Standortsicherung beim Autobauer Opel
Lohnverzicht und Entlassungen für die Sanierung des Unternehmens – was denn sonst!

Da haben Opel und alle anderen Autobauer jahrelang ein Wachstum ihres Kapitals hingekriegt, dabei und dafür Produktionskapazitäten auf- und ausgebaut – mit dem Ergebnis, dass seit längerer Zeit „Überkapazitäten die Geschäfte belasten“ und das allseitige Wachstum ausbleibt. Auf dieses Produkt ihrer Konkurrenz kennen die Automobilproduzenten nur eine Antwort: Noch einmal mehr Kapital investieren und den Kampf ums Wachstum verschärfen.

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Standortsicherung beim Autobauer Opel
Lohnverzicht und Entlassungen für die Sanierung des Unternehmens – was denn sonst!

Im Januar meldet das Unternehmen Opel bei der Präsentation seiner Geschäftszahlen einen Verlust in dreistelliger Millionenhöhe, der gewinnträchtige Verkauf von Autos mit dem Blitz hat sich nicht im erhofften und für die Vermehrung des eingesetzten Kapitals ausreichenden Umfang eingestellt. Da haben Opel und alle anderen Autobauer jahrelang ein Wachstum ihres Kapitals hingekriegt, dabei und dafür Produktionskapazitäten auf- und ausgebaut – mit dem Ergebnis, dass seit längerer Zeit Überkapazitäten die Geschäfte belasten und das allseitige Wachstum ausbleibt. Auf dieses Produkt ihrer Konkurrenz kennen die Automobilproduzenten nur eine Antwort: Noch einmal mehr Kapital investieren und den Kampf ums Wachstum verschärfen! Die aktuellen roten Zahlen, seine Unterlegenheit in der Konkurrenz, sind für Opel und sein Management ein einziger Auftrag dazu, alle bisherigen Anstrengungen fürs Bestehen im weltweiten Wettbewerb zu intensivieren: Wenn das Geschäft härter wird, müssen wir reagieren und Maßnahmen ergreifen. (GME-Chef Burns).

Die Leitlinie der Sanierungsmaßnahmen

ist nicht besonders originell. Seit Mitte der 90er-Jahre ist Opel mit der Sanierung seines Unternehmens befasst, und die Firma hat dabei für ihre Niederlage stets andere haftbar zu machen verstanden: Opel als Opfer der Konkurrenz in der Automobilindustrie nimmt sich und hat das Recht, Opfer von denen einzufordern, die das Unternehmen zwecks Gewinnerwirtschaftung beschäftigt. In diesem Sinne setzt das 2001 aufgelegte und zu Beginn dieses Jahres nachgebesserte Rationalisierungsprogramm, das auf den Namen Olympia hört und damit an erfolgreichere Tage erinnert, die Tradition der bisherigen Umstrukturierungs- und Standortsicherungsprogramme fort: für das Bestehen in der Konkurrenz der Automobilproduzenten wird die Belegschaft als Olympionike eingespannt. Die Diagnose – in Europa drücken uns Überkapazitäten und zu hohe Produkt-, Struktur- und Verwaltungskosten (SZ, 17.1.02) – verlangt nach einem umso entschlosseneren Festhalten am richtigen Weg(ebd.), und das heißt nach einem neuen Kostensenkungsprogramm – ein betrübliches Beispiel für die Phantasielosigkeit des Kapitals bei seinem verzweifelten Versuch, aus der Krise zu gelangen. Bedarf und Umfang des Programms werden dagegen höchst phantasievoll ermittelt, obendrein auch ganz exakt und objektiv: Wenn alle diese Maßnahmen 500 Euro pro Fahrzeug bringen, so Opel-Chef Forster, komme Opel aus den roten Zahlen. Mit anderen Worten: Pro Auto macht der Konzern 500 Euro Verlust. (WAZ, 17.1.) Einfach den Betriebsverlust auf die Produzenten umrechnen – schon hat das Opel-Management eine eindeutige Vorgabe für die notwendigen Einsparungen an seiner Belegschaft und mit der die Sicherheit obendrein, dass auch das Überschreiten der Gewinnschwelle 2003 ein Bestandteil des Sanierungskonzepts ist.

Die Aufgabe ist klar formuliert und der Lösung erster Teil: die Herausnahme von Kapazitäten in der Größenordnung eines Werkes, ist laut Olympia betriebswirtschaftlich unumgänglich. Dieser für Opel zweckmäßige Verzicht hat für die Firma selbstverständlich kostenneutral abgewickelt zu werden, also als Kostenersparnis, die auf Kosten der kostentreibenden Größe geht:

„Angesichts schwacher Verkäufe in Deutschland will Opel den Abbau von Arbeitsplätzen noch schneller vorantreiben. Opel-Chef Forster sagte beim Autosalon in Genf, es sollten noch in diesem Jahr etwa 3000 Stellen gestrichen werden.“ (SZ, 7.3.)

Der erste Beitrag der Belegschaft zur Sanierung von Opel ist ihre Reduktion. Die Lohnarbeiter bekommen die Quittung dafür, dass sie zu gut gewerkelt haben, Opel dank ihrer Arbeit zu erfolgreich akkumuliert hat, um für den maßgeblichen Zweck der Produktion, das weitere Wachstum des Kapitals, für die Firma noch brauchbar sein zu können. Mit einmal sind sie, die Quelle des Profits, eine einzige finanzielle Last und werden entsprechend entsorgt – dass der Lohn, den das Unternehmen an ihnen spart, das Mittel – und zwar das einzige – ist, das ihren Unterhalt sichert, ist dabei unerheblich. So beschert diese Kapazitätsanpassung den Entlassenen viel Freizeit ohne Geld, und Opel eine beträchtliche Verkleinerung seiner Lohnliste.

„Schrumpfen, um zu wachsen“

– gemäß dieser Devise geht Opel, als der Lösung zweiter Teil, auf den weiterbeschäftigten Rest der Belegschaft los. Das Ziel, die verbleibende Mannschaft rentabler als bisher anzuwenden, verlangt als erstes Investitionen in neue Arbeitsmittel.

„Forster will nicht den Aufwand für Investitionen und Entwicklung reduzieren.“ (SZ, 17.1.) „Bis zur Einführung eines neuen Astra-Modells solle im Revier eine Fabrik entstehen, die sich in Punkto Qualität und Produktivität mit den besten Werken der Welt messen kann.“ (SZ, 15.2.)

Produktivere Maschinerie wird angeschafft, die Verausgabung der Arbeit zwecks marktgerechter Benutzung neu organisiert, und marktgerecht benutzt wird die Arbeitsleistung, wenn die produktiver gemachte Arbeit sich möglichst ausgiebig betätigen kann, sie also auch intensiver angewendet und den Proleten an den schönen neuen Arbeitsplätzen mehr und zusätzliche Arbeit pro Arbeitstag aufgehalst wird – Investitionen müssen sich schließlich lohnen![1] Aber das ist gar nicht alles. Zusätzlich und daneben verlangt das Opel-Management – weil es einfach außerdem nötig ist –, die Arbeit zukünftig absolut billiger anwenden zu können:

„Der Vorstand plant außerdem, für 2002 und 2003 Löhne und Gehälter einzufrieren, das Jubiläumsgeld für langjährige Mitarbeiter zu streichen und das Weihnachtsgeld zu senken.“ (WAZ, 12.1.)

Das ist mal ein Vorbild von klarer und unkomplizierter Lohnfindung: Der Lohn wird vom Opel-Vorstand geplant, seiner Höhe nach auf den Sanierungsbedarf des Unternehmens heruntergerechnet, und mit dem, was dabei herauskommt, haben seine Empfänger dann ihr Leben einzuteilen. Gemäß dieser Lohnleitlinie wurde bereits für alle Lohn- und Gehaltsempfänger … die Schichtprämie in Höhe von DM 15,– gestrichen, ebenso gebot sie, dass die bisher an Dauernachtschicht-Mitarbeiter gewährten 5 zusätzlichen Freischichten pro Jahr entfallen. (Betriebsvereinbarung 5/1994) Für den Fall, dass „weitere Einsparungen notwendig“ sind, will Opel den Tarifabschluss egal, wie er ausfällt, mit übertariflichen Teilen beim Opel-Lohn verrechnen. (WAZ, 16.4.) Tarifliche Regelungen, betriebliche Absprachen und Vereinbarungen haben sich an unternehmerische Rechnungen anzupassen, nicht umgekehrt. Lohnerhöhungen, Sonderzulagen wie Schichtprämien, Weihnachts- und Jubiläumsgeld sind jederzeit widerrufliche Gnadengaben, die von den Kostenrechnern bei Opel dementsprechend als frei verfügbare Manövriermasse für die Sanierung des Unternehmens gehandhabt werden.

Mit der gleichen Selbstverständlichkeit mustert das Kapital

die Organisation des Arbeitsablaufes

unter dem Gesichtspunkt der fälligen Kostensenkung durch, wird entsprechend fündig und gleich danach tätig. Eigens dazu herauszufinden, wo sich der eine oder andere Eurocent an Kosten einsparen lässt, unterhält man ja sein studiertes und hoch dotiertes Management, und das kann glatt so gut rechnen, dass sich der gesamte Einspareffekt auf die kalkulierten 30% innerhalb der nächsten 3 Jahre addiert. Die Planungsstäbe nutzen ihren praktischen Zugriff auf jedes Moment des Produktionsprozesses zur Effektivierung der rentabilitätssteigernden Potenzen der Arbeit und da fällt ihnen so einiges ein und auf, was angesichts des Sanierungsbedarfs zukünftig zu unterbleiben hat:[2]

Das Ziel durchlaufender Produktion ist ein eherner Grundsatz der Betriebsorganisation, weil ja jeder Stillstand des Produktionsapparates allein schon deswegen Kosten verursacht, da seine Nutzung ausbleibt. Deshalb ist im Grunde jeder Schichtwechsel ein Schlag ins Kontor der Kostenrechner, weil dafür ja die Fließbänder anzuhalten sind, was schon allein ihrem Namen widerspricht. Um der betriebswirtschaftlichen Logik Durchbruch zu verschaffen, wird der Entfall der Bandabschaltungen zum Schichtanfang und -ende als Sofortmaßnahme zur Kostensenkung einfach verordnet. Den fliegenden Schichtwechsel haben die Bandarbeiter dann irgendwie hinzukriegen, die Firma hilft ihnen dabei gerne und sogar kostenlos – die betriebliche Organisation wird örtlich geregelt.

Die Reduzierung der bereichsbezogenen pauschalierten Erholzeiten um 4 Minuten/Schicht vermindert die Belastung des Profits durch Nichtstun – als solches werden gewährte Verschnaufpausen offensichtlich verbucht, solange Opel sie bezahlt, also werden sie einfach reduziert. Bei seinen Angestellten geht das Unternehmen davon aus, dass dieselben Pausen sehr wohl nötig sind und stattfinden müssen. Dafür addiert es ihnen die Zeit, um die es sich betrogen vorkommt, einfach pauschal ihrem Arbeitstag hinzu: Für alle Angestellten wird eine unbezahlte 15-minütige Kaffeepause eingeführt. Die Normalschicht endet für Angestellte deshalb 15 Minuten später.

Wo es ersichtlich auf jede Minute ankommt, in der Opel die eingekaufte Arbeitszeit für sich tätig werden lässt, ist es nicht nur nahe liegend, Stillstandszeiten, die wahrscheinlich 5 Minuten überschreiten, auf Kurzpausen anzurechnen. Es ist es auch keinesfalls mehr vertretbar, dass das Anlegen der Arbeitskleidung in der Arbeitszeit stattfindet – fürs Kleiderwechseln werden Proleten ja nun wirklich nicht bezahlt. Daher haben die in Gleitzeit tätigen Lohnempfänger das An- und Abstechen an den Zeiterfassungsgeräten in Arbeitskleidung (!) vorzunehmen. Und wo es um seine Erfolgsmaßstäbe geht, ist das Kapital besonders gerecht und verordnet dem Teil seiner Arbeitsmannschaft, deren Arbeits- und Straßenkleidung identisch sind, wie schon beim Kaffee eine Erhöhung der effektiven Arbeitszeit: Bei allen in Gleitzeit tätigen Gehaltsempfängern wird als pauschaler Ausgleich für die Wegezeiten zwischen Zeiterfassungsgerät und Arbeitsplatz das zwischen den Stechbuchungen liegende Zeitvolumen um täglich fünf Minuten nach unten berichtigt.

Einfach nur herumstehen und auf den nächsten Transportauftrag warten – da kann die Opel-Sanierung lange dauern. Schneller geht’s, wenn die ehemaligen Fahrer der Werkslogistik, die heute der Produktion zugeordnet sind, … in Wartezeiten auch mit zusätzlichen fahrernahen Tätigkeiten betraut werden. Wenn man sie schon als Fahrer einstellt, dann sollen sie die 40 Stunden pro Woche, für die man sie bezahlt, auch fahren, und wenn sie nichts zu fahren haben, sich irgendwie anders nützlich machen – wodurch auch immer. Feststeht in jedem Fall, dass es fahrernah ist, schließlich macht sich ja ein Fahrer nützlich.

Gesundheitsschädliche Wirkungen beim Lackieren sind bei dort Beschäftigten als Abfallprodukt der entsprechend eingerichteten Arbeitsplätze einkalkuliert. Der betrieblich organisierte Umgang mit diesen Folgen der Lohnarbeit ist für Opel ein Zugeständnis an die Arbeiter, Lackspritzer-Kuren zwecks vorübergehender Entgiftung stehen bei Bedarf folglich zur Disposition. Wie alles andere in der Fabrik werden sie in Mark und Pfennig umgerechnet und entfalten damit ihr Einsparpotenzial. Dessen Ausnutzung ergibt, dass zukünftig eine Wiederholungsverschickung nicht vor Ablauf von 36 Monaten in Frage kommt.

Diese Sorte nickeliger Zugriff auf die eingekaufte Arbeit gehört zur Normalität in den Fabrikhallen hierzulande. Da wird jede Minute Anwesenheit im Betrieb auf Leerlauf untersucht und jede verbliebene Nische im Arbeitsablauf aufgespürt und getilgt – rücksichtslos gegenüber den ruinösen Wirkungen der neuen Vorgaben auf diejenigen, die ihnen an ihren Arbeitsplätzen nachzukommen haben. Ganz ohne kapitalistische Willkür, rein aus betrieblichen und betriebswirtschaftlichen Erwägungen, ausschließlich gemäß unternehmerischer Profitkalkulation, nur wegen eines genau ermittelten und damit objektiven Bedarfs an Kostensenkung wird das Regime über die Arbeitskraft und ihre Verausgabung in einem Maße perfektioniert, das sich über jede Form der Rücksichtnahme auf den Träger dieser Arbeitskraft hinwegsetzt. Ausbeutung? Die ist nach all dem Strukturwandel im Ruhrgebiet und anderswo nur noch im extra dafür eingerichteten Industriemuseum zu bestaunen. Stattdessen diktiert die ultra-moderne Geschäftskalkulation, für mehr Arbeit weniger Geld zu bezahlen, die Bedingungen, unter denen zu Beginn des 21. Jahrhunderts einzig und allein Arbeitsplätze eingerichtet und erhalten werden.

*

Diese Rücksichtslosigkeiten im Umgang mit der Arbeit sind, wie es im Betriebsverfassungsgesetz im Sinne einer „modernen Sozialpartnerschaft“ aufgeschrieben ist, Gegenstand von Beratungen und Verhandlungen mit dem Betriebsrat. Für diesen geht es dabei insbesondere um die Erhaltung von Arbeitsplätzen und die Verhinderung von Standortschließungen.

Und was unternimmt der „Anwalt der Arbeitsplätze“?

Dem Wohl des Betriebs verpflichtet, weiß er sich mit dem Kapital in dessen Konkurrenzziel einig: Beide Seiten stimmen überein, dass es unsere erste Priorität ist, die Marken Opel, Vauxhaull und Saab zu stärken und sie innerhalb der europäischen Automobilindustrie wieder in eine führende Position zu bringen. (Vereinbarung des Europäischen Arbeitnehmerforums mit GME, August 2001) Der Betriebsrat erkennt daher und darüber hinaus auch den unternehmerischen Bedarf an Kostensenkung an: Geschäftsleitung und Gesamtbetriebsrat der Adam Opel AG (…) wollen (…) eine nachhaltige Verbesserung der Kostenstruktur im Unternehmen erreichen. (Betriebsvereinbarung Nr. 210, 1994). Wie sich das Kapital diese Kostensenkung vorstellt, hat es mit seiner Wunschliste für zu beseitigende Besitzstände gerade vorgeführt. Aber wie geht Kostensenkung zur Rettung von Arbeitsplätzen? Genauso! Denn der praktisch geltend gemachte Maßstab der Kostensenkung wird ja nicht außer Kraft gesetzt, wenn um seine Ergänzung um den sozialen, arbeitnehmerfreundlichen Aspekt der Arbeitsplatzerhaltung nachgesucht wird. Wer selbst die Rentabilität des Arbeitsplatzes fürs Geschäft als dessen einzig gültigen Existenzgrund anerkennt und von daher für die Sanierung von Opel votiert, dessen Verhandlungsposition taugt nicht als praktischer Einspruch gegen Entlassungen und Lohnverzicht. Die müssen vielmehr sein – aber nur, wenn sie wirklich sein müssen, und für diese Prüfung gibt es einen Betriebsrat.

Der geht davon aus, dass wegen des Erhalts von Arbeitsplätzen einerseits viele Opfer unvermeidlich, andererseits aber nicht alle notwendig sind. Daher garantiert er mit seiner Unterschrift unter einen Standortsicherungsvertrag und eine Olympia-Betriebsvereinbarung auch nur, dass keine betriebsbedingten Kündigungen ausgesprochen, keine vermeidbaren Lohnopfer gebracht und keine komplette Standortschließung hingenommen werden, alles andere also seinen Segen hat. Polemiken gegen neuerliche Forderungen von Opel – nicht hinnehmbar, die Zeche nicht zweimal bezahlen – und die Gegendrohung gegen diese – unter einen solchen Vertrag wird meine Unterschrift nicht kommen (Opel-Betriebsrat Jaszczyk) – erweisen sich schnell als Papiertiger, die im Zuge der sozialen Abwägung zwischen Lohnverzicht und Standortschließung wieder eingepackt werden. Ausgepackt werden an ihrer Stelle Alternativrechnungen zu den vom Unternehmen geforderten Verzichts- und Kostensparvorgaben. Erfolgreiche Betriebsratsarbeit ist konstruktiv, zum Beispiel so:

„Nachdem der Autohersteller Opel einen Rekordverlust von 674 Millionen Euro (…) gemeldet und weitere Stellenstreichungen angekündigt hatte, drängen die Arbeitnehmervertreter jetzt überraschend auf eine schnelle Umsetzung des geplanten Stellenabbaus. Der Betriebsratsvorsitzende des Opel-Werkes in Bochum, Peter Jaszczyk, sagte: ‚Wenn hier gezaudert wird, droht uns eine 30-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich oder Kurzarbeit.‘ Das (!) müsse verhindert werden. Frühzeitig sollten deshalb (!) mit dem Unternehmensvorstand Vereinbarungen über Aufhebungsverträge und Altersteilzeit getroffen werden. Nur dann seien weitere (!) Lohneinbußen der Beschäftigten zu vermeiden…“ (SZ, 12.1.)

Zur Verhinderung von Entlassungen und Lohnopfern eine beschleunigte Umsetzung von Entlassungen zu fordern – fürwahr ein Highlight betriebsrätlicher Logik. Und siehe da – manchmal ist sie sogar von Erfolg gekrönt: Die von Opel angekündigte und geforderte Reduktion der Belegschaft um 1100 Mann im Werk Bochum ist nach Angaben des Betriebsratsvorsitzenden Peter Jaszczyk ohne betriebsbedingte Kündigungen unter Dach und Fach. Die Betroffenen haben Aufhebungs- oder Vorruhestandsverträge unterzeichnet. (WAZ, 13.3.)

Noch nicht vom Tisch ist die Sache mit den weiteren Lohneinbußen, die ja – im Sinne der aufgemachten Alternativrechnung – als Gegenleistung für die schnelle Umsetzung des Stellenabbaus ad acta gelegt werden sollten. Man darf gespannt sein, welche einvernehmliche Lösung in dieser Frage gefunden werden wird.

So hilft der Betriebsrat dabei mit, wenn Arbeitsplätze gestrichen und die verbleibenden noch ungemütlicher und billiger gemacht werden. Wenn er sich als Co-Management beim Sanieren der Firma betätigt, wenn dem echten Management Alternativrechnungen für dessen Interesse unterbreitet, deren Einbeziehung in die unternehmerischen Kalkulationen anmahnt und der Geschäftsleitung selbst ausgedachte Lohn- und andere Opfer andient – dann trägt er das Seine für die praktische Klarstellung bei, welchen Kalkulationen sich Arbeitsplätze verdanken und welche Schönheiten diese Plätze für ihre Besitzer bereithalten. Klargestellt ist damit eigentlich auch, dass die bescheidene Bitte um möglichst umfängliche Indienstnahme der vom Kapital abhängigen Arbeiter keine gute Idee ist. Die Erhaltung solcher Arbeitsplätze als Gunst zu nehmen, die den Proleten zu erweisen ist, ist ein Zynismus der feinsten Art. Er beruht auf der Wahrheit, dass das Lebensmittel der Arbeiter ihre Ausbeutung ist!

*

Die veröffentlichte Meinung nimmt die aktuellen Nachrichten über die Verluste von Opel, den immer noch nicht geschafften Turnaround dieses Unternehmens, als eindeutige Hinweise für

Fehler des Managements.

Die von Opel durchgesetzten und durchgeführten Maßnahmen zur Kostensenkung sind für die Fachleute des Handelsblatts Zeugnisse einer für den Opel-Chef typischen sanften Tour, mit der dieser Mann seiner eigentlichen Aufgabe nie und nimmer gerecht wird:

„Der Opel-Vorstandschef versucht es weiterhin mit relativ zahmen Einschnitten… Forster zögert immer noch vor dem entscheidenden Schritt: die Schließung eines Werkes. Schon im vergangenen Jahr hatte sich Forster nach Verhandlungen mit seinen Betriebsräten darauf eingelassen, lediglich einzelne Schichten herauszunehmen… Im Jahr 2002 muss er beweisen, dass er tatsächlich das Zeug zum Krisenmanagement besitzt.“ (HB, 17.1.)

Da müssen die Redakteure in Düsseldorf gar nicht erst groß nachforschen – der Misserfolg der Sanierung lässt nur einen Rückschluss zu: die Arbeit wurde zu wenig her-, beim Entlassen wurde zu viel Rücksicht genommen. In gleichem Sinn argumentiert das Weltblatt aus München:

„Die Chance, von Beginn an Tabula rasa zu machen, hat Opel-Chef Carl-Peter Forster verpasst. Möglicherweise wird er dieser Gelegenheit noch einmal nachtrauern. Denn obwohl er eine neue Schmerzliste für die Belegschaft des Rüsselsheimer Autoherstellers zum Ärger des Gesamtbetriebsrats bestückt hat, glaubt er immer noch, ohne radikale Einschnitte wie eine Werksschließung auskommen zu können.“ (SZ, 17.1.)

Da spielt es keine Rolle, dass die angemahnte Werksschließung Opel womöglich endgültig in den Ruin triebe – wir können dies gar nicht tun, ohne den Absatz massiv zu gefährden. (Opel-Chef Forster) Höhnisch wird auf mangelnde Geberqualitäten des Opel-Chefs gedeutet, welche die geschätzten „knallharten Sanierer“ eigentlich auszeichnen; allein die Übernahme der Sprachregelung Standortsicherung durch Typen wie Forster enthält für die Unternehmensberater in den Schreibstuben ein Moment von Feigheit im kostensenkenden Umgang mit der Arbeit. In diesen doch von Haus aus überflüssigen Verhandlungen mit dem Betriebsrat sind für ihren Geschmack noch weit mehr überflüssige Konzessionen gemacht worden – kurz: das Management hat sich in gar unverantwortlicher, weil geschäftsschädigender Weise für den Titel ‚Arbeitsplatzsicherung‘ einspannen lassen. So kommen diese Journalisten auf ihre Weise zur – unfreiwilligen – Kritik der Ideologie, die ihnen ansonsten wie nichts aus den Federn rinnt. Die arbeitnehmerfreundliche Lüge keine Standortschließung – nehmen sie für die eigentliche Sache. Solche Rücksichtnahmen auf Arbeiter, die sich unter dem Titel einer Arbeitsplatzsicherung vortragen, sind für sie eine einzige Zweckverfehlung. Die moralische Attitüde des Kapitalisten, sich als Spender guter Werke und als Arbeitgeber zu präsentieren, wollen sie in diesem Fall als einen einzigen Verstoß gegen alle Grundregeln erkannt haben, nach denen das marktwirtschaftliche System funktioniert und funktionieren soll. Arbeitgeber haben sich um die effektive Ausbeutung der Arbeit zu kümmern und um sonst nichts. Wenn sich die für sie nicht mehr lohnt, haben sie ihre Rechnung an der Arbeit zu vollstrecken, die sich für sie nicht rentiert: Massenentlassungen und Standortschließungen sind für die journalistische Avantgarde der kapitalistischen Rechnungsarten der einzig senkrechte Weg zur Sanierung von Opel und zur Sicherung des Kapitalstandorts Deutschland überhaupt.

Dieses Hohelied auf einen

Kapitalismus ohne Wenn und Aber

zelebriert der Kanzler anlässlich seines Staatsbesuches bei der Eröffnung des neuen Opel-Werks in Rüsselsheim. Seine Bewunderung gilt einem Automobilbau, der in Deutschland und aus Deutschland heraus zum Besten gehört, was es in der Welt gibt. Man kann sagen: das Beste, was es gegenwärtig weltweit auf diesem industriellen Sektor gibt. Sein Lob gilt einer Arbeitsorganisation, die beispielhaft ist, die also nach den modernsten Regeln der kapitalistischen Rechnungskunst die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für erfolgreichen Automobilbau, also für den Erfolg des Profits von Opel einspannt. Dabei würdigt der Kanzler ausdrücklich den Beitrag der Belegschaft, der „das Entstehen des Werkes, die Investition hier – 750 Millionen Euro –, überhaupt erst ermöglicht hat“. Auch dies beispielhaft – für die richtige, von der Politik gewollte und gewünschte Lesart von Standortsicherung. Mit Lohnverzicht die Finanzierung des neuen Opel-Werks sichern, damit den heimischen Automobilbau weltweit konkurrenzfähig machen, und dabei noch en passant 6000 von 10000 Arbeitsplätzen retten: Der Kanzler weiß schon, was er an seinen deutschen Arbeitern hat, und wenn es nach ihm geht, kann das Schule machen, kann man sich nur wünschen, dass es in Deutschland viele Orte wie diesen hier in Rüsselsheim gibt.

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Wo das Kapital ruft, da zieht es seine Arbeitskräfte hin – weil es ein Einkommen eben nur für Lohnarbeit im Dienste des Profits gibt. In diesem Sinn hat das Kapital schon immer für Mobilität gesorgt, Ballungszentren wie das Ruhrgebiet sind so entstanden. Heutzutage ist die Definitionshoheit des Kapitals über die Lebensumstände in diesem Lande so selbstverständlich geworden, dass der Umzug eines Opel-Arbeiters von Bochum nach Kaiserslautern ohne Frage zumutbar ist. In einer mobilen Gesellschaft gehört die Bereitschaft zum länderübergreifenden Arbeitsplatzwechsel zur normalen Serienausstattung von Proleten, der brave Arbeitsmann hat dem Kapital überall dorthin nachzureisen, wo Arbeitsplätze winken. Und wo solches selbstverständlich ist, können Kapitalisten ihren hemmungslosen Zugriff auf die Arbeit glatt als Entgegenkommen gegenüber den Bedürfnissen der Arbeiter verkaufen:

„Forster appellierte an die Bochumer Belegschaft, das Angebot (!) zu nutzen, wonach 200 Mitarbeiter in das Werk Kaiserslautern wechseln können. Dort werden Dieselmotoren produziert. ‚Mir sträuben sich bei dem Gedanken die Nackenhaare, dass ich in Bochum Mitarbeiter nach Hause schicken müsste, um zugleich in Kaiserslautern neue Leute einzustellen‘, betonte der Opel-Chef.“ (SZ 15.2.)

Nichts Menschliches ist dem Kapitalisten fremd, und keinem Arbeiter sträubt sich irgendwas, wenn er mit seinem Hausstand immer dorthin zieht, wo Opel Dieselmotoren baut: Was für eine Harmonie zwischen Subjekt und Objekt der kapitalistischen Ausbeutung!

[1] Siehe dazu den Artikel „Rationalisierung und Lohn 2002“ in diesem Heft.

[2] Alle zitierten Maßnahmen entstammen „Betriebsvereinbarungen zur Kostenstrukturverbesserung“ im Opel-Werk Bochum.