Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Friedensnobelpreis für Minengegner
Eine Kampagne zur moralischen Aufrüstung des Kriegshandwerks und seiner politischen Befehlshaber

Die Landminenfeinde stört an dem ganzen Waffenarsenal nur ein Gerät, weil dessen Nutzen für sie in keinem erträglichen Verhältnis zum Leid und den Räumungskosten steht. Für zweitrangige Kontrollmächte ist die rüstungsdiplomatische Initiative zum Landminenverbot eine willkommene Möglichkeit, sich als Weltfriedensmächte in Szene zu setzen.

Aus der Zeitschrift

Friedensnobelpreis für Minengegner
Eine Kampagne zur moralischen Aufrüstung des Kriegshandwerks und seiner politischen Befehlshaber

Der Friedensnobelpreis 1997 geht an die International Campaign to Ban Landmines (ICBL), eine Initiative von Veteranen des Vietnamkriegs, deutschen Ärzten und anderen guten Menschen bis hin zu Lady Di. Die Organisation strebt ein umfassendes Minenverbot an und wird vom Nobelpreiskomitee als überzeugendes Beispiel für eine wirksame Friedenspolitik prämiiert.

Das ist insofern bemerkenswert, als die Kampagne sich für „den Frieden“, gegen „den Krieg“ eigentlich gar nicht engagiert. Sie beschwört die „Schrecken des Krieges“ ganz punktuell: am Schicksal der Menschen, der Kinder zumal, die nicht bloß im Zuge von Kriegshandlungen, sondern auch noch danach, ohne jeden militärischen Sinn und Zweck, ja überhaupt ohne Zusammenhang mit militärischer „Abschreckung“ oder sonstigem politisch sinnvollem und gewolltem Terror, auf Minen treten und getötet oder verstümmelt werden. Weiter reicht auch ihr Anliegen nicht. Die praktische Schlußfolgerung, auf die sie hinauswill, entspricht dem bewußt beschränkten Blick auf die Grausamkeiten des Krieges: Wenigstens auf diese eine Waffe sollten die Staaten doch verzichten. Zu der pazifistischen Forderung, angesichts des im Krieg professionell und quasi industriell entfalteten Terrors das Militär und seinen Einsatz überhaupt zu ächten, versteigen sich die wohlmeinenden Menschen von der ICBL gar nicht – ganz zu schweigen von einer Kritik der Kriegsgründe, nämlich der Staaten, die andauernd welche finden; die ist allerdings auch noch nie nobelpreiswürdig gewesen. Sie fordern den Verzicht auf ein Gerät, dessen eventueller Nutzen, über den sie nicht weiter rechten wollen, so offensichtlich in keinem vertretbaren Verhältnis zu dem sicheren unnötigen Leid steht, das es verursacht.

Das ist nicht bloß ein arg bescheidener Wunsch. Das ist auch nicht – wie manche pazifistisch weiterdenkende Menschen der Initiative zugute halten – ein zwar überaus kleiner, aber immerhin „erster Schritt in die richtige Richtung“, so als ginge es insgeheim in Wahrheit darum, eine Waffengattung nach der andern zu verbieten, bis für die Militärs unversehens gar kein Gerät zum Töten und Verstümmeln mehr übrigbleibt. Die Kampagne hat tatsächlich ihren fix und fertigen Inhalt: Sie richtet sich gegen genau ein unnötiges, weil von jedem denkbaren Kriegszweck abgelöstes Kriegsgreuel. Sie verfolgt damit ein außerordentlich immanentes Verbesserungsanliegen, das den Krieg mit seinem vielfältigen Arsenal schlicht voraussetzt, an dieser „Gegebenheit“ weiter gar keine Zweifel weckt, bei seiner Abwicklung aber handwerklich saubere Lösungen einklagt: einen Waffeneinsatz, der wenigstens keine ganz und gar nicht involvierten „Unschuldigen“ trifft. Auf ahnungslos herumstolpernde Zivilisten, die kleinen vor allem, sollte ein modernes Militär doch Rücksicht nehmen können…

In dieser Zielsetzung, die in der Ächtung von Dumdum-Geschossen und Blendwaffen ihr humanitäres Vorbild hat und mit der Kampagne für eine schonende Vollstreckung der Todesstrafe geistesverwandt ist, können sich durchaus unterschiedliche subjektive Motive treffen – das macht ja den Erfolg der Initiative aus. Da sorgen sich also anständig gebliebene Ex-Soldaten um die Säuberung ihres Jobs von einer speziellen Widerwärtigkeit, für die sie nicht verantwortlich sein wollen. Bei andern kommt das schlichte Mitleid mit den Opfern in der paradoxen Weise zum Zug, daß es, statt zur Ermittlung und Beseitigung der ja wahrhaftig nicht bloß waffentechnischen Gründe zu drängen, blind macht gegen den Zusammenhang, in dem diese Opfer überhaupt nur anfallen – und keineswegs bloß diese ganz speziellen, sondern noch viele andere Opfer staatlicher Machtentfaltung. Weil jeder, der diese brutale Abstraktionsleistung bringt, das natürlich auch merkt, bestehen dann die einen auf der Unmittelbarkeit ihres Mitleids, die es ihnen verbietet, weiter als bis zum Sprengkörper zu denken. Andere bringen den erwähnten Idealismus des „ersten Schritts“, ohne den es bekanntlich keinen zweiten gibt, zur Anwendung, als hätten sie sich nicht den ganz speziellen Mitleidsfall des zufällig verkrüppelten Kindes eigens herausgesucht aus der Vielzahl von Militäropfern, und wollen ganz einfach nicht wahrhaben, daß der aufgeregte Verweis auf unerwünschte Nebenwirkungen einer bestimmten Waffe ungefähr das Gegenteil einer Absage an die beabsichtigten Hauptwirkungen eines jeden Waffeneinsatzes ist. Und gegen die unschwierige Schlußfolgerung, die sich keineswegs nur aus der undifferenzierten Reichweite von Anti-Personen-Minen ziehen läßt: daß nachhaltig wirksamer Terror gegen die Zivilbevölkerung unter feindlichem Regime zu den ausdrücklichen Zielsetzungen jeder Kriegführung zählt, verwahren sich alle bekennenden Landminen-Gegner.

Von einem „ersten Schritt“, dem logischerweise die Abschaffung von Flammenwerfern, Vakuumbomben, Atomgranaten usw. folgen müßte, ist dann freilich gar nicht mehr die Rede, wenn die Vertreter der Anti-Landminen-Kampagne sich daran machen, unter den wirklich Mächtigen dieser Welt, den Inhabern des politischen Oberbefehls über die militärischen Befehlshaber und -empfänger, Überzeugungsarbeit zu leisten. Da wird im Gegenteil der gegen Null gehende Kampfwert speziell dieser Waffengattung herausgestrichen, als wollte man den Machthabern zusichern, daß wirklich wichtige Waffen ganz bestimmt aus der Kritik herausbleiben. Kosten-Nutzen-Rechnungen werden aufgemacht, wonach die Räumung der Minen ein Mehrfaches ihrer Verlegung kostet; und wenn das schon keinen Finanzminister umhaut, dann vielleicht die Zusatzinformation, daß unter Umständen auch solche Gegenden „auf Jahrzehnte hinaus verseucht“ bleiben, in denen sich sonst womöglich ein schönes Auslandsgeschäft aufziehen ließe. Überhaupt denken sich die Landminenfeinde mit Vorliebe in die Sorgen ihrer imperialistischen Staatenlenker hinein und lenken deren Aufmerksamkeit auf die Gefahr, daß die kleinen brisanten Sprengkörper nur allzu leicht in falsche Hände geraten: Als „Waffe der Armen“ erlaubt die Mine auch solchen Machthabern einiges an Terrorisierung von Volk und Umwelt, denen das mangels demokratischer Legitimation und marktwirtschaftlicher Qualifikation unmöglich zustehen kann.

Es ist kaum zu unterscheiden, ob Anhänger und Vertreter der ICBL in solchen abgebrühten Kalkulationen vom Standpunkt globaler Geschäftstätigkeit und eines weltweiten imperialistischen Gewaltaufsichtsregimes einfach nur herausplaudern, was ihnen selbst so alles einleuchtet und selbstverständlich erscheint; oder ob sie meinen, auf diese Weise den regierenden Gewaltmonopolisten Eindruck machen zu können – womit sie immerhin den Widerspruch eingestehen würden, daß ihre eigenen moralischen Beweggründe in der Staatenwelt zwar überhaupt nichts gelten, sie deswegen aber noch lange nicht zu Gegnern dieser Welt werden wollen oder auch nur dem Zweifel Raum geben, ob sie sich mit ihrem Appell zum Minenverzicht nicht am real existierenden Zynismus der Macht blamieren. Aber wie dem auch sei, auf alle Fälle wollen sie mit ihren Verbesserungsvorschlägen unbedingt realistisch bleiben, sich also ganz entschieden nicht von den Grundsätzen entfernen, nach denen die wirklichen Befehlshaber der Staatenwelt agieren. Und das ist ihnen immerhin so gut gelungen, daß sie tatsächlich „etwas bewegt“ haben: Eine Mehrheit souveräner Regierungen hat sich nur wenige Wochen vor der Nobelpreisverleihung auf den Entwurf eines weltweiten Verbots gewisser Varianten von Anti-Personen-Minen geeinigt – und damit überhaupt den Anstoß dazu gegeben, diesen Preis der ICBL zuzuerkennen. Denn wirkungslosen Idealismus mag das zuständige Komitee, wie es in seiner Begründung offen bekennt, nicht auszeichnen:

„Innert weniger Jahre sei es der Organisation gelungen, die Vision eines Minenverbots zu einer greifbar nahen Realität zu machen.“ (Aus der Begründung des Nobelpreiskomitees, NZZ 11.10.97)

Dabei ist auf der anderen Seite nur für sehr voreingenommene Gemüter zu übersehen, was für noch ganz anders geartete politische Kalkulationen ins Spiel kommen, wenn beinahe 100 Staaten über ein wirkliches und womöglich sogar wirksames Verbot gewisser Landminen verhandeln. Zwischen denen geht es nämlich erst einmal monatelang um zwei eng miteinander verwandte Kernfragen der Rüstungsdiplomatie, auf deren Kombination selbst ein hartgesottener ICBL-Funktionär so leicht nicht verfallen würde: welche Sorte Minen aus dem vielfältigen Arsenal eines modernen Militärs überhaupt zur Debatte stehen sollen, und in welchem Verhältnis das durch die Kampagne angestoßene, von Kanada auf den Weg gebrachte Treffen wirklicher und möglicher Landminenproduzenten und -benutzer zu der UNO-Abrüstungskonferenz in Genf steht, die sich schon seit Jahren mit Atom- und anderen Waffen, darunter auch gewissen Minen, beschäftigt. Beide Fragen hängen so zusammen: Waffen, die von den wichtigen Nationen zur Substanz eines staatlichen Gewaltapparats gezählt werden, also im Kräfteverhältnis der Nationen und für dessen Beurteilung eine Rolle spielen, gehören nach Genf, wo die USA sich um Wege zu einem formalisierten Kontrollregime über die Gewaltmittel anderer Staaten bemühen. Die Inszenierung einer eigenen, davon getrennten Landminen-Verbotskonferenz setzt umgekehrt voraus, daß nichts zur Debatte steht, was für den globalen Gewalthaushalt wirklich von Belang ist. Als Verhandlungsmasse kommen nur jene „dummen“, will sagen: „begriffslos“ auch außerhalb aller militärischen Zweckmäßigkeit explodierenden Anti-Personen-Minen in Frage, für die eine moderne Armee ohnehin kaum noch Verwendung hat, weil es längst Besseres gibt; auch solche Sprengkörper z.B., die sich nach einer gewissen Zeit selbst zerstören, das Handicap einer über den Kriegszweck hinaus bleibenden Gefahr also begrenzen. Zweck der Verhandlungen ist es dann aber auch nicht, die Rüstungsarsenale der Nationen zu entschärfen. Den federführenden Veranstaltern geht es vielmehr darum, einen puren Schein von Abrüstung in Szene zu setzen. Sie stellen sich damit als Friedensmächte dar, die, ginge es nach ihnen, nicht bloß symbolisch, sondern auch substanziell mehr an weltweiter Gewaltkontrolle zuwege bringen würden als die wirklich entscheidende Führungsmacht bzw. als sie selber in ihrer Eigenschaft als real konkurrierende Militärmächte, als welche sie ja bereits im Rahmen der UNO beieinandersitzen und keinen Beschluß über mehr globale Rüstungskontrolle zustandebringen, weil eine jede von ihnen eine solche Kontrolle will, aber nur zu den eigenen Bedingungen. Die anderen, weniger tonangebenden Teilnehmer demonstrieren dementsprechend symbolisch ihre Bereitschaft, Weltordnungsinitiativen zu unterstützen, die gerade nicht von der wirklichen Weltordnungsmacht und deren verlängertem UNO-Arm ausgehen. Für die diplomatischen Beziehungen zwischen souveränen Staaten ist solch höherer Blödsinn von Belang; namentlich wenn sich gewisse andere Mächte, die das inkriminierte Gerät noch in größerem Stil herstellen, exportieren und auch selber gebrauchen, einer Vereinbarung verweigern – gegen die ist mit einem Vertragsabschluß ein von vielen Nationen getragener Vorbehalt in der Welt. Freilich versagt sich ausgerechnet die eine ganz große Militär- und Weltordnungsmacht einem Landminen-Bann, und das gewiß nicht nur, weil die amerikanische Regierung einen konventionellen Minengürtel quer durch die koreanische Halbinsel nach wie vor für den optimalen, noch auf etliche Jahre hinaus unverzichtbaren Schutz der Freiheit hält: Die Führungsmacht ist überhaupt nicht für Weltordnungsmaßnahmen zu haben, auch nicht für rein symbolische, die sie nicht selber in die Wege leitet; eben weil es in solchen Veranstaltungen hauptsächlich darum geht, daß die Teilnehmer sich diplomatisch auf den Veranstalter hinorientieren. So kommen zwar die zweitrangigen Weltkontrollmächte zum Zuge, aber nur mit einer Vereinbarung, deren Gebrauchswert als diplomatisches Instrument zur symbolischen Ächtung der Nationen, die nicht mitmachen, durch die Verweigerung der USA sehr gemindert ist. Dafür hat das Abkommen jetzt die dezente antiamerikanische Note, auf die das ganze Manöver schon damit angelegt war, daß es überhaupt an den USA vorbei in Gang gesetzt worden ist. Und am Ende kommen die Unterzeichnerstaaten eventuell bevorzugt miteinander ins Geschäft, wenn es um handfestere Konsequenzen wie einen moderneren Ersatz für die gemeinsam auf den Index gesetzten alten Anti-Personen-Minen geht…

Soviel ist klar: Wenn souveräne Staaten sich zu einer Absprache über die Eliminierung einer militärtechnisch überholten Landminen-Gattung zusammenfinden, dann spielt sich ein Stück Diplomatie ab; und das hat allemal seinen ganz eigenen Inhalt – nämlich den Stand und die Veränderung zwischenstaatlicher Beziehungen und Kräfteverhältnisse – und jedenfalls einen ganz anderen als das Weltverbesserungsanliegen der Anti-Minen-Kampagne. Deren Protagonisten lassen sich dadurch aber nicht irremachen. Wenn sie überhaupt davon Kenntnis nehmen, daß ihre Regierungen nichts anderes im Sinn haben und mit ihrer Initiative auch überhaupt nichts anderes anfangen können, als einen symbolischen Nebenschauplatz ihrer dauernden Konkurrenz um die Kompetenz zur Ordnung und Befriedung der Welt zu eröffnen, dann lassen sie es sich jedenfalls nicht anmerken. Ungerührt schreiben die organisierten Minen-Gegner sich die Ergebnisse der offiziellen Landminen-Konferenz als großen Erfolg ihrer Initiative gut. Vom wirklichen politischen Inhalt dieses „Durchbruchs“ abstrahieren sie genauso konsequent wie vom Grund all der „unnötigen Leiden“, zu deren Eindämmung sie angetreten sind. Vielleicht würden sie die schäbigen sub-imperialistischen Berechnungen, die sich die Unterzeichnerstaaten hier leisten, im Namen des erreichten Resultats sogar gutheißen und sich einbilden, genau damit hätten sich die Staaten einmal in glücklicher Weise zum Helfershelfer eines hochanständigen Menschheitsanliegens gemacht. So oder so kriegen sie am Ende jedenfalls ein Gleichheitszeichen her zwischen ihrem Protest gegen jene ausgesucht widerliche Nebenwirkung des weltweiten Kriegshandwerks, der sie ihr Engagement widmen, und einer diplomatischen Machenschaft, zu der sich hundert Oberbefehlshaber über den wirklichen und noch ganz anders ausgestatteten Gewalthaushalt der Nationen zusammengefunden haben. Mit dieser Gleichung leisten sie ihrem Erfolgsbewußtsein einen schönen Dienst – und ganz nebenbei den staatlichen Machthabern, die es allemal zu schätzen wissen, wenn ihre Amtsführung von guten Menschen zur verwirklichten Moral erklärt wird. Sie fungieren als nützliche Idioten der bewaffneten Macht auf der Welt.

Dafür hat die ICBL den Friedensnobelpreis nicht bloß verdient. Dieses Jahr hat sie ihn sogar bekommen. Welch schöner Erfolg für die Menschlichkeit!