Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Der „Sturm auf die rote Moschee“:
Warum sich die Deutschen manchmal für die Armut in Pakistan und eine Koranschule in Islamabad interessieren

Zehn Tage lang widmet sich die Berichterstattung ausführlich einer Koranschule „mitten im Herzen der pakistanischen Hauptstadt Islamabad“ Der Vorsteher des dortigen Militärregimes verbietet der Schulleitung ihre fundamentalistischen Umtriebe, die weigert sich und besetzt mit Bewaffneten Schule und zugehörige Moschee. Nach einigen Tagen der Verhandlung entschließt sich das Militär „endlich“ zum „Sturm auf die rote Moschee“ (Spiegel, ebd.). Das Militär macht die Koranschule platt und hinterlässt über 100 Tote.

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Der „Sturm auf die rote Moschee“:
Warum sich die Deutschen manchmal für die Armut in Pakistan und eine Koranschule in Islamabad interessieren

Zehn Tage lang widmet sich die Berichterstattung ausführlich einer Koranschule mitten im Herzen der pakistanischen Hauptstadt Islamabad (Spiegel, 9.7.07). Der Vorsteher des dortigen Militärregimes verbietet der Schulleitung ihre fundamentalistischen Umtriebe, die weigert sich und besetzt mit Bewaffneten Schule und zugehörige Moschee. Nach einigen Tagen der Verhandlung entschließt sich das Militär endlich zum Sturm auf die rote Moschee. (Spiegel, ebd.) Das Militär macht die Koranschule platt und hinterlässt über 100 Tote.

Was war jetzt an dieser Schule und den Vorgängen um sie herum so spannend, dass man ihr zehn Tage lang soviel Raum in den hiesigen Medien widmete? Hundert Tote? Das schaffen die Amis und ihre Gegner im Irak und Afghanistan fast jeden Tag, ohne dass – wenn überhaupt noch – mehr als eine kurze Notiz oder ein Filmschnipsel im Fernsehen darüber erscheint. Klar ist jedenfalls angesichts der öffentlichen Aufmerksamkeit: Die Ereignisse betreffen uns hier in Europa und Deutschland irgendwie.

Dass es in Pakistan – wie in allen anderen Staaten der Region – massenhaft arme Menschen (SZ, 7.8.) gibt, deren elementarste Lebensbedürfnisse nicht gestillt werden, ist dabei keine echte Neuigkeit und keine Nachricht, die man für sich genommen mit Religionsunruhen in Zusammenhang brächte. Dass vor allem die Kinder der Armen weder auf Verpflegung noch auf Bekleidung, geschweige denn auf auch nur die einfachste Ausbildung und Erziehung hoffen können, macht natürlich menschlich betroffen, geht der Welt also im Großen und Ganzen am Arsch vorbei. Dass aber die Koranschulen Pakistans die Einzigen sind, die sich um die Not der Jugend Pakistans (SZ, ebd.) kümmern, für die der pakistanische Staat nichts übrig hat, das lässt die Chronisten aufmerken.

Denn was in Koranschulen gelehrt wird, in pakistanischen zumal, darüber weiß man im Westen genau Bescheid: Dort stacheln Hassprediger ihre Zöglinge zum heiligen Krieg gegen die westliche Lebensart auf. Mittels Gehirnwäsche – nur so kann man es überhaupt schaffen, Abneigung gegen das sympathische Abendland zu wecken – verwandeln sie verwahrloste Junge aus den Elendslandschaften Pakistans, die sie vorher verpflegt und eingekleidet haben, in tickende Bomben. Dabei werden sie in den Schulen, deren Hauptfach Hass ist, zu Aktivisten im Terrorkampf gegen die westlichen Eindringlinge. Die Risiken und Gefahren, die von ihnen ausgehen, bedrohen nach einem Diktum des deutschen Innenministers auch deutsche Interessen, und das nicht nur am Hindukusch, sondern auch in Hindelang.

Diese Koranschüler bringen auch ihr eigenes Land durcheinander, indem sie sich nicht nur gegen die heimische Elendskultur auflehnen, sondern mit Forderungen nach Einführung der Scharia, Verbot der Prostitution und überhaupt sauberer, gottgefälliger, also islamischer Regierung Anspruch auf ein ganz anderes Pakistan erheben, als es sich die USA bei dem mit Militärgewalt herrschenden Präsidentengeneral bestellt haben. Pakistan ist mitsamt seinem Massenelend, seiner zunehmend umkämpften Herrschaft und den Atombomben, die da herumliegen, von der herrschenden Weltordnung für zu wichtige Vorhaben verplant, als dass man es feindseligen Moslem-Mannschaften überlassen könnte, auch wenn die die pakistanischen Hungerleider noch so gut füttern würden. (alle Zitate aus SZ, ebd.; Spiegel, 16.7.; FAZ, 13.7.)

Damit es die Lage unter den Elenden der Welt in den Rang einer prominenten Nachricht schafft, dafür müssen schon wieder einmal die ohnehin trostlosen Lebensgrundlagen von 20 Millionen Leuten im Monsun absaufen. Die gewohnt himmelschreienden Zustände in den imperialistischen Hinterhöfen werden üblicherweise am Rande notiert: Wenn aber der zivilisierte Blick in die Welt auf die besorgniserregende Kombination von millionenfach verzweifelten Lebenslagen und einem daraus erwachsenden Gefährdungspotenzial für die Interessen von freedom & democracy stößt und – wie in Pakistan – ein Zusammenhang von Armut und Terrorgefahr entdeckt wird, dann ist auch einmal ernste Kritik an der Armut und natürlich auch an den Armen fällig: Die Armut ist von Übel, weil sie die Armen so anfällig macht für den Missbrauch, den dort religiöse Fundamentalisten, anderswo Kommunisten, Nationalisten, Populisten oder andere Volksverderber mit den Elenden treiben!

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Der pakistanisch-islamistischen Art entgegenzutreten, in der mit der landesüblichen Armut politisch Schindluder getrieben wird, dafür hat, wie gesagt, die Weltordnung eigentlich ihren Musharraf vor Ort. Die Aufgabe des pakistanischen Regierungschefs wäre es, der Ausnutzung der üblen Verhältnisse durch antiwestliche Agitatoren einen Riegel vorzuschieben und die religiös verhetzten Massen zu domestizieren. Sein Volk besser zu stellen, gar in eine sozialpolitische Konkurrenz mit seinen muslimischen Gegnern zu treten, verlangt hierzulande niemand ernsthaft von ihm.

Was von dem regierenden General an Bekämpfung der unerwünschten Zustände in seinem volkreichen Land erwartet wird, das ist die Zerschlagung des organisierten Islamismus. Dass er die Lage um die Rote Moschee schließlich mit Waffengewalt bereinigt hat, geht insoweit in Ordnung. Nur: Ob er es auf Dauer schafft, seinen westlichen Sponsoren die terroristische Feindschaft seiner verarmten und islamistisch agitierten Landsleute zu ersparen, daran sind die Zweifel groß. Vor diesem anspruchsvollen Maßstab muss sich das Regime Musharraf bewähren – und es sieht gar nicht gut aus dabei. Einerseits ist es ja die Stärke eines Militärdiktators, wie Musharraf einer ist (Die Zeit, ebd.), dass er ohne große Rücksicht auf rechtsstaatliche Umstände über Leichen geht. Andererseits verlangt man ihm neben seiner blutigen Durchschlagskraft aber auch noch die Zurückhaltung ab, er solle nicht allzu diktatorisch auftreten, hält ihm vor, er habe es nicht verstanden, die pakistanischen Massen durch die Segnungen demokratischer Agitation ruhig zu stellen, kritisiert ihn, er habe mit dem Blutbad in der Koranschule einerseits zu lange gewartet, andererseits aber so ungeschickt hart zugeschlagen, dass er die Schüler der weiteren ca. 30 000 Koranschulen des Landes noch mehr gereizt habe: Da ist wohl mit einem Diktator, der so wenig den Ansprüchen genügt, an denen er gemessen wird, tatsächlich kaum noch Staat zu machen, wie der Spiegel mit Kennerblick taxiert, kaum haben die USA ihre Wünsche nach einem Übergang zu einem vom Volk gewählten Präsidenten (SZ, 18./19.8.) in Umlauf gebracht.

Aus der Sicht anspruchsvoller westlicher Beobachter ist das Gemetzel um die Rote Moschee, so sehr es von den Militärs auch als Demonstration der Durchsetzungsfähigkeit gegen die inneren Feinde gemeint war, also nur eine der Bewährungsproben, die noch auf das Regime in Islamabad warten. Ob es seine elenden und aufgeregten Volksmassen weiterhin einigermaßen im Griff halten kann und seinen Beitrag dazu leistet, dass wir ruhig schlafen können, bleibt abzuwarten. Allein dadurch könnte sich das pakistanische Regime den Titel einer wirklich guten Regierung verdienen, auf die auch die Deutschen ein Recht haben.