Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Hartz IV: Das Fördern zum Fordern.
Wie bringt man „erwerbsfähige Hilfsbedürftige“ „in Arbeit“ – und wozu?

Die neue Spezies des „erwerbsfähigen Hilfsbedürftigen“. Dieser Spezies lässt der Sozialstaat künftig seine besondere Aufmerksamkeit zuteil werden: Das Gesetz sieht eine ganze Reihe von Maßnahmen zur „Eingliederung in Arbeit“ vor. Es soll alles dafür getan werden, dass die Hilfsbedürftigen „eine Beschäftigung“ kriegen.

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen

Hartz IV: Das Fördern zum Fordern.
Wie bringt man „erwerbsfähige Hilfsbedürftige“ „in Arbeit“ – und wozu?

Mit dem Gesetz zur Sonderbehandlung von Langzeitarbeitslosen, das den Namen Hartz IV trägt, hat sich die Regierung etwas ganz Originelles ausgedacht: Die neue Spezies des „erwerbsfähigen Hilfsbedürftigen“. Ihr gehört an, wer länger als 12 Monate arbeitslos ist; die öffentliche Unterstützung für sie heißt Arbeitslosengeld II und liegt ungefähr auf dem Niveau der früheren Sozialhilfe. Dieser Spezies lässt der Sozialstaat künftig seine besondere Aufmerksamkeit zuteil werden: Das Gesetz sieht eine ganze Reihe von Maßnahmen vor – zur Eingliederung in Arbeit. Es soll alles dafür getan werden, dass die Hilfsbedürftigen eine Beschäftigung kriegen.

Da hat sich die Regierung ja was vorgenommen. Ausgangspunkt ihrer Reformbemühungen ist immerhin, dass das Kapital für etliche Millionen auf Lohnarbeit angewiesene Figuren keine lohnende Verwendung hat. Es hat kein Interesse an ihren Diensten; sie sind damit nach den gültigen ökonomischen Rechnungsarten überflüssig; erwiesenermaßen und dauerhaft – wie der wachsende Anteil der Langzeitarbeitslosen an der arbeitslosen Bevölkerung zeigt. Wenn das die Prämisse ist: Was heißt dann „Beschäftigungsförderung“? Wie geht das: nicht vermittelbare Arbeitskräfte in Arbeit zu bringen? Und wozu wird das gemacht – wenn die Wirtschaft sie für ihr Wachstum nicht brauchen kann? Auskunft geben die beschlossenen Maßnahmen zur „Eingliederung in Arbeit“, die sich der Sozialstaat einiges kosten lässt.

Er finanziert erstens einen ganzen Apparat, der sich speziell um die Langzeitarbeitslosen und Nicht-Vermittelbaren kümmert – mit dem Ziel, sie zur Annahme jeder Arbeit zu erpressen:

„Die Träger der Leistungen nach diesem (Sozialgesetz-)Buch unterstützen erwerbsfähige Hilfebedürftige umfassend mit dem Ziel der Eingliederung in Arbeit. Die Agentur für Arbeit soll einen persönlichen Ansprechpartner für jeden erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft Lebenden benennen. Die Träger der Leistungen nach diesem Buch erbringen unter Beachtung der Grundsätze von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit alle im Einzelfall für die Eingliederung in Arbeit erforderlichen Leistungen.“ (SGB II, § 14)
„Arbeitsuchende erhalten künftig … einen persönlichen Ansprechpartner, den so genannten Fallmanager. Sie werden damit wesentlich intensiver betreut als bisher.“ (Bundesregierung, Pressemitteilung Nr. 518)

Alle Hilfen für den Arbeitslosen und seine ganze Familie – das „Arbeitslosengeld II“ (ALG-II), Hilfen für Wohnung, Kinderbetreuung, Trainingskurse, Aufwandsentschädigung für Bewerbungen etc. – kommen nach der Reform aus einer Hand; aus der Hand des Fallmanagers nämlich, des Ansprechpartners für die schweren Fälle. Er soll sich, anders als Arbeitsvermittler für gewöhnliche Arbeitslose, die mehrere hundert Fälle gleichzeitig bearbeiten, auf 75 beschränken, damit er seine Pappenheimer auch voll im Griff behalten kann. Er ermittelt den Beratungs- und Betreuungsbedarf und schließt mit dem formell immer noch zur Selbstbestimmung berechtigten, freien Bürger eine für beide Seiten verbindliche Eingliederungsvereinbarung ab, die bestimmt, welche Leistungen der Arbeitslose zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt erhält und welche Bemühungen er selbst unternehmen muss.(ebd.) Um die unterschriebenen Pflichten gegen den Unterzeichner durchzusetzen, hat sein Manager alle Mittel in der Hand: Den vollen Überblick über dessen finanzielle und familiäre Lage sowie die Gewährung und strafende Verweigerung aller Gelder, die ihm und seiner Familie unter verschiedenen Titeln gewährt werden. Mangelnden Einsatz bei der Jobsuche, Sich-gehen-lassen bei Arbeitseinsätzen und andere Formen des Bruchs der „Vereinbarung“ bestraft der Fallmanager mit einer Kürzung von zunächst 30% der Grundsicherung für Arbeitsuchende für 3 Monate, später mit ihrer kompletten Verweigerung. Wer in die Fänge eines Fallmanagers gerät, hat ohne jede eigene Kalkulation mit Aufwand und Ertrag seinen Willen zur Arbeit zu beweisen.

Gelegenheiten dazu gibt es deswegen freilich noch lange nicht. Deswegen tut der soziale Staat zweitens einiges dafür, um die Arbeitskraft seiner Langzeitarbeitslosen zum Sonderangebot für beschäftigungswillige Unternehmer zu machen:

„Arbeitgeber, die einen Arbeitslosen einstellen, können die bis zu zwölfmonatige Eingliederungsförderung (bei über 50jährigen 3 Jahre) in Höhe bis zu 50% des berücksichtigungsfähigen Arbeitsentgelts in Anspruch nehmen.“ (Agentur für Arbeit, Presse Info 010/2004)

Wenn sich Arbeitgeber finden, die auf der Grundlage dieses günstigen Probe-Abos zugreifen, ist es natürlich recht. Wenn die Unternehmen am Standort D aber durch den Gang ihrer Geschäfte keinen Bedarf nach mehr Arbeitskräften haben, dann lassen auch 50%ige Lohnrabatte einen solchen Zusatzbedarf nicht entstehen. Und damit rechnet auch die Reform-Regierung nicht ernsthaft.

Worauf sie mit ihrem Gesetz schon eher setzt, sind drittens Maßnahmen zur Förderung eines Niedriglohnsektors, der in wachsendem Umfang neben den großen Unternehmen entstehen soll. Die Langzeitarbeitslosen sollen – als Gelegenheitsarbeiter, Aushilfskräfte, Handlanger etc. – in Beschäftigungsverhältnisse hineinbugsiert werden, die gar nicht mehr darauf berechnet sind, einen Lebensunterhalt herzugeben. Das Gesetz sieht deswegen für diese Fälle Unterstützungsleistungen an die betreffenden Tagelöhner vor – sie sollen dort fließen, wo für einen Lohn gearbeitet wird, von dem auch nach Meinung des Fallmanagers definitiv niemand mehr leben kann:

„Zudem gibt es die Möglichkeit eines Einstiegsgeldes (Lohnzuschuss), wenn die Bezahlung nicht zur Deckung des Lebensunterhalts ausreicht. Der Fallmanager entscheidet, ob ein solches Einstiegsgeld bezahlt wird.“ (dpa, 12.10.)

Für all die erwerbsfähigen Hilfebezieher, bei denen die „Eingliederung in Arbeit“ so immer noch nicht gelingt, sollen viertens mit staatlichen Geldern Arbeitsgelegenheiten geschaffen werden:

„Um die erwerbsfähigen Hilfebezieher wieder einzugliedern, stehen 2005 insgesamt 6,35 Milliarden Euro zur Verfügung. Von dieser Summe werden auch die Zusatzjobs finanziert.“ (ZDF.de – Ein-Euro-Jobs, 11.10.)
„Dabei wird irrtümlich von Jobs gesprochen, denn die Arbeitsgelegenheiten müssen gemeinnützig sein. … Üblicherweise soll sechs Stunden täglich gearbeitet werden, wobei Arbeit in Schichten und am Wochenende je nach Bedarf ohne Zuschläge gefordert werden können. Durch die Arbeitsgelegenheiten im gemeinnützigen und zusätzlichen Bereich werden hauptsächlich zwei Ziele verfolgt: 1. Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit bzw. Wiedergewöhnung an regelmäßige Arbeit (strukturierter Tagesablauf) für Langzeitarbeitslose; 2. Integration in den regulären Arbeitsmarkt.“ (wikipedia/ Hartz)

Wer zu einem der berühmten Ein-Euro-Jobs vergattert wird, darf sich für gemeinnützige Aufgaben einsetzen, die der Staat im Zuge seines Sparens am Sozialen vernachlässigt. In Kindergärten und Altenheimen, in der Kranken-, Jugend- und Parkpflege fehlt es hinten und vorne an Personal, das nicht eingestellt wird, weil es regulär entlohnt werden müsste. Da können – im Wesentlichen – unbezahlte Sozialfälle einspringen und etwas für das Funktionieren der Sozialeinrichtungen tun. Geld kostet das die Arbeitsagentur schon. Sie bezahlt diesen Einrichtungen, sowie Bildungs- und Maßnahmeträgern, die Gelegenheits-Arbeitskräfte organisieren, überwachen und „bilden“, bis zu 500 Euro pro Monat und Fall. Von dieser Summe darf sich der Jobber bei 120 Arbeitsstunden pro Monat bis zu höchstens der Hälfte dazuverdienen. Dem Vorwurf, dass ein Stundenlohn von einem oder zwei Euro eine Schande und nackte Ausbeutung sei, treten die Reformer mit der Klarstellung entgegen, dass von Lohn sowieso nicht die Rede sein könne, und dass die Mehraufwandsentschädigung, die der Ein-Euro-Jobber bekommt, nicht am Lohn zu messen sei, den andere verdienen. Es gehe bei diesen Tätigkeiten nicht ums Verdienen, Job sei eine irreführende Bezeichnung. Arbeiten muss der Langzeitarbeitslose nämlich allein schon als Gegenleistung für ALG-II. Er kann froh sein, dass man ihm ein Taschengeld obendrauf gewährt – und hier einmal von der Regel abweicht, das Hinzuverdiente gleich wieder von seiner Sozialhilfe abzuziehen. Leute, denen solche Chancen geboten werden, dürfen nicht arm genannt werden. Wenn man, rechnen Sozialpolitiker vor, die 345 Euro ALG-II + 150 Euro Hinzuverdienst + Beihilfen zu Miete und Heizung + vom Sozialamt getragene Krankenkassen- und Rentenbeiträge zusammenzählt, kommt so ein dazuverdienender Dauerarbeitsloser auf etwa so viel Einkommen, wie vielen anderen bleibt, die 1000 Euro im Monat mit regulärer Arbeit verdienen. Man braucht eben nur einen Vergleich, damit man einen Vergleich hat.

Nicht so großzügig ist der Sozialstaat bei Betreuungsfällen, die es schaffen, etwas mehr Geld durch Tagelöhnerei und sonstiges Jobben an Land zu ziehen – und dazu ist jeder ALG-II-Bezieher nach seinen Möglichkeiten ja verpflichtet. Abhängig von der Höhe des Zuverdienstes darf der arbeitende Arbeitslose davon zwischen 15 und maximal 23,3 Prozent behalten. Der deutlich größere Rest wird auf das ALG-II angerechnet. Aus Sicht des Fallmanagers und seiner Sozialkasse ist daher auch ein Mini-Job von 400 Euro ein Erfolg: Dem ALG-II-Kunden bleiben von seinem Verdienst ganze 60 Euro; mit dem Rest entlastet er die Agentur für Arbeit um fast den gesamten Barbetrag seiner Unterstützung.

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Vom dick herausgestellten Ziel einer „Integration in den regulären Arbeitsmarkt“ bleibt nur das verlogene Ideal. An einen massenhaften Übergang aus öffentlich organisierten „Arbeitsgelegenheiten“ in reguläre Beschäftigung glaubt Wirtschaftsminister Clement selber nicht – allenfalls im Fall der Billigst-Versorgungskräfte für pflegebedürftige Alte sieht er da gewisse Chancen: Es wird angenommen, dass sich aus diesen Arbeitsgelegenheiten, vor allem im Pflegebereich, gute Anschlussperspektiven ergeben. In den kommenden Jahren wird hier ein hoher Arbeitskräftebedarf bestehen.

Das heißt aber auch: Nützlich fürs Wirtschaftswachstum in dem Sinn ist die Beschäftigung, für die der Staat da sorgt, nicht. Sie dient anderen Zwecken. Mit Ein-Euro- und Mini-Jobs wird zum einen der Posten Soziales im Bundeshaushalt gleich doppelt reduziert. Erstens senken ALG-II-Empfänger mit ihrer gering oder fast gar nicht entgoltenen Arbeit die Kosten der Pflegekasse und anderer Sozialinstitutionen, zweitens wandern die Euros, die sie verdienen, überwiegend in die Sozialkassen und entlasten deren Budget. So werden Leute noch nützlich gemacht, die für die Wirtschaft zu nichts mehr nütze sind: Sie arbeiten, um die Last, die ihr Unterhalt für das kapitalistische Gemeinwesen darstellt, zu reduzieren. Zum anderen dient ihre Beschäftigung dazu, ihrer eigenen Verwahrlosung entgegenzuwirken. Zwar bemühen Ziele wie „Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit“ und „Wiedergewöhnung an regelmäßige Arbeit“ ein ums andere Mal das alberne Ideal der Wiedereingliederung in die reguläre Lohnarbeit, für die eine möglichst nie unterbrochene Gewohnheit der Mühsal offenbar unverzichtbare Qualifikation ist. Aber wenn daraus nichts wird, bleibt von der Erziehung durch Arbeit eben das übrig: Die Arbeitslosen kriegen einen „strukturierten Tagesablauf“ verpasst. Der soziale Staat baut ihr trostloses Dasein als „erwerbsfähige Hilfsbedürftige“ zum kompletten Beruf aus. Er konsumiert ihre Zeit mit Arbeitspflichten, Motivationskursen und Behördengängen, so dass den Lumpen, die er voraussetzt und die er sich schafft, für Schwarzarbeit und krumme Touren weder Zeit noch Gelegenheit bleibt. Dafür bekommen sie einen starken Rückhalt, sich moralisch intakt zu halten. Minister Clement kann gar nicht oft genug betonen, dass die Langzeitarbeitslosen das

Gefühl bekommen müssen, auch zu etwas nütze zu sein und wenigstens einen Teil des Geldes, das sie bekommen, selbst verdient zu haben. Arbeit schafft die Verantwortung des Bürgers für sich selbst und das stolze Recht auf Teilhabe.