Der EuGH schreibt Arbeitszeiterfassung vor
Auskünfte über das herrschende Interesse an der Arbeit

Einen Mittwoch lang beherrscht ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs, das eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung vorschreibt, die Schlagzeilen. Arbeitgebervertreter werden mit ihrer Empörung über eine „Pflicht zur Stechuhr“ zitiert, die als Arbeitszeiterfassung 1.0 einfach nicht in die Arbeitswelt 4.0 passe. Dagegen zeigt sich der DGB erfreut: Das Gericht schiebe der „Flatrate-Arbeit“ und damit dem laufenden „Lohn- und Zeitdiebstahl“ einen Riegel vor.

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Der EuGH schreibt Arbeitszeiterfassung vor
Auskünfte über das herrschende Interesse an der Arbeit

Einen Mittwoch lang beherrscht ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs, das eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung vorschreibt, die Schlagzeilen. Arbeitgebervertreter werden mit ihrer Empörung über eine Pflicht zur Stechuhr zitiert, die als Arbeitszeiterfassung 1.0 einfach nicht in die Arbeitswelt 4.0 passe. Dagegen zeigt sich der DGB erfreut: Das Gericht schiebe der Flatrate-Arbeit und damit dem laufenden Lohn- und Zeitdiebstahl einen Riegel vor. Auch die Kommentatorin der SZ ist voll des Lobes:

„Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs wirkt wie ein Paukenschlag: Arbeit hat Grenzen! Dass Job und Freizeit immer mehr verschwimmen, dass Arbeitnehmer immer mehr das Gefühl haben, stets erreichbar sein zu müssen, ist unzumutbar. Die Mitgliedstaaten der EU müssen nun Arbeitgeber verpflichten, die tatsächliche Arbeitszeit zu erfassen, sagt der Gerichtshof. Er schützt damit die Arbeitnehmer vor ihren Arbeitgebern. Und er schützt sie auch vor sich selbst. Es war höchste Zeit. Die obersten EU-Richter haben ihr Urteil ganz hoch aufgehängt. Sie berufen sich auf die Grundrechtecharta. Sie sagen damit, dass die Einhaltung von Höchstarbeitszeiten und Ruhepausen ein Grundrecht ist, das mit großer Sorgfalt geschützt werden muss. Maximal 48 Stunden Arbeit pro Woche, mindestens elf Stunden Ruhezeit am Stück pro Tag und mindestens einmal in der Woche 24 Stunden Ruhezeit: Nicht weniger als die Achtung der Menschenwürde verlangt es, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich daran halten. Es gibt Grenzen der Entgrenzung.“ (SZ, 15.5.19)

Der guten Nachricht, dass Arbeit nun womöglich wieder Grenzen hat, liegt eine Unterstellung zugrunde, die in der öffentlichen Besprechung gleich als so etwas wie eine selbstverständlich gegebene Sachlage zur Kenntnis genommen wird: Die Unternehmen, denen nun die Pflicht zur Erfassung der tatsächlich abgeleisteten Zeit auferlegt wird, haben einen Bedarf an möglichst viel Arbeit. Woher dieser Bedarf eigentlich kommt, interessiert gar nicht groß. So erinnert zwar die SZ aus gegebenem Anlass daran, dass das so selbstverständlich gar nicht ist – Jahrhundertelang spielte das Thema Arbeitszeit keine Rolle, die Arbeit von Bauern und Handwerkern ist bestimmt vom Tagesanfang und den Jahreszeiten –, und führt aus, dass erst im Zuge der Industrialisierung alle überkommenen Bestimmungsgründe der Arbeitszeit hinter das Interesse an möglichst viel davon zurücktreten, sodass diese vom Jahr 1800 ansteigend von zwischen zehn und zwölf Stunden keine fünfzig Jahre später mit 14 bis 16 Stunden ihren Höhepunkt erreicht. Keine Rolle spielt aber der bis heute wirksame, gar nicht so geheimnisvolle Grund dieser historischen Entwicklung: Der entscheidende Unterschied zur vorkapitalistischen Zeit liegt schließlich darin, dass der Bedarf nach Arbeit der von Unternehmern ist, die sich mit der Zahlung von Lohn das Recht einkaufen, andere für sich arbeiten zu lassen. Der Sinn und Zweck dieser Operation und also auch der Ertrag der Arbeit für diejenigen, die sie bezahlen, besteht von vornherein darin, Produkte oder Dienstleistungen herstellen zu lassen, deren Verkauf einen in Geld gemessenen Überschuss über die nötigen Kosten einspielt. Arbeitgeber kaufen sich mit der Lohnzahlung eine Geldquelle ein – davon können sie gar nicht genug haben, und dieses Interesse an möglichst viel gewinnbringender Arbeit schließt allemal den Anspruch ein, dass die Arbeit prompt und unterbrechungsfrei – also mit der gebotenen Rücksichtslosigkeit gegen jedwede Grenzen der Kraft und die Interessen der zu dieser Arbeit Angestellten – verrichtet wird, wann immer mit ihrer Anwendung Geld zu verdienen ist.

Dass ausgerechnet die Nichterfassung der Arbeitszeit in etlichen Abteilungen der europäischen Arbeitswelt ein Mittel des Regimes über die Zeit der Arbeitnehmer ist, kommt anlässlich des Urteils ausführlich zur Sprache. Dieselben Arbeitgeber, die penibel auf der Erfüllung vertraglich eingegangener Pflichten durch ihre Mitarbeiter zu bestehen pflegen und sie bis in die kleinste Pinkelpause hinein nötigenfalls arbeitsgerichtlich durchsetzen; dieselben, die nicht nur in grauer Vorzeit die Stechuhr in ihren Betrieben eingeführt, nämlich gegen den Widerstand ihrer Belegschaften durchgesetzt haben, sondern die, wenn es ihnen für ihren Betriebszweck passend erscheint, bis heute immer perfektere Systeme zur Erfassung von Arbeitszeit erfinden und umsetzen lassen, praktizieren an anderer Stelle und in wachsendem Ausmaß Varianten der Vertrauensarbeitszeit: Mehr oder weniger regelmäßige, in jedem Fall aber reichlich bemessene Aufgaben werden den Arbeitnehmern zur Erledigung bis zu einem bestimmten Termin aufgegeben, ohne ihnen ansonsten ihre Arbeitszeit nach der Seite ihrer absoluten Dauer und nach der Seite ihrer Verteilung vorzuschreiben. Dabei vertrauen die Unternehmen nicht nur überhaupt darauf, dass das gewünschte Resultat und nicht etwa bezahlter Müßiggang dabei herauskommt, wenn sie die zeitliche Dimension der Erledigung der Arbeit ganz oder teilweise in den persönlichen Verantwortungsbereich ihrer Angestellten hineinlegen. Sie vertrauen im Besonderen darauf, dass es sich für sie auszahlt, wenn sie das zeitliche Engagement ihrer Angestellten deren Kalkül anheimstellen – nicht zuletzt dadurch, dass die in ihrer Freiheit im Zweifel die Beachtung der vertraglich oder tariflich vereinbarten Arbeitszeit hintanstellen, also Überstunden schieben, die sie zum großen Teil gar nicht erst geltend machen, und dass sie die gesetzlichen Höchstarbeits- und Pausenzeiten weder einhalten noch einklagen. Die Substanz des Vertrauens darauf, dass auf diese Weise der Zugriff auf die benötigte Arbeitsleistung via Flatrate zu haben ist, wird dabei auch zum Thema. So weiß beispielsweise die SZ zu berichten: Es gibt heute Mitarbeiter, die bis an die Grenzen ihrer Kräfte um die Gunst der Vorgesetzten wetteifern. Die diesen Mitarbeitern aufgezwungene gemeine Berechnung selbst – zur Sicherung des eigenen Arbeitsplatzes, bestenfalls für den beruflichen Aufstieg das zurückzustellen, was man davon hat – kommt dabei mal mehr als selbstverständlich-sachgerechte, mal mehr als für sie selbst problematische Stellung der Arbeitnehmer zu ihren Beschäftigungsverhältnissen und ihrer Lebenszeit überhaupt zur Sprache. In welche zynische Fassung auch immer verwandelt, bleibt allemal klar genug, wodurch auch noch die Überarbeit in fremden Diensten zum Anliegen derer wird, die sie aushalten müssen, woher also die vom EuGH geltend gemachte Notwendigkeit, sie außer vor ihren Arbeitgebern auch noch vor sich selbst zu schützen, kommt: Sie sind schlicht abhängig von ihrem Arbeitsplatz.

Die Wahrnehmung des Urteils – wahlweise freudig oder entsetzt – als Paukenschlag lebt davon, dass der massenhafte Verstoß gegen die Schutzvorschriften des Arbeitszeitrechts nicht bloß irgendwie eingerissen, sondern aller Welt als alltäglich gelebte Sitte der Arbeitswelt bekannt ist. Und das wiederum offenbart ein erstaunliches Maß an Toleranz der Staaten Europas, die ja immerhin die von ihnen für nötig befundene Beschränkung der Herrschaft der Arbeitgeber über die Zeit ihrer Angestellten in Gesetzesform überführt haben: Offenbar haben sie sich an dieser Stelle der allzu genauen Überprüfung gar nicht klandestiner, sondern wohlbekannt-gesetzeswidriger Praktiken enthalten und schon gar nicht den Standpunkt der Durchsetzung geltenden Rechts eingenommen. Diese Toleranz verdankt sich dem schlichten Umstand, dass der Standpunkt grenzenloser Verfügung über gewinnbringende Arbeitszeit gut zu dem staatlichen Interesse am Wachstum des nationalen Geldreichtums passt, den die Unternehmen aus der Arbeit herauswirtschaften. So gut, dass umgekehrt schon ein oberstes Gericht nach jahrelangem Rechtsstreit unter Bezugnahme auf ganz grundsätzliche Erwägungen den europäischen Staaten ins Stammbuch schreiben muss, dass sie in Sachen Arbeitszeit auch auf gewisse Bedingungen der Möglichkeit der faktischen Gültigkeit ihrer eigenen Vorschriften zu achten haben.

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Die deutsche Presse interessieren die im EuGH-Urteil enthaltenen Auskünfte über das Verhältnis von unternehmerischem Interesse, erzwungener Dienstbarkeit und staatlicher Regulierung in Sachen Arbeitszeit eher weniger. Ihr geht es um höhere Gesichtspunkte:

Im Falle der positiven Bewertung des Urteils, das die Richter selbst ja auch immerhin ganz hoch aufgehängt haben, ist die frohe Botschaft ein endlich wirksamer Grundrechtsschutz für Arbeitnehmer, der sich in Zukunft auf nichts Geringeres wird stützen können als ihre Menschenwürde. Die verpflichtet die Staaten der EU ab mehr oder weniger sofort absolut unverhandelbar dazu, Regelungen zu treffen, die sie als geeignet erachten, die umstandslose Aushebelung des von ihnen hoheitlich verfügten Schutzes ihrer Arbeitnehmer so einfach wie bisher jedenfalls nicht mehr durchgehen zu lassen. Diesen Schutz buchstabieren die Arbeitnehmerfreunde von der SZ konkret so aus, dass dem alle Grenzen der Beanspruchung negierenden Mechanismus der freiwilligen (Über-)Erfüllung jeder Arbeitszeitanforderung im Interesse der Erhaltung des alternativlosen Lebensmittels Arbeitsplatz gut sichtbare Grenzen gesetzt werden müssen – natürlich ohne ihn deswegen gleich außer Kraft zu setzen: Niemand schreibt ihnen vor, dass sie ab sofort nur noch Dienst nach Vorschrift leisten dürfen... Auch künftig wird jeder freiwillig Überstunden machen können... Künftig sollte an der Grenze des Erlaubten für alle eine rote Linie zu sehen sein. (SZ, 15.5.19) Zu der deutlich sichtbaren Grenze können sich, wenn der Gesetzgeber seine Hausaufgaben gemacht haben wird, dann alle Beteiligten mit denselben Interessen und Berechnungen wie bisher ganz selbstverantwortlich stellen.

Andere Rezensenten des EuGH-Urteils sehen die Selbstbestimmung freier Individuen dagegen durch eine allzu scharfe Grenzziehung verletzt: Viele wollen keine scharfe Linie, die Beruf von Freizeit trennt. Vor allem in jungen und kleineren Betrieben ist es selbstverständlich, dass man mal länger arbeitet, aber dafür ohne Bettelei und Formularkram eine Auszeit nehmen kann, um etwa das Kind zum Arzt zu begleiten. (Westfalen-Blatt, 15.5.19) Man stelle sich nur einmal vor, was so eine scharfe Linie in der harmonischen Atmosphäre, durch die sich die jungen und kleineren Betriebe auszeichnen, anrichtet! Der menschliche Umgang und das Verständnis aller Mitglieder der Betriebsfamilie füreinander, die bislang jede äußere, gar gesetzliche Regelung dieser Idylle vollständig überflüssig gemacht haben, sind offenbar sofort in Gefahr, sobald es wirksame Regelungen für einen Schutz gibt, den moderne Angestellte gar nicht brauchen und deswegen genauso wenig haben wollen wie Bettelei und Formularkram.

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Die Freiheit der Angestellten als Grund für die Ablehnung allzu scharfer Linien anzuführen, die die Verfügung der Unternehmen über sie einschränken, hat gute Tradition. Die SZ zitiert Preußens Innenminister der 1820er Jahre mit der zeitlosen Logik des hehren Anliegens, derartige Schranken zu verhindern, da dadurch die natürliche Freiheit des Menschen, über seine Zeit und Kräfte auf die ihm vorteilhaftest erscheinende Weise zu disponieren, beeinträchtigt werde. Ganz genauso sehen es auch die allermodernsten Arbeitgeber in ihrem Gezeter gegen neue bzw. tatsächlich wirksame Beschränkungen der Arbeitszeit: Viele Arbeitnehmer wollen flexibler arbeiten und fordern das aktiv ein. (Presseerklärung der Bitkom vom 14.5.19) Ja, soll man es ihnen denn ausgerechnet als ein freier Unternehmer verbieten?! Die Anwälte moderner Arbeitszeiten haben außer den idealistischen Phrasen über den freien Willen der von ihnen kommandierten Belegschaften aber auch noch handfeste Argumente: Sie argumentieren gar nicht mehr einfach für die – von ihnen hergestellte – Realität, sondern mit ihr: In Deutschland existiert der klassische Acht-Stunden-Tag oft nur noch auf Papier. (Ebd.) Ein EuGH-Urteil, das dem nicht Rechnung trägt, ist nicht nur weltfremd, sondern lebensfremd und aus der Zeit gefallen. Dass alle Welt die Verlogenheit des eifrig ausgemalten Bildes von der klappernden Stechuhr 1.0 durchschaut, die einfach nicht in die moderne und flexible Zeit passt, macht dabei offenbar gar nichts. Es kommt nicht darauf an, dass es Digitalunternehmen selbstverständlich möglich ist, auch die flexibel verteilte Arbeitszeit mit modernsten Mitteln ziemlich unbürokratisch zu ermitteln, weil das ganze Bild nur für das Beharren der Nutznießer auf ihrem Besitzstand Vertrauensarbeitszeit steht. Und dazu stehen sie: Die systematische Erfassung von Arbeitszeiten wird unzählige Arbeitnehmer und Arbeitgeber ins Unrecht setzen. (Ebd.) Und das spricht nicht gegen die Praxis, sondern gegen das Recht, dessen Anwendung sie ins Unrecht setzt: Das EuGH-Urteil macht deutlich, dass unser Arbeitsrecht zwingend modernisiert und in das digitale Zeitalter überführt werden muss. Die tägliche sollte auf eine wöchentliche Höchstarbeitszeit umgestellt und die elfstündige Mindestruhezeit überprüft werden. (Ebd.) So frank und frei bestehen die Unternehmen darauf, dass ihr Interesse nicht nur die Realität, sondern im Zweifelsfall auch die Rechtslage bestimmt.

Warum das nicht nur realistisch, sondern auch gut ist und umgekehrt die überzogene Beschränkung der Freiheit von Unternehmen eine ganz schlechte Idee, können Unternehmer- und Pressevertreter auch an diesem Fall locker aufsagen, indem sie das Publikum einfach an den allgemeinen Maßstab erinnern, mit dem sich hierzulande das Thema Vorschriften für Unternehmen bedacht gehört:

„Das Urteil des EuGH schadet den Unternehmen, weil es mehr Bürokratie bedeutet und sie gegenüber der Konkurrenz außerhalb der EU zurückwirft.“ (Westfalen-Blatt, 15.5.19)

Was die Unternehmen einschränkt, ist eine Last und passt nicht in die Zeit, weil es sie daran hindert, sich unbürokratisch auf Kosten ihrer Angestellten gegen ihresgleichen durchzusetzen! Innerhalb der EU leuchtet das offenbar nur ein paar weltfremden Richtern nicht unmittelbar ein.

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Die staatliche Reaktion auf das Urteil bestätigt in zwei Varianten, wie richtig die Unternehmen mit ihrer Anspruchshaltung liegen. Schon der Arbeitsminister Heil, der sich qua Amt und aus tiefster Überzeugung um die unbedingte Durchsetzung der Rechte von Arbeitnehmern kümmert – Die Aufzeichnung von Arbeitszeit ist notwendig, um die Rechte der Beschäftigten zu sichern; das sei keine überflüssige Bürokratie –, erklärt im gleichen Atemzug, dass er dabei auch seine Verantwortung für den anderen Sozialpartner nicht vergessen hat: Vor den möglichen Gesetzesänderungen werde er das Gespräch mit Gewerkschaften und Arbeitgebern suchen, damit wir das Richtige tun und nicht übers Ziel hinausschießen. Wirtschaftsminister Altmaier verfolgt vom Standpunkt seines Ressorts dasselbe Ziel auf umgekehrtem Weg: Es ist der falsche Weg, die Stechuhr wieder überall einzuführen. Es gebe in Deutschland nach derzeitiger Rechtslage bereits ein umfassendes Dokumentationssystem, mit dem die tägliche Arbeitszeit gemessen werden könne. Das Wirtschaftsministerium werde das Urteil des Europäischen Gerichtshofs genau prüfen und ein Rechtsgutachten vergeben, um festzustellen, ob es überhaupt Handlungsbedarf gebe. Wir wollen und müssen die Interessen der Arbeitnehmer schützen, aber wir dürfen keine überbordende Bürokratie schaffen.

Die Öffentlichkeit weiß schon im Voraus, worauf das Ganze hinausläuft. Dass künftig einfach so die Gesetze gelten und Überstunden bezahlt werden, glaubt ernsthaft sowieso niemand. Im Gegenteil blättern die berufenen Experten noch am selben Tag verschiedene Fassungen auf, in denen eine gesetzlich verordnete Zeiterfassung entweder trickreich umgangen oder wohl letztlich gegen die Arbeitnehmer ausgehen wird. Z.B. so: Im Job ... verschärft [das Urteil des EuGH] den Druck – schon weil, wenn die Stechuhren laufen, nun jedes private Gespräch bei der Arbeit suspekt erscheint. (Westfalen-Blatt, 15.5.19) Und die SZ sieht unter der Überschrift Scan der Mitarbeiter als Folge einer wiedereingeführten Arbeitszeiterfassung Verhaltenskontrolle und Profilierung voraus. Etc. etc. Was für Gerätschaften auch immer morgen und übermorgen die wie auch immer legal definierten Arbeitszeiten der Beschäftigten messen werden oder auch nicht: In Anknüpfung an die gute alte Stechuhr – das ist der deutschen Öffentlichkeit vollkommen klar – geht eben einfach jedes Regime über die Lebenszeit von Arbeitnehmern zu deren Lasten aus. Noch so ein Realismus, der gegen diese Realität spricht.