Mazedonien – das allerletzte Gefecht im Zuge der endgültigen Zivilisierung des Balkan?
Die ethnische Zerlegung Jugoslawiens geht weiter – Europa testet seine Ordnungsmacht-Qualitäten

Während sich die Befreiungskrieger von der UCK und die mazedonischen Streitkräfte weiterhin bekämpfen, gibt die EU Anfang August bekannt, dass die slawischen und albanischen Parteien in Mazedonien endlich ein „Friedensabkommen“ unterschreiben wollen. Am vorgesehenen Datum erscheinen die Chefs der EU, Nato und OSZE zur feierlichen Unterzeichnung des Friedensvertrags; aus Respekt legen die Kriegsparteien sogar eine mehrstündige Kampfpause ein, bevor „die Gefechte weiter gehen“.

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Mazedonien – das allerletzte Gefecht im Zuge der endgültigen Zivilisierung des Balkan?
Die ethnische Zerlegung Jugoslawiens geht weiter – Europa testet seine Ordnungsmacht-Qualitäten

Während sich die Befreiungskrieger von der UÇK und die mazedonischen Streitkräfte weiterhin bekämpfen, gibt die EU Anfang August bekannt, dass die slawischen und albanischen Parteien in Mazedonien endlich ein „Friedensabkommen“ unterschreiben wollen. Am vorgesehenen Datum erscheinen die Chefs der EU, NATO und OSZE zur feierlichen Unterzeichnung des Friedensvertrags; aus Respekt legen die Kriegsparteien sogar eine mehrstündige Kampfpause ein, bevor „die Gefechte weiter gehen“.

Das Objekt der Ordnungsstiftung

Die neue Runde gewaltsamer Konfrontation auf dem Balkan bietet eine neuartige Konstellation. Die albanische Befreiungsbewegung UÇK, ehedem Schutzobjekt und Kriegspartner der NATO gegen den angeblichen Urheber alles Bösen, eröffnet einen neuen Kriegsschauplatz in der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien. Das Ziel-Objekt der Subversion ist ein „bislang erstaunlich stabiler“ Staat, der seinerseits ein logistisch wichtiger Stützpunkt und zuverlässiger Bündnispartner der „internationalen Gemeinschaft“ war und ist: für die Bomben-„Luftkampagne“ der Nato, für die Besetzung des Kosovo und als „Stabilitätsfaktor in der Region“. Und ein solcher soll Mazedonien nach dem Willen der Stabilitätsstifter auch bleiben. Der Export des albanischen Freiheitskampfes in dieses befreundete Land ist also nicht bestellt, unerwünscht und – im Drehbuch der EU überhaupt nicht vorgesehen. Für die Minister Fischer, Scharping und die anderen Anwälte der Entrechteten sind alle Gründe des Unfriedens mit der militärischen wie politischen Kapitulation des „Milošević-Regimes“ erklärtermaßen erledigt, so dass der „Stabilitätspakt“ für den Balkan seine segensreiche Wirkung voll entfalten kann: die Versöhnung der Völker und Staaten im Zeichen ihrer gemeinsamen Zukunft – als Pflegekinder des Erfolgsmodells namens Europäische Union, deren Reichtum und Macht unaufhaltsam den gesamten Kontinent zivilisiert.

Die praktische Durchkreuzung der offiziell ausgegebenen Pazifizierungs-Strategie durch die provokativen – und genau so gemeinten – Attacken einiger UÇK-Brigaden in Mazedonien wird in den Brüsseler Hauptquartieren der EU und NATO durchaus verstanden. Nämlich als Angriff des albanischen Nationalismus auf die Souveränität und territoriale Integrität des mazedonischen Staates, der – wie zuvor der serbisch-jugoslawische – als ethnische Fremdherrschaft zum Zwecke der Unterdrückung von Albanern wahrgenommen und entsprechend angefeindet wird. Die EU, die ja schon seit ihrer folgenreichen Diagnose von der Unhaltbarkeit des jugoslawischen Vielvölkerstaats in der Pose eines natürlichen Stabilitätsbringers für den Balkan antritt und so ihr Vor-Recht über und ihre Zuständigkeit für diese schließlich „europäische Krisenregion“ anmeldet, fühlt sich prompt herausgefordert, und zwar in doppeltem Sinne. Sie sieht in der Eröffnung einer neuerlichen Bürgerkriegsfront einerseits eine Gefahr für die im Prinzip doch als gelungen verbuchte Befriedungsmission, andererseits eine Gelegenheit, ihre genuin europäischen Fähigkeiten als designierte Ordnungsmacht zu beweisen. Die Zeiten, als die NATO und damit vor allem die USA den militärischen Part des „Friedensprozesses“ gegen den jugoslawischen Störenfried in die Hand genommen haben, sind schließlich vorbei, eine „Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP)“ ist auf den Weg gebracht, und dementsprechend soll auch die inferiore Rolle abgestreift sein, auf welche die europäischen Ordnungsstifter sich degradiert sahen. Die Europäer haben mit der Zustimmung der westlichen Führungsmacht die Aufgabe der politischen Umsetzung des militärischen Sieges übernommen; die ist erreicht, wenn all die staatlichen Spaltprodukte Jugoslawiens sowie deren gegeneinander aufgebrachte Volksgruppen den Weisungen der überlegenen und deshalb weisungsbefugten Mächte folgen. Der Fall Mazedonien wird zur ersten Chefmission der EU – und die soll den Balkanfrieden endgültig verbürgen und so aus dem „Pulverfass“, das jahrzehntelang keines war, einen gesicherten Besitzstand machen. Dieser weltpolitisch dimensionierte Anspruch bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als dass die lokalen Kriegsparteien mit ihren aufeinander prallenden Interessen das Material abgeben – für die Bewährungsprobe eines weltmächtigen Imperialismus in Gründung und damit für ein Kräftemessen höherer Art.

Imperialismus zum Nulltarif (I): Angebote überflüssig, eine ökonomische Anschluss-Perspektive muss reichen!

Seit dem Ende des NATO-Krieges gegen „Restjugoslawien“ baut die EU erklärtermaßen vor allem auf die Überzeugungskraft der in Anschlag gebrachten ökonomischen Erpressungsversuche. Mit denen soll die Einsicht der Widerspenstigen befördert werden, dass die Aufgabe der missbilligten politischen Ziele kein Schaden, sondern ein Sachzwang, und zwar ein nützlicher, ist. Der Verweis auf die wirtschaftliche Misere der Region überzeugt zwar durch seinen Zynismus, sorgt aber auch nicht automatisch für das Wohlverhalten ihrer Insassen. Natürlich macht die Zerstörung aller wirtschaftlichen Grundlagen durch die vom Westen tatkräftig geförderte kriegerische Zerlegung Jugoslawiens anfällig für den Bedarf an auswärtiger „Aufbauhilfe“. Das heißt aber noch lange nicht, dass sie die neuen staatlichen „Entitäten“ und deren stammesmäßig sortiertes Menschenmaterial ganz von selbst dazu zwingt, bedingungslos auf diejenigen Nationen zu hören, welche allein ihnen eine diesbezügliche Perspektive zu bieten hätten: die Staaten der EU. Herr Hombach, der Oberverwalter des „Stabilitätspakts“, mag zwar Recht haben, wenn er optimistisch beschwört, dass von ethnischer Nahrung allein auf die Dauer kein Mensch, kein Volk und auch kein Staat leben kann; umgekehrt stimmt aber auch, dass Nationalisten ihr erstes Lebensmittel in einem Staat sehen, der „ihrer“ ist. Anders gesagt: Wirtschaftliche Kalkulationen sind für jeden Nationalisten zweitrangig, solange das nationale Subjekt der wirtschaftlichen Entwicklung selbst bedroht ist (wie im Fall Mazedonien) oder sich überhaupt noch in der Phase gewaltsamer Gründung wähnt (wie im Fall der Albaner-Guerilla). Zweitens sind die Verheißungen des „Stabilitätspakts“ und feierliche Assoziationsabkommen mit Staaten wie Mazedonien alles andere als ein wirklich überzeugendes Angebot. Was voran kommt in den Ländern des Balkan, ist die Destruktion der Reste der ehemals staatswirtschaftlich betriebenen Produktion; eine Basis für eine konkurrenzfähige Marktwirtschaft gibt es zweimal nicht; und an den Aufbau neuer ökonomischer Grundlagen in diesen Ländern denken die auswärtigen Herren über die neue Elendsregion „mitten in Europa“ dreimal nicht – dazu reicht die Ausbesserung von Transitstraßen und die Erneuerung zerbombter Brücken sowie eine pro-albanische Stiftungsuniversität nämlich nicht! Die mit Gönnermiene zugesagten Gelder kommen entweder erst gar nicht in die Hände der Regierungen, die doch jetzt alle „unsere Partner“ sind, weil sie – wie jüngst im Falle Serbiens – mit überfälligen Zinszahlungen verrechnet und an deutsche Banken überwiesen werden. Oder sie werden nicht freigegeben, so dass der mazedonische Präsident gegenüber dem Stabilitätspakt-Chef nur auf die Folgen verweisen kann: Für die Stabilität seines Staates sei ein Bürokrat aus Brüssel, der Hilfszusagen verschleppe, gefährlicher als ein Terrorist mit der Kalaschnikow in den Bergen. (Hombach, SZ, 17.7.) Zu offenkundig also, dass besagte Hilfsangebote lediglich als Bestechungsanreiz gedacht sind, um eine materiell unbegründete „Hoffnungsperspektive“ am Leben zu halten, und ansonsten als pures Disziplinierungsinstrument kalkuliert sind. Weshalb undankbaren Forderungen aus Skopje, Belgrad und anderswo auch prompt die ehrliche Abfuhr erteilt wird, dass sie sich ihre bessere Zukunft schon selber erarbeiten und verdienen müssen – nachdem sie „uns“ schon genug an Kriegs- und Reisekosten beschert haben. Noch das dümmste der wilden Balkanvölker ist daher inzwischen in der Lage, zwischen den Versprechungen der EU auf großzügige materielle Entwicklungshilfe und Anschluss an den erfolgsverwöhnten Euro-Kapitalismus einerseits und den wirklichen Leistungen der Anwälte einer „friedlichen und wohlhabenden“ Balkan-Region zu unterscheiden! In jedem Fall aber haben die politischen Repräsentanten dieser Völker eine andere Priorität, als auf einen EU-gesponsorten Aufschwung zu warten. Deshalb erfüllen sie auch die Vorgaben des Stabilitätspakts nicht, zumindest nicht zur Zufriedenheit der edlen Wohlstandsspender, sondern fordern sie in ihrer Eigenschaft als Oberaufpasser noch ganz anders heraus.

Imperialismus zum Nulltarif (II): Die gebotene Unterwerfung muss freiwillig sein!

Da treten die albanischen Guerillakommandos an, um – nach der gelungenen „Befreiung des Kosovo“ mit Hilfe der NATO-Schutzmacht – auch in Mazedonien das Recht auf völkische Selbstbestimmung einzufordern. Die mazedonische Regierung sieht – durchaus zu Recht – ihren Staat bedroht und fordert die Unterstützung der NATO gegen den Terror der UÇK, die den Kosovo als logistische Basis benutzt. Doch sie bekommt nicht einmal ihre Definition anerkannt, dass es sich bei den „albanischen Rebellen“ um Terroristen handelt, gegen die der Staat bedingungslos im Recht ist. Die Europäische Union macht sich vielmehr auf, um beiden Seiten ein Friedensdiktat zu überbringen. Sie verbietet den Einen wie den Anderen „Gewalt als Mittel zur Lösung des Konflikts“, setzt sich damit über die Unvereinbarkeit der als sich ausschließende Rechte geltend gemachten Interessen hinweg, fordert dagegen den Willen zur friedlichen Koexistenz, den die UÇK gerade aufgekündigt hat, und – erklärt gleichzeitig mit Nachdruck, dass eine Durchsetzung des Zwangsdiktats gegen den Willen der Betroffenen nicht vorgesehen ist. Weder wird die mazedonische Staatsführung ermächtigt zur Verteidigung ihres Gewaltmonopols, geschweige denn dazu in Stand gesetzt; noch wird die UÇK aufgerüstet, ins Recht gesetzt wie seinerzeit gegen den „serbischen Diktator“ und zur Entmachtung des slawischen Unrechtsstaats aufgerufen; und schon gar nicht kommt ein Einmarsch zwecks eigener Übernahme der politischen Herrschaft in Frage. Die EU-Vorsteher wollen sich die Albaner nicht zum Feind machen, zumal ihre KFOR-Schutztruppen noch im Kosovo die Wacht halten; und sie wollen den im Prinzip willfährigen mazedonischen Staat nicht verlieren. Deshalb sollen sich beide Seiten eines Besseren belehren lassen und sich das Friedensgebot der Europäer zu Herzen nehmen. Die EU setzt auf eine Diplomatie der Schlichtung. Diese enthält automatisch eine Parteinahme für eine Seite, nämlich die des Unruhestifters, der somit belohnt und ermuntert wird: Die Terror-Aktionen der UÇK werden zwar verurteilt, die terroristisch artikulierte nationalistische Unzufriedenheit wird jedoch zu einer im Prinzip anzuerkennenden Rechtsposition aufgewertet. Umgekehrt wird die Souveränität und territoriale Einheit des mazedonischen Staats zwar im Grundsatz bestätigt, sein Selbstbehauptungsinteresse aber de facto zu dem einer Konfliktpartei herabgesetzt und damit relativiert. Er wird auf eine „politische Lösung“, also auf Zugeständnisse an diejenigen verpflichtet, welche die herrschende Staatsräson zerstören wollen. So soll in sattsam bewährter Manier eine völkisch motivierte Konfrontation ausgerechnet dadurch entschärft und in ein harmonisches Multi-Kulti verwandelt werden, dass die eingeforderten, ihrer Natur nach auf Abgrenzung bedachten ethnischen Rechte ein Stück weit befördert und institutionalisiert werden. Auf dass sich der renitente Nationalismus mit den erreichten Statusverbesserungen zufrieden gebe, seine Selbstbestimmungsparolen und großalbanischen Träume vergesse und sich umso unbedingter dem von ESVP-Chef Solana verordneten Koexistenz-Modell beuge.[1]

Tatsächlich hat die diplomatische Nötigungsstrategie der EU handfeste Wirkungen auf die Subjekte der lokalen Konfrontation, und damit auf deren Verlaufsform. Beide sind sich schließlich der beschränkten Reichweite ihrer Gewaltmittel bewusst – und sinnen deshalb darauf, die Intervention der Aufsichtsmächte für die Durchsetzung ihrer Anliegen nützlich zu machen. Die Freiheit zu solchen Berechnungen wird ihnen gerade dadurch eröffnet, dass EU und NATO keinen Zweifel daran lassen, dass sie eine militärische Erzwingung der geforderten Unterordnung vermeiden wollen. Die UÇK sieht darin einen großartigen Freiraum,[2] nämlich die Chance, durch systematische Unruhestiftung und die Gewinnung von Stützpunkten im „albanischen“ Nordwesten des Landes erstens das Gewaltmonopol des mazedonischen Staates praktisch zu untergraben und zweitens sich auf diese Weise überhaupt erst als eine erfolgreiche Bürgerkriegspartei zu etablieren, deren Ansprüche bei einer „politischen Friedensregelung“ nicht zu übergehen sind. Die mazedonische Regierung wiederum leitet aus ihrer treuen Dienstbarkeit im anti-jugoslawischen Krieg der NATO sowie dem westlichen Bekenntnis zur „Souveränität und territorialen Integrität“ des Landes die Erwartung praktischer Unterstützung im Kampf gegen den albanischen Extremismus ab. Da diese Hoffnung bitter enttäuscht wird,[3] sie vielmehr umgekehrt zur stärkeren Berücksichtigung der „Rechte der albanischen Minderheit“ genötigt wird, schickt sie einerseits ihre „schlecht ausgerüstete Armee“ zu militärischen Offensiven gegen die UÇK los. Andererseits aber lässt sie sich dabei auch immer wieder von den Vermittlern aus Brüssel bremsen, die einen Waffenstillstand fordern, in der Berechnung, dass das eigene Wohlverhalten am Ende doch mit einer NATO-verbürgten Eliminierung des militanten albanischen Separatismus belohnt wird. Eine militärische Zurückhaltung und politische Konzessionsbereitschaft, welche die UÇK wiederum zu Geländegewinnen und zur Erringung einer weitgehenden Kontrolle über „ihre“ völkischen Bastionen nutzt. So beflügelt die EU-Politik der diplomatischen Zwangsschlichtung den albanischen Separatismus und heizt damit – ganz nach dem Muster ihrer 10-jährigen Balkanpolitik – die laufende Konfrontation an, so dass die ethnische Auseinander-Sortierung samt Säuberung und Vertreibung, die Polarisierung und militärische Eskalation und damit die Destabilisierung eines ehedem stabilen Staates voran kommt, vor welcher die Ordnungshüter der EU vor allem auch sich selbst immer gewarnt haben.

Das behagt den Brüsseler Konfliktmanagern zwar überhaupt nicht, bestätigt sie aber nur in ihrem Standpunkt, die Parteien müssten – jetzt eben umso dringlicher – zur Vernunft kommen, also auf sie hören. Eine „robuste“ NATO-Aktion, die einen Kampfeinsatz oder ein echtes Besatzungsregime über eine feindlich gesonnene Bevölkerung einschließt, ist ihr die Domestizierung des Balkan nicht wert bzw. zu riskant – was auf dasselbe hinausläuft. Sie will das gewünschte Ergebnis zum Nulltarif, also mit einem Minimum an Aufwand, und übersetzt dieses ihr Ideal einfach in eine Lagebeurteilung, derzufolge den aufständischen wie den regierenden Akteuren ohnehin „keine Alternative“ bleibt, als sich dem Oktroy zu fügen. Kongenial zu diesem Standpunkt wird ein NATO-Einsatz konzipiert, wie ihn die Geschichte noch nicht gesehen hat: Die mächtigste Kriegsmaschinerie der Welt stellt 3500 Mann ab, die binnen 30 Tagen die Waffen der UÇK einsammeln, nach einer „politischen Lösung“ und nachdem die „Rebellen“ ihr Einverständnis gemeldet haben. Dieser (vielleicht in einem Anflug von Selbstironie „essentielle Ernte“ genannte) Einsatz ist in der Tat absurd[4]: Er ist auf ein Szenario zugeschnitten, welches einerseits den Versöhnungswillen der verfeindeten Kräfte unterstellt, andererseits aber auch so ziemlich das Gegenteil – dass nämlich nur die NATO diesem Willen ein Stück Haltbarkeit verleihen kann, was wiederum in Form einer Altmetall-Entsorgung passieren soll.

Darauf lassen sich die Konfliktparteien in Mazedonien sogar ein, allerdings nicht, weil sie ‚ohnehin‘ zu einer friedlich-schiedlichen Einigung keine Alternative sehen. Wie die Feindseligkeiten auf dem Schlachtfeld demonstrieren, „sehen“ die Staatsfanatiker vor Ort überhaupt nichts „ein“, außer dass es darum geht, Positionen zu gewinnen und die Kräfteverhältnisse zu ihren Gunsten zu ändern. Und wenn beide Seiten eine Aktion der NATO „wünschen“ oder gar „fordern“, dann aus haargenau entgegengesetzten Gründen: um den militanten Separatismus auszuschalten, die einen; um die Rechte der albanischen Nation vor dem Zugriff der Staatsautorität zu schützen, die anderen.[5] Als ohnmächtig begreifen sie sich nicht, weil und solange sie es nicht sind. Die dem Westen fraglos zur Verfügung stehende militärische Überlegenheit alleine ist keine hinreichende Abschreckung, wenn sie nicht eingesetzt werden soll.

Das paradoxe, aber passende Resultat, dass sich bei dieser Sorte Ordnungspolitik einstellt, ist das Nebeneinander von Kriegsgemetzeln, Hass und Elend einerseits und einem „politischen Friedensprozess“ andererseits, der unbeeindruckt von der fortbestehenden Feindschaft immer wieder seine „wichtigen Erfolge“ feiert. Der Zusammenhang zwischen beiden Abteilungen, den Solana und Co. herstellen, ist ein pures Verdrehungskunststück in diplomatischer Absicht, das nur davon zeugt, wie sie’s gern hätten: Die real existierenden Kriegshandlungen sollen den Krieg führenden Akteuren schlagend die Aussichtslosigkeit einer „militärischen Lösung“ beweisen und damit letztlich der Einsicht in die Notwendigkeit eines echten Friedens weichen. An Hartnäckigkeit in der Verfolgung ihres Standpunktes mangelt es der EU also nicht: Ausgerechnet das Scheitern ihres Versöhnungsbefehls wird als Argument für seine erfolgreiche Umsetzung produktiv gemacht!

EU-Zuständigkeit unter dem Vorbehalt amerikanischer Kontrolle

Das vom deutschen Bundeskanzler nach der Unterschrift unter das Friedenspapier präsentierte Selbstlob, hier liege „in erster Linie ein Erfolg der EU“ vor, kündet von der europäischen Absicht, die Mazedonien-Veranstaltung zu einem weltpolitischen Fähigkeitsbeweis der Europäischen Union zu machen. Auch wenn der Mann die gedachte Fortsetzung „und nicht ein Erfolg der USA“ tunlichst nicht ausspricht, lässt die Betonung keinen Zweifel offen. Dass es sich um eine von den Amerikanern konzedierte diplomatische Führungsrolle handelt, stört die Führer der Europäischen Union nicht – jedenfalls solange nicht, wie sie sie „erfolgreich“ ausüben.[6] Die Chance hierzu wiederum steht und fällt damit, dass die politische Durchsetzung des Friedensdiktats nicht auf die Anwendung kriegerischer Mittel ‚zurückfällt‘. Denn die Staaten der EU, welche sich das natürliche Kommando-Recht über den Balkan anmaßen, verfügen zwar in der NATO über die nötige militärische Erzwingungsmacht, sind aber selbst gar nicht das Subjekt, welches maßgeblich über den Zweck und die Art und Weise ihres Einsatzes bestimmt. Das tut die Bündnisvormacht mit Sitz in Washington; und wie sie das tut, hat ihre Verbündeten beim Bombenkrieg gegen „Milosevic“ ja so „leiden“ lassen. Es ist also nicht zuletzt der Konkurrenzstandpunkt gegenüber den USA, der die Europäer so entschieden auf das Instrument der Diplomatie setzen lässt.[7] So ergibt und erklärt sich die paradoxe Situation, dass sie und ihre Emissäre die NATO als Rückversicherung und letztes Mittel gegen die „nationalistische Unbelehrbarkeit“ brauchen, von ihrer massiven Präsenz in der Region zehren und doch noch nicht einmal mit einem „robusten Einsatz“ in Mazedonien drohen – eben weil sie ihn vermeiden wollen. Sie wollen ihn erstens vermeiden, weil sie ihn ohne die Amerikaner für zu riskant befinden: So ist das Schlimmste, was die EU seit Amtsantritt der Regierung Bush befürchtet, ein Rückzug der US-Soldaten aus dem Balkan. Und zweitens, weil sie einen Kampfeinsatz mit den Amerikanern unvermeidlich zum neuerlichen Schwächebeweis Europas geraten sehen. So oder so, die Wahrheit solchen Kalkulierens ist schlicht: Die EU tritt den Staaten des Balkan mit dem kategorischen Anspruch gegenüber, sie hätten sich ihrer Kommando-Macht bedingungslos zu fügen, wohl wissend, dass ihre eigenen Gewaltpotenzen nicht hinreichen, für die Einlösung ihres ausgreifenden Ordnungsprogramms gerade zu stehen. Deshalb ist und bleibt die „Glaubwürdigkeit“ der EU-Politik, ihr Ge- oder Misslingen, auch abhängig von den Entscheidungen der Amerikaner. Von dem, was sie tun, wie von dem, was sie unterlassen. Und zwar nicht erst im Kriegsfall.

Die USA lassen an ihrem Standpunkt keinen Zweifel. Sie haben kein Interesse an einer militärischen Intervention in Mazedonien, und schon gleich nicht an einer, bei der sie abermals die Hauptrolle übernehmen. Und sie teilen dies der Welt mit Vorliebe in Form einer moralischen Differenzierung mit: Der dortige „Konflikt“ mit seinen ethnisch motivierten Gemetzeln sei „nicht zu vergleichen“ mit „dem tatsächlichen Genozid im Kosovo“, weshalb man jetzt „versuchen sollte, eine friedliche Lösung des Konflikts zu suchen“.[8] Damit stellt die US-Regierung klar, dass ihr Hauptanliegen mit dem Sieg der von ihr geführten Kriegsallianz gegen den „Völkermörder Milosevic“ erfüllt ist, fürs Erste zumindest. Der Zweck der amerikanischen Einmischung in die Affäre Jugoslawien war und ist in der Tat nicht irgendein „vitales Interesse“ an der Durchsetzung eines wie auch immer gearteten Ordnungsmodells an Stelle des alten Jugoslawien, sondern ein übergeordnetes strategisches Anliegen: Die USA wollen aus gegebenem Anlass auch auf dem Balkan exemplarisch die Hoheit der demokratischen Weltordnungsmacht über jede größere Schießerei und erst recht über jede Staatsgründung und Grenzziehung durchsetzen; sie wollen dabei sich als die oberste europäische Ordnungsmacht bewähren; sie wollen die NATO als Instrument ihrer nach der gelungenen Ausschaltung der „kommunistischen Bedrohung“ nach wie vor unerlässlichen bewaffneten Ordnungspolitik für Europa in Dienst nehmen; und so soll die Unterordnung des auf „Emanzipation“ drängenden Konkurrenten institutionalisiert werden. Für diesen komplexen imperialistischen Zweck war der Luftkrieg gegen Serbien eine gelungene Demonstration, dafür hat man ihn geführt und das ganze Arsenal modernster Luftkriegführung Monate lang ohne Rücksicht auf die Haushaltskasse modernste Bomben werfen lassen. Die mazedonischen „Folgeprobleme“ der ordnungsstiftenden Aufmischung des Balkan sind den USA keinen weiteren militärischen Aufwand wert.

Dass statt ihrer die Europäer allein mit einem groß angelegten militärischen Einsatz – etwa gegen die UÇK oder zur Entmachtung beider Seiten – für eine definitive Unterdrückung des mazedonischen Konfliktherdes sorgen, beantragen die Amerikaner aber auch nicht. Der Grund liegt ebenfalls auf der Hand: An einem transatlantischen Partner, der auf eigene Faust und auf eigene Rechnung Krieg führt, ist ihnen nicht gelegen. Und das wieder aus prinzipiellen Erwägungen: Was die imperialistische Statur der EU betrifft, ist die „einzig verbliebene Weltmacht“ an einer echt selbstbewussten und materiell eigenständigen europäischen Interventionsmacht nicht interessiert. Ein Auftreten, das derartige Ambitionen signalisierte, wäre für die US-Regierung ein unzweifelhaftes Indiz für unlautere Konkurrenzmotive und damit eine „Gefahr für das Bündnis“, sprich: für den von den USA beanspruchten Status einer unbestrittenen Bündnis-Vormacht.

Deshalb kommt den USA der Standpunkt der EU gerade recht, eine „politische Lösung des Konflikts“ ohne militärischen Kraftakt herbeizuführen. Sie billigen genau unter dieser Voraussetzung den europäischen Anspruch auf diplomatische Federführung bei der Abwicklung des unerledigten Rests der Krise im „europäischen Hinterhof“. Oder, was dasselbe ist: Sie weisen den Europäern den Aufgabe zu, die Verantwortung nicht nur für den „Wiederaufbau der Region“, sondern eben auch für die Kontrolle und Befriedung der mazedonischen Streithähne zu übernehmen. Was die EU als Fortschritt ihrer eigen-mächtigen Zuständigkeit begreift und verstanden haben will, verbuchen die Amerikaner als Erfordernis einer „gerechteren Lastenteilung“, also als eine Entlastung, die ihnen in ihrer Eigenschaft als globale Führungsmacht mehr Freiheiten einräumt. Dementsprechend ergeht der Bescheid an die Freunde jenseits des Atlantik:

„Wenn zusätzliche militärische Kräfte benötigt werden, … halte ich es für angemessen, dass die Verbündeten die Führung übernehmen.“ (Wolfowitz, 2.7.)

Worauf der praktische Beschluss folgt, die NATO-Waffensammelaktion lediglich durch „Logistik, Aufklärung und medizinische Versorgung“ zu unterstützen, ansonsten aber an die Partner zu delegieren.

Das heißt, wie gesagt, überhaupt nicht, dass die USA sich für unzuständig erklären und Europa einfach machen lassen würden. Seit die EU den französischen Ex-Verteidigungsminister Léotard als ständigen Emissär vor Ort stationiert hat, der „den diplomatischen Druck auf die Parteien aufrecht erhalten soll“, da selbige ja nach jeder Abreise des Hohen Repräsentanten Solana sofort wieder tun, was sie wollen, haben die USA ihm einen eigenen ständigen Vermittler zur Seite gestellt. Der ist dazu da, die „Friedensbemühungen der EU“ zu „unterstützen“ und – das Eine ist vom Anderen nicht zu trennen, wie immer, wenn amerikanische Hilfe unterwegs ist – zu kontrollieren.[9] Klar ist jedenfalls, dass die Amerikaner ihre zur Übernahme von „Führung“ ermunterten europäischen Partner zugleich mit dem einer Weltmacht eigenen Argwohn beobachten. Eine Lizenz aus Washington für ein EU-geleitetes Krisenmanagement ist und bleibt verbunden mit einem amerikanischen Vorbehaltsrecht; das gilt erst recht, wenn – wie in diesem Fall – die NATO als sicherheitspolitisches Instrument involviert ist.

Insofern trifft es die Sache ganz gut, wenn die Sicherheitsberaterin des US-Präsidenten die Friedensstifterei in Mazedonien kurzerhand zu einem „Test auf das Funktionieren der ‚Europäischen Sicherheits- und Verteidigungs-Politik (ESVP)‘“ (Rice, SZ, 14.7.) erklärt. Ob die etwas taugt oder nicht – darüber zu befinden ist demnach Sache der USA.[10] Was zur kritischen Überprüfung ansteht, ist auch klar: Ob die in Anschlag gebrachte Methode einer unkriegerischen Friedenserzwingung zum Erfolg führt. Oder, was dasselbe ist, ob die Europäer in der Lage sind, mit Rückendeckung der USA, aber ohne deren materielle Führungsrolle und militärischen Einsatz, einen haltbaren Balkanfrieden herzustellen. In der „ersten europäischen NATO-Aktion“ sollen und müssen die auf Eigenständigkeit und Gewichtszuwachs erpichten Bündnispartner zeigen, was sie überhaupt können.

Die Mazedonien-Etappe der Produktion von Mord und Totschlag, die Balkan-Befriedung genannt wird, ist einstweilen dadurch charakterisiert, dass sich beide Aufsichtsmachtkonkurrenten – wenn auch aus ganz unterschiedlichen Gründen – darin einig sind, dass der vergangene, gegenwärtige und auf absehbare Zeit unverzichtbare militärische Aufwand zur Niederhaltung der mobil gemachten Staatsgründungsprojekte reichen muss. Ob er’s auch tut, daran haben die Friedensschaffer selbst ihre Zweifel.[11]

Das vorläufige Ergebnis der politischen Schlichtungsdiplomatie: Ein NATO-Einsatz ohne militärischen Durchsetzungsauftrag

Nach dem erfolgreich erpressten politischen Abkommen zwischen den mazedonischen und albanischen Parteien geben die NATO-Staaten den Marschbefehl für 3500, später für 4500 Soldaten, obwohl die Lage vor Ort laut eigenem Drehbuch für „essential harvest“ noch nicht reif ist. Die anhaltenden Gefechte zwischen den Konfliktparteien werden als „ausreichend haltbarer Waffenstillstand“ definiert. Die NATO will „jetzt handeln“, da „die Alternative noch schlechter“ wäre: „Der Bürgerkrieg würde eskalieren“ und „der Friedensprozess zerbröselt“ (NATO-Chef Robertson). Auf Deutsch gesagt: Schon wieder gilt es, „ein Blutbad zu verhindern“ (Fischer, in seinem Element) Damit läuft das Experiment eines militärischen Einsatzes, dessen Mandat die Truppe auf eine friedliche Friedensstiftung festlegt. Der für eine Militäraktion außergewöhnliche und für die NATO ausgesprochen untypische Auftrag – die „freiwillige Entwaffnung“ der UÇK, die ihrerseits wiederum die anerkannte Bedingung ist für die Versöhnungsbereitschaft des mazedonischen Staates – hat den Widerspruch an sich, dass seine Umsetzung dem Willen der miteinander verfeindeten Kräfte vor Ort überantwortet wird, von dem die NATO-Mächte sich also abhängig machen. Damit setzt die NATO sich dem Risiko einer ungewollten Verwicklung in Kriegshandlungen ebenso aus wie der Gefahr, dass die Konfliktparteien den politischen Zweck der Aktion ad absurdum führen.

Was die NATO den Parteien vor Ort jedoch deswegen noch lange nicht überlässt, das ist die Definitionshoheit darüber, ob die Entwaffnungsaktion im Besonderen und der weitere Gang des „politischen Friedensprozesses“ im Allgemeinen als Erfolg oder als Misserfolg zu bewerten sind. Das zu entscheiden, behalten sich die Interventionsmächte alle Mal vor. Und wenn sie das Scheitern der Mission feststellen, dann ist automatisch die Drohung in der Welt, das NATO-Mandat zu erweitern und militärisch zuzuschlagen. Für diesen Fall ist auch die bislang strikt vermiedene Entscheidung darüber fällig, wer der Feind ist: der albanische Extremismus, weil er die großzügige Hilfe des Westens missbraucht hat; der mazedonische Staat, weil er dessen berechtigte Anliegen nicht anerkennen will; oder beide. Und auch die Frage, wer für die Wiederherstellung der „Glaubwürdigkeit“ der NATO zu sorgen hat, ist dann wieder akut.

[1] Dafür inszeniert die EU in Ohrid sogar ein kleines „Dayton“, imitiert also jene amerikanische Veranstaltung, in welcher seinerzeit die Führer der verfeindeten Serben, Kroaten und Muslime zur Unterschrift unter das Kunstprodukt einer multiethnischen bosnischen Staatskonstruktion namens Bosnien erpresst wurden. Mit dem kleinen Unterschied zum richtigen Dayton, dass die Amerikaner dort den kriegerischen Hammer – die unvermeidliche Bestrafung der Friedensverweigerer – immer auf dem Verhandlungstisch liegen hatten. Der einzige Tagesordnungsinhalt ist die Zuweisung bzw. Vorenthaltung ethnischer Rechte; in einer anderen Eigenschaft denn als völkische Charaktere kommen die „Bürger Mazedoniens“ gar nicht vor. Die von Solana und Co. umgeschriebene mazedonische Verfassung, welche den Frieden verbürgen soll, bringt den Albanern die teilweise Anerkennung ihrer Sprache als offizielle Amtssprache (um die Behebung von Verständigungsschwierigkeiten geht es dabei nicht, sondern um Sprache als Inbegriff völkischer Identität), eine Sperrminorität in politischen Entscheidungen von ethnischer Bedeutung (womit das Rassekriterium als politischer Gesichtspunkt als selbstverständlich anerkannt ist) und eine proportionelle Beteiligung an den Polizeikräften (was auf die Übernahme der Polizeimacht durch die UÇK in den „albanisierten Gebieten“ des Nordwestens hinauslaufen dürfte). Und das Schönste ist, dass die mazedonische Regierung als Bedingung dafür, dass die NATO dann die Waffen einsammelt, die von der UÇK freiwillig abgegeben werden, eine Amnestie für UÇK-Kämpfer beschließen muss, welche nur für diejenigen nicht gilt, die „sich vor dem Haager Tribunal wegen Kriegsverbrechen verantworten müssen“. So darf die mazedonische Regierung noch offiziell unterschreiben, dass es sich bei den Angriffen auf die mazedonische Staatsgewalt nicht um Terrorismus handelt, sondern um die Taten eines regulären Kriegsgegners.

[2] Das leuchtet den in Kriegskalkulationen bewanderten Strategen der NATO selbstverständlich ein: Solange der Status des Kosovo ungewiss ist und solange wir davor zurückscheuen, gegen die albanischen Extremisten vorzugehen, wird es Anstrengungen geben, die Realität auf dem Schauplatz zu verändern. Die Menschen sehen dies als ihre letzte Gelegenheit an, das zu bekommen, was sie wollen. Was ich nicht weiß, ist, wie weit die Nato gehen möchte, um das zu stoppen, sagte er. Bis jetzt habe ich dabei echte Zweifel. („Ein NATO-Experte“ laut New York Times, 19.3.2001)

[3] Die mazedonische Regierung fühlt sich vom Westen „verraten“, brandmarkt die erpresserischen „Cowboy-Methoden“ der westlichen Diplomatie und beklagt sich öffentlich, dass die NATO sich zum Instrument der albanischen Extremisten habe machen lassen. EU, NATO und OSZE reagieren mit Empörung auf so viel „unwürdige“ Polemik gegen die „auf Einladung Skopjes“ engagierten unermüdlichen Helfer bei der Suche nach einer friedlichen Lösung der schwierigen Lage (Solana-Statement, 19.7.), und sie geben sich sicher, dass die Undankbaren in Skopje schon wieder zur „Vernunft“ kommen. Sie drohen mit einem Stopp der Finanzhilfe und setzen die Ukraine, den „Hauptlieferanten an Militärausstattung“, unter Druck, die anstehende „politische Lösung“ des Konflikts nicht weiter durch Waffenlieferungen zu torpedieren.

[4] Die geplante Operation ruft prompt das Missfallen einiger Oppositionspolitiker und verantwortungsbewusster Journalisten hervor – und was für eins! Sie fürchten um die Glaubwürdigkeit des großartigen Militärbündnisses; darum, dass womöglich NATO-Soldaten wie einstmals UNO-Blauhelme gedemütigt werden; darum, dass am Ende eine echte und ungewollte Verstrickung der NATO in Kampfhandlungen erfolgen könnte. Und sie fordern ein „realistisches“ und „überzeugendes“ Konzept, da den Balkangangstern nur durch Gewalt beizukommen sei. Sie übernehmen also voll den imperialistischen Maßstab der EU und bezweifeln lediglich, dass er zum Nulltarif zu haben ist.

[5] Als der NATO-Generalsekretär den „Konfliktparteien“ den NATO-Einsatzplan mitteilte, übergab der mazedonische Präsident Trajkovski einen Brief an Robertson, in welchem er darauf hinwies, dass ein Einsatz von alliierten Truppen nicht nur wünschenswert, sondern auch notwendig ist. (um die UÇK auszuschalten eben!) Parallel dazu ließen die Guerilleros der UÇK ihm ebenfalls eine Botschaft zukommen, in welcher sie sich für diese Intervention stark machten, das aber vor allem, um eine Art von Protektorat zu schaffen… (um sich also wie im Kosovo mit Hilfe der NATO von der slawischen Fremdherrschaft zu befreien!) (El País, 20.6.01)

[6] Demgemäß beschwört Außenminister Fischer die Notwendigkeit einer deutschen Beteiligung an der NATO-Aktion in Mazedonien damit, dass es sich um eine „europäische Herausforderung“ handele, da die EU bei der Behandlung des Konflikts eine entscheidende Rolle übernommen habe (SZ, 25.8.).

[7] Aus der Not kann man natürlich auch eine Tugend machen. So kommt die unverwechselbare, alternativ-friedliche Ader zustande, die unsere zivile Wahrnehmung weltpolitischer Verantwortung vom amerikanischen Rambo-Imperialismus unterscheidet!

[8] Es ist im Interesse der USA und der NATO, zu versuchen, den Konflikt in Mazedonien friedlich zu lösen. Der Konflikt unterscheidet sich seiner Natur nach sowohl von dem wirklichen Genozid, wie er im Kosovo stattfand, wie auch von der ethnischen Säuberung und Aggression, wie sie in Bosnien stattfand. (Vize-US-Verteidigungsminister Wolfowitz am 2.7.01)

[9] Dies wohl auch hinsichtlich der Behandlung der Albaner. Es soll ja vorkommen, dass die amerikanischen KFOR-Einheiten ihre wohlwollende Behandlung der UÇK so weit treiben, dass verantwortliche EU-Manager hinter vorgehaltener Hand von einer Hintertreibung ihrer Ordnungsbemühungen berichten. Auf alle Fälle meinen es die Amerikaner nach Meinung vieler EU-Politiker zu gut mit den Albanern: Sie sehen in ihnen die treuesten Verbündeten, gewähren ihnen zu viel Bewegungsspielraum an der Grenze zwischen Kosovo und Mazedonien und lassen ihnen die Beschaffung jeder Menge Waffen durchgehen, tauschen mit ihnen militärische Informationen aus und behandeln sie teilweise noch während der kriegerischen Attacken in Mazedonien als Schutzobjekte und legitime Verhandlungspartner. Der Spiegel wittert darin Anzeichen einer anti-europäischen Verschwörung und fragt sich, wozu die Amerikaner im Kosovo eigentlich eine „riesige Militärfestung“ unterhalten, die größer als die größte Air-Base in Deutschland ist: Kommt es ihnen womöglich bloß auf einen dauerhaften strategischen Stützpunkt mitten in unserem Hinterhof an? In solch besorgten Stellungnahmen drückt sich das euro-nationalistische Unbehagen über einen „unzuverlässigen“ Partner aus, der eigene Berechnungen verfolgt – und damit die Gewissheit, dass die Chance der Europäischen Union, sich auf dem Balkan als kommende Ordnungsmacht zu profilieren, unter dem Vorbehalt amerikanischer Duldung steht.

[10] Außerdem kommt schön heraus, worin die Amerikaner den Sinn einer „eigenständigen europäischen Sicherheitspolitik“ sehen: in der eigenständigen Übernahme von Bündnis-Aufgaben minderer Relevanz, die den USA kein eigenes Eingreifen wert sind. Solch ein Verständnis können die Anwälte europäischer Emanzipation natürlich nicht ganz billigen. Aber auch wenn man laut Außenminister Fischer „diese Einschätzung von Frau Rice nicht teilen muss“, legt der Mann Wert darauf, damit „die Bedeutung“ der Mazedonien-Mission zu unterstreichen – nicht um „einfach nur Gefolgschaft zu demonstrieren“, sondern „im europäischen Interesse“, versteht sich. (SZ, 25.8.)

[11] Vor allem natürlich die Amerikaner, bei denen der Übergang zur Kritik am (mangelnden) europäischen Engagement immer lauert: „Die Mischung aus Furcht und völkischen Leidenschaften, die schuld am Ausbruch eines Krieges nach dem anderen in dieser Region ist, nimmt schneller zu als der Wille zum Kompromiss. Und das Versprechen der NATO erweist sich nicht als effektives Druckmittel, da die Truppe nur dann eintrifft, wenn eine Vereinbarung erzielt worden ist. In jedem Stadium des Konfliktes war die grundlegende Annahme des Westens, dass vernünftige Lösungen zur allseitigen Zufriedenheit erreicht werden können, die grundlegende Realität war jedoch, dass nur der Gebrauch von Gewalt eine Entscheidung herbeiführt.“ Die Langzeit-Verheißung einer glorreichen EU-Zukunft bringt’s jedenfalls nicht: Die einzige langfristige, visionäre Idee, die für die Region vorgelegt wurde, besteht darin, dass diese Region letztlich von der Europäischen Union absorbiert wird, doch ist diese Aussicht viel zu entfernt, um Hoffnung oder genügend Anreiz zu bieten, dass jetzt Frieden einkehrt. (International Herald Tribune, 10.8.01) Und der Kommandeur des NATO-Krieges gegen Jugoslawien fordert statt eines „restriktiven Mandats“ der NATO, mit welchem „das Scheitern riskiert“ werde, ein klares militärisches Mandat für Mazedonien – als Lehre aus 10 Jahren Balkanpolitik: Wenn die NATO wirklich will, dass die Demokratie in dieser zerstrittenen Ecke Europas funktioniert, dann müssen die Truppen des Westens so schnell wie möglich dorthin, sich so umfassend wie möglich engagieren und solange wie notwendig bleiben, um den Frieden wiederherzustellen. Alles andere wäre eine Auferweckung der Gespenster der 90-er Jahre, die zu begraben wir soviel getan haben. (Wesley Clark, International Herald Tribune, 18.8.)