Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Saddam aus dem Erdloch geholt:
Vae Victis! – oder: Ehre, wem Ehre gebührt

Das waren sich die Amis schuldig: es muss nicht nur der irakische Staat zerschlagen werden, sondern auch seine Repräsentanten festgesetzt und demonstrativ niedergemacht werden. So geht es gerechterweise allen Staatsmännern, die sich der amerikanischen Macht entgegenstellen. In der demonstrativen Erniedrigung und Entehrung Saddams und seiner Degradierung zum Verbrecher macht der Sieger sich und dem Rest der Welt das absolute Recht seiner Gewalt hinfällig.

Aus der Zeitschrift
Länder & Abkommen

Saddam aus dem Erdloch geholt:
Vae Victis! – oder: Ehre, wem Ehre gebührt

Ein amerikanischer Greiftrupp hat endlich Erfolg. In einem Erdloch wird Saddam, das Kreuz-Ass im Kartenblatt der 52 meistgesuchten Staatsverbrecher des Irak, aufgestöbert, und die Weltöffentlichkeit darf den Fang bestaunen. S. Hussein, Staatspräsident des Irak, ist ein wirr blickender Zausel, der vor laufender Kamera in Gummihandschuhen nach Läusen im Bart und Kassibern im Mund gefilzt wird. Manche meinen, dass solches der Menschenwürde nicht ganz entspricht. Auch sei es nach der ‚Genfer Konvention‘ nicht gestattet, denn sogar einen Saddam dürfe man nicht derart entwürdigen: Ein Staatsmann genieße doch wohl auch dann noch Respekt, wenn er einen Krieg verloren hat. Und überhaupt: Haben die Amerikaner so etwas nötig, nach ihrem glanzvollen Sieg?

Offensichtlich ja. Denn das sind sie erst einmal sich selbst schuldig. So richtig fertig mit ihrem Feind sind sie erst, wenn die Durchschlagskraft ihrer Waffen durch die Vernichtung des Gegners auch in moralischer Hinsicht komplettiert wird. Die unendliche Höherwertigkeit des eigenen staatlichen Rechts gegenüber Saddams Irak hat man praktisch mit seinen Bomben unter Beweis gestellt. Jetzt will man sich ihrer demonstrativ ein weiteres Mal versichern, und zwar am Repräsentanten der Macht, die sich der eigenen mit für sie vernichtendem Ergebnis widersetzt hat. Dazu macht die Figur in der Erscheinung, in der man sie aufliest und präsentiert, genau den Eindruck, den sie machen soll. Ein verdreckter, würdeloser alter Penner, erst zu desinfizieren, bevor man ihn wegsperrt: Genau das und nichts weiter bleibt von einem Staatsmann übrig, der zusammen mit einem Krieg auch all seine Machtmittel verloren hat – und mit denen auch die Ehre, deren Respekt einem Machthaber allein wegen der Macht gebührt, die er repräsentiert. Umgekehrt repräsentiert ein im eigenen Land gejagter und dann gestellter Staatsmann nur noch seine eigene totale Entmachtung – und deren auch noch moralischen Genuss will der, der sie ihm mit seinem Sieg im Krieg herbeigeführt hat, sich nicht nehmen lassen: In der demonstrativen Erniedrigung und Entehrung des Kriegsverlierers und seiner Degradierung zum gewöhnlichen Verbrecher macht der Sieger sich und dem Rest der Welt das absolute Recht seiner Gewalt sinnfällig.

Schuldig ist dies die Besatzungsmacht auch den Besetzten im Irak, denn an praktizierter demokratischer Staatsbürgerkunde kann man in dem Land gar nicht genug haben. So sollen die Iraker sich ihren Saddam durch die Kameras von CNN ganz genau ansehen – und in dem jämmerlichen Alten nur die schiere Abwesenheit von allem entdecken, was den einst zu ihrem Führer qualifiziert hat. Einfach nichts mehr von dem Protz und den Posen ist an ihm dran, mit denen Machthaber ihre persönliche Herrschaftskompetenz herausstreichen, sich zum berufenen Vertreter der nationalen Sache küren und in eigenem wie in deren Namen vom Volk loyale Gefolgschaft verlangen. Genau dieser Logik des Führerkults, ohne die es keine Herrschaft tut, sollen die Iraker weiterhin treu bleiben – sie sollen sie nur einfach umdrehen. An einem Saddam in Kittel und Handschellen, dem ein Ami auch noch ins Maul leuchtet, soll ihnen ganz von selbst aufgehen, dass das ja wohl unmöglich einer sein kann, der ihre Loyalität verdient. Dem Führer, dem sie bis neulich nachgelaufen sind, sollen sie – weil er ersichtlich keiner mehr ist – ihren zur Gewohnheit verinnerlichten Willen zur Gefolgschaft aufkündigen, und so führt man erfolgreich einen demokratischen Kampf um die Herzen der Iraker: Man zeigt ihnen einfach, wie absolut unwürdig diese Figur der Loyalität irakischer Untertanen ist und schon immer war – und schon sind sie reif dafür, sich den Figuren an die Brust zu werfen, die sie demnächst als ihre Herren begrüßen dürfen.

Gar nichts schuldig ist die Weltmacht hingegen der deutschen Öffentlichkeit. Doch gerade die führt sich auf, als hätte gerade sie einen historischen Rechtsanspruch auf einen satten Erfolgsnachweis der US-Truppen, deren Blitzsieg genügt ihr da keineswegs, und als wäre Amerikas Präsident für die Einlösung dieses Anspruchs persönlich haftbar zu machen und damit schon arg in Verzug geraten. Nun hat also wenigstens die Verhaftung des großen Bösewichts geklappt: Glückwunsch, Amerika!, und wir schauen ihn uns auch gerne und oft an, den abgehalfterten Diktator mitsamt seinen missratenen Söhnen. Aber jetzt nur nicht übermütig werden! – die Mahnung möchten deutsche Journalisten der Weltmacht schon noch mit auf den Weg geben. Saddam – und dann? muss Amerika sich fragen lassen, so als hätte irgendwer in Washington behauptet, der Große Kreuzzug gegen antiamerikanische Umtriebe auf der Welt, dieser neue antiterroristische Weltkrieg, wäre mit der Festnahme des einen irakischen „Schurken“ schon erledigt. Aber das ist Deutschlands Öffentlichkeit in ihrer patriotischen Skepsis gegen Amerikas Feldzüge schlicht sich selber schuldig: dass sie bei einem Triumph des Großen Bruders, der offensichtlich auch ihr großen Eindruck macht, das Haar in der Suppe findet und den US-Präsidenten davor warnt zu glauben, er hätte mit der Verhaftung Saddams auch schon den Frieden gewonnen.

Was würde Amerika bloß ohne seine besonnenen deutschen Ratgeber anfangen!