Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Der Papst in Kuba:
Ein Treffen von Moralaposteln – die „Frohe Botschaft“ schlägt ein

Was die Weltöffentlichkeit bei Castro als verlogene Anbiederei durchschaut – die Inszenierung des Papstbesuches als große Gemeinsamkeit zwischen Katholizismus und cubanischem Sozialismus im Namen der Moral –, beeindruckt sie beim Papst: die Demonstration der Unversöhnlichkeit seiner Moral mit der einer ‚schlechten‘ Herrschaft besticht, weil er als Abgesandter des erfolgreichen Systems unterwegs ist.

Aus der Zeitschrift

Der Papst in Kuba:
Ein Treffen von Moralaposteln – die „Frohe Botschaft“ schlägt ein

1. Der Papst landet in Kuba, um sein missionarisches Lebenswerk durch den Besuch des letzten von ihm noch nicht besuchten lateinamerikanischen Landes zu krönen. Die Weltöffentlichkeit schaut gespannt zu, denn jedermann weiß, daß es sich nicht um einen gewöhnlichen Papstbesuch handelt. Hier treffen der Oberpriester des Christentums und „der letzte kommunistische Staatslenker der westlichen Hemisphäre“, also Welten aufeinander. Da die so gar nicht zueinander passen, muß es wohl zu einem Schlagabtausch der Systemgegner, zu einem ideologischen „show down“ kommen. Wir halten zum Papst, das ist klar, und wir haben in diesem erfahrenen Polenkämpfer eine nicht schlechte Zersetzungswaffe, das ist auch klar:

„Ob Castro, der Kommunist, diese katholische Kontamination politisch überleben wird? Hat nicht Papst Johannes Paul II. schon einmal mit einer Reise – nach Polen – einen Anstoß gegeben, der zum Kollaps des Sowjetkommunismus führte?“ (SZ, 21.1.98)

Andererseits: Der Papst folgt einer Einladung Castros, und der heftet daran zweifelsohne eigene, entgegengesetzte Berechnungen. Die Anwesenheit des hohen Gastes soll seiner Reputation zugutekommen, Kuba die Sympathien der Welt zutragen, und beides zusammen soll den Stand Kubas in der Auseinandersetzung mit den USA, speziell gegen deren Boykott-Politik, verbessern.

Die Welt darf also gespannt sein – und am Ende sehr zufrieden.

2. Castro inszeniert den Besuch als eine große Gemeinsamkeit zwischen Katholizismus und kubanischem Sozialismus. Gleich am Anfang tritt er entschieden dem Verdacht entgegen, er könnte sich während der 5-tägigen Anwesenheit seines Gastes irgendwann zu einer kritischen Äußerung hinreißen lassen. Sogar in Castros labbriger sozialistischer Sicht der Kubanischen Geschichte, in der die Kirche über die Jahrhunderte hinweg immer im Verbund mit den Herrschenden, also wenig volksfreundlich auftrat, wäre das ja angelegt. Ausdrücklich nimmt er Einwände gegen die Kirche zurück, indem er im großen Buch der Geschichte die Seiten mit den „dunkelsten Kapiteln“ nur zu dem Zweck aufschlägt, sie gleich wieder zu schließen. Daß die Kirche zusammen mit den Konquistadoren ganz Lateinamerika verwüstete, daß sie in der Inquisition gegen jede Abweichung von ihren Dogmen mit dem Scheiterhaufen argumentierte – alles vergeben und vergessen. Die Kirche ist nicht so, und der Kritiker ihrer Verfehlungen ist soeben eingetroffen: Castro lobt den Papst als denjenigen, der sich zu diesen Jugendsünden bekannt, die Kirche davon also auch gereinigt hat.

Zweitens hält der kubanische Staatschef sein Volk an, den Besucher mit dem gebührenden Anstand zu begrüßen und seinen Ansprachen, auch wenn sie es hinsichtlich der Länge mit den seinigen nicht aufnehmen zu können, aufmerksam zuzuhören. Da der Papst nicht nach Feierabend predigt, wird freigegeben. Das Volk nimmt sich die Aufforderung des „jefe“ zu Herzen, kämmt sich die Haare, betrachtet freundlich das Papamobil und sorgt für eindrucksvoll gefüllte Messeplätze.

Drittens stellt Castro mit großem Pathos heraus, was für einen großen Idealisten er mit dem Papst vor sich hat. Dem möchte er unbedingt das Wasser reichen:

„Könnte man nicht an ein Treffen zweier Engel denken, die zumindest in der Verteidigung der Armen übereinstimmen?“ (Alle nicht ausgewiesenen Zitate aus Castros Begrüßungsrede)

Der Papst als Verteidiger der Armen – darauf muß man erst mal kommen. Aber es geht: Auch wenn Gott auf Strafen nicht verzichten kann und es Sündern nicht zusteht, sich über selbstverschuldetes Elend zu beschweren, so ist der Gott des Papstes doch auch ein liebender Gott, den das Elend im irdischen Jammertal dauert; der darum den Elenden als irdischen Abschlag Trost durch die Kirche zukommen läßt und am Schluß Manna und Erlösung auszahlt, wobei gerechterweise die Letzten die Ersten sein werden. Der Papst hat schon viele Slumgegenden besucht und noch nie behauptet, die Leute hätten es gut getroffen; ganz im Gegenteil hält auch er das manchmal für sozial ungerecht und verspricht, sich darum zu kümmern. Wie man in der Zwischenzeit richtig wartet, hat er außerdem erläutert: Von Nächstenliebe ist viel die Rede in seinen Predigten, noch hat kein einziger Reicher durch ein Nadelöhr gepaßt, und Wohltätigkeit hält der Papst für eine bedeutende Christenpflicht.

Souverän setzt sich Castro über den reaktionären Inhalt der päpstlichen Botschaft hinweg und verhimmelt sie zu einem gemeinsamen idealistischen Auftrag: Gute Herrschaft soll sein, eine Herrschaft, die sich der Fürsorge für die Armen verschreibt. Gute Menschen, die sie beide sind, Engel eben, treten sie mit dieser Botschaft einer Welt gegenüber, die sich den Armen gegenüber indifferent verhält, und in seiner Überschwenglichkeit geht Castro sogar so weit, den Papst zu einem Kritiker des Kapitalismus zu ernennen:

„Die Kritik, die der Papst nach 1989 an neoliberalistischer Globalisierung und an den Schrecknissen eines ‚wilden Kapitalismus‘ geübt hat, findet in Havanna seit langem Beifall.“ (SZ, 21.1.)

40 Jahre lang hat sich der kubanische Sozialismus die Feindschaft der Freien Welt zugezogen, weil er Armut nicht betreuen wollte, sondern die Verhältnisse beseitigen, aus denen heraus sie entsteht; 40 Jahre lang warf dieser Sozialismus dem Kapitalismus Volksfeindlichkeit vor, die aus der Produktionsweise entstehen müsse, und er kritisierte ihn praktisch. Davon will Castro jetzt nichts mehr wissen, wenn er seinem Besuch versichert, das Christentum habe zehn Mal mehr Übereinstimmung mit dem Kommunismus als mit dem Kapitalismus. (SZ, 21.1.) Na klar, auf der Ebene der hohen Werte, da, wo moralisch anspruchsvolle Menschen weniger moralische Menschen kritisieren und von ihnen einen guten Lebenswandel verlangen, da, wo diese Kritik jede Kritik an der Produktionsweise ersetzt und der gute Wille Berge versetzt, da ist diese „Übereinstimmung“ billig zu haben:

„Wir brauchen den Papst nicht zu fürchten, er ficht für die gleichen Werte wie wir… Der Papst denkt an die Armen, auch die Regierung denkt in gleicher Weise und kämpft dafür.“ (SZ, 24./25.1.)

Ein Modell für die Umsetzung „gleicher Werte“, das also ist der kubanische Sozialismus. Mit dieser Aussage will Castro sich vom feindseligen Verdacht der Systemgegnerschaft befreien – die Eigenheiten der kubanischen Produktionsweise sollen anerkannt werden als Ausfluß seiner hohen Moral, die „sozialistischen Errungenschaften“ stehen für gelungene Herrschaft. Als Beweis preist Castro sein Volk an:

„Was können wir Ihnen in Kuba anbieten? Leute, die weniger Ungleichheit ausgesetzt sind, und eine geringere Zahl von hilflosen Bürgern, weniger Kinder ohne Schule, weniger Patienten ohne Krankenhäuser und mehr Lehrer und Ärzte pro Kopf als in jedem anderen Land der Welt, das vom Heiligen Vater besucht wurde.“
„Kein Land wird sich finden lassen, das besser in der Lage ist, Ihre wunderbare Idee zu verstehen, daß sich eine solche Verteilung von Gesundheit und Solidarität zwischen Menschen und Völkern auf dem Globus ausbreiten sollte.“

Da kann es den Papst doch nicht kaltlassen, wenn dieses Volk zum Opfer des unmoralischen Treibens der mächtigsten Macht der Geschichte wird:

„Völkermord wird wieder versucht durch Hunger, Krankheit und totale ökonomische Erstickung – man versucht, dieses Volk zu unterdrücken, das es ablehnt, die Diktate und Regeln der mächtigsten ökonomischen, politischen und militärischen Macht der Geschichte zu akzeptieren, einer weit mächtigeren als das alte Rom.“

Ein letzter Appell an den Papst: Er, den Castro zum Parteigänger der Opfer dieser Welt ernannt hat, muß dann auch Partei gegen die „Macht“ ergreifen, die Kuba zum Opfer macht.

3. Da ist Castro an den Richtigen geraten: an einen, der den Spieß umzudrehen versteht und seinem Anliegen eine vernichtende Abfuhr erteilt. Dafür ist es als erstes notwendig, dem Besuch den Charakter einer Anerkennung der kubanischen Herrschaft zu nehmen. Deswegen teilt der Papst gleich nach seiner Ankunft mit, daß er zwar einer Einladung Castros folgt, aber gar nicht ihn besucht. Vielmehr kommt er als Pastor, besucht also das kubanische Volk, das so lange auf seinen Hirten hat warten müssen. Der Papst hält nicht hinter dem Berg, sondern verkündet offenherzig seine „Hoffnung auf einen Polen-Effekt“ – er will dem falschen Hirten sein Volk bestreiten.

Was die Frage des US-Embargos angeht, so fällt es ihm nicht schwer, sich dazu – eben im Namen des Volkes – kritisch zu äußern. Zweifelsohne leidet das Volk darunter, was aber nur ein Licht darauf wirft, in welches Elend es mit seinen „sozialistischen Errungenschaften“ geraten ist – es ist Opfer seines Staates. Der läßt sein Volk leiden, auch ganz ohne Embargo, und der Verweis auf unmoralischen Druck von außen ist eine – entlarvende – Ausrede:

„Er nannte das Embargo nur als letztes in einer Reihe von Gründen für die nach seiner Meinung auf Kuba herrschende materielle und moralische Armut… und er nannte vorher die ‚ungerechten Ungleichheiten und Beschränkung der fundamentalen Freiheiten, die Entpersönlichung und Mutlosigkeit der Menschen‘“. (SZ, 27.1.)

„Materielle und moralische Armut“, auf diese Kombination wollte Castro auch irgendwie hinaus, um sein Volk als den gelungenen Beweis der Überwindung von beidem zu präsentieren. Ganz im Gegenteil, sagt der Papst: Präsentiert werden ihm die „Ideale der Revolution“ – und das ist nichts als ein Kanon falscher, materialistischer Verheißungen, der die „fundamentalen Freiheiten beschränkt“ und zwangsläufig zu „ungerechten Ungleichheiten“ führt. Das Volk ist „entpersönlicht“ und „mutlos“, weil es dem falschen System unterliegt, und die von Castro reklamierte Einheit von Volk und Staat ist in Wirklichkeit eine ideologische Vertuschung der Unterdrückung. Den Versuch Castros, aus der Systemfrage herauszuspringen und sich mit dem Papst auf der Ebene der höheren Werte zu treffen, kontert der mit einer kleinen Lektion in Sachen „materielle Not“: Die liegt ihm immer dann sehr am Herzen, wenn er sie als Beweis für die Unmoral der Herrschaft gebrauchen kann. Ein Volk ohne „fundamentale Freiheiten“, also der moralischen Verarmung ausgesetzt – da ist Elend die unabdingbare Folge. Das hätte sich Castro wohl nicht träumen lassen, daß man ihm „ungerechte Ungleichheiten“ unter die Nase reibt, und das vor seinem Volk. Souverän ignorierend, daß diese „Ungleichheiten“ sich im Gefolge von Dollar und Eigentum in Kuba ausbreiten, erklärt der Papst sie zum üblen Werk des kubanischen Staates, der sie allein zu verantworten habe. Ebenso infam der Hinweis auf „Entbehrungen aufgrund der Wirtschaftskrise“, auf „Mangelerscheinungen aus ideologischen Gründen“ (Erzbischof Ortega), eine Beschuldigung, die Folgen der Zersetzung des Systems dem anlastet, der das System wie auch immer retten will und gegen diese Folgen ankämpft. 5 Tage lang läßt der Papst an den „sozialistischen Errungenschaften“ kein gutes Haar und kehrt sie gegen den, der sich damit anbiedern wollte. 5 Tage lang kann er unwidersprochen den Kubanern erklären, warum ihr Staat sich das Gütesiegel der guten Herrschaft ganz zu Unrecht anmaßt – und Castro tut alles dafür, daß sein Volk den Gast als eine Autorität ansieht. Diese Autorität übt ihre moralische Oberhoheit über die christlichen Kubaner bzw. den Christen im Kubaner aus, lobt und ermahnt: Einerseits handelt es sich um ein gutes Volk, das es nicht verdient hat, einer solchen Herrschaft dienen zu müssen. Möge sich Kuba – mit all seinem herrlichen Potential – der Welt öffnen und möge die Welt sich Kuba öffnen – der zweite Teil ist mit seiner Ankunft geschehen, am ersten Teil fehlt es noch entschieden, das „Potential“ ist eingesperrt und kann sich nicht entfalten. Dafür muß das „Potential“ aber, andererseits, noch einiges tun, sich aus seiner „moralischen Armut“ befreien. Von Eigentum, Geld und Kapital spricht der geistliche Hüter nicht, dafür um so mehr von den Werten, an denen es Kuba allen gegenteiligen Beteuerungen seines Staatschefs zum Trotz mangelt, denen die demokratische Welt verpflichtet ist und die der Papst implantieren will.

Es mangelt Kuba am höchsten Wert überhaupt, nämlich an dem der „Erhaltung von Leben“ – dem ungeborenen. Ganz richtig stellt der Papst diesen Wert ins „Zentrum seiner Botschaft“, denn hier schließen sich christlicher Fundamentalismus und Systemkritik, seine Mission und sein weltlicher Auftrag zusammen. Der Papst sagt nicht gerade, daß die kubanische Familie ein Hort der Unzucht ist, aber zu beklagen ist ein systematischer Mangel an Ehrfurcht vor „dem Leben“. Die kubanische Familie hat vom Herzensanliegen des Papstes, dem Totalverbot der Abtreibung, noch nicht viel gehört. Sie hat sich gegen diese vom Staat eingerichtete Unmoral nicht gewehrt, sich ihrer vielmehr, nicht belehrt über das Glück des Kindersegens, ausgiebig bedient. Auch der höhere Zweck der Ehe ist ihr nicht bekanntgemacht worden, was sie zur schnellen Auflösung aus niederen Motiven verleitete. Die Ehe ist heilig und unauflöslich, das Christentum kennt eine klar umrissene Rolle der Frau, Kinder, „das Leben“, sind ein Geschenk Gottes – all das gilt in Kuba nicht. Der Hirte redet seinen Schäfchen ins Gewissen und er zielt damit direkt auf den Staat. Und zwar in einem Punkt, der auch für diesen zentral ist: Wenn der Papst die Unterordnung der Familie unter die Prinzipien christlicher Lebensführung fordert; wenn er vom Staat verlangt, diesem Ansinnen bedeutend größeren Raum als früher zu gewähren; wenn er das konsequent überführt in das Verlangen, die Kirche müsse offiziell im Erziehungswesen mitmischen dürfen, dann will er gerade in der „Sphäre des Privaten“ die Gegenherrschaft der Kirche etablieren. Die Unterordnung der kubanischen Familie unter materielle Bedürfnisse ist „Unfreiheit“, denn nur das Wirken Jesu sorgt dafür, daß die „Jagd nach materiellen Gütern“ vom „Reich der Freiheit“ abgelöst wird. Familie soll „Keimzelle“ sein, nämlich der Zerstörung der gesellschaftlichen Organisation Kubas; soll als ein Hort anti-sozialistischer Ideologien in die unmittelbar praktischen Dinge des Alltagslebens eingreifen und in die großen des Staatslebens. In unseren aufgeklärten Demokratien ist „christliche Lebensführung“ ein vom Staat zwar geschätzter, aber nicht verabsolutierter Bestandteil der öffentlichen Moral; Ehe und Familie sind staatlich genauestens reguliert, die christliche Sinngebung kann dazutreten, ist aber fürs Funktionieren nicht notwendig. In Kuba stellt der Papst aber seine Moral gegen die in den gesellschaftlichen Institutionen geronnene sozialistische Moral, die er damit zur Unmoral erklärt, und agitiert seine Schäfchen in einen Gewissenszwiespalt hinein. In dem sollen sie sich für die richtigen Werte entscheiden – für die christliche Idylle von Kinderaufzucht, Ehe, in Armut und Anstand abgewickelter häuslicher Gemeinschaft – und gegen die Ordnung, mit der der kubanische Staat das gesellschaftliche Leben seiner Bürger bislang regierte. Mit der neuen Autorität im Rücken weiß ein christlicher Kubaner dann auch, wie er mit diesem Gewissenszwiespalt – den er früher eher im inneren Exil mit sich abmachte – umzugehen hat: Er traut sich ab sofort einiges an Frechheit und sieht sich berechtigt dazu.

Da hat der Papst einiges an Langzeitwirkung gesät, eine erste Ernte will er aber schnell sehen. Er überreicht Castro eine Liste mit Namen von „politischen Gefangenen“ und verlangt deren Freilassung. Castro mag zwar ihm die Inquisition vergeben haben, er vergibt aber Castro nicht, daß der im Rahmen seiner Gesellschaftsordnung und für sie Recht ausübt. Wenn das in Freiheitsstrafen mündet, ist das umstandslos dasselbe wie die am System angeprangerte „Unfreiheit“. Der Papst – nicht gerade bekannt als Gegner des Aburteilens und Einsperrens und auch sehr selektiv bei der Beurteilung, wann das „Recht auf Leben“ über der Todesstrafe steht – kennt überhaupt nur ein System, das zur Rechtsprechung befugt ist. Solange Castro das nicht bedingungslos anerkennt, verstößt er gegen alle Grundsätze geregelten menschlichen Zusammenlebens, verbreitet „Haß, Rache, Opfer“:

„Die Revolution von Christus ist die der Liebe, die andere ist die des Hasses, der Rache, der Opfer.“ (El País, 22.1.)

4. In Kuba herrscht Not. Selbstverschuldet, sagt der Papst. Den Moraltiteln der Herrschaft setzt er die seinigen entgegen. Er entlarvt die realsozialistische Einheit von Führung und Volk als schlechte Herrschaft. Auf Castros Angebot der moralischen Übereinstimmung setzt er seine Unversöhnlichkeit. Wäre er nicht Abgesandter eines überlegenen Systems, würde das niemanden beeindrucken – so aber spricht die Not Kubas, dessen Unterlegenheit, für ihn. Käme der Papst nur als einfacher Diener Gottes mit seiner „Botschaft der Liebe“ vorbei, würde ihm zwar nicht derselbe feindselige Empfang bereitet wie beispielsweise dem guten Fidelis von Sigmaringen – der von calvinistischen Bauern erschlagen wurde und dem Fidel seinen Namen verdankt, wie er stolz mitteilte –, aber gehört hätte kaum keiner auf ihn. Nicht einmal als Papst hätte er besonderen Erfolg, wäre er nicht unterwegs als ideologische Waffe des erfolgreichen Systems. So tut er sich leicht, mit der ganzen Selbstgefälligkeit, derer ein Christenmensch fähig ist, das Verhältnis von Erfolg und Moral auf den Kopf zu stellen. Dem hat Fidel Castro nicht nur nichts entgegenzusetzen, er hat obendrein dafür gesorgt, daß ab sofort seinen Kubanern als respektabler Standpunkt die systemkritische Interpretation geläufig ist, ihre Not ließe sich auf das Fehlen von Demokratie und Christentum zurückführen. Das haben sich die demokratischen Medien, die Kirche und der ‚jefe‘ einiges kosten lassen.

P.S. Von wem stammt die Aussage: Die Religion wird sehr wachsen auf Kuba. Sie ist dabei, die ganze Welt zu verändern?