Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Die Causa Jones gegen Clinton
Ehre, Sex und Geld in der demokratisch-rechtsstaatlichen Number One

Der Prozess gegen Clinton beschäftigt auch die deutsche Öffentlichkeit, aus mehreren Gründen. Das Ansehen des Präsidenten als moralische Person ist hier wie dort Konkurrenzmittel der Parteien. Unter dieser Konkurrenz leiden das Amt des Präsidenten, die Würde der Frau und ähnliche hohe Güter. Das wird interessiert begutachtet.

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen

Die Causa Jones gegen Clinton
Ehre, Sex und Geld in der demokratisch-rechtsstaatlichen Number One

Eine heiße Nachricht erreicht den alten Kontinent aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten: Der US-Präsident muß sich als gewöhnlicher Beklagter vor Gericht verantworten; für eine Sexaffäre, die ihm eine einstige Regierungssekretärin anhängen will, um Schadensersatz wegen Belästigung einzuklagen; seine Immunität als höchster Amtsträger der Nation schützt ihn davor nicht. Ein Triumph des Grundsatzes der Gleichheit aller vor dem Gesetz oder so ähnlich – vielleicht. Aber warum beschäftigt das die Öffentlichkeit sogar diesseits des Atlantik tagelang?

Vom geifernden Moralismus amerikanischer Christenmenschen und von der sagenhaften öffentlichen Prüderie Amerikas haben sich unsere aufgeklärten Blätter nicht anstecken lassen. Es werden eher besorgte Stimmen aus den USA selbst zitiert: Geht dieses Herumstochern im Privatleben der Politiker nicht mittlerweile zu weit? Droht da nicht am Ende die demokratieschädliche Diffamierung des ganzen Politikerstandes? Gerät womöglich die Bedienung der moralischen Gelüste des Volkes zu einer Beschädigung jenes Respekts, der den Mächtigen nun mal zusteht? Dennoch halten es alle seriösen Mitteilungsorgane für ihre Informationspflicht, die ganze Affäre samt Rechtslage und schlüpfrigen Details – dezent natürlich und das Publikum ermahnend – auf den ersten Seiten auszubreiten.

Aus gutem Grund. Denn immerhin geht es da um nichts Geringeres als die innenpolitische Stärke des mächtigsten Mannes der Welt. Und das ist nicht nur absurd, sondern auch demokratisch völlig folgerichtig.

Gerade Amerika, Vorbild aller Demokratien, hat vorbildlich herausgearbeitet, was sich ein mündiger Bürger von einem Politiker erwarten kann: eine Persönlichkeit, die sich ganz der Tugend der Führungsstärke verschrieben hat, welche wiederum eingebettet ist in eine herausragende Moralität. An diesem Bild, mit dem ein Politiker gegen Konkurrenten vorteilhaft ab- und sie auszustechen sucht, arbeitet er unablässig; sein Privates muß zum Beweis der Moralität in diese Arbeit eingespannt, aufbereitet und vorgeführt werden. An der entsprechenden Selbstdarstellung wirken Presse, Funk und Fernsehen Tag für Tag begeistert und gewissenhaft aus freien Stücken mit, weil sie genau das, und zwar zu Recht, als ihren demokratischen Auftrag begreifen. So leiten sie nämlich das Publikum an zur Schulung seiner moralischen Instinkte und bei der Bildung eines darauf basierenden politischen Geschmacksurteils, aus dem sich dann beim Wahlappell die richtige Stimmabgabe ergibt. Politische Inhalte spielen da natürlich auch herein, Schautafeln über die Konjunkturentwicklung z.B. oder die Erkenntnis, daß Schulbildung wichtig ist, gute Gefängnisse aber auch usw. Aber um das wahlberechtigte Volk zu überzeugen, daß der Erfolg der Nation, von dem es schließlich abhängt, bei der präsentierten Politikerfigur in den denkbar besten Händen ist, kommt derartigen Sachfragen gar keine andere Bedeutung zu als der Show um die Person: Alles will als Beitrag zum Bild einer unbedingt erfolgreichen Führerfigur gewürdigt sein, der Vertrauen gebührt. Im Falle Clinton hieß das: Ihm wird gutes Regieren zugetraut, weil er so menschlich rüberkommt.

Das alles hat den einen großen Haken, daß der jeweilige demokratische Gegner, im Falle Clintons also die republikanische Opposition, haargenauso verfährt, nur mit umgekehrten Vorzeichen. Sie tut ihr Bestes, um den Mann der Gegenseite zu demontieren, damit das Land spätestens bei der nächsten Wahl wieder in die richtigen, nämlich ihre Hände gelangt. Dafür benutzt sie gleichfalls unterschiedslos Privates und Öffentliches, politische Niederlagen und persönliche Probleme des Gegners, um ihn als nationale Vertrauensperson unglaubwürdig zu machen. Und dabei kann auch sie sich auf eine demokratisch pflichtbewußte Öffentlichkeit verlassen, die auf jeden Anschein eines Zwiespalts zwischen dem gepflegten Bild und der banalen Wirklichkeit des obersten Amtsträgers scharf ist, weil daran schließlich das wahlentscheidende allgemeine politische Geschmacksurteil hängt. Eine demokratische Opposition hätte also glatt ihren Job verfehlt, ließe sie sich eine Paula Jones mit ihrem nachträglichen Schock über ihren entblößten Ex-Chef als leibhaftiges Argument gegen Bill Clintons Seriosität durch die Lappen gehen – nachdem es dem Präsidenten schon wider Erwarten gelungen ist, den Griff zur falschen Zigarette, jugendliche Laxheit in Sachen Wehrmoral und Ärger mit Hillary eher in eine Imageaufbesserung umzubiegen. Und die professionellen Meinungsbildner tun nur ihre demokratische Pflicht, wenn sie ein paar Tage lang nichts wichtiger finden als vorurteilsfreie Ermittlungen in der Frage, ob er ihn nun herausgeholt hat oder nicht. Gewußt und auch gar nicht verschwiegen wird hierbei, wie abgeschmackt es ist, wenn sich die oppositionellen Saubären nun als Moralapostel aufspielen; doch US-Politiker kennen sich aus im Vorwurf der Doppelmoral, im empörten Zurückweisen des Vorwurfs und in der Beteuerung einer lupenreinen Einfachmoral, in deren Entlarvung als besonders übler Doppelmoral, in der Kunst der gespielten Entrüstung, der entlarvten gespielten Entrüstung, der um so vehementer als Echtentrüstung vorgetragenen Entrüstung usw.; und sie können auf eine Öffentlichkeit rechnen, die solche Könnerschaft als Wahlargument zu würdigen weiß. Soviel zur demokratischen Seite der Affäre.

Die rechtsstaatliche ist nicht weniger bezeichnend. Paula Jones hat den Präsidenten auf einen Schadensersatz von 700000 $ verklagt. Daß der Pimmel des Gouverneurs und nachmaligen Präsidenten sie zu Tode erschreckt hätte und ihr davon ein psychischer Schaden geblieben wäre, behauptet sie nicht. Was sie geltend macht, ist ein sehr abstraktes und hohes Rechtsgut, nämlich ihre Würde, speziell ihre frauliche, die Clinton verletzt haben soll. Die Heuchelei, die in dieser Anklage steckt, ist – irgendwie zumindest – jedem klar; ebenso die erpresserische Kalkulation mit dem hohen Amt ihres Prozeßgegners und die Berechnung, national bekannt zu werden und damit unweigerlich viel Geld zu verdienen. Das macht aber nichts: Die Sache mit der Würde, an der sich niemand vergehen darf, ist nun einmal der ideelle Ausgangspunkt des Rechtssystems, mit dem der Staat seine Bürger als prinzipiell gegeneinanderstehende Privatsubjekte definiert und auf Regeln festlegt, nach denen sie im Bedarfsfall ein Einvernehmen zwischen ihren prinzipiell einander ausschließenden Interessen arrangieren sollen. Das Ding steht unter staatlichem Schutz; um so mehr, als vorweg niemand sagen kann, wo es anfängt und aufhört; weil nämlich die Interessenkonflikte, in denen rechtlich gesehen die Reichweite der jeweiligen Privatsphäre und somit die Menschenwürde zur Debatte steht, vorweg gar nicht absehbar sind. Auf diesen Schutz beruft sich die Dame Jones – und kalkuliert dabei, was auch sonst, mit der speziellen Großzügigkeit des amerikanischen Rechtssystems, das es seinen Privatleuten ausdrücklich freistellt, Originalität in der Entdeckung und Ausmalung eines erlittenen Schadens zu entwickeln und diesen nach den Maßstäben der subjektiven Wertlehre zu beziffern. Der Rechtsstreit spielt sich dann als Konkurrenzkampf um die Glaubhaftigkeit des geltend gemachten Schadens sowie der Schadenshöhe und um die Glaubwürdigkeit des vorgeblich Geschädigten ab. Daß dieser Kampf mit allen Mitteln und harten Bandagen ausgetragen wird, tut der Sache keinen Abbruch, bestimmt nur die Qualifikationsanforderungen an die Anwälte und damit deren Honorare. Das Gericht sagt dann am Ende, durch wen es am meisten beeindruckt wurde und wieviel dieser Eindruck wert ist.

Diese geradlinige Art, aus Recht Geld zu machen, irritiert bisweilen, und speziell im Fall Jones gegen Clinton, die an andere Heucheleien gewöhnte Öffentlichkeit hierzulande. Die denkt nämlich beim Recht immer zuerst, und zwar respektvoll, an den großen Gewaltmonopolisten und erst dann, und das auch noch gerne in abwertendem Sinn, an den Gebrauch, den die Privatsubjekte von den Gesetzen machen. Tatsächlich beruht allerdings auch im christlichen Abendland das gesamte bürgerliche Recht darauf, daß es der würdevollen bürgerlichen Rechtsgemeinde andauernd ums Geld geht und alles – nicht zuletzt die verletzte Frauenwürde – seinen Preis hat. Und auch hierzulande regelt die Staatsgewalt in dieser Abteilung gar nichts anderes als den privaten Vorteilsgewinn auf Kosten anderer. Denn genau das ist der ganz grundsätzliche Inhalt, Zweck und Sinn der einschlägigen Gesetze.