Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Köhlers Rücktritt:
Zu blöd: Der erste Mann im Staat versteht sein Amt nicht!

Der unerwartete Rücktritt des Bundespräsidenten trifft bei seinen Kollegen aus der „politischen Klasse“ und in der nationalen Öffentlichkeit erst einmal auf demonstratives Unverständnis. Die zunächst konsterniert gestellte Frage nach den Gründen wird dann aber zügig einer Beantwortung zugeführt...

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen

Köhlers Rücktritt:
Zu blöd: Der erste Mann im Staat versteht sein Amt nicht!

Der unerwartete Rücktritt des Bundespräsidenten trifft bei seinen Kollegen aus der politischen Klasse und in der nationalen Öffentlichkeit erst einmal auf demonstratives Unverständnis. Die zunächst konsterniert gestellte Frage nach den Gründen wird dann aber zügig einer Beantwortung zugeführt:

Der Bundespräsident, der bei den Bürgern gut ankam ... zu den tatsächlich mächtigen Politikern in Berlin ... jedoch nie ein tragfähiges Verhältnis fand, verdiente sich seine angebliche Beliebtheit beim Volk und sein schlechtes Ansehen bei den praktizierenden Politikern mit einer Tour, die man in Berlin gar nicht gut leiden kann. Köhler wollte nämlich ein Präsident des Volkes sein und kam den regierenden Politikern mit kritischen „Vorstellungen über die Politik..., wie sie in der Bevölkerung herrschten. ‚Wir müssen uns wirklich fragen, wieso das Vertrauen der Bürger in die Politik so wenig ausgeprägt ist‘, sagte er einmal.“ (FAZ, 1.6.10)

So biederte sich der vormals kaum bekannte Sparkassenpräsident und IWF-Direktor (FAZ, ebd.) auf Kosten der Politik bei den Bürgern an, mit populären Vorstellungen, in denen die Führung der Nation in Regierung und Opposition notorisch schlecht dastand, und das „in einer Zeit der Wirtschaftskrise ..., in der die Bürger der Politik vertrauen müssen“ (SZ, 1.6.10); und geißelte die Arbeit von Banken und Finanzmärkten als Monster (FAZ, ebd.), anstatt den Menschen in dieser schwierigen Situation wenigstens etwas zu erklären ... (SZ, ebd.)

Der Mann hat sich also – man hat es eben ein wenig spät bemerkt – als ziemliche Fehlbesetzung auf seinem Posten herausgestellt, so dass sein Rücktritt nichts anderes war als die am Ende unausweichliche Konsequenz einer unbefriedigenden Amtsausübung. Wer sich selbst als höchster Repräsentant des Staates mit volkstümlicher Kritik an der Politik ausdrücklich außerhalb der Politik stellt, der verfehlt die Aufgaben, die in einer Demokratie – und auch sonst – mit einer so herausgehobenen Position verbunden sind: die Stiftung von Vertrauen in die Führung des Gemeinwesens und die Beförderung einer vertrauensvollen Einheit von Volk und Führung gerade in schweren Zeiten. Und wer sich als leitender Funktionär mit dem populären Generalmisstrauen gegenüber Politikern gemein macht, selber gar keiner sein will und der schlechten Meinung über das Führungspersonal damit ein wenig recht gibt, der macht sich – was eigentlich das Kerngeschäft des Präsidentenamtes wäre – nicht gerade um die Idealisierung der politischen Machenschaften im Land verdient, von der nationalistische Parteilichkeit und das Verständnis für Zumutungen in Krisenlagen leben. Dass dieser Teil der Stellenbeschreibung des Bundespräsidenten nach Auffassung seiner Kritiker ganz an der Gabe der schönen Rede hängt, kommt hier erschwerend hinzu: Wenn ihm, amtsbedingt, als politisches Mittel ausschließlich das Wort zu Gebote steht, um auf das Wahre, Gute und Schöne an Krisen-, Kriegs- und Hartz-IV-Politik zu verweisen, Köhler aber damit nicht umgehen konnte (SZ, ebd.), dann ist es am Ende nicht schlecht, sondern gut, dass dieser Präsident, gekränkt von der Kritik an seiner Amtsführung und beleidigt durch die fehlende Unterstützung aus der Regierung, einfach gegangen ist. Er hat, wie es einer seiner altgedienten Politikerkollegen ausdrückt,

„offensichtlich – tut mir leid – das Amt nicht richtig verstanden. Es ist in Ordnung, dass man beliebt sein will beim Volk. Aber man muss sich diese Beliebtheit erwerben durch Autorität und nicht dadurch, dass man die politische Klasse schrecklich findet.“ (Finanzminister Schäuble, CDU,Tagesspiegel am Sonntag, 04.07.10)

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Die Chefs in Berlin zeigen sich also schnell erholt von diesem Aufsehen erregenden Rücktritt und machen sich unverzüglich an die Bestallung eines Nachfolgers. Weil sie vorerst ein wenig die Schnauze voll haben von dilettierenden Quereinsteigern mit unberechenbarer Überempfindlichkeit gegen Kritik, schlägt Kanzlerin Merkel den amtierenden niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff vor: Sie will einen Profi, der das Geschäft kennt. (Spiegel, 07.06.10) Weil Köhler nach dem Geschmack der politischen Führung ihre Regierungsarbeit mehr schlechtgeredet als gut verkauft hat, soll den Posten jetzt einer versehen, der dazu gehört, das selbst auch so sieht und von dem deshalb keine falschen Töne zu erwarten sind, auch wenn er mal kritisch wird: Solidarische Ermahnungen werden immer gern gehört, schließlich kann es ja nicht schaden, wenn ab und zu ein Ruck durchs Land geht.

Bei dieser Gelegenheit gelingt den Sozialdemokraten ein hübsches Stück demokratischer Perfidie: Mit der Aufstellung des verdienten vormaligen Stasi-Oberjägers Gauck bringen sie gegen den professionellen Karrieristen aus dem CDU-Lager einen erstklassigen Repräsentanten der bundesdeutschen Politmoral in Stellung, den die Konservativen ebenso gut wie ihren eigenen Kandidaten, wenn nicht besser finden könnten. Gauck gilt landesweit als mutiger Anführer des demokratischen Aufstandes gegen das Unrechtsregime der ostdeutschen Realsozialisten, nur weil man ihm nach dem Anschluss die Abrechnung mit dem alten System übertragen und er diese mit angemessenem antikommunistischem Beamteneifer zur Zufriedenheit der neuen Herren durchgeführt hat. Tatsächlich gelingt es der SPD, mit dieser Kandidatur ein wenig Unfrieden und Verunsicherung ins gegnerische Lager zu tragen, weil es eben nicht ganz leicht zu entscheiden ist, ob man lieber einen Präsidenten hätte, der zuverlässig und ganz nahe an der Macht agiert, oder einen, der für die Werte steht, denen sich diese Macht verpflichtet hat, – wie etwa die immerwährende Sehnsucht nach Freiheit, in der sich Gauck und Merkel nach deren eigener Auskunft verbunden wissen (Spiegel, 7.6.10). Schließlich verdeutlichen die Kandidaten nur die Aufgaben des Amtes nach den beiden Seiten hin, die möglichst von ein und derselben Präsidentenfigur bedient werden sollten: Repräsentanz der wirklichen Politik und ihre glaubwürdige Idealisierung in einem. Die kleinen Turbulenzen unter den Wahlleuten der CDU legen sich dann aber schnell wieder: Der eigene Kandidat bekommt am Ende den Posten, und die SPD darf hoffen, mit dem Aufgebot ihres Freiheitshelden, der den Machtberechnungen der Koalition unterliegt, dem Ansehen der Regierung wieder ein bisschen geschadet zu haben.

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Die besondere Hinterfotzigkeit an der Verwendung des Freiheitskämpfers Gauck besteht im dual use dieses Kandidaten als politische Waffe auch gegen die linke Konkurrenz der Sozialdemokraten: Der Linkspartei wird einer ihrer entschiedensten Feinde zur Wahl angetragen, und die Zustimmung zu ihm unter dem Banner der Verhinderung des schlechten rechten Kandidaten zur fortschrittlich-vaterländischen Pflicht erklärt: Wählt die Linkspartei den Kommunistenfresser Gauck mit, unterwirft sie sich dem Manöver der SPD, enttäuscht Teile ihrer linken Anhängerschaft und gibt Gauck und seiner antilinken Hetze gegen das eigene Parteiprogramm mehr recht als ihr lieb sein kann; wählt sie ihn nicht, wie geschehen, beweist sie, dass ihr ihr partikulärer Parteistandpunkt wichtiger ist als das hohe Amt und seine würdige Besetzung – und damit ihre anhaltende Regierungsunfähigkeit! Die Linkspartei, die nichts gegen dieses Amt und seine Aufgaben einzuwenden hat, sondern am Ende sogar selbst noch eine Kandidatin dafür aufbietet, hat sich allerdings solche Gemeinheit von Seiten der Konkurrenz redlich verdient.