Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Die Hauser-Affäre
Klartext vom Regierungssprecher – und wo die Heuchelei anfangen muss

Der neue Regierungssprecher setzt öffentlich die alte SED mit der NSDAP gleich, um gezielt die PDS und deren ostdeutsche Wählerbasis zu denunzieren – und wird zur Ordnung gerufen. Am „Konsens der Demokraten“, dass die PDS ein Fremdkörper in der bundesdeutschen Parteienlandschaft ist und ausgegrenzt gehört, wird damit nichts zurück genommen. Und auch nicht der unmissverständliche Anwurf an die Zonis, gefälligst die Überreste des alten Staatsbürgerwesens ad Acta zu legen, und sich den bundesdeutschen Wahlgepflogenheiten zu unterwerfen. Was hat der Regierungssprecher dann falsch gemacht?

Aus der Zeitschrift

Die Hauser-Affäre
Klartext vom Regierungssprecher – und wo die Heuchelei anfangen muß

Am Ende will er es so gar nicht gemeint haben, sich in Zukunft unmißverständlicher ausdrücken und „an die Regeln halten“. Dabei war wirklich kein Mißverständnis möglich: Natürlich hat der neue Regierungssprecher Hauser die alte SED polit-moralisch mit der NSDAP gleichgesetzt, um die PDS als Nachfolgeorganisation des Undemokratisch-Verwerflichen schlechthin zu denunzieren; natürlich hat er den PDS-Wählern im Osten nicht einen Stimmungsbericht über westdeutsches Stammtischgerede, sondern die Warnung zukommen lassen, man könnte mit ihnen finanzpolitisch durchaus noch viel unfreundlicher verfahren, wenn sie sich weiterhin der bruchlosen Unterordnung unter den BRD-üblichen Parteienproporz versagen. Die Regeln des politischen Umgangstons an der Spitze der bundesdeutschen Demokratie hat er damit auch nicht verletzt: Er hat ausgedrückt, was die „politische Klasse“ in Bonn im allgemeinen und der amtierende Regierungsklüngel im besonderen meint – der Regierungschef höchstselbst hat ihm das ausdrücklich bestätigt –, was also mehr oder weniger nationaler „Konsens der Demokraten“ ist. Doch ausgerechnet als Regierungssprecher soll er das nicht dürfen, jedenfalls nicht so direkt. Wieso eigentlich nicht?

1. Die PDS stört. Sie ist ein Fremdkörper in der politischen Kultur unserer unverkrampft weltoffenen, pluralistischen Republik. Denn sie steht erstens für Protest; gegen lauter Dinge, an die sich gute Bundesbürger längst so fest gewöhnt haben, daß sie sie für alternativlos selbstverständlich halten – von den Niederlagen im privaten Konkurrenzkampf um knappe Arbeitsplätze angefangen bis hin zum Monopol der etablierten Parteien auf die politische Willensbildung im Volk; damit steht sie schon mal grundsätzlich im Abseits. Dabei ist die PDS mit ihrem Protest zweitens noch nicht einmal – wie die Oppositionellen aus der rechten Ecke – ein genuines Produkt bundesdeutscher Politkultur, nämlich als radikale Vereinseitigung geläufiger und allgemein anerkannter Programmpunkte des offiziellen BRD-Nationalismus aus diesem hervorgewachsen. Sie ist von außen, als Überrest eines anderen Politikwesens hinzugekommen, also schlimmer als abseitig, nämlich fremd. Und was das Allerschlimmste ist: Die PDS verkörpert, über dessen unseliges Ende hinaus, den Feind, gegen den die BRD sich über 4 Jahrzehnte hinweg aufgebaut hat. Egal, wofür sie heute einsteht: Sie entstammt der nationalen wie gesellschaftlichen Alternative zum bundesdeutschen Kapitalismus, repräsentiert also diese doppelte Abweichung vom nationalen Heilsweg und verdient deswegen nur eine politische Antwort: Strikte Ausgrenzung aus dem Spektrum des politisch Zulässigen. Daß die PDS zutiefst unzulässig ist, steht folglich fest, noch bevor sie sich politisch rührt und unabhängig davon, wofür sie sich einsetzt, wie sie das tut und mit welchen guten oder schlechten Gründen. Von einer sachlichen Beurteilung der Partei hängt ihre moralische Verurteilung als ein einziger politischer Sittenverstoß gar nicht ab. Es ist umgekehrt: Das Bild, das sich die „geistig geführte“ demokratische Öffentlichkeit von der PDS macht, dient der Rechtfertigung ihrer Ausgrenzung. Die Meinungsbildner der Nation benutzen dabei nach Belieben Versatzstücke des altgewohnten antisowjetischen Feindbildes. Und sie gefallen sich ganz besonders in der infamen Dummheit der „Totalitarismustheorie“, die es gestattet, ausgerechnet den letzten Sympathisanten eines Sozialismus, der sein moralisches Ethos aus seiner Anfeindung durch die Nazis und seinem Widerstand gegen deren Terror bezogen hat, wegen ungefähr gleich großer Abweichung von der demokratischen Norm Gleichheit mit ihrem Hauptfeind nachzusagen.

Nichts anderes hat Sprecher Hauser gemeint und ausgedrückt, als er gegen jede denkbare Einbeziehung der PDS ins demokratische Herrschaftsgeschäft der Nation mit dem Vergleich polemisiert hat, das wäre ja, als hätten die Nazis nach dem Krieg unter anderem Namen weiterregiert. Zwar hat sich der junge Mann mit diesem Vergleich insofern ein wenig aufs Glatteis begeben, als jede Volkszählung in den Bonner Bundestagen der 50er und 60er Jahre tatsächlich noch allemal eine satte Mehrheit alter NSDAP-Genossen ergeben hat, die gleich unter verschiedenen neuen Firmenschildern, nicht zuletzt dem der Hauser-Partei CDU, der Bundesrepublik ihre politische Gestalt verpaßt haben; mancher ältere Leserbriefschreiber erinnert sich sogar heute noch daran. Aber deswegen ist Sprecher Hauser nicht zur Ordnung gerufen worden. Erst recht hat ihn niemand dazu aufgefordert, seinen ungemein originellen Vergleich einmal sachlich durchzuführen und eine Identität von DDR-Einheitssozialisten und Nazis nachzuweisen, die mehr Inhalt hätte als die ahnungslose Abneigung heutiger Demokraten gegen jegliches politisch abweichende Verhalten – oder lieber ganz den Mund zu halten. Die stichhaltigen Einwände, die die Regierung und ihr Sprachrohr zu einem gewissen Einlenken bewogen haben, sind von ganz anderer Art.

Der eine kommt von dem Sprecher des größten Opfer-Kontingents der Nazi-Herrschaft: Angesichts der zielstrebigen massenhaften Judenvernichtung im 3. Reich verbiete sich die umstandslose Gleichsetzung der SED, die noch nicht einmal einen regulären Krieg angezettelt hat, mit Hitlers Völkermördern – meint der wirklich nicht „linkslastige“ Herr Bubis. Und seine Mahnung zum Differenzieren beim Verurteilen verfängt in Deutschland, weil dieser gewachsene präpotente Staat den Verdacht auf offizielle Verharmlosung des Faschismus nicht brauchen kann: Zu leicht wird das – „im Ausland!“ – als erster Schritt zur Rehabilitierung des 3. Reiches und zur anschließenden praktischen Anknüpfung an seine Ziele – „miß-!“ – verstanden. Also muß Sprecher Hauser sich von seinem Fraktionschef sagen lassen, Gleichsetzungen dieser Art könnten „nur ins Elend führen“…

Den anderen Einwand von Gewicht bringt die Bundespressekonferenz vor. Dieser Club zur Bekanntmachung der Bundespolitik und ihrer guten Gründe – von den Publikationsorganen der Nation selbst organisiert und insofern mit einem Propagandaministerium nicht zu verwechseln – besitzt ein feines Gespür dafür, daß, wenn es schon und weil es bei der offiziellen Beurteilung unliebsamer Parteien und Politikerfiguren um gar nichts anderes gehen kann als um deren politmoralische Aburteilung, alles darauf ankommt, wer sie ausspricht. Tut es die Regierung, dann kündigt sie damit praktische Maßnahmen an; denn ihr moralisches Verdikt zielt auf administratives Fertigmachen; und für dessen Bekanntgabe samt amtlicher Begründung gibt sich die Bundespressekonferenz ohne Probleme als Multiplikator her – dafür ist sie da. Handelt es sich dagegen um die Hetze einer Partei, die „bloß“ auf die öffentliche Ächtung des politischen Gegners berechnet ist, um Wahlkampfpolemik oder ähnliches, dann sollen die Parteipropagandisten deren Vermassung auf eigene Rechnung betreiben; dafür läßt sich die Spitze des freiheitlichen Verlautbarungswesens nicht funktionalisieren. Diese feine Unterscheidung ist dem frischgebackenen Regierungssprecher, der bislang stets ungeschminkt vertreten durfte, was er dem Volk als dessen Stimme in den Mund legen wollte, noch fremd und ungewohnt – kein Wunder: Die Feindschaftserklärungen einer Regierungspartei an ihre Gegner sind allemal Anregungen zur Regierungspraxis, werden von den regierenden Machthabern ja auch stillschweigend mehr oder weniger in Taten umgesetzt. Nur eben nicht ohne weiteres auch offiziell: Das ist die „schwierige Gratwanderung“ zwischen parteiischer Scharfmacherei und rechtlich verbindlicher Regierungslinie, die Sprecher Hauser nach eigenem Eingeständnis erst noch lernen muß. Abschließend möchte er freilich schon noch einmal gesagt haben, daß er als guter Mensch und Volksvertreter von seinem Unwerturteil über die PDS selbstverständlich überhaupt nichts zurücknimmt…

2. Die PDS stört also und ist folglich böse. Besonders und eigentlich störend an der PDS ist freilich, daß es sie trotzdem immer noch gibt; sogar in solcher Größenordnung, daß sie in ostdeutschen Landtagen stark vertreten ist und sogar als Gruppe im Bundestag. Schuld an diesem Mißstand sind ihre Wähler. Die führen sich mit ihrer verwerflichen Stimmabgabe auf wie eine unbehauste Minderheit im deutschen Volkskörper, als Massenbasis eben für ein extrem abweichendes politisches Verhalten und insofern als tendenziell feindselige Störenfriede. Sie sind folglich ein Ärgernis – und nichts anderes hat Sprecher Hauser ihnen und dem Wahlvolk insgesamt einmal deutlich zu verstehen gegeben.

Und zwar mit dem sachdienlichen Hinweis, den er für schlichtweg schlagend hält: Diese Leute bleiben die fällige Anpassung an das einzig senkrechte Wahlverhalten schuldig, obwohl sie Geld kriegen! Die Frage, wer wem was wofür und warum zahlt, sollte man besser nicht ernstlich vertiefen – je unbestimmter die Sache, um so klarer die Botschaft: Die annektierten Zonis liegen dem ordentlichen Wahlvolk auf der Tasche; und daraus folgt doch wohl zum mindesten die verdammte Pflicht, die Schnauze zu halten, Protest zu vergessen, die Überreste des alten Staatsbürgerwesens – immerhin auch so eine „zweite Natur“… – endgültig abzustreifen und sich ohne weitere Auffälligkeiten dem demokratischen Comment des annektierenden Gemeinwesens zu fügen. Wenn PDS-Wähler diese Pflicht zu demokratischer Fügsamkeit nicht einsehen wollen und dadurch die nationale Einheit sabotieren, dann muß man ihnen einmal kindgemäß vorbuchstabieren, daß die Nation durchaus auch anders könnte und Volksfeinde auch in der Demokratie nicht durchgefüttert werden. Wenn das ein bißchen nach Erpressung klingt, dann haben die Betroffenen sich das selbst zuzuschreiben – sie brauchen sich ja bloß nicht mehr so sittenwidrig aufzuführen. Und wem das undemokratisch vorkommt, der hat einfach noch nicht begriffen, daß Demokratie ein anderer Name für freiwilligen Konformismus ist und kein Freibrief für oppositionelles Fehlverhalten.

So hat Sprecher Hauser gedacht, so hat er geredet und seinem Kanzler damit auf alle Fälle aus dem Herzen gesprochen. Was ist daran schon wieder verkehrt?

In der Sache nichts: Daß wahlberechtigte Ost-Bürger ruhig weiterhin zu 20 Prozent PDS wählen sollen, wenn ihnen danach ist, hat keine namhafte öffentliche Stimme reklamiert; der Grundsatz „Wer zahlt, schafft an!“ gehört zu den elementaren demokratisch-marktwirtschaftlichen Lebensweisheiten und Verhaltensmaximen; und daß ausschließlich die Zonis sich der Bundesrepublik anzupassen haben und in gar keiner Weise etwas Umgekehrtes passieren darf, ist erst recht so selbstverständlich, daß es in Deutschland schon als Anzeichen für fortgeschrittenen Intellektualismus gilt, daran herumzuproblematisieren, ob dieser Weg zur mentalen „Wiedervereinigung“ des deutschen Volkes wohl der effektivste ist. Eine abweichende Meinung hat Sprecher Hauser also gewiß nicht von sich gegeben. Und werbewirksam ist sein Klartext außerdem – jedenfalls bei denen, die sich als geborene und zahlende Mitglieder des Gemeinwesens begreifen; und das ist allemal die übergroße Mehrheit der Deutschen. Nur: Genau deswegen macht es sich nicht so gut, wenn der Regierungssprecher diesen Klartext verkündet. Nach dem demokratischen Sittenkodex, der auch der Opposition ihre Chance läßt, soll die Regierung sich nämlich nicht offiziell mit ihren amtlichen Mitteln in die Konkurrenz um Wählerstimmen einmischen. Und sie soll vor allem nicht offiziell kundtun, daß sie ihre finanzpolitischen Entscheidungen mit Blick auf die Wahlergebnisse in den verschiedenen Regionen des Staates treffen könnte – es langt ja, daß sie das ein wenig tut, zum Nachteil „roter“ Länder, und jeder das weiß, der es wissen will. Staatsräson und Parteipolitik gehören auseinandergehalten, auch wenn das im einzelnen gar nicht geht, schon gar nicht bei der führenden Regierungspartei. Als demokratische Partei darf man, wenn man es für opportun hält, durchaus mit dem Anspruch werben, daß die freie Wahlentscheidung der Bürger gefälligst ein Bekenntnis zur Anpassung zu sein hat, ein Akt der Unterwerfung unter die starke Hand, von deren Segnungen der Bürger als Untertan abhängig ist und sich abhängig weiß; als verkündete Regierungsdoktrin gehört sich ein solcher Anspruch einfach nicht. Mehr noch: Die Gleichschaltung der Wähler muß klappen; sie zu fordern, beweist nur, daß sie nicht klappt, ist also ein Eingeständnis von Schwäche; und das ist auch wahltaktisch ganz verkehrt. Insofern liegt Sprecher Hauser mit seinem Klartext daneben.

Selbstverständlich spricht das alles nicht gegen seine gute Absicht, der PDS ihre Wähler abspenstig zu machen. Das verdeutlichen die kritischen Stimmen aus allen ehrenwerten politischen Lagern, die den Regierungssprecher an diesem Ziel messen und ihm den Vorwurf nicht ersparen können, einen kontraproduktiven Mißgriff getan zu haben; denn wie man als guter Demokrat die PDS-Wähler kennt, schalten diese Abweichler nur zu leicht aus purem Trotz auf stur und wählen erst recht die Falschen. Den Grünen ist darüber sogar der Verdacht gekommen, Sprecher Hausers „Entgleisung“ wäre ein ausgeklügelter Kunstgriff, um auf Kosten von Rot-Grün die PDS zu stärken – und am Ende kalkulieren rechte Demokraten tatsächlich mit solchen Winkelzügen, um passende Wahlergebnisse herbeizumanipulieren. Das ändert aber nichts an der Einigkeit aller demokratisch etablierten Parteien in der Hauptsache: daß der PDS-Wähler, wenn er schon frei, gleich und geheim wählen darf, umso zielstrebiger zum rechten Konformismus erzogen werden muß: zur freiwilligen Stimmabgabe im Sinne der gegebenen Macht- und Ausgrenzungsverhältnisse. Diese staatsbürgerliche Erziehung wünschen sich Hausers Kritiker nur ein bißchen raffinierter; nicht so plump und direkt, daß die Zonis sich glatt an ihre Parteilehrgänge erinnert fühlen könnten und altgediente West-Wähler an die Sitte des Stimmenkaufs in Bananenrepubliken. Gegen die falsche Partei mit allen Mitteln polemisieren – dies die immer wieder angemahnte „inhaltliche politische Auseinandersetzung“ mit der PDS –, dabei aber den Falsch-Wähler nicht mit verteufeln und verärgern, sondern umwerben: Soviel manipulatives Geschick wird man von einem demokratischen Profi doch wohl erwarten können!

Ein wenig unehrlich ist diese Ermahnung freilich schon auch. Denn im Grunde sehen die Kritiker des Regierungssprechers die Problemlage genauso wie ihr forscher Kollege: Eine ganze Wählergruppe ist mit den üblichen Überzeugungskünsten bundesdeutscher Demokraten einfach nicht zu packen; sie widersetzt sich den ortsüblichen Selbstverständlichkeiten des Abstimmungsverhaltens. Was soll man da machen, um auch diese Minderheit zur einzig korrekten Entscheidungsfindung zu bringen? An einem demokratischen Nachhilfeunterricht von sonst nicht nötiger Deutlichkeit führt kein Weg vorbei. Und da ist eine – im Westen zudem werbewirksame – unmißverständliche Warnung an die falschen Fuffziger doch nicht das Schlechteste. Von der können sich dann anschließend die Gesinnungsgenossen aus den konkurrierenden Staatsparteien wie vom eigenen christlichen Regierungsverein wieder distanzieren und den selbstverständlich völlig freien Wählerwillen des von der Stasi-Aufsicht erlösten Ost-Bürgers umschmeicheln. Aber der weiß jetzt wenigstens, was er als Gegenleistung für seine Freiheit schuldig ist!

So mag Hausers wahlkämpferische Klarstellung im Endeffekt dann doch dazu beitragen, daß das Wahlvolk der Nation zusammenwächst und sich bloß noch die Sorte Protest gestattet, die in den nationalistischen Kampfprogrammen der geborenen BRD-Parteien vorgezeichnet ist.