Demokratie auf afrikanisch
Fünf Jahre schwarze Herrschaft in Südafrika – also Herrschaft über Schwarze

Nach der Übernahme der Herrschaft durch den ANC hat sich für die schwarze Mehrheit die Lage in keiner Weise verbessert: keinerlei Eingriffe in die angestammten Rechte der vorwiegend weißen Eigentümer und nicht einmal eine „Umverteilung“ durch steuerliche Mehrbelastung von Kapitalbesitz. Stattdessen massenhaft Entlassungen – bedingt durch die Öffnung Südafrikas für den Weltmarkt. Politische Aufsichtskompetenzen für ganz Afrika werden angemeldet.

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Demokratie auf afrikanisch
Fünf Jahre schwarze Herrschaft in Südafrika – also Herrschaft über Schwarze

Im Zusammenhang mit den Wahlen in Südafrika werden hierzulande zwei Fragen für spannend gehalten: Kann man Thabo Mbeki, dem neuen Mann, der die Nachfolge Mandelas antritt, trauen, wenn er der Staaten- und Geschäftswelt „wirtschaftspolitische Stetigkeit“ zusichert? Und: Erringt der ANC bei den Wahlen diesmal die Zweidrittelmehrheit?

1. Die vertraute, hiesige Perspektive

Seit vor fünf Jahren das von der Staatengemeinschaft geächtete Apartheidsregime im Gefolge eines Kompromisses zwischen Mandelas Afrikanischem Nationalkongreß (ANC) und der bis dahin herrschenden Burenpartei in den ersten freien Wahlen sein Ende gefunden hat,[1] fordern eben diese Staatengemeinschaft und ihre Öffentlichkeit von der neuen, demokratisch gewählten Staatsführung Südafrikas eine Politik der Kontinuität. Durch die Beendigung des rassistischen Regimes und mit der Abhaltung freier Wahlen ist ihr „Vertrauen in Südafrika“ nämlich noch lange nicht wiederhergestellt. Vielmehr bringen die Hüter von Menschenrecht und Demokratie von Anfang an – und anläßlich der heurigen Wahlen, die das Ende der „Ära Mandela“ markieren, verstärkt wieder – ihre Sorge zum Ausdruck, der ANC könnte sich womöglich doch noch dazu entschließen und vom Wähler dazu ermächtigt werden, seine Macht zu unzulässigen Korrekturen an den wirtschaftlichen Verhältnissen in seinem Land zu ‚mißbrauchen‘:

„Für den Fall einer Zweidrittelmehrheit des ANC wird befürchtet, daß der populistische Parteiflügel des ANC darauf dringen könnte, die Zinspolitik zu lockern sowie die Eigentums- und Bergbaurechte durch eine Verfassungsänderung auszuhöhlen. Zudem könnte die Unabhängigkeit der Notenbank gefährdet werden.“ [2]

„Populistisch“, das wäre jede Politik, die durch eine wie auch immer geartete Rücksichtnahme auf die Lebensnotwendigkeiten eigentumsloser Volksmassen erkennen läßt, daß ihr das Urteil der Finanzwelt und Börsenspekulanten nicht als oberste Richtschnur für das gilt, was politisch vernünftig ist, und die Rechte der Großgrundbesitzer und Bergwerkseigner nicht heilig sind. So eine Politik wäre nicht zu dulden. Der Fortbestand der Eigentumsverhältnisse, die das Apartheidsregime hergestellt und garantiert hat – also auch der entlang der Hautfarbe vollzogenen Scheidung von Armut und Reichtum –, ist nämlich das erste, was das nationale und internationale Unternehmertum und stellvertretend für dieses die maßgeblichen politischen Agenturen des globalen Kapitalismus mitsamt ihrer öffentlichen Sprachrohre von der ANC-Regierung verlangen können.

Aber noch lange nicht alles. Gerade weil es sich für Kapitalisten lohnt, sich in Südafrika – dem einzigen entwickelten Kapitalstandort in Afrika – zu ‚engagieren‘, und weil ihre Geschäfte dort nach Beendigung der gegen das Apartheidregime verhängten Boykott-Maßnahmen überdies einen Aufschwung zu nehmen versprechen, melden sie ihr Recht auf ein gutes Investitionsklima an. Und was das betrifft, finden sie „seit der politischen Liberalisierung“ allerhand zu beklagen: Illegale Landnahmen, Terror gegen weiße Grundbesitzer, korrupte Staatsbeamte, Geiselnahmen zur Erpressung von Lohnerhöhungen, die Ermordung von Geschäftsleuten – darunter ein deutscher AEG-Manager –, das nach Aufhebung der Rassengesetze in die großstädtische Geschäftszentren eindringende Agglomerat aus Armut, Drogen, Aids, Prostitution und Gewalttaten aller Art, kurz: das, was man hierzulande als fehlende Rechtssicherheit in Südafrika diagnostiziert, ist eine einzige Zumutung für Unternehmer, die dort in Ruhe Geld verdienen wollen. Also werden die, wieder vertreten durch ihre Verbände oder Regierungen, regelmäßig bei der südafrikanischen Regierung vorstellig, um bei der gewisse Unterdrückungsleistungen des alten Regimes anzumahnen:

„In einer konzertierten Aktion warnten im August 1996 die deutsche, britische, US-amerikanische und japanische Handelskammer die südafrikanische Regierung, daß die Kriminalität das größte Investitionshindernis darstelle; erwartet werde hartes Durchgreifen, um die Kriminalität auszurotten.“ [3]

Nicht, daß man unbedingt das Buren-Regime gerne wiederhätte – das hat den um ihre Investitionsbedingungen besorgten Geschäftsleuten den für sie so wichtigen sozialen Frieden im Land auch schon seit längerem nicht mehr zuverlässig garantieren können –, aber eine Obrigkeit, die einem in Sachen Gewaltaufsicht über die Gesellschaft nichts schuldig bleibt, wird man ja wohl noch fordern können. Bei der soll diese Obrigkeit dann menschenrechtlich zivilisiert und demokratisch verfahren, auf daß die Herrschaftsgebräuche nicht verletzt werden, an denen die überaus anspruchsvollen Begutachtern aus den westlichen Demokratien good governance erkennen.

Es ist eben ein für allemal nicht wahr, wie sich die Welt anhand dieses polit-moralischen Maßstabs sortiert darstellt, daß zwischen demokratisch und undemokratisch, zwischen Staaten, die die Menschenrechten achten, und solchen, die sich eine rassistische Menschenverachtung nachsagen lassen müssen, der größtmögliche Unterschied besteht. Im Zweifelsfall, wenn irgendwo mal ein nach ihrem Urteil im Großen und Ganzen gelungener Fall von Demokratisierung stattfindet, stellen diejenigen, die dann immer gleich begeistert von einer Revolution reden, noch jedesmal klar, wie wenig Unterschied sie da zulassen; bzw. anders ausgedrückt: wieviel für ein Staatswesen damit vorentschieden ist, daß in ihm kapitalistisch gewirtschaftet wird.

2. Der kapitalistische Aufbruch der südafrikanischen Demokratie

Nun ist ein Umsturz der Eigentumsverhältnisse tatsächlich das Letzte, was die ANC-geführte Regierung herbeiführen will. Und man wird ihr schon glauben dürfen, wenn sie auf die Klagen über mangelnde Rechtssicherheit hin versichert, daß sie die „Außenwahrnehmung“ von Investoren „aufmerksam beobachtet“ und „mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln an der Lösung der Schwierigkeiten“ arbeitet.[4] Schließlich will sie den südafrikanischen Kapitalismus beerben, um mit seinen Erträgen einen Staat zu machen, der Freiheit und Gleichheit für alle Südafrikaner verwirklicht.

Etwas anderes hatte der ANC nach eigenem Bekunden nie im Programm:

„In keiner Phase seiner Geschichte befürwortete der ANC revolutionäre Veränderungen des wirtschaftlichen Gefüges des Landes, und soweit ich weiß, hat er auch niemals ein Verdammungsurteil gegen die kapitalistische Gesellschaftsform ausgesprochen.“ [5]

Doch hat er mit diesem Programm Zeit seiner Opposition gegen die Buren-Herrschaft noch die Vorstellung verknüpft, daß zur politischen Gleichstellung der schwarzen Volksmassen etwas mehr Umstellung fällig werden würde als bloß die Durchsetzung des Grundsatzes one-man-one-vote. Zur endgültigen Beseitigung der vom Burenstaat vollzogenen rassistischen Sortierung der Bevölkerung hielt er in seiner Freiheitscharta immerhin noch eine „Nationalisierung der Minen, Banken und Monopolindustrien“ für erforderlich, „weil sie sich vollständig in den Händen einer Rasse befinden, und ohne die Nationalisierung derselben würde die Vorherrschaft einer Rasse trotz der Aufteilung der politischen Macht auch weiterhin fortbestehen.“[6] Spätestens in den Verhandlungen, die zur Übergabe der Regierungsverantwortung an ihn geführt haben – und als Bedingung dieser Übergabe –, mußte er jedoch endgültig einsehen, daß sich der südafrikanische Kapitalismus gar nicht beerben läßt von einer Mannschaft, die derartige ‚Experimente‘ vorhat. Mit dessen Erträgen läßt sich eben auch nur ein Staat machen, der seine ganze Macht darauf verwendet, seinen Standort in Konkurrenz zu dem anderer Nationen so zuzurichten, daß Kapitalisten aus aller Herren Länder ihn nach ihren Kalkulationen für vergleichsweise attraktiv befinden. Diese Lektion haben dem ANC zum einen die einheimischen Vertreter der weißen Herrenrasse erteilt; nämlich mit der Ankündigung ihres erbitterten Widerstandes für den Fall, daß ihre Eigentümerrechte angetastet würden; zum anderen die auswärtigen Börsen, die in ihren sensiblen Reaktionen auf jede politische Veränderung den im Zweifelsfall tatsächlich vernichtenden Befund der Geldanleger über einen kapitalistischen Wirtschaftsstandort zusammenfassen. Diese unmißverständlichen Klarstellungen, daß er sich und sein Land dem Urteil der internationalen Geschäftswelt unterordnen muß, wenn er eine Marktwirtschaft regieren will, hat den ANC keine Spur antikapitalistisch werden lassen. Vielmehr bekennt er sich seither uneingeschränkt zu einem verantwortungsbewußten Gebrauch der Staatsmacht, indem er jedem Versuch abschwört, auf dem Wege staatlicher Eingriffe in die angestammten Rechte der eingesetzten Eigentümer – und sei es auch nur eine ‚Umverteilung‘ durch steuerliche Mehrbelastung der Einkommen aus Kapitalbesitz – eine ökonomische Besserstellung seiner politischen Basis zu erreichen.[7] Regieren heißt auch für ihn ein für allemal, das Eigentum, sein Wachstum und in- und ausländische Investitionen fördern; nun freilich verstärkt mit Blick auf den Weltmarkt, der sich nach dem Ende der internationalen Sanktionen den Kapitalen auf seinem Standort eröffnet, von ihnen aber auch bestanden sein will.

Wie überall, wo Staatsführungen die Herausforderungen der Globalisierung entschlossen annehmen, weil sie ihrer Nation Erträge aus dem Weltgeschäft an Land ziehen wollen, hat auch die ANC-Regierung das nationale Lohnniveau als den Hebel entdeckt, den es zur Herstellung oder Sicherung von Wettbewerbsfähigkeit anzupacken gilt. Dabei hat sie auch gleich den passenden, nämlich in praktischer Absicht allemal richtungsweisenden internationalen Vergleich der Arbeitslöhne parat:

„Als eine der größten Hürden für die Schaffung neuer Arbeitsplätze wird bisher das rigide Arbeitsrecht empfunden, das zu Löhnen führt, die bei ähnlicher Ausbildung und Produktivität etwa fünf- bis achtmal höher sind als in Nachbarländern wie Simbabwe und Mocambique.“ [8]

Und die neue Führung hat nicht nur die Lohnhöhe als Beschäftigungshindernis ausgemacht, sondern auch gleich die ebenfalls nicht sehr originelle Entdeckung gemacht, daß die Unternehmen in ihrem Land viel zu viele Löhne zahlen, als daß sie mit weltmarkttauglichen Produktionen aufwarten könnten. Aus der Sicht der geänderten Anforderungen an die Unternehmen, erscheint dem ökonomischen Sachverstand in der Regierung die Weise, in der die südafrikanischen Unternehmen sich in den Jahren der Apartheid mit staatlicher Unterstützung auf die erzwungene Beschränkung ihrer Expansion auf den heimischen Markt eingestellt und ihren staatlichen Auftrag, das Land von Importen möglichst weitgehend unabhängig zu machen, durch den Auf- und Ausbau nationaler Monopole wahrgenommen haben, rückblickend als Zeugnis einer verfehlten Geschäftspolitik:

„Fast eine halbe Million Menschen waren Anfang der 80er Jahre in der Stahlindustrie beschäftigt, die Stahl zu äußerst konkurrenzfähigen Preisen auf den Weltmarkt brachte. … Bei Textilien und Bekleidung wurde Südafrika nahezu Selbstversorger. … Im Bereich der chemischen Industrie zeigten die Bestrebungen, von fremder Versorgung unabhängig zu werden – wohl auch ein Ergebnis der weltweit bestehenden, aber nur sehr unvollständig befolgten Sanktionen –, die deutlichste Wirkung: Sprengstoff für den Bergbau (und auch für militärische Zwecke), Kunstdünger und vor allem die großen kohleverarbeitenden Anlagen SASOL 1 bis 3 der South African Coal, Oil and Gas Corporation, die bis zu 40% des südafrikanischen Kraftstoffbedarfs deckten.“ [9]

Heute muß sich das Management der fünf großen Konzernen (Anglo American/De Beers, Sanlam, Rembrandt/Remgro, Old Mutual, Liberty Life), in deren Hand sich mehr als ein Viertel der südafrikanischen Wirtschaft befindet, von den Wirtschaftsexperten des ANC vorrechnen lassen, daß ein Produkt, das in Südafrika für 20 $ hergestellt wird, in Südostasien für schlappe 7 $ produziert werden kann, und vorführen lassen, wie man das durch Arbeitskräfte- und damit Lohnzahlungen-sparende Produktivitätssteigerungen auch in Südafrika hinbekommt.[10] Dem darüber zustandekommenden „düstersten Kapitel der südafrikanischen Wirtschaftsentwicklung“ –

„Allein in den letzten fünf Jahren sind 500000 Stellen verlorengegangen – bei einer Gesamtzahl von 9,1 Millionen Beschäftigten.“[11]

gilt es dann wieder durch Angriffe auf die Lohnhöhe entgegenzuarbeiten. Für die Rationalisierungen in den großen Konzernen und für die anstehenden Privatisierungen bei den Staatsbetrieben (Telekom und Luftfahrtgesellschaften) wird Staatskredit ebenso mobilisiert wie für den Aufbau neuer Exportindustrien, mit denen Südafrika von seiner Abhängigkeit von fallenden Rohstoff-Weltmarktpreisen loskommen will.[12] Sie sollen in Europa und Amerika Marktanteile erobern, sich vor allem aber Afrika als möglichst exklusive Sphäre südafrikanischen Geschäfts erschließen. Für dieses ehrgeizige Projekt muß der Staat dann auf der anderen Seite sparen: an Stellen im öffentlichen Dienst und an Sozialleistungen…

Seinem kapitalistischen Aufbruchsprogramm entsprechend weitreichend fallen die imperialistischen Ambitionen des ANC-Staates aus. Der ins Auge gefaßten ökonomischen Eroberung des Kontinents entsprechend, meldet er politische Aufsichtskompetenzen prinzipiell für ganz Afrika an. Als das einzige afrikanische Staatswesen, das in einem vergleichsweise potenten Kapitalismus über eigene ökonomische Machtquellen verfügt, ist Südafrika damit einerseits der natürliche Ansprechpartner der USA in Sachen Ordnungsstiften auf dem Kontinent. Andererseits definiert es sich selbst abweichend von amerikanischen Funktionszuweisungen und in expliziter Konkurrenz zu den USA – man ist schließlich auch mit konkurrierenden ökonomischen Interessen unterwegs[13] – als eigenständige afrikanische Ordnungsmacht, mit antikolonialistischem Bonus. Die entsprechenden Klarstellungen sind u.a. anläßlich eines Afrika-Besuches des amerikanischen Präsidenten ergangen. Auf die Aufforderung Clintons hin, sich für Ordnungsaufgaben in Afrika zur Verfügung zu stellen, ist von südafrikanischer Seite damals unmißverständlich klargestellt worden:

„Wir werden niemals südafrikanische Truppen unter ein ausserkontinentales Kommando stellen.“ [14]

„Sehr zum Ärger“ seines amerikanischen Gastes hat der damalige Präsident Mandela seinerzeit den Anspruch seines Landes auf politische Eigenständigkeit als afrikanische Vormacht diplomatisch unterstrichen, indem er den Häuptern einiger von den USA zu Schurkenstaaten erklärter Länder (Kuba, Libyen, Iran) demonstrativ seine unverbrüchliche Freundschaft geschworen hat.[15] Der afrikanischen Staatenwelt tritt Südafrika heute im Hinblick auf die Perspektiven, die sich nach dem Ende der weißen Herrschaft auch in außenpolitischer Hinsicht ergeben, nicht mehr feindselig entgegen, sondern mit dem Angebot der ökonomischen Kooperation und im Geiste der gemeinsamen Sorge um die Stabilität der Region sowie des Friedens in ganz Afrika. Als Vormacht im südlichen Afrikas arbeitet es an einer eigenen Hemisphäre mit Zonen unterschiedlich weit reichenden Einflusses: Es verfügt über eine unmittelbar und exklusiv geregelte Zone: Botwana, Lesotho, wohin es 1998 zur Niederschlagung eines Aufstandes gegen die dortige Militärregierung Truppen entsendet. [16] Im näheren Umkreis bindet es ehemalige Feindstaaten (Angola, Mosambik, Simbabwe etc.), d.h. Länder, die die Burenherrschaft in entsprechendem Zustand hinterlassen hat, durch Zusammenarbeit an sich; im Rahmen der „Southern African Development Community (SADC)“, der es 1994 noch unter der Regierung Mandela/De Klerk beitritt. Darüber hinaus entwickelt es eigene Eingreiftruppenkonzepte und eine eigene Friedens-Diplomatie, mit der es seine prinzipielle Zuständigkeit für den Kontinent untermauert.[17] Die Objekte seiner Beziehungen sind dabei in der Regel Staaten, die ihre eigene Ordnung nicht im Griff haben, und es selbst besitzt wenig Potenzen, dort Ordnung zu stiften.

*

Was den Ertrag der nicht unerheblichen Anstrengungen betrifft, die der ANC-regierte Staat bei der Zurichtung seines Gemeinwesens wie seines Umfeldes für einen erfolgreichen südafrikanischen Kapitalismus unternimmt, so stellt sich wieder einmal heraus, daß Konkurrenzbemühungen nicht identisch sind mit den intendierten Erfolgen; schon gleich nicht auf dem heutigen Weltmarkt. Doch hat die ANC-Mannschaft durchaus Erfolge vorzuweisen.

Zunächst einmal den, auf den ihr kapitalistisches Aufbruchsprogramm als erstes zielt: Nach der demokratischen Wende haben die Anleger nicht, wie zunächst befürchtet, massenhaft Kapitalflucht begangen. Auf Südafrika wird vielmehr wieder spekuliert. Und das ist ziemlich entscheidend, weil es heißt: Geldanleger aus aller Welt kreditieren die südafrikanische Wirtschaft. Zuversichtlich über die wirtschaftliche Entwicklung Südafrikas zeigt sich deswegen z.B. der Vorstandssprecher der Commerzbank, der voll des Lobes ist für die „hochindustrialisierte moderne Finanzgesellschaft mit transparenten Märkten, verläßlichen Daten und zuverlässiger Buchführung. Die Notenbank beherrsche die Steuerungsmaschine.“ So daß seiner Auffassung nach nur noch „die wichtigste Aufgabe“ zu lösen bleibe: „den ‚anderen Teil‘ der Gesellschaft zu fördern und Beschäftigung zu schaffen, auch indem man Investoren nach Südafrika locke.“[18]

Doch auch da läßt sich manches sehen, wie ein Blick auf die neben dem traditionell nach wie vor vorherrschenden Rohstoffsektor aufstrebenden Gewerbe offenbart.

Was die Bergwerks-Konzerne zunächst selbst betrifft: Immer noch fast 60 Prozent der Exporterlöse erzielt Südafrika mit der Ausfuhr mineralischer Rohstoffe. Das schafft Beschäftigung für

„Hunderttausende Männer, die bei 40 Grad Celsius in einer Tiefe von 2000 bis 4000 Metern in den Stollen arbeiten, das Gestein durchbohren und nach den Sprengungen abtransportieren. Jedes Jahr gibt es etwa fünfhundert tödliche Unfälle.“ [19]

Und nicht nur das. In einem Umfeld zerfallender Staatlichkeit, als das sich der rohstoffreiche Kontinent südafrikanischen Bergwerksunternehmen präsentiert, nehmen auch die Formen der Konkurrenz um Bohr- und andere Lizenzen neuartige Formen an:

„Charakteristisch für die Unternehmen ist jedoch die Militarisierung der eigentlichen Betriebstätigkeit, die sich in der Inbesitznahme des jeweiligen Territoriums äußert.“[20] –,

Und das sorgt für Arbeitsplätze eigener Art. Eine eigene Würdigung unter den aufstrebenden Gewerben verdient deswegen ein neuer Dienstleistungssektor, der die im afrikanischen Bürgerkriegsszenario steckenden Geschäftsgelegenheiten auslotet und mit einigem Erfolg geschäftlich zu nutzen versteht:

„Executive Outcomes, eine der international bedeutendsten privaten Söldneragenturen, findet im neuen Südafrika fruchtbaren Boden. Ihre Kampftrupps rekrutieren sie größtenteils aus den von Präsident Mandela aufgelösten Spezialeinheiten der südafrikanischen Armee. In Angola und Sierra Leone haben sie vor kurzem die Konflikte zugunsten des Diamantenkonsortiums De Beers entschieden.“ [21]

Ihrer Entwicklung vom antikommunistischen Staatsdienst hin zur privatwirtschaftlich aufgezogenen Gesellschaft entsprechend, kämpft diese noch in der Endzeit des Apartheidsregimes als nicht ganz offizielle Unterabteilung der Armee gegründete Söldnertruppe mittlerweile ideologisch völlig unabhängig für die Seite, die ihr am meisten zahlt, ökonomisch und politisch interessante Gebiete frei. Wobei sie sich ihre für manche zerfallende Staatsmacht auf dem afrikanischen Kontinent einfach unverzichtbaren Dienste mit Gebühren vergelten läßt, die mittlerweile in manchem afrikanischen Staatshaushalt nicht unbeträchtliche Posten ausmachen:

„In Angola vereinbarte der erste Eingangsvertrag von 40 Millionen Dollar, der zweite 100 Millionen Dollar … In Sierra Leone verlangte EO ursprünglich 15 Millionen Dollar, bekam davon aber nur 3. Doch in beiden Ländern hat man zusätzlich Konzessionen für Diamantenminen herausgeschlagen… die Hälfte der Summe, der der Internationale Währungsfonds Sierra Leone damals gerade zugestanden hatte.“ [22]

Die ANC-Führung steht dieser Sorte „Dienstleistung im militärischen Bereich“, wie es heißt, reserviert gegenüber; d.h. der einzige Punkt, den sie an ihr auszusetzen hat, besteht darin, daß dieses Geschäft, mit dem man gleichzeitig politischen Einfluß ausübt, nicht völlig unter ihrer Kontrolle stattfindet:

„Unser Ausschuß hat entschieden, daß es korrekt wäre, wenn die Regierung den Aktivitäten (von EO) jeweils ihre Zustimmung geben muß.“ [23]

Als nach den Minen mittlerweile zweitgrößte, im Wachstum befindliche Exportbranche Südafrikas sorgt die Rüstungsindustrie für zusätzliche Beschäftigung. Die demokratische Wende hat auch in der Hinsicht Schranken für das Anknüpfen nützlicher Beziehungen beseitigt und diese neue Lage wird von Mandelas Südafrika von der ersten Stunde an nach Kräften genutzt:

„Als die Sanktionen aufgehoben wurden, formierte sich Armscor um zu einer neuen Unternehmensgruppe unter Staatsaufsicht namens Denel, die inzwischen mit 50000 Beschäftigten einen Jahresexporterlös von 300 Mio $ erwirtschaftet.“ [24]

Unter der Präsidentschaft Mandelas wurden die konkurrenzfähigen Bereiche der Rüstungsindustrie gefördert und ausgebaut. Das 1995 eingerichtete National Conventional Arms Control Committee (NCACC) kann seither Rüstungsexporte in Spannungsgebiete nicht mehr verhindern. Während das alte Regime offiziell nur über zwei Handelspartner (Israel, Taiwan) verfügte, liefert Armscor, ein Erbe aus der alten Ära, mittlerweile Artilleriehaubitzen, Kampfhubschrauber und Maschinenpistolen in alle Welt.[25]

Der Expansion der südafrikanischen Agrarexportproduktion bereitet die ANC-Regierung auf folgende Weise ebenfalls erfolgreich den Weg:

„Die Sacada“ (die südafrikanische Landwirtschaftsentwicklungskammer) „plant Investitionen in Zaire, Sambia und Angola, außerdem ein ‚Pilotprojekt in Mosambik‘. Im Mai 1996 haben die beiden Präsidenten von Mosambik und Südafrika, Joaquim Chissano und Nelson Mandela, ein Regierungsprogramm unterzeichnet, das dem südafrikanischen Agrobusiness Investitionen in mindestens sechs Provinzen Mosambiks gestattet, mit Konzessionen für insgesamt acht Millionen Hektar. … Für ganze 0,15 Dollar pro Hektar gingen die besten Landstriche der mosambikanischen Provinz Niassa an die Burenfarmer.“[26]

Eine feine Entschädigung winkt den Buren da nachträglich dafür, daß die Zeiten ihrer Herrschaft in Südafrika endgültig vorbei sind. In einer als leicht rechtsextrem eingestuften „Freiheitsfront“ organisiert, eignen sie sich mit Unterstützung ihrer neuen Regierung in großem Umfang in den Nachbarländern an, was es dort an brauchbarem Boden gibt, um auf dem völlig unbehelligt von den dortigen, mehr oder minder nur noch formell zuständigen Obrigkeiten ihre bewährten, geschäftsdienlichen Formen des Umgangs zwischen Herr und Knecht wieder einzuführen:

„Das Projekt der Sacada sieht vor, die auf dem künftigen Konzessionsgebiet lebende lokale Bevölkerung in ‚ländlichen townships‘ zusammenzufassen, wie man sie aus der Zeit der Apartheid kannte.“ [27]

Die daran beteiligten auswärtigen Obrigkeiten mögen ihr Land zwar nicht mehr unter Kontrolle haben, geschweige denn mit ihm etwas Vernünftiges anzustellen wissen, können aber immerhin noch eines: solche Deals abschließen, durch die sie sich mit den zur Kolonialisierung durch die südafrikanische Agrarindustriellen freigegebenen Ländereien auch der Last entledigen, sich selbst mit den auf ihnen herrschenden Bürgerkriegs-Zuständen herumschlagen zu müssen. Obendrein spielt ihnen der Deal ein paar Devisen ein, mit denen sie ihre Auslandsschulden bedienen können. Kein Wunder also, daß EU und IWF voll hinter der Sache stehen: Das Projekt „ist Teil der Strukturanpassungsprogramme des Internationalen Währungsfonds“. „Ein Verantwortlicher in Brüssel bezeichnet diese Programme als ‚die beste Neuigkeit für den afrikanischen Kontinent in dreißig Jahren.‘“[28]

Was die ökonomische Eroberung des Kontinents ansonsten betrifft, folgt sie seit dem Ende der Boykott-Maßnahmen gegen südafrikanische Waren dem übersichtlichen, angesichts der Verteilung der Waffen der Konkurrenz nicht sehr verwunderlichen Prinzip: Womit es in Afrika ein Geschäft zu machen gibt und was sich an privater und staatlich gestifteter Zahlungsfähigkeit in Afrika ausnutzen läßt, wird zügig von südafrikanischen Unternehmen monopolisiert:

„Südafrika überschwemmt Restafrika mit seinen Produkten, überzieht den Kontinent mit Supermärkten und Imbissketten, kauft sich in die lokale Produktion ein und monopolisiert ganze Wirtschaftszweige wie zum Beispiel Mobil-Telephon-Netze oder das Satellitenfernsehen.“ [29]

Weil das Land mit den schlagkräftigsten Kapitalen zulasten der umliegenden Staaten alles Geschäft auf sich zieht, kann es nicht ausbleiben, daß mittlerweile zunehmend hässliche Töne von Seiten der SADC-Partner aufkommen:

„‚Wegen seines wirtschaftlichen, politischen und militärischen Gewichts wurde von Südafrika erwartet, daß es zumindest im südlichen Afrika die Führungsrolle übernimmt‘, sagt Greg Mills vom südafrikanischen Institut für Internationale Angelegenheiten. ‚Doch statt dessen wurde es als Hegemon kritisiert.‘“ [30]

Sie sehen sich mit einem Nachbarland konfrontiert, das als Wirtschaftsvormacht logischerweise auch am meisten Interessen in seiner Umgebung und ganz Afrika zu sichern hat und deswegen mittlerweile auch wieder militärisch selbstbewußt gegenüber den Staaten im südlichen Afrika klarstellt, daß es den Gewalthaushalt in der Region seinen Vorstellungen gemäß regelt – vor allem das im September 1998 gleichzeitig mit dem Truppeneinmarsch in Lesotho absolvierte Auswärtsspiel im Kongo hat da auf Seiten von Simbabwe, Namibia und Sambia für böses Blut gesorgt.

Unter den auf dem inneren Markt im Aufschwung befindlichen Geschäftszweigen wird ihrer Bedeutung für den Arbeitsmarkt entsprechend oft von den Taxi-Unternehmen berichtet:

„Das in den achtziger Jahren aufkommende Sammeltaxigewerbe ist für viele schwarze Südafrikaner oft nicht nur die einzige Möglichkeit, zu ihrer Arbeitsstelle zu gelangen, sondern es beschäftigt mittlerweile auch mehrere hunderttausend Personen.“ [31]

Weil viele schwarze Südafrikaner gar keine Arbeitsstelle haben, zu der sie mit dem Taxi fahren könnten, unternehmen umso mehr den Versuch, Geld mit dem Transport der Massen zu ihrer Arbeit zu verdienen. Es verwundert daher nicht, daß auch in diesem Gewerbe recht eigentümliche Formen der Konkurrenz um die zahlungsfähige Kundschaft vorherrschen:

„Konkurrierende Taxiunternehmen liefern sich in aller Öffentlichkeit regelrechte Kriege mit automatischen Schusswaffen und heuern hierzu Söldner aus Mosambik an.“ [32]

Das, was die Gewerbetreibenden dadurch erledigen, daß sie sich bandenmäßig organisieren und mit der für ihr Geschäft nötigen Gewalt ausstatten, gibt es daneben dann noch als eigenständiges aufblühendes Dienstleistungsgewerbe:

„Die privaten Wachgesellschaften verfügen mit etwa 300000 Wächtern und Beschäftigten inzwischen über mehr Personal als die Polizei (134.000).“ [33]

Auf der Grundlage, daß der Staat in Sachen Schutz von Person und Eigentum seinen Bürgern offenbar einiges schuldig bleibt – dazu gleich noch mehr –, bieten Privatunternehmen diesen Schutz Geschäftsleuten gegen Bezahlung an. Wobei es in der Natur ihres Gewerbes liegt, daß sie ihr Personal aus ungefähr den Kreisen rekrutieren, vor denen sie ihre Kundschaft schützen; doch gerechterweise besteht die ja ihrerseits auch nicht aus recht viel anderen Kreisen.

Als weiterer aufstrebender Geschäftszweig bleibt schließlich noch der Tourismus zu erwähnen, der sich zweistelliger Zuwachsraten erfreut und für die Betreiber den Vorteil hat, daß bei der unproduktiven Arbeit, die in der Verrichtung von Knechtsdiensten an devisenbringenden Herrschaften aus dem Ausland abgeleistet wird, der schamlosen Vergeudung von Arbeitskraft durch keinen Zwang zur Produktivitätssteigerung Grenzen gesetzt sind:

„Besonders wichtig ist dieser Wirtschaftszweig, weil er kein hohes Qualifikationsniveau der Beschäftigten erfordert und sehr arbeitsintensiv ist. Als Faustregel gilt, daß neun Touristen eine direkte und zwei indirekte Arbeitsstellen schaffen. 1996 waren bereits über eine halbe Million Personen in diesem Wirtschaftszweig tätig.“ [34]

Nicht zu vergessen eine Unterabteilung:

„Die Zahl der Sextouristen wächst… Seitdem die Philippinen und andere asiatische Länder entschlossen gegen Kinderprostitution vorgingen, verlagere sie sich auf andere Länder wie Südafrika.“ [35]

Das ist es dann so ungefähr, was den südafrikanischen Kapitalismus ausmacht. So oder so ähnlich muß der unter dem Beifall des IWF, der EU, Amerikas und überhaupt der Weltöffentlichkeit unternommene Versuch logischerweise ja auch ausgehen, am Ende des 20. Jahrhundert auf einem überführten Weltmarkt einen kapitalistischen Aufbruch hinzukriegen. Nach kapitalistischer Rechnungsweise geht schon in Ordnung, wie es dann z.B. in Südafrika zugeht. Unter denen, die diese Rechnungsweise überall verbindlich gemacht sehen wollen, die das möglichst unverfälschte Einwirken dieser Rechnungsweise auf Länder, die über weit weniger Konkurrenzmittel verfügen als Südafrika, deren Regierungen als segensreiche Rezeptur anpreisen und schon von einer ‚afrikanischen Renaissance‘ schwärmen, wenn sich irgendwo in Afrika Handys verkaufen lassen, findet sich ja auch niemand, der ernsthaft behaupten würde, die südafrikanische Regierung hätte beim Regieren Fehler gemacht. Und es ist ja auch nicht so, daß das alles nichts wäre, was Südafrika unter ihr zustandebringt. Immerhin schafft es Südafrika, seine ökonomische Vormachtstellung in Afrika nicht nur zu verteidigen, sondern sogar noch auszubauen:

„Die Wirtschaftskraft Südafrikas ist viermal so groß wie die aller 13 Partner in der Wirtschaftsgemeinschaft des südlichen Afrikas (SADC).“ [36]

Und das, was an Geschäftstätigkeit auf seinem Standort stattfindet und von ihm ausgeht, läßt sich immerhin auch zu einem 3%igen Wirtschaftswachstum und zu einer ausgeglichenen Handelsbilanz aufsummieren. Das ändert andererseits nur nichts daran, daß es mit diesen Erfolgsdaten die gar nicht so unberechtigte Frage aufwirft, ob sein

„Mitte der siebziger Jahre einsetzender Abschwung gestoppt und umgekehrt werden kann … Diese Sektoren allein werden jedoch nicht ausreichen, um den Abstieg Südafrikas vom Schwellen- zum Entwicklungsland aufzuhalten.“ [37]

Der Weltmarkt hat eben auch nicht darauf gewartet, von Südafrika erobert zu werden. Der wird längst von der Handvoll wirklich erfolgreicher kapitalistischer Nationalökonomien beherrscht, die in ihrem Staatskredit über ein Konkurrenzmittel von ganz anderer Schlagkraft verfügen und ihre nationalen Märkte ja auch nicht bereitwillig zur Verfügung stellen, bloß weil Südafrika das dringliche Bedürfnis nach Ausweitung seiner Exporte hat.[38] Das legt den ökonomischen Stellenwert dieser Nation auf dem Weltmarkt fest: Sie ist unangefochtene Vormacht in Afrika, bringt es mit dem, was sie an kapitalistischer Reichtumsproduktion beheimatet und aufziehen kann, immerhin aus eigener Kraft zur Exportnation, zieht sich ihren Reichtum aber nach wie vor hauptseitig mit dem Export von Rohstoffen an Land und muß deswegen zusehen, wie sie mit sinkenden Weltmarktpreisen zurechtkommt.

Und daraus erwächst dem ANC ein veritables Herrschaftsproblem. Denn wie gesagt: Es geht ihm ja immer noch darum, mit den Erträgen des südafrikanischen Kapitalismus Staat zu machen.

3. Drangsale der südafrikanischen Herrschaft

Im Lichte dieser Erfolgsbilanz stellt sich die Beseitigung des Apartheidsregimes rückblickend als ein ziemlich riskantes Unterfangen des mittlerweile für die Ausübung der Staatsmacht zuständigen ANC dar.

Außerkraftgesetzt hat er das alte Verfahren, den Schutz von Person und Eigentum als Privileg der Weißen zu organisieren. Deren Herrschaft hat innerhalb der eigentumslosen Klasse entlang der Hautfarbe politisch eine Scheidung durchgesetzt zwischen einer weißen, sozialstaatlich betreuten Lohnarbeiterschicht und einem rechtlosen schwarzen Ausbeutungsmaterial, das von weißen Grundeigentümern und Kapitalisten nach Bedarf zu Lohnsklavendiensten heranzuziehen war und ansonsten in Reservaten weggesperrt und dort gewaltsam unter Kontrolle gehalten wurde. Mit dieser „Rassentrennung“ hat der Apartheids-Staat einerseits dem Umstand Rechnung getragen, daß in Südafrika – anders als in allen anderen afrikanischen Staaten – die schwarze Bevölkerung als billige Arbeitskraft des Kapitals in größerem Umfang gebraucht wurde. Andererseits hat dieselbe Einrichtung mehr oder minder erfolgreich dafür gesorgt, daß die für den südafrikanischen Kapitalismus überflüssigen Massen ihm nicht zur Last fallen und seinen Gang nicht stören. Freigesetzt sind mit dem Ende der Apartheid bislang unmittelbar gewaltsam niedergehaltene materielle Ansprüche, die sich nun teils mit dem neuen Selbstbewußtsein frei, gleich und geheim wählender Bürger an den Staat wenden, teils gar nicht erst nach ihrer Berechtigung fragen, sondern eigeninitiativ werden und sich mit dem, was sie an der zu ihrer Durchsetzung nötigen Gewalt hinter sich bringen, betätigen. Diese freigesetzten Ansprüche sollen nun unter der neuen Herrschaft jedoch nicht Recht bekommen, also müssen sie von ihr also wieder unter Kontrolle gebracht werden.

Damit ist in etwa die Lage umrissen, welche Kenner der Szene in den ausufernden Zahlen der Verbrechensstatistik für Südafrika bilanzieren und mit dem in so gut wie keiner Analyse fehlenden Hinweis auf die personell wie sachlich viel zu dürftig ausgestattete südafrikanische Polizei zu erklären belieben. An den Verhältnissen, die sie eindrucksvoll in den buntesten Farben schildern –

„Südafrika gilt heute als das gewalttätigste aller nicht in einem Krieg befindlichen Länder. Im Großraum Johannisburg fanden 1996 täglich etwa 50 Morde, 200 Raubüberfälle und 50 Autoentführungen statt.“[39]

soll man sehen, daß Südafrika ein Kriminalitätsproblem hat.

Ein schönes Beispiel für abstraktes Denken. Das nimmt hier offenbar Maß an Verhältnissen, in denen die Leute in der Regel nur den ihnen von Staats wegen zuerkannten, berechtigten Interessen nachgehen, und kümmert sich nicht die Bohne darum, ob dieser Maßstab auf die südafrikanischen Verhältnisse überhaupt paßt. Es zieht die Frage gar nicht in Betracht, ob die schwarzen Volksmassen Südafrikas diesem Maßstab überhaupt genügen können. Das Wahlrecht, das sie nun als vollwertige Bürger Südafrikas besitzen, ernährt sie jedenfalls nicht. Und die ihnen nun staatlicherseits konzedierte Freiheit, nach den gleichen Rechtsmaßstäben wie die Weißen um Arbeit und Lohn zu konkurrieren, mehrheitlich auch nicht. Und so ist es ja selbst bei uns nicht: Auch in unseren Breiten beruht die Unterordnung eigentumsloser Proleten unter das Recht auf erheblich mehr als auf gut funktionierenden Strafverfolgungsbehörden; auch hier werden aus ihnen erst dadurch fertige Rechtssubjekte, daß der Staat sie dazu auch befähigt. Daß seine auf Lohnarbeit angewiesenen Untertanen nur über ein untaugliches Lebensmittel verfügen, weiß er nicht nur; er trägt dem im Sinne der Aufrechterhaltung des Klassengegensatzes, in dem ihre Interessen zuschandengehen, Rechnung, indem er diesen Gegensatz verrechtet und seine minderbemittelte Klasse sozialstaatlich betreut.

Im Prinzip steht der ANC-Staat vor einer ähnlichen Aufgabe. Er muß einen Ersatz für die Leistung des alten Regimes schaffen, die Funktionalität seiner schwarzen Bevölkerung für die kapitalistische Produktion – sowohl nach der Seite ihrer Benutzung als auch nach der ihrer massenhaften Nichtbenutzung – neu und anders organisieren. Und zwar einerseits grundsätzlich durch dasselbe Verfahren, durch das der Staat hierzulande seine Arbeiterklasse zivilisiert hat: dadurch, daß er geschädigte Interessen zu seinem sozialpolitischen Problem erklärt, den Betroffenen damit die Zuständigkeit für die praktischen Konsequenzen, die aus ihnen folgen, entzieht, um selbst die Definitionshoheit darüber zu gewinnen, worin ihre berechtigten Ansprüche bestehen. Andererseits ist mindestens ebenso grundsätzlich klar: Der Aufbau eines Sozialstaates, mit dem die Sozialdemokratie hierzulande über ein halbes Jahrhundert die Zivilisierung der eigentumslosen Klasse mühsam erkämpft hat, kommt so für Südafrika bestimmt nicht in Frage. Die Vorstellung ist geradezu absurd, ein drittklassiges kapitalistisches Land, in dem der Kapitalismus die Hälfte des Volkes einfach nicht brauchen kann und deswegen auch nicht ernährt, würde mit seinem IWF-betreuten Staatshaushalt dergleichen in Angriff nehmen; und das in einer Zeit, in der für die Staatsführungen aller Herren Länder der Weisheit letzter Schluß aus der Weltmarktkonkurrenz, die sie für sich entscheiden wollen, im Niederreißen gesetzlicher Schranken der Ausbeutung und in der Verbilligung des Preises der Arbeit liegt.

Mit der politischen Emanzipation rechtloser Knechte weißer Eigentümer, deren Rechte bei all dem unangetastet bleiben sollen, hat sich die ANC-Führung auf das soziale Experiment eingelassen, ob in rechts- und sozialstaatlichen Verfahren für ihren Staat überhaupt eine Alternative zum unmittelbar gewaltsamen Niederhalten seiner eigentumslosen Massen existiert.

Die Durchführung dieses Experiments zeugt immerhin von dem Bedürfnis des ANC, sich und seinem Volk das soweit wie möglich zu ersparen; sie beweist also auch, daß die im Rahmen dieses Experiments erstens ergriffenen Maßnahmen zur Betreuung der Armut ihren Zweck in der Befriedung des Landes haben. Gemäß ihrer eigenen, ‚modernen‘ Staatsräson, mit der es sie zur Teilnahme an einer Weltmarktkonkurrenz drängt, in der sich die maßgeblichen kapitalistischen Nationen wechselseitig die Einsicht aufzwingen, daß der Unterhalt ihrer Arbeiterklasse zu teuer ist, stellt die südafrikanische Demokratie ihre sozialstaatlichen Aktivitäten – allemal faux frais, nicht lohnende Kosten der kapitalistischen Produktion –, freilich gleich von vornherein mehr oder minder konsequent unter die Prämisse, daß sich mit den für sie vergebenen Staatsgeldern und -krediten lohnende Projekte aufziehen lassen müssen. Dementsprechend marginal fallen diese Aktivitäten aus. Von der im Wahlkampf 1994 versprochenen einen Million Wohnungen für die Auflassung der Schwarzen-Ghettos und ihren Ersatz durch „menschenwürdige“ Siedlungen, die in die bislang Weißen vorbehaltenen Großstädte integriert werden sollten, wurden bis März 1996 gerade mal 12000 gebaut. Dann wurde das dafür zuständige Ministerium für „Reconstruction and Developement“ sang- und klanglos aufgelöst. Die ebenfalls angekündigte Elektrifizierung von 2,5 Millionen stromloser Hütten in den schwarzen Siedlungen war mit den Privatisierungsplänen für die bislang in Staatsbesitz befindliche Stromindustrie nicht recht zu vereinbaren; sie wurde deshalb eingeschränkt bzw. zurückgestellt.[40] Weil da nur sehr rudimentär so etwas wie Ansätze zu einem Sozialstaat zustandekommen, verwundert es nicht, daß auch der soziale Frieden, den die sozialen Maßnahmen bewirken sollen, zu wünschen übrigläßt:

„3000 südafrikanische Obdachlose und Landbesetzer haben zu Jahresbeginn einen nationalen Verband gegründet, den Nationalen Obdachlosenverband … Zu den Zielen gehört, in den nächsten Wochen Land zu besetzen und Obdachlosen Land ‚zuzuteilen‘ … Der neugegründete Verband meinte nicht ohne Sinn für wohl ungeplante Ironie, er wolle Dinge für die Regierung, die sich ja um Wohnungsbauprogramme kümmere, einfacher machen.“ [41]

Das Handfesteste, was der ANC-Staat seiner mehrheitlich weiterhin in Siedlungen ohne Wasser- und Stromversorgung hausenden schwarzen Bevölkerung ausgegeben hat, ist ein kostenloses Erdnussbutterbrot für alle Schüler. Es kommt täglich zur Verteilung, deckt 25% des Kalorienverbrauchs beim Kind, und es heißt, man würde es dankbar „Mandela-Sandwich“ nennen. Solange die neue Führung für ihre Basis erst einmal einige Zeit identisch damit ist, daß die Zeit der Drangsalierung durch das alte Regime endlich vorbei ist, wird ihr manches uneingelöste Wahlversprechen verziehen:

„Ezekiel Morlane, Schulbusfahrer, hat jahrelang der Stadtverwaltung von Soweto keine Miete für seine Sperrholzhütte bezahlt. Jetzt zahlt er nicht nur pünktlich, sondern stottert auch seine aufgelassenen Mietschulden ab. ‚Heute ist das Land in den Händen der richtigen Leute‘, sagt er, ‚für die würde ich in Johannesburg die Straßen kehren‘.“ [42]

Gelegenheit, sich klarzumachen, daß es die richtigen Leute sind, die heute die Macht ausüben, bietet die schwarze Führung ihren schwarzen Untertanen zweitens damit, daß sie auch nach deren politischen Gleichstellung alle Hände voll damit zu tun hat, die Rassenteilung zu überwinden.

Im Rahmen seines „Black Economic Empowerment“-Programms will der ANC durch die Stiftung von Eigentum in schwarzer Hand 2,5 Millionen Ausbildungs- und Arbeitsplätze für Schwarze schaffen. Ein interessantes Projekt, vor allem wenn man die Grundlage bedenkt, auf der der Einfall beruht: Zwar ist die gesetzliche Arbeitsplatzreservation für Weiße auch in der Minenindustrie weggefallen und die Sperre aller Führungspositionen für Nicht-Weiße wird allenthalben als böse Sünde der Apartheid beklagt, doch hat sich mit der Zulassung der Schwarzen zur Konkurrenz um Arbeit und Lohn wenig an dem Faktum geändert, daß vom Vorarbeiter aufwärts die Stellen von Weißen besetzt sind. Wieso auch? Schließlich ist gar nicht abzusehen, warum wegen dieser Zulassung die weißen Eigentümer ihre Einstellungspraxis ändern sollten. Für die sind einerseits ihre weißen Mitarbeiter in der Regel schon deswegen nicht zu ersetzen, weil es den afrikanischen Aspiranten an der Qualifikation fehlt – auch so eine Wirkung von fünfzig Jahren Apartheid; andererseits ist der gewinnbringende Gebrauch, den sie von der sich ihnen im Übermaß anbietenden billigen schwarzen Arbeitskraft bislang gemacht haben, für sie auch weiterhin genau der richtige. So wie die Karten aus historischen Gründen nun mal zufälligerweise verteilt sind, ist eine betriebswirtschaftliche Abwägung genausogut wie eine rassistische Einstellung, wenn es darum geht, Schwarze zu diskriminieren. Zu deren schäbiger Behandlung brauchen sie nur ihr Eigentümerinteresse zu exekutieren und weiterhin nach rein marktwirtschaftlich angestellten Geschäftskalkulationen auszunutzen, daß mehr als genügend eigentumslose Figuren darauf angewiesen sind, sich für jeden Preis an sie zu verdingen. Weil die ANC-Regierung die Rechte der Eigentümer um keinen Preis antasten möchte, der Ausübung dieser Rechte aber auch nicht gleich zur Gänze das abschließende Urteil über die Zukunft ihrer schwarzen Bevölkerung überlassen will, unternimmt sie – in notwendigerweise bescheidenem Umfang, versteht sich – den Versuch, Eigentum in schwarzer Hand zu stiften. Den weißen Besitzern produktiven Kapitals kauft sie Teile ihrer Konzerne oder ganze Unternehmen zu Marktpreisen ab, damit diese Eigentümer bleiben und Schwarze gleichzeitig Eigentümer werden können. Wenn es den neuen Eigentümern dann gelingt, genügend Geschäftsgelegenheiten aufzutun, um mit Darlehen und Subventionen aus der öffentlichen Hand gefördert irgendwo einen Zulieferbetrieb für die großen Konzerne aufzuziehen, klappt ja vielleicht sogar an der einen oder anderen Stelle so etwas wie der Aufbau eines schwarzen Mittelstandes, der dann nicht nur seinen Beitrag zur südafrikanischen Wirtschaft leisten, sondern sich durch die möglichst ausgiebige Anwendung schwarzer Arbeitskräfte auch noch um deren Integration in die südafrikanische Gesellschaft verdient machen darf. Darüberhinaus sorgt die neue Führung in den Staatsbetrieben und der staatlichen Verwaltung im Zuge von „affirmative action“ dafür, daß auch der eine oder andere Schwarze die Chance bekommt, einen der besseren Posten zu ergattern. So weit, daß sie der – z.B. von der „National Union of Mineworkers“ erhobenen und postwendend mit wütenden Protesten weißer Angestellter beantworteten – Forderung nach einem mehrjährigen Beschäftigungsstopp für Weiße („fair discrimination“) nachgeben würde, geht sie dabei allerdings nicht. Vielmehr geht sie mit der Begründung, daß sie für alle Südafrikaner zuständig ist, äußerst behutsam vor – zum Teil wurden die bisherigen Inhaber der Posten großzügig abgefunden, um für schwarze Anwärter Platz zu schaffen, zum Teil wurden dafür zusätzliche Planstellen geschaffen.

Ihre bescheidenen Versuche, die neuen Staatsbürger, die allenthalben genügend Gründe finden, ihre fortdauernde Diskriminierung zu beklagen, und wenig Anlaß haben, sich diese gefallen zu lassen, durch Konzessionen an ihr Gerechtigkeitsempfinden für das neue Südafrika zu vereinnahmen, sind allemal zweischneidig. Zum einen können sie gar nicht so bescheiden ausfallen, daß sich durch sie nicht Weiße herausgefordert sehen, ihre angestammten Rechte zu verteidigen – auch in der Konkurrenz um Arbeit um Lohn lassen sich die Bedingungen der einen Seite eben nicht verbessern, ohne die der anderen zu verschlechtern. Zum anderen stellen sie, so bescheiden, wie sie ausfallen, auch die neuen Mitbewerber nicht zufrieden. Da es Schwarze nur mit der Unterstützung der neuen Führung zu etwas bringen, dies jedoch selten genug passiert, hat sich bei manchem in die anfängliche Begeisterung über den Sieg des ANC längst das Bewußtsein eingeschlichen, von einer korrupten Führung verraten worden zu sein, der es nur darum zu tun ist, die eigenen Leuten in gut bezahlten Jobs unterzubringen – manch anderer wiederum kann sich damit trösten, daß seine geschädigten Interessen dadurch nun wenigstens von Leuten mit der richtigen Hautfarbe in gehobenen Positionen vertreten werden.

Die härteste Nuß bei dem Versuch, nach fünfzig Jahren Apartheid einen sozialen Frieden herzukriegen, ist für die Regierung zweifelsohne die Lage auf dem Lande, weil es da um einander unmittelbar ausschließende Eigentumsansprüche geht. Unverändert sind 87% der gesamten landwirtschaftlichen Nutzflächen in der Hand der 65000 weißen Farmer. Die 5,3 Millionen Schwarzen, die dieses Land bearbeiten, stehen de facto immer noch im Frondienst der burischen Großgrundbesitzer. Offen ist die Frage des Grundeigentums deswegen, weil die neue Führung die in größerem Umfang gewaltsam geltend gemachten Ansprüche ihrer Basis auf Rückgabe des Landes, von dem die Buren sie vertrieben haben, nicht einfach bekämpfen will, sondern sich aufgerufen sieht, sie zu regeln. Deswegen wurde bereits 1993 eine Restitution of Land Rights Bill beschlossen. Andererseits tragen die Buren auf diesem Boden immerhin um die 5% zur südafrikanischen Wirtschaftskraft bei, und dafür, daß es auf die auch der neuen Führung ankommt, hat Präsident Mandela die schöne Formel gefunden, das demokratische Südafrika dürfe die „Fehler der Vergangenheit“ nicht wiederholen und könne deshalb niemanden von Grund und Boden vertreiben. Im Zuge der umständlichen Durchführung besagten Gesetzes ist daher in etwa folgende, am Ende doch übersichtliche Linie erkennbar geworden: Zügig wurden Anlaufstellen eingerichtet, bei denen Anträge auf Landrückgabe eingereicht werden können; von den bis Ende 1997 abgegebenen über 11000 Anträgen wurden bis zum selben Zeitpunkt 25 abschließend geregelt. Die neuen Besitzer dürfen bleiben, wenn sie entweder nachträglich ‚Entschädigungen‘ zahlen oder sich mit den alten Eigentümern auf Formen der ‚Kooperation‘ einigen. Bis jetzt hat es noch keine einzige Zwangsenteignung gegeben. Aus der im Reconstruction and Development Program enthaltenen Versprechung des Staates, den weißen Farmern bis zu 30% ihres Landes nach und nach abzukaufen, um es an die Kleinbauern zu verteilen, ist nichts geworden; wegen der angespannten Haushaltslage, wie es heißt, weswegen das Projekt nun für den Staat kostenneutral finanziert werden soll: Die Neubauern müssen einen Kredit beantragen, den der Staat vermittelt, indem er für ihn bei der Bank bürgt. Da nur die wenigsten Landproleten von diesem Angebot Gebrauch machen können und angesichts der Qualität der Böden, von denen sich die burischen Agrarindustriellen freiwillig trennen, noch weniger wollen, hat sich die ANC-Regierung inzwischen realpolitisch darauf eingestellt, daß die neuen Eigentumsverhältnisse im wesentlichen die alten bleiben werden. Nimmt man die Sache vom Resultat her, laufen ihre Bemühungen um eine „Korrektur vergangenen Unrechts“ also zielstrebig auf die Legalisierung der bestehenden Grundeigentumsverhältnisse hinaus, und im Grunde hat sie auch nie einen Hehl daraus gemacht, daß es ihr darum von Anfang an gegangen ist. Im Gegenzug wird den Pächtern und Angestellten der Grundbesitzer etwas mehr Rechtssicherheit versprochen – ersteren kann nicht mehr ohne weiteres gekündigt werden und letzteren sollen subsistenzsichernde Mindestanteile von der Ernte garantiert werden. In den wenigen Fällen, in denen der eine oder andere in den 70er Jahren deportierte Stamm unter großem Propagandaspektakel sein angestammtes Siedlungsgebiet dann doch zurückerhält, geht es um wertloses Land:

„Das unwegsame Gelände etwa tausend Kilometer nördlich Kapstadts besteht hauptsächlich aus roten Sanddünen.“ [43]

Eines stellt sich über diese Bemühungen der neuen Regierung, die Ansprüche auf Landrückgabe zu regeln, allerdings nicht ein: ein allseits anerkannter Rechtszustand auf dem Lande, auf dessen Herstellung es die Regierung mit ihren Bemühungen durchaus abgesehen hat: Mit dem Ziel, die weißen Farmer zu vertreiben, wurden 1996 „468 Farmen überfallen und dabei 109 Menschen getötet“. Im Gegenzug rüsten die Farmer, die eine Landwehr mit 130000 Reservisten unterhalten, massiv auf: „Wie einst im kriegszerrütteten Rhodesien sind zahlreiche Farmen durch elektrische Zäune gesichert, die Farmer und ihre Frauen ständig bewaffnet.“[44]

Jenseits der materiellen Gegensätze, die der ANC-Staat unter Kontrolle zu bringen bestrebt ist, ist seine Führung auf der Ebene der nationalen Moral mit einer Veranstaltung, die unter den idealistischen Titeln „Wahrheit und Versöhnung“ läuft, um die passende Politisierung ihrer Untertanen bemüht. In auffälligem Kontrast zu den in der Staatenwelt sonst üblichen Gepflogenheiten wird das Volk nicht in Gestalt einer Abrechnung mit den Vertretern des alten Regimes auf seine neue Führung eingeschworen. Dem ANC ist es in Südafrika viel zu sehr darum zu tun, institutionell wie personell vom alten Regime einen funktionierenden Machtapparat zu übernehmen, als daß er sich mit dessen Objekten im gerechten Bedürfnis nach Rache zusammenschließen wollte. Genau umgekehrt geht es ihm darum, den Knechten der weißen Herrschaft in einer Art psychologischen Betreuung aufzuzeigen, wie sie dieses Bedürfnis unter der pfäffischen Anleitung eines Bischofs kontrolliert beilegen können, ohne es zu betätigen. Dazu setzt die Regierung die Aufarbeitung des „vergangenen Unrechts“ auf die Tagesordnung. Vor einer Untersuchungskommission bekommen Betroffene Gelegenheit, öffentlich ihr Leid zu klagen, außerdem wird ihnen die zweifelhafte Genugtuung geboten, daß diejenigen, die sie neulich malträtiert haben, ihre Taten öffentlich bereuen müssen, wenn sie amnestiert werden wollen, und damit die sich logischerweise anschließende Forderung nach Buße nicht allzu laut wird, setzt der Abschlussbericht der Kommission im Sinne eines ausgewogenen Schuldspruchs die Gewalt, die der Apartheidsstaat gegen seine schwarzen Volksmassen ausgeübt hat, gleich mit der Gewalt, die vom militanten Widerstand gegen ihn ausgegangen ist. Doch auch diese Versöhnung spaltet die Gemüter:

„Liberale Weiße, die dem neuen Südafrika grundsätzlich positiv gegenüberstehen, zeigten sich vom langwierigen Aufbrechen alter Wunden enttäuscht und fühlen sich in eine Sündenbockrolle gedrängt. Rechte Weiße sprachen gar von ‚Hexenjagd‘… Radikale Schwarze wiederum forderten Rache und Vergeltung anstelle von Palaver und frommen Worten.“ [45]

Mit all ihren Bemühungen bekommt die ANC-Regierung ihren Laden nicht in den Griff, so daß ihr neuer Präsident heute zu ihrer ersten und vornehmsten Aufgabe erklärt, gegenüber der sich von allen Seiten aus austobenden Privatgewalt für die Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols zu sorgen:

„Bei seiner ersten Rede im Kapstädter Parlament hat Südafrikas neuer Präsident Thabo Mbeki die Prioritäten seiner Regierung dargelegt. An erster Stelle soll der Kampf gegen die in Südafrika grassierende Gewalt stehen. Mbeki erklärte, zu diesem Zweck mehr Polizisten besser ausbilden und eine Untersuchungseinheit einsetzen zu wollen, die sich mit Schwerverbrechen befaßt. Er kündigte die Verabschiedung neuer Gesetze an, die mit Waffen begangenen Delikte härter bestrafen sollen.“ [46]

Der regierende ANC, der versprochen hatte, dem Volk bei seiner Verwaltung des kapitalistischen Gemeinwesens Unterdrückung zu ersparen, ist damit genau bei dem Endpunkt angelangt, an dem die hiesigen Bescheidwisser immer schon sind, bei der Gewaltfrage nämlich: „Südafrika hat ein Kriminalitätsproblem.“

[1] Mit der Staatsräson und der krisenhaften Wende des Apartheids-Staats befaßt sich der Artikel „Die sensationelle Wende von Südafrika – Staatsmänner verschiedener Hautfarbe wählen sich ein neues Volk“ in GegenStandpunkt 1-94, S.137

[2] FAZ, 1.6.99

[3] Martin Pabst: Südafrika. München 1997; S.175

[4] So in der Antwort auf einen Brief deutscher Unternehmer an die Staatschefs der auch Südafrika angehörenden SADC-Länder (South African Developement Community), in dem diese aufgefordert werden, umgehend Maßnahmen zu ergreifen, um Kriminalität, Korruption und juristische Fahrlässigkeit einzudämmen. (FAZ, 28.1.99)

[5] Mandela: Ich bin bereit zu sterben. Verteidigungsrede vor Gericht 1934. Zitiert nach: Kap ohne Hoffnung. Hrsg. F. Duve, Hamburg 1965

[6] ebd.; S.133

[7] So ließ er bereits zu seinem Einstand 1994 verlautbaren, daß wir einen rein pragmatischen Ansatz verfolgen. Für uns sind Verstaatlichungen ein Mittel der Politik, das man sich vorbehalten muß, dessen Einsatz aber in absehbarer Zeit nicht vorgesehen ist. … Es gibt kein einziges Verstaatlichungsprojekt.(Trevor Manuel, Wirtschaftsexperte des ANC, in: Time 17/1994) Stattdessen sprach sich Mandela dann in seiner Parlamentseröffnungsrede vom Februar 1996 für die Sicherung des Wirtschaftswachstums durch eine verstärkte Privatisierung der Staatsbetriebe aus. (Zitiert nach: Blick durch die Wirtschaft vom 14.2.1996) Nicht gleich Arbeitsplätze, aber vielleicht Vertrauen schafft die Regierung durch die schrittweise Reduzierung der Besteuerung des Produktivkapitals der Großkonzerne sowie ihre völlige Freistellung bei bestimmten Neuinvestitionen. Etc.

[8] FAZ, 6.7.99. Den jährlich neu zu beratenden und zu verabschiedenden gesetzlichen Mindestlohn hat die ANC-Regierung schon mal mit der Begründung gekippt, daß er Beschäftigung verhindert.

[9] Walter Schicho: Handbuch Afrika. Bd. 1; Frankfurt a.M. 1999; S.156

[10] Vgl. Anver Versi: Focus on South Africa. S.11 f.

[11] Stephan Biering: Südafrikas Wirtschaft unter Mandela: Möglichkeiten und Grenzen der ökonomischen Transformation. Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitschrift Das Parlament. 2.7.99; S.18

[12] An diese Abhängigkeit ist Südafrika erst jüngst im Zusammenhang mit dem Kölner Schuldenerlaß für hochverschuldete Staaten erinnert worden. Südafrika beklagte sich darüber, daß durch die zur Finanzierung des Schuldenerlasses vom IWF geplanten Goldverkäufe der ohnehin fallende Goldpreis weiter gedrückt werde. Das Überleben der südafrikanischen Goldminen, die zehn Prozent des südafrikanischen Sozialprodukts erwirtschaften, ist offenbar ernsthaft gefährdet. (Vgl. SZ, 6.7.99)

[13] U.a. machen die südafrikanischen Bergbau-Konzerne in Afrika US-Firmen Privatisierungsobjekte und Konzessionen streitig.

[14] NZZ, 28./29.3.99

[15] vgl. NZZ, 4./5.4.99

[16] Ein „Debakel“, weiß die Presse, die bei der südafrikanischen Außenpolitik einfach den Auftrag durch die zur Erteilung von Ordnungskompetenzen berufenen Mächte vermisst.

[17] Unter dem Codenamen ‚Blauer Kranich‘ hat am Freitag in Südafrika die bisher größte Übung in friedenserhaltenden Maßnahmen begonnen. Fast 5000 Soldaten aus 12 (von 14) Ländern der Southern African Development Community (SADC) nehmen an den bis zum 27. April dauernden Manövern teil. Der südafrikanische Übungsleiter, General Bestbier, gab den Truppen die Aufgabe, auf der fiktiven Insel Naraland im Indischen Ozean den Frieden zu sichern. Hier sollen die Teilnehmer supponierte Pufferzonen zwischen zwei zerstrittenen Fraktionen errichten und die Einhaltung von Waffenstillstandsvereinbarungen überprüfen. (NZZ, 23.4.99)

[18] FAZ, 2.2.99

[19] Thierry Secrétan: Die schwarzen Bosse des Goldes. Le monde diplomatique, Mai 1998

[20] ebd.

[21] Laurence Mazure: Die Deregulierung der militärischen Gewalt. Le monde diplomatique, Oktober 96

[22] ebd.

[23] ebd.

[24] vgl. Time, 3.2.97

[25] Zu den 91 Kunden zählen u.a. Indien, China, Indonesien, Thailand, Jordanien, Israel, die Vereinigten Arabischen Emirate, Oman, Kolumbien, Peru, Mexiko, Algerien und Ruanda. (Hein Marais: Die Widersprüche von Pretorias Außenpolitik. Le monde dilomatique, März 99)

[26] Michel Chossudovsky: Auslaufmodell Apartheid wird zum Exportschlager. Le monde diplomatique, April 1997

[27] ebd.

[28] ebd.

[29] SZ, 4.6.99

[30] ebd.

[31] Bierling; a.a.O.

[32] Pabst; a.a.O.; S.175

[33] Claude Wauthier: Südafrika nach Mandela. Le monde diplomatique, März 99

[34] Bierling; a.a.O.

[35] FAZ, 23.3.99

[36] SZ, 4.6.99

[37] Bierling; a.a.O.

[38] Vorbehalte Spaniens, Portugals und Frankreichs, aber auch Deutschlands gegen den mit Südafrika verhandelten Freihandelsvertrag haben die Beziehungen zwischen Südafrika und der Europäischen Union (EU) belastet. Dabei geht es neben einer die Rückkehr illegaler Ausländer betreffenden deutschen Forderung u.a. um die seit drei Jahrhunderten benutzte Benennung von Port und Sherry aus Südafrika. Der sichtlich zornige südafrikanische Industrieminister … sagte, Südafrika werde eine von der EU ‚in letzter Minute‘ geforderte Nachbesserung des von der EU-Kommission gebilligten Kompromisses von Davos nicht akzeptieren. (FAZ, 22.2.99) Einen Monat später dann der Durchbruch in den Verhandlungen: Wichtigstes Ergebnis war eine Kompromissformel zur Beilegung des Streits über das Bezeichnungsrecht für Weine und Spirituosen. Südafrika wird bei Exporten in Drittländer nach Übergangsfristen zwischen fünf und acht Jahren auf die Verwendung der Bezeichnung Porto und Sherry verzichten. (FAZ, 26.3.99) In der Hauptsache einigen sich die Parteien in ihrem Abkommen darauf, daß 91 Prozent des gesamten Handels zwischen ihnen von Zöllen und Abgaben befreit werden. … Die EU hat sich jedoch mit Rücksicht auf ihre Landwirtschaft weitgehende Ausnahmen vorbehalten. (ebd.) Auch in den Verhandlungen über ein Handelsgesetz mit den USA wehrt sich Südafrika gegen immer neue Bedingungen, die an die Gewährung des Marktzugangs für seine Waren geknüpft werden. (Vgl. FAZ, 28.3.98)

[39] Pabst; S.172

[40] Vgl. Pabst; S.83 ff

[41] FAZ, 3.1.96

[42] Time, 19/95

[43] FAZ, 22.3.99

[44] Pabst; S.173 f.

[45] Pabst; S.158

[46] SZ, 26./27.6.99