Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
US-Senat blockiert Atomteststopp-Abkommen
Freiheit für amerikanische Aufrüstung – statt blauäugiger Verbotsverträge mit dem Rest der Welt!

Während Clinton ein Atomteststopp-Abkommen für die ganze Welt – inclusive USA – durchsetzen will, um so die atomare Vormachtstellung der USA zu sichern, kontern die Republikaner vom gleichen Standpunkt aus damit, dass anderen Staaten nicht zuzutrauen ist, dass sie sich daran halten, so dass die USA nur durch Raketenabwehrsysteme und Entwicklung neuer Atomwaffen – wofür Tests nötig sind – ihren Vorsprung auf diesem Gebiet und somit ihre Weltmachtrolle erhalten können.

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US-Senat blockiert Atomteststopp-Abkommen
Freiheit für amerikanische Aufrüstung – statt blauäugiger Verbotsverträge mit dem Rest der Welt!

Mit 51 Nein- gegen 48 Ja-Stimmen verweigert der US-Senat die Ratifizierung des Vertrags über ein umfassendes Verbot atomarer Tests, wofür eine Zweidrittel-Mehrheit nötig gewesen wäre. Damit ist die von Republikaner-Führer Helms versprochene „Beerdigung“ des Vertrages fürs Erste gelungen. Denn dieser tritt nur in Kraft, wenn die namentlich aufgelisteten 44 Staaten, welche mit nuklearer Technologie hantieren, ihn förmlich ratifiziert haben.

Dass die republikanische Senatsmehrheit dem demokratischen Präsidenten Clinton auf diese Weise eine „schmachvolle Niederlage“ bereitet hat, wird von fachmännischen Beobachtern aus der Alten Welt gleich zum entscheidenden Motiv stilisiert: Der „fanatische Hass“ auf Clinton – als einen durch und durch unwürdigen Repräsentanten „amerikanischer Grundsätze“ – habe nach einem Anlass gesucht, dem Mann sein Überleben der Lewinski-Affäre heimzuzahlen. Übersehen wird da nur eine Kleinigkeit: Wo dieser Anlass gefunden wird, das hat schon etwas mit der Politik zu tun, für die Clintons Regierung einsteht. Und deren Drängen auf einen globalen Teststopp hat der republikanischen Opposition schon von Anfang an nicht gepasst.

Ein universelles „Regime“ des Testverbots für die Sicherung der atomaren Dominanz Amerikas

Die Regierung der USA, die über die hochwertigste Atomkriegsmaschinerie der Welt verfügt, macht sich für ein Ende aller Atomversuche – zu Lande, Wasser und Luft – stark. Sie hat den „Comprehensive Test Ban Treaty (CTBT)“ als Ergänzung zum Atomwaffen-Sperrvertrag auf den Weg gebracht, um dessen Zielsetzung, die „Nicht-Verbreitung“ nuklearer Kriegstechnologie, zu befördern. Die Weltführungsmacht sieht sich mit der für sie ärgerlichen Tatsache konfrontiert, dass die allgemeinen Ergebnisse der Naturwissenschaft für jedermann zugänglich sind, also auch für die Eliten ambitionierter Herrschaften in aller Welt; und dass der Weltmarkt viele der zum Bau nuklearer Sprengsätze notwendigen Materialien wie technischen Elemente als Waren feilzubieten hat, weshalb ein Angebot nicht ausbleibt, sofern zahlungskräftige Nachfrage sich zielstrebig darum bemüht. Die Schwierigkeit, all die politischen Interessenten durch Exportverbote von der Aneignung der sensiblen Formeln und Güter auszuschließen, hat die Rüstungsexperten im Pentagon auf einen zusätzlichen „Ansatz“ kommen lassen: Dann müssen eben die zu einer erfolgreichen technologischen Anwendung der verfügbaren Ressourcen notwendigen Experimente auch noch unterbunden werden!

Das politische Anliegen ist klar und in Washington unumstritten: Nicht-Atomstaaten sollen am praktischen Erwerb des nötigen Know how gehindert, die mehr oder minder fortgeschrittenen „legalen“ wie „illegalen“ Atommächte bei der Entwicklung neuer und effizienterer Kernwaffen blockiert werden. Das ist im Interesse Amerikas. Anderen Staaten muss der Erwerb der verlockenden militärischen Fähigkeiten vorenthalten werden, mit denen die USA ihnen die jederzeitige Vernichtung – Völker inklusive – androhen können. Was die Umsetzung dieses Imperativs betrifft, so gibt es Streit. Die Regierung Clinton sieht in einem universell gültigen Vertrag, der die Selbstverpflichtung aller Staaten zum Verzicht auf Atomtests kodifiziert, ein probates – und weltmachtwürdiges – Instrument.

„Die Gegner des Vertrags (in den USA) haben keine Alternative angeboten, kein anderes Mittel, um die Länder der Welt von der Entwicklung von Nukleararsenalen und der Bedrohung unserer Sicherheit abzuhalten.“ (Clinton, Rede nach der Senatsabstimmung am 13.10.99)

Der Nutzen des anvisierten Vertrags liegt für die US-Regierung auf der Hand. Er verlangt von den Ländern der Welt, den für eine Karriere zur oder als Atommacht wichtigen Testexplosionen zu entsagen, also die Hinnahme eines entscheidenden Nachteils in der Konkurrenz der Waffen. Es ist sein erklärter Zweck – wie der Präsident so provozierend offen verkündet –, den einmaligen technologischen Vorsprung der USA auf dem Gebiet der äußersten Gewaltpotenzen festzuschreiben und auf Dauer unantastbar zu machen. Das Schöne an dem rüstungsdiplomatischen Abkommen zwischen den gut 150 Staaten ist demzufolge seine fraglose Einseitigkeit: dass es den exklusiven Nutzen für einen Vertragsteilnehmer, den amerikanischen Staat nämlich, zu seinem einzigen Inhalt hat:

„Der Atomteststoppvertrag wird die Entwicklung von Nuklearwaffen weltweit zu einer Zeit beschränken, in der die Vereinigten Staaten einen überwältigenden militärischen und technologischen Vorteil haben. Er wird uns die Instrumente zur Verbesserung unserer Sicherheit geben, einschließlich des globalen Netzes von Sensoren zum Aufdecken von Atomtests, der Möglichkeit von Vor-Ort-Inspektionen und der Mittel zur Mobilisierung der Welt gegen potentielle Verletzer des Abkommens.“ (ebd.)

Der Vertrag soll ein aus Washington ergehendes militärisches Abstandsgebot und Aufrüstungs-Verbot zu einer von allen politischen Souveränen anerkannten globalen Rechtsordnung erheben. Das Funktionieren dieses „Regimes“ wird deshalb auch nicht dem Grundsatz von Treu und Glauben überlassen, es soll vielmehr durch weltweite Kontroll- und Sanktionsmechanismen materiell in Kraft gesetzt werden. Die oberste Weltaufsichtsmacht will sich unter dem Titel einer wegen der sensiblen Vertragsmaterie allfälligen „Verifizierung“ neue und zusätzliche Techniken der Überwachung verdächtiger Aktivitäten erschließen und das Recht unterschreiben lassen, „vor Ort“ legal zu spionieren. Ihr Präsident kann sich darauf berufen, dass die Zustimmung zu einem System weltweiten „Monitorings“ Bestandteil des Kontrakts ist. Dieser soll den USA darüber hinaus als Hebel dienen, im Falle „erwiesener“ Zuwiderhandlung die ganze Staatenwelt für ihr Ausschluss- und Bestrafungsprogramm gegen den Dissidentenstaat einzuspannen. Denn der ist dann nach gültiger Definition automatisch ein Schurkenstaat, der die internationale Gemeinschaft als Ganze herausfordert. Und wer sich entziehen will, macht sich der Beihilfe verdächtig. Die amerikanische Regierung setzt also auf die erpresserische Wirkung, die von einem „gestärkten Non-Proliferations-Regime“ ausgeht. So will sie dem Weltordnungs-Ideal, dass Amerika den auswärtigen Machthabern die legitimen und angemessenen Gewaltmittel je nach Bedarf genehmigen, zuweisen, verbieten und entziehen kann, ein Stück näher kommen. Oder, was dasselbe ist, ihrem Bedarf an nationaler Sicherheit nachhaltigen Respekt verschaffen. Diese wird nämlich im Prinzip durch jedes atomare Potenzial außerhalb der eigenen Grenzen bedroht, weil Atomwaffen ihren politischen Eigentümern eine letzte Sicherheit gegen kriegerische Erpressung verschaffen können, also zu Eigenmächtigkeit sogar gegen die USA befähigen. Die sehen darin logischerweise eine Bedrohung: Ihr imperialistischer Führungsanspruch der USA steht und fällt mit der unwidersprechlichen Überlegenheit und unanfechtbaren Abschreckungswirkung ihrer Gewaltmittel.

Der amerikanische Präsident sieht nicht ein, weshalb seine patriotischen Politikerkollegen einen Vertrag ablehnen, der Russland und China daran hindern kann, neue, hochmoderne Waffen zu entwickeln und zu testen und dazu beitragen könnte, Kernwaffenprogramme in Indien, Pakistan und andernorts (…) einzuschränken – und damit die nukleare Überlegenheit der USA ein für allemal festschreiben würde (International Herald Tribune, 15.10.). Zumal für dieses Abkommen gar keine Gegenleistung erbracht werden muss. Denn auf die Tests, welche der CTBT verbietet, ist Amerika laut Clinton gar nicht mehr angewiesen. „32 Nobelpreisträger in Physik und viele andere Wissenschaftler, darunter die Leiter von Nuklearlabors“ haben ihm die beruhigende „Schlussfolgerung“ aus ihren Forschungen zukommen lassen, „dass wir eine starke Nuklearstreitmacht ohne Tests unterhalten können“ – nämlich dank der inzwischen erreichten Fähigkeiten bei der Computer-Simulation von Atomversuchen.(Clinton, ebd.) Der Vertrag bietet den USA also die Gelegenheit, ihren technologischen Vorsprung produktiv einzusetzen und sich die Optionen zu reservieren, die den Konkurrenten nicht oder nicht in dem Maße zur Verfügung stehen. Das anklagende Urteil des Präsidenten steht damit fest: Ausgerechnet die einheimische Opposition fällt der Regierung in den Rücken und schwächt die „Führungsrolle Amerikas bei der Bekämpfung der globalen nuklearen Bedrohung“ – da können nur niedere persönliche und parteipolitische Instinkte am Werk sein, die über das Wohl und die nationale Sicherheit des Landes gestellt werden.

Den Vorwurf eines verantwortungslosen „Partei-Egoismus“ lässt die republikanische Opposition nicht auf sich sitzen. Für sie stellt sich die Sache umgekehrt dar. Sie sieht im Atomteststopp-Vertrag einen einzigen Anschlag auf die nationale Sicherheit Amerikas – verbrochen von einem unfähigen und würdelosen Staatsoberhaupt.

Ein allgemeines Testverbot macht Amerikas Gegner groß

Die Meinungsführer der Republikanischen Partei machen gegen das Programm der Regierung Clinton, aus der Position militärischer Stärke heraus eine diplomatische Offensive zur Verpflichtung der restlichen Welt auf ein Verbot zur atomaren Konkurrenz zu starten, einen reichlich fundamentalistischen Einwand geltend: Was taugt die feierliche Unterschrift auf einem Stück Papier! Sie prangern an, dass ein internationales Abkommen wie der CTBT lediglich ein allseitiges Bekenntnis zum Wohlverhalten liefert, das nichts wert ist, weil es dessen Durchsetzung nicht garantiert. Sie werfen dem Verfahren der diplomatischen Nötigung zu partiellem Gewaltverzicht also vor, dass es sich bloß um Diplomatie handelt, die auf den politischen Willen der Kontrahenten setzt, aber nie und nimmer die Gewalt ersetzen kann, ohne welche ein Oktroy in Fragen der brisantesten Rüstungsangelegenheiten nicht zu haben ist.

Die republikanische Opposition bestreitet vehement, dass ein internationaler Teststopp-Vertrag wirkungsvolle Schranken gegen eine Weiterverbreitung von Atomwaffen aufrichten kann. Erstens kann ihr zufolge „die Erfüllung nicht verifiziert werden“, wie auch George Bush jr., der aussichtsreichste Bewerber um die republikanische Präsidentschaftskandidatur, verkündet (IHT, 15.10.). Kein noch so ausgeklügeltes System der Überwachung könne so flächendeckend installiert werden, dass unterirdische Tests in Ländern wie Russland und China einwandfrei zu ermitteln sind. „Exakt das“ habe auch „die CIA verlautbart“. Zweitens aber, so lautet der Haupteinwand, wäre es – selbst wenn es funktionieren würde – kein taugliches Mittel, um Staaten an der Verfolgung atomarer Programme zu hindern. Wer sich nukleare Sprengkörper und Transportmittel verschaffen will, der sei auf diese Weise nicht abzuschrecken. Und zum Beleg zeigen die Gegner des Abkommens bloß auf „die Realität“ der Staatenwelt, in der sie eine wachsende Zahl von Bösewichtern ausfindig machen oder vermuten, die sich tatsächlich in den Besitz ihnen nicht zustehender „Massenvernichtungswaffen“ bringen wollen, nennen sie beim Namen und konstatieren eine dadurch heraufbeschworene „direkte Bedrohung“ der Vereinigten Staaten. Und sie tun gerade so, als ob sie diesem antiamerikanischen Treiben gleichsam zustimmen würden, wenn sie den Teststopp-Vertrag ratifizieren:

„Dies war ein Vertrag, den wir in gutem Glauben akzeptieren sollten. Wenn wir ihn passieren ließen, würde der Rest der Welt schon unserem Beispiel folgen… Denken wir wirklich, dass Nord-Korea, Irak, Iran, oder sogar China und Russland vertraut werden kann, von Pakistan und Indien gar nicht zu sprechen?“ (Rede des Republikaner-Führers Lott, 14.10.)

Als ob sie mit ihrem Verdacht nicht offene Türen einrennen würden bei den Verfechtern des Vertrages; als ob die regierenden Demokraten durch ein Instrument ihrer Aufsicht über die Staatenwelt die Aufsicht ersetzen wollten! Die Republikaner aber wittern nichts als Gutgläubigkeit bei ihrer Regierung. Die schiere Tatsache eines Vertragsangebots an Staaten, die womöglich zur selben Zeit ihre nuklearen Ambitionen in unterirdischen Bunkern verfolgen, erfüllt für sie den Tatbestand einer stillschweigenden Duldung, wenn nicht gar Förderung ihrer Machenschaften. Senator Lott fordert dementsprechend eine „Untersuchung, ob und in welchem Maße die Politik Washingtons zu der in den letzten Jahren feststellbaren erhöhten Verbreitung von Kernwaffen beigetragen hat“. (NZZ 15.10.) Der politischen Diplomatie der „Nicht-Verbreitung“ wird so ein gefährlicher Idealismus bescheinigt, nämlich grundloses Vertrauen in die Vertragstreue fremder Souveräne. Die Republikaner fordern eine radikale Wende zum „Realismus“. D.h. sie legen Wert auf die Klarstellung, dass politische Willenserklärungen, welche die (Selbst-)Beschränkung der Gewaltbedürfnisse von Staaten zum Inhalt haben, nur soviel wert sind wie die Erzwingungsgewalt, die das Verbot durchsetzt. Rüstungsverzicht durch Verträge und multinationale Rechtsnormen regeln zu wollen, halten sie grundsätzlich für eine antiamerikanische Konzession, weil Amerika die Belange seiner Sicherheit damit in ihren Augen vom Willen auswärtiger Herrschaften abhängig macht. Demgegenüber plädieren sie dafür, den Verdacht des Missbrauchs der diesen konzedierten hoheitlichen Macht zur Richtschnur ihrer Behandlung zu machen und dementsprechend im Kampf gegen die allgegenwärtige Herausforderung durch atomares Schurkentum künftig ganz auf den Ausbau und Einsatz der eigenen Machtmittel zu bauen. Um so jeden Anschlag auf die pax americana zur Erfolglosigkeit zu verdammen. Die USA sollen ihren rüstungstechnologischen Vorsprung und ihre ökonomische Produktivkraft nutzen, um ihre militärische Überlegenheit gegenüber allen möglichen Konkurrenten und Herausforderern auszubauen; sie sollen ihre Machtmittel zur „counterproliferation“ in Anschlag bringen und nötigenfalls handfeste Lektionen erteilen; und sie sollen Raketen-Abwehrsysteme entwickeln und stationieren gegen etwaige Angriffe feindlicher Mächte – und zwar ohne Rücksicht darauf, ob das anderen Staaten passt. Denn wenn diese (allen voran Russland und China) gegen solche Schutzmaßnahmen protestieren und mit Gegenmaßnahmen drohen, so beweist das bloß, dass sie an der Verwundbarkeit Amerikas interessiert sind, also selbst böse Absichten hegen! In demonstrativer Anwendung dieser Devise ‚Rüsten statt blauäugiger Friedensdiplomatie‘ hat der Senat der Regierung denn auch die Gelder für Außenpolitik gekürzt und den Haushalt für Verteidigung über die von Clinton ohnehin beschlossene Erhöhung hinaus eigenmächtig aufgestockt.

Als ob es der amerikanischen Regierung an der Entschlossenheit fehlen würde, das entscheidende Instrument ihrer diplomatischen Überzeugungskraft, die militärische Überlegenheit der Nation, durch dauernde Aufrüstung zu sichern und bei Bedarf auch zur Zerstörung von unbefugtem Besitz an „Massenvernichtungsmitteln“ einzusetzen! Im Falle des Irak ist das seit Jahren Programm und als Option gegen Nordkorea jederzeit aktuell. Die Opposition sieht da jedoch eine ernstliche Glaubwürdigkeitslücke. Der Umstand, dass Clinton das atomare Kräfteverhältnis zum Objekt diplomatischer Initiativen macht, begründet ihren Verdacht, dass er es an militärischer Vorsorge fehlen lässt. Die Tatsache, dass der Teststopp-Vertrag den USA, wie allen anderen Staaten auch, künftige Atomtests verbietet, beweist ihn.

So sehr die republikanische Senatsmehrheit nämlich davon ausgeht, dass andere Staaten sich durch einen Teststopp-Vertrag nicht behindern lassen, so sicher ist sie sich umgekehrt, dass er den Vereinigten Staaten von Amerika „die Hände fesselt“, nämlich sie daran hindert, das Nötige zu tun. Auch sie hat eine ganze Reihe von hochrangigen Kriegswissenschaftlern auf ihrer Seite, die ihr bescheinigen, die „Aufrechterhaltung“ der Einsatzbereitschaft des atomaren „stockpiles“ (also des vorrätigen Arsenals) mittels Testsimulationen sei auf Dauer nicht garantiert, sondern selbst ein Experiment, dessen Ausgang unklar ist. Und selbst wenn die Funktionstüchtigkeit der alten Geräte gesichert sein sollte, so beschränkt der Vertrag in ihren Augen doch in jedem Falle die Freiheit der USA, neue Generationen von Atomwaffen zu entwickeln. Eine solche „Modernisierung“ hält sie für unabdingbar, um den „künftigen Herausforderungen“ gerecht zu werden, d.h. die fraglose Überlegenheit des eigenen Abschreckungspotenzials fortzuschreiben:

„Es ist schwer zu glauben, dass die Probleme der Abschreckung ein paar Jahrzehnte später dieselben Typen an Waffen erfordern, die vor ein bis zwei Jahrzehnten gebraucht wurden …
Wir sollten vorbereitet sein, unsere Waffensortimente in unserem Bestand zu verändern. Einige Änderungen sind ohne Testen möglich, einige nicht.“ (Johnny Foster, Ex-Direktor einer Nuklearwaffen-Designer-Firma, laut IHT, 15.10.)

Die Skepsis ist also angebracht, das Testen nötig. Denn die „einzig verbliebene Weltmacht“ muss sich, wenn sie auch im nächsten Jahrhundert die unumstrittene Nr.1 bleiben will, auf „alle möglichen Zukunftsszenarien“ einstellen, also alle Optionen nuklearer Kriegführung vorbereiten. Dies ist der Maßstab, von welchem aus die Republikaner ein Versagen der Clinton-Regierung konstatieren. Kein Wunder, dass der Blick nach vorn auch ganz neuartige Gegner und Szenarien einschließt. Unter der Rubrik „new players“, die laut Ex-Sicherheitsberater Schlesinger irgendwann „auf der Weltbühne“ erscheinen und „die Vereinigten Staaten bedrohen könnten“, sehen „manche (Sicherheitsexperten) auch die Notwendigkeit, solche Alliierte wie Japan und Germany abzuschrecken“. Die wittern womöglich Morgenluft und könnten sich mit eigenen Nuklearprogrammen zur Aufnahme der Konkurrenz gegen Amerika entschließen, wenn die USA den geringsten Zweifel aufkommen lassen an ihrer Uneinholbarkeit in Sachen Atomkriegskompetenz.(ebd.) Ein Testverbot, an welches sich die USA wegen ihrer „Vorbildfunktion“ halten müssten, wäre demnach der Anfang vom Ende der amerikanischen Weltführungsrolle.

Insofern kommt den Republikanern der Vorwurf Clintons, sie setzten mit ihrem NEIN Beziehungen zu den NATO-Bündnispartnern und damit die Führungsrolle der Nation aufs Spiel, gerade recht. Ein Präsident, der fremde Staatsmänner wie Blair, Chirac und Schröder einspannt, um den richtigen Weg seiner politischen Linie für Amerika zu bezeugen, disqualifiziert sich in ihren Augen selbst. Er ist ein Schwächling und Unpatriot. (Die Drei hatten in der ‚Washington Post‘ per Inserat für ein Ja zum CTBT votiert.) Was zählen die Bedenken von Verbündeten, wo es um die obersten Anliegen der eigenen Nation geht – sie sind einfach fehl am Platze:

„Blair ist, ohne Zweifel, ein netter Mensch, aber ich glaube nicht, dass er auch nur die geringste Ahnung hat von dem, worüber wir hier reden.“ (Republikanerchef Helms, El País, 15.10.)

Die Einmischung europäischer Politiker in die inneren Angelegenheiten der USA, zu welchen natürlich auch die Entscheidung über ein weltweites Testverbot gehört, firmiert geradezu als Symbol für die Unsitte, an welcher die Republikaner Anstoß nehmen. Wer es soweit kommen lässt, dass Amerika seine Politik ohne Not vom Willen ausländischer Nationen abhängig macht, die – egal, ob Freund oder Feind – nur darauf sinnen, die US-Weltmacht zu benutzen oder zu schwächen, ganz wie es in ihre Rechnung passt, der setzt diese Macht aufs Spiel. Und damit „Gods own country“. Das muss aufhören!

Der Kern der Kontroverse: Hat die „einzig verbliebene Weltmacht“ den Widerspruch einer diplomatischen Kontrolle der Gewaltkonkurrenz noch nötig?

Mit ihrer Polemik gegen den Atomteststopp-Vertrag haben die Republikaner einen Grundsatzstreit über den nationalen Nutzen oder Schaden der Fortsetzung von Rüstungs-Diplomatie überhaupt entfacht. Die Entscheidung darüber, was aus dieser werden soll, steht auf der Tagesordnung. Das Problem selbst verdankt sich ironischerweise dem Umstand, dass die USA den Kalten Krieg gegen den weltpolitischen Rivalen Sowjetunion gewonnen haben. Die merkwürdige Erfindung von Dauer-Verhandlungen samt vertraglichen Vereinbarungen über gegeneinander in Stellung gebrachte Waffen hat mit dem Ende dieser Epoche den Anschein von Selbstverständlichkeit verloren. Die Tauglichkeit von Rüstungsdiplomatie für eine globale Hegemonie der USA steht in Frage.

„Seit dem Kollaps der Sowjetunion war der nukleare Wettlauf zwischen Washington und Moskau kein zentrales Thema mehr. Doch seither hat sich die Verbreitung von Atomwaffen an aufstrebende Nationen zu einem besorgniserregenden Trend entwickelt. Aber es ist keineswegs klar, wie ein Teststopp die Verbreitung verhindern könnte. In der zunehmend fragmentierten Welt des 21. Jahrhunderts weigern sich Länder wie Irak, Nordkorea, Indien und Pakistan, der Führung Washingtons zu folgen. Wie einige Übereinkünfte, etwa das amerikanisch-sowjetische Abkommen über Antiraketen-Raketen, ist auch der Teststopp-Vertrag ein anachronistischer Ansatz im Wettbewerb der Waffen. Trotz zahlreicher Einwände hat die Clinton-Regierung jedoch darauf beharrt, ihren verfehlten Fahrplan, der nicht mehr in ein neues sicherheitspolitisches Umfeld passte, weiter zu verfolgen.“ (Der ehemalige START-Unterhändler Richard Burt, Welt am Sonntag, 17.10.)

Nie wieder wollen die USA dazu genötigt sein, mit einem staatlichen Konkurrenten von Gleich zu Gleich verkehren zu müssen! Nie wieder wollen sie das Mittel souveräner Durchsetzung nach außen, welches doch gerade über die erpresserische Kompetenz beim Handeln und Verhandeln entscheidet, zum Objekt diplomatischer Absprache machen. Für diese Botschaft erinnert der Ex-Rüstungsdiplomat an das alte „sicherheitspolitische Umfeld“, nämlich daran, welche außergewöhnliche, für die Kontrahenten äußerst ärgerliche Zwangslage dazu führte, dass sich die USA und die Sowjetunion über ihre Aufrüstung ins Benehmen setzten und sich über erlaubte bzw. verbotene Kampfmittel verständigten. Grundlage war das „Gleichgewicht des Schreckens“, also das Programm einer jederzeit weltkriegsträchtigen Feindschaft zu einem in letzter Instanz ebenbürtigen Gegner, dessen atomare Vernichtungskapazität durch keine realistischen Gegenmittel zu neutralisieren war. Dieser Zustand wurde gewissermaßen diplomatisch anerkannt; die „Rüstungskontroll-Verträge“ dienten dem Zweck, sich eine unerwünschte Eskalation der Feindschaft zu ersparen, d.h. den Gegner für sich kalkulierbar zu machen und eben deswegen sich selbst für den Gegner. Das beiderseitige Interesse an der Einhaltung der Abkommen war zwangsweise vorhanden!

Mit der einseitigen Aufkündigung der Feindschaft durch die UdSSR, der anschließenden Auflösung der Sowjetunion und ihres Machtbereichs und dem sukzessiven Verfall des russischen Gewaltapparats ist der alte Zwang zu rüstungsdiplomatischer Übereinkunft für die USA entfallen. Amerika ist die unbestrittene Weltmacht. Das neue Programm ist erklärtermaßen, die hergestellte militärische Suprematie zum Garanten der Durchsetzung und Sicherstellung amerikanischer Vorherrschaft über die Welt zu machen. Die Gefolgschaft der „fragmentierten“ Staatenwelt muss erzwungen werden. Staaten, die „sich weigern“, den Imperativen einer von Amerika diktierten globalen Gewaltordnung zu gehorchen, müssen zur Räson gebracht werden. Darüber besteht Einigkeit in Washington, auch an der Machbarkeit des Programms besteht kein Zweifel.

Zweifel gibt es über die richtige Strategie. Ob und inwiefern die Diplomatie der Waffen einen Beitrag dazu leisten kann, das Kommando der USA über den Rest der Welt zu verankern. Oder ob sie ein purer Anachronismus ist. Ob Russland noch über genügend taugliche Atomraketen, also über einen entscheidenden Rest an militärischer Gleichwertigkeit verfügt, so dass – bis auf weiteres – die Fortsetzung einer bilateralen Abrüstungsdiplomatie ratsam bleibt. Oder ob das zuviel der Ehre ist. Ob atomare Newcomer oder solche Staaten, die es „im 21. Jahrhundert“ werden wollen, durch multilaterale Rüstungsverbots-„Regimes“ zu behindern, effektiver zu sanktionieren oder wenigstens besser zu überwachen sind. Oder ob solche Verträge nur die eigene Handlungsfreiheit und damit die fällige Abschreckung der Widersacher relativieren… Egal, welcher Standpunkt sich durchsetzt, so viel ist damit allemal klar: Um etwas anderes als um die effizienteste Sorte imperialistischer Gewaltaufsicht geht es keiner Partei.