Serbien bietet Karadzic für den Anschluss an Europa – die EU ist begeistert über ihre erpresserischen Potenzen

Die neue serbische Regierung lässt Radovan Karadzic, den ehemaligen Führer der bosnischen Serben, verhaften und liefert ihn an das Kriegsverbrecher-Tribunal in Den Haag aus. Der Mann war „seit 13 Jahren flüchtig“, vom Westen zur Fahndung ausgeschrieben, und für seine Ergreifung waren – auf schneidigen Plakaten unter dem Titel WANTED! – 5 Millionen Dollar ausgeschrieben. Der serbische Geheimdienst verzichtet auf die Belohnung.

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Serbien bietet Karadzic für den Anschluss an Europa – Die EU ist begeistert über ihre erpresserischen Potenzen

Die neue serbische Regierung lässt Radovan Karadzic, den ehemaligen Führer der bosnischen Serben, verhaften und liefert ihn an das Kriegsverbrecher-Tribunal in Den Haag aus. Der Mann war „seit 13 Jahren flüchtig“, vom Westen zur Fahndung ausgeschrieben, und für seine Ergreifung waren – auf schneidigen Plakaten unter dem Titel WANTED! – 5 Millionen Dollar ausgeschrieben. Der serbische Geheimdienst verzichtet auf die Belohnung.

Europas Ordnungsstifter bekommen ihr Recht und verbuchen den Sieg des Guten

Für die Außenpolitiker der EU und des Westens samt ihrer uniformen freien Öffentlichkeit ist die Überstellung Karadzics wunderschön und die Sache sonnenklar: Endlich ist einer der beiden noch lebenden „drei üblen Menschen des Balkan“, und zwar „der schlimmste“ von ihnen, hinter Gittern: ein Kriegstreiber, Kriegsverbrecher, Völker- und Massenmörder sowie ethnischer Säuberer, dessen Schuld ebenso feststeht wie die Strafe, die er verdient:

„Einer der schlechtesten Männer der Welt, der Osama Bin Laden Europas, ist endlich gefasst worden.“ (Holbrooke, ehem. US-Chefunterhändler für den Balkan, Die Zeit, 24.7.08)

Spät, aber immerhin kommt das Gute zu seinem Recht, indem die paar Bösewichter zur Rechenschaft gezogen werden, welche die Völker des Balkans verführt und ins Unglück gestürzt haben. Da dürfen sich nicht nur deren Opfer freuen, sondern alle Menschen, die Recht und Moral in der Staatwelt sehen wollen. Denn:

„Massive Menschenrechtsverletzungen bleiben nicht ungestraft.“ (Merkel, 24.7.)
„Es gibt keine bessere Respektsbezeugung für die Opfer der Kriegsgräuel, als die Täter vor Gericht zu bringen.“ (US-Regierung, 22.7.08)

Das propagierte Szenario – hier die guten Anwälte des Rechts, der Moral und der friedlichen Völkerverständigung, dort ein paar handverlesene Polit-Kriminelle, auf deren Konto, im Wesentlichen zumindest, das Massenmorden hinten auf dem Balkan ging – erfüllt in der Tat prima das ‚Bedürfnis nach einer einfachen Weltsicht‘ mit dem dazu gehörigen griffigen Feindbild,[1] welches für ‚politische Demagogen‘ angeblich so typisch ist. Mit der politischen Sache, dem Machtkampf in und um das ehemalige Jugoslawien, hat es nichts zu tun.

Sicher waren Leute wie Karadzic, Mladic oder Milosevic alles andere als angenehme Zeitgenossen. Sie waren schließlich nationale Politiker und Militärs, die in führender Position den serbischen Staatswillen verkörperten. Ihr Programm war die Durchsetzung einer neuen Staatsgewalt als möglichst mächtiger Erbin des alten jugoslawischen Vielvölkerstaates. Und dabei und dafür zählten sie auf ein Volk – als ihres – und sie konnten auf dessen loyale Gefolgschaft zählen, auf den Nationalismus von unten also; zu einer gelungenen Verführung gehören schließlich immer zwei Seiten. Und sie kommandierten ihre Volksgenossen in den Kampf um die Reichweite ihres künftigen Staates; gegen ihre Feinde, die das Gleiche – ein maximales nationales Territorium unter ihrer exklusiven Verfügungsgewalt – vorhatten: jene völkischen Staatsgründungsprojekte, die das ‚Recht‘ der Kroaten, Bosniaken etc. gegen das der Serben stellten. Die militärische Eroberung von Stadt und Land sowie deren „ethnische Säuberung“ von den alten Nachbarn, die plötzlich zu falschen, qua politischer Definition feindlichen Volksgruppen geworden waren, galten wie kriegsüblich als die probaten Mittel zu dem Zweck, die eigene politische Verfügungsgewalt über das beanspruchte Territorium samt Inventar zu konsolidieren.

Und mit eben diesem Anliegen befanden sich Karadzic und seine Volksmannschaft zugleich im Kampf gegen ein Ausland, das in der übermächtigen Gestalt der EU und Nato den Separatismus im und gegen den jugoslawischen Staat ins Recht gesetzt, ermuntert und gefördert hat. Gegen ein europäisches Großmachtprojekt, dessen Anführer in der Zerlegung des ‚postkommunistischen‘ Jugoslawien die Gelegenheit sahen, die Herrschaftsverhältnisse auf dem Balkan in ihrem Sinne neu zu regeln. Die Europäische Union hat bekanntlich zunächst die Selbstbestimmung der diversen Ethnien auf ihre Fahnen geschrieben. Sie wollte mit der Geburtshilfe für lauter neue Kleinstaaten auch Serbien auf einen solchen reduzieren und die Unterordnung der Region unter ihr kontinentales Benutzungs- und Kontrollregime betreiben. Und sie wurde dafür auch selber militant, um die Unterwerfung der stärksten Kriegspartei – der Serben – unter ihr Konstrukt eines multiethnischen Bosnien-Herzegowina zu erzwingen. Dass Karadzic und seine Mannen sich dem Friedensdiktat des Westens nicht freiwillig beugten, sondern mit ihren Eroberungen die Kriegsbereitschaft der westlichen Allianz testeten, führte zum ersten massiven Bombardement der Nato in ihrer Geschichte. Der politische Zweck – die Machterweiterung der EU – heiligte also auch hier alle Mittel, was denn sonst.

Wer Schlimmeres angerichtet hat im Sinne der gezählten Schandtaten, der Toten und Verelendeten, die ethnischen Säuberer à la Karadzic (für Serbien), Tudjman (für Kroatien), Izetbegovic (für die bosnischen Moslems) oder die Nato-Alliierten (für die europäische Friedensordnung) mit ihren Bombardements damals 1995 und dann 1999 drei Monate lang „gegen den Diktator Milosevic“, d.h. gegen Industrie, Energieversorgung, Medien, Brücken und Straßen des Landes – mit den „unvermeidlichen Kollateralschäden“ an Zivilisten –, sei dahingestellt; die Opfer der einen Seite sprechen schließlich nicht für eine Parteinahme zugunsten der anderen. Klar ist jedenfalls, für die Sieger, Amerika und die EU, steht die Antwort auf die Schuld-, sprich Rechtfertigungsfrage bombenfest, sodass auch die von ihnen produzierten Opfer – so massenhaft sie auch ausfallen – dem Feind zur Last gelegt werden: Er ist für alles verantwortlich, da er nicht freiwillig kapitulierte. Und die Menschen und Völker, deren Leben oder Lebensstandard bei der „Luftkampagne“ auf der Strecke blieben, müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie sich von den falschen Führern haben verführen lassen.

Von vorne bis hinten verlogen ist also das Geschichtsbild, das derzeit in den zivilisierten Gegenden unseres EU-Europa präsentiert wird: dass ein paar serbische Politkriminelle solange das Unheil auf dem Balkan geschürt haben, bis WIR, d.h. unsere verantwortlichen Politiker, nicht mehr „wegschauen“ konnten, sondern dem Schlachten Einhalt gebieten mussten. Diese Story ist nichts Anderes als das Revival des alten Feindbildes, welches den mehr als gerechten Nato-Krieg gegen das Böse in unserem Hinterhof als humane Pflicht und Schuldigkeit der Guten hochleben ließ. Mit dem Menschen- und Völkerrecht, das die universelle Gültigkeit der westlichen Herrschaftsprinzipien behauptet, d.h. aller Welt verordnet, bestehen die kapitalistischen Erfolgsnationen auf ihrer Zuständigkeit für die – ihnen – passende Gewaltordnung. Als überlegene Partei setzt sich das mit den USA verbündete Europa höchstselbst in die Position des berufenen Richters, Anwalts, Zeugen und Vollstreckers, verteilt Territorien, Lizenzen und Verbote an die diversen Herrschaftsinteressenten vor Ort und betreibt den Wechsel der Regime, die sich nicht daran halten. Und diese Aufgabe ist noch nicht vollendet, dafür steht die Kontinuität des Feindbilds: Anhand der Figuren Karadzic und Mladic wird ein serbischer Staatswille diskreditiert, der die geforderte Unterwerfung bislang verweigert.

Das Gute ist, dass die Neuausrichtung der serbischen Politik – gemäß den Imperativen der EU – vorankommt

Der wahre Grund zur Freude, welche die Sachwalter europäischer Balkanpolitik seit der Verhaftung Karadzics an den Tag legen, ist deshalb auch kein Geheimnis. Sie diagnostizieren einen entscheidenden Fortschritt in dem handfest imperialistischen Anliegen, den Widerstand des serbischen Nationalismus zu brechen:

  • Nach der Ablösung des „Nationalisten Kostunica“ durch den Präsidenten unserer Wahl, den „Reformer Tadic“, ist nun auch noch eine pro-europäische serbische Regierung zustande gekommen;
  • und zwar trotz der gerade amtlich vollzogenen Enteignung Serbiens um einen Teil seines Staatsgebiets, den Kosovo, und trotz aller Erfolge der „radikalen Nationalisten“ bei den Parlamentswahlen;
  • und diese Regierung ist ausgerechnet mit Hilfe der Sozialistischen Partei des ehem. Oberbösewichts Milosevic zustande gekommen, die also ebenfalls auf eine ‚konstruktive Linie‘ eingeschwenkt ist.
  • Die gewendeten Sozialisten haben tatsächlich der sofortigen Auswechslung des alten Geheimdienstchefs zugestimmt, der „die Kriegsverbrecher beschützte“, und gemeinsam mit den Demokraten den ewigen Flüchtling Karadzic prompt zur Aburteilung nach Den Haag überstellt.
  • Die serbischen Machthaber sind damit – endlich – auf die europäischen Bedingungen jedweder Kooperation eingegangen, was die verantwortlichen Regenten in Berlin, Paris und Brüssel als Richtungsentscheidung zugunsten der Europäischen Union zu würdigen wissen;
  • als eine kluge Weichenstellung im wohlverstandenen Interesse des serbischen Volkes, die endlich das Recht und die Richtlinienkompetenz der EU respektiert, den ‚stolzen Serben‘ ihren Platz und ihre Rolle in Europa zuzuweisen.
  • Womit der serbische Rumpfstaat im übrigen die von der EU kontrollierte Eigenstaatlichkeit des Kosovo „de facto anerkannt“ habe, mögen Tadic und die Belgrader Regierung den Vorbehalt zum ewigen Besitzstand Kosovo auch förmlich aufrechterhalten;
  • und womit Serbien lobenswerterweise zugleich eine strategische Entscheidung gegen seinen alten Freund Russland getroffen habe, welches sich als alternative Betreuungsmacht empfohlen hatte und so durchaus störenden Einfluss mitten in unserem neuen Hinterhof hätte nehmen können.

Für all das steht die Auslieferung des längst entmachteten Politikers Karadzic. Dabei nehmen die amtierenden Politiker der EU durchaus zur Kenntnis, dass diese Maßnahme keiner reuevollen Selbstkritik an den kriegerischen Selbstbehauptungsanstrengungen entspringt, sondern einer politischen Berechnung: Serbien zahlt den Preis, um sich Zutritt zur Europäischen Union zu verschaffen, zu der politökonomischen Großmacht also, die nun mal über Erfolge und Misserfolge der Nationen des Kontinents maßgeblich entscheidet. Davon verspricht sich der geächtete und wirtschaftlich ruinierte Rumpfstaat die Chance zu nationaler Erholung. Er erhofft sich nicht nur Fördergelder und „Kapitalzufluss“ – sprich: das Erwachen auswärtiger Geschäftsinteressen an ihm und seinem arbeits- und konsumfähigen Menschenmaterial –, sondern auch die Perspektive, politischen Einfluss und Mitbestimmungs-Rechte zurück zu gewinnen. Dieses „Motiv“ stört die in Berlin, Paris und Brüssel ansässigen Zuweiser von Funktionen, Mitteln und Status nicht.[2] Im Gegenteil, sie nutzen es als Hebel. Man entnimmt der Überstellung des Karadzic die – verlangte – demonstrative Abkehr von jenem „verbrecherischen Nationalismus“, den die Serben unter diesem Führer betrieben haben. Und wenn die späte Erfüllung dieser Bringschuld auch aus Not folgt, so geht das schon in Ordnung – beweist es ihnen doch, dass auch dieser störrische Restposten der ehemaligen Balkanmacht keine tauglichen Alternativen zur Unterwerfung unter die EU-NATO-Aufsichtsmächte sieht. Zufrieden stellen sie fest, dass die Politik der systematischen Erpressung, die Fortsetzung des Krieges mit friedlichen Mitteln, wirkt. Die Strategie von „Zuckerbrot und Peitsche“ – sprich: das großzügige Angebot, Serbien bei Wohlverhalten in die EU einzugemeinden, ansonsten gnadenlos zu ruinieren und als geächtete Enklave, umgeben von blühenden feindlichen Landschaften und Nato-Stützpunkten, zu isolieren, zeitigt ihre Früchte!

So gilt die Feier dieses „Meilensteins“ auf dem Wege zur endgültigen Balkanordnung, welche europäische Politiker am Fall Karadzic abziehen, nicht zuletzt den Machtpotenzen, die man sich selber attestiert. Die massive Einflussnahme auf die inneren Kräfteverhältnisse im Lande, die Drohungen gegen die „Ewiggestrigen“, die präventive Belohnung der pro-europäischen Parteien, die für den richtigen Ausgang der demokratischen Wahlen bürgen sollte,[3] das alles beinhaltete ja durchaus das Risiko, auf die Weise den „nationalistischen Kräften“ Recht zu geben, die vor der Auslieferung Serbiens an eine serbenfeindliche EU warnen. Und so die Radikalen an die Macht zu bringen und einen Bürgerkrieg zu provozieren. Dass die Rechnung der EU fürs erste aufgeht, beweist ihr nun, dass die „weiche Macht“, die sie – an der Seite der und in Konkurrenz zu der „harten“ US-Militärgewalt – zum Einsatz bringt, für imperialistische Effekte sehr wohl taugt. Die EU ist kein Papiertiger, allen Unkenrufen zum Trotz, die vor allem vom großen Freund herüberschallen.[4] Und das freut ihre um „Handlungsfähigkeit“ bemühten Führer – über den aktuellen serbischen Fall hinaus. Die exemplarische Botschaft lautet: Widerstand gegen die legitime EU-Kontrollmacht über ‚gutes Regieren‘ in Europa ist zwecklos. Oder, in den Worten des Chefs vom Haager Tribunal: „Es gibt keinen sicheren Hafen für Kriegsverbrecher.“

Jetzt erst recht! oder Die endgültige Selbstreinigung des serbischen Nationalismus ist fällig

Die Übergabe von Karadzic gilt als Bestätigung des eigenen Kurses und nicht etwa als die volle Einlösung der serbischen Bringschuld. Die Pressionen müssen deshalb weiter gehen. Das war der „erste Schritt“, dem weitere folgen müssen! Damit es nicht bei einem demonstrativen Akt bleibt, sondern das Demonstrierte, die verlangte Unterordnung, auch voll und ganz vollzogen wird:

„Die Europäische Union weigerte sich gestern, Serbien für die Ergreifung Karadzics zu belohnen und bestand darauf, dass Belgrad vor einer Aufhebung der Handelssanktionen seine vollständige Kooperation mit dem Internationalen Strafgerichtshof von Den Haag beweisen muss.“ (El País, 30.7.08)

Eine „glaubwürdige“ Abrechnung mit den Kräften der Vergangenheit, sprich: dem autonomen nationalen Machtanspruch Serbiens, steht an. Alle Sanktionen bleiben bestehen, das „Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen“ tritt nicht in Kraft, auch das darin enthaltene Handelsabkommen liegt auf Betreiben Hollands weiter auf Eis. So bewältigt, folgt man den verständnisvollen Pressekommentaren hierzulande, die niederländische Nation ihre „Traumatisierung“, die ihr durch das Massaker von Sebrenica zugefügt wurde – genauer: durch den Feigheitsvorwurf gegen die eigenen UN-Blauhelme, welche die muslimische Enklave hätten schützen sollen. Jetzt warten WIR auf Mladic und den Rest der gesuchten Verbrecher. Der Ex-General der bosnischen Serben ist deshalb ein so interessanter Mann, weil er fest im militärischen und geheimdienstlichen Apparat Serbiens verankert ist und von diesem entschieden geschützt wird. Dieser harte Kern der Staatsgewalt gehört gesäubert und gefügig gemacht. Die Verhaftung der „Symbolfigur Mladic“ soll dafür der Katalysator sein – ein nächster Härtetest im Rahmen des Qualifizierungsprozesses für Europa! WIR erwarten ferner, dass damit der Auftakt gemacht wird für eine ordentliche moralische Vergangenheitsbewältigung von Führung und Volk: Diese Ethnie soll sich nicht länger als Opfer (ungerechtes, versteht sich) sehen, wie sie sich das seit ewig angewöhnt habe, sondern als Täter; sie soll alle Schuld auf sich nehmen und demütig auf unsere weiteren Forderungen warten. Zur Neuausrichtung der politischen Staatsräson gehört, dass die Serben mit ihrem Rechtsbewusstsein brechen, welches verfehlte Ansprüche hochhält. Dann und nur dann können sie wieder in den Kreis der zivilisierten und respektierten Nationen aufgenommen werden und konstruktiv zur „Stabilisierung des Balkans“ beitragen. Letzteres ist die Chiffre für den Dienst an der künftigen Machtentfaltung der EU, für den auch Serbien fest eingeplant ist. Die Liquidierung des dafür unpassenden, eigensinnigen Nationalismus – das ist er, der Sieg des Guten über das Böse. Ein Sieg, der entsprechend inszeniert wird, indem Karadzic und Co vors UNO-Tribunal geschafft und dort schön rechtsförmig verurteilt werden. Der Kampf fürs Menschenrecht ist eben das Gütesiegel der raumgreifenden politischen Gewalt, die fremde Staaten und deren Menschen für sich in Beschlag nehmen will.

[1] Die demokratische Öffentlichkeit leistet freiwillig ihren Beitrag zur Auspinselung des von oben ausgegebenen Feindbilds. Kaum ist Karadzic festgenommen, ergänzt sie das offizielle Verdikt von der kriminellen Brutalität dieses Ex-Politikers um ein Sozio- und Psychogramm des Menschen Karadzic, das ihn als solchen klein- und niedermacht. Ex post entlarven unsere großartigen Intellektuellen von der schreibenden und sprechenden Zunft die angeblichen Eigenschaften der vorliegenden Privatperson: den verrückten Psychiater, den Pseudo-Dichter, die erbärmliche Klassen-Herkunft, schließlich auch noch den getürkten Staatsbürger, den bloß eingebildeten, nicht wirklichen Serben:

Wie ein Intellektueller, ein Dichter, ein Psychiater und kluger Kopf, als den man (!) ihn beschrieb, wirkte er nicht. Sein Gesicht war groß, mit kantigem Kiefer. Man erkannte die einfache Herkunft. Er war ja nicht einmal ein Serbe. Er war als verarmter Bauernbub aus den Hügeln von Montenegro als Fünfzehnjähriger nach Sarajewo gekommen. Dort hat er es trotz Studiums nicht einmal zum Hippie gebracht: Und während die Universitätsstadt Sarajewo in den sechziger Jahren wie der Rest der Welt in der Aufbruchsstimmung der Hippiejahre schwelgte, blieb er der ärmliche Junge vom Land, der immer den gleichen Pulli trug. (SZ, 23.7.08)

 So blamieren die Menschenkenner den Mann an dem Bild, das sie selber von ihm als „exzentrischem Nationalisten“ gezeichnet haben. Und sie landen punktgenau bei der psychoanalytischen Deutung seiner „verschiedenen Rollen“, der zufolge diese in Wirklichkeit bloß als Varianten einer einzigen, ganz und gar verkorksten Menschennatur zu verstehen seien: Als „Wunderheiler Dr. Dabic“ habe Karadzic (der zuletzt inkognito alternativ-therapeutisch tätig war) im Grunde dieselben Machtphantasien auszuleben versucht wie als „politischer Massenmörder“.

[2] Diverse Meinungsbildner in Presse, Funk und Fernsehen hingegen schon. Sie weisen besorgt darauf hin, dass in Serbiens neuer Regierung opportunistische Kalküle am Werk sind statt echtem Unrechtsbewusstsein, und fordern die EU-Politiker auf, die taktischen Zugeständnisse der „neuen Politikergeneration in Belgrad“ nicht gleich zu honorieren. So profilieren sie sich als Scharfmacher, als Propagandisten eines fortgesetzten erpresserischen Drucks. So soll den Nachfolgern des Bösen klargemacht werden, dass sie gar nichts zu verlangen, sondern überzeugende Selbstkritik zu leisten und die Weisungen aus Brüssel komplett zu befolgen haben. Im Namen der Menschenrechte, versteht sich.

[3] Ein rasch vor den Parlamentswahlen noch mit Tadic vereinbartes „Stabilisierungs- und Assoziierungs-Abkommen“ sollte dem frustrierten Volk die Gleichung „Wählt unsere Leute in Belgrad, dann habt ihr eine Zukunft in Europa!“ nahe bringen. Die Umsetzung des Assoziierungsvertrags wurde an die Überstellung von Karadzic und Mladic geknüpft.

[4] Die erpresserische Macht Europas sowie den Auftrieb seiner Politiker in Sachen Machtbewusstsein wissen auch Teile der amerikanischen Öffentlichkeit achtungsvoll zu vermelden. Zum Beispiel die New York Times vom 23.7.08: „Europa begrüßte ... die Verhaftung von Radovan Karadzic nicht nur als einen Sieg des internationalen Rechts, sondern auch als Bestätigung der bevorzugten Doktrin des Kontinents: soft power.

‚Dies ist ein großer Erfolg für Europa,‘ sagte Bernard Kouchner, der französische Außenminister ... Aber Europas Ansatz hat funktioniert.

In den letzten Monaten hat die Europäische Union geholfen, eine pro-westliche politische Partei bei den Wahlen Serbiens zum Sieg zu führen, und gleichzeitig bewiesen, dass es mächtige Anreize besitzt, um die Auslieferung mutmaßlicher Kriegsverbrecher zu erreichen.

Die Verhaftung von Mr. Karadzic demonstriert, wie effektiv die Hebel der Union sein können, besonders in Bezug auf Nachbarstaaten, die Ambitionen haben, der EU beizutreten ...

Momentan jedenfalls scheint die ‚weiche Gewalt‘ Erfolg zu haben. ‚Serbien musste eine Entscheidung treffen, ob es einen Schritt vorwärts Richtung EU machen wollte oder weg von ihr.‘ ... ‚Sie (die Serben) haben entschieden, dass sie auf dem Weg in die EU bleiben wollen, und das ist gut.‘“