Die Regierungskrise

Regierungskrise Kohl: Postminister Schwarz-Schilling (CDU) und Wirtschaftsminister Möllemann (FDP) werden entlassen. Die demokratische Öffentlichkeit, die alle Ziele der Politik teilt und ein Recht auf deren erfolgreiche Durchsetzung reklamiert, macht sie für Unzufriedenheiten mit der nationalen Bilanz haftbar. Sachlich ist das nicht, Mitleid ist aber auch nicht angebracht: Schließlich gehört es zur Berufslüge des Politikers, dass es für die Geschicke der Nation speziell auf ihn ankommt.

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Die Regierungskrise

Die „politischen Sachfragen“, um deren Lösung sich die berufsmäßigen Volksdiener kümmern, erfreuen sich hierzulande einer eigentümlichen Beurteilung. Kaum werden sie von den Machthabern zur Erledigung auf die Tagesordnung der Staatsgeschäfte gesetzt und zum „Problem“ erhoben, das von ihnen mit allen Regeln der Gesetzgebungskunst bewältigt sein will, wissen sich die aufgeklärten Demokraten, die von Bonn aus regiert werden, sogleich in Besitz eines Maßstabs, an dem sie die in Frage stehenden „Sachfragen“ einer Prüfung unterziehen. Die politische Sache, um die es da im einzelnen geht, nimmt dieser Maßstab dabei allerdings nicht groß in Augenschein; und auch die für die eigenen praktischen Belange gar nicht so unwichtige Frage nach den Kosten, die einem die zum Wohl der deutschen Nation ausgeübte Regierungskunst beschert, leitet die Urteilsfindung überhaupt nicht. Statt dessen beschränkt sich die Prüfung auf die ganz von politischer Anteilnahme getragene Begutachtung, ob und wie den Bonner Trägern politischer Verantwortung auch die Lösung all der kleineren und größeren Aufgaben gelingt, aus denen sich ihr politisches Alltagsgeschäft zusammensetzt. Das sorgt generell für eine gewisse Bequemlichkeit bei denen, die am Rhein sitzen und die Macht haben, und freilich auch für die bekannten Unbequemlichkeiten beim Rest der Normalsterblichen, die sie zu spüren bekommen. Denn die Machthaber machen mit „Wirtschaftskrise“, „Haushaltskonsolidierung“, „Aufschwung Ost“, „Solidarpakt“, „Jugoslawien“, „Bundeswehreinsätze“ usw. bloß noch die Titel namhaft, unter denen die Nation ihre gegenwärtigen Vorhaben faßt – und meinen mit der Kundgabe dieser Titel dann schon dasselbe wie das fraglose Recht auf Durchsetzung all dessen, was sie sich im Namen der Nation vor- und im Namen dieses Rechts gegenüber jedermann herausnehmen. Und wenn sich die von diesen Machenschaften dann praktisch Betroffenen unter kundiger Anleitung einer eigens dafür eingerichteten Öffentlichkeit nur noch an der spannenden Frage erbauen, ob die Politik auch dem – einzigen – Kriterium standhält, an dem sie selbst sich mißt und messen läßt: dem Erfolg bei allem, was sie sich vorgenommen hat, dann ist zwar der Erfolg der Nation deswegen noch lange nicht ausgemacht. Daß ihm wenigstens von denen, die ihn hauptsächlich auszuhalten haben, nichts in den Weg gelegt wird, ist in jedem Fall sicher.

Und ein weiteres ist – neben dem praktischen Erfolg, den die Politik im Visier hat – nicht unbedingt sicher. Wo nämlich die Politik nur noch das Recht auf ihren Erfolg verkündet, wird das Personal der Machtausübung eben schon auch daran gemessen, ob es diesen zuwegebringt, und muß sich, für den Fall seines Ausbleibens, den Vorwurf gefallen lassen, seine „Sache“, eben erfolgreich zu regieren, „schlecht gemacht“ zu haben. Das ist einerseits ein wenig ungerecht, denn zu mehr als mit der Macht, die sie haben, daheim den eingerichteten ökonomischen „Sachgesetzen“ zu dienen und nach außen das nationale Interesse gegen andere Machthaber durchzusetzen, sind die Regierenden ja nun auch nicht imstande und deshalb für manche Schranken, denen ihre Machtausübung dabei unterliegt, gar nicht verantwortlich. Andererseits freilich geschieht es ihnen schon recht, wenn sie für den ausbleibenden Erfolg ihrer Politik gleichwohl haftbar gemacht werden. Sie sind es ja, die die Lebenslüge der Demokratie in Theorie und Praxis pausenlos vertreten, es sei nur ihre kundige Ausübung von Gewalt, die der Nation den beanspruchten Erfolg garantiere. Die ausschließlich dem absoluten Recht auf selbigen und überhaupt nicht nur den „Sachgesetzen“ dienen wollen, von denen er abhängt – also verdienen sie es schon, wenn ein Mißerfolg der nationalen Sache ihnen angelastet wird. Und auch die Form, in der das zu geschehen pflegt und in der dann, wenn ihr „Versagen“ feststeht, mit ihnen abgerechnet wird, haben sie verdient. Dieselbe demokratische Öffentlichkeit, die sie so perfekt zu nationaler Verantwortung herangezogen haben; die ihnen beim Tragen ihrer schweren Verantwortung nur immer Glück und Gelingen zu wünschen pflegt und dem Volk als unvermeidlich verdolmetscht, was sie als Regierende für angebracht halten: Die läßt mit einmal ihre guten politischen Manieren und jede Achtung gegenüber den verehrten Machthabern missen, weil ihr Respekt eben nur dem gebührt, der die nationale Sache voranbringt. Als ob sie sich schadlos halten wollten für die Arschkriecherei, die sie in ihrem Beruf den Bonner Regenten gegenüber für gewöhnlich an den Tag legen, werden politische Journalisten und Meinungsmacher zu ausgesprochen gehässigen Spöttern der erfolglosen Staatsdiener. Und als ob sie sich von dem Verdacht reinigen wollten, doch ohnehin nur das Sprachrohr der Verlautbarungen aus dem Kanzleramt zu sein, werden sie nicht müde, den Machthabern klägliches „Versagen“ vorzurechnen und das Volk mit aufgedeckten Pflicht- und anderen Versäumnissen des Regierungspersonals politisch zu bilden.

Die stehen dann für die Ursache der ausgemachten Miesen auf der nationalen Erfolgsbilanz, und so, auf diese – sachlich gesehen – absolut lächerliche Tour geraten dann auch Regierungen, die sich nur noch an ihrer eigenen Machtvollkommenheit und am Erfolg der Ansprüche messen, die sie selbst in die Welt setzen, in „Krisen“. Wenn sich die angepeilten Erfolge nicht einstellen wie gewünscht; wenn der Staat und seine Amtsträger bei der „Bewältigung“ der „Probleme“, vor die die Nation sich gestellt sieht, wenig Ruhmreiches vorzuzeigen haben – dann macht sich der Verdacht breit, daß vom Personal der Herrschaft wohl einige unverdientermaßen mit dem „Vertrauen“ beschenkt wurden, von dem die Politik so schrankenlos Gebrauch zu machen pflegt. Denen gehört selbiges dann entzogen – wofür so manche „Skandale“ die Runde machen –, damit dann eine neue „frische Kraft“ den verfahrenen Karren aus dem Dreck zieht und endlich wieder gescheit regiert werden kann. Dafür schlägt dann der Überprüfung moralischer Gesinnungsfestigkeit von Politikern die hohe Stunde; dafür wird die politische Urteilsbildung mit „Infotainments“ beharkt, darf sich an den Hinter- und Niedergründen einer politischen Machtausübung, der mit dem Erfolg auch der Glanz versagt bleibt, unglaublich gut amüsieren und interessant finden, mit welchem zweifelhaften Gelichter die Herren „da oben“ ihre Diäten versaufen und ob sie bei ihren Ausflüchten beim Lügen erwischt werden.

Im Normalfall bereiten die Schreibstuben der demokratischen Öffentlichkeit mit ihren Techniken der üblen Nachrede für Politiker und vertrauensbildenden Maßnahmen für die politischen Ämter den Boden für die bisweilen fällige Runderneuerung des Herrschaftspersonals. Doch begann der „Regierungskrise Kohls“ erster Teil diesmal ironischerweise damit, daß einer aus der Regierungsmannschaft erst das Versagen des Staates vor seinen eigenen Ansprüchen und dann sich selbst in seinem Ministeramt für untragbar fand.

Der Postminister

Schwarz-Schilling hat sich in seinem Kabinett fachübergreifend eingemischt und es für unerträglich gefunden, daß der deutschen Einmischung in den Krieg auf dem Balkan nicht die Taten folgen, die er für angezeigt hält. Die von deutscher Seite her längst feststehende moralische Verurteilung des Aggressors Serbien und die entsprechend kultivierte nationale Kriegshetze gegen die Verbrecher aus „Restjugoslawien“ hat er bei sich zu einer so großen persönlichen „Betroffenheit“ ausgebaut, daß ihm die Politik seines Kanzlers schier verantwortungslos vorkam: Der will einfach noch immer keine Marschbefehle ausstellen und verharrt statt dessen in „Nichtstun“. Letzteres ausgerechnet kann man zwar von der Schutzmacht der Zerschlagung Jugoslawiens und dem faktischen Geburtshelfer der sich bekriegenden Parteien nicht gerade behaupten; nach Schwarz-Schillings und dem Dafürhalten „großer Teile der Fraktion“ aber nehmen sich eben alle außenpolitischen Machenschaften der Deutschen unterhalb des unmittelbaren Einstiegs in den Krieg aus wie ein Verrat an der guten Moral des von der deutschen Politik pausenlos geltend gemachten Einmischungsrechts – und deswegen auch wie ein Versagen vor diesem Recht selbst. Ignoriert hat dieser edle Christ und unbeugsame Humanist, der die „serbische Armee“ so liebend gerne „mit einer Bombardierung ihrer Kommunikationszentren in den Griff bekommen“ hätte, mit seiner Wortmeldung ganz gewiß nicht den politischen Standpunkt, von dem aus auch sein Kanzler den Krieg auf dem Balkan bedenkt. Ignoriert hat er bloß, daß die Wahrnehmung deutscher Rechte auf dem Balkan keine Frage der Kriegsmoral allein ist. Die war in der feinen Runde, vor der seine „Scham“ ob der im Regierungslager verbreiteten Tatenlosigkeit heraushängen ließ, bevor er sich dann mit seiner „Erklärung“ in aller Öffentlichkeit gleich nochmals „schämte“, mit Sicherheit in reichlichem Umfang vorhanden. Aber eben auch andere Kenner der Materie und der deutschen Einmischung auf dem Balkan, und die haben gegen den Minister Recht behalten. Die haben zwar auch eine Bombardierung „Restjugoslawiens“ von deutschen Fliegern aus für durchaus erwägenswert gehalten und besaßen insofern vollstes Verständnis für die „emotionale Situation“ ihres Kollegen. Die fragen sich daneben aber schon auch noch, ob der deutschen Nation dieses „humanitäre“ Engagement tatsächlich von Nutzen ist; ob die Nation auch wirklich etwas davon hat, wenn sie diesen Krieg als Partei entscheidet; ob sie überhaupt auch wirklich über die Mittel verfügt, sich so, über alle mit ihren Konkurrenten gepflegten „partnerschaftlichen“ Beziehungen und Verkehrsformen hinweg, erfolgreich um das außenpolitische Einmischungsrecht Deutschlands zu kümmern – und die sind diesbezüglich zu einem anderen Resultat als der Postminister gelangt.

So wurde aus dessen Wortmeldung leider kein Fanal, sondern der Kanzler mußte sich – obwohl er ihn so gut verstand – die Einmischung seines Ministers entschieden verbieten, worauf der seinen Rücktritt einreichte, um wenigstens so noch ein „Signal“ zu setzen. Aus dem hat dann ein anderer aus dem Kabinett das beste gemacht und die von Schwarz-Schilling zur Sprache gebrachte gewisse Verlegenheit der deutschen Außenpolitik der politischen Abhängigkeit angelastet, in der sich die Nation befindet und von der sie mangels erfolgversprechender Alternativen nach wie vor nicht lassen können will: Beschämt hat Schwarz-Schilling mit seinem Auftritt nicht die deutsche Regierung, sondern alle anderen, auf die deutsche Außenpolitiker bei der Durchsetzung deutscher Rechte bedauerlicherweise noch Rücksicht zu nehmen haben –

„Es ist nicht die Ohnmacht dieses Kabinetts, sondern es ist die Ohnmacht des Westens, es ist die Ohnmacht Europas, die sich hier zeigt“ (Waigel, SZ 16.12.92)

Der Wirtschaftsminister

Möllemann dagegen ist auf die klassische Art, durch den Professionalismus einer auf „Skandal“ erpichten Rasterfahndung der demokratischen Öffentlichkeit zur Strecke gebracht worden. Irgendein Sachverständiger fürs Schlechtmachen des Regierungspersonals ist bei Durchsicht der Korrespondenz des Herrn „Affären-Ministers“ auf belastendes Material gestoßen – ein Werbebrieflein für einen Verwandten, und danach noch eines, in dem der ehemalige Minister für Bildung einem gerichtsbekannten Scharlatan mit der Theorie gefällig wurde, daß auch Wunder heilen können. Blamiert hat er sich damit freilich nicht, Zweifel hinsichtlich seiner geistigen Verfassung wurden auch nicht laut, als er im Vertrieb des famosen „Einkaufswagen-Chips“ seines Vetters eine „soziale Komponente“ – insbesondere für Behinderte – entdeckte, die er nur herauszustellen vergessen hätte: Bloß mit Blödsinn und Heuchelei bringt man sich nicht um ein Ministeramt. Die „Briefbogen-Affäre“ kam erst auf und so richtig in Gang, als der Minister sich in seiner Verteidigungsstrategie gegen den Vorwurf des Ableistens fragwürdiger Gefälligkeiten verhedderte und den öffentlichen Spezialisten für saubere Amtsführung Gelegenheit bot, ganz grundsätzlich an seiner „Kompetenz“ zu zweifeln. Der Oberzweifler aus Hamburg stellvertretend für alle:

„Und nun durften wir auch noch erleben, daß ein leibhaftiger Bundeswirtschaftsminister uns glauben machen will, ihm untergeordnete Mitarbeiter hätten seine offiziellen Briefbögen mißbraucht, ohne ihn davor in Kenntnis zu setzen. Wie sollte wohl ein Ministerialbeamter von sich aus auf den Gedanken kommen, Empfehlungsschreiben für einen Verwandten seines Ministers auszufertigen, ohne daß dieser ihm zumindest einen Wink gegeben hätte? Wie käme dieser Beamte dazu, Briefe mit der Blanko-Unterschrift des Ministers zu verschicken? (…) Sollte der Minister einen solchen Mitarbeiter in seinem Amt beschäftigen, muß er mitsamt dem Mitarbeiter seinem Ministerium ade sagen.“ (R. Augstein, Der Spiegel 53/92)

Daß er für so blöd gehalten wird, auf Möllemanns Ausrede hereinzufallen, hat Augstein offensichtlich tief verletzt. Bloß wird dadurch sein Schluß auch nicht gerade einsichtig, wonach blanko oder nicht blanko unterschriebene Briefe hinsichtlich der Leistungen Auskunft erteilten, die der Betreffende als Minister so zuwegebringt. Aber der Verstand von politischen Moralwachteln „schließt“ ja in dem Sinne gar nicht. Der ist so vernarrt in seinen nationalistischen Wahn, daß zum Regieren auch immer der Erfolg für die Nation zu gehören hat, daß er in den Fällen, in denen der sich nicht einstellt, immer nur den Beweis vor Augen hat, daß da wohl die Falschen regiert haben müssen. Und so gesehen war Möllemann irgendwie reif. Ihn, diesen „gelernten Volksschullehrer“ hätte man ja bis gestern noch, als der Exportweltmeister „boomte“, ertragen können – gerade so und mit Mühen zwar, aber Erfolg versüßt sogar dem empfindsamen Augstein die bittersten Kröten:

„Ein Mann, der von diesem Gebiet“ (gemeint ist „das Wirtschaften“ so ganz allgemein und insbesondere das, welches schönes „Wachstum“ zaubert) „nicht die blasseste Ahnung hat und alles erst lernen muß, wäre schon unter normalen Umständen eine allenfalls erträgliche Unmöglichkeit. Angesichts der deutschen Probleme mit der Einheit ist er hingegen eine bare Zumutung. Wie will er Vertrauen ausstrahlen, Ansehen gewinnen, wenn ihm seine Ministerialdirektoren alles vorflüstern müssen?“ (R. Augstein, ebd.)

Da wenigstens kennt sich einer genau aus auf „diesem Gebiet“: Vom Minister persönlich ausgestrahltes „Vertrauen“ heißt anders übersetzt auch Kredit, stärkt also vermutlich unmittelbar den, den die deutsche Staatskasse gerade dringend benötigt; und ein ministerieller Gewinn an „Ansehen“ muß beim Projekt „Aufschwung Ost“ irgendwie auch schon die halbe Miete sein. Eingermaßen sachfremd und verwegen sind die Kriterien dieser Leitartikler und Chefredakteure schon, wenn sie angesichts leicht zusammenbrechender nationaler Wachstumsraten den Grund der Krise in einer mangelhaften Befähigung des Wirtschaftsministers sehen und diese ausgerechnet noch damit begründen, er habe bei seinen Briefleins entweder die Unwahrheit gesagt hat – „dann ist er in seinem Amt untragbar geworden“ – oder wisse nicht, was er unterschrieben hat – „dann hat er sich gleichfalls als unfähig erwiesen“ (K. Dreher, SZ 2./3.1.93). Schließlich sind es ja nicht seine Kalkulationen, derentwegen so manche erwünschte Geschäftstätigkeit unterbleibt, sondern es sind die allseits geschätzen Kapitalisten, die sie gerade für nicht lohnend erachten und deswegen unterlassen. Und für sein höchst spezielles „Leistungsprofil“, für die Bereitstellung der für das Geschäftsleben förderlichen politischen Bedingungen, ist ein einwandfreier moralischer Leumund genauso entbehrlich wie umgekehrt gefällige Dienste für die Herren aus der Wirtschaft die Regel sind, ohne die in Sachen „Wachstum“ ja bekanntlich nichts läuft. Aber für den Standpunkt, daß sich für die deutsche Nation der wirtschaftliche Erfolg im Osten und Westen und überhaupt gehört und sein muß, bezeugt eine Wirtschaftskrise unmittelbar das Versagen des zuständigen Ministers. Und nachdem man ja auch nicht so genau weiß, was eigentlich man ihm vorzuwerfen hat – außer eben den Umstand, daß er zur Verhinderung der Krise und zum Erfolg des Projekts „Aufschwung Ost“ offensichtlich nicht „kompetent“ war – reichen, offen zugegeben, „Petitessen“, um ihn zu diskreditieren. Die wurden für diesen Zweck einige Wochen lang ganz groß aufgeblasen – nicht zuletzt unter Mithilfe einiger lieber Freunde und Freundinnen aus seiner Partei –, bis Möllemann auch von der den nötigen Bescheid erhielt und sich als „Gestrauchelter ohne jeden Fürsprecher“ zurückzog – und dann ließen dieselben Schreiberlinge, die sich in der „Affäre Möllemann“ in ihren Übertreibungen wechselseitig überboten, den ganzen warmen Seich wieder ablaufen:

„Aber dieses Mißverhältnis der Dimensionen frappiert: Das schicksalhafte Versagen der Bonner Regierung einerseits und andererseits die Plattheit der Briefbogen-Affäre, das untaugliche Format eines Ministers. Dieses Mißverhältnis offenbart noch einmal und in denkwürdiger Überspitzung des Übels das Unangemessene der Bonner Politik angesichts der Herausforderungen, wie sie national und international sich stellen.“ (J. Busche, SZ 4.1.93)

So macht man erst auf denkbar platte Weise einen Minister zum „untauglichen Format“, weil er die „nationalen Herausforderungen“ nicht erfolgreich erledigt – und nach dessen Abtritt mit der Beschwerde über die eigene Plattheit pauschal die ganze Regierung schlecht, weil die ja noch immer vor der ganzen Latte ihrer „Herausforderungen“ bloß steht und keine einzige so recht bewältigt…

Die Suche nach Möllemanns Nachfolger war so getragen von einer verschärften „Sehnsucht nach Kompetenz“ (SZ 8.1.93), und angesichts der „Schicksalhaftigkeit“ der Lage begann man von L. Erhard, dem Helden des „Wirtschaftswunders“, und K. Schiller, dem Herkules der „Exportnation“ zu schwärmen. Das waren damals nämlich noch Zeiten, als die Nation aus grimmiger Not von einem, der so gut mit „Seelenmassage für ökonomische Vernunft zu werben“ (FAZ, 4.1.93) verstand und einem „Superminister“ einfach hinausregiert wurde. Auch „Persönlichkeiten aus dem Unternehmerlager“ wären diesem nach Erfolg schmachtenden Kindergarten ganz recht gewesen, haben sie zwar gegenwärtig nicht gerade viel Erfolg, aber doch haufenweise „Kompetenz“ vorzuzeigen. Doch, wie es halt so ist im wirklichen Leben:

„Einen deus ex machina, der in Bonn einschwebt und das verwirrende Stück der Wirtschaftspolitik dieser Regierung zu einem guten Ende führt, gibt es nicht“ (SZ 8.1.1993),

so daß schon vor der Ernennung des Nachfolgers feststand, daß nach Schwarz-Schilling und Möllemann demnächst die dritte Runde der „Regierungskrise“ eingeläutet werden wird.

Die Bundesbauministerin

wäre an sich nach dem Urteil dieser öffentlichen Meinungsbildner schon dazu ausersehen gewesen, gleichfalls wegen eines „Werbebriefs“. Doch hat der Kanzler die „Krise“ seiner Regierung in diesem Fall schlichtweg nicht zugelassen. Schlau, wie er ist, hat er die tiefe Erkenntnis seines Kollegen Lambsdorff, wonach man nach diesem Muster „ganze Bundeskabinette entvölkern“ könne, zur Maxime seiner Richtlinienkompetenz erklärt und von der entsprechend Gebrauch gemacht: Wenn die Nörgelei und das Herummachen an seinem Personal auf die Weise weitergehe, wäre das doch wohl ein unerträglicher Angriff auf die Freiheit seines Regierens. Also ließ er vermelden, daß hier nicht entlassen wird – und schon war die „Affäre“ keine mehr, weil soviel „bewiesene Führungsstärke“ dann schon auch wieder sehr überzeugend ist bei Leuten, die außer ihrem Wunsch nach erfolgsgekröntem und schlagkräftigem Regieren nichts im Kopf haben.

Der neue Wirtschaftsminister

war erwartungsgemäß nicht der „Traumkandidat“, den man sich gerne gewünscht hat. Sondern ein Rexrodt, „der mit seinen Prognosen meist schiefliegt“. „Extrem wendig“, ist er ein „redseliger Windikus“, „notorischer Optimist und großer Fan seiner selbst“, ein „Kennedy-Typ“ der sich „zum Vorstandschef der Citibank-Deutschland hochgelächelt“ hat, „ohne Sprechzettel über Weltkonjunktur und Währungschaos reden“ kann und der „als Pluspunkt verbuchen kann, daß er das Vertrauen Lambsdorffs genießt“. Insgesamt ist diese Flasche also zumindest kein Volksschullehrer und nicht inkompetent. Aber da sich über seinen „künftigen wirtschaftspolitischen Kurs“ „gegenwärtig nur vage spekulieren läßt“, gilt für ihn vorerst mit Sicherheit und bei aller Vorsicht, die journalistischer Kompetenz eignet, nur dasselbe wie für

die übrigen neuen Minister im Kabinett:

„Bötsch, Borchert und Rexrodt liegen mehr oder minder deutlich über fünfzig. An Lebensjahren gezählt dürfte nur Wissmann mit 43 Jahren zu den Jüngeren zählen. Seine politische Biographie allerdings weist ihn als ganz alten Hasen aus. … Kein neues Gesicht also.“ (M. Winter, mehr oder minder deutlich im Beruf vergreister Hase, FR 20.1.93)

Armes Deutschland.