„Frieden für Galiläa“
Israel stiftet mit Krieg und Diplomatie ein Stück neuer „Nahost-Ordnung“

Zur Festigung seiner Ordnungsmacht im Nahen Osten kündigt Amerika die Aktionseinheit mit Israel und diktiert ihm Friedensverhandlungen und -regelungen mit seinen inneren und äußeren Feinden im Nahen Osten. Zur Rettung seiner weltpolitischen Exklusivität handelt Israel mit der PLO autonom eine ‚Autonomie‘ aus, die das ‚Palästinenser-Problem‘ zu einer – äußerer Einmischung entzogenen – ‚inneren‘ Ordnung festschreiben soll, in der zugleich die PLO unter israelischer Oberhoheit auf die Funktion eines selbstverwaltenden Ordnungsgehilfen Israels verpflichtet wird. Mit einer durch Kriegsaktionen gegen den Libanon untermauerten Diplomatie gegenüber seinen arabischen Nachbarn sucht Israel zweitens seinen Status als unbestrittene regionale Vormacht von diesen endgültig anerkannt zu bekommen.

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„Frieden für Galiläa“
Israel stiftet mit Krieg und Diplomatie ein Stück neuer „Nahostordnung“

Ende Juli hat Israel während der laufenden Nahostverhandlungen in seinem Nachbarstaat Libanon eine Woche lang Krieg geführt, im Süden des Landes einige Dutzend Dörfer zerstört, eine Viertelmillion Einwohner vertrieben und die Bekaa-Ebene sowie weiter nördlich gelegene Küstenorte angegriffen. Erklärter Zweck dieses Unternehmens war die Zerstörung von Stützpunkten der letzten Milizen, die noch von libanesischem Boden aus gegen Israel zu kämpfen versuchen, sowie die Erpressung der Beiruter Regierung, sie sollte unter dem Druck der Flüchtlingswelle gegen die antiisraelischen Kräfte im Land vorgehen.

Die Empörung aller Wortführer der demokratischen Welt, die sonst von „Gewalt als Mittel der Politik“ immer nichts wissen wollen, hielt sich in Grenzen. Es wurde akzeptiert, daß Israel mit seinen Granatenteppichen und Luftüberfällen und der Drohung, den Süden des Libanon unbewohnbar zu machen, bloß sein Recht auf Selbstverteidigung gegen einige Dutzend „Katjuscha“-Raketen wahrnahm. Auch als übermäßigen Verstoß gegen die geheiligten Prinzipien der nationalen Souveränität wollte man Israels Terror und Invasionsdrohung nicht verstehen. Während man, wenn Syrien den Bürgerkrieg im Libanon beendet und das libanesische Kabinett nach Damaskus einbestellt, nicht genug vor einem „imperialistischen Großsyrien“ warnen kann, kommt der Gedanke an ein Projekt „Großisrael“ nicht auf, wenn Israel den Süden des Staates übernimmt, im Rest des Landes mit Bombern nach dem Rechten sieht und von der Regierung ultimativ die Erledigung israelfeindlicher Umtriebe verlangt. Nur eine Sorge wurde verhalten laut: Ob die Terrorakte der israelischen Armee – ein neuer Libanon-Krieg sollte es ja nicht sein – nicht den sogenannten Friedensprozeß, die von den USA initiierten und betreuten Verhandlungen zwischen Israel auf der einen, seinen arabischen Nachbarn und ausgewählten Palästinenservertretern auf der anderen Seite stören könnte. Am Ende einigte man sich aber darauf, daß dank der „Vermittlung“ des amerikanischen Außenministers, der ohnehin gerade zwecks Förderung des „Friedensprozesses“ in der Region unterwegs war und von Israel so passend mit einer Kriegswoche begrüßt worden war, Israel „eingelenkt“, Syrien auf diplomatische „Verstimmung“ verzichtet hat und so im Endeffekt mit Israels Zuschlagen sogar „Bewegung“ in die Gespräche gekommen sei.

Wieviel, das stellte sich allerdings erst im Nachhinein heraus. Kaum war seine ausgreifende Strafaktion gegen die vereinzelten palästinensischen Angriffe aus dem Libanon beendet, präsentierte Israel der staunenden Welt nämlich ein weitreichendes Übereinkommen bezüglich der besetzten Palästinensergebiete, das es mitten in den laufenden Kriegsaktionen in Geheimgesprächen mit der PLO hinter dem Rücken der arabischen Verhandlungspartner, der palästinensischen Delegation in New York und der USA ausgehandelt hatte. Unter dem wohlklingenden Titel ‚Autonomie in den Bereichen Kultur, Steuer, Erziehung, innere Ordnung‘ soll die PLO vorerst im Gaza-Streifen und in der Gegend um Jericho die innere Aufsicht über bisher von Israel selbst unter Kontrolle gehaltene Palästinensergebiete übernehmen, dafür mit einer 20 000 Mann starken Polizeitruppe ausgerüstet und durch Wahlen bestätigt werden – alles mit der Perspektive, über den Ausbau dieser „Selbstverwaltung“ und ihre Ausweitung auf weitere Gebiete in drei Jahren zu verhandeln. Und alles mit dem erklärten Zweck, eine Israels Ansprüchen genügende „Befriedung“ der Intifada-Unruhen und der radikalen Palästinenser zu gewährleisten. Ausdrücklich erstreckt sich die Zuständigkeit nicht auf die israelischen Siedler; Israel zieht zwar seine Soldaten vor Ort zurück, behält sich aber die oberste militärische Kontrolle und die Grenzsicherung vor; von einer Eigenstaatlichkeit ist ausdrücklich keine Rede. Die PLO verzichtet im Gegenzug in aller Form auf den – letztlich einzigen – Punkt ihres offiziellen politischen Programms: den Kampf für einen eigenständigen palästinensischen Staat gegen Israel.

Die Weltgemeinschaft jubelte ziemlich einhellig und ehrlich erstaunt darüber, daß Israel sich „zur Versöhnung bereit findet“, seinen Feinden von gestern „Autonomie gewährt“ und damit die schönsten Hoffnungen auf Fortschritte für den „Friedensprozeß“ eröffnet, an die bisher keiner so recht glauben mochte. Daß sich die PLO mit dem Status eines Homeland-Verwalters von Israels Gnaden abfindet, wurde als Selbstverständlichkeit und gewaltiger Schritt in Richtung auf die Erfüllung ihres Wunsches nach politischer Anerkennung gewertet; daß Israel sich dazu überhaupt „bereitfindet“, das aber erschien allen als ein geradezu revolutionäres Entgegenkommen, mit dem von dieser Seite nun wirklich keiner rechnen konnte. Daß die PLO von Israel zum Niederhalten des „palästinensischen Volks“, auf das sie sich ständig beruft, eingesetzt wird, daraus machte niemand ein Geheimnis; höchstens die Frage wurde gewälzt, ob die PLO-Mannschaft dazu überhaupt fähig sei und wer die Polizeitruppe mit ihrem bißchen quasistaatlichen Überbau eigentlich finanzieren soll.

Offenbar herrscht ein gediegenes und durch und durch positives Bewußtsein davon, worum es in dem famosen „Friedensprozeß“, der jetzt eine so überraschend „erfreuliche Wendung“ genommen hat, wirklich geht:

  • Israel beansprucht unbeschränkte Handlungsfreiheit für seine militärische Gewalt, nimmt sie sich und verlangt von den Betroffenen Billigung und sogar Unterstützung der Kriegsziele als Bedingung dafür, auch einmal wieder aufzuhören.
  • Die Adressaten des Bombardements, die Palästinenser, der machtlose Nachbar Libanon und sogar das mächtige Syrien, haben nichts dagegen zu setzen, appellieren an die Schutzmacht Israels, die Weltmacht Amerika, hoffen auf deren Vermittlung zwischen israelischer Übermacht und arabischer Ohnmacht und fügen sich.
  • Die USA setzen Araber und Israelis an einen Tisch, führen den Vorsitz, etablieren sich damit diplomatisch als Oberaufsicht über das Geschehen – mit viel Verständnis für Militäraktionen Israels, wenn bloß hinterher die Araber unverdrossen weiterverhandeln – und sind insofern schon mit dem Ergebnis zufrieden, daß es den „Prozeß“ gibt.
  • Die Sache ist am Ziel, wenn Israels Kontrahenten ihre Chancenlosigkeit einsehen und sich die neue Lage diktieren lassen. Die heißt dann Frieden und ist ein Jahrhundertereignis. Und die Welt staunt ehrlich darüber, daß Israel sich zu „solch weitgehenden Zugeständnissen“ bereitfindet.

Zu Recht. Denn bislang war es immer das unverrückbare Programm dieses Staates, sich durch ausgreifende Gewalt gegen eine feindliche Staatenumwelt durchzusetzen und eroberte Gebiete am besten dem Staat einzuverleiben und möglichst zu israelisieren. Wenn Israel sich jetzt bereitfindet, seinem demonstrativen Terror gegen Terroristen tatsächlich eine Regelung mit den politischen Repräsentanten der Opfer folgen zu lassen, so ist das durchaus als Sinneswandel zu bezeichnen.

Dieser ist aus einer eigentümlichen Notlage geboren. Mit den Bombardements und seiner neuen Vorreiterrolle beim „Friedensprozeß“ wehrt sich Israel gegen eine von ihm selbst definierte neuartige Bedrohung, die diesmal nicht mehr von der arabischen Welt ausgeht, sondern vom dem Anspruch seines Hauptverbündeten, den USA, den Nahen Osten unter seine Aufsicht und Kontrolle zu stellen.

Der Ursprung des „Friedensprozesses“ im Golfkrieg: Amerikas neuer Zugriff auf die Nahost-Region

Es gehört zu den Treppenwitzen der „neuen Weltordnung“ und charakterisiert die zu diesem imperialistischen Programm gehörige Heuchelei, daß die USA mit ihrem Vorstoß zur Befriedung des Nahen Ostens, also zur zweckmäßigeren Kontrolle der dortigen Staatenverhältnisse, eine moralische Verpflichtung einlösen, die sie mit ihrem friedenschaffenden Auftritt am Golf eingegangen sein sollen, und zwar ausgerechnet gegenüber Israels arabischen Nachbarn und Opfern. Gegen den Irak sind sie ausdrücklich als Vorkämpfer der UNO, der bedingungslosen Gültigkeit ihrer Beschlüsse und des Vorrangs völkerrechtlicher Prinzipien vor einzelstaatlichen Interessen aufgetreten; im Namen dieser höheren Moral sind sie an die UNO-Resolutionen zur Palästinenserfrage, zur Okkupation fremden Territoriums durch die israelische Armee und zur Annexion Ost-Jerusalems erinnert worden, die ihr „strategischer Verbündeter“ am Ostrand des Mittelmeers unbehelligt ignoriert. Den Vorwurf, am Golf und am Jordan mit zweierlei Maß zu messen, hätten die Amerikaner moralisch gewiß leicht ausgehalten – er ist ja, streng genommen, auch dadurch nicht gerade entkräftet, daß die militante Schutzmacht aller antiirakischen UN-Resolutionen, die Saddam Husseins Verhandlungswünsche empört als Beharren auf internationalem Unrecht zurückgewiesen hat, ihren Schützling Israel zart zu Verhandlungen darüber drängt, inwiefern es den einen oder anderen UNO-Beschluß mit seinen nationalen Interessen in Einklang bringen könnte. Die Regierung in Washington war aber so großzügig und hat sich in die Rolle des internationalen Appellationsgerichts hineinkomplimentieren lassen, das auch gegen Israel gerechte Strenge walten läßt. Das freilich aus sehr viel besseren als bloß moralischen Gründen: Amerikas Irak-Krieg hat eine neue Nahost-Politik auf die Tagesordnung gesetzt, einen neuen Zugriff auf den israelisch-arabischen Konflikt unausweichlich gemacht.

Mit diesem Krieg haben sich die USA nämlich als alleinige und direkte Eingriffsmacht im Nahen Osten etabliert. Sie haben das Kriegführen nicht mehr den ortsansässigen Mächten – also vor allem Israel, im ersten irakisch-iranischen Golfkrieg aber durchaus auch dem Irak – überlassen, dabei als Schutz- und Garantiemacht im Hintergrund, als Lieferant von Waffen und kriegswichtigen Informationen usw. Regie geführt und hierbei, über die regionale Konflikt- und Kriegslage hinaus, ihr Augenmerk auf die Interessen ihres strategischen Gegners, der Sowjetunion, gerichtet, die ihrerseits befreundeten arabischen Staaten eigennützig half und auch Schranken setzte, wenn deren nationaler Tatendrang fürs sowjetische Koexistenz-Interesse zu weit ging. Die weiträumigen Sicherheitsbedürfnisse der Sowjetmacht waren ja bereits gestrichen; die Anbindung arabischer Selbstbehauptungsversuche an so etwas wie eine Globalstrategie Moskaus war aufgelöst, die Subsumtion der gesamten Sicherheitslage der Region unter den Konflikt und das „Gleichgewicht“ zwischen imperialistischer Welt und sozialistischem Lager gegenstandslos geworden. Insoweit war die strategische Allianz mit Israel für die USA entwertet; umgekehrt waren die arabischen Staaten in ganz neuer Weise offen für eine strategische Einflußnahme des Westens.

Ohne sowjetischen Gegner, befreit von der Rücksicht auf die von ihm ausgehende Unsicherheit der höchsten strategischen Art, als einzige Weltmacht vor Ort verblieben, fanden die USA sich konfrontiert mit der Eigenwilligkeit einer aufstrebenden Regionalmacht, die von der Sowjetunion – und nicht bloß von der – mit erheblichen Machtmitteln ausgestattet worden war und jetzt nicht mehr kontrolliert wurde: mit einem Irak, der sich gewaltsam mit Kuwait „wiedervereinigte“. Dagegen haben sich die USA selber inmitten der Region als überlegene Militärmacht aufgebaut, Unterstützung verlangt und danach zwischen Freund und Feind neu unterschieden. Dann haben sie die irakische Macht zerschlagen und damit demonstriert, wie fortan im Nahen Osten und nicht nur dort mit ihnen zu rechnen ist: als Militärmacht, die die politische Lage mit überlegener Gewalt zurechtrückt, wo immer sie will, d.h. erklärte Störenfriede niedermacht und von allen anderen Mächten Ein-, also Unterordnung fordert.

Damit war für die Kontrahenten im regionalen Machtkampf zwischen Mittelmeer und Persischem Golf „die Lage“ neu definiert.

  • Syrien, Israels feindlicher Nachbar im Norden, blieb nach der Abdankung seiner Schutzmacht Sowjetunion keinen historischen Moment lang sich selbst überlassen. Das Land fand sich zur Teilnahme an der antiirakischen Kriegsallianz Amerikas eingeladen; und seine Führung konnte über die weltpolitische Bedeutung dieses Angebots nicht im Zweifel sein: Die USA verlangten eindeutige Parteilichkeit und boten dafür eine neue weltpolitische Heimat an ihrer Seite, als weiterer arabischer Erfüllungsgehilfe amerikanischer Interessen. Für das Programm, sich gegen Israel durchzusetzen, für eine „Wiedervereinigung“ mit dem Libanon und überhaupt für den „arabischen Traum“ von der „Wiedergeburt“ einer großen einigen Nation – immerhin das namengebende Ideal der regierenden Partei – blieb da selbstverständlich kein Raum; realistische Perspektiven dafür blieben aber erst recht nicht. Stattdessen durfte man in Damaskus auf ein bißchen wirkliche Freiheit für das sehr viel bescheidenere Anliegen hoffen, den Bestand des syrischen Staates zu sichern, insbesondere gegen die Gefahr, die dafür aus syrischer Sicht von Israel ausgeht, und das Gemetzel im Libanon unter Kontrolle zu bringen.
  • Israel wurde mit dem Umsturz seiner bisherigen Aktionseinheit mit Amerika konfrontiert: Nachdem es bislang mit allen seinen Kriegen der Sache des Westens gedient, deswegen jede Freiheit und volle Rückendeckung der westlichen Weltmacht genossen hatte, blieb es dem Land diesmal verwehrt, nach bewährtem Muster gegen den arabischen Feind loszuschlagen; mehr noch: es wurde vom amerikanischen Kriegsbündnis ausgeschlossen; nicht einmal Hilfsdienste und flankierende Aktionen wurden genehmigt, weil es der US-Regierung um die Einbindung der arabischen Gegner Israels in die „neue Weltordnung“ am Golf ging. Alle Bemühungen der israelischen Regierung, sich als Saddam Husseins eigentliches Opfer darzustellen, konnten daran nichts ändern, im Gegenteil; Saddam Husseins komplementäre Versuche, seinem Krieg mit Amerika durch Raketenüberfälle auf Israel den Schein einer gesamtarabischen, weil antizionistischen Sache zu verschaffen, bestärkten nur den amerikanischen Beschluß, Israel für dieses Mal vom Kriegführen zu dispensieren, um die neue Bündniskonstruktion nicht gleich kaputtzumachen. Unter der zudiktierten Rolle des bloßen Zuschauers hat die israelische Nation schwer gelitten. Denn sie fand sich dadurch keineswegs entlastet, sondern degradiert: Die USA hatten Israels bisherige Sicherheitsdoktrin außer Kraft gesetzt, die es gebietet, jeden bedrohlichen Nachbarn rein nach eigenem Ermessen mit überlegener militärischer Gewalt blitzkriegartig zu terrorisieren; sie hatten die bedingungslose Deckungsgleichheit dieser israelischen Sicherheitsdoktrin mit der weltpolitischen Sache und den strategischen Interessen des Westens relativiert. Israel sah sich durch seine Schutzmacht gewissermaßen noch hinter die Syrer zurückgestuft, zumindest in seiner exklusiven Stellung als privilegierter US-Schützling mit unbeschränkter Handlungsfreiheit bedroht und damit die Grundlagen seiner Staatsräson angetastet.

In dieser „Lage“, und um sie zweckmäßig zu gestalten, haben die USA Nahost-Verhandlungen angesetzt. Mit diesem starken Stück Diplomatie organisierten sie ein neues arabisch-israelisches Verhältnis, in dem der alte Verbündete und die bislang feindlichen Parteien um ihren Status in der Region ringen und die Amerikaner selbst sich als konkurrenzlose Schutz- und Ordnungsmacht über allen nahöstlichen Akteuren etablieren.

Verlauf und Wirkungen des „Friedensprozesses“

a) Israels doppelter Kampf um seine weltpolitische Exklusivität

Für Israel folgte auf die Zurückweisung seiner guten Dienste beim antiirakischen Schlachtfest die Zumutung, mit seinen Gegnern verhandeln zu sollen und damit anzuerkennen, daß es zwischen ihm und der arabischen Welt, die es erfolgreich bekriegt hat, einiges zu regeln gab – und zwar unter der Aufsicht der USA. Dem Interesse der USA, die letzten arabischen Gegner über die Golfkriegs-Konstellation hinaus an sich zu binden und hierfür einen „Friedensprozeß“ zu installieren, mit dem sie dem Antrag auf gerechte Oberaufsicht über die Geschicke der Region nachkamen, mußte Jerusalem sich fügen: Die Verhandlungen kamen in Gang.

Das war allerdings auch schon das ganze Zugeständnis, zu dem Israel sich bereitfand. Zweck seiner Teilnahme an den Verhandlungen war es geradezu, seinen arabischen Nachbarn und Opfern sonst keine Zugeständnisse machen zu müssen; das hat die israelische Regierung von Beginn an mit den Bedingungen klargestellt, unter denen sie überhaupt bloß bereit war, sich zu einer diplomatischen Verkehrsform mit Syrern, Libanesen und Palästinensern herbeizulassen. So durften die UNO-Resolutionen, die Israel zur Rückgabe der besetzten Gebiete verurteilten, keine Rolle spielen; die PLO, die sich noch vor wenigen Jahren unter anerkennendem Gemurmel der UNO-Vollversammlung als eine Art Staat im Exil konstituiert hatte, mußte sich als diplomatisch nicht existent behandeln lassen; was Israel als sein Sicherheitsinteresse definierte, durfte nicht in Frage gestellt werden.

Mit seiner Unterwerfung unter das amerikanische Verhandlungsdiktat hat Israel sich also zugleich dagegen verwahrt, von dem politischen Status Abstriche zu machen, den es sich in 40 Jahren buchstäblich erkämpft hatte und den die USA nun – mit dem Ausschluß Israels von ihrem Golfkrieg und der Neuordnung der nahöstlichen Bündnis- und Abhängigkeitsverhältnisse – in Frage stellten: von der privilegierten Sonderstellung als Vorposten der Freien Welt in feindlicher Umgebung, der als solcher für alle seine weitreichenden nationalen Sicherheitsinteressen einschließlich eines gewissen Eroberungsbedarfs die stärkste strategische Rückendeckung hat, sich dadurch zu jeder Rücksichtslosigkeit ermächtigt weiß und darüber zum militärischen Schrecken seiner Umgebung herangewachsen ist. Und die Nation hat auch den passenden Weg gefunden, diesen exklusiven Status zu wahren bzw. zu erneuern: Neben dem „Friedensprozeß“ hat sie sich schlicht weiterhin jede Freiheit herausgenommen, Gegner zu definieren und zu bekämpfen. So hat sich die Regierung bei der Unterdrückung des Palästinenseraufstands in den besetzten Gebieten in ihrer „harten Linie“ nicht beirren lassen; mit der Abschiebung einiger hundert Palästinenser, die die Besatzungsmacht als moslemische Widerstandsfanatiker ausgemacht hatte, ins südlibanesische „Niemandsland“ hat die neu ins Amt gekommene sozialdemokratische Regierung klargestellt, daß sie ihre Sicherheitspolitik nach wie vor nicht an irgendwelchen Konventionen, geschweige denn der Humanitätsheuchelei der Vereinten Nationen messen läßt; mit militärischen Schlägen gegen Milizen im Libanon wurde immer wieder demonstriert, wie weit Israels Souveränität reicht.

Ihren – vorläufigen – Höhepunkt hat diese Politik mit der Kriegswoche im Libanon erreicht; und daß der Termin dafür genau auf den Zeitpunkt angesetzt wurde, zu dem der neue US-Außenminister sich auf Nahost-Reise begab, um das fortdauernde Interesse Amerikas an regionaler Diplomatie unter seiner Kontrolle geltend zu machen – ein zeitliches Junktim, das, wäre nicht Israel der Urheber gewesen, von jedem Beobachter sofort als diplomatischer Affront höchsten Grades durchschaut worden wäre –, unterstreicht die Botschaft: Israel läßt sich im Gebrauch militärischer Gewalt gegen seine Feinde durch keinerlei höhere Rücksichten beirren; es entscheidet autonom, welche Bedrohung von außen es wie wichtig nimmt und wie weit es bei deren Bekämpfung geht; im Umgang mit Palästinensern, feindseligen Milizen und seinen Nachbarstaaten im Norden verläßt es sich ausschließlich auf die „Sprache der Gewalt“, auch und gerade wenn daneben diplomatische Gespräche laufen; einmal in Aktion, stellt es das Feuer erst dann wieder ein, wenn es meint, zur Demonstration seiner uneingeschränkten kriegerischen Handlungsfreiheit genug geleistet zu haben; eine Politik des Einlenkens mit dem Ziel, die Feindschaft seiner Gegner zu entkräften, lehnt es für sich ab, verlangt sie dafür um so nachdrücklicher von seinen Kontrahenten. Wie zum Hohn gab der israelische Ministerpräsident nach gelaufener Kriegsaktion dem US-Außenminister gegenüber zu Protokoll, man sei in Jerusalem durchaus zu einer Politik der „kalkulierbaren Risiken“ bereit – worunter er nicht etwa ein weiteres militärisches Vorgehen gegen seine Nachbarländer versteht, sondern einen eventuellen kalkulierten und natürlich jederzeit widerruflichen Verzicht darauf.

Gleichzeitig hat Israel einen zweiten, neuen Weg beschritten, um sich der Zumutung von Verhandlungen zu erwehren, die es zu einem, wenn auch besonderen und besonders rücksichtsvoll behandelten Unter- und Ordnungsfall im amerikanischen Nahostprogramm machen und damit – jedenfalls nach den anspruchsvollen Maßstäben der israelischen Staatsräson – die entscheidende Grundlage seiner Souveränität bedrohen: die Freiheit, seiner staatlichen Umwelt zu diktieren, was Israels Interesse ist, und die Freiheit, die Palästinenser in den eroberten Gebieten, sobald sie sich störend bemerkbar machen, wie den verlängerten Arm äußerer Feinde im eigenen Land zu traktieren. Israel hat mit seinem ausgebildeten Gespür für Bedrohungen bemerkt, daß die Palästinenser, als Hebel arabischer Antiisrael-Politik seit längerem erfolgreich erledigt, nun zum diplomatischen Anspruchstitel zu werden drohten, mit dem sich die USA in Israels Sicherheits- und Siedlungspolitik einmischten. Israel hat sich deshalb von sich aus zu Verhandlungen mit Arafat entschlossen, die im amerikanischen Konzept gar nicht vorgesehen waren; nach den ihm genehmen Bedingungen hat es exklusiv, unter Ausschluß seiner arabischen Kontrahenten, mit der PLO sein Palästinenserproblem in Angriff genommen.

Nach dieser Seite haben die Bombardements im Libanon, mit denen Israel seine Geheimverhandlungen begleitet hat, für Israel, wie sich jetzt herausstellt, einen tieferen, friedensstiftenden Sinn gehabt: Sie waren eine auf die Verhandlungen gemünzte Demonstration, wie Israel seine Definition palästinensischen Terrors mit eigenem Terror exekutiert; daß sich dagegen keine arabische Macht zu stellen wagt und die USA nicht zu stellen gewillt sind; daß es also für die PLO unter allen Bedingungen besser ist, sich Israels Ordnungsansprüchen zu unterwerfen, weil eine politische Rolle für sie nur noch von Israels Gnaden zu erhoffen ist. Genau diese gewalttätige Lektion hat Israel in ein neues Staatsmodell umgesetzt, bei dem der PLO eine neue Funktion für die Beaufsichtigung der Teile des israelischen Machtbereichs zugewiesen wird, die zwar unter israelischer Hoheit stehen und letztlich auch bleiben, aber, was ihre palästinensische Bevölkerung angeht, keinesfalls den Status vollwertiger israelischer Staatszugehörigkeit genießen sollen. Mit dem „Autonomiemodell“ festigt Israel seine gewaltsame Sortierung der Palästinenser in eine Mannschaft, die es in seinen besetzten Gebieten unter Kuratel gestellt hat, militärisch beaufsichtigt und je nach Bedarf als Billigarbeitskräfte zum israelischen Wirtschaftsleben und Staatsgebiet zuläßt oder davon ausschließt, und einen größeren Teil, der in die arabische Staatenumwelt vertrieben worden ist. Das ist jetzt ein dauerhafter politischer Ordnungszustand. Im übrigen wird unmißverständlich klargestellt, wie das Ganze nicht gemeint ist: keine volle Staatlichkeit der Palästinensergebiete; und Jerusalem bleibt selbstverständlich ungeteilte israelische Hauptstadt. Für diese neue Ordnung bedient Israel sich der Spaltung der Palästinenser in „gemäßigte“ und „radikale“, die es selber mit seinen kriegerischen Lektionen vorangetrieben hat. Die PLO wird mit entsprechenden Vorbehalten der israelischen Oberhoheit zum Ordnungsgehilfen Israels, der die Besatzungsmacht ablösen und ihre Aufsicht in Gestalt einer eigenen palästinensischen Polizeimacht gegenüber den nichtisraelischen Bürgern wahrnehmen darf.

Viele israelische Politiker mögen mittlerweile die gewaltsame Kontrolle dieser Gebiete ohnehin vornehmlich für eine Last halten und mögen sich von einer Selbstverwaltung sogar die Ersparung eigenen Eingreifens, zumindest aber eine bequemere und billigere Aufsicht versprechen. Der eigentliche Ertrag ist grundsätzlicherer Natur. Die Regelung seiner bisherigen Palästinenserghettos bekommt für Israel die Form einer dauerhaft geregelten, nur Israel und sein halbstaatliches Anhängsel betreffenden „inneren“ Angelegenheit. Den Kampf gegen die „auswärtigen“ Palästinenser behält es sich sowieso in aller Freiheit wie bisher vor und kann dabei künftig sogar auf die Unterstützung der Arafat-Mannschaft rechnen, die im ureigensten Interesse Israels Definition eines unerlaubten Terrorismus mitträgt. Egal, was bei den näheren Verhandlungen für das palästinensische Quasi-„Staats“-Gebilde noch alles ausgestritten und festgelegt werden mag, welche Unruhen und für israelische Gemüter schwer erträglichen Ordnungsprobleme und internationalen Beteiligungsfragen damit noch auf die Tagesordnung kommen – eins steht damit jetzt schon fest: Israels Eroberungspolitik wäre mit dieser „Autonomie“-Konstruktion auf jeden Fall erst einmal von den international anerkannten Vertretern der Opfer abgesegnet und damit als internationaler Problemfall erledigt. Gestritten werden könnte nur noch darüber, und das nach israelischer Vorstellung endgültig auch nur zwischen ihm und seiner palästinensischen Unterverwaltung, wie der Prozeß der „Autonomie“, die Israel gewährt, weitergehen soll, wieweit sich die Befugnisse der palästinensischen Behörden und Polizei erstrecken. Die Welt jedenfalls erkennt diesen Frieden bereits als unbezweifelbares Faktum an, segnet vorsorglich das geplante Verhandlungsergebnis ab, hält die einschlägigen UNO-Resolutionen für erfüllt und verhandelt darüber, wie dieser palästinensische Unstaat von der Weltgemeinschaft finanziert und gefördert werden könnte.

So hat Israel an diesem Punkt seine Politik kriegerischer Selbstbehauptung gegen eine immer machtlosere arabische Welt um den Übergang zu einer Politik der diplomatischen Konsolidierung ergänzt. Es hat damit Überlegungen der funktionellen Absicherung seines Machtbereichs den Vorzug vor der sturen Linie totaler militärischer Besetzung und Kontrolle gegeben. Es hat sein eigenes, ganz von ihm bestimmtes „Camp David“ in die Wege geleitet. Und darauf kam es ihm vor allem an. Mit seinen erfolgreichen Geheimverhandlungen hat Israel den als störend empfundenen „Friedensprozeß“, dem es sich nicht entziehen konnte, in seinem Sinne umdefiniert. Der stand nämlich unter der Prämisse, Israel müßte sich auf eine Stufe mit den arabischen Staaten stellen lassen, unter amerikanischer Oberhoheit verhandeln und am Ende auf die Lösung von Problemen festgelegt werden, an denen es letztlich schuld wäre. Dieser Standpunkt ist durchkreuzt: Israel ist Herr des Geschehens. Es regelt seine Angelegenheiten mit den Palästinensern autonom; seinen arabischen Kontrahenten schlägt es damit zugleich die Möglichkeit aus der Hand, mit dem „Palästinenserproblem“ Politik zu machen. Die Lösung der verbliebenen Verhandlungsposten stellen sich die israelischen Friedenspolitiker nach demselben Muster vor: Israel, nachgewiesenermaßen überlegen und militärisch zu allem bereit, einigt sich aus eigenem Ermessen mit seinen Nachbarn, die ihre Ohnmacht eingesehen haben. Richtiggestellt wird so aber vor allem das Verhältnis zu den USA: Kein Gegensatz in der Sache, aber mit ihrem Aufsichtsanspruch sind sie in der Region überflüssig. Israel braucht ihre Aufsicht nicht, und es unterliegt ihr nicht. So sichert Israel auf Basis eines Waffengangs mit den Mitteln der Diplomatie seinen Status als unbestrittene regionale Vormacht auch unter den neuen weltpolitischen Verhältnissen.

Leicht gefallen ist dieses „Versöhnungsangebot“ der Heimstatt des bedrohten Judenvolkes dennoch ganz und gar nicht, wie die Aufregung und der Aufruhr im Lande zeigt. Israel hat mit diesem Schritt nämlich den Grundsatz modifiziert, wonach die Besetzung und wehrhafte Besiedlung des biblischen Landes die existentielle Grundlage israelischer Staatlichkeit sind und bleiben. Das hat zwar z.B. für den Gaza-Streifen schon immer nur bedingt gegolten, weil dort vor allem die palästinensischen Massen zusammengedrängt waren; aber der Anspruch auf eine dauerhafte Eingemeindung, zumindest unmittelbare militärische Beherrschung hat im Prinzip immer zur besonderen israelischen Staatsräson gehört. Jetzt fühlen sich Siedler und orthodoxe jüdische Rassisten, die sich zumindest im Prinzip mit ihrem Staat immer einig wissen konnten, verraten, weil ihr völkischer Besiedlungsfanatismus an weltpolitischen Vorteilsrechnungen relativiert wird.

b) Die neue PLO in Israels Diensten

Viel leichter gefallen ist die Zustimmung offenbar der PLO-Führung um Arafat, obwohl diese damit ihren politischen Ausgangspunkt völlig auf den Kopf stellt. Immerhin war Arafat mit der Al Fatah – man mag ja kaum noch daran erinnern – einmal angetreten, um die vertriebenen Palästinenser politisch zu einigen, mit ihnen gegen Israel und auf dessen Kosten einen eigenen Staat zu errichten und damit das Unrecht der Vertreibung wiedergutzumachen; ungefähr so, wie die Israelis ihren Staat als Wiedergutmachung des Unrechts an den Juden einer arabischen Staatenwelt abgekämpft haben. Jetzt gibt Arafat nicht bloß den Kampf gegen Israel auf, das hat er schon längst; er streicht auch die Perspektive, als Teil der „großarabischen Nation“ und mit deren Mitteln, also unter Ausnutzung antiisraelischer arabischer Staatsinteressen, eine souveräne Republik aufzumachen. Statt dessen läßt er sich als Vertreter einer palästinensischen Bevölkerung in Gaza und Jericho von Israel einsetzen – zur Niederhaltung der Ansprüche des „palästinensischen Volkes“, dessen Anwalt er vormals sein wollte. Er empfängt ein Stückchen Macht aus der Hand Israels, unterwirft sich dessen Sicherheitsinteressen und sichert sich – das ist sein Gewinn – damit den einzigen machtvollen Rückhalt; nicht mehr für einen eigenen Staat, sondern gegen die Konkurrenz der radikalen Palästinenserfraktionen. Er mag die „Aussöhnung mit Israel“ als ersten Schritt zu voller Souveränität darstellen und sogar daran glauben: Entschieden hat er sich dafür, sich mit Hilfe Israels zum einzigen erfolgreichen und insofern einzig legitimen Politiker der Palästinenser zu machen – und im wohlverstandenen Eigeninteresse die Drecksarbeit gegen den verbleibenden palästinensischen Widerstand zu erledigen.

Das ist Arafats Lehre aus Jahren blutigen Terrors, den Israel gegen die Palästinenser und ihre Organisationen entfaltet hat. Mit seiner proirakischen Parteinahme im Golfkrieg hatte er den letzten, vergeblichen Versuch unternommen, die palästinensisch-arabische Sache als Gegensatz zur freien Machtentfaltung Israels und zur US-Kontrolle über die Region zu definieren und sie in Gegnerschaft zur amerikanisch-israelischen Übermacht voranzubringen. Mit dem Scheitern dieses Versuchs sind die organisierten Palästinenser, die seit Israels vorletztem Libanoneinsatz zwecks „Frieden für Galiläa“ ihr Hauptquartier nurmehr in Tunis unterhalten durften und nicht einmal dort vor israelischen Luftangriffen sicher waren, endgültig zur Restgröße eines nicht mehr zeitgemäßen Konflikts herabgesunken, für die sich kein namhafter Staat mehr stark macht. Aus dieser Position vollständiger Ohnmacht heraus haben sie das amerikanische Interesse an der Errichtung eines diplomatischen Überbaus über dem „Nahost-Konflikt“ als Gelegenheit wahrgenommen. Die PLO hat sich sogar damit abgefunden, daß Israel ihre Aufwertung zum anerkannten diplomatischen Gesprächspartner verweigert hat und offiziell nur mit Honoratioren aus den besetzten Gebieten verhandelte. Und sie hat, um ein wohlwollendes Interesse Israels zu wecken, überdeutlich die Bereitschaft demonstriert, mit der ausdrücklichen Preisgabe bisheriger „unverrückbarer“ Forderungen über die Verhandlungsposition der offiziellen Delegation hinauszugehen; genau das, was Israel jetzt als sein „Entgegenkommen“ paraphiert, hat die PLO-Führung als ihr Angebot ins Spiel gebracht. Ausgerechnet nach dem israelischen Überfall auf Libanon hat sich Arafat darüber öffentlich mit den offiziellen Unterhändlern, die sich solche Zugeständnisse erst noch abhandeln lassen wollten, gestritten und unter der Hand einer Einigung auf dieser Kapitulationslinie zugestimmt, sobald Israel ihm die Gelegenheit bot. Offenbar hat dieser Mann eine gediegene politische Auffassung davon, daß mit machtlosen Opfern sowieso kein Staat zu machen ist, mit den Berechnungen der arabischen Staaten und den Resolutionen und Kalkulationen der internationalen Staatengemeinschaft aber erst recht nicht. Die Welt beglückwünscht ihn dazu, die letzte Gelegenheit, überhaupt ein Stück Macht zu erringen, ergriffen zu haben, bevor er in der weltpolitischen Bedeutungslosigkeit verschwindet. Und so sieht er das offenbar auch.

Alle anderen Vereine und Volksvertreter, die mit der „palästinensischen Sache“ Politik zu machen versuchen, sind für die PLO längst schon nicht mehr Verbündete eines gemeinschaftlichen Anliegens, sondern die eigentlichen Feinde und erscheinen ihr inzwischen bekämpfenswerter als der Staat, der Millionen Palästinenser zu Opfern gemacht hat. Auch die Intifada, auf die sie sich laufend berufen hat – anders als im Sinne einer Manövriermasse hat die PLO den Aufstand der Opfer sowieso nie verstanden –, hat sie nicht mehr als ein taugliches Mittel ihrer Politik, sondern als eine einzige Störung aufgefaßt. Und das gar nicht zu Unrecht. In dem Maße, wie die PLO sich von ihrer Politik der demonstrativen Aktionen gegen Israel abgewandt hat, hat sie nämlich ihre Basis in den Palästinensergebieten verloren. Dort ist von der einstigen arabischen Gegnerschaft gegen den amerikanisch-israelischen Imperialismus der ohnmächtige Widerstand der Opfer übriggeblieben, die sich zu Recht von Arafat nicht mehr vertreten sehen. Seit deren verzweifelter Antrag auf gerechte Behandlung keinen irdischen Adressaten mehr hat, hat er seinen moralischen Rückhalt im nächstbesten religiösen Schwindel gesucht. Die Angebote kamen vornehmlich aus dem Iran. Die Mullahs schicken sogar ein paar Waffen mit und bieten damit Leuten, die ohnehin nichts zu verlieren haben, die Gelegenheit, ihre Opferbereitschaft unter Beweis zu stellen, die mit der Dummheit der Frömmigkeit nun einmal einhergeht. Das von der PLO geräumte Feld des kämpferischen Widerstands haben daher „fundamentalistische Milizen“ besetzt, die aus dem Süden Libanons gelegentlich kleine Raketen abfeuern, und in den besetzten Gebieten Intifada-Kämpfer, die immer wieder für selbstmörderische Aktionen gut sind. Diese letzte Gegengewalt aus Ohnmacht und Frömmigkeit ist vom Militärkoloß Israel zum Hauptfeind erklärt und im Libanon und in den besetzten Gebieten entsprechend bekämpft worden. Jetzt holt sich die PLO ihre „Basis“ zurück: als Ordnungskraft in den besetzten Gebieten, die dort eine „Jahrhundert-Friedenslösung“ zu garantieren hat. Gegen wen, ist klar.

So bewähren sich die letzten palästinensischen Umtriebe, die von Arafat nicht mehr vertreten werden wollen und die er schon gar nicht vertreten will, doch noch als Basis für sein Bemühen um eine politische Rolle im Nahen Osten, allerdings genau andersherum: Nicht als politische Organisation der Opfer der israelischen Staatsgründung, sondern als Hilfspolizist gegen sie steigt die PLO in die ersehnte politische Verantwortung auf. Von Israel bekommt sie nicht nur die Beteiligung an der Macht, die sie sich gegen Israel nicht erkämpfen konnte, sondern auch gleich noch den verbindlichen Zweck ihres Gebrauchs vorgegeben: gewaltsame Durchsetzung des palästinensischen Verzichts gegen alle, die sich damit immer noch nicht abfinden wollen. Das sind die politischen Triumphe einer politischen Organisation, die noch vor kurzem als Staat im Wartestand international anerkannt werden wollte, nachdem sie ihre gescheiterte Politik des berechnenden Unruhe-Stiftens durch die genauso hilflose Strategie der Anbiederung an ihre Gegner von gestern ersetzt hat. Sie läßt sich von ihrem ehemaligen „Todfeind“ in dessen ausgreifender Ordnungspolitik ein Plätzchen zuweisen und feiert das als Sieg der palästinensischen Sache. So profitiert Arafat von Israels Anstrengungen, sich zum erstenmal auch mit diplomatischen Mitteln als unbestrittene regionale Vormacht zu etablieren.

c) Die neuen Leiden der arabischen Staaten

Diese Anstrengungen haben die unmittelbar betroffenen arabischen Staaten umgekehrt zu spüren bekommen. Israels Umgestaltung der Nahost-Verhandlungen zu einem wirklichen Neuordnungsprogramm haben sie nämlich genausowenig entgegenzusetzen wie seinem demonstrativ betätigten Militarismus. Jetzt bekommen sie auch diplomatisch die Quittung für ihr Bemühen, sich durch ihre Unterordnung unter die amerikanischen Kontrollbedürfnisse ein neues Gewicht zu verschaffen. Als Objekte und Partner der sowjetischen Weltmacht hatten sie zwar auch keine Erfolgsaussichten, immerhin aber eine gewissen Souveränitätsgarantie besessen; damit ist es vorbei. Ohne jede andere Chance als die amerikanischen Vermittlungsangebote, haben sie sich entschlossen, sich dem darin ausgesprochenen Unterordnungsgebot zu fügen und die Oberaufsicht der USA als ihre Chance anzusehen, und haben ihre Gegnerschaft gegen Israels Machtanspruch höchst einseitig suspendiert.

  • Das betrifft insbesondere Syrien. Mit seiner Entscheidung für die Golfkriegs-Allianz der USA hat es seine nationalen Ambitionen auf das Maß zurückgenommen, das Amerika seinem neuen Verbündeten zugesteht. So wurde dem Machthaber in Damaskus die Freiheit gewährt, den Bürgerkrieg im Libanon zu beenden und der passenden libanesischen Regierung ein wenig Macht im eigenen Land zu verschaffen; freilich unter der Maßgabe, daß die syrischen Truppen vom israelischen Besatzungs- und Interessengebiet im Süden des Libanon gehörigen Abstand halten, israelische Machtdemonstrationen hinnehmen und auch dann nicht einschreiten, wenn in der Bekaa-Ebene, ziemlich weit weg von Israels südlibanesischer „Sicherheitszone“, eigene Soldaten von israelischen Bomben getötet werden. Das nationale Interesse an einer Rückgewinnung des von Israel förmlich annektierten Golan hat als syrische Verhandlungsposition Anerkennung gefunden, allerdings um den Preis, daß es damit auch zur Verhandlungsmasse geworden und damit ganz der Hoffnung überantwortet ist, dem neugewonnenen Partner USA könnte die syrische Unterordnungsbereitschaft einigen Druck auf Israel in dieser Frage wert sein.
  • Jordanien, schon längst ziemlich ohnmächtiger und willfähriger Anrainer Israels, hat die Chance entdeckt, „sein Palästinenserproblem“ und damit sich in die Verhandlungen einzubringen.
  • Ägypten hat sich die Rolle eines verläßlichen Mittlers zwischen Israel und dem arabischen Umfeld unter amerikanischer Regie vorgestellt.

Für diese Politik der Anpassung der – jeweiligen – „arabischen Sache“ an die neue „Lage“ hat Israel mit seinen militärischen Ausflügen und seiner Offensive auf dem diplomatischen Feld neue Bedingungen gesetzt. Ägypten hat überhaupt keine Gelegenheit erhalten, seine „Camp-David“-Erfahrung konstruktiv einzubringen. Jordanien sieht sich mit seiner gedachten Mitzuständigkeit bei der Regelung der Palästinenserfrage in seinen und außerhalb seiner Grenzen völlig übergangen. Und Syrien erfährt aus dem Munde der israelischen Friedenspolitiker erst einmal, daß der Golan noch lange nicht dasselbe wie Gaza ist. Alle sind sie damit konfrontiert, daß Israel unabhängig von ihren Ambitionen Fakten schafft – und ziehen daraus den Schluß, daß sie sich als nun ganz neu von Israel Betroffene irgendwie mit diesem übermächtigen Nachbarn ins Benehmen setzen müssen.

d) Die USA: Wohlwollen gegenüber Israels Eigenmächtigkeit

Sogar die USA, Israels unentbehrliche Schutzmacht, sehen sich durch die neue Jerusalemer Friedensdiplomatie nicht gerade ausgebootet, aber vor vollendete Tatsachen gestellt und in ihrem Anspruch auf Beherrschung des von ihnen inszenierten „Friedensprozesses“ irritiert. Es fällt ihnen nicht ganz leicht, die neue Entwicklung als Leistung ihrer Diplomatie und Erfolg ihrer Aufsicht hinzustellen. Tatsächlich hat Israel ja die Statuszuweisung durchkreuzt, die Amerika nach dem Golfkrieg seinem „strategischen Verbündeten“ zugemutet hat.

Die diplomatische Verwunderung der Aufsichtsmacht hielt sich aber in Grenzen. Einspruch gegen Israels Geheimmanöver legt man in Washington genausowenig ein wie Protest gegen die vorausgegangene „Frieden-für-Galiläa“-Unternehmung. Man kommt zwar nicht umhin, Israels Eigenmächtigkeiten zur Kenntnis zu nehmen; eine Bedrohung der eigenen Politik sieht man darin aber nicht. Und das klärt doch einiges an dem neuen Verhältnis, das die USA mit dem Oktroi eines Verhandlungsprozesses zu ihrem langjährigen Vasallen eingegangen sind. Tatsächlich haben sie Israel damit zwar in seiner Ausnahmestellung als autonomer Sachwalter amerikanischer Interessen im Nahen Osten nicht mehr gelten lassen und in seiner praktischen Bedeutung für die amerikanische Ordnung in der Region vermindert. Der Zweck ihres Vorgehens war das aber nicht. Die USA haben in Israel nie einen Ordnungsfall gesehen, geschweige denn einen Störfall ihres Ordnungswillens in der arabischen Welt; auch dann nicht, wenn dieser Staat nach eigener Kalkulation losgeschlagen und auch noch den offiziellen „Friedensprozeß“ mit Militäraktionen in seiner Umgebung begleitet hat – im Endeffekt hat der israelische Militarismus noch immer Amerika in die starke Position den Arabern gegenüber gebracht, die einzige Gewähr für eine gewisse Bremsung der israelischen Armee zu bieten. Als Gegner seiner Nahost-Strategie hat Amerika seinen Schützling deswegen erst recht nie gesehen. Ein gewisser Problemfall war Israel nur mit seinem anfänglichen Widerstand gegen das Anlaufen der von Washington gewünschten Verhandlungen, den es dann aber wunschgemäß aufgegeben hat. Und so begreifen die USA es auch jetzt nicht als Konkurrenz zu ihrem Zugriff auf die nahöstlichen Machtverhältnisse[1], wenn Israel sich demonstrativ zur selbständig handelnden Ordnungsmacht – und rhetorisch fast schon zur neuen Schutzmacht aller entrechteten Palästinenser… – aufschwingt.

Der vorläufige weltpolitische Ertrag des „Friedensprozesses“: Eine neue Sonderrolle für Israel

Der „Friedensprozeß“, den die USA zur Festigung ihrer Ordnungsmacht im Nahen Osten initiiert haben, hat dank Israels entschlossenem Doppel-Einsatz an der Kriegs- und Friedensfront ein bemerkenswertes Zwischenergebnis erbracht: Was für diesen Staat als Zumutung, für seine arabischen Nachbarn als Hoffnung und – vom Standpunkt ihrer Ohnmacht – Chance begonnen hatte, ist zu einem Stück aktiver, autonomer israelischer Ordnungspolitik gediehen. Der Jerusalemer Regierung ist die diplomatische Umsetzung ihrer Definition von Frieden gelungen: Der herrscht, wenn sich die Opfer der israelischen Staatsgründung und Machtentfaltung zum bedingungslosen Arrangement mit ihrem Status bereitfinden und sich darin eine funktionelle Unteraufgabe zuweisen lassen. Normalisierung ist dann möglich, wenn nur noch Israel unwidersprochen zu kriegerischen Mitteln greifen darf. Anerkennung bekommt der arabische Staat, der Israel alle nur denkbaren Sicherheitsgarantien bietet, egal was das für ihn bedeutet. Zu so einem Frieden ist Israel nicht bloß bereit; wenn es schon sein muß, dann stiftet es ihn, soweit es geht, selber. Wie weit das geht, zeigt sich gerade.

So definiert Israel seine Sonderrolle im Nahen Osten neu. Und soweit die USA nichts dagegen haben, hat es sie auf diese Weise auch neu gefestigt.

[1] Allen Kommentatoren hat sich der Vergleich zwischen dem Durchbruch bei den Nahost-Verhandlungen und dem zeitgleichen Abbruch der Genfer Bosnien-Verhandlungen aufgedrängt; deshalb soll auch hier der entscheidende Unterschied benannt werden: Im „jugoslawischen Friedensprozeß“ haben die USA den ausgehandelten Kompromiß als konkurrierenden Eingriff in ihre Regelungskompetenz begriffen – und vor Ort hat sich die Partei gefunden, die ihn im Vertrauen darauf hat scheitern lassen.