Japan, der andere Weltkrieg-II-Verlierer, meldet sich auf der strategischen Weltbühne zurück
Warum die Weltwirtschaftsmacht Nr. 2 ihren „Pazifismus“ überwinden muss und welche Widersprüche sie dabei nicht scheut

Die Kehrseite des Status einer Weltwirtschaftsmacht, den Japan genießt, ist dessen außenpolitischer Beruf als Bündnispartner des gewaltsamen Garanten der freiheitlichen Weltbenutzungsordnung. Als Alliierter Amerikas hat(te) Japan eine Schutzmacht, aber eine solche bekommt man nicht umsonst. Zwar ist die Ersparnis an notwendigen, jedoch unproduktiven Rüstungskosten, welche Sicherheitsstiftung in Eigenregie verlangt, nicht zu verachten, vor allem dann nicht, wenn ein Staat sich nach bedingungsloser Kapitulation erst wieder internationalen Respekt verschaffen muss. Andererseits sind politische Unterordnung und Dienste für den großen Beschützer verlangt.

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Japan, der andere Weltkrieg-II-Verlierer, meldet sich auf der strategischen Weltbühne zurück
Warum die Weltwirtschaftsmacht Nr. 2 ihren „Pazifismus“ überwinden muss und welche Widersprüche sie dabei nicht scheut

Von japanischem Boden aus haben kapitalistische Privateigentümer, die in der Ausbeutung heimischer Arbeitskräfte erfolgreich tätig waren, die ganze Welt als Mittel ihrer Bereicherung erschlossen. So haben sie massenhaft Dollars – Kreditgeld, das als leibhaftige Verkörperung des abstrakten Reichtums universelle Anerkennung genießt – verdient und die Geldmacht der japanischen Nation entwickelt. Dieser Erfolg hat eine entscheidende Bedingung: die durch überlegene Gewalt durchgesetzte Freiheit des grenzüberschreitenden Zugriffs auf Reichtumsquellen und Geschäftsgelegenheiten in aller Welt. Die USA, der Weltkrieg-II-Gewinner, haben, verstärkt durch das von ihnen geschmiedete größte Kriegsbündnis aller Zeiten, dafür gesorgt, dass die Feinde dieser Freiheit schließlich kapitulierten und ihren „Eisernen Vorhang“ für die Segnungen der „Marktwirtschaft“ öffneten. Sie haben über den Kalten Krieg hinaus – als einzig verbliebene Weltmacht – die „Globalisierung“ der kapitalistischen Produktionsweise verordnet und überwacht. Sie bestimmen und verbürgen damit eine internationale Machtordnung, welche die ökonomische (Staaten-)Konkurrenz, insbesondere die der Nutznießernationen gegeneinander, um die Nationalisierung des Profits regelt. Dieser Zustand namens Weltfrieden, der die Konkurrenz mit „friedlichen Mitteln“ erlaubt und gebietet, weil und sofern dieser den amerikanischen Kapitalismus beflügelt, ist für Japan zu einer einmaligen Chance geworden. Er hat dieser besiegten und entwaffneten Nation den wundersamen „Aufstieg aus Ruinen“ mit den Methoden des „friedlichen“ Geschäftemachens und der darüber gewonnenen Finanzmacht ermöglicht.

Die Kehrseite des Status einer Weltwirtschaftsmacht, den Japan genießt, ist dessen außenpolitischer Beruf als Bündnispartner des gewaltsamen Garanten der freiheitlichen Weltbenutzungsordnung. Als Alliierter Amerikas hat(te) Japan eine Schutzmacht, aber eine solche bekommt man nicht umsonst. Zwar ist die Ersparnis an notwendigen, jedoch unproduktiven Rüstungskosten, welche Sicherheitsstiftung in Eigenregie – für eine Weltwirtschaftsnation zumal – verlangt, nicht zu verachten, vor allem dann nicht, wenn ein Staat sich nach bedingungsloser Kapitulation erst wieder internationalen Respekt verschaffen muss. Andererseits sind politische Unterordnung und Dienste für den großen Beschützer verlangt. Für Japan hieß das immer zweierlei: Erstens Verzicht auf eigenständige Sicherheitspolitik und die dazu nötigen Kriegsmittel, statt dessen militärisch-logistische Unterstützung samt finanzieller „Lastenteilung“ für die kalten und heißen Kriege der Führungsmacht. Zweitens Anerkennung der von Washington diktierten Konditionen eines „fairen wirtschaftlichen Wettbewerbs“, also Hinnahme all der Erpressungsmanöver, mit denen wechselnde US-Regierungen darauf drängten, dass die japanische Kapitalakkumulation als Wachstumslokomotive für die amerikanische fungiert, dass die Wirtschaftspolitik Tokios den Amerikanern das Handelsbilanzdefizit abbaut statt ihre Arbeitsplätze, und dass die Geldüberschüsse der Weltwirtschaftsnation Nr. 2 zur allfälligen Finanzierung der gigantischen amerikanischen Staatsschulden verwendet werden. Durch diese Verdienste hat es Japan einerseits zum Teilhaber an der institutionalisierten politökonomischen Weltaufsicht (G7, Internationaler Währungsfonds etc.) gebracht. Andererseits beruht sein weltpolitisches „Gewicht“, sprich die Reichweite seines imperialistischer Einflusses, ganz auf der Ermächtigung und Protektion der westlichen Führungsmacht, die Japan als ihren Adlatus schätzt.

I. Der alte Erfolgsweg – die neue Erblast

Das Ende der weltkriegsträchtigen Konfrontation zwischen dem kapitalistischen und dem realsozialistischen Staatenblock, die fast ein halbes Jahrhundert die Konkurrenz der Nationen bestimmte, beschert dem ökonomischen Riesen Japan keine Fortsetzung seines kapitalistischen Siegeszugs und der laut Verfassung zum ewigen Frieden verpflichteten politischen „Friedensmacht“ Japan keine „Friedensdividende“.[1] Tatsächlich läuft es andersherum. Weil die Herrschaften in Tokio darauf aus sind, die erreichten Erfolge der Nation zu sichern, aus ihnen neue Ansprüche abzuleiten, Chancen für deren Verwirklichung wahrzunehmen und so den fortgesetzten nationalen Aufstieg zu garantieren, sehen sie sich mit lauter Beschränkungen und Bedrohungen konfrontiert – durch fremde Staatsgewalten, die dasselbe wollen. Das nationale Pogramm schafft also zahlreiche Kampffronten, an denen die Fähigkeit zur sicherheitspolitischen Durchsetzung Japans (heraus)gefordert ist. Und das unter einer heißen Prämisse: Die amerikanische Supermacht, die Japan jahrzehntelang einen militärischen „Schutzschirm“ geboten hat, befindet sich längst wieder mitten in einem „lang andauernden Krieg“, der nicht nur Landstriche und Leute vernichtet, sondern auch die Geschäftsmittel samt -ordnung, von welcher der japanische „ally“ lebt.

1. Kein Friedensschluss mit den Russen: Siegerrecht gegen Siegerrecht – Ohne Herausgabe der Kurilen keine kapitalistische „Aufbauhilfe“!

Nach der friedlichen Kapitulation der Sowjetunion im „Wettbewerb der Systeme“ fragt sich Japan – ganz im Unterschied etwa zu Deutschland und Europäischer Union –, was es als Nation eigentlich vom Sieg des Westens über den Sowjetblock hat. Das steht nämlich keineswegs fest. Die USA triumphieren als „einzig verbliebene Weltmacht“; Deutschland-West darf seine „Brüder und Schwestern jenseits des Eisernen Vorhangs“ wiedervereinigen; die EU sieht die „Teilung Europas“ beendet, ihren kontinentübergreifenden Reichtums- und Machtzuwachs also kommen; und die Weltwirtschaftsmacht Nr. 2, ebenfalls Teil des glorreichen Westens, sucht ihren Zugewinn. Als Mitsieger im Kalten Krieg fordert auch sie ihr Recht vom Verlierer Russland, nämlich die „Rückgabe“ der 1945 besetzten vier südlichen Kurilen-Inseln, die Japan zusammen mit Südsachalin seine „Nördlichen Territorien“ nennt. Auch das japanische Verlangen betrifft also zuallererst die territoriale Revision der Nachkriegsgrenzen, die verlorenen Teile seiner elementaren Machtbasis sollen wieder angeeignet werden. Dass es sich bei besagten Inseln um einen Teil jener Inselkette handelt, die das Ochotskische Meer im Osten Russlands gegen den offenen Pazifik abgrenzt, aus russischer Sicht also schützt, die umgekehrt – in feindlichen Händen – den einzigen eisfreien Ostausgang Russlands zum Pazifik abriegeln würde, mithin von besonderer strategischer Bedeutung ist und bleibt, macht die eigene Forderung ebenso gewichtig wie brisant.

Da sich USA und Nato in diesem Fall nicht so hinter den Gebietsanspruch des japanischen Verbündeten stellen, dass sie seine Erfüllung zur Bedingung für die Aufgabe der Feindschaft gegenüber Russland erklären, gerät die Angelegenheit zur bilateralen Kraftprobe Japans mit Russland und damit zu einem ersten Offenbarungseid. Die Regierung setzt ihre Finanzmacht und die überlegenen kapitalistischen Potenzen der japanischen Ökonomie als Erpressungshebel ein. Sie besteht auf der „Untrennbarkeit von Politik und Wirtschaft“ und stellt für den Fall der „Wiederherstellung der territorialen Souveränität“ über besagte Inseln eine zweistellige Milliarden-Förderung für die Rohstoff-Industrie Sibiriens in Aussicht. Sie baut also darauf, den Mangel an Kapital und rentabler Technologie auf Seiten des ex-sozialistischen Industriestaats auf doppelte Weise ausschlachten zu können: als Mittel der Rückeroberung von militärisch relevantem Territorium und der Erschließung russischer Energiequellen. Die Rechnung geht nicht auf. Russland dreht den Spieß um, verweigert dem japanischen Rechtsanspruch die Anerkennung, bietet als Kompromiss die kleineren zwei der vier Inseln an und verlässt sich angesichts des japanischen Ablehnungsbescheids einstweilen auf das Interesse der anderen kapitalistischen Erfolgsnationen, Russland bei der Erschließung der allseits nachgefragten Ressourcen Sibiriens zu „helfen“ – sowie auf den stummen Zwang, der davon auf die „energieabhängige“ und geschäftstüchtige Nation Japan ausgeht. Nicht ganz zu Unrecht. Japan muss zur Kenntnis nehmen, dass seine wirtschaftlichen Waffen kein überzeugendes Argument sind, eine Atommacht wie Russland zur Aufgabe von einmal eroberten territorial-strategischen Positionen zu zwingen, selbst wenn diese Atommacht sich durch ihre Wende zur kapitalistischen Rechnungsführung ökonomisch demontiert und auf die ‚Entwicklungshilfe‘ der Feinde von gestern scharf ist. Um seine Interessen an einer Standort-sichernden Öl- und Gasversorgung nicht aufs Spiel zu setzen und um nicht weiteren Boden in der Konkurrenz um das Besetzen von Geschäftsfeldern an die Europäer und Amerikaner zu verlieren, nimmt der japanische Staat von seinem „Junktim“ Abstand, ohne freilich den Rechtsanspruch auf das „Nördliche Territorium“ aufzugeben.[2] Japan will beides: Russland als Mittel der eigenen Energiesicherung gewinnen, China mit seinem analogen Bedürfnis dabei ausstechen, sich nachholenden Zugang zu profitträchtigen Märkten und Anlagesphären verschaffen und die Revision der Nachkriegsgrenze! Die aktuellen diplomatischen Anstrengungen zielen deshalb darauf, die Unvereinbarkeit der territorialen Verfügungsansprüche nicht zum Hindernis für nützliche Geschäftsbeziehungen werden zu lassen.

2. Die VR China: Eine Riesen-Anlagesphäre für japanisches Kapital und ein unkontrollierbarer Konkurrent mit eindeutigen Ordnungsmachtambitionen auf Kosten Japans

Als ein vortrefflich bemittelter Kapitalstandort, von dessen Boden längst bewährte internationale Ausbeutungsgiganten – Multis genannt – ausgehen, sieht sich der Nachbar Chinas naturgemäß geradezu prädestiniert, den Imperativ Deng Xiao Pings an seine Volksmassen – „Bereichert euch!“ – auf sich und seine Geschäfts-Profis zu beziehen. Die verstehen sich denn auch blendend darauf, das Angebot an unvergleichlich billigen und willigen, von der „sozialistischen Erziehung“ bestens konditionierten Arbeitskräften tatkräftig zu nutzen – zunächst in separaten Sonderwirtschaftszonen, dann mehr und mehr im ganzen Land.

Waren- und Kapitalexport aus Japan erschließen das Land des Milliarden-Reservoirs an Menschen, von denen immer mehr nicht nur als rentables Arbeitsvieh, sondern auch als in der Summe gewaltige Massenkaufkraft ihren Dienst am Profit verrichten. In Anwendung des „amerikanischen Erfolgsrezepts“, nach welchem das durch seine Größe und Produktivität überlegene Kapital die Welt erobert, fördert die japanische Weltwirtschaftsnation die Akkumulation im gewendeten Riesenreich, um sich auf immer größerer Stufenleiter an ihr und ihrem Ertrag zu beteiligen. Das Resultat fällt ausgesprochen zwiespältig aus – aus der Sicht der staatlichen Bilanzierer in Tokio jedenfalls. Die Investitionen der Hightech-Konzerne vermehren das Privateigentum ihrer Lieblingsbürger und die globale Schlagkraft ihres Kapitals, so dass die Statistik inzwischen nicht mehr die USA, sondern Japan als die Nr. 1 in Sachen Kapitalexport nach China führt. Doch die Reichtumsziffern, in welchen die Nationen ihre ökonomische Potenz messen, wachsen in China, und zwar gewaltig, aber nur sehr bedingt im Heimatland der Sonys und Toyotas. Der Export eines ganzen Produktionsverhältnisses ist rundum gelungen, aber mehr und mehr sieht sich Japan mit der ärgerlichen Tatsache konfrontiert, dass es ein gigantisches „Entwicklungsland“ stark gemacht hat und weiter stärkt, also zu einem Konkurrenten aufbaut, dessen Aufstieg auf Kosten Japans erfolgt. Erstens führt der massenhafte Kapitalexport in diesem Fall nicht zu einer erweiterten Nachfrage nach der Währung des Exportlandes, also nicht zu einer entsprechenden Steigerung der Masse der als internationales Geschäftsmittel fungierenden Kreditzettel, die auf Yen lauten; die private Bereicherung der exportierenden Multis schlägt sich somit nicht in der Stärkung der Geldmacht Japans nieder. Der geschäftliche Zahlungsverkehr zwischen beiden Staaten wird nämlich weitestgehend mit Dollars abgewickelt, auf die China – als Inbegriff von Weltgeld, sprich universeller Zahlungskraft, und deshalb brauchbarste Staatsschatz-Währung – so scharf ist und über die Japan im Überfluss verfügt. Selbst die japanischen „Entwicklungshilfe“-Zahlungen erfolgen hauptsächlich in Dollar. Und weil auch der progressive Kapitalexport den Erfolg des Yen als Weltgeld nicht nachhaltig fördert, machen sich zweitens die Nachteile für die japanische Standortbilanz so richtig geltend, die Tokios Politiker im Zuge der andauernden Gründung schlagkräftiger Unternehmen auf chinesischem Boden immer sorgenvoller registrieren: Vom Anlageplatz China gehen zunehmend Waren und Anlage suchende Geldüberschüsse in alle Welt und bestreiten den japanischen Exporteuren „ihre Märkte“. Sein steigender Mittelbedarf, vor allem die von Asien über Afrika bis Südamerika ausgreifende politische Akquisition von Energieträgern und sonstigen Rohstoffen, stellt vom Standpunkt der Regierung in Tokio eine Gefährdung der „Versorgungssicherheit“ Japans dar, das jene Ressourcen für seine Akkumulationsbedürfnisse einkaufen und/oder erschließen und gebrauchen will. Und drittens zieht die Regierung in Tokio auch noch und vor allem eine negative Sicherheitsbilanz. Sie sieht das bisherige, für das Übergewicht der japanisch-amerikanischen Allianz so günstige „Gewaltgleichgewicht“ zunehmend gestört: Die militärische Aufrüstung, die der ökonomische Daueraufschwung dem riesigen Nachbarn erlaubt und – zum Zwecke seiner machtvollen Sicherung – gebietet, bedroht die vitalen Interessen Japans, zumal wenn das neue Kriegsgerät in Gestalt von U-Booten das maritime Umfeld des japanischen Inselstaates unterwandert und 800 Raketen auf der gegenüber liegenden Küste für die gewaltsame Heimholung von Taiwan in Stellung gehen.

Zu Zeiten der „Öffnung“ Chinas für marktwirtschaftliche Umtriebe herrschte natürlich auch und besonders in Japan die Begeisterung darüber vor, dass die kommunistische Zentralgewalt sich entschlossen hatte, „den Tiger zu reiten“, sprich: mit Hilfe des Weltkapitalismus die Entfaltung der nationalen Macht Chinas zu forcieren. Die japanische Regierung akzeptierte angesichts der dadurch winkenden Geschäftsperspektiven ohne Murren die Geschäftsbedingungen, mit denen die chinesischen Wendepolitiker darauf bestehen, dass kein „nationaler Ausverkauf“ an fremde Imperialisten, sondern der Aufbau einer im Weltmaßstab konkurrenzfähigen nationalen Wirtschaftsbasis stattfindet, die als dauerhaft sprudelnde Geldquelle ihrem autonomen politischen Kommando unterliegt. Inzwischen aber macht sich unter den japanischen Politikern eine nachhaltige Unzufriedenheit breit. Die Konditionen von Warenhandel und Kapitalinvestitionen – die nur als Joint Ventures erwünscht sind, damit die chinesischen Firmenpartner sich auf diese Weise die technischen Produktivkräfte aus den Metropolen des Kapitals aneignen können – gelten mehr und mehr als Belege für einseitige Vorteilsnahme, als willkürliche Barrieren gegen die erwünschte freie Selbstbedienung auf chinesischem Boden, als protektionistische Verstöße gegen die Regeln der liberalen Weltwirtschaftsordnung.[3] Da die japanischen Korrekturanträge die Chinesen wenig beeindrucken, man umgekehrt die laufende geschäftliche Ausnutzung des Milliarden-Menschen-Standorts und deren „grenzenlose Perspektiven“ nicht durch Sanktionsmaßnahmen gefährden will, wird sich Japan seines mangelnden „Einflusses“ auf die Wirtschaftspolitik des großen Nachbarn inne. An der Tatsache, dass alle wirtschaftlichen Hebel, seien sie auch von der Güte einer Weltwirtschaftsmacht Nr. 2, an der Vor- und Nachteilskalkulation des Partners ihre prinzipielle Grenze haben, nimmt der japanische Staat die mangelnde Erpressbarkeit seines Gegenübers wahr. Und die stört ihn gewaltig. Das Unbehagen über die Erfolgsbilanzen des Landes, das als Bereicherungsmittel Japans fungieren soll(te), wird selbstkritisch. Beispielhaft in der von der politischen Elite selbst losgetretenen Debatte über die Zu- oder Abträglichkeit der umfangreichen ‚Entwicklungshilfe‘, die Japan seit Jahren an den erfolgreichen Aufsteiger überweist. Freude kommt jedenfalls keine auf, weil sich da mal ein Land tatsächlich „entwickelt“ – nämlich wie seine Vorbilder, die Großen 7, satte Ausbeutungsraten und -massen in dauerhafte Wachstumsraten der Nation umsetzen kann. Stattdessen dominiert der als Klage über die „Undankbarkeit“ Chinas daherkommende Verdacht, dass die Machthaber in Peking sich erst mit Hilfe japanischen Weltgeldes auf Kosten Japans groß gemacht haben und nun das Geld, das sie doch gar nicht mehr brauchen, auch noch zweckwidrig für eigene imperialistische Ambitionen missbrauchen: womöglich weitergeben an südostasiatische Staaten, um sich diese politisch gefügig zu machen, oder gar für Rüstungszwecke verwenden. So wird ex post bilanziert, dass das Instrument der „Offiziellen Entwicklungshilfe (ODA)“ im Falle Chinas nicht als Mittel getaugt hat, die Geschäftsbedingungen zu diktieren oder gar in seine Staatsräson hinein- und ‚außenpolitisches Wohlverhalten‘ herbeizuregieren. Tatsächlich haben die Gelder „bloß“ – und durchaus erwünschter Weise – zur Herrichtung der Infrastruktur des neuen Kapitalanlage-Standorts beigetragen und sind darüber hinaus bis heute ein Medium und Index der politischen Beziehungspflege zwischen beiden Staaten. Dazu gehören gelegentliche Drohungen mit der Reduzierung der ODA, z.B. wegen eines in japanischen Gewässern aufgespürten U-Boots, die jedoch regelmäßig die bezweckte Wirkung verfehlen. Das vorläufige amtliche Endergebnis der Debatte: Die ODA soll künftig weniger ungebunden, sondern mehr Projekt-bezogen vergeben werden, um „Zweckentfremdung“ zu verhindern und die „nationalen japanischen Interessen“ effektiv zu befördern. Der eigentliche Beweggrund für die weitere finanzielle Förderung des Nachbarn wird dabei nicht verschwiegen: Eine Unterlassung wäre das falsche Signal, da es von China als Provokation verstanden würde – die Volksrepublik sieht in der ODA nämlich einen schlechten Ersatz für die verlangten Reparationen wegen vergangener Gräueltaten und Ausplünderung, die Japan zu zahlen sich weigert.

Was dem japanischen Staat vor allem missfällt an der stürmischen Aufholjagd der auf den Profit umprogrammierten chinesischen Wirtschaft und der – unvermeidlichen – Assistenz, die japanische Multis dabei leisten, das ist die militärische Macht, welche die VR China aus ihren wachsenden technologischen Fähigkeiten und ihrer akkumulierten Devisenmacht gewinnt. Mit der systematischen Produktion und dem Zukauf moderner Waffen, Satelliten- und Raumfahrttechnik inklusive, ergänzt der chinesische Staat seine – bislang begrenzte – atomare Abschreckungskapazität, so dass er in wachsendem Maße über Luft- und Seestreitkräfte verfügt, die zu offensiven Kriegsaktionen über die Landesgrenzen hinaus befähigt sind: Mit seiner nicht mehr übersehbaren militärischen Präsenz zu Wasser und in der Luft macht China sich daran, den Amerikanern und Japanern die alleinige Kontrollhoheit vor Ort zu bestreiten, die diese bislang so selbstverständlich wahrnehmen. Durch die Fortschritte der Rüstungstechnik kommt der ohnehin existierende „strategische Vorteil“ Chinas, seine enormen Land- und Menschenmassen, Massenheer eingeschlossen, – ein Vorteil, der für sich genommen im imperialistischen Kräftemessen gar nicht viel zählt – erst richtig zur Geltung: als Bestandteil und Basis eines immer schlagkräftigeren Droh- und Kriegspotenzials. Mit der chinesischen Aufrüstung ist für Japan der Tatbestand einer wachsenden Bedrohung seiner vitalen Interessen erfüllt:

Erstens ganz grundsätzlich. Die verantwortlichen Staatsmacher in Tokio gehen wie ihre Berufskollegen in Peking und anderswo selbstverständlich davon aus, dass es – Bruttosozialprodukt, Handels- und Devisenbilanz hin oder her – die militärischen Erzwingungskapazitäten einer Nation sind, die über die Gültigkeit der von ihr in die Welt gesetzten Ansprüche an, also gegen ihresgleichen entscheiden. Der mächtige Nachbar ist folglich immer, mitten im Frieden, als potentieller Kriegsgegner im Visier. Der praktische Vergleich der Waffen wird antizipiert, die Aufrüstung Chinas auf sich bezogen und prompt konstatiert, dass es sich um eine „illegitime“, weil „über bloße Verteidigungsanliegen hinausgehende“ Rüstung handelt. Die angeprangerte „Intransparenz“ der chinesischen Militärpolitik, wie sie angeblich nur für undemokratische Diktaturen typisch ist, die ihre hohen Ausgaben für Waffenkäufe nicht in der richtigen Haushaltsabteilung verbuchen, zeugt in den Augen der japanischen Demokraten schon ganz alleine von „möglichen“ feindlichen Absichten, gegen die man sich – auch und gerade als friedlicher Nachbar – wappnen muss.

Zweitens sieht sich Japan von der gar nicht heimlichen Nutzanwendung der chinesischen Aufrüstung praktisch direkt betroffen. Da ist zum einen die wachsende Präsenz chinesischer Kriegsschiffe im chinesischen Meer und erst recht deren jüngster Einsatz zur Sicherung der ungestörten Erschließung von unterirdischen Gasressourcen in den Gewässern, durch welche die zwischen China und Japan umstrittene Hoheitsgrenze verläuft. Da ist zum andern die laufende militärische Vorbereitung auf die – bei Bedarf gewaltsame – Annexion der Republik Taiwan, die Peking als abgefallene Provinz betrachtet. Der Auftrag ans chinesische Militär, die Rechte der Nation, die im Klartext auf die Expansion ihrer hoheitlichen Verfügungsgewalt hinauslaufen, gegen diejenigen zu garantieren, die sie bestreiten, kollidiert in der Tat unmittelbar mit den Sicherheitsbedürfnissen des japanischen Inselstaats. Denn dieser beansprucht mit derselben Selbstverständlichkeit die Kontrolle über sein näheres und weiteres maritimes Umfeld, dessen Nutzung als Rohstoffquelle, als System von Transportrouten (von der Straße von Taiwan bis zu der von Malakka in Indonesien) für seine „lebenswichtigen“ Im- wie Exporte und als militärstrategischen Schutzraum. Die Erhaltung der Selbstständigkeit des „befreundeten“ kapitalistischen Musterländles Taiwan, auch einer Ex-Kolonie Japans, sowie die Sicherstellung einer eigenen See- und Lufthoheit ist deswegen ein sozusagen geographisch-natürlicher Bestandteil der japanischen Territorialverteidigung.[4] Das Problem ist nur, dass Japan zu dieser ‚Verteidigung‘ aus eigenen Kräften bislang nicht in der Lage ist.

Das heißt nicht, dass die reich bemittelte und anspruchsvolle Mittelmacht sich bescheidener Zurückhaltung befleißigt. Im Gegenteil. Gerade weil sie sich durch den imperialistischen Machtzuwachs Chinas in die Defensive versetzt sieht, geht sie selber in die Offensive; die (inzwischen regierungsoffiziell im sicherheitspolitischen Weißbuch erfolgte) Definition der chinesischen Rüstungspolitik als „Bedrohung“ Japans bedeutet schließlich, dass die Notwendigkeit der Selbstbehauptung angesagt ist. Die eigenen Interessen werden in durchaus konfrontativer Manier gegen die Nachbarn – wozu außer China nicht nur Nord-, sondern auch Südkorea gehört[5] – zur Geltung gebracht, politische Fronten eröffnet, die sehr wohl das Risiko eines Übergangs in feindliche Aktionen beinhalten. Ein chinesisches Boot wird von der japanischen Marine ins offene Meer gejagt. Der territoriale Besitzanspruch auf die Senkaku-Inseln in der Nähe Taiwans, die auch von der VR China und von der Republik Taiwan beansprucht werden, wird demonstrativ bekräftigt. Gasbohrungen der Chinesen in der Nähe der maritimen Grenze werden ganz undiplomatisch mit dem Verdacht belegt, von dort würden wohl künftig Ressourcen auf der japanischen Seite angezapft; einer japanischen Explorationsexpedition wird „die Genehmigung erteilt“, vis à vis der chinesischen Plattformen den Meeresgrund zu untersuchen – wenn es soweit ist, wird natürlich Geleitschutz fällig; der Vorschlag Chinas zu gemeinsamer Ausbeutung der in umstrittenen Meeresgebieten lagernden Ressourcen wird abgelehnt. Die Proteste Chinas gegen die Beschönigung der kriegerischen Schlächtereien in den japanischen Schulbüchern und gegen die Heldenverehrung am Yasukuni-Schrein (der auch „Kriegsverbrecher“-Reliquien beherbergen soll) durch den Ministerpräsidenten Koizumi werden als unverständliche und aggressive Einmischung zurückgewiesen, kurz darauf wird der nächste „private“ Schrein-Besuch des Regierungschefs organisiert. Auf die Weise demonstriert die Ex-Kolonialmacht gegenüber den ehemals von ihr kolonisierten Völkern nicht, dass sie die Mandschurei oder Korea neuerlich erobern und „zivilisieren“ will, wohl aber, dass Japan seine berechtigten imperialistischen Ambitionen in der ostasiatisch-pazifischen Region und gegen deren staatliche Insassen nicht beschränken (lassen) will.[6] Und vor allem erklärt sich Japan 2005 erstmals in einem „Joint Statement“ mit der US-Regierung zur militärischen (Mit-)Schutzmacht Taiwans, womit immerhin der Wille zum Kriegseintritt für den Fall einer gewaltsamen Annexion der „abtrünnigen Provinz“ klargestellt wird. Im Namen der Selbstverteidigung, versteht sich, denn Kriege hat sich Japan ja bekanntlich in seiner Verfassung auf ewig verboten! Und wenn die chinesische Regierung wegen der „nationalistischen Tendenzen“ in Tokio den bilateralen diplomatischen Kontakt auf Regierungsebene seit dem Amtsantritt Koizumis boykottiert, dann ist das der japanischen Regierung zwar nicht recht – weil Indiz für die chinesische Weigerung, die Rechtstitel und damit die politischen Vorgaben Japans anzuerkennen und hinzunehmen, Anlass für ein Zurückstecken ist es für sie aber nicht.

Der große Haken an den forschen Ansätzen der Friedensmacht Japan, sich als Hüter seiner „surrounding areas“ mitsamt der „Demokratie und Freiheit Taiwans“ Respekt zu verschaffen und der chinesischen Atom-Macht die Grenzen der „legitimen“ Machtentfaltung aufzuzeigen, liegt abermals auf der Hand. Für die Durchsetzung des Ordnungsmachtanspruchs, der damit präsentiert wird, reichen die zu Gebote stehenden eigenen Gewaltmittel nicht hin. Umgekehrt gilt aber um so mehr: Wer sich als militanter Gegner des elementaren Staats(vereinigungs)programm der VR China aufstellt, der riskiert, entsprechend behandelt zu werden. Das schließt die Gefährdung des chinesischen Pfeilers der japanischen Kapitalmacht ein, an dessen Stabilität Japan sehr gelegen sein muss, da sein Reichtum inzwischen zu einem Großteil auf dieser Säule ruht.

3. Notwendigkeit, Blockade und Initiativen zu einer regionalen Blockbildung

Den Führern der japanischen Nation ist eines klar: Ihr „Gewicht“ in der Welt des globalisierten Kapitalismus steht und fällt mit ihrer Fähigkeit, ihre Interessen in der regionalen Staatenwelt politisch durchzusetzen, zu sichern und zu verankern. Die Erweiterung des dazu notwendigen Einflusses auf die illustren Herrschaften im südostasiatisch-pazifischen Raum wird deshalb zu einem Schwerpunkt ihres imperialistischen Aufbauprogramms.

Die Dringlichkeit der Aufgabe ergibt sich schon aus Gründen der ökonomischen Bestandssicherung. Japan hat die kleineren südostasiatischen Länder – schon länger als den neuen „ökonomischen Riesen“ China – zur Anlagesphäre und zum produktiven Hinterland seines nationalen Kapitalismus gemacht. Mit großen Massen „exportierten“ Kapitals stecken japanische Firmen in der Wirtschaft insbesondere jener Staaten drin, die eine ganze Zeit lang für ihr rasantes Wachstum als die „kleinen Tiger“ bewundert worden sind; nämlich bis zu jener größeren Krise gegen Ende der 90er Jahre,[7] in die ganz maßgeblich Japans Kapitalisten mit ihren überschießenden Investitionen sich und eben vor allem die von ihnen dominierten Nationalökonomien Ostasiens hineingewirtschaftet – und aus der sie sich mit ganz viel staatlicher Hilfe auch wieder herausgeschafft haben; das eine wie das andere mit phasenweise ruinösen Folgen für die Länder, die sie nach wie vor bevorzugt als auswärtige Standorte benutzen.

Dieses intensive Benutzungsverhältnis findet unter einer bemerkenswerten Sonderbedingung statt: Für ihren Kapitalexport benutzen Japans Unternehmer hauptsächlich US-Dollar; ihre nationale Währung spielt als grenzüberschreitend genutztes Geschäftsmittel, als Ausgangs- und Endpunkt der in den Nachbarländern angestoßenen und ausgenutzten Akkumulation kapitalistischen Reichtums keine bedeutende Rolle.[8] Das beschränkt weder Umfang noch Ertrag des japanischen Engagements – US-Dollars besitzt Japan mehr als genug! –; für das politökonomische Verhältnis zwischen Japan und den so ausgiebig benutzten Nachbarstaaten ist die Sache aber von Bedeutung: Amerika ist immer und überall als „Dritter“ involviert. Alle Geschäftsbeziehungen beruhen auf der im praktischen Gebrauch betätigten Anerkennung der US-Währung, nicht des Yen, als Materie des kapitalistischen Reichtums, den japanische Firmen an ihren auswärtigen Standorten erwirtschaften; und all dieser Reichtum bestätigt und beglaubigt die Währung, mit der Amerika seinen staatlich geschaffenen Kredit als weltweite Gültigkeit beanspruchende Geldware zirkulieren lässt, als das tatsächlich gültige Geld der Welt und eben nicht diejenige, mit deren Schöpfung der japanische Staat den realen Stoff des „Reichtums der Nationen“ in Verkehr gebracht haben will. Die Initiierung und Okkupation kapitalistischen Wachstums in ganzen Ländern durch japanische Investoren, die Ausdehnung der Privatmacht japanischen Eigentums auf eine ganze Weltregion schließt den ökonomischen „Siegeszug“ der vom japanischen Staat geschaffenen, verantworteten, als Kreditmittel genutzten Materie dieser Privatmacht nicht ein. Bei all seiner Größe und Wucht nimmt das japanische Kapital bei seinem „Siegeszug“ durch die Region den „Umweg“ über die USA als Garantiemacht der universellen Schlagkraft seines Vermögens, befestigt mit seinen Erfolgen deren Stellung als Stifter und Gewährleister seines eigenen Geschäftslebens, leistet insoweit keinen Beitrag dazu, dass seine eigenen obersten Geldschöpfer und Währungshüter in die Rolle des letztinstanzlichen Garanten des ostasiatischen Kapitalismus hineinwachsen, dem die Souveräne der Region jeden politökonomischen Kredit geben, indem sie seinen Kredit als die für sie verbindliche Geldmaterie bei sich wirken lassen, darin ihren nationalen Reichtum nachzählen und darauf ihre eigene Kreditmacht gründen.

Diese eigentümliche Trennung zwischen der grenzüberschreitenden Zugriffsmacht und Schlagkraft japanischen Kapitals und dem kapitalistischen Geschäftsmittel, das die ökonomische Macht der japanischen Staatsgewalt repräsentiert, das Dazwischentreten der Geldhoheit der USA, spiegelt ein für die Nation zutiefst unbefriedigendes politisches Kräfteverhältnis wider. Zu seinen südlichen Nachbarn steht Japan, obwohl ein Akteur mit ganz zweifelsfrei unendlich überlegenen politökonomischen und auch militärischen Machtmitteln, nicht im Verhältnis der Schutz- und Führungsmacht. Diese Position kommt eindeutig den USA zu. Auf deren strategische Dispositionen sind all die Länder der Region, die Japan als sein ökonomisches Hinterland benutzt, hinorientiert. Mit ihren dezidierten Ordnungsinteressen und einer Militärpräsenz, die in Sachen Schutz und Unterordnung keine Alternative zulässt, stehen die USA als maßgeblicher „Dritter“ zwischen Japan und dessen Geschäftspartnern. Sie monopolisieren die verschiedenen Sorten Abhängigkeit – von der, die man euphemistisch „strategische Zusammenarbeit“ nennt, bis zur Einflussnahme per Ausgrenzung oder Bedrohung –, die Imperialisten im Umgang mit ihren Aufsichtsobjekten zu Gebote stehen. Sie blockieren so jeden Ansatz zur Blockbildung, mit der die japanische Staatsmacht sich der auswärtigen Standorte ihres kapitalistischen Reichtums versichern, nämlich die Kooperationsbereitschaft der dort zuständigen Souveräne gewährleisten könnte. Bei all seinen ausgreifenden Interessen ist der japanische Staat einfach nicht in der Lage, dass er sich selbst zur Garantiemacht seiner Interessen aufschwingen könnte: Sein Einfluss steht unter dem Vorbehalt des vorrangigen Einflusses der USA.

Dabei „kann“, d.h. will er es natürlich nicht belassen. Japans Regierungen arbeiten daran, mit den Staaten der Region über das eigentümlich beschränkte Benutzungsverhältnis, das die nationalen Kapitalisten ringsum aufgebaut haben, hinaus zu gelangen und zu einer substanzielleren Verpflichtung der dortigen Souveräne auf japanische Bedürfnisse und Vorgaben zu kommen. Dabei sparen sie sich – einstweilen – den – bis auf weiteres – ohnehin hoffnungslosen Versuch, sich als alternative strategische Schutzmacht ihrer Nachbarn ins Spiel zu bringen. Ihr imperialistisches Grundproblem, dass in jeder Hinsicht die Macht Amerikas zwischen ihnen und den Staaten der Region steht, die sie doch mit vollem politökonomischem Recht als Anhängsel ihrer kapitalistischen Potenz betrachten, gehen Japans Machthaber ganz zivil an; zuerst von der ökonomischen Seite her, der eigentümlich beschränkten Reichweite ihrer nationalen Geldmacht.

Eine erste Gelegenheit dazu finden sie in der Wirtschaftskrise, in die die so überaus erfolgreiche Geschäftemacherei nicht zuletzt ihrer eigenen Unternehmer Ende der 90er Jahre die ganze Region stürzt. Sie mobilisieren Kredite in Höhe von 80 Mrd. Dollar, um kollabierende lokale Währungen zu stützen, Staatsbankrotte abzuwenden, so ihren eigenen Multis die Geschäftssphäre zu erhalten. Dabei geht es nicht bloß um ökonomische Schadensbegrenzung. Japan interveniert mit der erklärten Absicht und mit der Perspektive, die südostasiatische Region finanz- und wirtschaftspolitisch Schritt für Schritt unter Kontrolle zu nehmen. Als wichtiger Meilenstein ist die Schaffung einer Yen-Zone vorgesehen, in welcher sich das Geld der japanischen Nation als das vorrangige zwischenstaatliche Geschäfts- und Zahlungsmittel etabliert und so die Tauglichkeit der nationalen Währungen verbürgt. Zwar wird bezeichnenderweise ein Großteil der zur Krisenbewältigung bereitgestellten Kredite wiederum in Dollar, also nicht in Yen geleistet. Das ändert aber nichts daran, dass so der Zweck befördert werden soll, sich als einzig wahre Kreditierungs- und Schutzinstanz für die in Not geratenen Staaten aufzudrängen, sich denen als Garant ihrer Geschäftsfähigkeit zu empfehlen und darüber die eigene Währung als gegenständliche Garantiemacht für sicheres kapitalistisches Wachstum einzuführen – in Konkurrenz zum US-Dollar. Beim Internationalen Währungsfonds (IWF) beantragt die japanische Regierung die Zustimmung zur Gründung eines Asiatischen Währungsfonds (AWF), der nach eigenen, auf die Liquiditäts-Bedürfnisse der in Asien beheimateten Nationen zugeschnittenen Kriterien die fällige Nothilfe, Förderung und künftige Aufsicht organisieren soll[9] – also nach japanischem Bedarf, unter japanischer Regie und im Gegensatz zu den anderen kapitalistischen Großmächten, die im IWF den Ton angeben. Dafür sollen gemäß der berühmten „New Miyazawa-Initiative“ Kredite im Wert von 30 Milliarden Dollar – die zweite Stufe soll in Yen erfolgen! – als „Grundkapital“ dienen, das mit Hilfe potenter Staaten wie China aufzustocken wäre; diese Kredite sollen ohne die ‚bürokratischen und restriktiven Auflagen‘ vergeben werden, mit denen der IWF die Krise auf Ostasien eingrenzen, die ‚Gesundung‘ des dortigen Finanzwesens erzwingen und die ‚Konsolidierung‘, also Sicherung des Weltkreditsystems erreichen will.[10]

Die Absicht, auf die Art die Emanzipation der ostasiatischen Länder von ihrer im Dollargebrauch materialisierten politökonomischen Ausrichtung auf Amerika einzuleiten, wird von den USA wie von Japans europäischen Konkurrenten auf dem Feld des globalen Geld- und Kapitalmarkts natürlich durchschaut, der japanische Vorstoß als Versuch zur „Spaltung des internationalen Finanzmanagements“ gemeinsam mit der VR China abgeschmettert. Die Übernahme einer Führungsrolle durch Japan wird nur in einer Hinsicht geduldet: Tokio darf den größten nationalen Beitrag im Rahmen des IWF-Pakets beisteuern, das schließlich genehmigt wird. Der maßgebliche Overlooker und Lizenzgeber, die USA, zahlen dafür erst einmal keinen Cent. Das japanische AWF-Projekt ist damit gestorben. Wenn manche Freunde dieser „Idee“ anschließend die zu große „Furchtsamkeit“ Japans vor „Konflikten“ rügen, liegen sie allerdings falsch. Tatsächlich zeugt das Zurückstecken Tokios von dem realistischen Kalkül einer Nation, die sich eine Kraftprobe mit der Weltordnungs- und -finanzmacht nicht leisten kann, zumal wenn diese auch noch von den europäischen Konkurrenten plus China unterstützt wird.

Das bedeutet jedoch überhaupt nicht, dass Japan das Ziel aufgibt, die Rolle des Yen gegenüber dem Dollar zu stärken und einen ‚institutionellen Ordnungsrahmen‘ für die Durchsetzung und Verankerung seiner politökonomischen Interessen in der Region zu schaffen. Der Weg, den es derzeit verfolgt, führt über die „Association of South-East Asian Nations“, die ASEAN. In dieses „lockere Bündnis zur sicherheitspolitischen Stabilisierung der Region“, das seine Entstehung ursprünglich dem amerikanischen Interesse an einer weiteren antikommunistischen Unterfront verdankt, mittlerweile aber Staaten mit unterschiedlicher politischer Ausrichtung umfasst und notorisch „die Festlegung auf genaue Zielvorgaben und völkerrechtlich verbindliche Regelungen meidet“,[11] klinkt Japan sich ein. Nicht als gemeines Mitglied natürlich, sondern als eine lead-nation, die etwas zu bieten hat und deshalb etwas verlangen kann: Jedem einzelnen Partner offeriert die Regierung besondere, auf ihn zugeschnittene Geschäftsbedingungen, dem Club als ganzem die Perspektive einer kollektiven Wirtschaftsmacht unter Führung der zweitgrößten Nationalökonomie der Welt; einer Wirtschaftsmacht, die sich von Amerika als allgegenwärtigem „Dritten“ emanzipiert, zum eigenständigen Zentrum des globalen Kapitalismus aufsteigt und ihre Beziehungen zum Rest der Welt autonom, in eigener Regie und nach Maßgabe eigener Interessen gestaltet.

Für dieses Endziel verfolgt Japan eine Doppelstrategie. Auf der einen Seite strebt es mit jedem einzelnen ASEAN-Staat in bilateralen Verhandlungen „maßgeschneiderte“ Freihandelsabkommen an, um darüber sukzessive das institutionelle Rahmenwerk zu schaffen bzw. auszufüllen, welches dann einer wirtschafts- und währungspolitischen ‚Vereinheitlichung‘ nach Maßgabe japanischer Vorgaben gleich- oder zumindest nahe kommt. Zum andern bietet es sich dem Verein als ganzem in der Rolle eines übergeordneten „thought leader“ – zu deutsch: als Spiritus rector – an, der aus dem losen Zusammenschluss eine ostasiatische „Community for Peace and Happiness“ schmiedet[12] – und ruft damit nicht nur den bleibenden Argwohn und das daraus gespeiste Kontrollbedürfnis der USA hervor. Darüber hinaus sieht sich die Inselnation mit einer Offensive der VR China konfrontiert, die dasselbe Programm wie sie verfolgt, also die regionale Staatenwelt von den Philippinen bis zum einstigen Verbündeten und nachmaligen Feind Vietnam zu ihrer Bastion und damit zum Mittel ihres weiteren imperialistischen Aufstiegs formieren will. Dabei hat die autonome Atommacht China einen gewichtigen Vorteil auf ihrer Seite, den sie auch schon umzusetzen sucht: Sie hat im Jahre 2004 mit den 10 ASEAN-Mitgliedstaaten nicht nur eine allgemeine Freihandelszone (die im Jahr 2010 vollendet sein soll), sondern darüber hinaus den Einstieg in eine Kooperation auf der Ebene der strategischen Sicherheitsfragen verabredet. Auch der „Tiger“ Südkorea will sich nicht mit einer Außenseiter- oder Objektrolle zufrieden geben. Folglich ist ein Kampf der ostasiatischen ‚Großen 3‘ um die Vorherrschaft in der Region im Gange, und alle drei wollen sich dafür der „lockeren Organisation“ ASEAN bedienen. Ihren quasi offiziellen diplomatischen Schauplatz hat diese Rivalität in dem der alten „Association“ übergestülpten Politforum „ASEAN plus 3“, in welchem die drei um leadership konkurrierenden Nationen sich wechselseitig nolens volens als Konkurrenten anerkennen und um die angemessene Form von „Integration“ und Ausrichtung des Bündnisses, sprich um die Reichweite ihrer Macht darüber streiten. Dieses seit der Ostasienkrise jährlich tagende erweiterte ASEAN-Gremium, in welchem sich die drei Großen die Betreuung der restlichen Staatenmaterials gewissermaßen „teilen“, ist die dialektische Verlaufsform ihres identischen Willens zur Vorherrschaft bei gleichzeitiger Unfähigkeit, sich gegen die Rivalen entscheidend durchzusetzen. Diese Unentschiedenheit bedeutet derzeit, dass insbesondere die beiden aufstrebenden Großmächte um Fortschritte und dafür auch um Kompromisse auf dem Weg zum Fernziel einer „Ostasiatischen Gemeinschaft“ ringen, die – „mit 2 Milliarden Bürgern“, damit „größer als NAFTA und EU zusammen“ – künftig als produktive strategische Basis der Weltmacht fungieren soll, die Japan wie China jeweils für sich beanspruchen.[13]

Teil dieses Ringens sind berechnende Bemühungen Japans, noch deutlich entferntere „Anrainer“ des projektierten Blocks, nämlich Australien, Neuseeland und Indien – erstmals vertreten auf dem als „ASEAN plus 6“ deklarierten „Ostasien-Gipfel“ Ende 2005 –, sowie die nach wie vor allgegenwärtige, offiziell aber nicht präsente Weltmacht Amerika, gegen deren Dominanz das ganze Unternehmen sich richtet, ins Spiel zu bringen. Japan setzt dabei auf eigennützig berechnende Einmischung der USA sowie der Freunde Amerikas ganz im Süden und offenbar auch Indiens, um sich als ostasiatische Ordnungsmacht gegen die asiatischen Rivalen durchzusetzen – und so Amerika mit seinem strategischen Kontrollanspruch über die Region langfristig auszubremsen. Dieses Interesse wiederum teilt Japan mit seinem benachbarten Rivalen, setzt – auch ganz ohne Partnerschaft – auf die VR China als Gegenmacht gegen die Hegemonie der USA – um in diesem Emanzipationsprozess gegen den dicken Nachbarn die Führung zu erobern. So ringt die Nation um Gefolgschaft, um Fortschritte hin zu einer Blockbildung, die ihr den Status einer autonomen regionalen Ordnungsmacht einbringen soll: indem sie sich abwechselnd mit dem mächtigen Konkurrenten und mit der noch mächtigeren Führungsmacht zusammentut, um sich gegen beide durchzusetzen.

4. Die USA verändern mit ihrem Weltordnungskrieg die Geschäftsordnung der Konkurrenz, die Japan groß gemacht hat, und bieten abermals ihren Schutz – für erweiterte japanische Vasallendienste – an

Die Supermacht, welche Japan seit Weltkrieg Nr. 2 schützt, wird selber zu einer Hauptquelle der Verunsicherung ihres Verbündeten. Ihr Kampf für eine Neue Weltordnung, mit dem sie ihre Räson von Freiheit und Demokratie in jedem Erdenwinkel unwiderruflich verankern und so ihre Kontrollmacht über die Staatenwelt auf Dauer sichern will, untergräbt den kapitalistisch so produktiven Weltfrieden, von dem gerade eine Wirtschaftsmacht wie Japan bis heute zehrt. Die Serie von Kriegen, angedrohten Kriegen und Sanktions- bzw. Ausgrenzungsdrohungen zerstören entweder unmittelbar Reichtumsquellen und damit Mittel von Im- und Exportweltmeistern, oder sie machen den bislang durch die Geldmacht der Nation ermöglichten Zugriff auf alle sich bietenden Ressourcen und Geschäftsgelegenheiten prekär. Der ist durch kriegspolitische Entscheidungen Washingtons jederzeit annullierbar bzw. abhängig von einer Lizenzvergabe oder -verweigerung durch die Krieg führende Weltmacht.

Der als Exempel und in Etappen geführte Ordnungskrieg gegen den wegen seines eigenmächtigen Souveränitätsgebrauchs zum Schurkenstaat erklärten Irak und der mit der endgültigen Invasion 2003 untermauerte kategorische Demokratisierungs-Imperativ an die Länder des „Broader Middle East“ setzen den Kampf um die Selbstbehauptung von Staatsgewalten sowie der ethnisch-religiösen Stämme und Volksgruppen auf die Tagesordnung. Damit sind Förderung und Abtransport des billigen Öls, von dem Japan lebt, entweder unterbunden oder in Gefahr. Die forcierte Sanktions- und Kriegsdrohung gegen den Iran verspricht nicht nur eine allgemeine Eskalation dieser „Lage“, sondern macht die jüngste wirtschaftsstrategische Errungenschaft Japans, den Milliarden-Kontrakt über die Erschließung und Nutzung eines riesigen iranischen Ölfeldes, bis auf Weiteres zur Makulatur. Die US-Feindschaft gegen den dritten Störenfried auf der „Achse des Bösen“, den direkten Nachbarn Japans, Nordkorea, verunmöglicht jede auf Koexistenz berechnete, bilaterale Erpressungsdiplomatie, setzt Japan etwaigen Raketenangriffen (plus Atombombendrohungen) Nordkoreas aus und fordert ganz nebenbei China, die traditionelle Schutzmacht dieser „Tyrannei“, heraus – denn diese kann einen proamerikanischen Regimewechsel vor ihrer Haustür überhaupt nicht gebrauchen.

Doch es ist nicht nur dieser Mehrfrontenkrieg, den Amerika gegen die „Schurkenstaaten“ führt, welcher den ökonomischen ‚Besitzstand‘ und die unmittelbare Sicherheit Japans bedroht. Es ist darüber hinaus die amerikanische Doppelstrategie der Einbindung und Eindämmung des „potentiellen Rivalen“ China, welche Japan zu schaffen macht. Die asiatische Randmacht stört sich nicht nur an dem imperialistischen Aufstieg der Staatsmacht im Zentrum Ostasiens, sondern leidet zusätzlich unter dem chinesisch-amerikanischen Verhältnis. Seit feststeht, dass die Volksrepublik China als der asiatische Gewinner aus der „Post-Cold-War“-Periode hervorgeht, da der russische Nachbar mit seinem realen Sozialismus auch seine Weltmacht einbüßt und die Nachfolger Maos die Lizenz zum Eintritt in die globalisierte kapitalistische Geschäftsordnung für sich zu nutzen verstehen, verdienen letztere nicht nur massenhaft Dollars, sondern auch die besondere Aufmerksamkeit der „einzig verbliebenen Weltmacht“. Als gigantisches Akkumulationsfeld für amerikanisches Kapital sehr geschätzt, als aufstrebende asiatische Ordnungsmacht und „strategischer Akteur“ Objekt diplomatischer Einflussnahme wie Beaufsichtigung wird China zum primären Bezugspunkt und bevorzugten Adressaten der amerikanischen Politik im „asiatisch-pazifischen Raum“, dessen ‚Gewalthaushalt‘ erst noch in ein dauerhaft beherrschbares „Gleichgewicht“ zum Wohle der Neuen Amerikanischen Weltordnung gebracht werden muss. Die China first-Politik der Vereinigten Staaten, die ebenso mit Angeboten wirbt wie mit Konfrontation droht, macht Japan auf doppelte Weise betroffen: Seine materielle Sicherheit bzw. Unsicherheit ist ab sofort auch noch abhängig von den Konjunkturen der amerikanisch-chinesischen Beziehungen und sein Wert oder Unwert, also sein politischer Status als Alliierter Amerikas ebenso.[14] Japan sieht sich deswegen – zusätzlich zu der ein Jahrzehnt währenden ökonomischen Entwertung seines Kapitalreichtums – in sicherheitspolitischer Hinsicht degradiert. In guten Zeiten, in denen die „strategische Partnerschaft“ zwischen den beiden ‚Großen‘ einen Aufschwung nimmt, in seiner Bedeutung relativiert, in schlechten Zeiten eskalierender Gegnerschaft direkt bedroht: In jedem Fall macht sich in Japan der bittere Verdacht breit, dass sich der autonome, gegen die Weltmächte von einst erkämpfte Weg Chinas offenbar auszahlt – in Form eines unübergehbaren ‚weltpolitischen Gewichts‘ nämlich, während seine Rolle als „treuer Bündnispartner“, also die mangelnde Eigenständigkeit in der entscheidenden Frage der Gewaltkonkurrenz, zuguterletzt bestraft wird.

Seit die Regierung Bush die VR China immer stärker unter Druck setzt, wird der bewährte Alliierte für die USA zwar wieder „relevanter“, zugleich verschärft sich aber seine ‚Sicherheitslage‘. Wenn die einzig legitime Weltmacht den Chinesen den weiteren „friedlichen Aufstieg“ nur für den Fall zugesteht, dass sie „zur internationalen Stabilität und Sicherheit beitragen, indem sie mit den Vereinigten Staaten zusammenarbeiten“ (Nationale Sicherheitsstrategie 2006), sich also einer von Amerika zu beaufsichtigenden Asienordnung unterwerfen; wenn sie dafür nach Bedarf die Kräfteverhältnisse in der Region aufmischt und Koalitionen „of the willing“ organisiert; wenn sie eine souveränitätsbewusste, bis gestern „illegale“ Atommacht wie Indien heute zum demokratischen „Gegengewicht“ gegen das undemokratische China aufwertet – ohne Rücksicht auf einen traditionellen Verbündeten wie Japan, der von der Eroberung des Status eines autonomen weltpolitischen Machtsubjekts und erst recht vom Bau der dafür nützlichen Atomwaffen auf Dauer abgehalten werden soll; – dann weiß jede japanische Regierung, dass das ungesicherte „asiatische Machtgleichgewicht“, welches G. Bush als wichtigste Herausforderung Amerikas diagnostiziert, einen Machtkampf in und um Asien ankündigt, für den Japan nicht gerüstet ist. So spitzt ausgerechnet der große Alliierte den Widerspruch der ‚bloßen‘ Weltwirtschaftsmacht zu: Sie verfügt nicht über die ihrem Sicherheitsbedarf entsprechenden Mittel, die sie jetzt so dringend braucht!

Denn gerade in den entscheidenden Fragen, den von Krieg und Frieden also, gebricht es dem japanischen Staat an ‚autonomer Handlungsfähigkeit‘, wie die kriegerische Durchschlagskraft so schön heißt, also an Souveränität. Er sieht sich – deswegen – mit der Tatsache konfrontiert, dass sein um so kriegsmächtigerer Bündnispartner, dessen „weltpolitische Mission“ ihm so zu schaffen macht, schon wieder dabei ist, Japan seine Sicherheitsbedürfnisse und die daraus folgenden „notwendigen Maßnahmen“ vorzubuchstabieren. Die Amerikaner gehen ganz selbstverständlich von diesem ihrem Recht als „Schutzmacht“ aus, nämlich von der Fortsetzung einer Militärallianz, mittels derer sie den abhängigen Partner je nach ihrer weltpolitischen Tagesordnung und ganz nach ihrem Bedarf einspannen können.

Zweifel ist nicht erlaubt. Gleich nach dem Ende des Kalten Kriegs ergeht der US-Imperativ an Japan, gefälligst den Verpflichtungen eines Alliierten gegenüber der Vormacht nachzukommen. Saddam zum Ersten steht auf dem Programm. Kooperation ist verlangt, und zwar ohne dass ein japanischer Bedarf oder Nutzen, gar die Teilhabe an der Definition der „neuen Gefahren und Herausforderungen“ als Kooperationsbasis in Betracht kommen. Wen soll es schon stören, dass mit dem gemeinsamen System-Feind auch das gemeinsame Kriegs-Interesse erledigt ist?! Die amerikanische Regierung jedenfalls nicht. Die buchstabiert dem japanischen Partner einfach weiterhin seine wohl verstandenen Sicherheitsinteressen vor und stiftet damit die fehlende Interessenidentität. Im Klartext: Die USA nutzen die fleißig betonte kriegspolitische Abhängigkeit Japans aus, um sie zu erhalten und für ihre Ziele auszugestalten.

Verplant ist Japan jedenfalls in jeder Hinsicht, und die Anforderungen an den Freund steigen mit der Härte und Zahl der – von Amerika – anvisierten Kriegsschauplätze:

  • Im Rahmen einer „globalen“ (1992), später einer „reifen Partnerschaft“ (2000) soll und darf Japan nicht nur finanzielle, sondern auf Nachfrage aus dem Pentagon auch militärische Beiträge für all die Kriegs-, Besatzungs-, Embargo- und Nation-building-Fronten leisten, welche die USA im Rahmen ihres „long war“ gegen Terroristen und staatliche Bösewichter eröffnen. Die Nation, die am Ende ihres Präventivkrieges gegen ihren imperialistischen Hauptkonkurrenten den erfolgreichen Test von dessen „Massenvernichtungsmitteln“ erlebte, anschließend von ihm zum „Pazifismus“ – will sagen: zum Verzicht auf jeden autonomen Militarismus – gezwungen wurde, dann mit ihrem gastfreundlichen Territorium, ihrem logistischen Versorgungswesen und ihren „Selbstverteidigungsstreitkräften“ sukzessive den GIs beim Korea-, beim Vietnam- und im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion assistierte, bekommt die neue Erwartungshaltung gleich als unmissverständliche Lektion verpasst. 1991, beim Irakkrieg Nr. 1, zahlt Japan in seiner Eigenschaft als Bündnispartner zig Milliarden Dollar in die Kriegskasse seiner Schutzmacht – und wird anschließend mit einer großen Hetztirade belohnt. Sich mittels „Scheckbuchdiplomatie“ loskaufen von der Verantwortung und andere die Drecksarbeit machen lassen: Diese bequeme Tour eines „Trittbrettfahrers“ verbitten sich die Amerikaner ab sofort. Zur Bekräftigung winken sie anschließend damit, dass sie ihre Truppen auch aus Japan abziehen könnten, wenn die „Japsen“ deren Aufenthalt künftig nicht großzügiger finanzieren. Verlangt sind also mehr Schecks und echter militärischer Beistand.
  • Für die Gewährleistung der amerikanischen Oberkontrolle über den „ostasiatisch-pazifischen Raum“ ist Japan unverzichtbar. Spätestens seit Bush der Zweite die Ein- und Unterordnung der kapitalistisch gewendeten VR China – Regimewechsel in Nordkorea inklusive – als die Bewährungsprobe der amerikanischen Weltmacht im Programm hat, bekommt der Staat am westlichen Rim des Pazifik (wieder) die Rolle eines „key stone“ verpasst. Erstens soll das Land dank seines politökonomischen Gewichts als ‚Transmissionsriemen‘ fungieren für die Organisierung einer Amerika offen stehenden ostasiatischen Wirtschaftszone. Es soll die Versuche Chinas, die Region zu seiner mehr oder minder exklusiven Bereicherungs- und Aufsichtssphäre herzurichten, von innen heraus untergraben.[15] Zweitens und vor allem aber setzen die USA darauf, Japan im Rahmen ihres laufenden militärischen Aufbaus wirkungsvoll in Stellung zu bringen. Das offen verkündete Erpressungsprogramm – Unsere Strategie sucht China zu ermuntern, die richtigen Entscheidungen für ihr Volk zu treffen, während wir uns gegen andere Möglichkeiten versichern.[16] – verlangt eine umfassende Kriegsvorbereitung, die den Chinesen die Alternativlosigkeit der Unterordnung vor Augen führt und ihnen im Falle von falschen Entscheidungen keine Chance lässt. Und dafür fordern die USA von Japan die volle „militärische Integration“ in die amerikanische Kriegsmaschinerie.
  • Die Aufrüstung der japanischen „Selbstverteidigungsstreitkräfte“ ist deshalb – für die vorgegebene Auftragslage – genehmigt, erwünscht und verlangt. Auf der Bestellliste der USA steht so manches, von der Beteiligung am Abwehrsystem gegen ballistische Raketen über die Einordnung in die kommunikativen Netzwerke der US-Kommandostrukturen, die Verbesserung der Fähigkeiten zur U-Boot-Kriegführung bis hin zu Minenräumsystemen. Die „pazifistischen“ Restriktionen der Verfassung sollen dementsprechend endlich über Bord geworfen, das „Recht auf kollektive Selbstverteidigung“ – die von den USA dirigiert wird – soll tatkräftig wahrgenommen werden.
  • Dass Japan ein dauerhafter Standort für amerikanische Truppen und eine Einsatzplattform für die US-Kriegsmaschinerie zu sein und zu bleiben hat, versteht sich von selbst. Der Antrag der japanischen Regierung, die Truppenpräsenz auf Okinawa im Vertrag auf – vorerst – 15 Jahre zu begrenzen, wird schlicht abgelehnt.[17] Ein atomgetriebener US-Flugzeugträger wird auf Dauer in japanischen Häfen bereitliegen.
  • Und mit alledem und gar nicht nebenbei soll auch die bleibende Zu- und Unterordnung des ambitionierten Partners und Konkurrenten Japan selber bewerkstelligt werden. Indem die USA das „gemeinsame Interesse“ gegen die expandierenden Ordnungsansprüche Chinas organisieren, bremsen sie – so das Kalkül – auch das Emanzipationsbedürfnis Japans, seinen Übergang zu autonomer Sicherheitspolitik und damit die Verwandlung des Ex-Alliierten in einen weiteren strategischen Rivalen Amerikas, der sich womöglich sogar mal auf die falsche Seite schlägt.[18]

So, in der Eigenschaft als unverbrüchlicher „ally“, kann und darf Japan „eine wachsende Rolle in der Welt“ beanspruchen und genießen: als gehobener, weil durch seinen Willen und seine Fähigkeiten wertvoller Vasall der Weltmacht Amerika, der seine vitalen Interessen in der Durchsetzung des amerikanischen Weltordnungsmonopols bestens aufgehoben sieht.[19]

Genau so aber hat sich das Land der aufgehenden Sonne die neue Freiheit nicht vorgestellt, die ihm die Post-Kalte Kriegs-Ordnung bietet. Das Dilemma an dem amerikanischen Angebot ist, dass Japan es weder ablehnen, noch einfach annehmen kann. Nicht ablehnen zum einen, weil die Zurückweisung des Angebots mindestens einer halben Feindschaftserklärung gegen die bisherige Garantiemacht gleichkäme, welche diese im besten Fall mit „Irrelevanz“ und Ausgrenzung, im schlechteren mit dem Entzug der Teilhabe an der politökonomischen Weltaufsicht und der nationalökonomisch lebenswichtigen Zugriffsrechte auf umkämpfte Reichtumsquellen „bestrafen“ würde; zum andern, weil für das gewaltige Ziel, sich den Status der asiatischen Ordnungsmacht zu erobern, die eigenen Machtmittel aktuell und auf absehbare Zeit beim besten Willen nicht ausreichen, man also die Rückendeckung Amerikas braucht.[20] Nicht einfach akzeptieren kann Japan die Offerte einer immer „reiferen“ kriegspolitischen Partnerschaft mit dem übermächtigen Freund, weil die Amerikaner nichts anderes im Sinne haben, als ihre Übermacht dahingehend geltend zu machen, dass japanische Ambitionen nur nach Maßgabe ihrer Brauchbarkeit für die USA zum Zuge kommen. Die damit programmierte Fortsetzung der Vasallenrolle kann sich Japan ebenfalls nicht leisten. Sie würde schließlich die Sicherstellung der ökonomischen Lebensmittel der Nation, erst recht aber die Fähigkeit zur Selbstbehauptung als imperialistische Staatsgewalt den Berechnungen einer fremden Gewalt überantworten, die aus ihrer militärischen Vernichtungskraft gerade das alleinige Recht auf Umsturz und Neuordnung der Staatenwelt ableitet.

II. Das dringliche Bedürfnis nach „Normalisierung“: Ohne imperialistische Ordnungsgewalt keine nationale Sicherheit

Die alten Beschränkungen und neuen Bedrohungen, durch welche sich die japanische Weltwirtschaftsmacht bei der Verfolgung ihrer ausgreifenden Interessen gestört sieht, erscheinen den politischen Sachwaltern der Nation als lauter Defizite, unter denen die erfolgreiche Durchsetzung in der Konkurrenz mit ihresgleichen leidet. Und diese Defizite gelten ihnen allesamt als Ausdruck und Folge eines einzigen gewaltigen Mangels: der fehlenden Fähigkeit zu unwiderstehlicher Machtausübung nach außen. Andere Staaten in Nah und Fern, weltpolitische Auf- wie Absteiger nicht, jedenfalls nicht hinreichend in die Schranken weisen, nicht auf eine Kooperation zu eigenen Bedingungen, also zum sicheren japanischen Vorteil festlegen zu können, das bedeutet umgekehrt, dass Japan sich von anderen Nationen beschränken lassen muss, insofern abhängig ist vom Willen fremder Mächte. Und damit stehen alle seine Interessen auf dem Spiel. Eine Selbstkritik, die in ihrer ganzen abstrakten Grundsätzlichkeit auf den einen und eindeutigen Auftrag an sich und ihr Staatsvolk, das sie dafür in die Pflicht zu nehmen gedenken, zielt: die Stärkung der erpresserischen Macht des japanischen Staates. Die ‚politische Klasse‘ in Japan ist sich einig geworden, dass die Nation sich erstens in alle Gewaltaffären auf dem Globus, durch die ihre Interessen tangiert werden – und das sind bei einer real existierenden Weltwirtschaftsmacht ziemlich viele –, einmischen, also einmischen können muss. Sie muss sich bewähren in einer Staaten-Konkurrenz, die auch in ihrer zivilen Abteilung der ökonomischen Ausbeutung und Bereicherung mehr und mehr durch Antiterror- und andere Kriege bestimmt wird. Also als Kriegsmacht. Blauhelmeinsätze auf Geheiß des UNO-Sicherheitsrats und Entwicklungshilfe „reichen nicht aus“, führen nur zu geringschätziger Anerkennung bei denen, die das Sagen, sprich die anerkannte Gewaltkompetenz haben. Und die nationale Politelite ist sich zweitens darin einig, dass Japan vor allem die „Großmachtansprüche“ der asiatischen Konkurrenten zurückweisen, d.h. sich selbst als Kontrollmacht durchsetzen muss, die in der „unsicheren Region“ für Sicherheit sorgt.[21]

Dieses Programm nennt die japanische Regierung eine „Normalisierung“, die jetzt ansteht. Die Einseitigkeit eines hauptsächlich mit ökonomischen Mitteln betriebenen Imperialismus wird als unhaltbar betrachtet und soll überwunden werden. Nebenbei ein bemerkenswertes Zeugnis aus berufenem Munde: Inter-nationaler Konkurrenzerfolg bei der Aneignung von Reichtum beruht auf den durch die Gewalt des Staates hergestellten und garantierten Konditionen. Einen Verzicht auf Krieg als Mittel der Politik kann sich eine kapitalistische Nation nicht leisten!

Auf der Tagesordnung steht folglich der Aus- und Umbau der militärischen Macht und die ‚glaubwürdige‘ Klarstellung des politischen Willens, diese Macht zu verwenden – denn nur so wirkt sie auch!

  • Japan rüstet sich gemäß nationalem Bedarf. Es errichtet ein doppeltes ‚Antiballistisches Raketenabwehrsystem‘, das eine see- und eine landgestützte Säule haben und erklärtermaßen der eigenen politischen und militärischen Verfügung unterliegen soll. Deshalb verfolgt es gleichzeitig ein autonomes Weltraum- und Satellitenprogramm, um bei der Feindaufklärung und beim Navigieren der Abwehrraketen nicht von Informationen aus Washington abhängig zu sein. Das Abwehrsystem soll in der Lage sein, nordkoreanische Raketen, bei einer bloß zehnminütigen Flugzeit, abzufangen und die Bedrohung durch chinesische Atomraketen zumindest zu relativieren. Die Frage, ob das durch Hiroshima „traumatisierte“ Japan sich nicht selbst – schweren Herzens, versteht sich – eine atomare Bewaffnung zulegen muss, ist schon mal andiskutiert und vorläufig abschlägig beschieden worden. Eine potente Nuklearmacht, die über alles know how und die materiellen Elemente für den Bau der „letzten Waffen“ verfügt (das Spaltmaterial reicht für mindestens 4000 Sprengköpfe), ist Japan längst. Die Reichweite der ohnehin vorhandenen modernen Luft- und Seestreitkräfte wird erhöht; Tankflugzeuge für Langstreckenbomber angeschafft, so dass sie bis zum asiatischen Festland und wieder zurück kommen; zwei Flugzeugträger, offiziell ausgelegt für Helikopter, sind beschlossen und dienen als Transport- und Interventionskapazitäten fortgeschrittensten Kalibers. Die 250.000 Mann „Selbstverteidigungsstreitkräfte“ sollen zu einer „multifunktionalen“, für jeden Kriegszweck „flexibel einsetzbaren Armee“ von Hightech-Soldaten auf amerikanischem Niveau aufgerüstet werden. Um eine „Remilitarisierung“, wie insbesondere die schon des öfteren unterjochten Nachbarstaaten argwöhnen, handelt es sich bei alldem nicht, die ist schon längst erfolgt; wohl aber ist die umfassende Kriegsfähigkeit, auf die das aktuelle Programm zielt, auch darauf berechnet, die Nachbarn vom ‚legitimen‘ japanischen Vormachtanspruch zu überzeugen.[22] Truppenkontingente, die bislang im Norden gegen die sowjetisch-russische Gefahr konzentriert waren, werden auf die südliche Insel Okinawa verlegt, um für den Fall einer Schlacht um Taiwan näher an diesem Schauplatz zu sein.
  • Die sich häufenden „Zwischenfälle“ in der Ostchinesischen See und die Eskalation der Hoheits-Konflikte um Inseln, Ressourcen und Seegrenzen mit der VR China stehen nicht nur für die Unvereinbarkeit der vitalen Interessen beider Großmächte, die diesen Raum gleichermaßen als ihre nationale Sicherheitszone betrachten; sie sind zugleich die Demonstration der Entschlossenheit Japans, seine Lesart von regionaler Sicherheitsordnung zur gültigen Tatsache zu machen – also auch eine Manifestation der eigenen Konfrontationsbereitschaft. Die Regierung nennt das Übergang zu „aktiver Außenpolitik“. Dazu gehört auch die offizielle diplomatische Mitteilung, dass Japan sich das Recht auf militärische Präventivschläge herausnimmt, wenn es sein Territorium und den Frieden in der Region bedroht sieht. Z.B. durch ein atomar bewaffnetes Nordkorea, das „Japan auf keinen Fall hinnehmen“ wird.
  • Wenn auf diese Weise die Staatsräson Japans renoviert, dem imperialistischen Eingriffswillen angepasst wird, so gilt dies mehr noch für die Staatsideologie. Auf der inneren Tagesordnung steht die Umkrempelung der pazifistischen Moral, an welche sich das patriotische Gemüt der Bürger ein halbes Jahrhundert lang gewöhnt hatte. Die stand – und steht immer noch – nicht nur für die Vortrefflichkeit des durch den – verlorenen – Krieg geläuterten Staatswesens, sondern auch für den Erfolg, den dieser Staat trotz oder wegen seines „Gewaltverzichts“, jedenfalls mit ausschließlich „friedlichen“ Mitteln in der internationalen Konkurrenz errungen hat. Das macht die Umerziehung des Volkes ein wenig schwierig, obwohl die Begründung für die praktisch längst eingeleitete Wende denkbar einfach und im Prinzip für einen guten Staatsbürger auch nachvollziehbar ist: Wie will das gute Volk in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn – und den unfriedlichen Schurken in der Welt – nicht gefällt? Ja eben, das geht nicht, folglich heißt „Selbstverteidigung“ heute Teilnahme an der Sicherstellung einer sicheren Weltordnung, von der das friedliebende Japan umso mehr hat, je kräftiger es diese mitbestimmt. So kann die menschliche Manövriermasse ihrem Staat auch in Japan wieder an beiden Fronten dienen, an der ökonomischen unter der Regie des Kapitals und an der kriegerischen unter der Führung ihrer demokratisierten Politiker.

Die Allianz mit den USA soll als unverzichtbare Basis und produktives Mittel für die Entfaltung eigener nationaler Konkurrenzmacht genutzt werden. Erstens als Lizenz und Rückendeckung für die Aufrüstung und Rückmeldung Japans als militärische Ordnungsmacht, sei es für die Expansion „seines“ geostrategischen, sicherheitspolitisch zu kontrollierenden Umfelds, sei es für die Beteiligung an Gewalteinsätzen in anderen Weltgegenden. Zweitens als Chance, auf dem Wege der Rüstungs- und Militärkooperation mit der fortgeschrittensten Kriegsmacht der Welt die eigenen technologischen Potenzen zu erhöhen. Natürlich ist mit diesen Berechnungen der Grundwiderspruch einer parasitären Sicherheitspolitik – sprich: einer nationalen Machtentfaltung auf Basis strategischer Abhängigkeit –, unter dem die Nation zunehmend leidet, nicht aufgehoben, er bleibt vielmehr ein Bestandteil der neuen sicherheitspolitischen Staatsräson. Denn die Respektierung und Förderung der nationalen Kraftentfaltung durch die USA stehen und fallen ja mit dem Nutzen, den der große Alliierte daraus für sich zieht. Das heißt aber nicht, dass die projektierte Politik einer ‚Emanzipation im Bündnis‘ nicht ginge. Praktisch sieht sie eben so aus, dass Japan versucht, Einfluss zu nehmen auf die kriegspolitischen Entscheidungen der USA, seine Bündnispflichten selbst (mit) zu definieren, seine Beiträge je nach Kriegsschauplatz, eigenen Interessen dort und eigenem Risiko zu kalkulieren und zu dosieren. Ferner so, dass man sich umgekehrt – unter Berufung auf die zahlreichen Leistungen für Amerikas Weltordnung – selber Rechte herausnimmt und wenn nicht aktive Unterstützung, so doch deren Billigung durch die USA einfordert. Und schließlich auf dem Felde der Rüstungskooperation auf die Weise, dass zum Beispiel der drängende Imperativ der USA, Japan solle sich gefälligst als vorgeschobene Basis gegen Nordkorea, China und welche Asiaten auch immer am Aufbau eines Raketenabwehrsystems beteiligen, nur unter Vorbehalt akzeptiert wird: Erstens wird auf einem – möglichst! – „unabhängigen“, also der nationalen Zuständigkeit unterliegenden Programm bestanden und zweitens darauf, dass der Technologietransfer sowie der rüstungskapitalistische Profit bei der Zusammenarbeit nicht nur in eine Richtung fließen.

Klar ist damit jedenfalls zweierlei. Zum einen: Die Berücksichtigung der eigenen Interessen will durchgesetzt sein, sie erfordert also einen beständigen Kampf mit dem ungleichen Alliierten, den Test auf dessen Bereitschaft, der rhetorisch anerkannten „gleichwertigen Partnerschaft“ auch praktisch ein wenig Rechnung zu tragen. Konflikte und Spannungen sind deshalb an der Tagesordnung; gleichzeitig darf der unverzichtbare Sicherheitsgarant nicht durch zu viel Autonomie und Abgrenzung provoziert werden.[23] Zum anderen: Der Wille Japans, seine Rechte und seinen Einfluss im Bündnis zu erweitern, führt abermals auf die Notwendigkeit zurück, die autonomen Machtmittel, sprich sein nationales Militär, seine anderweitigen Bündnisbeziehungen und seinen multilateralen Machtstatus zu stärken.

Selbstverständlich produziert die Allianz mit Amerika einen ständigen Streit auch im Inneren. Der dreht sich, weil nur Patrioten miteinander streiten, immerzu um das national richtige Maß an Pro- bzw. Antiamerikanismus. So votieren die „traditionell pazifistischen“ oppositionellen Stimmen nicht zuletzt deswegen gegen eine „Verwässerung“ des Friedensgebots der Verfassung, gegen die Lockerung des Exportverbots für Militärgüter und gegen ein Missile Defense-System und andere Aufrüstungsmaßnahmen, weil sie befürchten, dass der „wachsende Militarismus“ Japans nicht für das Vaterland, sondern nur für erweiterte amerikanische Forderungen nach militärischem „burden sharing“ und damit für die Verewigung des japanischen Vasallentums gut ist. Die Regierung gibt der Sorge ein Stück weit recht und verspricht, eine Auslieferung der nationalen Interessen an die „Hegemoniebestrebungen“ in Washington sei nicht geplant. Und als Beweis für die Ernsthaftigkeit ihres Nationalismus wollen Koizumi und Co. zwar die historisch überholten verfassungsrechtlichen Verbote für Rüstungsprojekte, Waffenexporte und Kriegseinsätze generell aufheben,[24] aber unter Umständen die berühmte Formel des Artikels 9 – den immerwährenden Verzicht auf Krieg – nicht beseitigen. Mit dieser Schizophrenie ließe sich schließlich die diplomatische Funktion des offiziellen Pazifismus als verfassungsrechtliche Berufungsinstanz für die höfliche Ablehnung von Kriegsaktionen erhalten, die nicht im japanischen Interesse liegen.

Die japanische Regierung sucht im Kampf gegen die Abhängigkeit von der Weltmacht, die sie benutzen will, Verbündete und Positionen zu gewinnen. Vor allem beansprucht sie wie Deutschland einen ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat. Dafür hat sie sich mit den Deutschen sowie den Indern und Brasilianern zu einer Viererbande zusammengetan, um den nötigen Druck und die erforderliche Zustimmung in der UNO zu organisieren. Die Sache ist bekanntlich gescheitert – und seitdem ist die Front der Vier tot und es lebt der Versuch der Japaner, das eigene Ziel mittels der Protektion aus Washington zu erreichen. Denn die Bush-Regierung ist der Meinung, dass Japan sich, im Unterschied zu Deutschland, einen solchen Sitz ehrlich „verdient“ hat: durch seine treuen Dienste im Antiterrorkrieg nämlich. Das Plädoyer des US-Präsidenten klingt wie ein spöttischer Vers auf die nur allzu gut durchschauten ‚Hintergedanken‘ seiner Freunde in Tokio, die sich durch den Aufstieg in den Rang einer UNO-Weltordnungsmacht von Amerika tatsächlich ja ein Stück abnabeln wollen. Und auch der Versuch Japans, Anschluss an die Nato zu gewinnen – was schon wieder einem entsprechenden Antrag der US-Regierung auf eine „Globalisierung“ der Nato entspricht –, um im Rahmen dieses Militärbündnisses und in Abstimmung mit der ebenfalls auf mehr Berücksichtigung drängenden Euro-Fraktion größere weltpolitische Ordnungskompetenz zu erlangen, zeugt wieder von beidem: vom Willen zu imperialistischer Vollwertigkeit ebenso wie von der Erblast einer Weltwirtschaftsmacht, die ihr Gewaltdefizit nicht so einfach los wird.

[1] Japan, als erfolgsverwöhnter Nutznießer der kapitalistisch freien Weltordnung und Mitsieger im Kalten Krieg, soll „geschockt von dessen plötzlichem Ende“ gewesen sein. Ihm verdankt es schließlich nicht nur seinen Aufstieg aus den Ruinen der totalen Niederlage, sondern auch seine Rolle als anerkannter Teilhaber an der politökonomischen Aufsicht über das dienstbar gemachte Staatenmaterial des „Westens“. Die erfolgreiche Einlösung der alten Tagesordnung macht den erreichten Status der Nation unsicher; ihre Repräsentanten sind sich bewusst, dass sie als Wirtschaftsmacht für eine freie strategische Konkurrenz nicht gewappnet ist, die „Chancen“, welche sich nach der Abdankung des falschen Systems bieten, für Japan also eine „große Herausforderung“ bedeuten.

[2] 15 Jahre nach Ende des Kalten Kriegs kommentiert die japanische Regierung anlässlich eines Besuchs des russischen Präsidenten Putin den Stand der Dinge wie folgt: Die Verhandlungen über die Nördlichen Territorien haben eine lange Geschichte … (Doch) die Territorialfrage ist nicht alles in den japanisch-russischen Beziehungen. Die japanische Seite hat sich bereits von dem Prinzip der Untrennbarkeit von Politik und Wirtschaft verabschiedet und verfolgt nun einen mehrstufigen Ansatz zur Förderung von Austausch und Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen. Japan sollte an dieser Grundsatzpolitik festhalten… Wichtig ist es jedoch klarzustellen, dass eine Vertiefung der wirtschaftlichen Kooperation nicht zwangsläufig bedeutet, dass die Territorialfrage aufgeschoben werden muss. (Japanische Botschaft, 22.11.05, „Japan Brief“) Derzeit kann die japanische Regierung den Erfolg verbuchen, dass Russland einer neuen Erdölpipeline – unter nördlicher Umgehung des chinesischen Territoriums – bis zur Perewosnaja-Bucht an der Pazifikküste den Vorzug gegeben hat, und damit dem Ölexport nach Japan, Südkorea und in andere Pazifikländer, während den Chinesen lediglich eine Abzweigung von dieser Hauptröhre in Aussicht gestellt wird – für den Fall, dass die bei Putins Staatsbesuch in Peking im April 2006 in Auftrag gegebene „Machbarkeitsstudie“ zu einem positivem Resultat führt.

[3] Japan hat den Antrag aus Peking, eine Freihandelszone (FTA) mit China zu schaffen, abgelehnt. Das „Kopieren“ von Knowhow und ganzen Produktionsverfahren, die japanische Multis zwecks Profitmaximierung auf den chinesischen Standort exportieren, wird als Verstoß gegen den freien Wettbewerb beklagt, weshalb die Voraussetzungen eines echten Freihandels fehlten. Priorität hätten Free-Trade-Abkommen mit Südkorea und südostasiatischen Staaten. Solange China Hindernisse errichte für „Direktinvestitionen“ und den „Schutz von geistigen Eigentumsrechten“ verweigere, würde ein Freihandelsabkommen für Japan mehr Schaden als Nutzen bringen. (Japan aktuell, 4-2005)

[4] Dass der Gegensatz zwischen den beiden Nachbarstaaten unvermeidlich ist und insofern einen ehrenwerten Kriegsgrund abgibt, leuchtet dem amerikanischen Beobachter der Szene ebenso ein wie dem taiwanesischen Admiral, den er so schön zitiert: Sowohl Japan als auch China sind entschlossen, sich einen machtvollen Zugriff auf die ölreichen Seegründe und auf die strategischen Schifffahrtslinien zu verschaffen, die zwischen ihnen liegen. ‚Es ist wie in den 30er Jahren, als der Zentralpazifik für die USA und Japan zur herausragenden Interessensphäre wurde und Japan den Aktionsradius seiner Marine immer weiter ausdehnte‘, sagte Admiral Lang Ning-li, früherer Taiwanesischer Chef der Seeaufklärung. ‚Das bedeutet, dass es einen Konflikt zwischen China und Japan geben kann, da beide diese Gewässer als lebenswichtig ansehen und diesen Raum nicht teilen können.‘ (Washington Post, Kommentar, 10.9.2005)

[5] Der jüngste Streit zwischen den in der Triallianz mit den USA verbündeten Ländern Japan und Südkorea um ein paar Felseninseln im Japanischen Meer (japanischer Name) / Ostmeer (koreanischer Name) hat die südkoreanische Regierung zur Entsendung von bewaffneten Patrouillenbooten veranlasst und zu der sehr prinzipiellen Anklage, Japan erkenne immer noch nicht die Souveränität Südkoreas an und habe sich noch immer nicht von seiner kolonialistischen Vergangenheit verabschiedet. (SZ, 26.4.2006)

[6] Die zyklische Eskalation der diplomatischen Dauerkrise zwischen den beiden Rivalen anlässlich der von China inkriminierten mangelnden ‚Vergangenheitsbewältigung‘ Japans, das sich für seine kriegerischen Großtaten von einst nicht so recht schämen will, ist der Überbau zu einer laufenden politischen und militärischen Konkurrenz. In der entscheidet sich, wer wie viel Respekt beanspruchen kann und wie viel Bedrohung man sich vom anderen gefallen lassen muss, nicht an der Güte der moralisch-historischen Rechtstitel, auf welche beide Seiten sich berufen. Die Botschaft, die dem nationalmoralischen Schlagabtausch zu entnehmen ist, ist freilich unübersehbar: Die VR China und Japan haben einige Rechnungen gegeneinander offen, welche die höchsten Fragen zwischen benachbarten Staatsgewalten betreffen – unvereinbare Territorial- und Vorherrschaftsansprüche.

[7] An der Erklärung dieser Krise versuchen sich mehrere Artikel dieser Zeitschrift: „Börsenkrach und Währungsturbulenzen in Ostasien“ in GegenStandpunkt 4-97, S.161, „Acht Bemerkungen zur ostasiatischen Krise des Weltkreditsystems“ in GegenStandpunkt 1-98, S.191; „Drei Anmerkungen zur ‚Japan-Krise‘“ in GegenStandpunkt 3-98, S.117; und „Japans politische Krisenökonomie: Die Weltfinanzmacht rettet ihr Geld“, in GegenStandpunkt 3-02, S.123.

[8] Zur Illustration der international schwachen Rolle des Yen: Tokio arbeitete daran, die Vorherrschaft des Dollar über die asiatischen Währungen zu schwächen. Es bezeichnete dieses Vorhaben als ‚Internationalisierung des Yen‘. Darin spiegelte sich der Ärger darüber wider, mit welcher Leichtigkeit die USA vermittels der Geldmärkte die Entwicklung der japanischen Wirtschaft manipulieren konnten. 1998 war der Yen die bei weitem schwächste der großen Handelswährungen. Nur 15,7% der japanischen Exporte in die USA wurden in Yen abgerechnet, im Vergleich dazu wurden 62,9% der deutschen Exporte in die USA in D-Mark fakturiert. Im Weltmaßstab fanden 36 Prozent der japanischen Exporte und 21,8% der Importe auf Yen-Basis statt. Auf den internationalen Finanzmärkten tauchte der Yen 1997 mit vernachlässigenswerten 0,2% der Anleihen auf, im Vergleich dazu der Dollar mit 69,8%, das Britische Pfund mit 15,6%, der Französische Franc mit 5,3% und die D-Mark mit 3,3%. Als offizielle Währungsreserve wurde der Yen 1997 von Zentralbanken nur zu 4,9% gehalten, im Vergleich dazu der Dollar zu 57,1% und die D-Mark zu 12,8%. Alle japanischen Anteile sanken im Verlauf der 90er Jahre. Seinen höchsten Stand als Reservewährung erreichte der Yen 1991, als sich sein Anteil auf 8,1% der Weltwährungsreserve belief. (JPRI Working Paper No. 70, August 2000) Der Anteil der in Yen gehaltenen Währungsreserven ist weiterhin im Fallen.

[9] Der japanische Vorschlag zu einem Asiatischen Währungsfonds datiert auf Juli 1997, als sich die thailändische Krise auf ihrem Höhepunkt befand und der IWF verspätet zu Hilfe gerufen wurde… Japan brachte damals die Pluspunkte, die es für sich als regionale Führungsmacht verbuchen konnte, ein, indem es – hinter den Kulissen – einen AWF vorschlug, der wie der IWF funktionieren sollte, aber auf wirksamere und schnellere Art und ohne die IWF-typischen Anpassungsklauseln … Der Grundstock sollte aus 100 Milliarden $ bestehen, bereitgestellt aus den kombinierten Währungsreserven der größeren asiatischen Nationen. Japan unternahm diesen unerwarteten Schritt hin zur regionalen Führungsmacht aufgrund der Schlussfolgerungen, die es aus der internationalen Antwort auf die Thai-Krise gezogen hatte. Das IWF-‚Paket‘, das Thailand im August, nachdem seine Währungsreserven erschöpft waren und seine Währung zusammengebrochen war, schließlich akzeptierte, beinhaltete eine unterstützende Kreditlinie von 17 Milliarden $, die teilweise vom IWF und teilweise von Staaten der Region, in erster Linie Japan (und Australien), aufgebracht wurden. An diesem ‚Paket‘, wie auch am gesamten Rettungsversuch, waren die USA auffälligerweise nicht beteiligt, und Japan entnahm dieser Abstinenz der USA, dass seine Initiative toleriert werden würde. (The Original AMF Proposal, JPRI Working Paper No. 55, March 1999)

[10] Die ‚New Miyazawa Initiative‘ bot Kredite zu Zinsen unter dem Marktniveau und mit nur wenigen Auflagen an. Japan setzte auch eine Reihe von Rettungsinstrumenten für die asiatischen Volkswirtschaften und für die Tausende japanischer Unternehmen, die sich dort niedergelassen hatten, ins Werk. Für das ‚zweite Stadium‘ der ‚Initiative‘ war ein umfänglicherer Gebrauch des Yen als Reservewährung geplant. Vorgesehen war ein 2 Trillionen (Yen-)Fonds, der Yen-denominierte Anleihen, die von asiatisch-pazifischen Volkswirtschaften ausgegeben wurden, garantieren sollte. (JPRI Working Paper No. 70, August 2000)

[11] A. Ufen: Die ASEAN, Deutsches Übersee-Institut, 2005. Mitglieder der ASEAN sind inzwischen folgende 10 Nationen: Brunei, Kambodscha, Indonesien, Laos, Malaysia, Myanmar, Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam.

[12] Der Ostasien-Gipfel, der zum ersten Mal im Dezember 2005 abgehalten wurde, bot den Führern der teilnehmenden Länder die Gelegenheit, ihre gemeinsamen Absichten zu bekräftigen, Frieden und Glück durch ökonomischen Wohlstand und Demokratie zu erreichen, mit der Perspektive, langfristig eine Ostasiatische Gemeinschaft aufzubauen. Ab jetzt wird Japan daran arbeiten, eine Ostasiatische Gemeinschaft zu schaffen, die offen ist, die universellen Werte wie Freiheit und Demokratie teilt und sich an den globalen Normen orientiert. Für dieses Ziel muss Japan seine strategischen Beziehungen zu den Mitgliedsländern des ASEAN-Paktes und zu den Demokratien Indien, Australien und Neuseeland stärken. (So der japanische Außenminister, 20.1.2006) Und dasselbe als programmatische weltpolitische Erklärung vor den Verteidigungsministern der Nato: Das Vorantreiben des Regionalismus ist zum globalen Trend geworden und dabei macht Asien keine Ausnahme. Japan wünscht, seinen Teil dazu beizutragen bei der Schaffung und Gestaltung einer Ostasiatischen Gemeinschaft. Wie die erfolgreiche Durchführung des Ostasien-Gipfels im Dezember letzten Jahres belegt, ist die Tendenz zu einer engeren regionalen Zusammenarbeit in Ostasien, die wir heute beobachten können, real und unumkehrbar. Wir müssen auf dieser Welle reiten und unsere Region zu einer prosperierenden und stabilen Gemeinschaft führen… Japan betrachtet ASEAN als Schlüsselfaktor der regionalen Zusammenarbeit… Mittels dieser Zusammenarbeit hofft Japan, mit ASEAN, dem Herzstück beim Aufbau der regionalen Gemeinschaft, auf dem ‚Fahrersitz‘, die Führung beim Ostasien-Gipfelprozess übernehmen zu können; wobei sichergestellt werden muss, dass diese Gemeinschaft für andere offen ist und sich in Übereinstimmung mit den schon existierenden regionalen Bündnissen befindet. (Rede des japanischen Verteidigungsministers auf der Münchner Sicherheitskonferenz, 5.2.06)

[13] Wozu es der „ASEAN plus 3“-Club bisher gebracht hat, ist immerhin eine Institutionalisierung der finanzpolitischen Kooperation in die Richtung, die Japan mit seinem AWF-Projekt seinerzeit im Sinne hatte. Es gibt wechselseitige IWF-unabhängige Verpflichtungen zur Stützung der Währungen der Mitglieder, deren Umfang sukzessive erhöht und durch die Einrichtung eines „multilateralen Fonds“ untermauert werden soll – also Schritte hin zur beabsichtigten Kreation eines „stabilen Währungsraums“.

[14] In den neunziger Jahren, der Zeit des „Japan-bashing“ und „-passing“, wird diese Betroffenheit zum großen Ärgernis der Nation: Während die amerikanischen Politiker aller Lager die Japaner wegen ihrer „mangelnden Unterstützung“ der in Japan stationierten und der im Irak kämpfenden GIs sowie wegen ihrer „protektionistischen Wirtschafts- und Finanzpolitik“ geißeln, fliegen der US-Präsident und seine Chefdiplomaten gerne an Japan vorbei, um Peking zu besuchen – ganz ohne höflichen Zwischenstopp beim Verbündeten eben.

[15] ASEAN soll nach dem Willen der USA als Hebel fungieren, um einen integrierten asiatischen Wirtschaftsraum zu schaffen, der für japanische und US-Interessen offen ist und bleibt; andere prowestliche Staaten sollen dabei von Japan als Assistenten eingespannt werden, um die chinesische Position zu dominieren und die proamerikanische Lesart von ‚Ostasiengemeinschaft‘ durchzusetzen: „China hat Kreativität und Fähigkeit zu langfristigem Denken bewiesen in seiner Wirtschaftsdiplomatie und bei der Vorbereitung des Ostasien-Gipfels im Dezember, bei dem die USA ausgeschlossen sind. Auf diesem Gipfel könnten die Grundlagen für eine mögliche ostasiatische Freihandelscharta und für eine ostasiatische Gemeinschaft erarbeitet werden. Das handlungsleitende Prinzip der Regierung der USA ist, dass es jeder Institution in Asien, an der sie selbst nicht beteiligt sind, an Glaubwürdigkeit fehlt und sie letzten Endes sang- und klanglos verschwinden wird. Die USA schätzen den Ostasien-Gipfel so ein, dass viele Teilnehmer, die den Absichten Chinas misstrauisch gegenüberstehen, verhindern werden, dass China die Tagesordnung bestimmt. Darüber hinaus ist es Regierungsauffassung, dass die Freunde Amerikas, insbesondere Japan, Indien und Australien, die amerikanischen Interessen auf diesem Gipfel absichern werden… Auf immer größere Zustimmung trifft in Washington die Idee, dass man die wirtschaftliche Integration zwischen Ländern wie Japan, Südkorea und Australien, die dieselben Werte wie die USA vertreten, vertiefen sollte. Auf diese Art hätten die USA einen Fuß in der ostasiatischen Wirtschaftsintegration und könnten den Weg weisen hin zu einem qualitativ herausragenden Wachstum. Eine solche Wirtschaftszone, an der selbst China beteiligt sein könnte, wenn es einmal so weit ist, würde China mehr in Richtung Transparenz und Berechenbarkeit drängen… Wenn sich Amerika zum Initiator einer wirtschaftlichen Integration macht, würde das ihm und seinen Freunden mehr Einfluss auf die Konditionen verschaffen, unter denen schließlich ein künftiger asiatischer Wirtschaftsblock zustande kommt.“ (Hedging China with FTAs, Asia Times, 1.10.2005)

[16] ‚Nationale Sicherheits-Strategie‘ der USA, März 2006

[17] Die Militärstrategie der USA für Asien definiert als Basis für die bleibende US-Vorherrschaft in der Region die „bilateralen Bündnisse“ und die „forward based-Präsenz von 100.000 Soldaten der USA am Pacific/Asian Rim“ – wovon 47.000 auf aktuell 89 Stützpunkten in Japan stationiert sind. (Vgl. den „Nye-Report“ über die Rolle Japans für die USA, anno 2000)

[18] In dem alle vier Jahre erscheinenden Weißbuch (Quadrennial Defense Review), welches die Verteidigungsstrategie und die grundsätzliche Ausrichtung des militärischen Aufbaus für die nächsten 20 Jahre festlegt, fordert das Pentagon eine ‚größere‘ Militärpräsenz im Pazifischen Ozean und verspricht, die militärische Integration mit den Verbündeten voranzutreiben, um aufstrebende und große Mächte abzuschrecken und um jeden gegnerischen Versuch, Amerika und seine Verbündeten auseinander zubringen, zu erschweren. (Japan Times, 9.3.2006)

[19] Entsprechend generös beglückwünscht der ehemalige amerikanische Außenminister die Japaner zu ihren großartigen Hilfsdiensten: Was Japan mit der Entsendung seiner humanitären Kräfte im Rahmen seiner Self-Defence Forces geleistet hat, ist Ausdruck seiner ‚wachsenden Rolle‘, sagte Außenminister Powell. Er wies auf die Treibstoffversorgung der Antiterrorismus-Kräfte im Indischen Ozean durch Japan hin, auf seine Mitarbeit bei der ‚Proliferation Security Initiative (PSI)‘ und auf seine Rolle als Gastgeber von Konferenzen, auf denen die Finanzhilfe für den Irak und Afghanistan aufgetrieben wurde… All das zeigt Japans wachsende Rolle in der Welt. (Powell, 24.10.2004)

[20] Im Programm Japans ist nicht nur die Absicht eingeschlossen, das chinesische Wiedervereinigungsprojekt zu vereiteln, sondern auch der Wille zur Entwaffnung Nordkoreas. Für die herrschenden wie gehorchenden japanischen Nationalisten ist nämlich die Vorstellung ein Albtraum, dass es zu einer koreanischen ‚Wiedervereinigung‘ kommt, in der südkoreanischer Kapitalreichtum und nordkoreanische Atombomben nebst -raketen zusammenwachsen.

[21] Die gewaltsame Garantie der eigenen vitalen Interessen kann und will man nicht der amerikanischen Supermacht überlassen, da diese selber ein wachsendes Sicherheitsrisiko für die Nation darstellt: „Der japanische Premierminister Yoshiro Mori nutzte seine Neujahrsansprache, um eine größere Betonung des unabhängigen Militärpotenzials Japans anzukündigen. Er beschrieb Ostasien als Region, in der noch keine Sicherheit bestehe, und erklärte, Japan müsse sowohl einen Dialog mit den ostasiatischen Nationen führen, als auch mit dem Schlimmsten rechnen. Angesichts der bevorstehenden Amtsübernahme von George W. Bush als Präsident der Vereinigten Staaten spiegeln Moris Aussagen eine breitere außenpolitische Diskussion in Japan wider. Im japanischen politischen Establishment hat sich der Konsens gefestigt, dass eine republikanische Bush-Regierung Konflikte in Ostasien, insbesondere mit China, provozieren werde.“ (Presseschau der Japanischen Botschaft, Januar 2001)

[22] Mit seinem jährlichen Rüstungsbudget von 45 Milliarden Dollar rangiert Japan auf der offiziellen Weltrangliste inzwischen gemeinsam mit Frankreich auf Platz zwei hinter den USA, auf der inoffiziellen des „Westens“, der China versteckte Militärausgaben vorhält, auf Platz drei.

[23] Den brisantesten Konfliktstoff bildet nicht zufällig gerade das ‚Thema‘, welches zugleich die neue Hauptklammer im Bündnis darstellt: der Umgang mit der VR China. Beide eint das Interesse am präventiven Containment des aufkommenden Rivalen, sie wollen seine militärische, territoriale und bündnispolitische Expansion abblocken. Nichtsdestotrotz fürchtet Japan, als abhängige Variable einer sich verschärfenden US-(Anti-)Chinapolitik unter die Räder zu kommen, während die Amerikaner zu verhindern suchen, dass Japan – unter der Prämisse amerikanischer Rückendeckung – eigenmächtig kriegsträchtige Konflikte mit der Volksrepublik forciert, darüber die immer noch favorisierte Doppelstrategie gegenüber China zunichte machen und ein militärisches Eingreifen der USA erzwingen könnte. Die größte Herausforderung für Japan, denke ich, wird sein, wie es seine Beziehungen mit China regelt. Japan ist eine Supermacht. China ist auf dem Weg, eine solche zu werden. Beide sind reich, beide haben eine Geschichte und eine Tradition in der Region, und sie können sich nicht besonders gut leiden, glaube ich. Aber von dem, wie sie das hinbekommen, wird weitgehend abhängen, wie die Stabilität in dieser Region in den kommenden Jahren aussehen wird. Ich kann keine Ratschläge erteilen, wie sie das angehen sollen, aber ich hoffe, unsere japanischen Freunde sind sich der Tatsache bewusst, dass es sich dabei um eine besondere Herausforderung, aber auch um eine besondere Gelegenheit handelt. (Baker, US-Botschafter, bei seinem Abschied aus Japan, 16.2.2005) So gibt es die schöne Konstellation, dass sich die beiden Verbündeten, weil jeder von ihnen den Umgang mit der VR China kontrollieren und die Gründe für eine Eskalation der Feindseligkeit bestimmen will, wechselseitig vor Abenteurertum warnen und zu bremsen suchen.

[24] Die Gesetzeslage ist ohnehin seit Beginn der Epoche des „Antiterrorkriegs“ im Jahre 2001 sukzessive an die politischen Bedürfnisse der Nation angepasst worden, wie es sich in einem Rechtsstaat gehört. Noch 2001 wird ein Sondergesetz erlassen, welches den Einsatz der Selbstverteidigungsstreitkräfte auch bei Missionen erlaubt, die nicht von der UNO angeordnet sind – zum Beispiel im Indischen Ozean, wo japanische Kriegsschiffe den amerikanischen Angriff auf Afghanistan unterstützen. 2003 genehmigt ein Sondergesetz die Entsendung von Soldaten in den Irak. 2004 wird das Gesetz, welches grundsätzlich den Export von Rüstungsgütern verbietet, gelockert, um Kooperation und Handel mit Missile Defense-Produkten zu ermöglichen. 2005 wird von der Regierung ein Gesetz ins Parlament gebracht, welches die Umwandlung der „Selbstverteidigungsstreitkräfte“ in eine „reguläre Armee“ vorsieht.