Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Der Karstadt-Retter – Endlich mal wieder: Ein guter Kapitalist

Passend zur Beschimpfung von Bankern, in deren Gier, übertriebener Profitsucht und fehlendem Verantwortungsgefühl, mit einem Wort: in deren Charakterlosigkeit die Öffentlichkeit den Grund der Finanzkrise ausgemacht hat, gibt es das Verlangen nach dem Gegenteil. Da freut sich die Presse, heute so etwas wie die leibhaftige Korrektur des gestern von ihr selbst aufgebauten Zerrbildes vom bösen Finanzspekulanten präsentieren zu können: Während das Gerangel um die Übernahme des insolventen Karstadt-Komplexes noch voll im Gang ist, wird der Finanzinvestor Nicolas Berggruen vorab zum „Retter von Karstadt“ ausgerufen, in seitenfüllenden Porträts wird seiner Person der rote Teppich ausgerollt. Wie kommt der dazu?

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Der Karstadt-Retter – Endlich mal wieder: Ein guter Kapitalist

1. Es gibt ihn also doch: den ganz anderen Finanzkapitalisten

Passend zur Beschimpfung von Bankern, in deren Gier, übertriebener Profitsucht und fehlendem Verantwortungsgefühl, mit einem Wort: in deren Charakterlosigkeit die Öffentlichkeit den Grund der Finanzkrise ausgemacht hat, gibt es das Verlangen nach dem Gegenteil. Da freut sich die Presse, heute so etwas wie die leibhaftige Korrektur des gestern von ihr selbst aufgebauten Zerrbildes vom bösen Finanzspekulanten präsentieren zu können: Während das Gerangel um die Übernahme des insolventen Karstadt-Komplexes noch voll im Gang ist, wird der Finanzinvestor Nicolas Berggruen vorab zum Retter von Karstadt ausgerufen, in seitenfüllenden Porträts wird seiner Person der rote Teppich ausgerollt. Wie kommt der dazu?

Noch bis vor kurzem hatte es so ausgesehen, als ginge die Karstadt-Übernahme in der eher üblichen Variante über die Bühne:

„Der US-Finanzinvestor Triton ist bereit, für die Übernahme des Traditionsunternehmens 30 Millionen Euro an den Insolvenzverwalter zu zahlen, knüpft daran wohl aber Bedingungen: Zum einen will Triton 4000 der insgesamt 26 000 Stellen abbauen, darüber hinaus fordert das Unternehmen offenbar eine Mietminderung für die Karstadt-Filialen. Zudem will Triton an den Vereinbarungen mit den Arbeitnehmern rütteln: Die Tarifverträge seien so nicht haltbar.“ (Rheinische Post 25.4.10)

Hätte Triton mitsamt seiner Rationalisierungsstrategie den Zuschlag bekommen, hätten sich die öffentlichen Interpreten solcher Geschäfte nicht schwer getan, auch diese Variante mit der üblichen Rettungs-Logik zu verkaufen: Indem 4000 Arbeitsplätze leider geopfert werden, werden aber 22 000 gerettet; indem der gerettete Arbeiter auf einen Teil des Lohns verzichtet, rettet er immerhin seinen Lohn überhaupt. So kennt man das. Aber: Triton ist abgeblitzt und der Insolvenzverwalter favorisiert den Investor Berggruen, der seinerseits verspricht, den Karstadt-Komplex als ganzen, alle Standorte und alle Arbeitsplätze zu erhalten – sozusagen volle Rettung.

Diese Ankündigung begeistert die Presse so, dass sie sich fortan zum Anwalt des Retters macht. Der weiß bei den Verhandlungen mit dem Vermieter-Konsortium Highstreet, das sich die Warenhauskette seinerseits unter den Nagel reißen wollte, die öffentlich-moralische Stimmung auf seiner Seite. Die Presse flankiert seine Strategie, insbesondere die Mieten zu drücken, indem sie für seine Position Partei ergreift und den schwarzen Peter im Voraus der Gegenseite zuschiebt: „Horrende Mieten könnten den Deal noch zum Platzen und 25 000 Beschäftigten das Aus bringen.“ (Stern.de 10.6.10) Mit dem strafenden Verweis auf die gierigen Miethaie wendet man sich ganz der Persönlichkeit dieses guten Menschen zu und macht sich daran, am Gegenbild vom Investor der ganz anderen Art zu schreiben:

Wer ist dieser Mann, für den die Gewerkschaften schwärmen und dessen Vision nach einem verfrühten Sommermärchen klingt? Nicolas Berggruen ist das Anti-Klischee des Investors. Nicht geleckt, sondern mit Wuschelkopf und unrasiert, nachdenklich statt smart, zurückhaltend statt laut. Ja, einer der Geld verdienen will. Aber für den es dabei nicht nur um Rendite geht.“ (Ebd.)

2. Der gute Mensch von ...?

Erstaunlich ist es in der Tat, dass ausgerechnet diese ihm zugedachte Eigenart, nicht auf den Geschäftserfolg fixiert zu sein, Karstadt wieder zu jenem verhelfen soll. Schon eher ist es die Presse, die für ihre Konstruktion einer moralischen Finanzfigur von den ökonomischen Gesichtspunkten abrückt. Für wesentlich hält sie zum Beispiel die Frage nach der Heimat des Geldjongleurs. Und so verleiht schon die Angabe des Wohnorts dem Herrn aus Amerika ein erstes Schillern: Ich fühle mich zuhause, wo ich gerade bin, heute in Berlin, morgen in London. Ich brauche keinen festen Wohnsitz oder ein Haus mit Namen vorne drauf. Klingt lässig – aber hört man da nicht doch wieder ein wenig die vaterlandslose Heuschrecke heraus, wenn es heißt: Von einer gediegenen Hotelsuite in London aus steuert Investor Nicolas Berggruen die Verhandlungen um die Karstadt-Übernahme (Handelsblatt, 5.7.)? Aber nein! Als wüsste er dieses Bedenken, und dass er es ausräumen muss, setzt der „obdachlose Milliardär“ und „Weltbürger“ selbst hinzu: Andererseits fühle ich mich sehr deutsch, schließlich waren meine Eltern beide Deutsche. Mit entsprechendem Wohlwollen notieren deutsche Journalisten dann, dass er „ein paar Sätze in gutem Deutsch“ für sie parat hat, dass er „in Berlin seine Wurzeln spürt“, und wenn dieser Finanzier Karstadt eine „deutsche Marke mit Kultstatus“ nennt, sieht die Süddeutsche Zeitung in den Heimatgefühlen prompt das eigentliche Kaufmotiv: Selbst für einen Milliardär wie Nicolas Berggruen ist Karstadt ein Wagnis, doch ihn zieht es zurück in die Heimat des Vaters (SZ, 9.6.). So lässt sich diesem Geschäft eher die Qualität eines Dienstes überstülpen, und zwar an einem Vaterland, das dieser Geselle noch nicht mal hat.

3. Karstadt für die Kunstsammlung

Was den geschäftlichen Reiz der deutschen Kultmarke Karstadt für ihn ausmacht, erklärt der Investor selbst nicht ganz unbescheiden als eine Art sportliche Herausforderung:

„Ich übernehme fast immer Gesellschaften, die früher einmal erfolgreich waren, eine starke Marke besitzen und schlecht geführt werden. So bin ich in vielen Branchen unterwegs – von Medien über Möbel und Getränke bis hin zu Blumen und Brillen ... Ich habe mich immer schon für Sachen interessiert, die etwas schwieriger waren.“ (Handelsblatt, 5.7.)

So einfach ist das: Er verwandelt schlechte Führung in gute. Wie er das anstellt, das ermittelt die Presse nicht, sondern schließt aus dem Erfolg, der sich bislang allenthalben einstellt, auf die Genialität der Person, die ihn einfährt.

Dass Berggruen einmal das „Finanzgenie“ der ganz anderen Art wird, habe sich schon in seiner Kindheit abgezeichnet: „Als kleines Kind sitzt er auf dem Schoß von Pablo Picasso“. Sein Interesse für die Kunst belegt der geneigten Presse aber nicht nur, dass da einer weit über den bornierten Tellerrand der schnöden Geldgeschäfte hinausschaut. Sondern Kunst & Geschäft verbinden sich in diesem Mann kraft eines Charakterzugs, der ihn entscheidend von seinen Artgenossen abhebt, die den schnellen Erfolg suchen: Ob Berggruen Geld in Firmen, Immobilien oder Kunst anlegt, stets denkt er langfristig. Investiert er in „denkmalgeschützte Architekturperlen“, geht es nicht um die Subventionen, jedenfalls nicht nur: Unser Ziel ist der Aufbau eines vielfältigen Immobilienportfolios, mit charaktervollen Bauten, als langfristige Vermögensanlage. Immobilien sind für uns dabei mehr als nur ein Investment. Ästhetik, Architektur und Kunst interessieren uns ebenso wie der Cashflow. Wenn ein Finanzkapitalist sich so auf der eigenen Webseite verkauft, ist das das eine. Aber eindeutig überboten wird er von der Verwechslung, die ein Journalist darauf dichtet: Über seine Kunstsammlung hat er gesagt: ‚Man muss Fashion und langfristige Investitionen unterscheiden. Beides ist interessant, aber als Sammler sollte man sich langfristig engagieren.‘ Sieht er den Karstadt-Deal vielleicht gar als großes Kunstwerk? (Stern.de 10.6.10)

Wer sich dabei jedenfalls denkt, dass eine nach längerer Frist einkassierte Rendite auch eine Rendite ist, hat den tieferen Drang, der in dieser komplexen Persönlichkeit haust, verfehlt, denn: Seine Investments sind eine große Suche nach Sinn, und der ist in den profanen Kategorien nicht so leicht abzugreifen: Trotz seines Reichtums bleibt sein Verhältnis zu Eigentum gespalten. ‚Was ich besitze, ist zeitlich begrenzt‘ sagt er. (Ebd.). So begründet sich Langfristigkeit letztlich weniger als Investitionsstrategie, sondern mehr als barocke Einsicht in die Kurzfristigkeit des eigenen Daseins. Oder so ähnlich.

4. Sklave seines Eigentums

Das Bild vom Kapitalisten, der einer guten und größeren Sache dient, sei es den Arbeitsplätzen, der Nation, der Kunst, gar einem letzten Sinn überhaupt, erfährt eine groteske Zuspitzung, wenn der philosophierende Finanzstar den Journalisten in die Feder diktiert: Die Leute denken immer, mir gehört das Geschäft. Aber es ist genau andersherum. Ich gehöre dem Geschäft. Die Presse findet das gar nicht albern, sondern nimmt auch diese Vorlage gerne auf, indem sie solche Sprüche mit dem hohen Arbeitsethos dieses Dieners am Eigentum untermalt: Genau analysieren, rasch reagieren, hart arbeiten: Das kennt er in seinen fast 30 Jahren als Investor kaum anders. 12 oder 14 Stunden, jeden Tag. (Zeit.online, 9.6.) Somit ist das Konstrukt vom exzentrischen Investor, der über Kunst & die Welt sinniert, auch noch um das Kompliment bereichert, dass so ein Finanzspekulant knochenhart schuftet. Echt gelungen diese Kunstfigur, die den – im Grunde doch guten – Ruf eines ganzen Gewerbes wiederherstellen soll, als dessen Ausnahme sie uns angetragen wird.