Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Jordanischer König Hussein tot:
Ein „königlicher Pragmatiker“

Mehr als 40 Staats- und Regierungschefs trauern: Eine Kreatur des Westens ist verschieden. Zwar war sein Weg nicht geradlinig – Missgriffe wie die Teilnahme am 6-Tage-Krieg und die Unterstützung Saddams 1991 hat er sich geleistet – doch letztlich wusste er, wo man sich seine Tagesbefehle abholt und verhielt sich entsprechend vorbildlich.

Aus der Zeitschrift

Jordanischer König Hussein tot
Ein „königlicher Pragmatiker“[1]

47 Jahre ist Hussein ibn Talal al Haschem König, also Alleinherrscher in Jordanien gewesen. Zu seinem Begräbnis reisen mehr als 40 Staats- und Regierungschefs aus aller Welt innerhalb von 24 Stunden an und geben sich vom Tod des Monarchen tief betroffen. „Nie zuvor hat der Nahe Osten eine solche Dichte von hochkarätigen Persönlichkeiten erlebt – nicht einmal zur Trauerfeier für Jizchak Rabin.“ (Die Welt, 9.2.) Der „Kämpfer für den Frieden im Nahen Osten“ (Der Tagesspiegel, 8.2.) wird postum weltweit gefeiert. Das verwundert dann doch, denn mit etwas mehr Sinn für Gerechtigkeit hätte man da auch ganz gut einen amtsmißbräuchlichen Frauenschänder, Menschenfeind und Staatsterroristen einsargen können. Das Material für derlei Verurteilungen ist denen, die den toten Mann jetzt loben, durchaus vertraut.

Dieser große Heilige, der seinen Stammbaum auf den Propheten persönlich zurückführt, lebte nicht besonders heiligenmäßig: „Hussein ist ein Macho.“ (SZ, 6./7.2.) Aus vier Ehen – eine mehr als Schröder – hat er allein 12 eheliche Nachkommen hinterlassen. Seine Ex-Ehegattinnen ließ er die von ihm beschlossene Trennung gelegentlich auch durch einen Botschafter mitteilen.

Er war ein machtbesessener Intrigant: „Dank seiner systematischen Pflege enger Bande zu den Beduinentruppen in den Streitkräften und im Sicherheitsdienst wußte er im Ränkespiel mit dem urbanen politischen Establishment und seinen palästinensischstämmigen Protagonisten seinen Rücken immer gedeckt.“ (NZZ, 8.2.) In sozialen Belangen wahrte er die bewährte Tradition seines Herrscherhauses: „Die Kluft zwischen Arm und Reich hat sich während der letzten Jahre im Haschemitenreich dramatisch vertieft. Der nach dem Friedensschluß mit Israel versprochene wirtschaftliche Aufschwung ist ausgeblieben. Materielle und soziale Not herrschen längst nicht mehr nur in den palästinensischen Flüchtlingslagern, sondern auch unter den seßhaft gewordenen einheimischen Beduinen abseits der Hauptstadt.“ (NZZ, 9.2.)

Einer Volksgruppe schenkte er besondere Aufmerksamkeit: Die Palästinenser, die nach den Israel-Kriegen 1948 und 1967 nach Jordanien geflohen waren – „heute sind mehr als zwei Drittel der jordanischen Bevölkerung Palästinenser“ (SZ, 6./7.2.) –, leben immer noch zu großen Teilen in Lagern. „Die Bevölkerung hat ihrem Unmut schon mehrmals, etwa nach Brotpreiserhöhungen Luft gemacht“ (SZ, 6./7.2.), worauf er mit brutalen Polizeimaßnahmen reagierte, von denen Amnesty International regelmäßig zu berichten wußte.

Den politischen Willen seines proarabischen Volkes hat er beliebig ignoriert: „Mit seiner Politik einer forschen Normalisierung gegenüber Israel stieß der König allerdings auf wachsenden Widerstand seiner Opposition und des Volks. Er reagierte darauf mit der zunehmenden Einschränkung der demokratischen Freiheiten.“ (NZZ, 8.2.) Soweit es sie überhaupt noch gab: „1957 verbot er nach einem fehlgeschlagenen Coup sämtliche Parteien; 1974 löste er die Volkskammer auf. … Die Wahlen von 1989 gelten noch heute als die freiesten in der Geschichte Jordaniens… Bei den zwei folgenden Urnengängen, 1993 und 1997, drängte die Regierung durch Wahlkreisgeometrie und ein maßgeschneidertes Wahlgesetz die Opposition stark zurück.“ (NZZ, 8.2.)

Falls das nicht genügte, konnte der Leuteschlächter auch anders: „1970 lieferte er sich mit Arafats Guerilla einen blutigen Kampf um die Macht auf den sieben Hügeln von Amman. Tausende Palästinenser, viele von ihnen unschuldig, wurden von den Beduinensoldaten des Königs getötet. Das Wort vom Schwarzen September machte die Runde.“ (BerlinOnline 6.2.)

Im Inneren gewiß kein Demokrat, war Hussein in der Außenpolitik keiner Seite ein verläßlicher Verbündeter: „Im Golfkrieg sympathisierte der Monarch, der Haltung seiner Landsleute folgend, mit dem Irak. Saudis und Kuwaitis haben ihm das bis heute nicht verziehen. Voller Zorn stoppten sie die Finanzhilfe.“ (BerlinOnline 6.2.) „Der Eintritt Jordaniens in den Sechstagekrieg und die Fehlentscheidung 1991, als sich Jordanien auf die Seite des Irak schlug, werden hier (in Israel) als die größten Mißgriffe bezeichnet.“ (NZZ, 8.2.)

Daß seine Angriffe gegen die Anti-Irak-Koalition und gegen Israel ihm nicht die ewige Feindschaft des Westens verschafft haben, sondern heute nur als „Mißgriffe“ gelten, hat er dem rechtzeitigen Verrat an seinen arabischen Bundesgenossen zu verdanken: „Mit tiefempfundener Dankbarkeit erinnert man sich hier (in Israel) an die persönliche Warnung des König an die damalige Ministerpräsidentin Golda Meir über den bevorstehenden Ausbruch des sogenannten Jom-Kippur-Krieges.“ (NZZ, 8.2.)

Sein Ansehen verdankt er mithin allein der Tatsache, daß er sich zuletzt immer rechtzeitig auf die siegreiche Seite geschlagen hat und damit ihren Sieg beförderte. „Er fuhr schon inkognito nach Tel Aviv, als der Rest der arabischen Welt noch auf Konfrontation eingeschworen war. 1967 ließ er sich gegen seinen ursprünglichen Willen an der Seite Ägyptens und Syriens in den Sechstagekrieg ziehen; die Quittung war der Verlust der vorher von Jordanien annektierten Westbank. Am Oktoberkrieg von 1973 nahm er schon nicht mehr teil, und 1994 schloß er einen Friedensvertrag mit dem jüdischen Staat.“ (BerlinOnline 6.2.)

Daß er am Ende auf der richtigen Seite stand, bringt die Kommentatoren dazu, seine früheren Fehlentscheidungen, als läßliche Sünden zu konzedieren, die erstens eigentlich gar nicht seinem Willen entsprangen, sondern nur dem Druck seiner Verbündeten geschuldet waren, die zweitens manchmal nur durch Irreführung und seinen fälschlichen Glauben zustandekamen, sich für die siegreiche Seite entschieden zu haben, drittens aber durch Gebietsverlust bestraft und schließlich durch späteres Wohlverhalten gesühnt sind. „Im Sechs-Tage-Krieg von 1967 machte ihn Gamal Abdel Nasser glauben, Israels Armee sei so gut wie besiegt. Tatsächlich hatten die Israelis gerade Ägyptens Luftwaffe am Boden zerstört. Hussein ließ seine Armee im Westjordanland einmarschieren – der Fehler seines Lebens. Jordanien und die arabische Welt verloren das Westjordanland und Jerusalem…“ (SZ, 6./7.2.)

Auch beim Irak-Krieg war es nicht Hussein, der Amerika die notwendige Gefolgschaft beim Krieg verweigerte, sondern sein Volk, das ihn gezwungen haben soll: „Unter dem Druck seiner mit Iraks Diktator sympathisierenden Bevölkerung hatte der Monarch 1990/91 den Fehler gemacht, sich der westlichen Militärkoalition zu widersetzen.“ (Berliner Morgenpost, 18.2.98)

„Die Enttäuschung folgte. Der Irak verlor den Golfkrieg. Jordanien stand abermals im Abseits.“ (SZ, 6./7.2.)

Dennoch: „Weil er mit pragmatischem Überlebensinstinkt immer zwischen Bündnissen mit dem Westen und Panarabismus, zwischen Gewährenlassen und brutaler Unterdrückung, zwischen Bürgergesellschaft und Korruption manövrierte, gewann er unter den arabischen Staatschefs und unter westlichen Politikern das Ansehen eines Doyen der Nahostpolitik.“ (NZZ, 8.2.)

Er war unsere Kreatur. Friede seiner Asche.

[1] NZZ 9.2.1999