Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Knicken die Deutschen vor dem Islam ein?
Moralische Aufrüstung eines Volks von ‚Feiglingen‘ und ‚Defätisten‘

Ein „mutiger“ Regisseur lässt seinen Idomeneo nicht nur den abgeschlagenen und bluttriefenden Kopf des Meeresgottes Poseidon, sondern auch noch die zuvor symbolisch abgehackten Häupter der Religionsstifter Jesus, Mohammed und Buddha vor das entgeisterte Publikum drapieren, um schließlich – inzwischen selbst über und über blutverschmiert – in übergeschnapptes Hohngelächter auszubrechen. Dann klappt er zusammen. Wegen möglicher Protestaktionen empörter Moslems hat die Intendantin der Deutschen Oper Berlin weitere Aufführungen abgesagt. Ausgerechnet das wird zum Skandal.

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Knicken die Deutschen vor dem Islam ein?
Moralische Aufrüstung eines Volks von ‚Feiglingen‘ und ‚Defätisten‘

1) Ein Theaterskandal der anderen Art: Wie aus der abgesetzten Berliner Idomeneo-Aufführung ein politisches Lehrstück in Sachen ‚Kampf der Kulturen‘ wird

Wer in den hohen Sphären des Regietheaters etwas darstellen will, sollte alten Werken einen modernen Sinn ablauschen. Hans Neuenfels, der Regisseur des Berliner Idomeneo, beherrscht diese Kunst. Er bringt den ‚Plot‘ – Idomeneo muss dem Poseidon seinen Sohn als Menschenopfer darbringen und sträubt sich dagegen mitsamt seinem Anhang so beherzt, dass der archaische Schreckensgott schließlich seine barmherzigen Seiten entdeckt und Nachsicht walten lässt – als allgemein gültige Parabel über die Gewalttätigkeit einer absolut gesetzten Religion auf die Bühne. Und damit jeder kapiert, wie irrsinnig aktuell das ist, inszeniert das Enfant terrible des deutschen Theaters (SZ, 27.9.06) Mozarts Happyend mit dem Holzhammer: Der Titelheld, den Mozart an der Stelle bereits unter den wonnigen Gesängen des Chors (‚Scenda Amor …‘) aufs behagliche Altenteil (‚Torna la pace …‘) und ansonsten in die Garderobe geschickt hatte, stapft unverhofft auf die Bühne zurück, packt da aus einem blutbesudelten Leinensack nicht nur den abgeschlagenen und bluttriefenden Kopf des Meeresgottes, sondern auch noch die zuvor symbolisch abgehackten Häupter der Religionsstifter Jesus, Mohammed und Buddha aus, drapiert diese fein säuberlich auf vier Stühle vor dem entgeisterten Publikum, um schließlich – inzwischen selbst über und über blutverschmiert – in übergeschnapptes Hohngelächter auszubrechen. Dann klappt er zusammen. Vorhang. Die frohe Botschaft der drastischen Apotheose: ‚Der Mensch‘ hat den Glauben an den Absolutheitsanspruch der Religion und damit seinen selbstverschuldeten Kadavergehorsam gegenüber den Göttern überwunden; Mordanschläge gegen seinesgleichen erübrigen sich mithin, zumindest sofern sie transzendental motiviert sind. Na bravo! Selbstredend klang der Premierenabend in einem tumultuarischen Buhgewitter (SZ, 27.9.) aus. Nichts wäre der entsetzten Mehrheit des Publikums lieber gewesen als die sofortige Verbannung der ‚dekadenten‘ und ‚blasphemischen‘ Darbietung vom Spielplan.

Das war im März 2003. Nun ist der Inszenierung das Glück eines zweiten Skandals beschieden. Diesmal ist allerdings ihre Absetzung der Grund der Entrüstung. Auch erzkonservativ gesonnene Leute, die eine sittenstrenge Religiosität durchaus zu schätzen wissen und auf gotteslästerliche Darstellungen schnell cholerisch reagieren, bestehen jetzt auf einmal auf eine sofortige Rückkehr der Produktion auf die Bühne. Selbst Bischöfe beider Konfessionen befürworten plötzlich – zähneknirschend – weitere Aufführungen des Frevels. Offenbar wird er gar nicht mehr als solcher wahrgenommen. Woher der jähe Perspektivenwechsel? Nach Warnhinweisen des Berliner Landeskriminalamts betreffs möglicher Protestaktionen empörter Moslems gegen die Zurschaustellung eines geköpften Mohammeds hatte die Intendantin der Deutschen Oper Berlin weitere Aufführungen abgesagt. Sie wollte das Publikum und die Mitwirkenden keiner Gefahr aussetzen (SZ, 27.9.). Mit anderen Worten: Die gute Frau wollte mögliche – religiös motivierte – Menschenopfer vermeiden. Und genau das sorgt jetzt für den Eklat. Hören wir zunächst den Hauptleidtragenden, den Regisseur: Frau Harms muss das Stück jetzt erst recht zeigen … Es geht hier nicht zuletzt um die Verteidigung unseres abendländischen Kulturverständnisses. (SZ, 27.9.) Nun ja: man muss nicht gleich nervös werden, wenn ein Künstler von Weltuntergangsvorstellungen heimgesucht wird, weil sein bedeutungsschweres Meisterwerk der Welt vorenthalten wird. Künstler sind oft sonderbare Schwärmer. Entschieden auffälliger ist es jedoch, wenn prosaische Politiker ins gleiche Horn stoßen und einen Sturm der Entrüstung gegen Frau Harms (FAZ, 27.9.) auslösen. Kanzlerin Merkel: Eine unerträgliche Selbstzensur. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht aus Angst vor gewaltbereiten Radikalen immer mehr zurückweichen. Hessens Innenminister Bouffier: Die Absetzung ist feige und blamabel. Bayerns Ministerpräsident Stoiber: Diese Kultur der Ängstlichkeit ist falsch. Wenn die Freiheit bedroht ist, braucht sie notfalls auch die Bereitschaft zur Verteidigung und zur Auseinandersetzung mit ihren Gegnern. Innenminister Schäuble: Ein Kniefall vor den Terroristen … Frau Harms muss wohl verrückt geworden sein, so was zu tun.

Offenbar ist das Sprechen in Hyperbeln keineswegs den dramatischen Künsten vorbehalten. Überspannte Interpretationen sind nicht ihr Privileg. Das eine wie das andere leistet offenkundig auch als Stilmittel der politischen Meinungsbildung wertvolle Dienste. Da setzt ein vornehmes Opernhaus aus Gründen besonnener Vorsicht eine verstiegene Klassikinterpretation vorzeitig ab, und wie stellen die maßgeblichen Meinungsführer diesen nicht gerade weltbewegenden Vorgang dar? ‚Die Freiheit ist bedroht!‘, heißt es unisono. ‚Diktiert die Angst vor dem Islam und seinen Terroristen jetzt schon unsere Opernspielpläne?!‘, fragt sich nicht nur die Bildzeitung. Mit solchen Übertreibungen ordnen Politiker das windige Geschehen im Berliner Musentempel in die welthistorische Konfrontation Freiheit gegen Terrorismus ein und inszenieren so gezielt einen Skandal. Und wozu das Theater? Der Nation soll – ein weiteres Mal – klargemacht werden, in welch riesiger weltpolitischen Konfrontation sie sich befindet. Die Absetzung der Mozartoper ist als Teil dieser Konfrontation zu sehen: Das macht aus einer harmlosen Vorsichtsmaßnahme einer feenhaften Operndirektorin (SZ, 9.10.) einen skandalösen Verrat am obersten Staats- und Zivilisationsprinzip Freiheit. Und daran lässt sich ganz hervorragend Meinung bilden: Der publikumswirksam inszenierte Skandal dient Politikern als Vehikel der moralischen Aufrüstung des Volkes. Alles, was in den Verdacht der Nachgiebigkeit gegenüber dem Islam und seinen Jüngern gerät, wird damit skandalisiert. Gleichzeitig werden hohe Ansprüche an eine belast- und streitbare Moralität propagiert und das friedensverwöhnte deutsche Volk mit den militanten Implikationen des freiheitlich-demokratischen Wertehimmels vertraut gemacht.

Der verantwortungsbewusste Beitrag der freiheitlichen Meinungswirtschaft zu dieser Schulung des Staatsbürgerverstandes lässt nicht lange auf sich warten. Die sogenannte ‚vierte Gewalt‘, die sich viel darauf zugute hält, die Politik immerzu kritisch zu hinterfragen und verborgene Motivationen zu enthüllen, entlarvt den Skandal keineswegs als die Farce, die er ist. Die medialen Sachwalter des nationalen Geistes heizen ihn vielmehr nach Kräften, d.h. mit markigen Sprüchen und hochdramatischen Szenarien an: Solche Feigheit ist keine Kunst. (SZ, 27.9.) Warum kuschen wir vor dem Islam? … Das Absetzen der Mozart-Oper war ein schlimmes Eingeständnis der Selbstaufgabe. (Bild, 27.9.) Der Vorgang ist ungeheuerlich … Das Risiko einer Wiederaufnahme lohnt sich. Es ist viel kleiner als die Gefahren einer Kapitulation vor den Feinden der Freiheit. (Zeit, 27.9.) Der für seinen kritischen Journalismus bekannte ‚Spiegel‘ liefert gleich ein Musterbeispiel dafür, wie ‚Kritisch-Sein‘ heute geht. Besteht der Chor gegen die feige Opernabsetzung nicht aus lauter Maulhelden, fragt er sich provokant, um die Botschaft zu verbreiten, dass in der Auseinandersetzung mit dem Islam nichts weniger als ein Volk von Helden gebraucht wird.

„Nie war Widerstand gegen den Terror billiger zu haben. Kein Selbstmordattentäter in Sicht, niemand riskierte mehr als ein Verhaspeln vor den Mikrofonen. Die eigentliche Frage bleibt auch nach dem verbalen Heldentum der vergangenen Woche offen: Sind wir zu Opfern bereit, um unsere Kultur zu verteidigen? … Sind wir wirklich bereit, wegen der Freiheit auf Sicherheit zu verzichten, wenn die Freiheit einen Blutzoll verlangt?“ (Spiegel, 2.10.)

Genau das ist hiermit angesagt: Die Freiheit verträgt keine Zimperlichkeit. Blutzoll ist in Kauf zu nehmen. Zufall ist das nicht, dass gerade in diesen unseren Tagen solche Klarstellungen auch an abseitigen Geschehnissen durchexerziert werden. In einer Zeit, in der es fest im politischen Denkhorizont eines jeden Bundesbürgers verankert werden soll, dass die Freiheit Deutschlands auch am Hindukusch zu verteidigen ist, steigen eben ganz grundsätzlich die Anforderungen an die Volksmoral. Tapferkeit wird als Primärtugend herausgestellt. Jede Art von ‚Feigheit vor dem Feind‘ passt nicht zu einer Politik, die sich anschickt, das Gewicht der Nation in weltweiten Ordnungsfragen durch ein immer ‚robusteres‘, sprich: gewalttätigeres Auftreten glaubwürdiger zu machen. Um ihren Status als eine der wichtigen Weltordnungsmächte zu untermauern, will die Nation ihre Streitkräfte vom Image eines Technischen Hilfswerks der UNO befreien und mehr und mehr ihre pure Kampfstärke in die Waagschale werfen. Fünf Einsätze soll die Truppe gleichzeitig und weltweit leisten können. Gerade bei ihrem jetzt anlaufenden Engagement im Nahen Osten legt die Berliner Regierung großen Wert auf eine UNO-sanktionierte Lizenz zum militärischen Gewaltgebrauch. Das hat Folgen für die politisch erwünschte ‚Stimmung im Land‘. Während die Flotte zu ihrem ersten ‚Kampfeinsatz‘ seit ’45 ausläuft, ist auch an der – virtuellen – Heimatfront im Kampf der Kulturen eine stramme Haltung gegenüber der islamischen Bedrohung angezeigt. Jedes Anzeichen von Defätismus ist das falsche Signal (Wolfgang Schäuble). Damit ist auch schon klar, welche Signale die richtigen sind und auch von einem deutschen ‚Hochkulturtheater‘ auszugehen haben: Angesagt ist die Demonstration, dass uns unsere Werte – in deren Namen ja auch ‚unsere Jungs‘ unterwegs sind – jedes Opfer wert sind. Und das gilt nicht nur für den Soldaten. Jedem Bürger und speziell jedem Verantwortungsträger bis hin zu einer Opernintendantin muss klar sein, dass er tapfer und kämpferisch für die Werte, die die sittlichen Grundlagen des Gemeinwesens ausmachen, geradezustehen hat. Jedem muss gegenwärtig sein, dass diese Werte nicht von Ungefähr von dem Superlativ ‚höchste‘ begleitet werden. Jeder muss wissen, dass sie auch nicht bloß ‚unsere‘ Höchstwerte sind, sondern die Höchstwerte. Als solche beanspruchen sie universale Geltung, vertragen also keine Relativierung an irgendwelchen anderen Werten oder Befindlichkeiten. Natürlich darf auch der Schutz von Leib und Leben nicht höherrangig gehandhabt werden als der Höchstwert Freiheit. ‚Verrücktheit‘ muss sich die Intendantin vorwerfen lassen, weil sie in dieser Hinsicht etwas auf eine sehr grundsätzliche Weise durcheinander gebracht hat: Auch wenn ihr Verantwortungsbereich sich ‚bloß‘ auf eine feinsinnige Theatertruppe beschränkt, ist sie zuallererst dem obersten Staatsprinzip Freiheit, hier vertreten durch die Freiheit der Kunst, verantwortlich und nicht dem Wohlergehen ihres Ensembles bzw. ihres Publikums. So bewegt der Skandal die Maßstäbe in die politisch gewünschte Richtung. Kunstgenuss unter Polizeischutz ist jedenfalls nicht zuviel verlangt, wenn es um den Schutz der obersten Zivilisationsprinzipien geht. Und wenn doch mal was ‚passiert‘, ist das eben ohne viel Aufregung auf dem Konto ‚Preis der Freiheit‘ zu buchen.

Ganz ausgezeichnet trifft es sich im Zusammenhang dieser Moralkampagne, dass justament zu diesem Zeitpunkt die Vertreter der islamischen Gemeinschaften in Deutschland zur ersten Islamkonferenz geladen sind. Innenminister Schäuble erkennt und ergreift sogleich die Gelegenheit, aller Welt den richtigen Umgang mit islamischen Bedürfnissen nach Schutz ihrer religiösen Gefühle vorzuführen. Er lädt die versammelten Banausen rücksichtslos gegenüber ihren Empfindlichkeiten zum gemeinsamen Besuch des – nächstens wieder angesetzten – blutrünstigen Spektakels ein: Um ein Zeichen zu setzen, möchten wir uns die Oper alle gemeinsam anschauen. Möchten sie? Natürlich würde sich keiner der Imame und Konsorten aus freien Stücken den abgeschlagenen Kopf ihres Propheten zu Gemüte führen – die gottesfürchtigen Leute sollen sich ja nicht einmal ein Bild vom unversehrten Mohammed machen. Schwänzen wäre jedoch mehr als ein Fauxpas. Ein Innenminister lädt nicht zur Oper, um Mozarts Musik zu frönen. Auf dem Programm steht vielmehr eine Demonstration für die Freiheit der Kunst und verlangt ist ein klarer islamischer Respektserweis vor diesem hohen Gut. Das stellt die Eingeladenen vor eine heikle Alternative: Nur wer hingeht und sich den massakrierten Mohammed ohne mit der Wimper zu zucken ansieht, gilt als glaubwürdig integrierter Deutscher. Wer jedoch seine religiösen Gefühle wichtiger nimmt als ein demonstratives Bekenntnis zur Freiheit und diese dazu benutzt, dem zur politischen Demonstration aufgeblasenen Singspiel fernzubleiben, setzt sich dem Verdacht aus, in der freiheitlichen Gesellschaft noch nicht angekommen zu sein. Ein Opernabend als Prüfstein der Verfassungstreue und Integrationsbereitschaft der islamischen Mitbürger – wenn das kein Fortschritt in der kulturellen Integration solcher Problemgruppen ist?! ‚Die Zeit‘ setzt unter diesem Blickwinkel noch eins drauf und macht die neuen Deutschen vorausschauend damit vertraut, dass die militanten Implikationen der westlichen Werte auch sie in die Pflicht nehmen. Die frisch integrierten Muslime können dann ja bei Gelegenheit einen (gewalt-)tätigen Beweis ihrer gelungenen Integration abliefern:

„Mag sein, dass ernstere Probleme als die Inszenierung einer Mozartoper auf das neue Deutschland warten, das jetzt endlich den Islam einzubürgern versucht – ein Terroranschlag etwa oder tote Soldaten in Nahost. Doch gerade dann wird man Muslime brauchen, die sich für dieses Land einsetzen und seine Werte selbst gegen jene verteidigen, die es im Namen ihrer eigenen Religion angreifen.“ (Die Zeit, 6.9.)

Alles in allem gelingt dem Zusammenspiel von Politik und Öffentlichkeit ein volkspädagogisch besonders wertvolles Gesamtkunstwerk: Für Muslime fungiert der Opernskandal als Lektion in Sachen nachholende Aufklärung über Freiheit & Toleranz und ihre Grenzen sowie die Pflicht, persönlich dafür einzustehen, für die Deutschen als Exempel für ein kompromissloses Eintreten für Werte, die nicht nur die ‚unseren‘ bleiben dürfen.

2) Der alltägliche Skandal in der europäischen Moralität: Henryk Broder geißelt das ‚Einknicken‘ der Abendländer vor den Ausländern

Der ‚vorauseilende Gehorsam‘ gegenüber dem Islam, wie er bei der Idomeneo-Absage offenbar wurde, ist keineswegs der Ausrutscher einer zartbesaiteten Opernchefin. Die ganze Gesellschaft ist davon durchdrungen. Zu solch alarmierender Einsicht (Klappentext) kommt der Publizist und Spiegel-Autor Henryk Broder. Dieser Fanatiker des Antiterrorkampfes fahndet bereits seit Jahren und in ganz Europa nach Beispielen präventiver Kapitulation vor dem Terror (S. 156). Seine Interpretationskraft ist parteilich genug und seine Maßstäbe sind rigoros genug, um jede Menge solcher Missstände dingfest zu machen. Die hat er nun zu einem kompletten Sittenbild des moralischen Verfalls der westlichen Nationen versammelt und unter dem Titel Hurra, wir kapitulieren – Von der Lust am Einknicken auf den Markt der nationalen Erbauungsliteratur geworfen. Das Pamphlet kündet von immensen moralischen Defiziten: Das ganze Abendland ist vor der islamistischen Gewaltdrohung in die Knie gegangen. Es sucht sein Heil in der vorauseilenden Selbstaufgabe. Überall nichts als Defätismus und Feigheit vor dem Feind. Ein paar Beispiele:

  • Bereits im dänischen Karikaturenstreit haben die Moslems bewiesen, wie schnell und effektiv sie Massen mobilisieren können, und der freie Westen, der sonst bei jedem Hakenkreuz ‚Wehret den Anfängen!‘ ruft, hat gezeigt, dass er der islamischen Offensive nichts entgegenzusetzen hat – außer Angst. (S. 20) Völlig zurecht halten die islamischen Fundamentalisten den Westen für schwach, dekadent und nicht einmal bedingt abwehrbereit. (S. 24) Der Kronzeuge für dieses traurige Zeugnis: Es ist kein Geheimnis, dass Osama Bin Laden und seine Anhänger die Europäer für einen Haufen Angsthasen halten. – Wohin die Gotteskrieger auch schauen, sie sehen überall die Bereitschaft zur vorzeitigen Kapitulation. (S. 137)
  • Nicht einmal rheinische Jecken wissen, wo sich der Spaß aufhört, und verraten durch ihren ‚vorauseilenden Gehorsam‘ gegenüber islamischer Gewaltbereitschaft die Freiheit des Frohsinns: Der Präsident des Düsseldorfer Karnevals gab ungeniert zu, man wolle wegen der nicht absehbaren Folgen auf provokante Darstellungen verzichten … ‚Man will doch nicht so enden wie dieser Filmemacher in Holland!‘ (S. 31)
  • Die europäischen Bürger und Politiker sind in eine einzige Appeasementhaltung versunken. Die Appeasniks (S. 43) befleißigen sich dabei einer memmenhaften Godzilla-Logik: Man soll das Monster nicht reizen, seine allzeit ausbruchsbereite Aggressivität nicht auf eine Belastungsprobe stellen. (S. 24) Es ist nicht Respekt vor anderen Kulturen, der das Verhalten der Menschen bestimmt, sondern das Wissen um die Rücksichtslosigkeit der Fanatiker. Je wilder und brutaler sie auftreten, umso eher verschaffen sie sich Gehör und Respekt. (S. 30)
  • Speziell die bundesrepublikanische Intellektuellenriege von Harald Schmidt bis Scholl-Latour, von Sloterdijk bis Grass giftet Broder dafür an, dass sie immer nur deeskalieren wollen. Er kann es nicht einmal ertragen, wenn etwa die Grünen-Politikerin Claudia Roth Besonnenheit statt Kulturkampf (S. 22) anmahnt. Auf diese Weise haben solche Leute das abendländische Selbstbewusstsein zu einer Kultur der Angst, des Bedauerns und der Entschuldigung (S. 33) degeneriert.
  • Die finanzielle Unterstützung der Palästinenser, mit der die EU im Nahen Osten Politik macht, ist für Broder Schutzgeld, wie es überall von Kneipenwirten bezahlt wird, damit die Mafia sie in Ruhe lässt. Tatsächlich haben die Hamas, die Hisbollah und der Dschihad darauf verzichtet, Ziele in Europa anzugreifen. (S. 59)

Beispiel reiht sich so an Beispiel und fügt sich beschwörend zum Bild eines drohenden ‚Untergangs des Abendlands‘. Sind wir noch zu retten?, fragt Broder sich schon auf dem Waschzettel und implizit auf jeder Seite. Der menetekelnde Sittenwächter gibt das Abendland jedoch keineswegs verloren. Was in der Form einer polemischen Bestandsaufnahme des dekadenten Europa daherkommt, ist die Agitation für einen intakten, d.h. kämpferischen Nationalismus. Seine Polemiken appellieren ja gerade an das – als gegeben und abrufbar vorausgesetzte – nationale Überlegenheitsgefühl seiner Adressaten. Gezielt beleidigt er ihren Nationalstolz, um ihren Hass auf die frechen ‚Menschen mit Migrationshintergrund‘ sowie auf die schlappen Meinungsführer und Verantwortungsträger in den eigenen Reihen anzustacheln. Die geschmähten ‚Angsthasen‘ haben das Pamphlet denn auch prompt zum Bestseller gemacht.

Nun belässt es Broder keineswegs bei seiner zeternden Auflistung solcher Monumente abendländischer Feigheit. Broder fragt nach Gründen: Wie konnte es zu dem kollektiven Schwächeanfall gegenüber der islamischen Bedrohung kommen? Seine verblüffende Entdeckung: Die Frage nach Gründen ist oftmals selbst schon ein gewichtiger Grund des Übels. Sie räumt nämlich ein, dass es solche auch bei islamischen Störenfrieden und Verbrechern gibt, und gesteht ihnen damit eine gewisse nachvollziehbare Motiviertheit ihres Tuns zu. Wer danach fragt, woher all der Hass auf palästinensischer Seite kommt, will diese Verbrecher verstehen. Wer ihre Gründe verstanden hat, entwickelt unweigerlich Verständnis für sie, und wer Verständnis hat, hat im ‚Kampf der Kulturen‘ schon kapituliert. Man kann sich in die Befindlichkeit der Terroristen hineinversetzen und die Verbitterung nachvollziehen, von der sie angetrieben werden. Man kann zum Kampf gegen die Ursachen aufrufen und sich mit dieser großen Geste zufrieden zurücklehnen. (S. 137) Grundverkehrt ist es in diesem Sinne auch, die islamische Verbitterung und ihre terroristischen Konsequenzen überhaupt als Reaktion auf etwas – womöglich auf einen schlechten Umgang des Westens mit den Heimatnationen der ‚Fundamentalisten‘ – aufzufassen. So wird dem Terrorismus pauschal Legitimation verliehen, als Reflex auf Ungerechtigkeiten. (S. 135) Für den Mann erscheint auch jedes Differenzieren zwischen Islam und Islamisten völlig daneben. Das konterkariert bloß den abendländischen Schulterschluss gegen diese vorsintflutliche Religion und ihre gefährlichen Anhänger. Solch geistige Desorientierung ist letztlich noch psychologisch, als charakterliche Deformation zu erklären. Sich mit dem Islam arrangieren zu wollen, ist für Broder eine pathologische Idee (S. 163), und die folgt einer feigen Logik: Je brutaler der Gegner ist, mit dem man es zu tun hat, umso mehr muss man sich bemühen, ‚sorgfältig‘ zu differenzieren. (S. 55) Mit anderen Worten: Die europäischen Gutmenschen (S. 42) und Terrorversteher (S. 136) unterminieren mit ihrem weltfremden humanistischen Geschwätz die gesunden Selbsterhaltungskräfte der abendländischen Völker. Der Vorwurf der intellektuellen Volkszersetzung ist unüberhörbar. Demgegenüber besteht Broder auf einer bedingungslosen Parteilichkeit: Wer unseren Werten nicht entspricht, kann nur minderwertig sein. So einer darf nicht verstanden, er muss vielmehr verachtet und bekämpft werden.

Mit seinen Polemiken gegen die Geisteshaltung unverbesserlicher Philanthropen und Appeasement-Politiker führt einer der scharfsinnigsten Köpfe Deutschlands (Klappentext) vor, wie fundamentalistisch borniert ein Feindbild gestrickt sein muss, damit es als Element einer kämpferischen Moral seine Dienste tut. Jegliches Begründen, Verstehen oder Differenzieren kann da nur stören. Der Feind muss als das ganz abstrakt und damit absolut, also in keiner Weise begründbare oder verstehbare Böse aufgefasst werden. Mit solchen Ausführungen leistet dieser Retter der abendländischen Kultur gleichzeitig einen beachtlichen Beitrag zu ihr: Denken macht dekadent.

Davor schützt nur eines: Realismus. Der lässt einen der Einsicht teilhaftig werden, wie das mit den abendländischen Höchstwerten wirklich gemeint ist. Zu ihrem Schutz vor minderwertigen Völkerschaften und Terroristen ist es nämlich auch mal angezeigt, den einen oder anderen Wert zu suspendieren, sprich einige Grundsätze des befriedeten Zusammenlebens zu opfern (S. 136). Das heißt: Die Idee, man könnte dem Terror nur mit rechtsstaatlichen Mitteln beikommen, übersteigt die Grenze zum Irrealen. Es ist, als ob man die Feuerwehr auffordern würde, sich bei ihren Einsätzen an die Straßenverkehrsordnung zu halten. (S. 124) Wie locker doch humanistische Maßstäbe und Ideale aus dem Verkehr gezogen werden können, wenn sie in den Verdacht kommen, unpraktisch zu sein, die Staatsgewalt einmal nicht verklären, sondern behindern. Sie gelten eben nicht unbedingt und geben der Politik nicht gebieterisch die Koordinaten ihres Handelns vor, wie es immer heißt. Und doch ist das – recht besehen – kein Widerspruch zu ihrer Absolutheit. Sie werden lediglich zu ihrem eigenen Schutz aus dem Verkehr gezogen. Werte dürfen schließlich nicht ihrer eigenen Verteidigung im Wege stehen. Anders: Die höchsten Werte der abendländischen Zivilisation und nur die rechtfertigen in letzter Instanz jede noch so barbarische Gewalttätigkeit.