Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Die katholische Kirche eröffnet einen Kulturkampf um die Frage:
Wem gehört der Bauch der deutschen Frau – dem Papst oder der staatlichen Zwangsberatung?

Die päpstliche Verurteilung der staatlich lizenzierten Teilhabe der katholischen Kirche an der Zwangsberatung schwangerer Frauen als Mitarbeit an einer ‚Lizenz zum Töten‘ wirft ein Licht auf die geistig-moralische Wende der gesamtem demokratischen Öffentlichkeit, inklusive Feminismus.

Aus der Zeitschrift

Die katholische Kirche eröffnet einen Kulturkampf um die Frage:
Wem gehört der Bauch der deutschen Frau – dem Papst oder der staatlichen Zwangsberatung?

Da soll noch mal einer sagen, es gäbe keinen Fortschritt im Lande. Der päpstliche Abtreibungs-Ukas wirft ein Licht auf die geistig-moralische Wende, die den Geisteszustand in Deutschland in den letzten Jahren schwer vorangebracht hat.

1. Völlig außer Mode gekommen ist hierzulande der antiautoritäre Standpunkt „Mein Bauch gehört mir!“, mit dem in verflossenen Zeiten eine feministische Protestbewegung gegen staatliche Bevormundung und gesetzlichen Zwang zum ungewollten Kind agitiert hat. Praktisch hat diesen Standpunkt die Staatsgewalt durchkreuzt, die sich schon immer souverän darüber hinweggesetzt hat, daß manche Frauen eben trotz befruchteter Eizelle kein Kind wollen. Sie hat mit ihrem Paragraphen 218 die Abtreibung kriminalisiert und mit der Reform dieses Paragraphen die Kriminalisierung nicht aufgehoben, sondern Bedingungen für Straffreiheit eines eigentlich nach wie vor kriminellen Akts definiert. Betroffene Frauen sind vor einer eventuellen Abtreibung zu einer Zwangsberatung verdonnert, bei der ihnen völlig „ergebnisoffen“ ins Gewissen geredet werden soll, sich doch lieber auf das künftige Mutterglück zu freuen. Wer sich dann immer noch nicht so recht freuen kann, darf mit seinem „Beratungsschein“ zur nächsten Abtreibungsklinik gehen, falls die nicht gerade geschlossen wird, weil das Land Bayern mal wieder rechtliche Schritte gegen dieses Treiben unternommen hat…

Daß die Frauen in ihrer Mehrheit sich mit dieser Gesetzeslage arrangiert haben, ist eine Sache. Eine ganz andere Sache ist, daß jeder Protest der frauenbewegten Aktivisten gegen diese Praxis damit gleich auch abgestorben ist. Ganz offensichtlich sind die angeblich so radikalen Feministinnen wesentlich bescheidener als die hartgesottenen Brüder von der katholischen Kirche. Die haben an der „Beratungsregelung“ von Anfang an herumgenörgelt, obwohl ausgerechnet sie, die härtesten Befürworter von Verbot und Bestrafung jeder Abtreibung, zu staatlich subventionierten Beauftragten der Zwangsberatung gemacht wurden. Umgekehrt haben sich ausgerechnet die Vertreterinnen der Frauenbewegung mit dieser Regelung abgefunden und mit den Amtsträgern der katholischen Kirche ihren Frieden gemacht. Dabei hätte es sogar bleiben können – wenn nicht die strafwütigen katholischen Oberhirten sich mit ihrem Papst einig geworden wären, daß das so keinesfalls weitergehen kann.

Der Papst hat also einen Brief geschrieben, in dem er die staatliche Lizenz der katholischen Kirche in Deutschland, Frauen in „Schwangerschafts-Konflikten“ hemmungslos auf dem Gewissen herumzutrampeln, umdeutet in eine unmoralische Mitarbeit bei der „Lizenz zum Töten“, die den beratenen Frauen mit dem strafbefreienden Schein ausgestellt würde. Und selbstverständlich können sich die deutschen Bischöfe der herzlichen Bitte ihres Chefs, keine solchen mörderischen Beratungsscheine mehr auszustellen, nicht verschließen.

Die einzig passende Antwort: dann sollen sich die Pfaffen und ihr Anhang eben aus dem staatlich angeordneten Beratungsgeschäft heraushalten, ein bedauernswerter Verlust sei das nun wirklich nicht – so eine Reaktion ist nicht erfolgt. Erst recht nicht eine Offensive, die im Sinne der früheren Kampagnen auf eine Abschaffung des ganzen Paragraphen 218 mit seinem gesetzlichen Beratungszwang zielt. Statt dessen wird einhellig gesorgt und beklagt, die Kirchenobrigkeit könnte womöglich mit ihrem einseitigen Rückzug aus der bisherigen Beratungspraxis den ganzen schönen „mühevoll errungenen gesellschaftlichen Konsens“ in Sachen Abtreibungsrecht gefährden. Die gesamte demokratische Öffentlichkeit einschließlich ihrer kritisch-abweichenden Unterabteilungen hat also offensichtlich kapiert und akzeptiert: Die Freiheit der Frau besteht in staatlicher Zwangsberatung. Und dabei mag kein Freigeist die Kirche missen.

2. Selbstverständlich werden auch ein paar unfreundliche Töne gegen die Kirche laut, die mit ihrer Sturheit den vom deutschen Gesetzgeber nach langem Hin und Her verabschiedeten Abtreibungs-Paragraphen zu unterlaufen versucht. Sogar von „Fundamentalismus“ ist die Rede, wenn die weltoffenen Redakteure der kritischen Öffentlichkeit die Gottesmänner mal wieder mit der FDP verwechseln und nach einer echt liberalen Kirche seufzen.

Bloß, was folgt daraus? Eine Abfuhr holen sich die römischen Fundamentalisten nicht. Der deutsche Staat, der die Kirchenmänner als Agitatoren „fürs Leben“ bestellt hat und bezahlt, stellt sich in diesem Fall nicht auf den Standpunkt: „Wer zahlt, schafft an.“ Kein verantwortlicher Politiker beharrt auf der Trennung von Kirche und Staat, wenn die staatlich subventionierten Gottesdiener nicht im gesetzlich erwünschten Sinne spuren. Keiner der staatlichen Sicherheitspolitiker, die sonst bei „radikalem religiösem Fanatismus“ immer wissen, daß man „den Anfängen wehren“ muß, verweist warnend auf die zunehmenden Bombenattentate gegen US-amerikanische Abtreibungskliniken. Stattdessen sorgen sich lauter wohlmeinende staatliche Freunde der christlichen Moral – von der Familienministerin, die schon selber seit Weihnachten eine Verschärfung des Abtreibungsrechts fordert, über den Sozi-Fraktionschef Scharping bis in die christlichen Reihen von Bündnis 90/Die Grünen hinein – darum, wie die Kirche im Geschäft zu halten ist. Das wiederum ermutigt „bedeutende Teile“ der bekennenden evangelischen Kirche Deutschlands, dem päpstlichen Machtwort zuzustimmen und zu fordern, auch evangelischerseits sollte man die weltliche Obrigkeit mit der Ankündigung unter Druck setzen, man erwäge gleichfalls, durch Schein-Verweigerung das gesetzlich vorgeschriebene Beratungswesen zu sabotieren.

Man darf gespannt sein, welche goldenen Brücken die christlich-sozial-grün-liberalen Politiker dem gläubigen Fundamentalismus bauen werden, damit ihr Staatsinteresse an Frauen, die gesetzlich drangsaliert und wohlberaten freiwillig ihren gesellschaftlichen Mutterpflichten nachkommen, auch weiterhin mit der göttlichen Linie in dieser Frage kompatibel bleibt.