Oklahoma: Eine Bombe für die Nation

Der Bombenanschlag eines „amerikanischen Patrioten“ auf ein Regierungsgebäude in den USA und seine staatsdienliche Bewältigung.

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Oklahoma: Eine Bombe für die Nation

Ein Anschlag mitten in den USA, im, wie es so schön heißt, „peaceful heartland“ von Amerika; ein Anschlag, der keine Feinde der amerikanischen Nation traf, sondern rechtschaffene amerikanische Bürger; keine CIA-Operation gegen Ghaddafi, kein Militärschlag gegen Saddam, keine Ordnungsaktion der Marines gegen somalische Banden; Gewalt, die nicht vom amerikanischen Staat ausging, sondern gegen ihn gerichtet war. Entsprechend groß war die Aufregung des nationalen Gemüts, das zielsicher zu unterscheiden weiß, wann ihm tote „Frauen und Kinder“ einleuchten und wann es auf allen Kanälen seine maßlose Betroffenheit über einen „hinterhältigen, feigen Anschlag“ bekundet. Amerika zeigte sich doppelt betroffen: voller gerechter Empörung über den Angriff auf den amerikanischen Staat; und voller ehrlichem Entsetzen über Herkunft und Charakter der Täter.

„Ein Anschlag auf Amerika“

So tönt der Präsident, und die ganze Nation tönt mit. Das Schlimme am Anschlag sind nicht die Toten, sondern die staatsfeindliche Bedeutung der Tat. Das eigentlich angegriffene Subjekt ist die amerikanische Staatsgewalt in ihrer ganzen Macht und Herrlichkeit; so war die Tat gemeint, und so wird sie auch genommen. Zwar war nicht einmal die lokale Polizeigewalt auch nur eine Minute lang außer Gefecht gesetzt, aber darum geht es auch nicht. Das verletzte Gut ist auf der höheren Ebene staatlicher Prinzipien angesiedelt, dort, wo Nationen umso empfindlicher reagieren, je mächtiger sie sind. Der in der Bombe praktisch werdende Wille zur Gegnerschaft gegen die USA stellt die Nation bloß und beleidigt sie: Die fraglose Anerkennung ihrer Hoheit, der unbedingte Respekt gegenüber der legitimen Staatsgewalt ist verletzt und die staatliche Gewalt blamiert, wenn sich mitten auf ihrem Territorium Staatsfeinde herumtreiben, die sich ihrer unbedingten Kontrolle entziehen.[1] Nach dieser Sichtweise offenbart Oklahoma weniger den Fahndungs- und Zuschlagperfektionismus des FBI – obwohl auch der schwer gelobt wird –, sondern ganz im Gegenteil eine „Schwäche Amerikas“. „Feinde“ sind ins Herz der Nation vorgedrungen und haben bewirkt, was selbst die Russen niemals vermocht haben; Ein „Ohnmachtsgefühl“, so hört man, hat die Nation angesichts dieser Untat ergriffen; ihre „Selbstsicherheit“ ist erschüttert, ihr Bewußtsein, ein unangreifbarer Hort von Sicherheit und Frieden ihrer Bürger zu sein, aufs Tiefste verletzt.

Dieses idyllische Bild des US-amerikanischen Alltags vor und ohne „Terrorismus“ mag distanzierteren Zeitgenossen zurecht ziemlich wahnhaft vorkommen. Die Amis dagegen wissen ganz genau, welche Sorte Gewalt als „normal“ gelten darf und angesichts welcher „Untaten“ kollektive Hysterie angesagt ist[2]: Dann nämlich, wenn Leute in ihrer Eigenschaft als Amerikaner Opfer von Gewalt werden. Dieses Kriterium erfüllen die Toten von Oklahoma in geradezu mustergültiger Weise. Sie sind als Repräsentanten der Nation, als deren Stellvertreter gestorben; und das auch noch – das adelt sie vom Standpunkt der nationalen Moral ganz besonders – in ihrer Eigenschaft als „ganz normale Bürger“. Als solche stinknormalen Nationalfähnchen avancieren sie zu perfekten Symbolfiguren für die Verwerflichkeit des hier begangenen Verbrechens. Ihr Tod beweist, daß jeder Angriff auf den US-Staat zugleich ein Angriff auf das ganze amerikanische Volk ist. Das darf dann gemeinsam mit seiner Herrschaft seine Betroffenheit von diesem Gewaltakt als nationale Feier- und Erhebungsstunde zelebrieren.[3]

Und darf nach Rache schreien! Denn die Betroffenheit über die „Ohnmacht“ des Staates mündet umstandslos in einen einzigen Aufschrei nach der Macht des Staates, der sein Recht auf Unverletzlichkeit verteidigen, die „Herausforderung“ annehmen und mit seiner überlegenen Gewalt beantworten soll. So ist die „ohnmächtige Wut“ gemeint und so sind sich Amerika oben und unten einig: Die Feinde Amerikas gehören bestraft. Das nationale Ahndungsbedürfnis entspricht der Schwere des Verbrechens. Erstens hinsichtlich der Richtung, in der es tätig wird. Die Feinde Amerikas kennt nämlich jedes Schulkind; es sind arabische Terroristen, moslemische Fundamentalisten, unterstützt und befördert durch feindliche Staaten, die dem amerikanischen Recht und amerikanischer Freiheit im Wege stehen. Zwar weiß keiner so recht zu sagen, warum die ausgerechnet in Oklahoma zugeschlagen haben sollten, aber das ist letztlich auch egal. Klar ist nämlich zweitens sofort, was gegen diesen „feigen Anschlag“ zu tun ist. Clinton verspricht seinem Volk hochoffiziell und vor jeder Gerichtsverhandlung die restlose Vernichtung der Täter: Keine geringere Strafe als deren physische Auslöschung kann dem Rachebedürfnis der verletzten nationalen Ehre entsprechen. In Redaktionsstuben werden Pläne zur Bombardierung des Iran und anderer Horte des Terrorismus geschmiedet, „Frauen und Kinder“ ausdrücklich inklusive. Ein paar Libanesen werden vorsorglich verhaftet; amerikanische Nachbarn bestätigen, diese schon immer „verdächtig“ gefunden zu haben. So beurteilt und zurechtdefiniert, paßt die Oklahoma-Bombe bestens in das gültige amerikanische Weltbild. Die Nation sieht sich umringt von einer Welt von Staaten, die ihr Böses wollen und gegen die sie sich verteidigen muß. Wie schlimm diese Lage ist, sieht man daran, daß sie sogar schon in Amerika ihr Unwesen treiben. Daß es sich bei den „Feinden Amerikas“ nicht um Staaten mit gegenläufigen Interessen, sondern um Un-Rechts-, also „Terrorregimes“ handelt, versteht sich seitens der Macht, die ihr Interesse als für die ganze Staatenwelt gültige Verhaltensnorm definiert, von selbst. Das Recht, gegen solche Staaten zuzuschlagen, spricht sich die US-Politik ohnehin zu; dafür benötigt sie keine qua Bombe produzierte „Betroffenheit“ im eigenen Land, auf die sie erst zu reagieren hätte. Umgekehrt: Weil die Nation die Weltlage ohnehin so sieht und die Aktivitäten der restlichen Staatenwelt, von der Steuerpolitik bis hin zur Atomwaffenfrage, längst schon dem Verdacht subsumiert hat, nur „unamerikanische Aktivitäten“ im Sinn zu haben, ist es ist ihr ein Leichtes, Oklahoma auf das gleiche Konto zu buchen. So taugt die Bombe als Bestätigung und Ermunterung für den aktuellen Kurs der Politik, der der heißt: Amerika kann sich der Bedrohung seines Rechts und seiner Freiheit nur erwehren, wenn es gegen seine Feinde härter und energischer zuschlägt.

Es waren die Falschen!

So wäre die Welt für jeden guten Ami in kürzester Zeit wieder in Ordnung gewesen, hätte sich nicht herausgestellt: Die Araber waren es gar nicht. Es waren echte Amerikaner.[4] Wie das? fragt sich die Nation, und ist jetzt erst richtig schockiert. In diesem Sinne erforscht der Blätterwald die „Hintergründe“. Dabei erfährt man dann so allerhand darüber, wie es im friedlichen amerikanischen Alltag immer schon zugeht.

Die Täter, so ist zu lesen, entstammen einem überall in der amerikanischen Provinz verbreiteten „Milieu“, aus dem Umfeld „paramilitärischer Milizen“ und „Waffennarren“ mit „rechtsradikalem Gedankengut“. Das, so plaudert die Presse offenherzig aus, kennzeichnet sie allerdings keineswegs als „unamerikanisch“, im Gegenteil. Daß es solche bewaffneten Banden nicht nur gibt, sondern auch rechtmäßig geben darf, ergibt sich schließlich aus dem geschätzten Vorrecht des freien Amerikaners auf Waffenbesitz, das er sich von einem Haufen Liberaler in Washington nicht wegnehmen läßt. Dieses Recht übt der gute Ami anerkanntermaßen nicht nur zu seinem Privatvergnügen aus: Bürgerwehren, die den örtlichen Sheriff ergänzen und teilweise ersetzen, sind in den USA normal. Die Frage, wer für die Aufrechterhaltung und Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols zuständig ist, sieht der US-Staat nicht so eng, wie man es vom Staat hierzulande gewohnt ist. Eine eindeutige Unterscheidung zwischen staatlich beauftragten, waffentragenden Amtspersonen und prinzipiell waffenlosen Privatpersonen hält er nicht für nötig und nimmt sie auch nicht vor; und er überläßt sogar dem Rechts- und Ordnungsfanatismus seiner freien Bürger vor Ort in Teilen die Entscheidung darüber, was als Recht durchgesetzt wird und wer für dessen Exekution sorgen darf und soll. Seine Bürger danken es ihm, indem sie sich als die entsprechend rechtschaffenen Wächter des inneren Friedens aufführen, weshalb der Übergang von der eigentlichen zur Lynch-Justiz je nach den örtlichen Umständen mehr oder minder fließend ist. Daß sich solche Milizen auch dafür zuständig fühlen, nicht bloß gegen Schwarze und andere Elemente für Ordnung zu sorgen, sondern als „Heimwehr“ im Zweifelsfall die Nation gegen ihre Feinde zu verteidigen, versteht sich. Der aufgeklärte Ami findet es denn auch bestenfalls etwas absonderlich, daß seine Mitpatrioten dafür Waffen aufhäufen und ihre Wochenenden mit privaten Wehrübungen verbringen – „Waffennarren“, eben. Aber andererseits: Man kann ja nie wissen, wozu das mal gut sein könnte.

– Das gute Amerika

Die honorigen Bürger, die sich vor Ort zur waffenstarrenden Bande organisieren, begreifen sich als Inbegriff und Personifikation dessen, was „Amerika“ ausmacht, als die eigentlichen Subjekte des nationalen Wollens, und die Staatsgewalt als dessen ausführendes Organ. Die andere Seite dieses Selbstbewußtseins, selber Moral und Recht des Gemeinwesens zu repräsentieren, ist ein, wie man liest, „tiefverwurzeltes“ Mißtrauen gegen die Zentralgewalt, die als Teil des amerikanischen Nationalcharakters allgemein Anerkennung genießt. „Washington“ begegnet der Ami vor Ort mit dem zur Gewohnheit verfestigten Verdacht, von seinem aus der Hand der Bürger entgegengenommenen Auftrag abzuweichen und sich stattdessen mit sachfremden Erwägungen in deren Rechte einzumischen. Verdächtig macht sich die Zentralgewalt bei ihren örtlichen Auftraggebern schon dadurch, daß sie dem guten Amerikaner soviel Steuern abzockt; und das gilt erst recht, wenn sie ihm auch noch die Pflicht schuldig bleibt, die Nation reicher und mächtiger zu machen. Da liegt der Schluß nahe, daß das Geld an die Falschen verschleudert wird oder in dunklen Kanälen verschwindet. Allerherzlichste Feindschaft kommt aber auf, wenn „die in Washington“ die natürliche Hierarchie angreifen, die die Bewohner von god’s own country in Erfolgreiche und Minderwertige scheidet. So haben gute weiße Amis nie recht eingesehen, warum Niggerkinder überhaupt und dann auch noch mit ihren Kindern zusammen zur Schule gehen sollen; entsprechend bekamen Klu Klux Klan und John-Birch-Society Auftrieb, als der Zentralstaat unter Einsatz der Nationalgarde für die Durchsetzung dieses Programms vor Ort sorgte. Daß es sich bei dem, was diese Vereine predigen und verfolgen, um „rechtsradikales Gedankengut“ handelt, wäre ansonsten niemandem besonders aufgefallen; beide Vereine erfreuen sich ja auch weiterhin bester Gesundheit. Der Standpunkt, daß in Rassenfragen vor Ort nicht alles so praktiziert werden kann, wie es die Zentralgewalt gesetzlich vorsieht, ist im übrigen keineswegs deren Spezialität, sondern Polizeialltag. Und die gewalttätigen Übergriffe und Morddrohungen, die sich örtliche Farmer derzeit gegenüber Beamten der nationalen Forstverwaltung leisten, weil sie nicht einsehen, wieso Naturschutz wichtiger sein soll als Viehzucht, fallen in den USA keineswegs unter den Titel „Terrorismus“, sondern gelten als zwar zu unterbindende, aber letztlich bloß überzogene Form, ein berechtigtes Interesse geltend zu machen. Was schließlich den Klu-Klux-Klan und die aufmüpfigen Farmer mit allen anderen patriotischen Bürgern vorbehaltlos eint, ist die Begeisterung für alles, was die Machthaber in Washington zur Bekämpfung der Feinde Amerikas unternehmen, sowie die Überzeugung, daß die da oben mit unamerikanischen Elementen immer viel zu lasch umgehen. „Rechtsradikal“ ist daran jedenfalls nichts.

– Fans der konservativen Wende

Dem Staat sind seine Bürger so gerade recht. Unter dem schönen Titel „Gemeinsinn“ schätzen und fördern amerikanische Politiker das tätige Patriotentum vor Ort, berufen sich gerne auf das Mißtrauen gegenüber „Washington“, um sich und ihr jeweiliges Programm als den wahren Volkswillen darzustellen, und versprechen, nach außen machtvoll und energisch aufzutreten. Daß dabei häßliche Töne gegenüber der gerade im Amt befindlichen Regierung fallen müssen, ergibt sich schon aus den Notwendigkeiten des Wahlkampfs: Der verlangt, den Gegner als amoralischen Verräter an amerikanischen Werten darzustellen, damit man selbst als sittenstrenger, nationalbewußter Politiker gewählt wird. Ganz in diesem Sinne darf die Patriotenmannschaft vor Ort seit ein paar Jahren Schreckliches erfahren, die Lage der Nation und die Verbrechen Washingtons betreffend. Woran leidet Amerika, was sind nach offizieller, mit Kongreßmehrheit vertretener Auffassung die Gründe für deren allseits beklagten „Niedergang“? Die Regierung verschleudert das Geld der Steuerzahler an Schmarotzer und verschenkt es an die Wallstreet, baut zuwenig Gefängnisse, macht zuviele Schulden, hievt Neger in Ämter, in die sie nicht gehören, gibt gegenüber den Feinden der Nation klein bei, überantwortet die Militärmacht der UNO, statt sie energisch zur Durchsetzung amerikanischer Interessen einzusetzen. Kurz: Statt dem amerikanischen Volk nationale Macht, Reichtum und Ordnung zu bescheren, befördert die Regierung Verarmung, Sittenlosigkeit und allgemeine Mißachtung des Rechts – so die gültige Diagnose der amtlichen Schandtaten. Und wer sind anerkanntermaßen die Opfer dieser Politik? Die guten Amerikaner, die, die die Nation tragen und von „Washington“ auf unerträgliche Weise beschränkt werden.

Mit diesem von der Zentralgewalt unterdrückten und ausgeplünderten „tax payer“, dem Inbegriff des Patrioten, der sein Recht auf ein starkes Amerika nach innen und außen einklagt, haben Gingrich und Co. ihren „pact with America“ geschlossen und deren Wut auf „Washington“ damit ausdrücklich ins Recht gesetzt. Sie haben den Notstand der Nation ausgerufen und die Amerikaner zur fundamentalistischen Kritik an allem und jedem aufgerufen, was am nationalen Leben verderbt und amoralisch ist, die Clinton-Administration, diese „Herrschaft der Linken“, ausdrücklich eingeschlossen. So über die Lage ihres geliebten Vaterlandes belehrt und über Unfähigkeit und Unwillen der Zentrale zur Durchsetzung des guten Amerika erbittert, haben Patrioten in Oklahoma gehandelt – und man kann nicht sagen, daß sie ihre Führer in der Sache groß mißverstanden haben. Diese wildgewordenen Amis haben bloß ein bißchen zu gut auf das gehört, was ihnen ihre Führer in die Ohren blasen; und sie haben die Botschaft in eine Richtung praktisch verlängert, die von den Republikanern nun wirklich nicht beabsichtigt war. Dem von oben verkündeten Sittengemälde einer Regierungspolitik, die „America“ nicht dient, sondern es verkommen läßt, mußten sie nur einen „Schluß“ hinzufügen, und auch der ist dem amerikanischen Rassismus längst immanent. Diejenigen, die so etwas anordnen und zu verantworten haben, sind – das hat Jesse Helms gesagt! – Verräter an Amerika; also können sie keine Amerikaner sein.[5] Wenn unter dem Kommando der UNO Amerikas Ehre schmählich beschädigt wird – beweist das nicht, daß nicht fähige Vertreter amerikanischer Weltmachtverantwortung, sondern längst die amerikafeindliche UNO selbst das Kommando in Washington führt? Clinton hat versucht, dem freien Amerikaner das Waffentragen zu verbieten; das FBI richtet in Wacoo ein Blutbad an, um einem religiösen Bürgerverein die Steuerpflicht aufzuzwingen und ihre Waffen wegzunehmen.[6] Wem sonst könnte so etwas einfallen als Politikern, die die Wehrhaftigkeit der Nation untergraben wollen; und wer sonst könnte eine solche Schädigung Amerikas wollen als Agenten einer feindlichen Macht? Die offensichtlichen ausländischen Nutznießer amerikanischer Schwäche müssen auch die Drahtzieher sein, denen un-nationale Politiker in die Hände spielen. Und die Wallstreet, die laut republikanischer Auffassung amerikanisches Geld verspekuliert und sich dann von einer willfährigen Regierung auszahlen läßt – muß die nicht von amerikafeindlichen Subjekten beherrscht sein? Wenn die Führer der Nation sich dem Auftrag verweigern, den Bürgern ihr Recht auf ein wahrhaft mächtiges und souveränes Amerika zu sichern, dann muß es sich bei ihnen eben um eine fremdgesteuerte Verbrecherbande handeln. Wenn die Sache aber so steht, dann kann der Patriot sich nicht damit zufriedengeben, die Richtigen zu wählen und dem Schauspiel in Washington ohnmächtig zuzuschauen; dann ist Widerstand Pflicht. In diesem Sinne nennen gute Amis die eigene Regierung „Zionist Occupation Government“ und treten an, um ihr Land von deren Herrschaft zu befreien. Paranoid? Aber immer! Wie aufgewühlte Nationalisten halt sind, die ihr Land und seine Werte in Gefahr sehen.

Der Schock und seine staatsdienliche Bewältigung

Das war nicht vorgesehen: Daß der allseits geschätzte und hofierte private Staatsfanatismus praktisch Ernst macht mit dem Standpunkt, daß die Zentralgewalt an allem schuld sei, was dem guten Ami und seiner Nation an Unbill widerfährt, und sich dazu berufen fühlt, selbst Hand anzulegen bei der Wiederherstellung eines guten und machtvollen Amerika. Das gute, anständige, vom Recht ihrer Nation überzeugte Amerika sieht sich in der „schändlichen Tat“ seinem eigenen Ebenbild gegenüber; er wird blutig darauf gestoßen, zu was seine patriotische Moral fähig ist, wohin und wieweit das faschistische Bedürfnis nach Ordnung und Anstand zu gehen vermag. Die da wie Feinde der Nation handeln, sind nach Herkunft, Motiven und Auftreten ganz den moralischen Prinzipien verpflichtet, die ihm heilig sind. Und in all ihren Überzeugungen und Gewohnheiten entsprechen sie so ganz dem Bild, das sich jeder gute Ami von sich macht und machen soll – außer eben darin, daß sie eine Bombe gegen den Staat gelegt haben. Beim Herumgerätsel um die „Motive“, die die Verbrecher „geleitet“ haben mögen, ist gar nicht zu übersehen, daß sie genau das gemeint haben: Amerika ist in Gefahr, also müssen wir handeln. Gegen das „Motiv“ kann ein Ami beim besten Willen nichts haben; andererseits kommt bei dieser Tat aber nun wirklich nicht in Betracht, den Tätern „mildernde Umstände“ zuzubilligen, wie es Öffentlichkeit und Staat sonst gerne tun, wenn sie hinter einem Verbrechen edle Absichten entdeckt haben wollen. Daß gute Amerikaner auf private Rechnung gegen Leute gewalttätig werden, die sie als Verbrecher gegen irgendeinen nationalen Ehrentitel oder ein gültiges moralisches Prinzip ausgemacht haben, ist ja wirklich nicht das Neue an diesem Attentat; nur geht das sonst als Einsatz für Moral und Ordnung zumindest im Prinzip in Ordnung; oder kann wenigstens als irregeleitete gute Absicht mit einem gewissen Verständnis rechnen, weil es sich nicht gegen den Staat selber richtet, sondern gegen Bürger, an denen die staatlichen Pflichtversäumnisse privat bereinigt werden. Leute, die Ärzte in Abtreibungskliniken ermorden, können durchaus damit rechnen, daß ihnen massenhaft ihr moralisches Anliegen zugutegehalten wird, auch wenn sie für die Tat zur Rechenschaft gezogen werden. Solche Fälle sind mindestens moralisch umstritten, egal wie rechtlich klar sie liegen. Und in anderen Fällen privaten Durchgreifens sieht der Staat gleich gar keine Notwendigkeit, solche Aktivitäten als Angriff auf sich und seine Rechtsordnung aufzugreifen und mit der vollen Härte des Rechts zu bestrafen. Diese Trennung soll in diesem Fall aber nun wirklich nicht gelten: Wer das Höchste der Nation, die Staatsgewalt selbst, unmittelbar angreift, dessen Absichten können nie und nimmer gut gewesen sein.

Damit ist das gute Amerika mit seinem Spiegelbild im Grunde auch schon fertig; so bewältigt die Nation den Schock, den durchgedrehte Patrioten dem Patriotismus versetzt haben: Sie erkennt sich in ihnen einfach nicht wieder. Der aufkommende Verdacht es könne sich hier um eine im Grunde anständige amerikanische Gesinnung handeln, ist schnell erledigt: Wenn sich ein ordentlicher Amerikaner dadurch auszeichnet, daß er sich – mehr oder weniger gewaltsam – immer gegen die Richtigen wendet, eben die, die amerikanische Ordnung angreifen, sich an Amerikas guten Prinzipien vergreifen, dann kann es sich dort überhaupt nicht um gute Ami-Art handeln, wo sich die Gewalt gegen Amerika selbst richtet. So handelt sich der blutige Patriotismus den Vorwurf ein, den er gegen die Regierung exekutieren wollte: Es sind Feinde der Nation. Das „fassungslose“ Amerika trennt mit dem Verweis auf das moralisch unanfechtbare Objekt der blutigen Tat die Handlung von dem Vorsatz, auch wenn der noch so offenkundig erznational und hochmoralisch ist, – und kommt so mit sich und seinem Spiegelbild ins Reine.

Zum einen heißt es: Das waren Verrückte. Die ehrenwerten Motive, die sie und ihr „Umfeld“ selbst ins Feld führen, können es -. angesichts so einer Tat – nie und nimmer gewesen sein, also hatten sie gar kein vernünftiges und moralisch anerkennenswertes, sondern sind grundlos böse und nicht zurechnungsfähig, nicht normal eben. Damit haben die nationalen Seelenforscher sich das Problem geschaffen, wieweit sie die Diagnose „paranoid“ auf die Täter eingrenzen, wieweit auf die „paramilitärischen Milizen“ ausdehnen sollen. Schließlich soll dieser verbreitete Hort amerikanischer Gesinnung nicht umstandslos zum „Sumpf“ des Attentats erklärt und in Bausch und Bogen mitkritisiert werden. Auch da bewährt sich die Logik der Trennung: Die Täter haben die an sich anständigen Bürgerbewegungen für Recht und Ordnung eben völlig falsch verstanden, verfälscht und „es“ übertrieben. Mit solchen Erklärungen bleibt das, was sie da übertrieben haben sollen, unbeschadet und über jeden Zweifel erhaben.

Andererseits waren es vielleicht doch auch ein bißchen Irregeleitete. So kommen die unübersehbaren Parallelen zum Auftreten und zum demonstrativen Radikalismus der konservativen Wendepolitiker dann doch noch zur Sprache – nicht als von den Attentätern ernst genommene politische Moral, sondern genau umgekehrt, als politische Stilfrage. Vornehmlich Leuten wie Gingrich und Helms wird vorgeworfen, sie hätten zu wenig Solidarität der regierenden Demokraten geübt, mit „haßerfüllten Reden“ die politische Streitkultur beschädigt und dadurch zu einem „Klima“ beigetragen, in dem solche Wahnsinnigen ohne Respekt vor der Staatsautorität die letzten Hemmungen verlieren. Mit diesem Anwurf ist eines ausdrücklich nicht gemeint: Daß die politische Botschaft, die die nationale Führung ihrem Volk unterbreitet, volksverhetzenden Charakter und mörderische Konsequenzen habe. Ganz im Gegenteil: Wenn die Öffentlichkeit inzwischen unisono die Politiker ermahnt, ihrem Volk die nationalen Notwendigkeiten mit mehr Verantwortungsgefühl und weniger wechselseitiger Beschimpfung beizubiegen, dann beharrt sie bloß darauf, daß die Staatsführung gegen die Amtsanmaßung von unten ihre Zuständigkeit für Recht, Ordnung und nationale Moral hervorkehren solle, daß sie die Nation geeint und in Würde führen soll, statt sie zu entzweien. Mit der kennerischen Begutachtung, wieweit es Clinton wohl gelingen wird, den Konservativen in diesem Sinne irgendeine indirekte Mitschuld an dem Attentat anzuhängen, geht die Nation dann endgültig wieder zur Routine politischer Konkurrenz über.

So ist Amerika mit sich wieder im Reinen: ‚Verrückt und vielleicht auch noch unfreiwillig aufgehetzt von radikalen Parolen, die der Einheit der Nation schaden!‘ – Das ergibt einen eindeutigen Befund: Das waren keine guten Amerikaner, sondern abgrundtief böse Un-Amerikaner! Wechselseitig bestätigt man sich, sich als Amerikaner von „so etwas“ im festen Willen zum gemeinsamen Handeln zum Wohl der Nation nicht abbringen lassen zu wollen. Die Nation prüft ihr Gewissen, findet es bis auf ein paar Entgleisungen als rein, und macht weiter wie bisher. Die Frage, ob „man“ etwas ändern müßte, in der Waffenfrage etwa, wird kurz aufgeworfen und verneint. Clinton nutzt die Gelegenheit, um dem FBI mehr Kompetenzen zu verschaffen; aber das war ohnehin vorgesehen. Und für das Iran-Embargo braucht man ja nun wirklich keine bombenlegenden Araber. Das „Ungeheuerliche“ kann man sich schließlich auch noch geschichtsphilosophisch mit Hinweisen auf die Zahl der Attentate, Präsidentenmorde in der nationalen Geschichte begreiflich machen. Und – hat das der Nation letztlich geschadet? Eben! So könnten die Bombenleger zufrieden sein. Sie wandern in die Todeszelle, der Geist, in dem sie handelten, bekommt recht.

[1] Noch jede demokratische Staatsgewalt beherrscht diese totalitäre Moral; auch die RAF soll ja angeblich nicht die eine oder andere Führungspersönlichkeit umgebracht, sondern die bundesrepublikanische Staatsgewalt ins Wanken gebracht haben.

[2] Daran ist natürlich nichts neu. Als die Iraner zu Amtszeiten Jimmy Carters amerikanische Botschaftsangehörige in Teheran als Geiseln genommen haben, demonstrierten amerikanische Bürger vor dem persischen Konsulat mit Plakaten, auf denen „Nuke them!“ stand. Daß die Geiseln dem Präsidenten dann doch nur eine gescheiterte gewaltsame Befreiungsaktion auf iranischem Boden und keine erfolgreiche militärische Bestrafung des Iran wert waren, haben ihm seine Wähler sehr übelgenommen.

[3] Sehr passend zu diesem Standpunkt der Einfall des Bürgermeisters von Oklahoma, das Gebäude nicht wieder aufzubauen, sondern als Mahnmal stehen zu lassen und drumherum einen Park einzurichten. Da wissen die Betroffenen dann wenigstens, wofür sie gestorben sind.

[4] Befragt, warum er den Bombenlegern den Lastwagen ohne Vorlage eines Führerscheins verliehen habe, antwortete der Autovermieter: Ich habe ihnen vertraut. Die sahen genauso aus wie die Jungs von der nahegelegenen Armeekaserne.

[5] Nicht zufällig heißen staatsfeindliche Umtriebe in den USA ja auch „unamerican activities“!

[6] Im Zuge der Erklärung für das Attentat erfuhr man beiläufig, daß die hierzulande kolportierte Sicht der Vorfälle in Wacoo, es habe sich um die Wahnsinnstat einer verrückten und gefährlichen Sekte gehandelt, keineswegs ungeteilte Sicht Amerikas ist: Daß der Bürgerverein dem Staat die Steuer verweigert hat, macht ihn in den Augen vieler aufrechter Amerikaner ebenso zum Vorbild wie die Organisation als Glaubensgemeinschaft, die sich – natürlich auch mit Waffen – ihre eigene Ordnung schafft und sich dem Zugriff der Zentrale widersetzt. So verbucht mancher aufrechte Ami das Vorgehen der Staatsgewalt und das blutige Ende gar nicht als unvermeidliche Durchsetzung von Recht und Ordnung, sondern im Gegenteil als Fanal im Kampf des guten Amerikas gegen die unamerikanischen Umtriebe der obersten staatlichen Behörden, also gegen Unrecht und drohendes Chaos.