Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Der „Frankfurter Appell“:
IG Metall feiert einen Sieg im Kampf um den Zeitgeist

In der Wirtschaftskrise wirken die Gesetze des Kapitalismus unerbittlicher denn je und finden praktisch eine alternativlose Anerkennung wie selten. Die Abhängigkeit vom Funktionieren des Ladens, der gerade nicht funktioniert, stößt alle gesellschaftlichen Positionen auf den Vorrang des Profits als die maßgebliche Bedingung aller eigenen Interessen; so auch die deutsche Metallgewerkschaft. Ihr ist völlig klar, dass Arbeitsplätze sich wieder rentieren müssen, wenn es für ihre Mitglieder irgendwie weitergehen soll. Daher stimmt sie der Senkung des Urlaubs- und Weihnachtsgelds zu, erlaubt den Betrieben, die Arbeitszeit ohne Lohnausgleich zu kürzen und die 2. Stufe der diesjährigen Tariferhöhung zu verschieben, natürlich „nur im Einzelfall“ und um „Schlimmeres zu verhüten“.

Aus der Zeitschrift

Der Frankfurter Appell:
IG Metall feiert einen Sieg im Kampf um den Zeitgeist

In der Wirtschaftskrise wirken die Gesetze des Kapitalismus unerbittlicher denn je und finden praktisch eine alternativlose Anerkennung wie selten. Die Abhängigkeit vom Funktionieren des Ladens, der gerade nicht funktioniert, stößt alle gesellschaftlichen Positionen auf den Vorrang des Profits als die maßgebliche Bedingung aller eigenen Interessen; so auch die deutsche Metallgewerkschaft. Ihr ist völlig klar, dass Arbeitsplätze sich wieder rentieren müssen, wenn es für ihre Mitglieder irgendwie weitergehen soll. Daher stimmt sie der Senkung des Urlaubs- und Weihnachtsgelds zu, erlaubt den Betrieben, die Arbeitszeit ohne Lohnausgleich zu kürzen und die 2. Stufe der diesjährigen Tariferhöhung zu verschieben, natürlich „nur im Einzelfall“ und um „Schlimmeres zu verhüten“. Wenn Entlassungen dann doch fällig werden, kämpft sie gegen „betriebsbedingte“ und für „sozialverträgliche“ und, wo auch das nicht geht, um einen „Sozialplan“, ohne den es für die Arbeitnehmer ja „noch schlimmer“ gekommen wäre. Schlechte Zeiten für Lohnabhängige und ihre Gewerkschaften, möchte man meinen. Die IG-Metall aber bringt es fertig, der Krise gute Seiten abzugewinnen. Diese bestehen darin, sich mit einem eigenen „Appell“ – veröffentlicht in überregionalen Zeitungen im Großformat – in die Debatte einklinken zu können, welche Lehren aus der Krise des Kapitals zu ziehen seien:

„Die Weltwirtschaft steckt in einer einmaligen Krise. Für die IG Metall steht deshalb fest: Die grenzenlose Profitgier als vermeintliche Antriebsfeder des menschlichen Fortschritts darf nicht weiter die Wirtschaft bestimmen. Diese Ideologie ist gescheitert. Wir brauchen eine neue Idee für das Zusammenwirken von Politik und Ökonomie und mithin für das Zusammenleben der Menschen.“

Auf dem Kampfplatz der „Ideen“ geht es um nicht weniger als den „menschlichen Fortschritt“. Dass der durch „grenzenlose Profitgier“ vorangebracht wird, hat die IG-Metall nie geglaubt, aber man hat ihr ja nicht abnehmen wollen, dass die übertriebene Ausbeutung ihrer Mitglieder ein verkehrtes Fortschrittsrezept, und, weil sie sich auf Dauer auch für Staat und Wirtschaft nicht auszahlt, eine Ideologie ist. Jetzt deutet sie triumphierend auf die Krise, fordert ihren Sieg über den unsozialen „neoliberalen Zeitgeist“ ein und nutzt die Gelegenheit, den Vorwurf, sie sei ein Verein von Ewiggestrigen, an die Gegenseite zurückzugeben. Nicht sie, sondern die tonangebenden Politiker, Unternehmer und Journalisten waren bis gestern von gestern und sind Werten hinterher gelaufen, die jetzt „gescheitert“ sind. Die Verantwortlichen sollen gefälligst laut und deutlich ihr Versagen einräumen. Sie sollen zugeben, dass ihre Orientierung an falschen, antigewerkschaftlichen Rezepten die jetzige Lage verschuldet hat. Und sie sollen sich als reumütige Träger der politischen und ökonomischen Macht von der IG-Metall in die Pflicht nehmen und wieder in die wahre Verantwortung zurückrufen lassen, die sie vergessen haben. Also drängt sich die Gewerkschaft den Verantwortlichen im Land als Gastgeber eines Runden Tisches auf, an dem gemeinsam nach „neuen Ideen“ für „das Zusammenleben der Menschen“ gesucht wird.

So ganz taufrisch sind die dann allerdings nicht. „Verantwortung übernehmen“ für die neue Welt sollen ja die Machthaber aus der alten, und so sind sie aufgerufen, all ihre bisherigen Aufgaben zu verrichten, aber gefälligst ordentlich. Die IG-Metall appelliert:

  • An die Abgeordneten des Deutschen Bundestags: Richten Sie einen Untersuchungsausschuss ‚Finanzmarktkrise‘ ein, um Ursachen, Verantwortlichkeiten und Folgen der Krise zu untersuchen, zu dokumentieren und politische Schlussfolgerungen zu ziehen. Im Namen des Gerechtigkeitssinns des Volkes sollen seine Vertreter bitteschön zugeben, in Sachen Aufsicht & Kontrolle im Finanzwesen schlampig gewesen zu sein, und Besserung geloben.

    An die Vorstände der Banken: Entschuldigen Sie sich öffentlich bei den Menschen für ihr Handeln ... und stellen Sie die Finanzierung der Unternehmen sicher. Im Namen gesunder Geschäfte mit Zins und Kredit sollen die Chefs der Banken einsehen, dass ihr Beruf im Rang einer sozialen Pflicht steht, deren Wahrnehmung sie dem Volk schulden. Bankiers, die die Größe besitzen, diesbezüglich Verfehlungen einzugestehen, sind ein Segen fürs Land.

    An die Vorstände der Unternehmen: Ziehen Sie Lehren aus der gefährlichen ‚Shareholder-Orientierung‘ und richten Sie Ihre Unternehmensstrategien auf langfristige Ziele ... aus. Im Namen eines erfolgreichen kapitalistischen Ausbeutungswesens gehören Industrielle daran erinnert, wie man einen Betrieb führt: Langfristiger Profit ist besser als kurzfristige Pleiten – insbesondere, wenn dabei auf soziale und ökologische Kriterien und auf die Sicherung von Arbeitsplätzen geachtet wird.

    Nachdem an die Träger der Macht in Wirtschaft und Politik der Appell ergangen ist, endlich gut zu führen und ihr Kommando durch Erfolge zu rechtfertigen, wendet sich die IG-Metall an die Hauptschuldigen der Misere, die Produzenten des Zeitgeists:

  • An die Arbeitgeberverbände: Beenden Sie endlich die Manipulationsfabrik ‚Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft‘ mit der sie die gescheiterten Konzepte des Neoliberalismus verbreitet haben. Immerhin, gegen Zeitungskampagnen der Unternehmer kämpft die Gewerkschaft mit ihren eigenen bis zum Sieg.
    „An die Journalisten und Publizisten: Arbeiten Sie ihren Teil der Verantwortung für die Entwicklung der letzten Jahre auf. Übernehmen Sie Verantwortung und berichten Sie kritisch über die Interessen der öffentlichen Akteure.“ Die Presse hat die ehrenvolle Aufgabe, die Interessen der Mächtigen zu entlarven, damit sie die Gewerkschaft nicht uneingeschränkt als Sachzwänge gelten lassen muss.
    „An die Wissenschaftler: Entwickeln Sie einen Transparenzkodex, um die öffentliche und private Finanzierung der Forschung offen zu legen und die wissenschaftliche Unabhängigkeit sicher zu stellen.“

    Für die Freiheit der Wissenschaft genügt es schon, wenn die Experten sagen, von wem sie bezahlt werden: Dann können nicht mehr nur die Expertisen der IG-Metall als bloße Parteimeinung weggeschoben werden.

Wenn die Elite auf allen Ebenen ihre Führungspflichten erfüllt und der soziale Ton im Land wieder stimmt, ist es für die Gewerkschaftsbasis nur noch halb so schwer, die Krise auszubaden.