Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Der ANC wählt einen neuen Führer – Die Presse erklärt, was daran wichtig ist:
Ändert sich in Südafrika nun das Investitionsklima oder bleibt es so günstig, wie es ist?

In Südafrika wird Jacob Zuma, der „Zulu-Führer“ und gemäß dem demokratischen Sittenkodex ein bedenklicher „Linkspopulist“, zum Vorsitzenden des ANC (African National Congress) gewählt und die Führungsriege der Partei, die Südafrika seit dem Ende der Apartheid unangefochten regiert, ausgewechselt. Damit ist ziemlich wahrscheinlich geworden, dass Zuma von dem bisherigen Parteichef Mbeki auch das Präsidentenamt übernehmen wird – sofern er auch in der „Korruptions- und Vergewaltigungsaffäre um ihn“ den Machtkampf mit Mbeki besteht.

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Der ANC wählt einen neuen Führer – die Presse erklärt, was daran wichtig ist:
Ändert sich in Südafrika nun das Investitionsklima oder bleibt es so günstig, wie es ist?

In Südafrika wird Jacob Zuma, der „Zulu-Führer“ und gemäß dem demokratischen Sittenkodex ein bedenklicher „Linkspopulist“, zum Vorsitzenden des ANC (African National Congress) gewählt und die Führungsriege der Partei, die Südafrika seit dem Ende der Apartheid unangefochten regiert, ausgewechselt. Damit ist ziemlich wahrscheinlich geworden, dass Zuma von dem bisherigen Parteichef Mbeki auch das Präsidentenamt übernehmen wird – sofern er auch in der „Korruptions- und Vergewaltigungsaffäre um ihn“ den Machtkampf mit Mbeki besteht.

Die hiesigen Organe der freien Meinungsbildung beobachten die Vorgänge in der „jungen südafrikanischen Demokratie“ genau und was sie zu berichten wissen, gibt weniger Auskunft in der Sache als vielmehr darüber, welche Kriterien Journalisten an- und ihrer Leserschaft nahelegen, wenn sie über den Machtwechsel in Südafrika informieren:

„Nach dreizehn Jahren an der Macht steckt Südafrikas Regierungspartei ANC in einer Krise, wie es sie seit dem Ende des Apartheidregimes 1994 nicht gegeben hat ... Ein tiefer Riss geht durch den ANC. Die wirtschaftsfreundlichen Kräfte um Präsident Thabo Mbeki haben beim Parteikongress eine herbe Niederlage erlitten. Und der Triumph gehört Jacob Zuma, dem linken Volkstribunen, vor dem sich nun Investoren und Wirtschaftsbosse fürchten“ (SZ, 20.12.07).

Wenn sich Investoren und Wirtschaftsbosse „fürchten“, dann ist das fraglos auch für die nationale Presse ein Grund zur Sorge. Der politische Sachverstand und Aufklärungseifer der Zeitungsschreiber widmet sich von daher vornehmlich der Frage, ob die neue Mannschaft an der Parteispitze die Gewähr dafür bietet, dass das Interesse Deutschlands, in und mit Südafrika gute Geschäfte zu machen und sich an dem Land zu bereichern, auch zukünftig ausreichend zum Zuge kommt.

Wird in Südafrika zu unserer Zufriedenheit regiert?

Bislang waren hiesige Journalisten im Großen und Ganzen zufrieden mit der Politik des ANC und deren Leistungen für „unseren“ Wirtschaftsstandort. Freilich, schon Präsident Mbeki hat vieles falsch gemacht – schließlich haben „wir“ es ja ihm und seinem falschen Führungsstil – zu „autoritär“ und „arrogant“ – zu verdanken, dass jetzt der „Volkstribun“ triumphiert.

Außerdem ist Präsident Mbeki durch eine katastrophale HIV-Politik und Verbrechensbekämpfung aufgefallen.

Für die Durchseuchung seines Volkes mit Aids hat der Mann nämlich die miserablen sozialen Verhältnisse im Land verantwortlich gemacht, um damit eine historische Bringschuld des Westens einzuklagen, – statt dass er mit Medikamenten und Aufklärung dafür sorgt, diese Durchseuchung im Griff zu behalten. Neben der hohen Zahl an HIV-Infizierten machen Gewaltkriminalität und eine unfähige und korrupte kommunale Verwaltung Investoren das Leben schwer. Wirtschaftsfachleute erkennen da lauter Investitionshemmnisse.

Und auch, was die moralische Dimension Simbabwes angeht, verlor er international stark an Ansehen. (Die Welt, 20.12.)

Denn Südafrikas Regierung unterstützt den simbabwischen Machthaber Mugabe, der von der US-Außenministerin zum Vorposten der Tyrannei in Afrika erklärt wurde, und hintertreibt damit die vom Westen erwünschte und betriebene Isolation und Entmachtung des Regimes.

Doch von derlei Unfähigkeit und Versagen des aktuellen Partei- und Staatschefs abgesehen, die grundsätzliche politische Linie stimmt in Südafrika:

„Südafrika, dreimal so groß wie Deutschland, hat eigentlich alles, was Investoren freut: ein geringes Haushaltsdefizit, eine niedrige Inflationsrate und ein stabiles, hohes Wirtschaftswachstum. Der Kontinent bietet mit Südafrika einen Investmentstandort, der den Vergleich mit anderen Schwellenländern nicht zu scheuen braucht.“ (DW, 30.7.06)

In anderen Worten: In Südafrika lässt sich viel und gutes Geld verdienen. Anfängliche Bedenken hierzulande, durch die Übergabe der politischen Macht an die unterdrückte und ausgebeutete schwarze Bevölkerungsmehrheit würde in Südafrika die kapitalistische Wirtschafts- und Eigentumsordnung angetastet, hat der ANC im Laufe seiner 13jährigen Amtszeit gegenstandslos gemacht: Mbeki zufolge hat die Marktwirtschaft den Charakter einer universellen und augenscheinlichen Wahrheit erlangt. Die Enttäuschung und Unzufriedenheit, die seine klare Strategie aus dem Lehrbuch des Neoliberalismus (B. Grill: Ach, Afrika, München 2005) bei den Massen, die sich von der Eroberung der politischen Macht eine Verbesserung ihrer materiellen Lage erhofft haben, zwangsläufig hervorgerufen hat, hat er geradezu demokratisch vorbildlich entschärft: Die politischen Anwälte von protestierenden Arbeitern und im Elend hausenden Südafrikanern hat er in Regierungsverantwortung genommen und damit auf die gültige Staatsräson verpflichtet. Und auf diese Weise konnte er die Unzufriedenheit der schwarzen Wählerschaft des ANC immer wieder aufs Neue in Loyalität zur Parteilinie überführen:

„Die institutionelle Einbeziehung des führenden Gewerkschaftsbündnisses (Cosatu) in das Dreier-Regierungsbündnis aus ANC, SACP (kommunistische Partei) und Cosatu setzt den makroökonomischen Rahmen für den südafrikanischen Aufschwung ... Die Einbindung von Cosatu in Regierungsverantwortung entschärft daher das Konfliktpotential des wirtschaftlichen Strukturwandels, der bislang weitgehend ohne fundamental regierungskritische Massenproteste der organisierten Arbeiterschaft auskam.“ (afrika-süd 3-05)

Alles in allem also eine zufrieden stellende Bilanz:

„Aus Sicht der Makroökonomen macht Präsident Mbeki zwar vieles richtig. Er fand einen fähigen Finanzminister, der sicherstellt, dass Südafrikas Wirtschaft wächst. Das Land ist nach der Isolation der Apartheid-Jahre erfolgreich in die Weltwirtschaft eingebunden“.

Aber? Was wollen Investoren denn noch mehr?

Die krassen Gegensätze im Land sind ein Problem – fragt sich bloß, welches?

Als ob es ein Widerspruch wäre zu den markt- und weltwirtschaftlichen Erfolgen Südafrikas, setzt obiger Autor seinen Bericht fort mit einer Schilderung der katastrophalen Lebensbedingungen der südafrikanischen Bevölkerung:

„Das Wachstum aber nutzt den Menschen am unteren Rand der Gesellschaft kaum. Die Kluft zwischen Arm und Reich wird rasant größer. Überall im Land sind die krassen Gegensätze offensichtlich. Glitzernde Einkaufszentren und Villenviertel wechseln sich ab mit dem Schmutz und Elend der Wellblechsiedlungen. In Südafrika treffen Erste Welt und Dritte Welt so hart aufeinander wie sonst nur noch in Indien.“ (SZ, 20.12.07)

Zustände wie sonst nur noch in Indien – und das, obwohl die Südafrikaner nun schon etliche Jahre die Freiheit genießen:

„Der Aufstand des linken Lagers ist auch ein Symptom jener tiefen Enttäuschung, die Millionen Südafrikaner immer stärker erfasst. Der ANC erstritt im siegreichen Kampf gegen die Apartheid für alle die Freiheit, aber im Wohlstand lebt doch nur eine Minderheit.“ (SZ, 20.12.)

Die Freiheit für alle und ein Leben in Armut für die Mehrheit, das soll sich widersprechen?

Auch wenn heute kein Schwarzer mehr durch politische Diskriminierung von dem Grund- und Menschenrecht auf Freiheit und Gleichheit ausgeschlossen wird und ohne rechtliche Einschränkung an der Konkurrenz um die Posten der kapitalistischen Berufs- und Einkommenshierarchie teilnehmen darf: Es ist gerade der – nun allein gültige - Maßstab der Sortierung des Volkes nach dem Kriterium seiner kapitalistischen Brauchbarkeit, der dafür sorgt, dass sich an der elenden sozialen Lage der Neger herzlich wenig ändert. Ein Großteil von ihnen ist schlicht und ergreifend überflüssig, gemessen am Bedarf der in Südafrika tätigen Geschäftswelt an kostengünstiger Arbeitskraft, und lebt deswegen in der gleichen absoluten Armut wie in den hässlichen Zeiten der Apartheid. Für den Rest sind miserable Löhne und Arbeitsbedingungen der Preis dafür, überhaupt eine (Über)Lebensperspektive zu bekommen. Heute haben die krassen Gegensätzeoffensichtlich – eben nur noch die der kapitalistischen Produktionsweise geschuldeten Gründe. Und an ihnen ändern auch regierungsamtliche Programme eines Black Economic Empowerment, die bestimmte Quoten der „Ermächtigung“ von Schwarzen in allen Bereichen und auf allen Ebenen der Gesellschaft vorschreiben, im Grundsatz nichts. Solche Programme betreffen lediglich die Verteilung von weißem und schwarzem Volk auf die verschiedenen Klassen und Berufspositionen.

Zwar verspricht der regierende ANC vieles und er unternimmt auch immer mal wieder das eine oder andere gegen die miserablen Lebensverhältnisse der schwarzen Massen in den befreiten Homelands und Townships: er spendiert seiner kapitalistisch nutzlosen Bevölkerung Sozialrenten von umgerechnet etwa 60 Euro, von denen dann eine komplette Großfamilie ein Jahr leben muss; er baut immer mal wieder Hüttensiedlungen, auch mit Wasser- und Stromanschluss; er finanziert Ausbildungsprogramme und Programme zur Umverteilung des Landbesitzes. Solche Maßnahmen fallen deswegen so armselig aus, weil sie den Staat Haushaltsmittel kosten. Gelder, die vom Standpunkt der Förderung des nationalen Geldreichtums, die der ANC zum entscheidenden Erfolgsmaßstab seiner Regierung gemacht hat, und von deren Gelingen er die stetig versprochene Mehrung des Wohlstands in schwarzer Hand abhängig macht, ziemlich unproduktiv verausgabt sind. Armut, Seuchen und Kriminalität herrschen im heutigen Südafrika nicht trotz politischer Gleichheit und marktwirtschaftlicher Freiheit, sondern wegen ihnen. Es ist gerade die Herrichtung Südafrikas zum attraktiven Kapitalanlageplatz, die dafür verantwortlich zeichnet, dass eine „kleine Elite“ (egal, ob Weiße oder Schwarze) in Wohlstand lebt und die Masse des Volkes in bitterer Armut.

All diese Zusammenhänge kennen die sachkundigen Berichterstatter aus der 3. Welt – und erkennen darin genau 1 Problem: Funktioniert das Land trotz seiner Widersprüche weiterhin für uns? Ihnen drängt sich angesichts des Nebeneinanders von hohen Wachstumsraten und zunehmender Armut und Ungleichheit daher die „Frage“ auf: Ist der neue Chef der Regierungspartei willens, an der bisherigen politischen Linie unbeirrt festzuhalten? Und ist er gleichzeitig auch in der Lage, deren negative und unerwünschte Folgen auf die Ordnung im Land im Griff zu behalten? Von der politischen Gewalt in Südafrika erwartet man ein erfolgreiches Management des kapitalistischen Widerspruchs zwischen gedeihlichen Geschäftsbedingungen auf der einen und den staatlichen Ordnungsproblemen, die sich daraus ergeben, auf der anderen Seite.

Unter diesem zynischen Blickwinkel würdigt die Öffentlichkeit den Führungswechsel von Mbeki zu Zuma.

Ist der neue Mann souverän gegenüber seiner Basis?

Zwar hatte Zuma vor seiner Wahl versichert, unter ihm als Präsident werde es keine Abkehr von dem wirtschaftsliberalen Kurs der Regierung Mbeki geben. Doch der Mann aus KwaZulu-Natal wurde mit den Stimmen derjenigen zum ANC-Vorsitzenden gewählt, die 14 Jahre nach Ende der Apartheid endlich bessere Lebensbedingungen sehen wollen. (FAZ, 20.12.)

Das findet die Presse überhaupt nicht gut. Da stellt sich die Frage: Wird die Regierungspartei den ‚wirtschaftsliberalen Kurs‘, der Investoren und Wirtschaftsbosse freut, fortsetzen oder haben nun womöglich diejenigen, die ‚bessere Lebensbedingungen sehen wollen‘, mehr Gewicht in der Partei?

„Sollten sich unter einem Präsidenten Zuma die Gewerkschaften mit drastischen Lohnerhöhungen und verschärften Arbeitsrechtsbestimmungen durchsetzen ... Zumas Entourage ließ schon wissen, dass die Haushaltsüberschüsse, die Finanzminister Trevor Manuel erzielen konnte, künftig unter die Leute gebracht werden sollen. Die bislang sehr konservative Finanzpolitik hat Südafrika zwar viel Lob aus dem Ausland eingetragen, weil sie zur Währungsstabilität beiträgt und damit Auslandsinvestitionen begünstigt. Doch Zumas Anhänger interessieren weder Handelsdefizite noch Börsenkurse, sondern die Unfähigkeit der lokalen Verwaltung, Strom und Wasser zu liefern.“ (FAZ, 20.12.)

So oder so ähnlich lauten die Sorgen von Journalisten, die ideell den Standpunkt von Investoren und Börsenspekulanten einnehmen und bessere Arbeits- und Lebensbedingungen der Leute als drohende Geschäftskosten wahrnehmen und am Elend den möglichen Protest dagegen problematisch finden.

Von unzufriedenen Volksschichten gehen nach Auffassung unserer sachkundigen Berichterstatter Gefahren für die junge Demokratie aus, die der künftige Führer Südafrikas beherrschen können muss. Da hat er schon den Fehler des Populismus gemacht und aus wahltaktischen Berechnungen an den Materialismus der Massen appelliert – und jetzt weiß man nicht, wie er der ‚Ungeduld‘ seiner Anhänger wieder ‚Herr werden‘ will:

„Die Armen wollen Jobs, Brot und eine Perspektive. Und die Armen haben wenig Geduld. Zuma hat noch nicht erkennen lassen, wie er der Probleme Herr werden will. Er müsse den Kurs des ANC gar nicht ändern, beruhigte er die Investoren und Wirtschaftsführer. Doch das hieße ja, dass alles so bleiben kann, wie es ist. Die glühenden Anhänger Zumas werden das nicht erlauben.“ (SZ, 20.12.)

Dann allerdings hätten wir mit Südafrika ein Problem.

PS.:

Gelassene Worte kommen von einem, der es wissen muss:

„Man solle nicht zu viel auf das Getöse der Linken um Zuma geben. Denn erstens gebärdeten sich ‚Führungspersönlichkeiten oft anders, als vorher zu erwarten war‘, und zweitens werde auch Zuma mit den ‚Realitäten der Globalisierung‘ konfrontiert werden. Es sei denn, fügte der letzte weiße Präsident Südafrikas ominös hinzu, er entscheide sich für eine Politik des ‚nationalen Selbstmords wie in Simbabwe‘.“ (Die Welt, 20.12.)