der Einzug des Kapitalismus bemerkbar, der die Landesbewohner ganz auf die Notwendigkeiten der Überlebenssicherung reduziert und damit auf vorpolitische Zusammenhänge, auf den Zusammenhalt als Sippe oder Dorfgemeinschaft verwiesen hat – als das werden sie dann mobilisiert und lassen sich mobilisieren.

[8] So die ehemalige Außenministerin und heutige Anführerin der Demokraten, Otunbajewa. (FAZ, 30.3.) Auch international ist es ja nicht immer einfach, den örtlichen Auseinandersetzungen um die Macht die Rechtstitel passend zuzuordnen, unter die die Agenturen des Westens die lokalen Schützlinge international gestellt sehen möchten, um sich Beschwerden von dritter Seite vom Hals zu halten: „Auf welche rechtlichen Argumente kann sich die Opposition stützen? Wir hatten Diskussionen mit dieser Koordinationsgruppe und ich habe nicht so richtig verstanden, auf welche Verfassung, auf welches Recht sie sich jetzt berufen wollen. Nach der Verfassung wurde das Parlament jetzt neu gewählt. Ich weiß nicht, welche rechtlichen Sprünge man machen muss, um jetzt wieder das alte Parlament zu aktivieren, das ja aus zwei Kammern bestand und nicht nur aus einer Kammer, das ist mir auch noch ein Rätsel.“ (OSZE-Botschafter Markus Müller im Interview mit DW-Radio, 24.3.05)

[9] Wir haben Russland einen Militärflughafen zur Verfügung gestellt. Dort befindet sich der russische Luftstützpunkt. Er ist sehr stark und er ist der erste russische Militärstützpunkt im postsowjetischen Raum. Dieser Stützpunkt ist Bestandteil der Schnellen Einsatzkräfte der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit. Das ist in unserem Interesse, aber auch im Interesse Russlands. Das garantiert uns, dass wir vor allen möglichen Gefahren, die vom internationalen Terrorismus ausgehen, geschützt sind. 1999 und 2000, als wir gegen internationale Terroristen kämpfen mussten, haben wir gesehen, dass ohne Luftstreitkräfte, ohne zielgenaue Waffen sie nur schwer zu bekämpfen sind, vor allem in den Bergen. Jetzt ist alles anders. Unsere Bürger fühlen sich sicher. Und das Wichtigste ist, dass jetzt russische und westliche Investoren zu uns kommen. Sie wissen, dass sich dort ein amerikanischer und russischer Stützpunkt befindet. Das heißt, dem Land droht keine Gefahr. Man fühlt sich sicher und in letzter Zeit steigt das Interesse von Investoren. (Der kirgisische Präsident Askar Akajew erklärt im DW-Interview, er wolle im kommenden Jahr nicht mehr zur Wiederwahl antreten. DW-Radio, 18.11.2004)

[10] „OSZE in Kirgisistan: Hilfe oder Einschränkung der Souveränität?“ (Dmitri Kossyrew, politischer Kommentator der RIA Nowosti, 11.4.05)

[11] Askar Akajew: „Wir haben uns bedenkenlos der Anti-Terror-Koalition angeschlossen. Wir haben die gesamte Infrastruktur unseres Landes zur Verfügung gestellt. Wir haben auch unseren internationalen Flughafen bereitgestellt. Die Afghanistan-Operation Enduring Freedom wurde vom UN-Sicherheitsrat unterstützt, sie wurde einstimmig von der gesamten Weltgemeinschaft unterstützt. Die USA sind hier als wahrhafter Führer der Weltgemeinschaft aufgetreten. Was den Irak betrifft, so war hier die Situation eine völlig andere. Unsere Position entsprach der solcher Länder wie beispielsweise Deutschland, Frankreich … Wir waren der Meinung, dass der Status der UNO unterstützt werden muss und dass man sich bemühen muss, dass über Krieg und Frieden auf der Grundlage dieser Tradition, des internationalen Rechts, entscheiden wird, das sich in den vergangenen 60 Jahren herausgebildet hat, weil Verstöße auch manchmal zu Willkür führen können.“ (a.a.O.)

[12] Da der internationale Terrorismus nach Worten von George Robertson eine langwierige Angelegenheit ist, muss eine enge Kooperation Kirgisistans mit der Nordatlantischen Allianz entwickelt werden. Kurz gesagt, nach Prognosen einheimischer Beobachter werden die Truppen der internationalen Anti-Terror-Koalition noch lange in Kirgisistan stationiert bleiben. (NATO – Zentralasien: Die Zusammenarbeit wird gefestigt. DW-radio, 20.8.03) Zur Information, wie es nach dem Umsturz mit dem Aufbau der kirgisischen Zivilgesellschaft vorangeht, schaut als erster daher auch Minister Rumsfeld vorbei: Warum musste Rumsfeld dringend Aserbaidschan und Kirgisien besuchen? … Haben die USA und Bischkek die Absicht, das Bestehen des amerikanischen Luftstützpunktes in Kirgisien zeitlich mit den Handlungen der antiterroristischen Koalition in Afghanistan zu koordinieren? Gerade unter dieser Bedingung hat Moskau mit Washington die Frage nach der Unterbringung amerikanischer Stützpunkte in Zentralasien erörtert und seine diesbezügliche Position bis heute nicht geändert. Kennzeichnend ist, dass es Bischkek in letzter Zeit vorzieht, die Dauer des Aufenthaltes des USA-Stützpunktes in Kirgisien mit den Gefahren des internationalen Terrorismus überhaupt zu verknüpfen, was den USA offensichtlich in die Hände spielt. Unter solchen Bedingungen können sie in Kirgisien bis zur endgültigen Beseitigung des Terrorismus in der ganzen Welt, das heißt, unendlich lange bleiben. (RIA Nowosti, 18.4.05.)