Greenpeace
Das organisierte Umweltgewissen in Aktion

Gleichgültig gegen alle Gründe, warum die Umwelt Gegenstand dauerhafter Sorge ist, widmet sich Greenpeace der Aufsicht über Umweltdelikte, die stets auf dem mangelnden Einsatz der Staatenwelt beruhen sollen. Durch die Mobilisierung der Öffentlichkeit ist die Politik gegen alle Erfahrung an deren eigentliche Aufgabe des Umweltschutzes zu erinnern. Dass Greenpeace nur bei solchen Aktionen Aufmerksamkeit findet, die die Staaten für ihre Konkurrenzaffairen instrumentalisieren, hält dieser Verein für eine geschickte Strategie.

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Greenpeace
Das organisierte Umweltgewissen in Aktion

„Wir wollen drei Dinge kombinieren: Aktionen, wissenschaftliche Arbeit und Einfluß auf die Politik.“ (Greenpeace-Gründer McTaggert)

1. Anwalt umweltpolitischer Verantwortung

Die „Umweltorganisation Greenpeace“ führt die zwei unwidersprechlichsten Ehrentitel politischer Verantwortung im Firmenschild. Durch ihre Aktionen will sie darauf aufmerksam machen, daß leider nicht konsequent im Sinne dieser beiden Titel gewirtschaftet und politisch gehandelt wird, und auf Abhilfe dringen. Tätig wird sie als Anwalt einer Aufgabe, von deren allgemeiner Anerkennung sie ausgeht: der Aufgabe der Politik, sich um den Erhalt der Umwelt und des Friedens zu kümmern. Sie versteht sich als das öffentliche Umweltgewissen einer politischen Welt, die eigentlich längst weiß, worauf es ankommt, in der bloß Programm und praktische Politik immer noch zu sehr auseinanderklaffen: Saubere Gewässer, Artenschutz, atomwaffenfreie Welt und reine Luft – das sind in ihren Augen die obersten und ehrenwertesten Ziele demokratischen Regierens. Daran werden die Verantwortlichen mit ihren Taten gemessen – und für zu wenig entschlossen befunden. Das will Greenpeace ändern, indem es ihnen auf die umweltpolitischen Sprünge hilft, auch wenn die sich gar nicht helfen lassen wollen. Ein ebenso anerkanntes, wie falsches Anliegen.

2. Als Umweltaufsicht unterwegs: Sünden aufdecken, Probleme benennen, Lösungen anbieten

Überall und dauernd konstatiert Greenpeace Verstöße. Vom Robbenschlachten bis zu militärischen Atomversuchen, vom Walfang bis zur Entsorgung giftiger Chemikalien – immerzu sieht der kritische Verein das eine oberste Gebot verletzt: Du sollst die Umwelt schützen! Warum die ökologischen Grundprobleme bei den Mächtigen und bei den wirtschaftlichen Verantwortungsträgern so wenig Beachtung finden, wenn sie doch allgemein anerkannt sind; warum die Umwelt immerzu nicht gesünder wird, die Atomwaffen nicht verschwinden und die Belastungen durch die Chemie nicht geringer, sondern höchstens raffinierter werden, wenn doch alle Welt auf das Gegenteil aus ist – das ist für die Umweltwarte keine Frage. Ihr Spür- und Anklagewesen enthält eine verblüffend einfache Antwort: Es liegt am leider ziemlich verbreiteten Mangel an Verantwortung; wegen egoistischer, kurzfristiger Interessen, wegen falscher Rechnungen, wegen Unwissenheit oder Unwillen oder einfach auch wegen Gleichgültigkeit lassen es Konzerne wie Politiker am rechten umweltbewußten Verhalten mangeln. Daß z.B. die Meere rücksichtslos leergefischt werden, das ist auf die „Gier der Industrie-Länder nach Fisch-Futter“ zurückzuführen. So schlicht und tautologisch ist das. Von Notwendigkeit keine Spur. Kein Gedanke daran, es könnte an den geltenden Interessen einer auf Geldvermehrung ausgerichteten Wirtschaft liegen. Von den Sachzwängen einer Konkurrenz um Kostpreis und Profit, die regelmäßige Rücksichtslosigkeit gegen Naturbedingungen und gegen Gesundheits- und Konsumtionsbedürfnisse einschließen, wollen die Umweltfahnder nichts wissen. Ebensowenig davon, daß und wie der Staat sich mit seiner Gewalt zum Garanten dieser Sachzwänge nationaler Reichtumsproduktion macht und sich auch nur deswegen um die ruinösen Folgen des freigesetzten kapitalistischen Wirtschaftens kümmert. Daß sich die einschlägigen Gebote und Verbote dem Interesse am Erhalt benutzbarer Geschäftsbedingungen und eines brauchbaren Staatsinventars verdanken und entsprechend zurückhaltend ausfallen; daß also die „Umwelt“ und ihr Schutz gar nicht oberstes Prinzip politischer Verantwortung ist: das alles liegt außerhalb des Gesichtskreises der Greenpeace-Leute.

Sie haben es überhaupt nicht mit Erklärungen; sie denken vorwärts. Genausowenig wie Polizei oder Justiz sich um Gründe und Notwendigkeit der Ordnungsgewalt kümmern, die sie ausüben. So ähnlich wie Polizei und Justiz im Namen der geltenden Gebote tätig werden, Vergehen aufspüren, Verbrechen ahnden und das berufsblinde Weltbild vertreten, die Gesellschaft sei eben leider von lauter Gesetzesbrechern bevölkert, so ähnlich tritt Greenpeace als eine Aufsichtsbehörde über einen ideellen Kanon umweltpolitischer Pflichten in Aktion, gegen den laufend verstoßen wird. Als Aufdeckungs- und Anklageinstanz in Sachen saubere Umwelt macht die Organisation unentwegt einschlägige Sünder dingfest, prangert besonders krasse Fälle an und verlangt Einschreiten. Denn, da sind sich die Umweltwächter sicher, ohne den heilsamen Zwang der öffentlichen Gewalt, ohne staatliche Aufsicht und Vorschrift geht es nicht, mit ihr aber allemal. Also ist die Politik zum Handeln aufgerufen, um die ausgemachten Verstöße zu ahnden, abzustellen und der ökologischen Vernunft den angemessenen Raum zu verschaffen. Adressat dieses Umweltvereins sind nicht Bürger. Daß die Leidtragenden – die an der „wachstum“stiftenden Verwendung der Natur die Zerstörung ihrer Lebensmittel gewahren – begründeten Einspruch erheben und sich dafür stark machen, den Zuständigen das Handwerk zu legen, daran denken die Umweltfahnder sowieso nicht. Dann schon eher daran, die Bürger zu „umweltgerechtem Verhalten“ zu erziehen, keine Papierchen wegzuwerfen, weniger Energie zu verschwenden und was der Zumutungen mehr sind, mit denen der Konsument ausbügeln soll, was er weder verursacht hat noch mit seinem Einsatz richten kann. Aber auch das wollen sie nicht der privaten Selbstverantwortung anheimstellen. Nein, sie halten es mit der Macht der Wirtschaftsbosse und vor allem mit der politischen Gewalt der Regierenden. An deren Zuständigkeit wollen sie nicht rütteln; die wollen sie im Gegenteil aufrütteln und dazu bewegen, machtvoll die Umweltsünder – konsumverwöhnte Bürger selbstverständlich eingeschlossen – in die notwendigen Schranken zu weisen. Vertrauensvoll wird eine Politik, die sich überall als Anwalt nationaler Reichtumsvermehrung und weltpolitischer Durchsetzung geltend macht, der ideelle Gesamtkapitalist, der seinen Kapitalisten einen kostengünstigen Gebrauch von Land und Leuten eröffnet und die Folgen wirtschaftsverträglich betreut, in die Rolle einer obersten Behörde für umweltverträgliches Produzieren und Konsumieren eingesetzt.

Sich weisen die selber wie eine Behörde organisierten Greenpeaceler dabei die Rolle zu, die Verantwortlichen immerzu darauf aufmerksam zu machen, wann deren staatliches Eingreifen unbedingt geboten wäre und wie sie sinnvoll vorzugehen hätten. Nach der Devise ‚Es gibt viel zu tun, packen wirs an!‘ bieten sie an, den Verantwortlichen mit Rat und Tat zur Hand zu gehen. Sie wollen eben nicht ‚bloß kritisieren‘; sie wollen konstruktiv und von Fall zu Fall zur Umweltpolitik beitragen, auch wenn deren Macher ganz anderes im Sinn haben. Denn – davon sind sie felsenfest überzeugt – was eigentlich nicht sein dürfte, das müßte, richtig besehen, auch gar nicht sein; wenn nur ordentlich gehandelt, langfristig gedacht und richtig gerechnet würde. Sie halten es eben nicht mit der Notwendigkeit, sondern gehen grundlos und felsenfest von der Vermeidbarkeit all dessen aus, worauf sie an „Umweltvergehen“ stoßen. Deshalb schlagen sie sich nicht damit herum, wie wirklich gehandelt, gedacht und gerechnet wird, sondern geben Ratschläge, wie nach ihrer Meinung die geltenden Rechnungsarten, denen sich die inkriminierten Umweltvergehen verdanken, zum Besseren modifiziert werden könnten. Sie unternehmen das Kunststück, die Verträglichkeit umweltpolitischer Rücksichten mit den Wachstumsbedürfnissen der Wirtschaft und den nationalen Reichtumsansprüchen der Nation aufzuzeigen, also Wege und Möglichkeiten eines gelungenen, d.h. gesamtgesellschaftlich lohnenden „Umweltmanagements“ zu entwerfen und anzubieten. Für diese Rolle einer kundigen Beratungsinstanz hält sich der Verein seine „Experten“, die „gleichzeitig eloquent genug sein müssen, um mit Politik und Industrie zu verhandeln, fachwissenschaftliche Hintergründe und Lösungsmöglichkeiten – sogenannte „solutions“ – aufbereiten und die Problematik einer breiten Öffentlichkeit verständlich machen können.“ Dieser alternative Sachverständigenrat weist auf die Kosten umweltschädigenden Vorgehens hin, schlägt machbare, d.h. nach geschäftlichen Bilanz- und staatlichen Haushaltsgesichtspunkten finanzierbare Alternativen vor, kümmert sich um sauberere und zugleich geschäftsfördernde Chemieverfahren, um Ersatzgeschäfte für Walfänger, um umweltverträglichere Kühlschränke etc. Sogar die Kriegsplanung lassen sich die Gegner von Atomversuchen angelegen sein und unterscheiden zwischen wohlbegründeten Sicherheitsbedürfnissen und unverantwortlichem Atomstreben, das letztlich seinen Urhebern nur schaden kann. Sie bestreiten also kein einziges geltendes Interesse, sondern strengen mit Statistiken, volks- und betriebswirtschaftlichen Modellrechnungen und technologischen Entwürfen ein ums andere Mal den Beweis an, daß alle diese Interessen mit Gesichtspunkten des Umweltschutzes übereinstimmen, ja – recht besehen – viel besser zum Zuge kämen, also „machbar“ sind.

Am liebsten würden sie also all die „globalen Probleme“ durch „Sachverstand und Überzeugungskunst“ im Verein mit ihren Verursachern lösen und ihnen mit „Konzepten, die Wege aus dem Dilemma zeigen“, zur Hand gehen, wenn die sie nur ließen: „Unser Ansatz ist die Präsentation von Lösungen und, wenn der Dialog nicht klappt, die Auseinandersetzung. Die Lösungen sind schon da. Nun müssen wir Druck machen, damit sie in die Tat umgesetzt werden.“ In diesem Sinne sollen die 90er Jahre, so Greenpeace-Perspektive, nicht die Jahre der Konfrontation, sondern „der Lösungen“ sein. Dabei feiern sie manchen kleinen oder größeren Triumph, wenn sich Multis von ‚umweltfreundlicheren‘ Verfahren und Produkten Profit versprechen – Energie- oder Materialkostenersparnis gehört schließlich genauso zur Ökonomie des Kapitals wie neue gewinnbringend verkäufliche Waren – oder wenn der Staat seine Vorschriften und Auflagen ändert: „Erfolg nach 15 Jahren Kampagnenarbeit. Müll-Export-Verbot weltweit.“ Das schreiben sie gerne ihrem unermüdlichen Wirken zu.

3. Die umweltpolitischen Berater dringen auf Gehör

Daß die Zuständigen dem ideellen Auftrag, ihre ganze Politik unter höchste Leitlinien wie sauberer Luft, verschonter Wale, nichtgiftigen Wassers usw. zu stellen, ziemlich wenig abgewinnen können, das bemerken die Umweltwarte natürlich auch. Das Mißverhältnis ihrer guten Absichten zu den gültigen Interessen stürzt sie aber keineswegs in Zweifel, ob sie vielleicht bei der falschen Adresse gelandet sind, wenn die Verantwortlichen mit ihrer gültigen Lesart wirtschafts- und umweltpolitischer Vernunft von ihren Angeboten so wenig wissen wollen. Im Gegenteil! Daß sie nicht auf entsprechende Gegenliebe stoßen, interpretieren sie dahingehend, daß die Politiker leider allzuoft die guten Werke unterlassen, die sie ihnen andichten: Erstens leisten die sich mit ihrem Bedürfnis nach internationaler Machtentfaltung selber gravierende Umweltsünden – der Auf- und Ausbau einer Atommacht, insbesondere ihre Erprobung zählt nämlich für Umweltfanatiker genauso wie die Dezimierung einer gefährdeten Tierart unter die Verstöße gegen die ökologische Vernunft; zweitens vernachlässigt die Politik mit ihren Auflagen, Geboten und Erlaubnissen für ein national einträgliches Wirtschaften die ihr von Greenpeace zugedachte Aufsichtspflicht.

Also muß sie – nach Greenpeace-Logik – laufend neu und mit Nachdruck darauf gestoßen werden. Je weniger die Verantwortlichen auf die wohlmeinenden Ratschläge der Agentur umweltpolitischen Sachverstandes hören wollen, umso mehr verlegt die sich darauf, sich immer wieder lautstark in der Öffentlichkeit zu Gehör zu bringen. Die Öffentlichkeit halten sie für die genau passende Institution, um die Politik an die Verantwortung zu erinnern, der die sich angeblich immerzu entzieht. Anders denn als geflissentliche öffentliche Erinnerung, was den Machern im Namen gemeinsamer Werte gut anstünde, können sie sich Einspruch gegen deren Treiben gar nicht vorstellen. Sie teilen nämlich den verbreiteten guten Glauben, die demokratischen Herren über das nationale Geschick würden sich von den Sorgen und Bedenken einer kritischen Öffentlichkeit nachhaltig beeindrucken lassen, und verwechseln das konjunkturgemäße öffentliche Hin- und Herwälzen aller möglicher nationaler Erfolgsgesichtspunkte und politischer Anstandsfragen mit Kontrolle der regierenden Figuren. Als Teil dieser Öffentlichkeit, die sich selber als entscheidende vierte Gewalt, als Wächter über die Politik im Namen des Volkes und der gemeinsamen Werte versteht, melden sie sich daher unentwegt zu Wort. Ständig prangern sie die einschlägigen Taten und Untaten von Industrie und Politik als Skandale an, also als Vergehen gegen die gemeinsamen, von der Öffentlichkeit geteilten und immerzu mitgeteilten Maßstäbe ordentlichen Regierens. Solche „Skandale“ werden „ans Licht der Öffentlichkeit“ gezerrt, als ob es ein Geheimnis wäre, was in Atomkraftwerken, Chemiebetrieben und anderswo getrieben würde. Dabei ist nicht zu übersehen, daß die lautstark zum Ausdruck gebrachte Empörung darauf abzielt, einen Platz im Beraterstab derjenigen zu reklamieren, über die man sich angeblich überhaupt nicht beruhigen kann. Alle Provokationen gehen nicht mit Feindschaftserklärungen, sondern mit sachverständigen Friedens- und Beratungsangeboten an die Verantwortlichen einher, sind also auf geflissentliche Anerkennung bei denen gerichtet, gegen die man sich angeblich so entschieden wendet: Die erbitterten Anklagen gegen die globalen Verbrechen enden umstandslos bei der weltbewegenden Mitteilung, nach eigenen Berechnungen könnte das ohnehin geplante Drei-Liter-Auto um einiges schneller verkaufsreif sein, wenn Autoindustrie und Politik sich bloß anstrengten… Die gewollten Regelverletzungen sind keine Kampfansagen, sondern Demonstrationen einer Betroffenheit, die nicht einschreiten, sondern einbezogen sein will in die Erwägungen derjenigen, die das Sagen haben: Wir sagen Euch, wie es besser geht.

4. Allzeit bereit zum Kampf um Aufmerksamkeit

So wird Empörung zur öffentlich gekonnt inszenierten Pose, die sich gleich selber widerruft: Greenpeaceler schreien lautstark ‚Skandal!‘, hören zufrieden, wie ein vielfaches Echo zurückschallt, schieben noch eben ihre sachverständigen Hinweise hinterher – und das war es dann auch schon. Ab, zur nächsten Aktion. So sieht er aus, der unermüdliche öffentliche Einsatz für Umwelt und Frieden, der unentwegt das zu Gehör bringt, was Politiker mit dem Mantel des Schweigens zudecken wollen. Der Eindruck, den die alternativen Umweltsachverständigen auf eine Öffentlichkeit machen wollen, die sich gar nicht so leicht beeindrucken läßt, beflügelt sie zu lauter medienwirksamen, skandalträchtigen „Aktionen“. Agitation mit Argumenten, die die Notwendigkeit ihres Anliegens darlegen, sind nicht so ihre Sache. Sie überzeugen anders; ihre Sache begründen sie nicht, sondern beglaubigen sie durch den unermüdlichen und unerschrockenen persönlichen Einsatz. Was für die Zurschaustellung skandalträchtiger Verantwortungslosigkeit nicht taugt, das ist auch nicht ihres demonstrativen Einspruchs wert. Um mit den Skandalen bekannt zu machen und um der Ernsthaftigkeit ihres Anliegens Ausdruck zu verleihen, setzen sich über die politisch gesetzten Schranken erlaubter Meinungsäußerung hinweg und inszenieren für die Öffentlichkeit ein Schauspiel symbolischen Widerstands nach dem anderen. Mit waghalsigen Manövern und bewußten Rechtsübertretungen führen sie einen Schaukampf gegen die Umweltsünder in den Chefetagen und politischen Entscheidungszentralen. Sie setzen Fanale, stellen sich den mächtigen Interessen in den Weg, verzichten dabei selber strikt auf Gewalt und erwecken so den Schein einer Machtprobe mit den Übeltätern.

Das Katz- und Maus-Spiel der Davids mit den Goliaths ist auf keine andere Wirkung berechnet als auf das Bild, das sie abgeben, und die Beachtung, die ihnen darüber im Fernsehen zuteil wird. Die Öffentlichkeit soll sich durch den Beweis beeindrucken lassen, den die Aktionisten liefern: daß sie, obwohl machtlos, den Mächtigen Grenzen setzen und im Interesse der guten Sache nicht zurückschrecken. Die Auseinandersetzung im Dienste der guten Sache inszenieren sie daher als öffentlichkeitswirksames Spektakel, immer ausgefallen, gekonnt, generalstabsmäßig geplant und zugleich hochanständig. Höchster Erfolg, wenn es ihnen wieder einmal gelingt, sich nicht mundtot machen zu lassen, wenn sie die andere Seite nicht nur moralisch bloßgestellt, sondern als Macht öffentlich lächerlich gemacht und an der Nase herumgeführt haben; wenn es ihnen gelungen ist, auf ein Werksgelände zu gelangen, einen Schornstein zu erklimmen und ein Transparent zu entfalten; wenn sie für eine Minute mitten in Peking ihr Spruchband entrollt haben; wenn sie an der französischen Marine vorbei für eine Weile ins Sperrgebiet eindringen konnten und mit großem Aufwand weggeräumt werden müssen. Dabei rechnen sie darauf, daß die Verantwortlichen, die man der Rücksichtslosigkeit gegen Mensch und Umwelt zeiht, mit Blick auf die Öffentlichkeit gehörige Rücksichten walten lassen.

Diese Kampagnen für Aufmerksamkeit pur sind Greenpeace jeden Aufwand wert: Ein Stab von „compaigners“ und „activists“ inszeniert generalstabsmäßig das Spektakel, setzt dabei gehörig technisches Gerät und Logistik ein und führt sich auch schon Mal wie eine richtige Kleinarmee auf, die der französischen Marine einen ehrlichen Kampf liefern kann – darum, sich medienwirksam auf dem Testgelände als lebendes Hindernis aufzustellen. Man ist eben kein amateurhafter Protestverein, sondern eine durchgegliederte, hart arbeitende Public-Relations-Organisation, die den fälligen Einspruch professionell zu inszenieren vermag und durch Einsatz wie Perfektion, durch guten Willen wie technischen Aufwand gleichermaßen zu überzeugen weiß. So sind Greenpeaceler weltweit unermüdlich unterwegs, immer schon die Medienvertreter im Gepäck dabei.

Die bringen ihnen nämlich einigen Respekt entgegen. Mit ihren Kampagnen bedienen und beflügeln die Umweltaktivisten ja eine Öffentlichkeit, die sich zur ideellen Sorge und Kontrolle aufgerufen weiß, ob die Macher nach den von ihnen selbst ausgegebenen Kriterien nationalen Erfolgs und ordentlichen Regierens ihr Geschäft zufriedenstellen erledigen, und die selber gerne Versäumnisse und Verfehlungen entdeckt sowie nach entschiedenem Eingreifen der Politiker verlangt. Deswegen versagt sie Anliegen wie Aktionen der Umweltvertreter nicht eine gewisse Anerkennung: Ja, sie weisen auf besonders eklatante Fälle mangelnder Verantwortung hin; allerdings entbehrt ihr Vorgehen und ihr einseitiger Standpunkt nicht der Problematik! Die öffentlichen Politikwächter kennen nämlich konkurrierende Gesichtspunkte ordentlichen Regierens, die sie gegeneinander abwägen: Schließlich weiß inzwischen jedermann, daß Ökologie und Ökonomie miteinander versöhnt werden müssen; und mit kritischen Einwänden soll ja nicht das Vertrauen in die Regierenden untergraben, sollen nicht die national Zuständigen blamiert, sondern respektvoll zu energischem Handeln aufgerufen werden. Insofern ist auch eine gewisse Zurückhaltung gegenüber dem „Radikalismus“ der Greenpeaceler geboten. Sie gelten als ehrenwerte Störenfriede, die öfter über das Ziel hinausschießen, ernstzunehmende, aber ziemlich einseitige und rücksichtslose Aktivisten in Sachen Umwelt. So etwa beurteilt die nationale Öffentlichkeit das Wirken von Greenpeace im Innern.

5. Die Umweltinternationale und ihre Erfolge

Etwas anders fällt das Urteil über das internationale Bemühen von Greenpeace aus. Die Umweltwächter verstehen und präsentieren sich ja als übernationale Behörde in Sachen Umwelt und Frieden, die ihr wachsames Auge auf das Treiben sämtlicher Multis und aller Nationen geworfen hat und die bei passender Gelegenheit globalen Handlungsbedarf in Sachen Artenschutz, Atomwaffenteststopp, Meeresschutz usw. anmeldet. Dabei berufen sich die grünfriedlichen Öffentlichkeitsarbeiter auf internationale Konferenzen, Abmachungen und Verträge, mit denen die Staaten sich über die nationalen Grenzen hinaus um die einschlägige Materie kümmern – und zwar ziemlich kontrovers. Was da auf den internationalen Umweltkonferenzen verhandelt und ausgehandelt wird, und erst recht, was Staaten als Energie- oder Machtprogramme in Sachen Atom für nötig halten und betreiben, das sind ja gerade keine Angelegenheiten schiedlich-friedlicher weltgemeinschaftlicher Übereinkunft, sondern nationale Standort- und Machtfragen, also Streitgegenstände zwischen den Nationen. Je nachdem ob ihre nationalen Konkurrenzmittel betroffen sind, ob Abmachungen eine nationale Industrie einschränken oder nicht, je nachdem ob ein Land unter gewissen schädlichen Wirkungen besonders zu leiden hat oder besondere ökonomische Vorteile daraus zieht; je nachdem ob es eine nationale Atomindustrie oder sogar Atomwaffen besitzt oder nicht, fällt die Stellungnahme zu den Wirkungen aus, die Weltmarktkonkurrenz und Weltmachtanstrengungen über die nationalen Grenzen hinaus zeitigen. Das, was eine Nation jeweils an umweltpolitischen Regelungen und Beschränkungen für nötig hält und wo und wie sie es für nötig hält, entscheidet sich an Ertrag und Schaden für nationales Wirtschaften und Regieren. Internationale Umweltpolitik wird als Teil nationaler Standortpolitik betrieben, mit der sich Staaten darum bemühen, im Interesse ihres nationalen Kapitalstandorts und der auf ihm heimischen Kapitale günstige Konkurrenzbedingungen zu stiften. Die unerläßlichen Rücksichten will man nach Möglichkeit anderen Nationen als kostspielige Auflagen aufnötigen, dem eigenen Kapitalstandort dagegen ähnliche Beschränkungen und Kosten ersparen.

Die einschlägigen internationalen Verhandlungen und Abmachungen begleitet die Greenpeace-Organisation mit ständigen weltöffentlichen Anträgen, die Verantwortlichen sollten sich wechselseitig zu verantwortlicherem Tun anhalten. Sie versehen dieses diplomatische Treiben also mit dem Schein, hier würde sich eine Weltgemeinschaft von Regierungen betätigen, die den Umgang mit den Schädigungen, die die ökonomische Konkurrenz mit sich bringt, zu ihrem einvernehmlichen Anliegen machen und sich wechselseitig mehr oder weniger konsequent auf globale Umweltrücksichten verpflichten. Dieser eingebildeten Weltgemeinschaft der Staatsmänner wollen die „Umweltvertreter aus dreißig Ländern“ zur Hand gehen; in ihrem Namen klagen sie die einen Nationen der Umweltsünden an und rufen andere zum Einspruch und zur heilsamen Korrektur auf – und mischen sich auf diese ebenso verrückte wie unkritische Weise in die Konkurrenzhändel der Nationen ein, die auf dem Weltmarkt und in der Weltpolitik das Sagen haben.

Damit finden sie schon wieder gehörige Resonanz in der jeweiligen Öffentlichkeit. Die macht sich ja – ganz Sprachrohr nationaler Anliegen – für radikales Vorgehen stark, wenn bei der eigenen Nation gerade mal kein schutzwürdiges „Wachstum- und Arbeitsplatz“- also Wirtschaftsinteresse tangiert ist; ganz im Unterschied zu Fällen, bei denen die Greenpeace-Aktionen gegen Praktiken der heimischen Politik gerichtet sind. Da gilt dann, daß einem „einseitigen“ Umweltstandpunkt keinesfalls recht gegeben werden darf. Wo kein nationaler Gesichtspunkt im Wege steht, da stellt man sich gerne rückhaltlos auf den Standpunkt der globalen Umweltprobleme, die Abhilfe verlangen – vor allem auswärts –; da entdeckt man laufend die Umweltsünden – der auswärtigen Multis und der anderen Nationen, die sie auch noch fördern; da gelten nationale Sicherheitsbestimmungen in Sachen Atomkraftwerke als Beseitigung aller Risiken und als ein Vorbild, dem sich andere strikt anzuschließen hätten – selbstverständlich mit unserer Hilfe. Und erst recht, wo es um nationale Macht geht, entdecken kritische Begutachter aus Nichtatomwaffenstaaten nur zu gerne die Rücksichtslosigkeit des exklusiven Klubs der Atommächte und plädieren auf Unterlassung von Atomtests oder Verarbeitung russischen Plutoniums in deutschen Nuklearbetrieben – natürlich alles im Namen der Erhaltung von Umwelt und Frieden.

Besonderen Anklang findet der Umwelt- und Friedensverein gegenwärtig aber auch bei einschlägigen politischen Stellen. Während sein öffentlichkeitswirksames Treiben innenpolitisch zumeist unter die Störungen des politischen Geschäfts in Sachen nationaler Standortpflege gerechnet und entsprechend behandelt wird, erfährt es nach außen verbalen, oder sogar diplomatisch-materiellen Zuspruch von interessierter offizieller Seite in der Staatengemeinschaft. Deren Mitglieder haben nämlich den Titel Umwelt längst als Anspruch auf Mitzuständigkeit für die nationalen Belange anderswo und auf weltweites Reinregieren entdeckt. Deswegen wird Greenpeace das eine Mal als eine Berufungsinstanz ins Feld geführt, die keinem Verdacht auf nationalen Egosimus unterliegt; das andere Mal wird Greenpeace dagegen um so entschiedener mit dem Verdacht belegt, sich bloß für nationale Interessen stark zu machen – nämlich die anderer Staaten, die gar kein Recht auf Einmischung hätten; je nachdem eben, ob eine Nation sich gerade zur Zielscheibe von weltöffentlichen Aktionen seitens der Umweltorganisation gemacht sieht, bzw. je nachdem, ob sich eine andere Nation dieser Aktionen als Einspruchstitel bedienen will. Mit dem ganz und gar unpassenden Dauerbegehren nach einem globalen Umweltmanagement berühren sie also Machtaffären höchster Güteklasse – und wollen nicht einmal bemerken, daß der Titel „Umwelt“ heute zum Anspruchstitel imperialistischer Natur geworden ist; daß mit ihm ganze Weltgegenden unter „unsere weltweiten Ressourcen“ veranschlagt und die zuständigen Armenhäuser zu Rücksichten angehalten werden, die man am eigenen Standort nicht zu üben bereit ist; daß in seinem Namen europäische Mitsprache bei französischen Atomwaffen und japanische Zuständigkeit für die Pazifizikregion reklamiert wird und was der Ansprüche mehr sind, die immerzu im Namen weltweiter Verantwortung angemeldet werden.

Das stört sie aber überhaupt nicht. Wenn sie sich plötzlich in einer Koalition mit Politikern und Unternehmern finden, die sie bei anderer Gelegenheit als Umweltsünder anprangern, wenn sich Kohl und deutsche Autofahrer, neuseeländische Regierungsvertreter, australische Gewerkschaftler und deutsche Sozialdemokraten öffentlich hinter sie stellen, dann sind sie zufrieden und feiern das als Erfolg: Das ist es, was sie mit ihren Kampagnen erreichen wollten – die Weltgemeinschaft übt heilsamen Druck auf die jeweiligen Mächte aus, die sich den vernünftigen Lösungen widersetzen; das beweist, daß sich konstruktiver Einsatz auszahlt, sachkundiges Engagement lohnt. Die internationalen Umweltfriedensaktivisten halten sich nämlich viel auf den Kunstgriff zugute, die gegensätzlichen Standpunkte der Nationen und nationalen Ressentiments der Öffentlichkeit zum Hebel für eine umfassende Aufsicht über alle Staaten zu machen, also die Konkurrenz der Staaten für ihr höheres Umweltanliegen zu instrumentalisieren. Wie es sich für einen Verein gehört, der sich die Rolle einer rastlosen Weltaufsichtsbehörde reserviert, achtet Greenpeace deswegen darauf, nicht als bloße 5. Kolonne konkurrierender Nationalismen zu erscheinen – schließlich gibt es auch eine Greenpeace-Dependance im angegriffenen Land. Die unter einem internationalen Organisationsdach zusammengefaßten Ländersektionen berücksichtigen sorgfältig alle möglichen nationalen Vorbehalte, um zu zeigen, daß sie im Interesse eines alle vereinenden höheren Anliegens unterwegs sind. Nationalismen sind ihrer Meinung nach nicht zu kritisieren, sondern zu bedienen, weil man sich ihrer bedienen will. Bloß, wer instrumentalisiert da eigentlich wen?