Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Gaucks Reisen
Staatsbesuche in Griechenland, Türkei, Tschechien

Der Bundespräsident reist zum Staatsbesuch nach Griechenland. Als oberster Repräsentant des neuen, guten Deutschland (FR, 8.3.2014) trägt er zur laufenden Europapolitik der nationalen Exekutivorgane bei durch die Pflege der zwischenstaatlichen Beziehungen, wegen, aber jenseits der Gegensätze die sie enthalten. Sein vornehmes Geschäft ist die Verständigung zwischen Berlin und Athen, mit Gauck-Sound und staatsmännischen Gesten (spiegel-online, 7.3.2014), mit denen er um Vertrauen wirbt. Das in einem Land, in dem es niemandem fremd ist, dass es seine Niederlage in der innereuropäischen Konkurrenz und die „Rettung“, die ihm von Seiten der Sieger zuteil wird, mit der Unterwerfung unter ein national ruinöses Krisenabwicklungsprogramm – mit dem Ruin von Unternehmen, mit radikalen Abstrichen vom Staatshaushalt und der Verarmung der Bevölkerung – zu bezahlen hat.

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Gliederung

Gaucks Reisen
Staatsbesuche in Griechenland, Türkei, Tschechien

Gaucks Reisen IStaatsbesuch in Griechenland: Schuld und Schulden kann man nicht verrechnen

Der Bundespräsident reist zum Staatsbesuch nach Griechenland. Als oberster Repräsentant des neuen, guten Deutschland (FR, 8.3.2014) trägt er zur laufenden Europapolitik der nationalen Exekutivorgane bei durch die Pflege der zwischenstaatlichen Beziehungen, wegen, aber jenseits der Gegensätze die sie enthalten. Sein vornehmes Geschäft ist die Verständigung zwischen Berlin und Athen, mit Gauck-Sound und staatsmännischen Gesten (spiegel-online, 7.3.2014), mit denen er um Vertrauen wirbt. Das in einem Land, in dem es niemandem fremd ist, dass es seine Niederlage in der innereuropäischen Konkurrenz und die „Rettung“, die ihm von Seiten der Sieger zuteil wird, mit der Unterwerfung unter ein national ruinöses Krisenabwicklungsprogramm – mit dem Ruin von Unternehmen, mit radikalen Abstrichen vom Staatshaushalt und der Verarmung der Bevölkerung – zu bezahlen hat.

Der Präsident der Deutschen, die sich als einflussreiche und gnadenlose Verfechter heilsamer staatlicher Sparsamkeit hervortun, hat davon nichts zurückzunehmen. Er dementiert Deutschlands Verantwortung für das griechische Elend, erklärt es für alternativlos und aussichtsreich und bekundet dem geplagten Volk Mitgefühl und Bewunderung:

„Es bedrückt mich sehr, wenn ich höre, was so viele Griechinnen und Griechen aushalten und durchhalten im siebten Jahr der Krise… Viele spüren, dass die Reformen hart, aber nötig sind und dass sie nicht erfolgen, um Deutschlands Forderungen zu erfüllen, sondern Griechenland eine bessere Zukunft zu bereiten… Der Weg führt zum Ziel, wenn sie die eingeschlagene Richtung beibehalten.“ (Gaucks „Europarede“; Die Welt, 7.3.2014)

Mit dieser gelungenen Kostprobe diplomatischer Infamie verwandelt der deutsche Freiheitspräsident das erzwungene Elend der Griechen in ein Kompliment an die Opfer, ihre Zwangslage in eine moralische Ausdauerleistung, ihre Schafsgeduld in ein Resultat höherer Einsicht und kluger Opferbereitschaft, die Lob und Bewunderung verdienen, weil sie sich angeblich einleuchten lassen, was andere zu ihren Lasten geregelt haben. Vor seiner eigenen Umdeutung griechischen Leidens kann er nur den Hut ziehen und seinen höchsten Respekt bekunden, davor, was der heutige Hellene sich so alles gefallen lässt – und in diesem Sinne gibt er ihnen ein aufmunterndes ‚unbedingt weiter so!‘ mit auf den Weg. Der griechische Aristoteles und die dortige, wirklich ganz hervorragende Antike verdienen sowieso höchste Anerkennung, weil „… ohne sie Europa nicht denkbar … (usw.)“ (Gauck auf der Akropolis, SZ, 8.3.2014).

*

Und das ist noch nicht einmal die einzige Ehrenbezeigung, die der deutsche Gast dem hellenischen Staatswesen mitgebracht hat: Mit den heutigen Opfern der sozialen und ökonomischen Abbruchpolitik in Griechenland will Gauck nichts zu tun haben und sich diesbezüglich von niemandem Verantwortung nachsagen lassen. Was er sich aber nicht nehmen lässt, ist, höchstselbst den Rechtsvorgängern des neuen und besseren Deutschland großkalibrige moralische Verirrungen – damals im Zweiten Weltkrieg – nachzusagen. Dafür wird eigens in einem Bergdorf, dessen Bevölkerung einst von der Wehrmacht massakriert wurde, eine stimmungsvolle Veranstaltung arrangiert. Auf der darf der Präsident seinen obligatorischen Kranz niederlegen, aus Leibeskräften Scham und Schmerz im Namen Deutschlands empfinden, die Familien der Ermordeten um Verzeihung bitten und sich vor den Opfern der ungeheuren Verbrechen verneigen, was das Zeug hält. Derlei politische Übungen, zumal an Orten, an denen deutsche Bewaffnete einmal gehaust haben, haben sich bei Staatsbesuchen zur Erzeugung feierlich-besinnlicher Atmosphäre oft bewährt, in der Deutschlands Distanz zum damaligen Unrechtsregime und die sittliche Gemeinsamkeit zwischen heutigen Deutschen und den Nachfahren ihrer früheren Opfer vorteilhaft unterstrichen wird.

Obwohl Veranstaltungen wie diese ihrer eher ideellen Natur nach gar nicht zusammenpassen mit schäbigen Forderungen, die sich auf damals erlittene materielle oder immaterielle Schäden berufen und dafür heute noch Ausgleich in Geld verlangen, scheuen sich die Griechen aber peinlicherweise nicht, eben diese Verknüpfung vorzunehmen: Sie vergleichen tatsächlich die von ihnen geforderten Pflichten zur Krisenbewältigung mit angeblichen Entschädigungspflichten Deutschlands, die sich aus dem Zweiten Weltkrieg ergeben (Deutsche Welle, 7.3.2014), und finden, dass beide Seiten ihren Obliegenheiten nachkommen müssten, nicht nur die Griechen.

Da kommen sie aber bei Gauck an den Falschen: Der muss ihnen erstens mitteilen, dass er für solch profane Angelegenheiten von Amts wegen unzuständig ist, dass darüber hinaus der Instanzenweg in der Sache längst ausgeschöpft ist und die Ansprüche abgeschmettert sind; dass er sich aber auch in Zukunft von nichts und niemandem davon abhalten lassen wird, die Schuld der Nationalsozialisten anzuerkennen und die Opfer mit deutscher Ehrerbietung zu überschütten, und in diesem Fall sogar die Finanzierung eines Zentrums für Erinnerungskultur in Aussicht stellen kann.

Was bleibt von dem Besuch ist, trotz der griechischen Geschmacklosigkeit, am Ende Zufriedenheit mit der Performance des Präsidenten bei dem „heiklen“ Besuch: Gauck hat die schwierige Aufgabe mit der ihm eigenen Würde und menschlichen Zuwendung, die seine Schuld- und Schamgefühle als echt bezeugen, bewältigt. (FR, 8.3.2014) Das ist dann doch ein wenig übertrieben. So schwer kann die Aufgabe nun auch wieder nicht sein, wenn einem Würdenträger von seiner angemessen begeisterten Öffentlichkeit bereitwillig bestätigt wird, er habe es hinbekommen, mit einer Heuchelei eine andere glaubhaft zu machen. Das kann doch wirklich jeder Präsident.

Gaucks Reisen II

Seine nächste Reise führt Gauck, den reisenden Demokratielehrer (Gauck), Ende April wieder Richtung Südosten und wieder auf heikles Terrain – in beiderlei Hinsicht noch mehr als die vorherige: in die Türkei. Die ist zwar ein traditioneller und großer NATO-Bündnisstaat. Gleichwohl lässt ihr derzeitiger Machthaber, was sein Auftreten nach außen und sein Staatsprogramm nach innen angeht, nach einhelliger Meinung aller deutschen Parteien in vielerlei Hinsicht zu wünschen übrig – im Prinzip seit seinem Amtsantritt und in letzter Zeit immer mehr: Der Mann nimmt sich ganz entschieden viel zu wichtig; was schlimmer ist: er nimmt seine Nation viel wichtiger, als Deutschland und die EU es ihr zubilligen; und was das Schlimmste ist: Der Mann hat einigen Erfolg, die Nation auch. Genau das richtige Reiseziel für Gauck, der wieder einmal vorführen darf, wie gut er sich auf Kritik im Geiste der Völkerfreundschaft versteht.

1.

Dafür macht er bei seinen diversen Abstechern und Zwischenstopps in der Türkei das, was er immer macht: Er redet pausenlos über sich als Menschen. Als solcher ist er von allem menschlich zutiefst betroffen, bildet sich immer neu ein individuelles Urteil und lässt sich in beidem von seiner ganz persönlichen Lebenserfahrung inspirieren.

Das ist einerseits abgrundtief verlogen; Bedeutung und entsprechende mediale Aufmerksamkeit bekommt er mit allem, was er wozu auch immer zu vermelden hat, ja ausschließlich darum, weil er eben das Gegenteil des einfachen Menschen und Bürgers ist, den er immerzu herauskehrt. Er ist und jeder kennt ihn überhaupt nur als Inhaber des höchsten deutschen Staatsamtes, das seinerseits keinen anderen Inhalt hat, als den Inhaber zum lebenden Symbol der deutschen Republik, ihrer Erfolge und gerechten Ansprüche zu machen.

Zielstrebig ist das aber auch; jedenfalls sorgt Gauck auf diese Weise für eine doppelte Verwandlung, auf die es ihm offenbar sehr ankommt: Erstens transponiert er damit schlicht alles, was er thematisiert – ökonomische Affairen in und zwischen Staaten ebenso wie politische samt den allfälligen Übergängen zur Gewalt – auf die Ebene des Menschlich-Moralischen. Und zweitens macht er sich selbst als anerkannter Ehrenmann und mit seiner höchstpersönlichen Lebensgeschichte, die ihm ja wirklich niemand absprechen kann, zum leibhaftigen Beweis für die unbedingte Glaubwürdigkeit und damit die Stichhaltigkeit und objektive Gültigkeit der fälligen moralischen Urteile, die allein deswegen Gewicht haben, weil er sie als Präsident der Bundesrepublik Deutschland von sich gibt.

Für seinen Türkeitrip hat vorher festgestanden, dass diese moralischen Urteile auf jeden Fall auf eine ebenso heftige wie unanfechtbare Verurteilung der türkischen Regierung hinauslaufen würden.

2.

Die bereitet Gauck langsam, aber zielsicher damit vor, dass er von seiner bescheiden mitmenschlichen und gerade darum so hoch über allen Niederungen der wirklichen Verhältnisse in und zwischen der Türkei und Deutschland schwebenden Warte aus in der Türkei nicht nur Schatten und in Deutschland nicht nur Licht sieht:

„In Deutschland verstehen wir das Interesse der Türkei am Wohlergehen der Familien mit türkischen Wurzeln in Deutschland. Wir verstehen insbesondere das Interesse an dem Prozess gegen eine Angehörige des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds… Wir verstehen das Erschrecken über den fremdenfeindlichen, den rassistischen Hass, auch darüber, dass die Täter so lange unentdeckt blieben.“

Geschickt, so beurteilt die intellektuelle FAZ diese ebenso freche wie fadenscheinige Anbiederei, spricht Gauck sein türkisches Publikum einfach als eines an, das auf nichts so sehnlich wartet wie einen offiziellen deutschen Bescheid darüber, dass sein Erschrecken über die in Deutschland grassierende, des öfteren tödliche Ausländerfeindschaft ganz echt und voll krass zu verstehen ist. Den mörderischen deutschen Patriotismus verwandelt Gauck damit in eine moralische Schuldfrage – und erledigt diese im selben Atemzug. Denn indem er gleichsam als moralischer Buchhalter in eigener Sache seiner Nation diese Schuld ohne Abzüge aufs nationale Sündenkonto verbucht, ist sie nach den Regeln des von Gauck personifizierten moralischen Rechnungswesens jedem anderen als Schuldtitel gegen Deutschland entzogen; in der ideellen Verbrüderung mit den Opfern ist die Tat gesühnt.

Diese Form von geschickt beherrscht Gauck auch in umgekehrter Richtung:

„Bevor ich hier zu Ihnen in die Hauptstadt kam, konnte ich mich an der Grenze zu Syrien von den großen Anstrengungen überzeugen, die Ihr Land zur Unterbringung syrischer Flüchtlinge unternimmt… Sie versorgt die Gestrandeten in den Flüchtlingslagern mit Lebensmitteln, baut Schulräume für Kinder und garantiert medizinische Betreuung für Kranke. Sogar für jene halbe Million Vertriebene, die ihr Leben selbst in die Hand genommen haben und nicht in Lagern leben, bietet die Regierung kostenlose medizinische Versorgung… Eine Solidarität dieses Ausmaßes ist keineswegs selbstverständlich. Mein ausdrücklicher Dank dafür gilt der Regierung ebenso wie der Gesellschaft... angesichts der enormen Anstrengungen, die Länder wie die Türkei ... unternehmen, müssen wir uns fragen, ob wir all das tun, was möglich wäre.“

Der Glaubwürdigkeit seines Selbstbildes als über allem flatternde Moralwachtel ist er es schuldig, der Türkei ein paar Pluspunkte zu gönnen. Zu diesem Zweck beweist er, dass er nicht nur den ideellen Gesamtbetroffenen deutschen Türkenhasses, sondern genauso lässig auch den ideellen Gesamtflüchtling aus einem Bürgerkrieg geben kann. Als solcher bedankt er sich im Namen der wirklichen Flüchtlinge für die Hilfe, die ihnen die Türkei zukommen lässt. Aus dieser Perspektive der Betroffenheit betrachtet bleibt – wie praktisch! – von der massiven finanziellen, politischen und militärischen Beteiligung der Türkei an dem syrischen Gemetzel nur noch die Betreuung von größeren Teilen des menschlichen Elends, das dieser Krieg ausspuckt; zugleich verwandelt sich diese Betreuung aus dem, was sie wirklich ist – ein bisschen nützliche, vor allem aber lästige Nebenfront für den türkischen Staat – in die Erfüllung einer menschlichen Anstandspflicht. Und um das Lob für die Türkei, und damit seine Lauterkeit als Gutachter, noch ein wenig heller strahlen zu lassen, kokettiert Gauck en passant auch noch damit, dass z.B. das viel reichere Deutschland sich nur einen Bruchteil dieser Gestalten hereinholen will.

Soll also keiner sagen, Gauck richte seine Nächsten oder sehe den Pfahl im eigenen Auge nicht.

3.

Damit kann er endlich zur Sache kommen.

„Geprägt durch die Erfahrung des Gewinns der Demokratie, beobachte ich mit besonderer Sorge, wenn es irgendwo Tendenzen gibt, den Rechtsstaat und die in vielen Ländern erprobte Gewaltenteilung zu beschränken. So frage ich mich heute und hier, ob die Unabhängigkeit der Justiz noch gesichert ist, wenn die Regierung unliebsame Staatsanwälte und Polizisten in großer Zahl versetzt und sie so daran hindert, Missstände ohne Ansehen der Person aufzudecken. Oder wenn sie danach trachtet, Urteile in ihrem Sinn zu beeinflussen oder umgekehrt ihr unwillkommene Urteile zu umgehen.“ (Gauck-Rede in Ankara, 28.04.14)

In der rhetorischen Form der Frage, auch der besonderen Sorge, kommt Gauck auf den Kern seiner menschenrechtlichen Begutachtung der politischen Verhältnisse in der Türkei und anderswo: Die zeichnen sich nicht etwa dadurch aus, was der Zweck und Inhalt, also das „Was?“ staatlicher Gewaltausübung ist, sondern durch das „Wie?“. Unter diesem Aspekt vermag der menschenrechtliche Blick Gaucks z.B. auch beim – immerhin – Systemwechsel vom Realen Sozialismus der DDR zum freiheitlichen Kapitalismus in der vereinigten BRD ausschließlich den quantitativen Zugewinn an Demokratie zu entdecken – was für ihn kein „nur“, sondern das alles Entscheidende ist. Wie aus dieser Perspektive auch als ein Wesensmerkmal staatlicher Gewalt gelten muss, ob sie geteilt ist oder nicht. Davon hängt nach Gaucks Auffassung alles ab; diese Formalismen sind für ihn keine Formalismen, sondern entscheiden, ob staatliche Herrschaft legitim oder illegitim ist, Zustimmung verdient oder Gehorsam erzwingt.

In diesem Sinne sorgt sich Gauck auch um den Zustand der Meinungsfreiheit in der Türkei:

„Wo die freie Meinungsäußerung eingeschränkt wird, wo Bürger nicht oder nicht ausreichend informiert, nicht gefragt und nicht beteiligt werden, wachsen Unmut, Unerbittlichkeit und letztlich auch die Bereitschaft zur Gewalt.“

Mal abgesehen davon, dass Gauck das Vorhandensein von Meinungsfreiheit allen Ernstes am Ab- oder Anschalten des auch von der deutschen Inteligenzija feuilletonistisch schon mehr als einmal der elektronischen Umweltverschmutzung geziehenen amerikanischen Kürzestbotschaftendienstes Twitter festmacht: Was die Türken einzuwenden haben, wenn sie Einwände erheben; worüber sie denn besser informiert sein sollten, wozu befragt, woran beteiligt: Für all das interessiert sich Gauck nicht. Aber er weiß, was sie davon hätten, wenn sie zu allem nicht nur etwas zu melden hätten, sondern das glatt auch noch dürften: nämlich genau dies – die Beschwerdeerlaubnis. Etwas anderes kann sich Gauck schlicht nicht vorstellen, als dass noch jeder verarmte Anatole, jeder nach Unabhängigkeit strebende Kurde und jeder gegen üble Ausbeutungsbedingungen kämpfende türkische Gewerkschafter die Erlaubnis, das eigene Anliegen vorzutragen für unendlich wichtiger nimmt, als sein Anliegen selbst. Wenn er im Namen der Türken, die er für unterdrückt hält, Herrschaftsmethoden einklagt, denen sie zustimmen können sollten, dann hängt der Bundespräsident an diese Methoden nicht weniger als die Gretchenfrage, ob die Herrschaft überhaupt einen Gegensatz zum Volk austrägt oder mit ihm gänzlich einig ist. Womit er bei der interessanten Kehrseite und dem tieferen Sinn der angemahnten Freiheitsrechte angelangt ist.

In der Lizenz zur Kritik die Zustimmung zum Lizenzgeber zu sichern – darin ist gemäß Gauckscher „Lebenserfahrung“ die Demokratie mit ihren Verfahren so konkurrenzlos „erprobt“. Er spricht zwar mit seinem Raunen von „Unmut, Unerbittlichkeit und letztlich auch Bereitschaft zur Gewalt“ selber noch aus, dass seine Methodenlehre nur darum so brisant ist, weil staatliche Herrschaft immer einen Gegensatz zu den Beherrschten darstellt – sonst wäre die Frage, wie sie sich die Zustimmung von unten sichert, schlicht hinfällig. Aber er will es genau umgekehrt verstehen und verstanden wissen: Nur einer demokratischen Herrschaft gelingt es, als große Lizenzgeberin aufzutreten und dabei noch nicht einmal für ihre wirklichen Zwecke und Programme um Zustimmung werben zu müssen, sondern jenseits davon – eben mit Verweis auf das Lizensieren – Einigkeit darüber zu unterstellen und zu evozieren, dass sie einfach unbedingt zustimmungswürdig ist.

Genau das vermisst Gauck so schmerzlich an der türkischen Politik. Dass Erdogan einen Kampf gegen innere und äußere Feinde glaubt führen zu müssen: Das lässt er einfach unter den Tisch fallen. Warum und gegen welche Widrigkeiten oder Gegner die türkische Führung ihr Programm immer mehr auf einen Machtkampf auch und gerade um die diversen Instanzen des – dann doch offenbar ziemlich geteilten – Staatsapparates zuspitzt: dito. Er weiß als Bürger nur, dass alle Menschen zufrieden sind, wenn, also auch einfordern, dass ihr Staat ihnen weniger als Gebieter, sondern mehr als Gewährer gegenübertritt. Und weil dann nach Gaucks menschenrechtsgelehrter Auffassung die Leute gar nicht anders können, als ihrer Herrschaft zuzuprosten, traut er es sich auch, seine gegen Erdogan gerichtete Einmischung in den laufenden Machtkampf als gut gemeinten Ratschlag an ihn zwecks Beendigung der Auseinandersetzungen im allseitigen Interesse vorzutragen.

Ganz nebenbei demonstriert Gauck so eine Gewaltenteilung eigener Art: Während sich die exekutive Abteilung der deutschen Macht, Unterabteilung Imperialismus, um ihre Anliegen in und an der Türkei kümmert, übernimmt die Abteilung Gauck die Aufgabe, dem türkischen Machthaber die deutsche Unzufriedenheit mit ihm als Sorge um ein gelingendes Miteinander von Oben und Unten in der Türkei anzudienen.

P.S. Erdogan hat diesen Auftritt Gaucks gehässig kommentiert: Der deutsche Staatspräsident denkt wohl, er sei immer noch ein Pastor. Das muss man ihm lassen: Über den Geisteszustand seines Besuchers weiß er Bescheid.

Gaucks Reisen III

Kurz darauf besucht Gauck die tschechische Hauptstadt Prag …