Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Undank ist der Welten Lohn: Zur Affäre um gekaufte Betriebsräte bei Siemens

Am 19.4.07 tritt der langjährige Vorstands- und Aufsichtsratschef von Siemens, Heinrich von Pierer, Chef des Innovationsrates der Bundesregierung und wirtschaftspolitischer Berater Kohls, Schröders und Merkels, von seinem Posten als Vorsitzender des Aufsichtsrats zurück. Er „soll frühzeitig von dem Verdacht gewusst haben, dass Siemens mit heimlichen Zahlungen eine Gegenorganisation zur IG-Metall (eben die AUB) unterstützt und damit die Ergebnisse von Betriebs- und Aufsichtsratswahlen beeinflusst hat.“

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Undank ist der Welten Lohn: Zur Affäre um gekaufte Betriebsräte bei Siemens

Am 14.2.07 wird der Chef der Arbeitnehmervereinigung „Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger“ (AUB), Wilhelm Schelsky, in Untersuchungshaft genommen. Er soll zwischen 1991 und 2006 rund 50 Millionen Euro von der Firma Siemens als Beratungs- und Dienstleistungshonorar erhalten haben, ohne dass er dafür eine angemessene Gegenleistung erbracht hat. (SZ, 13.3.) Am 27.3.07 wird Siemens-Zentralvorstand Johannes Feldmayer wegen des Verdachts der Untreue verhaftet. Er soll die Überweisungen in Millionenhöhe an AUB-Chef Schelsky abgezeichnet haben. (SZ, 21./22.4.) Der Manager ist Teil der Elite deutscher Konzernherren. Er lehrt an der TU Berlin strategisches Management. (Die Zeit, 29.3.) Am 19.4.07 tritt der langjährige Vorstands- und Aufsichtsratschef des Unternehmens, Heinrich von Pierer, zwischenzeitlich als Kandidat der Union für das Amt des Bundespräsidenten gehandelt, Chef des Innovationsrates der Bundesregierung und wirtschaftspolitischer Berater Kohls, Schröders und Merkels, von seinem Posten als Vorsitzender des Aufsichtsrats zurück. Er soll frühzeitig von dem Verdacht gewusst haben, dass Siemens mit heimlichen Zahlungen eine Gegenorganisation zur IG-Metall (eben die AUB) unterstützt und damit die Ergebnisse von Betriebs- und Aufsichtsratswahlen beeinflusst hat. (ebd.)

Bei näherer Betrachtung stellt sich uns allerdings die Frage, wogegen die Beschuldigten eigentlich verstoßen haben sollen. Waren sie nicht vielmehr nach bestem Wissen und Gewissen darum bemüht, die dürren Paragrafen des Betriebsverfassungsgesetzes mit Leben zu füllen?

Von wegen „ohne angemessene Gegenleistung“

Schon der Name seiner Organisation verrät, dass für Schelsky der im Betriebsverfassungsgesetz verankerte Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen allen Partnern im Unternehmen (Die Zeit, 29.3.) Programm war: Mit der Bezeichnung AUB ist – in wohltuender Opposition zur allgemein üblichen Redeweise von den „abhängig Beschäftigten“ – jede Erinnerung daran getilgt, dass die überwältigende Mehrheit der „Betriebsangehörigen“ Lohnarbeit verrichtet und sich damit im Dienst an fremdem Eigentum geistig wie körperlich verbraucht. Vielmehr zeichnen sich die Beschäftigten in allererster Linie dadurch aus, dass sie dem Betrieb ganz unabhängig angehören, sich also in ungefähr dem gleichen Gefühl der Freiheit an ihren Arbeitsplatz begeben wie weiland der Marlboromann in den Westen. Jeder Unterschied, von einem Gegensatz ganz zu schweigen, zwischen Management und Belegschaft kann sich also nur einer ideologischen Chimäre der in Klassenkampfdenken erstarrten Konkurrenz von der IG Metall verdanken. Die ist es dann auch, die alle Abhängigkeiten stiftet, und nicht etwa eine Betriebsleitung, die mit einem Federstrich Tausende von Arbeitsplätzen streichen und damit eben so viele Existenzen prekär machen kann. In diesem Geiste wetterte die AUB gegen die unerträgliche Unterwerfung unter die verkrusteten Funktionärsapparate, Bürokratie, Bevormundung, kollektive Gleichmacherei, den parteipolitischem Gesinnungsdruck (AUB, zitiert nach ‚junge Welt‘, 29.3.) der IG Metall. Deren ideologischen Grabenkämpfen setzte Schelsky die konstruktive Auseinandersetzung mit Arbeitgebern entgegen und unterstützte im Gegensatz zur IG Metall auch manchen umstrittenen Plan der Konzernführung. (Die Zeit, 29.3.) Gleichzeitig trug er tatkräftig zur Wahrung des Betriebsfriedens bei, indem er gegen Streiks als für die Vertretung von Arbeitnehmerinteressen grundsätzlich ungeeignetes Mittel agitierte und seine Organisation einen Solidaritätsfonds für Mitglieder einrichtete, die anlässlich eines Arbeitskampfes unverschuldet Einkommensverluste erleiden, und zwar insbesondere diejenigen, die durch Streikposten an der Ausübung ihrer Tätigkeit gehindert werden. (junge welt, 29.3.) Und nicht nur innerhalb seines Betriebes machte er sich für die Maxime stark, dass das Wohl der Beschäftigten ausschließlich durch die Beförderung des Erfolges der Firma zu gewährleisten sei, was ihm Anerkennung von höchster Stelle eintrug: „Attacken gegen die etablierten Gewerkschaften, die er als Bremser kritisierte, gefielen der CDU Helmut Kohls, die ihn 1986 zu ihrem Bundesparteitag einlud. Dort rief Schelsky den CDU-Delegierten einen für einen Arbeitnehmervertreter ungewöhnlichen Appell zu: Stärken Sie bitte den Unternehmen den Rücken! (SZ, 14.3.)

Die von ihm organisierte „Zusammenarbeit“ mit dem Management erwies sich also nicht nur als überaus „vertrauensvoll“, sondern auch kostengünstig. Und zwar für alle Beteiligten: Erstens für die Mitglieder der AUB, die nämlich lediglich 8 Euro monatlich entrichten mussten, gemessen am Mindestsatz der IG Metall (ein Prozent vom Bruttolohn) auffallend niedrig. (SZ, 13.3.). Und zweitens, so Schelsky in seiner Rechtfertigung gegen die gegen ihn gefahrenen Angriffe, für das Unternehmen: Schließlich lägen die Mitbestimmungskosten des Konzerns ‚vergleichsweise niedrig‘, wenn man sich die Ausgaben anderer Unternehmen wie Daimler-Benz für diese Zwecke anschaue, schreibt Schelsky stolz. Im Vergleich zu den ‚möglichen Kosten durch eine radikalisierte Monopol-Gewerkschaft IG Metall haben sich die bisher aufgewendeten Gelder sicherlich gelohnt‘, befand Schelsky. (SZ, 21./22.4.) Darüber hinaus war Schelsky bei aller Polemik gegen die verhasste Konkurrenz großzügig genug, deren Vertreter den gut gemeinten Rat zu geben, wie das Einvernehmen zwischen ihm und der Firma am besten herzustellen sei: Du musst der Firma sagen, was du persönlich willst, (SZ, 29.3.) soll er dem Betriebsratschef von der IG Metall am Siemens-Standort Erlangen empfohlen haben.

Von wegen „Untreue zu Lasten der Firma“

Gleichgültig, ob die jetzt unter Beschuss geratenen Praktiker und Theoretiker des „strategischen Managements“ das mit den Mitbestimmungskosten genau nachgerechnet haben oder nicht, aus ihrer Sicht gab es jedenfalls lauter gute Gründe für die generöse Alimentierung Schelskys und damit der AUB: bei SIS, der Dienstleistungs- und Softwaresparte, habe die Organisation in Geheimverhandlungen mit dem Management dafür gesorgt, dass der Abbau von 13 000 auf 7 000 Stellen reibungslos über die Bühne ging. (junge Welt, 29.3. unter Berufung auf einen IG Metaller) Und auch wenn man weiß, was die IG Metall unter „Reibung“ versteht – die Inszenierung von Theaterdonner mit Trillerpfeifen und lächerlichen Arbeitsunterbrechungen, die dann mit gewerkschaftlichem Einverständnis schleunigst wieder hereingearbeitet werden müssen – den Herren in Nadelstreifen bei Siemens war selbst das entschieden zu viel des Einspruchs. Auch wenn der weiter gar kein anderes materielles bzw. finanzielles Ergebnis bewirkt und auch gar nicht bewirken soll, als vorher von beiden Seiten bereits als „Kompromisslinie“ angedeutet wurde. Die vornehmen Herren auf der anderen Seite des Besprechungstisches verhandeln ganz einfach viel lieber mit ihrer eigenen Kreatur, als mit IG-Metall-Funktionären von außerhalb (SZ, 29.3.), die mit unflätigen Bemerkungen das Verhandlungsklima vergiften: Euch hat man doch ins Hirn geschissen, soll ihnen der bayerische Bezirksleiter einmal zugerufen haben. (SZ, 29.3.) Also wurde spätestens seit 1988 darüber nachgedacht, wie man die Dominanz der IG Metall auf Arbeitnehmerseite brechen könnte ... Die Initiative, die AUB als zahme Alternative zur streitlustigen IG Metall aufzubauen, ging demnach von der Konzernspitze aus. Die machte klare Vorgaben: Bis zur Aufsichtsratswahl 1997/98 sollten 40 Prozent der Delegierten von der AUB gestellt werden. (SZ, 21./22.4.) Marktwirtschaftlich gesehen doch wohl eine Selbstverständlichkeit: Wenn das Unternehmen schon die Betriebs- und Aufsichtsräte bezahlen muss, dann hat es auch das Recht, diese zu bestimmen. Vom Standpunkt des Geschäfts aus betrachtet haben also sowohl Schelsky als auch die Siemensmanager alles richtig gemacht. Er hat geliefert, was das Unternehmen verlangt:, eine ordentliche Alternative zur IG Metall. Dafür hat sich das Unternehmen seinerseits nicht lumpen lassen und sich entsprechend erkenntlich gezeigt. Den Bilanzen der Firma hat das jedenfalls nicht geschadet. Insofern also alles in Ordnung in der besten aller Welten, in der schließlich doch „unser aller“ Wohlergehen vom Erfolg „unserer“ lokalen und internationalen Champions bei der Profitmacherei abhängt.

Warum also die Aufregung?

Der eine Protagonist ist die IG Metall. Kongenial zur Unternehmensführung, die den Schaden aus einer „Monopolstellung“ der Gewerkschaft auch nicht in Euro und Cents anzugeben wüsste, bemüht die Gewerkschaft sich gar nicht weiter um den Nachweis, welche Nachteile in Sachen Lohn oder Arbeitsplatz der Belegschaft durch die Konkurrenz von der AUB entstanden sind, sondern beruft sich schlicht auf ihren Herr-im-Haus-Standpunkt: Die AUB habe mit dem Markennamen Gewerkschaft Schindluder getrieben.“ (Der Spiegel, 2.4.03) Die IG Metall ist also die gewissermaßen patentamtlich mit Brief und Siegel beglaubigte und damit einzig legitime Organisation zur Vertretung der Arbeiterinteressen. Es ist schon unerträglich genug, dass es im Betriebssrat, dessen Aufgabe bestimmt nicht die Durchsetzung gewerkschaftlicher Interessen ist, der aber dennoch der IG Metall zusteht, eine konkurrierende Mannschaft gibt. Ein klarer Fall von Majestätsbeleidigung ist es dann, wenn diese Mannschaft sich traut, gegen die Gewerkschaftsvertreter zu stimmen: Der AUB-Vertreter im Aufsichtsrat hätte oft gemeinsam mit der Kapitalseite gestimmt – gegen die anderen Arbeitnehmervertreter (ebd.). Dass die AUB-Vertreter mit der Kapitalseite gestimmt haben, kann der Skandal ja nicht sein, denn darin haben die Leute von der IG Metall selbst reichlich Übung – aber es geht einfach nicht an, dass ihr Monopol auf die Vertretung der Arbeitnehmerinteressen von solchen „Außenseitern“ angekratzt wird.

Diese Gewerkschaft sieht sich jetzt mit einer Alternative konfrontiert, die den Standpunkt, dass die Unterordnung unter die Maßstäbe des Unternehmens sowieso das einzige Lebensmittel der Beschäftigten ist, ganz umstandslos vertritt, die also das zum Ausgangspunkt hat, was für die IG Metall immer ein mehr oder weniger „schmerzhafter Kompromiss“ ist. Ihre Abgrenzung von der Konkurrenz fällt entsprechend aus. Es ist dann eben ganz einfach etwas grundsätzlich Anderes, ob Schelsky und Konsorten von der Führung des Unternehmens alimentiert werden, oder ob IG Metall-Funktionäre durchaus vergleichbare Zuwendungen erhalten:

„Betriebsratsvorsitzende von der IG Metall führen in Erlangen Dienstautos, die sonst nur von den obersten Dienstkräften gelenkt würden. Solche Worte bringen Dieter Scheitor von der Vorstandsverwaltung der IG Metall, der seit kurzem Aufsichtsrat von Siemens ist, in Rage: ‚Da werde ich ärgerlich. Das ist doch Pipifax.‘ Dienstwagen seien immer eine Frage der Gehaltsgruppe.“ (FAZ, 29.3.)

Das sind also die Welten, die zwischen einer angeblichen und einer wirklichen Arbeitnehmervertretung liegen: Die einen kriegen ihren Luxus gewissermaßen inoffiziell vom Unternehmen spendiert. Den Anderen steht er per Lohn- bzw. Gehaltsgruppe, in die sie durch ihre Tätigkeit im Rahmen der „vertrauensvollen Zusammenarbeit“ gelangt sind, ganz offiziell zu. Wobei nach Angaben eines Gewerkschafters, der es wissen muss, selbst dieser Unterschied noch fragwürdig ist:

„Der Gesamtbetriebsrat hält es in der Affäre um mögliche Schmiergeldzahlungen auch für möglich, dass es bei der IG Metall schwarze Schafe gibt. ‚Wir gehen davon aus, dass auch in unseren Reihen Fälle hochkommen werden‘.“ (SZ, 7./8.4.)

Und die einerseits empörte Öffentlichkeit weiß andererseits auch, warum das so sein muss:

„Die vertrauensvolle Zusammenarbeit zum Wohle aller ist ein schönes Ziel. In der Realität ist die Gefahr aber groß, dass Zusammenarbeit und Kumpanei Hand in Hand gehen und das Modell der Mitbestimmung und Mitwirkung zu einem Modell des Gebens und Nehmens wird. Die neue Rolle der Betriebsräte fördert dies mitunter. Sie haben in den vergangenen Jahren an Einfluss gewonnen, weil ihnen die Gewerkschaften mehr Spielraum lassen. Immer öfter werden wichtige Entscheidungen mit dem Einverständnis der Gewerkschaften direkt in die Betriebe verlagert.“ (SZ, 31.3./1.4.)

Eine Entwicklung, welche gerade auch die Wirtschaftsredaktion der SZ äußerst wohlwollend begleitet hat, und die ihr gar nicht schnell genug gehen konnte:

„Lässt sich doch immer wieder beobachten, wie Betriebsräte von der Gewerkschaftszentrale auf Positionen eingeschworen werden, die vielleicht im Sinne der Gesamtorganisation sind, aber nicht im Interesse der Beschäftigten eines konkreten Unternehmens.“ (SZ, 13.3.)

Deren Interessen gehen also mit denen des Unternehmens grundsätzlich zusammen, solange sich kein störender gewerkschaftlicher Einfluss von außen geltend macht. Dafür hat die AUB gesorgt und das war gut so. Dass sich ein Unternehmen Arbeitnehmervertreter und deren Zustimmung einfach kauft, das geht allerdings nicht in Ordnung – immerhin hat das der Gesetzgeber verboten. So sehr das Betriebsverfassungsgesetz darauf dringt, dass zwischen Arbeitnehmer- und Unternehmensseite Einvernehmen in der Sache des „betrieblichen Wohls“ hergestellt werden muss, so sehr will es aber auch, dass die bei der Ermittlung des „betrieblichen Wohls“ beteiligten Arbeitnehmervertreter aus freien Wahlen hervorgehen und ihren Wählern verpflichtet sind, denn ansonsten liegt gar keine wirkliche, auf Einsicht beruhende Einbindung der Arbeitnehmer zugrunde, sondern eine ihre demokratische Mündigkeit ignorierende Kumpanei. Dagegen hat Siemens verstoßen, obwohl es das doch gar nicht nötig gehabt hätte, wo es doch etliche „Argumente“ auf seiner Seite hat:

„Der Verdacht liegt nahe, dass das Unternehmen im Zweifelsfall der Überzeugungskraft des Geldes mehr vertraute als den eigenen Argumenten.“ (SZ, 29.3.) „Diese Schmieraktion verrät eine Gesinnung, die für einen Weltkonzern wie Siemens mehr als unwürdig ist.“ (SZ, 28.3.)

Ein Weltkonzern „argumentiert“ doch schlicht und ganz souverän mit seiner Macht über die Arbeits- und damit Lebensbedingungen seiner Beschäftigten. Nobel setzt er sie in all seiner Würde mit angeblich oder wirklich existierenden Standortalternativen unter Druck, so dass sie sich ganz und gar freiwillig in das „Unvermeidliche“ fügen. Nur so ist dem Wohle aller Genüge zu tun.