Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Die Islamkonferenz:
Mit Allah für Deutschland

Am 27.9.06 beginnt die erste „Deutsche Islamkonferenz“. Gastgeber ist der Bundesinnenminister. Er möchte auf alle muslimischen Organisationen als „Teil der Gesellschaft zugehen“ und erhält dafür von der Öffentlichkeit schon vorab Lob.

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Die Islamkonferenz:
Mit Allah für Deutschland

Am 27.9.06 beginnt die erste „Deutsche Islamkonferenz“. Gastgeber ist der Bundesinnenminister. Er möchte auf alle muslimischen Organisationen als „Teil der Gesellschaft zugehen“ und erhält dafür von der Öffentlichkeit schon vorab den Ehrentitel Wolfgang der Weise … Ausgerechnet dem konservativen Innenminister ist geglückt, was Rot-Grün in sieben Jahren nicht über sich bringen konnte – die beherzte öffentliche Anerkennung der zweitstärksten Religion hierzulande. Der Islam ist jetzt für alle erkennbar kein Gastarbeiterglaube mehr, der mit seinen Trägern auch wieder verschwinden wird. (Die Zeit, 5.10.) Es hat sich also nicht etwa am Charakter dieser Religion irgend etwas geändert, sondern die öffentliche Gewalt ändert ihre Stellung zu den Jüngern Mohammeds, die mittlerweile unser Gemeinwesen so dauerhaft wie zahlreich bevölkern. Sie sollen hinkünftig nicht mehr von vornherein als mindestens lästige Exoten, wenn nicht gleich als der nicht nur klammheimlichen Sympathie mit dem Terror Verdächtige behandelt werden, sondern sich als deutsche Muslime fühlen können. (Schäuble, FAZ, 27.10.) Damit sie sich in diesem Land heimisch fühlen, haben allerdings zuerst sie eine Leistung zu erbringen, und zwar die, da kennt der christliche Innenminister sich aus, welche ihre christlichen Brüder und Schwestern schon vor geraumer Zeit erbracht haben, nämlich, diesen Staat in seiner Weltlichkeit nicht länger als etwas Fremdes, ihrem Glauben Feindliches erkennen, sondern als die Chance der Freiheit, die zu erhalten und zu realisieren auch ihre Aufgabe ist. Dieser Satz gilt analog für die Muslime in Deutschland. Nehmen sie ihn ernst, werden sie deutsche Muslime. (ebd.) Die Gleichstellung mit dem Christentum gibt es also nicht zum Nulltarif. So weit ist es mit der Parallele zwischen Wolfgang und Lessings Nathan, dem Weisen, der literarischen Symbolfigur für Toleranz, eben doch nicht her. Wollen die Anhänger Allahs in deren Genuss kommen, müssen sie erst einmal einen pauschalen Verdacht ausräumen, den ihnen Schäuble wie einen Tatsachenbefund präsentiert: Sie wollten alles immer nur Gott und nichts dem Kaiser geben. Davon haben sie Abstand zu nehmen, dann dürfen und sollen sie an der Verwirklichung des höchsten Wertes unseres Gemeinwesens mitwirken. Der Innenminister bleibt hier dankenswerterweise nicht im Abstrakten, sondern erläutert ziemlich konkret, wie man sich das mit der Freiheit vorzustellen hat:

1. Toleranz wird nur dann gewährt, wenn sie Deutschland nützt

verdeutlicht Schäuble unter Verweis auf Friedrich den Großen:

„‚Alle Religionen sind gleich gut, wenn nur die Leute, die sich zu ihnen bekennen, ehrliche Leute sind; und wenn die Türken (und Heiden) kämen und wollten das Land bevölkern, dann wollen wir ihnen Moscheen (und Kirchen) bauen.‘ Der Große Kurfürst wie auch Friedrich der Große wussten als Realpolitiker sehr genau, was sie wem warum gewährten. Preußen billigte all jenen aus politischen und nicht etwa religiösen Gründen Toleranz zu, die bereit waren, sich aktiv und produktiv am Aufbau des Landes zu beteiligen und dessen Gesetze zu akzeptieren.“ (ebd.)

Freiheit, und daran hat sich nach Auffassung des Innenministers, der ja für die maßgebliche Interpretation dieses Gutes zuständig ist, anscheinend seit dem aufgeklärten Absolutismus nichts geändert, wird nicht etwa gewährt, damit die Untertanen tun und lassen können, was sie wollen. Der Staat verpflichtet sich vielmehr aus pragmatischen, politischen Gründen auf diesen Wert, damit seine Bürger dem Land, d.h. ihm nutzen. Er toleriert ihre Religion, wenn bzw. weil deren Anhänger ehrliche Leute sind, also Untertanen, wie sie sich eine Obrigkeit nur wünschen kann. Sie akzeptieren nicht nur gewissermaßen passiv seine Autorität, sondern bringen ihn voran. Mit dem Alten Fritz ist sich der Innenminister also nicht nur in der instrumentellen Handhabung von „Freiheit“ im Allgemeinen einig, die ausschließlich nach Maßgabe ihres Nutzens für den Fortschritt der Nation gewährt wird, sondern auch hinsichtlich des instrumentellen Umgangs mit den religiösen Überzeugungen der Bürger im Besonderen. So er sich als nützlich erweist, ist jeder religiöse Fimmel gleich gut und damit gleich gültig. Quasi als Belohnung für ihre produktive Untertanengesinnung bekommen die jeweiligen Anhänger dann staatlicherseits die einschlägigen Kultstätten spendiert. Diese „Anerkennung“ blieb dem Islam in Deutschland bisher versagt. Und das will Schäuble ändern. Er hat sich also dazu entschlossen, den Islam als eine Religion zu behandeln, die wie andere auch ihren Beitrag zu der selbstbewussten Knechtsgesinnung leistet, welche die Herrschaft an ihren Leuten schätzt: Die beständige, freiwillige, ihnen zur zweiten Natur gewordene Relativierung aller eigenen Ansprüche und Interessen an „höheren“ Notwendigkeiten. Und nachdem der Innenminister sich entschieden hat, den Muslimen eben diesen positiven Beitrag zum Sinnstiftungsangebot der Nation zu attestieren und in entsprechende Verhandlungen mit ihnen einzutreten, entdeckt er an ihrer Religiosität einen ganz besonderen Charme, was ihn zu folgendem Kompliment veranlasst:

2. Der Islam verkörpert die Tugenden, die Deutschland braucht

„Der Islam hat bei allen Kontroversen etwa über die Rolle der Frau oder das Verhältnis von Religion und Rechtsstaat, einiges beizutragen, was vielen Deutschen zu entgleiten droht: etwa die Betonung der Wichtigkeit von Familie, den Respekt vor den Alten, ein Bewußtsein und Stolz mit Blick auf die eigene Geschichte, Kultur, Religion, Tradition, das tägliche Leben der eigenen Glaubensüberzeugung. Muslime können gerade an dieser Stelle sehr viel beitragen in dieser Gesellschaft.“ (ebd.)

So kommt für den „innenpolitischen Hardliner“ und „Law and Order“-Verfechter die berüchtigte „Parallelgesellschaft“ zu unerwarteten Ehren: Gerade deren Angehörige könnten ihre deutschen Mitbürger durchaus Mores lehren. Wenn sie nämlich ihren Glauben im Verhältnis zum „Rechtsstaat“ relativieren, wie der es für angebracht hält, dürfen, ja sollen sie umgekehrt ihre einschlägigen religiösen Sitten und Gebräuche in der Gesellschaft uneingeschränkt (aus)leben. Und zwar weil sie so das beispielhaft vorleben, worin für einen Konservativen schon immer das Weiß-Warum von Gesellschaft besteht. Statt als „verantwortungslose Ichlinge in einer individualisierten Singlegesellschaft verzweifelt nach Selbstverwirklichung zu streben“ (Schäuble, Seehofer et al.) sollen die Individuen ihre Identität in der Hingabe an Kollektive bzw. Werte finden, die jenseits ihrer Interessen liegen. Welche das im Einzelnen sind, darauf kommt es gar nicht weiter an. Kultur, Tradition etc. werden lediglich zitiert als sinnstiftende Bezugspunkte unter anderen, die nur in Hinblick auf ihre Funktion interessieren, nämlich die Einbettung der Individuen in das große Ganze zu gewährleisten. Dergestalt als mit Wille und Bewusstsein ausgestattete Herdentiere richten sich die Menschen nach lauter vorgegebenen Zwecken und den damit einhergehenden Verhaltensrichtlinien, die sie für das ihnen einzig Gemäße erachten. Die staatlich geltend gemachten Ansprüche, für welche diese Geisteshaltung funktional ist, brauchen dabei gar nicht thematisiert zu werden, auch wenn man Schäuble mit der Unterstellung sicher nicht unrecht tut, dass er als pragmatischer, berechnender Innenminister beim Wert „Familie“ immerzu an „die drohende demografische Lücke“, also an mehr in Deutschland geborenes Menschenmaterial im Allgemeinen und die Sanierung der Renten- und Pflegeversicherung im Besonderen denkt. Auf alle Fälle zeichnen sich Staatsbürger, wie unser Innenminister sie haben will, durch ihr praktisches Bekenntnis zu lauter Befangenheiten aus. Gelebte Religion mit all ihren reaktionären Ge- und Verboten, deren Anhänger diese aus tiefster eigener Überzeugung befolgen und damit gleichzeitig Deutschland einen Dienst erweisen, also aus freien Stücken nichts als Unfreiheit praktizieren, das ist so ungefähr das Ideal von Freiheit unseres freiheitlichen Innenministers.

3. Freiheit ist gleich Pflicht

Aber bevor die Muslime diese von ihm gewünschte Funktion als moralische Leuchttürme in einem Meer von Ichbezogenheit wahrnehmen können, haben sie ihrerseits noch einiges in Ordnung zu bringen. Auch in organisatorischer Hinsicht gilt es, sich an den Christen ein Beispiel zu nehmen:

„Vielleicht können wir Impulse geben, dass sich die Muslime so organisieren, dass wir repräsentative Gesprächspartner haben. Die Muslime wollen vom Staat gleichberechtigt behandelt werden, so wie die christlichen Kirchen. Dann müssen sie aber auch die organisatorischen Voraussetzungen schaffen.“ (Schäuble, SZ, 26.9.)

Damit ist beileibe nicht nur an einen bloß formalen Rahmen gedacht. Indem die anvisierte einschlägige Dachorganisation aller Muslime diese im Verhältnis zum Staat repräsentiert, wird sie von diesem mit dem Status eines Ansprechpartners beehrt, der gewissermaßen auf Augenhöhe mit der obersten Gewalt verkehrt. Der Preis dieser Anerkennung ist umgekehrt die Pflicht, sich für die Durchsetzung all dessen unter den Imamen, Mullahs und Muezzins sowie der Schar der Gläubigen in Anspruch nehmen zu lassen, was der Staat jeweils von seinen deutschen Muslimen verlangt. Der Innenminister versteht sich eben auf die Dialektik von Recht(en) und Pflicht(en). Letztere erwachsen nämlich den Muslimen nicht nur schlicht daraus, dass sie nun einmal hier und damit sowieso den hiesigen Gesetzen unterworfen sind, sondern vor allem daraus, dass „wir“ sie freundlicherweise als Teil von „uns“ betrachten, also gewissermaßen eingemeindet haben. Dieses großzügige Entgegenkommen müssen sie selbstverständlich praktisch rechtfertigen: Der Islam ist inzwischen Teil Deutschlands und Europas; also muss er auch die Grundregeln und Normen und Werte, die Europa konstituieren, akzeptieren. (ebd.) Um das sicherzustellen, sollen Islamunterricht an staatlichen Schulen angeboten, Imame in Deutschland ausgebildet und in den Moscheen deutsch gepredigt werden. (ebd.) Seinen Zugriff sowohl auf die Lernenden wie auf die Lehrenden in Sachen Islam sieht der deutsche Staat in Gestalt des Innenministers als wesentliche Garantie dafür, dass es demnächst nur noch aufgeklärte Muslime in unserem aufgeklärten Land gibt. Deshalb hat er vor Beginn der Konferenz angekündigt, dass er auf jeden Fall entsprechend gesetzgeberisch tätig wird, auch wenn es zu keiner Einigung mit den islamischen Verbänden kommt.

Eine schöne Klarstellung bezüglich des Wertes, dem wir doch angeblich fast alles Gute, Wahre und Schöne zu verdanken haben. Wer bei „Aufklärung“ als „Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit“, wie es einst hieß, noch daran gedacht haben mag, es gehe dabei um so etwas wie ein freies Urteil über Staat und Religion oder vielleicht sogar deren Kritik, der wird jetzt eines Besseren belehrt: Aufklärung anno 2006 besteht darin, dass die Religion nun also auch in Gestalt des Islam verstaatlicht wird. Wer sich nämlich einen allmächtigen Allah einbildet, dem er unbedingten Gehorsam schuldet, der hat für alle Befehle und Anliegen der wirklich mächtigen Instanzen einerseits ein offenes Ohr. Er muss nur andererseits noch lernen, dass diese im Zweifelsfall sowohl was die praktische Regelung der irdischen Angelegenheiten wie auch deren rechtliche und moralisch-verbindliche Begründung betrifft, immer das letzte Wort haben. Wenn er sich zu dieser Toleranz durchringt, dann winkt ihm nicht nur die Duldung durch die Staatsgewalt, sondern die aktive Förderung. Denn was im Einzelnen geglaubt wird, ist für sie unerheblich, entscheidend ist die damit einhergehende Haltung: Die freiwillige Unterwerfung unter ein göttliches Sittengesetz, auf dessen Befolgung das ganze Sinnen und Trachten eines Gläubigen ausgerichtet ist. Diesen selbstbewussten Gehorsam will die real existierende Herrschaft für sich funktionalisieren. Er soll die entsprechende produktive Knechtsgesinnung garantieren, welche sie an ihren Bürgern so schätzt und um die schon der Alte Fritz wusste. Die Gläubigen sollen also ihr Christen- wie Judentum und im aktuellen Fall ihren Islam durchaus ernst nehmen. Aber eben nicht so, dass sie die jeweiligen religiösen Maximen als Maßstab, der praktische Gültigkeit beansprucht, an die Politik ihres Staates bzw. die einschlägigen Regelungen des gesellschaftlichen Treibens anlegen, sondern dass sie diesen gegenüber genau die Unterwürfigkeit an den Tag legen, welche ihre Religion im Verhältnis zur himmlischen Autorität gebietet. So bringt dann auch ein Allah Deutschland voran.